Heinrich Zschokke
Der Flüchtling im Jura
Heinrich Zschokke

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4.
Staffard's Haus.

Sobald das Gewitter vorüber war und zwischen dem zerrissenen Gewölk der blaue Himmel hervorschimmerte, machten sich die Reisenden wieder auf. Florian bezahlte für seinen naturkundigen Gast die mäßige Zeche, und dieser brachte ihn dankbar auf den Weg zur Feenhalde. Am Fuße des Berges, auf der Südseite des Thales, schieden sie herzlich, wie alte Bekannte. Onyx begab sich auf die Landstraße zurück, um zu den zerstreuten Wohnungen der Bayards zu gelangen; Florian stieg den rauhen Weg hinauf, der sich in schiefer Richtung durch einen Tannenwald zog.

Als er die Höhe erreicht hatte, sank die Sonne hinter den westlichen Bergspitzen nieder. Noch blitzten ihre letzten Strahlen über die wellenförmigen, dunkelgrünen Flächen, deren Hügel scharfgezeichnete schwarze Schatten durch das Licht der Grasgefilde sandten. Hier stiegen Felsen empor, dort Hügel und finstere Tannenhorste. In den Wiesengründen fanden sich vereinzelte Wohnungen, von verwandter Bauart, der Untertheil geräumig und breit gemauert, mit zahlreichen Fenstern; der Obertheil von Balken und Brettern zusammengefügt, und aus dem, mit Steinen beschwerten Schindeldache ein bretterner, viereckiger, weiter Rauchfang thurmähnlich aufsteigend. Alles trug die Zeichen glücklicher Genügsamkeit und behaglichen Wohlstandes im Schooße einer lieblichen, wenn auch armen Natur. Da blühte kein Obstbaum; nur hin und wieder, in den Wiesengründen, zeigte sich ein kleines Hafer- oder Gerstenfeld und vor den Wohnhäusern ein Gärtchen mit kleinen Beeten, welche statt der Blumen Gemüse trugen.

Florian hatte schon reizendere Landschaften gesehen; aber diese stille Einsamkeit auf der Gebirgshöhe erquickte ihn wunderbar. Es sprach ihn aus der weiten, allgemeinen Ruhe ein freundlicher Geist an, der ihm sagte: Hier findest Du, was Du Dir ersehnst, Verborgenheit und Vergessenheit. Er dankte im Herzen der seltsamen Erscheinung auf dem Gros-Taureau, die ihn hieher gewiesen hatte. Er beschloß, nach dem gastlichen Staffard zu fragen. Es galt ihm Alles als die Wirkung und Stimme einer waltenden Vorsehung.

Der Anblick der Bewohner der Wildniß erhöhte nicht wenig den Eindruck des Ganzen. Er erwartete, auf diesem abgelegenen Hochlande die rauhe Weise und Sitte eines Bergvolkes zu finden, welches, mit der Natur im täglichen Kampfe um die Bedürfnisse des Lebens, den feinern Genüssen des geselligen Daseins fremd bleibt; allein mit Verwunderung begegnete er städtischer Tracht und städtischer Sitte. Mit einschmeichelndem Zuvorkommen beantworteten Kinder und Erwachsene seine Fragen. Oft begleitete man ihn weit, damit er ja nicht den Weg verfehle. Der Geringste bewies eine Höflichkeit, die man kaum in Städten findet; Niemand belästigte ihn mit neugierigen Ausforschungen. Frauen und Töchter waren geschmackvoll gekleidet, von zarter Bildung und lieblichen Gesichtszügen; die Männer reinlich, einfach und gefällig. Florian erkannte, daß die Feenhalde ihren Namen verdiene. Es schien wenigstens feenartig, Hütten und Einöden eines Bezirks, statt von Menschen wild und hart, wie ihre Felsen, von Männern edler Gesittung und von Frauen bewohnt zu sehen, die durch Anmuth des Betragens, durch schöne und feine Gestalt es verdient hätten, die Zierde der Paläste zu sein.

Als er beinahe eine Stunde Weges zurückgelegt hatte und die Dämmerung mächtiger eintrat, zeigte ihm ein kleiner Knabe, der Ziegen am Berge zusammentrieb, die Wohnung Staffard's.

Es war ein weitläufiges, ländliches Gebäude am Fuße eines mit uralten Ahornen bekränzten Hügels. Wohl sechszig bis achtzig Fuß lang, breitete sich die Stirnseite des Hauses aus; fast eben so viel mochte die Tiefe desselben betragen; Alles ein weites, gleichseitiges Geviert, vorn mit zahlreichen Fenstern und verschiedenen Eingangsthüren versehen. Ueber das weißgetünchte Mauerwerk des Erdgeschosses erhob sich der zweite Stock von Holzwerk, mit Brettern übertäfelt und von einer fast gleich langen Fensterreihe geziert. Darüber legte sich das ziemlich flache Schindeldach, beschwert mit Felssteinen, auf daß der Sturmwind die dicken Brettschindeln nicht fortführe. Der thurmartige Rauchfang, dessen weiter Mündung oben ein großes bewegliches Deckelbrett, an einer Kette ziehbar, zum Schirm gegen Schlagregen diente, erhob sich rechts; links lief ein gewaltiger hölzerner Kanal vom Dache herab, der das Regenwasser vom Dache, zehn bis zwanzig Fuß weit von der Mauer, in einen Behälter leitete. An das Hauptgebäude lehnten seitwärts geräumige Stallungen. Vorn, in der ganzen Breite des Wohnhauses, zeigte ein weiter Gemüsegarten die wohlgeordneten Beete, rings mit einem zierlichen Geländer umgeben.

So war Staffard's Haus, obgleich einsam in den Wiesen dastehend; nicht in der Bauart von den übrigen dieser Landschaft, sondern durch größere Sauberkeit und sorgfältigere Erhaltung ausgezeichnet.

In dem Augenblicke, wo Florian, um einen Felsblock getreten, das Haus vor sich sah, scholl ihm aus demselben Musik entgegen. Es war ein ihm wohlbekanntes Tonstück von Haydn, nur durch Hörner, Flöten und Klarinette ausgeführt. An den Fels gelehnt, verweilte er einige Zeit, um durch sein Erscheinen nicht zu stören. Er bewunderte die Reinheit, Genauigkeit und Zartheit des Spieles. Wo solches Gefühl lebt, dachte er, wird man den verlassenen Fremdling nicht verstoßen.

Bald aber, als die Musik geendet hatte und er sich dem Geländer des Gartens näherte, wurde er fast anderen Sinnes. Ein ungeheurer Wolfshund, weißhaarig, langzottig, flog ihm mit Gebell entgegen und sprang ihm gegen die Brust. Im gleichen Augenblick aber riefen mehrere männliche Stimmen aus dem Fenster dem Hunde gebietend zu, zurückzukehren, und da er nicht kam, eilten sie zur Hausthür hinaus. Mit Entsetzen erblickten sie die Dogge aufrecht am Fremdling stehend, der ihnen ganz gelassen zurief: Sendet den Herrn der Bestie her, daß er sie mir abnehme, sonst ist sie auf der Stelle des Todes! – Das furchtbare Thier winselte und heulte kläglich. Alle eilten, nicht ohne Schrecken, hinzu. Sie sahen, wie der unbekannte Mann mit der Linken die Kehle des Hundes hielt, mit der Rechten aber eine von dessen Krallen, in sie selbst zurückgedrückt, so gewaltig preßte, daß das Thier vor Schmerz den Rachen weit aufsperrte, um die starke Faust zu verschlingen, und sie doch dann nur leise mit den Zähnen berührte, oder gar leckte.

Der kann Bären zähmen! rief einer der Männer; lassen Sie den Hund nur los; er wird Sie nicht mehr anrühren. Hui da! Fort, Bassa!

Der Hund, von seinem Bändiger freigelassen, schlich winselnd davon und sah schüchtern auf seinen Besieger zurück.

Sie haben nichts von dem Hunde zu fürchten, sagte der erschrockene Eigenthümer desselben.

Ich würde ihn auch nicht fürchten, wenn Sie ihn auf mich hetzten, erwiederte Florian; doch thäte mir das prächtige Thier leid; denn ich bräche ihm die Pfote.

Mit einer Art Ehrfurcht, welche man der körperlichen Kraft und Gewandtheit nie versagen kann, betrachteten die Anwesenden den unerschrockenen Mann, der nun erzählte, wie ihn der Abend in der fremden Gegend überfallen habe, welche er zu seinem Vergnügen besuchen wolle. Wie nebenbei berührte er seine Bekanntschaft mit dem Professor Onyx, der ihm aufgetragen, einem Herrn Staffard Grüße zu überbringen.

Das bin ich selbst! rief der Aelteste von den Männern. Es war ein majestätischer Greis, mit einer starken Baßstimme, dessen hoher, kräftiger Körperbau, mit breiter Brust, dem edlen, blühenden Angesicht und dem grauen Haupthaar, welches, über der Stirn gescheitelt, in dichten Locken zu den breiten Achseln niederfiel, Bildhauern oder Malern als Vorbild zu einem Zeus oder Moses dienen konnte. – Höre, Georg! sagte er und wandte sich zu einem schlank aufgeschossenen jungen Manne, der noch das Waldhorn in der Hand trug; dieser Fremdling mag bei uns übernachten; sorge für sein Zimmer. Und Sie, mein Herr! nehmen Sie vorlieb. Es würde spät werden, ehe Sie ein gutes Wirthshaus erreichen können, überdies sind die Wege in diesen Bergen zu schwer zu finden.

Florian nahm dankbar die Einladung an und Alle folgten dem Greise in seine gastliche Wohnung.


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