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Fünftes Kapitel.

Am 15. Mai schlief Claude noch um neun Uhr, – denn er war erst um drei Uhr morgens von Sandoz zurückgekommen – als Frau Joseph ihm einen großen Strauß weißen Flieders brachte, den ein Stadtbote gebracht hatte. Er begriff; Christine beglückwünschte ihn im voraus zu dem Erfolge seines Gemäldes; es war heute ein großer Tag für ihn: die Eröffnung des »Salons der Zurückgewiesenen«, eine Einrichtung, die in jenem Jahre geschaffen wurde und wo sein von den offiziellen Richtern abgewiesenes Bild ausgestellt werden sollte.

Diese zarte Erinnerung, dieser frische, duftige Flieder, der ihn erweckte, rührte ihn sehr, als seien diese Blumen die Voraussagung eines glücklichen Tages. Noch im Hemde und bloßfüßig tat er sie in den auf dem Tische stehenden Blumentopf. Schlaftrunken und bestürzt kleidete er sich an, sich selbst ausscheltend, daß er solange geschlafen. Er hatte gestern Dubuche und Sandoz versprochen, sie bei letzterem um acht Uhr abzuholen, damit sie sich alle drei zusammen nach dem Industrie-Palaste begeben, wo man den Rest der Schar treffen sollte. Jetzt hatte er sich schon um eine Stunde verspätet!

Gerade heute konnte er in seinem Atelier nichts finden; seitdem das große Bild fort war, herrschte da eine seltsame Unordnung. Fünf Minuten lang suchte er seine Schuhe, unter alten Rahmen auf den Knien liegend. Goldstäubchen flogen auf, da er sich das Geld für einen Rahmen nicht zu beschaffen wußte, hatte er durch einen benachbarten Tischler vier Brettchen dazu herrichten lassen und sie mit Hilfe seiner Freundin vergoldet, die sich bei dieser Gelegenheit als sehr geschickte Vergolderin erwies. Als er endlich angekleidet war und seinen mit Goldstäubchen bestreuten Filz aufgesetzt hatte, machte er sich auf den Weg; doch ein abergläubischer Gedanke führte ihn zu den Blumen zurück, die allein mitten auf dem Tische zurückblieben. Wenn er diesen Fliederstrauß nicht küsse, werde ihm ein Schimpf widerfahren, dachte er. Er küßte ihn also und sog mit voller Lunge den scharfen Lenzesduft des Flieders ein.

Unter der Torwölbung reichte er – seiner Gewohnheit gemäß – der Hausbesorgerin den Schlüssel.

»Frau Joseph«, sagte er, »ich komme den ganzen Tag nicht mehr heim.«

In weniger denn zwanzig Minuten war Claude in der Höllenstraße, bei Sandoz. Er fürchtete, diesen nicht mehr zu Hause finden; allein auch Sandoz hatte sich verspätet; seine Mutter hatte eine schlechte Nacht verbracht, dies hatte ihn geängstigt und länger zurückgehalten. Jetzt war er wieder beruhigt und erzählte ihm, Dubuche habe geschrieben, man solle ihn nicht erwarten, man werde ihn beim Stelldichein in der Ausstellung treffen. Die beiden brachen also auf, und da es nahezu elf Uhr war, entschlossen sie sich zu frühstücken; sie betraten eine kleine, verlassene Milchhandlung und saßen lange da trotz ihres glühenden Verlangens zu sehen von einer Trägheit ergriffen, mit einer gewissen Rührung und Traurigkeit sich in ihre Jugend-Erinnerungen versenkend.

Es schlug ein Uhr, als sie die Elysäischen Felder durchschritten. Es war ein köstlicher Tag mit einem weithin klaren, noch kühlen Himmel, dessen Bläue ein leiser Wind noch zu vertiefen schien. Im Lichte der Sonne, welche die Farbe reifen Getreides hatte, dehnten sich die Kastanienbäume in langen Reihen dahin mit ihrem zartgrünen, frisch glänzenden, jungen Laub; und die Springbrunnen mit ihren Wassergarben, die sauber gehaltenen Rasenplätze, die Tiefe der Alleen und die Breite der Plätze gaben diesem weiten Horizont ein sehr vornehmes Aussehen. Einige Kutschen – selten um diese Stunde – fuhren hinan, während eine Flut von Menschen in weiter Ferne und wimmelnd wie ein Ameisennest sich unter der riesigen Säulenreihe des Industrie-Palais verlor.

Als sie eingetreten waren, erschauerte Claude in der ungeheuren Vorhalle, wo es kühl war wie in einem Keller und das feuchte Pflaster unter den Tritten klang wie die Fliesen einer Kirche. Er betrachtete die beiden Riesentreppen rechts und links und fragte im Tone der Verachtung:

»Sollen wir einen schmutzigen Salon durchschreiten?«

»Nein, nein!« antwortete Sandoz. »Gehen wir durch den Garten und über die Weststiege zum Salon der Zurückgewiesenen.«

Mit geringschätziger Miene schritten sie zwischen den kleinen Tischchen der Katalogverkäuferinnen dahin. Durch die Öffnung riesiger Vorhänge von rotem Samt wurde – jenseits einer dunklen Torwölbung – der Wintergarten sichtbar.

Zu dieser Tageszeit war der Garten fast leer; nur am Buffet unter der großen Uhr standen Leute, die ihr Frühstück einnahmen. Die große Menge befand sich im ersten Stock und füllte daselbst die Säle; die weißen Statuen allein säumten die mit gelben Kies bestreuten Wege ein, die sich scharf von den grünen Rasenplätzen abhoben. Es war ein unbewegliches Volk aus Marmor, in ein gedämpftes Licht getaucht, das zerstäubt durch die hohen Scheiben hereinfiel. Nach Süden verdunkelten leinene Vorhänge eine Hälfte des Schiffes, das die Sonne mit ihrem blonden Lichte erfüllte und an dessen beiden Enden die farbigen Fenster rote und blaue Flecke bildeten. Einige schon ermüdete Besucher saßen auf den Sesseln und auf den frisch gestrichenen Bänken; aus dem eisernen Deckengebälk flogen Spatzenschwärme hernieder und hüpften zwitschernd und zutraulich auf dem gelben Sande dahin, wo sie ihre Nahrung suchten.

Claude und Sandoz gingen auffällig rasch durch die Halle, ohne einen Blick um sich zu werfen. Eine Minerva von Bronze, steif und vornehm, das Werk eines Institutsmitgliedes, hatte gleich beim Eintritt ihre Erbitterung hervorgerufen. Doch als sie mit raschen Schritten die schier unendliche Reihe von Büsten entlang eilten, erkannten sie Bongrand, der einsam die Runde um eine liegende Kolossalfigur machte.

»Ihr seid es!« rief er, als sie ihm die Hand reichten. Ich betrachtete soeben die Figur unseres Freundes Mahoudeau. Die Herren Richter haben wenigstens den Verstand gehabt, sie anzunehmen und ihr einen guten Platz anzuweisen. »Kommt Ihr von oben?«

»Nein, wir sind soeben erst eingetroffen«, sagte Claude.

Da äußerte er sich in sehr warmen Worten über den Salon der Zurückgewiesenen. Er war zwar Mitglied des Instituts, hielt sich aber abseits von seinen Kollegen und erheiterte sich an der Geschichte; er sprach von der ewigen Unzufriedenheit der Maler, von dem Feldzug der kleinen Blätter wie des »Tambour«, von den fortwährenden Protestationen und Reklamationen, die endlich den Kaiser stutzig gemacht hatten; von dem künstlerischen Staatsstreiche dieses schweigsamen Träumers (denn die Maßregel stammte von ihm allein); von der Bestürzung aller, als dieser Pflasterstein in den Froschteich fiel.

»Ihr habt keine Vorstellung von der Entrüstung unter den Jury-Mitgliedern! ... Gegen mich sind sie mißtrauisch; wenn ich dabei bin, schweigen sie. Die ganze Wut kehrt sich gegen die abscheulichen Realisten; ihnen hat man systematisch die Pforten des Tempels verschlossen, ihrethalben hat der Kaiser gestattet, daß das Publikum den Prozeß überprüfe; sie triumphieren. Ich habe schöne Dinge zu hören; ich möchte nicht viel für eure Haut geben, ihr Jungen!«

Er lachte laut und breitete die Arme aus, wie um die ganze Jugend zu umarmen, die er aus dem Boden aufsteigen sah.

»Ihre Schüler nehmen zu«, sagte Claude einfach.

Mit einer Gebärde der Verlegenheit hieß er ihn schweigen. Er hatte nichts ausgestellt; und diese Ausstellung, durch die er wandelte, diese Gemälde, diese Statuen, diese Anstrengungen menschlicher Schöpfungskraft: sie erfüllten ihn mit Bedauern. Es war nicht Neid, denn es gab keine edlere und bessere Seele; sondern die Rückkehr zu sich selbst, die dumpfe Furcht vor einem langsamen Verfall, diese uneingestandene Furcht, die ihn beschlich.

»Und wie geht's denn im Salon der Zurückgewiesenen?« fragte Sandoz.

»Ausgezeichnet! Ihr werdet sehen.«

Dann wandte er sich zu Claude, behielt dessen beide Hände in der seinen und sagte:

»Sie, mein Guter, sind ein ganzer Künstler. Mich nennt man boshaft, aber ich sage Ihnen: Ich möchte zehn Jahre meines Lebens dafür geben, Ihre prächtige Frauenfigur gemalt zu haben.«

Dieses Lob aus solchem Munde rührte den jungen Maler zu Tränen. Endlich ein Erfolg! Er fand kein Wort des Dankes, sprach plötzlich von anderen Dingen, um seine Ergriffenheit zu verbergen.

»Dieser wackere Mahoudeau!« sagte er. »Seine Figur ist sehr gut. Sehr viel Temperament, nicht wahr?«

Sandoz und er machten jetzt die Runde um das Gipsmodell. Bongrand antwortete mit einem Lächeln:

»Ja, ja, zu viel Schenkel, zu viel Busen, aber betrachtet nur die Gelenke, wie fein und schön! ... Lebt wohl, ich verlasse Euch. Ich muß mich ein wenig niedersetzen, meine Beine sind weg.«

Claude hatte den Kopf erhoben und horchte. Ein riesiger Lärm, der ihm anfänglich nicht aufgefallen war, erfüllte andauernd die Luft; es war wie das Tosen eines Sturmes gegen die Küste, das Grollen eines aus unendlicher Ferne daherkommenden unermüdlichen Ansturms.

»Horch, was ist das?«

»Das ist die Menge oben in den Sälen«, sagte Bongrand sich entfernend.

Die beiden jungen Leute stiegen, nachdem sie den Garten durchschritten, zum Salon der Zurückgewiesenen hinauf.

Man hatte ihn sehr gut eingerichtet; die zugelassenen Gemälde waren auch nicht besser untergebracht: hoch hinaufreichende Vorhänge von alten Tapisserien an den Türen mit grünem Stoff überzogene Stützleisten, mit rotem Samt gepolsterte Bänkchen, Lichtschirme von weißer Leinwand unter dem Glasdache; und der erste Anblick in der Flucht der Säle war der nämliche, dasselbe Gold der Rahmen, dieselben gelben Flecke der Leinwand. Aber ein eigenartiger Frohsinn herrschte da, ein Glanz der Jugend, den man sich im ersten Augenblick nicht deutlich erklären konnte. Die jetzt schon dichte Menge wuchs von Minute zu Minute an; denn man verließ den offiziellen Salon und eilte hierher, von der Neugierde und von dem Verlangen getrieben, die Richter zu beurteilen, und schließlich schon auf der Schwelle von der Gewißheit ergötzt, daß man außerordentlich gefallende Dinge zu sehen bekommen werde. Es war sehr warm, ein feiner Staub stieg von dem Fußboden auf; gegen vier Uhr mußte die Luft erstickend werden.

»Alle Wetter!« sagte Sandoz und gebrauchte seine Ellbogen. »Es wird nicht leicht sein, hier durchzukommen und dein Bild zu finden.«

In einer Anwandlung brüderlicher Zuneigung eilte er vorwärts. An diesem Tage lebte er nur für das Werk und den Ruhm seines alten Kameraden.

»Laß doch!« rief Claude. »Wir kommen schon dahin; mein Bild fliegt nicht davon.«

Er tat, als habe er gar keine Eile trotz seines unwiderstehlichen Verlangens zu laufen. Er erhob den Kopf und schaute. In der lauten Stimme der Menge, die ihn betäubt hatte, unterschied man ein leises, noch zurückgehaltenes Gelächter, gedeckt von dem Getrippel der Füße und von dem Geräusch der Unterhaltungen. Vor gewissen Bildern ergingen sich Gruppen von Besuchern in allerlei Scherzen. Das beunruhigte ihn, denn er war von der Leichtgläubigkeit und Empfindlichkeit eines Weibes inmitten seiner auffahrenden Rauheit, stets des Martyriums gewärtig, stets betroffen darüber, daß er zurückgewiesen und bespöttelt werde.

»Die Leute sind vergnügt hier!« murmelte er.

»Man hat auch Ursache dazu«, bemerkte Sandoz. »Schau dir doch die ganz außerordentlichen Sachen an.«

Doch in diesem Augenblicke stieß, als sie noch im ersten Saale verweilten, Fagerolles zu ihnen, der sie bisher nicht gesehen hatte. Er fuhr auf, ohne Zweifel verdrießlich wegen dieser Begegnung. Übrigens faßte er sich sogleich und tat sehr liebenswürdig.

»Ich dachte an Euch und bin schon seit einer Stunde da.«

»Wo haben Sie denn das Bild Claudes hingesteckt?« fragte Sandoz.

Fagerolles, der zwanzig Minuten vor dem Bilde gestanden, um es zu studieren und seinen Eindruck auf das Publikum zu beobachten, antwortete ohne Zögern:

»Ich weiß nicht ... Wir wollen es zusammen suchen.«

Er schloß sich ihnen an. Der stete Spaßvogel, der er war, steckte nicht mehr die Gassenjungenmanieren heraus; er war vornehm gekleidet und zeigte, obgleich noch immer zu beißendem Spott bereit, doch die ernste Miene eines Jungen, der ans Ziel gelangen will. Er fügte im Tone der Überzeugung hinzu:

»Ich bedaure, dieses Jahr nichts in die Ausstellung gesandt zu haben. Ich wäre jetzt unter euch und hätte meinen Anteil am Erfolge ... Es gibt erstaunliche Sachen da; zum Beispiel diese Pferde ...«

Er zeigte auf eine große Leinwand ihnen gegenüber, vor der eine lachende Menge sich staute. Es war, sagte man, das Werk eines ehemaligen Tierarztes, Pferde in natürlicher Größe, auf einer Wiese frei sich tummelnd, aber ganz phantastische Pferde in blauer, violetter, rosa Farbe, und von einem Knochenbau, der durch die Haut zum Vorschein kam.

»Mir scheint gar, du treibst deinen Spaß mit uns«, erklärte Claude argwöhnisch.

Fagerolles heuchelte Begeisterung.

»Wie? Aber das Ding strotzt von Vorzügen! Der gute Mann kennt sein Pferd genau. Allerdings malt er wie ein Schweinkerl. Aber was tut das, wenn er nur originell und naturwahr ist?«

Sein feines Mädchengesicht blieb ernst; nur ein gelber Funke von Spott blitzte auf dem Grunde seiner hellen Augen auf. Er fügte eine boshafte Anspielung hinzu, die er allein verstand:

»Ja, wenn du dich vom Gelächter der Schwachköpfe beeinflussen lassen willst, wirst du sogleich noch ganz andere Dinge sehen.«

Die drei Kameraden hatten ihren Weg fortgesetzt, kamen aber in der dichtgedrängten Menge nur mühsam vorwärts. Beim Eintritt in den zweiten Saal überschauten sie mit einem Blick die Wände, aber das gesuchte Gemälde war nicht da. Was sie sahen, war Irma Bécot am Arme Gagnières, beide an eine Stützleiste gedrängt, er im Begriff, ein kleines Bild zu betrachten, während sie, entzückt von dem Gedränge, ihr rosiges Lärvchen hob und die Menge anlachte.

»Wie?« sagte Sandoz erstaunt. »Sie hält sich jetzt zu Gagnière?«

»Eine vorübergehende Laune«, erklärte Fagerolles ruhig. »Die Geschichte ist so drollig ... Ihr wißt, daß man ihr soeben eine Wohnung sehr fein eingerichtet hat; ja, dieser junge, blöde Marquis, von dem in den Zeitungen soviel die Rede ist. Eine Geriebene, die es noch weit bringen wird; ich habe es immer gesagt. Allein es nützt nichts, daß man sie in wappengeschmückte Betten legt, sie hat ein wildes Verlangen nach Gurtbetten; an manchen Abenden zieht es sie unwiderstehlich nach der Dachstube eines Malers. So geschah es, daß sie letzten Sonntag um ein Uhr morgens, nachdem sie alles im Stiche gelassen, plötzlich im Café Baudequin auftauchte. Wir waren eben fortgegangen, und es war bloß noch Gagnière da, der über seinem Bierglase schlummerte ... So nahm sie denn Gagnière.«

Irma hatte sie bemerkt und sandte ihnen von der Ferne zärtliche Winke zu. Sie mußten sich nähern. Als Gagnière sich umwandte mit seinen blassen Haaren und seinem kleinen, bartlosen Gesichte, noch bleicher als sonst, zeigte er sich gar nicht überrascht, die Kameraden hinter seinem Rücken zu finden.

»Das ist unerhört«, murmelte er.

»Was denn?« fragte Fagerolles.

»Dieses kleine Kunstwerk ... Ehrlich und einfach und überzeugt!«

Er zeigte auf das kleine Bildchen, vor dem er in Betrachtung versunken gestanden, eine ganz kindische Malerei, wie sie etwa ein Knäblein von vier Jahren hervorgebracht haben würde: ein Häuschen am Rande eines schmalen Weges, mit einem kleinen Bäumchen daneben, das Ganze schief gestellt, mit schwarzen Strichen umgeben, den korkzieherförmigen Rauch nicht zu vergessen, der vom Dache aufstieg.

Claude machte eine nervöse Bewegung, während Fagerolles ruhig wiederholte:

»Sehr fein, sehr fein ... Aber wo ist denn dein Bild, Gagnière?«

»Mein Bild ist da.«

In der Tat hing sein Bild neben dem kleinen Kunstwerke. Es war eine Landschaft, perlgrau, ein Stück Seineufer, sorgfältig gemalt, sehr hübsch im Ton, wenngleich etwas schwerfällig, vollkommen in der hergebrachten Weise, ohne jede gewaltsame Neuerung.

»Wie konnten sie so dumm sein, das zurückzuweisen?« sagte Claude, der sich mit Interesse genähert hatte. »Ich frage euch, warum?«

In der Tat war kein Grund ersichtlich, der die Abweisung der Richter erklärt hätte.

»Weil es realistisch ist«, sagte Fagerolles mit einer so schneidenden Stimme, daß man nicht wissen konnte, ob er die Richter oder das Bild verhöhnte.

Irma, um die sich niemand kümmerte, schaute inzwischen Claude fest an mit dem unbewußten Lächeln, welches das linkische, scheue Wesen dieses großen Jungen auf ihre Lippen rief. Ist es nicht seltsam, daß er nicht einmal auf den Einfall gekommen, sie wiederzusehen. Sie fand ihn so eigenartig, so drollig, keineswegs vorteilhaft aussehend, struppig, das Gesicht verstört wie nach einem schweren Fieber! Verdrossen wegen der geringen Aufmerksamkeit, die er ihr schenkte, berührte sie vertraulich seinen Arm.

»Es scheint, daß dort drüben einer Ihrer Freunde Sie sucht.«

Es war Dubuche, den sie kannte, weil sie ihn einmal im Café Baudequin getroffen. Er arbeitete sich mühsam durch die Menge, mit den Augen über die Flut der Köpfe dahin irrend. Doch plötzlich kehrte in dem Augenblicke, da Claude sich ihm mit lebhaften Gebärden bemerkbar zu machen suchte, der andere ihm den Rücken, um sehr untertänig eine Gruppe von drei Personen zu grüßen: der Vater dick und kurz, das Gesicht von einem allzu heißen Blute gerötet, die Mutter sehr mager, wachsfarben, an Blutleere dahinsiechend, die Tochter mit achtzehn Jahren noch so schwächlich und wenig entwickelt wie ein ganz junges Kind. »Aha, der sitzt fest«, sagte der Maler. »Hat der Kerl häßliche Bekanntschaften! Wo hat er diese Scheusale aufgegabelt?«

Gagnière sagte sehr gelassen, daß er sie dem Namen nach kenne. Vater Margaillan sei ein Großunternehmer in Maurerarbeiten, fünf- oder sechsfacher Millionär. Er baue ganze Promenaden und bereichere sich so an den großen Pariser Arbeiten. Ohne Zweifel habe Dubuche seine Bekanntschaft durch Vermittlung eines der Architekten gemacht, deren Pläne er überprüfe und verbessere.

Sandoz, dem die Magerkeit des Mädchens dauerte, gab mit einem Worte sein Urteil über sie ab.

»Das arme, geschundene Kätzchen! Welch ein Jammer!

»Schweig!« rief Claude wütend. »Sie tragen alle Verbrechen des Spießbürgertums im Gesichte; sie haben die Skrofeln und die Dummheit. So ist es recht ... Unser Abtrünniger geht mit ihnen. So ein Architekt ist eine öde Seele! Glückliche Reise!«

Dubuche, der seine Freunde nicht bemerkt hatte, reichte soeben der Mutter den Arm und entfernte sich, um der Familie mit den Gebärden einer übertriebenen Gefälligkeit die Gemälde zu erklären.

»Kommt weiter«, sagte Fagerolles.

Dann fragte er Gagnière:

»Weißt du, wo sie Claudes Gemälde hingetan haben?« »Nein, ich suchte es auch schon ... Ich gehe mit euch.«

Er begleitete sie und vergaß Bécot bei der Stützleiste. Sie hatte die Laune gehabt, an seinem Arm den Salon zu besuchen, und er war so wenig gewöhnt, eine Frau spazieren zu führen, daß er sie unterwegs jeden Augenblick verlor und verblüfft war, sie immer wieder an seiner Seite zu finden, ohne daß er wußte, wie und warum sie beisammen waren. Sie lief ihm auch jetzt wieder nach und faßte ihn am Arm, um Claude zu folgen, der mit Fagerolles und Sandoz schon einen anderen Saal betreten hatte.

So wanderten sie ihrer fünf herum, die Nase hoch, in dem Gedränge bald getrennt, bald wieder vereinigt, von der Strömung mitgerissen. Eine abscheuliche Kleckserei von Chaine hielt sie fest, ein »Christus, der Ehebrecherin verzeihend«, trockene Figuren wie in Holz geschnitzt, von einem Knochenbau, der violett durch die Haut schimmerte, und wie mit Schmutz gemalt. Gleich daneben bewunderten sie eine sehr schöne Studie: eine weibliche Figur, Rückansicht, mit vorspringenden Lenden und abgewandtem Kopfe. Es hing an den Mauern entlang ein Gemengsel des Vortrefflichsten mit dem Schlechtesten; alle Arten durcheinander, die Farbenverderber aus der historischen Schule hart neben den jungen Hitzköpfen des Realismus; die albernen Tröpfe, die in der großen Menge verschwanden, neben den Prahlhänsen der Originalität, eine tote Jesabel, die in den Kellern der Schule der schönen Künste gemodert zu haben schien, neben der Dame in Weiß, einer sehr interessanten Schöpfung eines Meisterpinsels; ein Hirt am Meer – ein gemaltes Märchen auf großer Leinwand – neben einem kleinen Bildchen, »Spanier beim Ballspiel« darstellend, eine Lichtwirkung von glänzender Stärke. Nichts fehlte von der Gattung des Abscheulichen: weder die Militärstücke mit den bleiernen Soldaten, noch die fahle Altertümelei, noch die mittelalterlichen Bilder, wie mit Erdpech hingeschmiert. Aber aus dieser unzusammenhängenden Sammlung – Landschaften fast ausnahmslos wahr und zutreffend im Ton; Bilder, zumeist interessant in der Mache – ging ein wohltuender Hauch der Jugend und kraftvoller Leidenschaft aus. Gab es im offiziellen Salon weniger schlechte Bilder, so war daselbst der Durchschnitt sicherlich alltäglicher und mittelmäßiger. Man hatte das Gefühl, daß man eine Schlacht vor sich habe, eine lustige Schlacht, mit Tagesanbruch beim Klang der Hörner mutig begonnen, daß man mit der Gewißheit gegen den Feind marschiere, vor Tagesanbruch ihn geschlagen zu haben.

Durch diesen Kampfeshauch gestärkt, ward Claude jetzt lebhafter und unzufriedener; er hörte jetzt das Gelächter des Publikums mit herausfordernder Miene, als habe er Kugeln pfeifen gehört. Was beim Eintritt nur ein Kichern war, klang immer lauter, je weiter man kam. Schon im dritten Saale unterdrückten die Frauen ihr Lachen nicht mehr mit ihren Taschentüchern; die Männer streckten die Bäuche heraus, um es sich besser erleichtern zu können. Es war die ansteckende Heiterkeit einer Menge, die gekommen war, sich zu unterhalten, allmählich erregt wurde wegen eines Nichts, von den schönen Sachen ebenso belustigt wie von den häßlichen. Man lachte weniger vor dem Christus Chaines, als vor der Frauenstudie, deren vorspringende Lende, die aus der Leinwand herauszuquellen drohte, außerordentlich komisch schien. Auch die Dame in Weiß erheiterte die Menge; die Leute stießen sich mit dem Ellbogen an und hielten sich die Seiten vor Lachen; es fand sich stets eine Ansammlung von Lachern. Jede Leinwand hatte ihren Erfolg; die Leute riefen einander von fern heran, um sich die guten Sachen zu zeigen; geistreiche Bemerkungen gingen von Mund zu Mund, so daß Claude, als sie den vierten Saal betraten, schier eine alte Dame ohrfeigte, deren Glucksen ihn erbitterte.

»Welch blödes Volk!« sagte er zu den übrigen. »Man fühlt sich versucht, ihnen Meisterwerke an die Köpfe zu schleudern.«

Auch Sandoz war aufgeregt; Fagerolles fuhr fort, die schlechtesten Bilder sehr laut zu loben, was die Heiterkeit noch erhöhte, während Gagnière, in dem Gedränge schier verschwindend, die entzückte Irma hinter sich her schleppte, deren Röcke sich allen Männern um die Beine wickelten.

Plötzlich tauchte Jory vor ihnen auf. Seine große, rote Nase, sein blondes Gesicht eines hübschen Jungen strahlte. Mit kräftigen Armen durchbrach er das Gewühl, gestikulierte, jubelte, als handle es sich um einen persönlichen Sieg. Sobald er Claude erblickte, rief er:

»Ha, endlich bist du da; seit einer Stunde suche ich dich ... Ein Erfolg, mein Bester, ein Erfolg! ...«

»Was für ein Erfolg?«

»Der Erfolg deines Gemäldes! ... Komm, ich muß es dir zeigen. Du wirst sehen, es ist ganz außerordentlich!«

Claude erblaßte; eine tiefe Freude durchströmte ihn, während er tat, als ob er die Nachricht mit Gleichmut aufnehme. Er erinnerte sich des Wortes, das Bongrand gesprochen, und er glaubte, Genie zu besitzen.

»Guten Tag!« fuhr Jory fort, und reichte den anderen die Hände.

Ruhig nahmen sie, er, Fagerolles und Gagniere, Irma Bécot in die Mitte, die ihnen gutmütig zulächelte, ihre Gunst allen gleichmäßig zuwendend, weil man ja »zu einer Familie gehöre«, wie sie sagte.

»Wo ist es denn?« fragte Sandoz ungeduldig. »Führe uns.«

Jory ging voran, die Schar folgte ihm. Bei der Tür des letzten Saales mußte man mit den Fäusten arbeiten, um hindurchzukommen. Claude aber, der zurückgetreten war, hörte noch immer das Gelächter aufsteigen, einen immer wachsenden Lärm, das Tosen einer Flut gegen die Küste. Als er endlich den Saal betrat, sah er eine ungeheure, wimmelnde, verworrene Masse, die sich vor seinem Bilde drängte. Alles Gelächter schwoll hier an, fand hier sein Ziel. Man lachte über sein Bild.

»Nun,« rief Jory triumphierend, »ist das ein Erfolg?«

Schüchtern und beschämt, als habe man ihn selbst geohrfeigt, murmelte Gagnière:

»Zuviel Erfolg ... Mir wäre etwas anderes lieber.«

»Bist du aber dumm!« fuhr Jory in einer Aufwallung begeisterter Überzeugung fort. »Das ist der Erfolg. Was verschlägt's, daß sie lachen? Wir sind in der Mode; morgen werden alle Blätter von uns reden.«

»Diese Trottel!« brummte Sandoz mit schmerzerstickter Stimme.

Fagerolles schwieg mit der teilnahmslosen und würdigen Miene eines Familienfreundes, der einem Leichenbegängnisse folgt. Irma allein lächelte, sie fand die Geschichte drollig; dann lehnte sie sich mit einer schmeichelnden Gebärde an die Schulter des verhöhnten Malers, duzte ihn und flüsterte ihm ins Ohr:

»Muß dich nicht kränken, mein Kleiner. Das sind nichts als Dummheiten; man hat seinen Spaß.«

Doch Claude blieb unbeweglich. Eine große Kälte überkam ihm. Sein Herz hatte einen Augenblick stillgestanden, so grausam war die Enttäuschung. Mit weit geöffneten, durch eine unwiderstehliche Kraft angezogenen und festgehaltenen Augen betrachtete er sein Bild; er war erstaunt, er erkannte es kaum in diesem Saale. Es war sicherlich nicht dasselbe Werk wie in seinem Atelier. In dem fahlen Lichte, das durch den leinenen Vorhang sickerte, war das Gemälde gelb geworden; es schien auch kleiner, roher und schwerfälliger zugleich; und – sei es infolge der Wirkung der Umgebung, sei es wegen des neuen Raumes – er sah mit dem ersten Blick alle Fehler, nachdem er monatelang geblendet von ihm gestanden hatte. Mit wenigen Pinselstrichen malte er das Bild im Geiste neu, schob die Felder zurück, verbesserte da und dort die Zeichnung eines Gliedes, änderte den Wert eines Tones. Der Herr in der Samtjacke taugte nichts, war zu teigig und saß schlecht; nur die Hand war schön. Die zwei ringenden Frauen im Hintergrunde – die Blonde und die Schwarze – waren zu skizzenhaft und schwankend; nur ein Künstlerauge konnte sie belustigend finden. Dagegen war er zufrieden mit den Bäumen, mit der sonnenhellen Lichtung; und die nackte Frau im Grase schien ihm über sein Talent zu gehen, als habe ein anderer sie gemalt und als habe er sie so lebendig und so strahlend noch gar nicht gekannt.

Er wandte sich zu Sandoz und sagte einfach: »Die Leute haben Recht, wenn sie lachen; das Bild ist unvollständig ... Immerhin ist die weibliche Hauptfigur gelungen; Bongrand hat sich nicht über mich lustig gemacht.«

Sein Freund bemühte sich, ihn hin wegzuführen; aber er wich nicht; kam vielmehr näher. Nachdem er sein Werk beurteilt hatte, behorchte und beobachtete er die Menge. Das Gelächter dauerte fort und steigerte sich bis zur Raserei. Er sah, wie die Besucher schon an der Tür den Mund aufrissen; ihre Augen wurden kleiner, ihre Gesichter wurden breiter; das stürmische Pfauchen dicker Männer, das rostige Kreischen magerer Männer wurde übertönt von dem schrillen, flötenartigen Kichern der Frauen. Gegenüber an der Stützleiste warfen sich einige junge Leute zurück, als habe man sie gekitzelt. Eine Dame war auf ein Bänkchen niedergesunken, preßte die Knie zusammen; drohte zu ersticken, rang hinter ihrem Taschentuche nach Atem. Die Nachricht von diesem drolligen Gemälde schien sich zu verbreiten; man lief aus allen Ecken und Enden des Salons herbei; ganze Scharen kamen an, drängten sich herzu, wollten mit dabei sein. »Wo denn? – Dort! – Ha, welch' ein Spaß!« Die Witzworte fielen dichter als anderwärts; der Vorwurf was es hauptsächlich, der die Heiterkeit anfachte; man begriff die Sache nicht, man fand sie unsinnig, drollig zum Kranklachen. »Der Dame ist zu heiß, während der Herr seine Samtjacke angelegt hat, um sich keinen Schnupfen zu holen. – Aber nein; sie ist ja schon blau; der Herr hat sie aus einem Sumpfe gezogen und ruht jetzt in gehöriger Entfernung aus, wobei er sich die Nase zuhält. – Der Mann ist gar nicht höflich; er könnte uns doch seine andere Seite zeigen. – Es ist ein Mädchen-Pensionat auf dem Spaziergang: schaut doch, die beiden dort unten spielen ›Bockspringen‹. – Das ist die eingeseifte Wäsche! die Leiber sind blau, die Bäume sind blau, der Mann hat sein Bild in Waschblau getaucht.« Die nicht lachten, ärgerten sich: diese Bläue, diese neuartige Betonung des Lichts schien ein Schimpf. Werde man solche Schmähung der Kunst zulassen? Alte Herren schwangen ihre Stöcke. Ein ernster Herr ging beleidigt weg und bemerkte seiner Frau gegenüber, er sei kein Freund von schlechten Spaßen. Ein anderer, ein kleiner, zaghafter Herr, suchte im Katalog die Erklärung des Bildes, um das in seiner Gesellschaft befindliche Fräulein aufzuklären; als er mit lauter Stimme den Titel »Freilicht« las, brach rings um ihn her ein neuer Sturm von Gelächter und Hohngeschrei aus. Das Wort lief von Mund zu Mund, man wiederholte es, erläuterte es: Freilicht! ach ja, Freilicht; der Bauch frei, alles frei. Es drohte ein Skandal zu werden; die Menge wuchs noch immer an, die Gesichter röteten sich in der steigenden Hitze, und jedes Gesicht zeigte den runden, dummen Mund der Unwissenden, die über Malerei urteilten, den Mund, der die ganze Summe von Eseleien, albernen Bemerkungen, blöden und schlechten Scherzen ausdrückte, die der Anblick eines originellen Werkes dem spießbürgerlichen Schwachsinn zu entlocken vermag.

Um das Maß voll zu machen, sah Claude in diesem Augenblicke Dubuche wieder auftauchen, der die Familie Margaillan hinter sich herschleppte. Vor dem Bilde wollte der Architekt verlegen, von einer feigen Scham ergriffen, die Schritte beschleunigen, seine Gesellschaft hinwegführen, wobei er tat, als habe er weder das Bild, noch seine Freunde bemerkt. Doch schon hatte der Bauunternehmer auf seinen kurzen Beinen sich hingepflanzt, riß die Augen auf und fragte sehr laut mit seiner groben, rauhen Stimme:

»Wessen Pfote hat denn das geschmiert?«

Diese gemütliche Roheit, dieser Ausruf eines millionenreichen Emporkömmlings, der den Durchschnitt der öffentlichen Meinung darstellte, erneuerte die Heiterkeit; geschmeichelt von seinem Erfolg, gekitzelt von der Seltsamkeit dieser Malerei, brach er ebenfalls in ein Gelächter aus, das so maßlos dröhnend aus seiner dicken Brust hervorkam, daß er alle anderen Lacher übertönte. Es war das Hallelujah, der Schlußakkord der großen Orgel.

»Führen Sie meine Tochter hinweg«, sagte die blasse Frau Margaillan Herrn Dubuche ins Ohr.

Er eilte hinzu und machte Regine frei, welche die Augenlider gesenkt hatte; dabei entwickelte er eine Muskelkraft, als habe er dieses arme Wesen aus Todesgefahr gerettet. Nachdem er an der Tür die Familie Margaillan unter Händedrücken und den Grüßen eines Mannes von Welt verlassen hatte, kam er zu seinen Freunden zurück und sagte rundheraus zu Sandoz, Fagerolles und Gagnière:

»Was wollt Ihr? Es ist nicht meine Schuld ... Ich hatte ihm vorausgesagt, daß das Publikum nicht begreifen werde. Es ist unanständig; Ihr könnt sagen, was Ihr wollt, es ist unanständig.«

»Man hat Delacroix verhöhnt«, unterbrach ihn Sandoz kreideweiß vor Wut mit geballten Fäusten. Man hat auch Courbet verhöhnt. Verdammtes Gesindel, blöde Henker!«

Gagniére, der jetzt diesen Künstlergroll teilte, erboste sich bei dem Gedanken an die Schlachten in den Sonntags-Konzerten im Wolfsschritt-Saale, wo wahre Musik gemacht wurde.

»Sie pfeifen Wagner aus ... es sind die nämlichen, ich erkenne sie ... Der Dicke dort ...«

Jory mußte ihn zurückhalten; er würde die Menge aufgereizt haben. Er wiederholte, es sei prächtig und für hunderttausend Franken Publizität da. Irma, die Gagnière abermals verloren, hatte in der Menge wieder zwei Freunde gefunden, zwei junge Börsenbesucher, die zu den ärgsten Spöttern gehörten und die sie belehrte, die sie zwang, das Bild sehr schön zu finden, indem sie ihnen auf die Finger schlug.

Fagerolles schwieg; er betrachtete das Gemälde und betrachtete das Publikum. Mit seiner Witterung eines Parisers und seinem geschmeidigen Gewissen eines Jungen erklärte er sich das Mißverständnis und fühlte schon in unbestimmter Weise, was nötig sei, damit diese Malerei alle erobere; vielleicht nur einige auf Täuschung berechnete Striche, Abschwächungen, eine bessere Anordnung des Stoffes, eine Milderung der Mache. Der Einfluß, den Claude auf ihn übte, dauerte fort; er blieb durchdrungen davon, für immer gezeichnet! Allein er fand, daß jener ein Erznarr sei, eine solche Sache auszustellen. War es nicht blöd, an die Verständigkeit des Publikums zu glauben? Was sollte das nackte Weib neben diesem bekleideten Herrn? Was bedeuteten die zwei ringenden Frauen im Hintergrunde? Dabei die Vorzüge eines Meisters, ein Stück Malerei, wie es kein anderes in dem Salon gab! Er fühlte eine tiefe Mißachtung gegen diesen wunderbar begabten Maler, der ganz Paris zum Lachen brachte wie der letzte Farbenkleckser.

Diese Mißachtung ward so stark, daß er sie nicht länger verbergen konnte. In einer Anwandlung unüberwindlichen Freimutes sagte er:

»Höre, mein Lieber, du hast es gewollt; du bist zu dumm!«

Claude wandte die Blicke von der Menge und sah ihn schweigend an. Er war unter dem Gelächter nicht schwach geworden, nur erblaßt, seine Lippen wurden von einem nervösen Zucken bewegt. Niemand kannte ihn, sein Gemälde allein wurde beschimpft. Dann wandte er wieder einen Moment die Blicke auf das Bild und ließ sie von da langsam über die anderen Bilder schweifen. In dem Zusammenbruche seiner Träume, in dem brennenden Schmerze, den sein Stolz erlitten, wehte ihm ein Hauch des Mutes, der Gesundheit und Jugendlichkeit aus all der Malerei an, die so heiter und tapfer, mit einer ungezügelten Leidenschaftlichkeit den Ansturm auf die alte Mache unternahm. Er fühlte sich dadurch getröstet und gestärkt, ohne Gewissensbisse und ohne Beklemmung, im Gegenteil gedrängt, den Kampf mit dem Publikum weiterzuführen. Gewiß sah man viele Ungeschicklichkeit, viele kindische Anstrengungen; aber im allgemeinen welch schöner Ton und welch schönes Licht! ein silbergraues, feines, gedämpftes Licht, erheitert durch alle hüpfenden Reflexe des Freilichts. Es war, als habe man plötzlich ein Fenster geöffnet in der alten Erdharzküche mit den immer wieder neu gekochten Säften der Überlieferung; und es drang die Sonne ein, und die Mauern lachten an diesem Frühlingsmorgen. Der helle Ton seines Bildes, diese Bläue, die man verspottete, trat unter allen anderen hervor. War es nicht die erwartete Morgenröte, eine neue Zeit, die für die Kunst anbrach? Er bemerkte einen Kritiker, der stehen blieb, ohne zu lachen, berühmte Maler, die überrascht, mit ernster Miene seine Gemälde betrachteten. Der schmierige Vater Malgras ging mit der geringschätzigen Miene eines Feinschmeckers von Bild zu Bild und blieb schließlich vor dem seinen stehen, in aufmerksame Betrachtung sich versenkend. Da wandte Claude sich zu Fagerolles und setzte diesen durch seine verspätete Antwort in Erstaunen.

»Man ist so dumm, wie man es sein kann, mein Lieber; und man darf annehmen, daß ich dumm bleiben werde. Um so besser für dich, wenn du ein Gescheiter bist.«

Fagerolles klopfte ihm auf die Schulter als Kamerad, der nur Spaß macht; und Claude ließ sich von Sandoz am Arm nehmen. Man führte ihn endlich hinweg, die ganze Schar verließ den Salon der Zurückgewiesenen, um nach dem Saal der Architektur hinüberzugehen. Dubuche, von dem man einen Entwurf für ein Museum angenommen hatte, flehte so sehr, daß es schwer war, seinen Wunsch nicht zu erfüllen.

»Welch ein Eiskeller!« scherzte Jory, als sie den Saal betraten. »Da kann man aufatmen.«

Alle nahmen den Hut ab und trockneten sich erleichtert die Stirn, als seien sie nach einer langen Wanderung im Sonnenschein unter kühlem, schattigem Laub angekommen. Der Saal war leer. Von der mit einer weißen Leinwand verhüllten Decke fiel eine gleichmäßige, sanfte Helle in den Raum, die sich – gleich dem unbeweglichen Wasser einer Quelle – in dem stark gefirnißten Fußboden widerspiegelte. An den blaßrot gestrichenen vier Wänden hingen die großen und kleinen Rahmen der verschiedenen, in Aquarell gehaltenen Entwürfe. Ein einziger Besucher – ein bärtiger Herr – stand inmitten dieser Wüste vor dem Entwürfe eines Krankenhauses in tiefem Studium. Drei Damen erschienen und eilten erschreckt durch den Saal.

Dubuche zeigte und erläuterte den Freunden sein Werk. Es war ein einziger Rahmen, ein armseliger, kleiner Museumssaal, den er in hastigem Ehrgeiz gegen den Brauch und gegen den Willen seines Lehrers eingesandt hatte, der es indes für eine Ehrensache angesehen, die Annahme des Entwurfes durchzusetzen.

»In deinem Museum sollen vielleicht die Bilder aus der Freilichtschule untergebracht werden?« fragte Fagerolles, ohne zu lachen.

Gagnière nickte bewundernd mit dem Kopfe und dachte dabei an etwas anderes, während Claude und Sandoz aus Freundschaft den Entwurf betrachteten und eine aufrichtige Teilnahme zeigten.

»Es ist gar nicht übel«, sagte der erstere. »Die Verzierungen bewegen sich in einer ziemlich aus der Mode gekommenen Überlieferung; aber das schadet nichts, die Arbeit ist gut!«

Jory war ungeduldig und unterbrach ihn schließlich.

»Gehen wir? ... Man holt sich hier einen Schnupfen.«

Die Schar setzte ihren Weg fort. Doch das Schlimmste war, daß sie, um ihren Weg abzukürzen, den offiziellen Salon durchschreiten mußten. Sie ergaben sich drein trotz des geleisteten Schwures, keinen Fuß dahin zu setzen. Die Menge zerteilend, schritten sie in schroffer Teilnahmlosigkeit durch die Flucht der Säle mit Blicken der Entrüstung nach rechts und links. Hier herrschte nicht der heitere Lärm ihres Salons der Zurückgewiesenen mit den hellen Tönen und dem übertriebenen Sonnenlichte. Goldrahmen voll Schatten folgten aufeinander, steife und schwarze Sachen, Ateliersnacktheiten, die im Kellerlichte vergilbten, die ganze klassische Erbschaft: Geschichte, Genre, Landschaft, alle zusammen in dieselbe Wagenschmiere des Modischen getaucht. Eine gleichförmige Mittelmäßigkeit sprach sich in diesen Werken aus, die Unsauberkeit des Tons, die sie kennzeichnete, auf dem guten Untergrunde einer blutarmen und entarteten Kunst. Sie beschleunigten ihre Schritte und beeilten sich, aus diesem noch aufrecht stehenden Reiche des Erdharzes hinauszukommen, mit ihrer Ungerechtigkeit von Sektierern alles in Bausch und Bogen verdammend; es sei nichts, aber schon gar nichts da, riefen sie.

Endlich waren sie draußen und stiegen eben in den Garten hinab, als sie Mahoudeau und Chaine begegneten. Der erstere warf sich Claude in die Arme.

»Ach, mein Lieber, welches Leben steckt in deinem Bilde!«

Der Maler lobte sogleich die Winzerin.

»Auch du hast ihnen ein tüchtiges Stück an den Kopf geschleudert«, sagte er.

Doch der Anblick Chaines, von dessen Ehebrecherin niemand sprach und der still herumirrte, erregte sein Mitleid. Die abscheuliche Malerei und das verfehlte Leben dieses Bauern, der ein Opfer spießbürgerlicher Bewunderung war, stimmten ihn tieftraurig. Er bereitete ihm stets die Freude eines Lobspruches; er schüttelte ihm auch jetzt wieder freundschaftlich die Hand und rief:

»Auch Ihre Maschine ist sehr gut ... Sie sind ein ganzer Kerl, dem das Zeichnen keine Angst macht.«

»Nein; gewiß nicht!« erklärte Chaine, unter seinem struppigen schwarzen Barte tief errötend.

Mahoudeau und er schlossen sich der Schar an; der erstere fragte die anderen, ob sie den Sämann von Chambouvard gesehen hätten. Es sei unerhört, das einzige Stück Skulptur im Salon. Alle folgten ihm in den Garten, den die Menge jetzt überflutete.

»Schau!« rief Mahoudeau, im Mittelwege stehend bleibend. »Chambouvard steht gerade vor seinem Sämann.«

In der Tat stand ein stämmiger Mann auf seinen dicken Beinen da und bewunderte sich selbst. Der Kopf saß tief zwischen den Schultern, und er hatte das breite, schöne Gesicht eines indischen Götzen. Man erzählte, er sei der Sohn eines Tierarztes aus der Gegend von Amiens. Mit fünfundvierzig Jahren war er schon der Schöpfer von zwanzig Meisterwerken; es waren einfache, lebendige Statuen mit sehr modernem Fleische, geknetet durch einen genialen Arbeiter, ohne jede Künstelei; und alles auf das Geratewohl des Schaffens, seine Werke spendend, wie eine Wiese ihr Gras spendet, an einem Tage gut, an einem anderen Tage schlecht, in vollkommener Unkenntnis dessen, was erschuf. Sein Mangel an kritischem Sinn ging so weit, daß er keinen Unterschied machte zwischen den rühmlichsten Schöpfungen seiner Hände und den Unholden, die er zuweilen hervorbrachte. Ohne nervöses Fieber, ohne einen Zweifel, stets fest und überzeugt, hatte er den Stolz eines Gottes.

»Der Sämann ist erstaunlich!« murmelte Claude. »Welcher Aufbau, welche Bewegung!«

Fagerolles, der keinen Blick auf die Statue geworfen hatte, ergötzte sich an dem großen Manne und dem Gefolge gaffender Schüler, das er stets hinter sich herschleppte.

»Schaut den Gänsemarsch an!« rief er. »Es ist, als ob sie zum heiligen Abendmahl gingen! Und er! Welch ein Tierschädel, verklärt durch die Betrachtung des eigenen Nabels!«

Allein und voll Behagen inmitten der allgemeinen Neugierde stand Chambouvard in Verwunderung da mit der betroffenen Miene eines Menschen, der erstaunt ist, ein ähnliches Werk erzeugt zu haben. Es war, als sehe er es zum erstenmal, und er konnte sich daran nicht satt sehen. Dann erglänzte sein breites Antlitz in Entzücken, er nickte mit dem Kopfe, brach in ein seliges, unwiderstehliches Lachen aus und wiederholte:

»Komisch ... komisch ...«

Sein Gefolge verging schier in Verzückung, während er nichts anderes fand, um seine Selbstanbetung auszudrücken.

Doch jetzt entstand eine leichte Bewegung: Bongrand, der mit den Händen auf dem Rücken und mit unsteten Blicken umherging, war auf Chambouvard gestoßen; das Publikum trat flüsternd beiseite und interessierte sich für den Händedruck der beiden berühmten Künstler, der eine kurz und vollblütig, der andere groß und fröstelnd. Man hörte sie kameradschaftliche Worte austauschen. »Immer Meisterwerke!« – »Gewiß! Und Sie haben dieses Jahr nichts ausgestellt?« – »Nein, nichts; ich ruhe aus, ich suche.« – »Sie Spaßvogel! Das kommt von selbst.« – »Auf Wiedersehen!« – »Auf Wiedersehen!« Schon ging Chambouvard, gefolgt von seinem Hofe, langsam durch die Menge mit den Blicken eines Monarchen, der sich des Lebens freut; während Bongrand, der Claude und dessen Freunde erkannt hatte, sich mit fiebernden Händen diesen näherte und, mit einer Bewegung des Kinns auf den Bildhauer weisend, ausrief:

»Das ist ein Kerl, den ich beneide. Der glaubt immer, Meisterwerke geschaffen zu haben!«

Er belobte Mahoudeau für seine Winzerin, zeigte sich väterlich gegen alle mit seiner behäbigen Gemütlichkeit, seiner Gelassenheit eines gut gestellten und dekorierten Romantikers. Dann wandte er sich an Claude.

»Was sagte ich Ihnen? Sie haben aber selbst gesehen ... Sie sind jetzt das Oberhaupt einer Schule.«

»Ach ja,« antwortete Claude, »man hat mich schön heimgeschickt. Sie sind unser aller Meister.«

Bongrand machte eine schmerzliche Gebärde und entfernte sich mit den Worten:

»Schweigen Sie, ich bin nicht einmal Meister meiner selbst.«

Noch einen Augenblick irrte die Schar im Garten umher. Man war zur Winzerin zurückgekehrt, um sie zu betrachten, als Jory bemerkte, daß Gagnière seine Irma Bécot nicht mehr am Arme habe. Dieser war verblüfft: wo zum Teufel mochte er sie verloren haben? Doch als Fagerolles ihm mitteilte, daß sie mit zwei Freunden, die sie in der Menge gefunden, davongegangen sei, beruhigte er sich und folgte den übrigen, erfreut über diesen unerwarteten Glücksfall.

Man konnte jetzt nur mehr mit vieler Mühe sich fortbewegen. Alle Bänke waren im Sturm genommen; die Wege waren von ganzen Gruppen verstellt, die langsame Bewegung der Spaziergänger geriet ins Stocken und kehrte unaufhörlich zu den bronzenen und marmornen Bildwerken zurück, welche den Beifall des Publikums gefunden hatten. Von dem stark belagerten Büfett ging ein lautes Gesumme, ein Geräusch von Löffeln und Tellern aus und mengte sich in das zitternde Leben, das in dem ungeheuren Schiffe herrschte. Die Sperlinge waren wieder in das gußeiserne Gebälk zurückgekehrt; man hörte ihr lautes Gezwitscher, mit dem sie die zur Rüste gehende Sonne unter dem heißen Glasdache begrüßten. Es herrschte eine feuchte Treibhaushitze; die Luft war unbeweglich, widrig, von dem Gerüche frisch aufgeworfenen Erdreiches. Das Gewoge im Garten übertönend, dauerte im ersten Stocke das Gepolter der Füße auf dem eisernen Fußboden unablässig fort mit dem Tosen eines Seesturmes, der die Küste peitscht.

Claude, der dieses Tosen des Ungewitters deutlich hörte, hatte schließlich nichts anderes als dieses Geheul in den Ohren. Es war das Hohngelächter der Menge, das vor seinem Bilde zu einem Orkan anwuchs. Er machte eine nervöse Gebärde und rief: »Was suchen wir hier? Ich nehme nichts am Büfett; es stinkt nach dem Institut ... Laßt uns draußen einen Schoppen trinken; wollt ihr?«

Alle gingen hinaus mit müden Beinen und langweiligen, geringschätzigen Gesichtern. Draußen schöpften sie laut Atem mit einer Miene des Entzückens, weil sie wieder zur schönen Lenzesnatur zurückkehren durften. Es hatte soeben vier Uhr geschlagen; die Sonne beleuchtete mit ihren schrägen Strahlen die Elysäischen Felder, und alles flammte: die dichten Reihen von Kutschen, das junge Laub der Bäume, die Wasserstrahlen der Springbrunnen, die emporschossen und wie ein Goldstaub zerflatterten. In zögerndem Bummelgang schritten sie hinab und machten schließlich in einem kleinen Kaffeehause halt, im Postillon zur Eintracht links vor dem Platze. Der Saal war so eng, daß sie vorzogen, draußen am Saume des Gehweges sich niederzulassen trotz der Kühle, die von dem dichten, dunklen Laubdache niederrieselte. Doch hinter den vier Reihen Kastanienbäumen lag jenseits dieses Streifens von grünlichem Schatten vor ihnen die sonnenhelle Fahrbahn der Allee, auf der Paris wie auf einer Ruhmesstraße dahinzog, die Kutschen mit den sternartig strahlenden Rädern, die großen, gelben Omnibusse, mit Gold mehr überladen als Triumphwagen, Reiter, deren Rosse Funken zu sprühen schienen, Fußgänger, die in dem Lichte sich verklärten und erstrahlten.

Hinter seinem unberührt gebliebenen Bierglase sprach und stritt Claude nahezu drei Stunden lang in einem immer wachsenden Fieber, mit müdem Körper und einem Kopfe, der voll war von all der Malerei, die er soeben gesehen. Es war die übliche Unterhaltung unter Kameraden nach dem Verlassen des Salons, dieses Jahr noch angeregt durch die freimütige Maßregel des Kaisers; eine Hochflut von Grundsätzen, ein betäubendes Durcheinander, in dem die Zungen nur lallten; die ganze Leidenschaft der Kunst, von der ihre Jugend aufloderte.

»Das Publikum lacht... was weiter?« rief er. »Man muß das Publikum erziehen. Im Grunde ist's ein Sieg. Entfernt zweihundert plumpe Bilder aus unserem Salon, und er verdunkelt den andern. Wir haben den Wagemut; unser ist die Zukunft. Ja, ja, man wird später sehen; werden ihren Salon totmachen, mit Hilfe von Meisterwerken als Eroberer in ihn einziehen. Lache nur, lache, du großes Tier Paris, bis du uns zu Füßen sinken wirst!«

Sich unterbrechend, zeigte er mit einer prophetischen Bewegung nach der stolzen Allee, wo im Sonnenschein der Luxus und die Freude der Stadt dahinrollten. Seine Gebärde wurde umfassender, stieg bis zum Eintrachtsplatze hinab, den man seitwärts unter den Bäumen wahrnahm mit einem seiner Springbrunnen, dessen Becken überflossen, mit einem Ende seiner Einfassungen und zweien seiner Statuen: Rouen mit riesigen Brüsten und Lille, das einen ungeheuren nackten Fuß vorstreckt.

»Das Freilicht macht ihnen Spaß«, fuhr er fort. »Es sei, da sie es wollen, das Freilicht, die Schule des Freilichts! ... Es war nur unter uns, existierte noch gestern nur für einige Maler. Jetzt bringen sie das Wort in die Mode; das Publikum selbst gründet die Schule. Mir ist's recht; nennen wir's die Freilichtschule!«

Jory schlug sich auf die Schenkel.

»Sagte ich dir's nicht? Ich war sicher, daß ich mit meinen Artikeln diese Trottel dazu bringe anzubeißen. Wir wollen sie hübsch ärgern.«

Auch Mahoudeau stimmte in den Siegesgesang ein; er kam immer wieder auf seine Winzerin zurück, deren Kühnheit er dem stillen Chaine erklärte, der allein ihm zuhörte; während Gagniere mit der Schroffheit der Schüchternen, die man auf das Gebiet der reinen Gedanken gejagt hat, davon sprach, daß das ganze Institut guillotiniert werden müsse; Sandoz in seiner glühenden Teilnahme eines Arbeitsamen, und Dubuche, von den vorwärts stürmenden Freunden angesteckt, redeten sich immer mehr in eine Erbitterung hinein, hieben auf die Tische und schwemmten mit jedem Schluck Bier Paris hinunter. Fagerolles allein bewahrte seine lächelnde Ruhe. Er war ihnen nur zum Spaß gefolgt, weil es ihm ein seltsames Vergnügen machte, die Kameraden in Possen hineinzudrängen, die ein schlimmes Ende nehmen mußten. Während er ihren revolutionären Geist anspornte, faßte er im stillen den festen Entschluß, sich kräftig um den Preis von Rom zu beweiben; dieser Tag führte in ihm die Entscheidung herbei; er fand es albern, sein Talent noch länger bloßzustellen.

Die Sonne stieg am Horizont hernieder, und man sah in ihrem mattgoldenen Lichte nichts als den Strom der aus dem Gehölz zurückkehrenden Wagen. Auch der Besuch des Salons schien zu Ende; eine endlose Reihe von Leuten kam heraus, darunter viele Herren mit kritischen Mienen, jeder mit einem Katalog unter dem Arm.

Gagnière geriet in eine plötzliche Begeisterung.

»Ach, Courajod! Das ist einer, der die Landschaft erfunden hat! Haben Sie seinen ›Sumpf von Gagny‹ im Luxembourg gesehen?«

»Ein Wunderwerk!« rief Claude. »Es ist vor dreißig Jahren gemalt, und seither hat man nichts Besseres hervorgebracht ... Warum läßt man das Bild im Luxembourgpalast? Das müßte im Louvre sein.«

»Courajod ist ja noch am Leben«, sagte Fagerolles.

»Wie? Courajod ist noch am Leben? Man sieht ihn nicht mehr; man spricht von ihm nicht mehr.«

Die Verblüffung war allgemein, als Fagerolles versicherte, daß der große Landschafter, jetzt siebzig Jahre alt, irgendwo bei Montmartre in einem kleinen Häuschen zurückgezogen lebe, umgeben von Hühnern, Enten und Hunden. So konnte man sich selbst überleben; es gab alte Künstler, die dem Trübsinn verfallen, vor ihrem Tode verschwanden. Alle schwiegen; ein Frösteln hatte sie ergriffen, als sie Bongrand am Arme eines Freundes vorübergehen sahen, das Antlitz hochgerötet, mit unruhiger Bewegung ihnen einen Gruß zuwinkend; knapp hinter ihm kam Chambouvard von seinen Schülern umgeben, sehr laut lachend, fest auftretend, als unbedingter Meister, der Unsterblichkeit sicher.

»Wie, du verläßt uns?« fragte Mahoudeau seinen Freund Chaine, der sich erhoben hatte.«

Der andere brummte etwas in den Bart, nachdem er zum Abschied Händedrücke ausgeteilt.

»Der geht sich deine Hebamme vergönnen,« sagte Jory zu Mahoudeau; »jawohl, die Kräuterhändlerin ... Auf mein Wort, ich sah vorhin seine Augen plötzlich aufflammen; es kommt über den Jungen wie ein Zahnschmerz; sieh, wie er rennt.«

Der Bildhauer zuckte die Achseln, während die anderen lachten.

Nur Claude hatte nicht zugehört. Er sprach jetzt mit Dubuche über Architektur. Sein Museumssaal sei nicht übel; aber es sei nichts Neues darin, man sehe eine mühsame Mosaik der alten Schulformeln. Müssen nicht alle Kräfte gleichmäßig fortschreiten? Die Entwicklung, welche die Literatur, die Malerei, selbst die Musik umgestaltete, mußte sie nicht auch die Architektur erneuern? Wenn einmal die Architektur eines Jahrhunderts ihren eigenen Stil haben mußte, so sei es sicherlich der des Jahrhunderts, in welches man bald eintreten werde, eines neuen Jahrhunderts, eines reingefegten Bodens, in dem alles neu aufgebaut werde, eines frisch besäten Feldes, auf dem ein neues Volk emporwachse. Am Boden lagen die griechischen Tempel, die kein Daseinsrecht mehr hatten, unter unserem Himmel inmitten unserer Gesellschaft; am Boden lagen die gotischen Kathedralen, da der Glaube an die Legenden tot war; am Boden lagen die feinen Säulenreihen, die sorgfältige Spitzenarbeit der Renaissance, dieser auf das Mittelalter gepfropfte Frühling der Antike, diese Schatzkästlein der Kunst, in denen unsere Demokratie ihr Heim nicht findet. Er verlangte, er forderte mit heftigen Gebärden die architekturale Formel dieser Demokratie, das Werk in Stein, das sie zum Ausdruck bringen solle, das Gebäude, wo sie zu Hause sei, irgend etwas Unermeßliches und Starkes, Einfaches, und Großes, jenes Etwas, das sich bereits in unseren Bahnhöfen, in unseren Hallen andeute mit der soliden Eleganz ihres Eisengebälks, aber noch geläutert, bis zur Schönheit erhaben, die Größe unserer Errungenschaften kündend.

»O ja, o ja«, wiederholte Dubuche, von Claudes Begeisterung fortgerissen. »Das werde ich eines Tages machen; du sollst es sehen. Laß mich nur erst ans Ziel gelangen; wenn ich frei bin, wenn ich frei bin! ...«

Es kam die Nacht. Claude wurde in der Erregtheit seiner Leidenschaft immer lebhafter, von einer Beredsamkeit, welche die Kameraden an ihm bisher nicht gekannt hatten. Alle wurden durch seine Reden angeregt, durch die inhaltsvollen Worte, die er unter sie warf, zu einer geräuschvollen Heiterkeit gestimmt. Er war schließlich wieder auf sein Bild gekommen und sprach scherzend davon, ahmte Spießbürger nach, die es betrachteten, die ganze Stufenleiter ihres blöden Gelächters. In der in ein aschgraues Dämmerlicht getauchten Allee sah man nur mehr die Schatten weniger Wagen vorüberziehen. Der Gehweg war ganz dunkel, und eine eisige Kälte senkte sich von den Bäumen hernieder. Aus einem Garten hinter dem Kaffeehause tönte gedämpfter Gesang herüber; es war eine Probe im Uhrenkonzertsaal, die gefühlvolle Stimme eines Mädchens, das sich in einem neuen Liede versuchte.

»Ja, die Trottel haben mir viel Spaß gemacht!« rief Claude in einem letzten Gelächter. »Nicht für hunderttausend Franken würde ich meinen heutigen Tag hingeben!«

Er schwieg erschöpft; allen war die Redelust ausgegangen. Eine Stille war angetreten; sie fröstelten in dem kühlen Abendwind. Endlich schieden sie mit müdem Händedruck wie in einer Betäubung. Dubuche speiste in der Stadt, Fagerolles hatte ein Stelldichein. Jory, Mahoudeau und Gagnière bemühten sich vergebens, Claude zu Foucart mitzunehmen, einem Restaurant zu fünfundzwanzig Sous; Sandoz hatte ihn bereits beim Arm genommen, beunruhigt durch seine Heiterkeit.

»Komm mit; ich habe meiner Mutter versprochen heimzukehren; du wirst mit uns essen, und wir beschließen den Tag ganz angenehm zusammen.«

Beide gingen das Ufer hinab, die Tuilerien entlang, in brüderlicher Zuneigung fest aneinander geschmiegt. Aber bei der Brücke der Heiligen Väter blieb der Maler plötzlich stehen.

»Du verläßt mich?« rief Sandoz. »Du sollst doch mit mir essen?«

»Nein, ich danke. Ich habe Kopfschmerz und gehe schlafen.«

»Bei dieser Entschuldigung blieb er.

»Gut, gut«, sagte schließlich der andere lächelnd. »Man sieht dich nicht mehr, du lebst in ein Geheimnis gehüllt. Geh, ich will dich nicht weiter aufhalten.«

Claude unterdrückte eine Bewegung der Ungeduld, ließ seinen Freund die Brücke überschreiten und setzte allein seinen Weg am Ufer fort. Er ging mit hängenden Armen und zu Boden gesenktem Kopfe, ohne etwas zu sehen; er machte lange Schritte wie ein Mondsüchtiger, den der Instinkt leidet. Auf dem Bourbonufer vor seiner Haustür erhob er erstaunt die Augen, als er knapp am Bürgersteig eine Droschke halten sah, die ihm den Weg verstellte. Mit demselben mechanischen Schritte trat er bei der Pförtnerin ein, um seinen Schlüssel zu verlangen.

»Ich habe ihn der Dame gegeben«, rief Frau Joseph aus dem Hintergrunde ihres Stübchens. »Die Dame ist oben.«

»Welche Dame?« fragte er betroffen.

»Die junge Person, die immer kommt ... Sie wissen ja.«

Er wußte nicht und entschloß sich endlich hinaufzugehen, eine Beute der äußersten Verwirrung. Der Schlüssel steckte in der Tür, die er öffnete und langsam wieder schloß.

Claude blieb einen Augenblick unbeweglich stehen. Das Atelier war in Schatten getaucht, in einen violett scheinenden Schatten, der in einem trüben Dämmer durch das breite Glasfenster hereinfiel und alle Dinge einhüllte. Er sah den Fußboden nicht mehr deutlich, auf dem die Möbel, die Bilder, alles, was da herumlag und stand, zu zerfließen schien wie in dem trägen Wasser eines Sumpfes. Doch hob sich von allem eine dunkle Gestalt ab, die am Rande des Sofas saß, steif durch das lange Warten, beklommen und trostlos bei diesem zur Neige gehenden Tage. Es war Christine; er hatte sie erkannt.

Sie reichte ihm die Hände und murmelte mit leiser, stockender Stimme:

»Seit drei Stunden bin ich da allein und horche auf das Geräusch Ihrer Schritte. Beim Fortgehen nahm ich einen Wagen, denn ich wollte nur hierherkommen und rasch wieder heimkehren. Aber ich wäre die ganze Nacht da geblieben; ich konnte nicht fortgehen, ohne Ihnen die Hände gedrückt zu haben.«

Sie fuhr fort, erzählte von ihrem heftigen Verlangen, sein Bild zu sehen; wie sie nach dem Salon geeilt und mitten in den Sturm des Gelächters und Gejohles der Menge geraten sei. Sie zischte man so aus; auf ihre Blöße spien die Leute, auf diese Blöße, deren rohe Schaustellung vor dem Gespött von Paris ihr gleich an der Tür den Atem benommen hatte. Von einer wahnsinnigen Furcht ergriffen, vor Scham und Schmerz fast den Verstand verlierend, war sie geflohen, als habe sie gefühlt, wie all das Gelächter ihre nackte Haut treffe, sie mit Peitschenhieben blutig geißele. Doch sie vergaß jetzt sich selbst und dachte nur an ihn, trostlos bei dem Gedanken an seinen Kummer, die Bitterkeit wegen dieses Mißerfolges noch durch ihre ganze frauenhafte Empfindlichkeit steigernd und von einem unermeßlichen Bedürfnisse nach Mitleid überfließend.

»O, mein Freund, grämen Sie sich nicht! ... Ich wollte Sie sehen und Ihnen sagen, daß es nur Neider sind, daß ich Ihr Bild sehr gut finde, daß ich stolz und überglücklich bin, Sie dabei unterstützt zu haben, ein klein wenig mit dabei zu gelten.

Noch immer unbeweglich hörte er sie diese zärtlichen Worte stammeln; plötzlich stürzte er ihr zu Füßen und ließ – in Tränen ausbrechend – sein Haupt auf ihre Knie niedersinken. Seine ganze Erregtheit vom Nachmittag, seine Tapferkeit eines ausgezischten Künstlers, seine Heiterkeit und seine Heftigkeit machten sich Luft in einem Weinkrampfe, der ihn beinahe erstickte. Seitdem er den Ausstellungssaal verlassen, wo er den Schimpf des Hohngelächters erduldet, hörte er das Gelächter gleich einer kläffenden Meute ihn verfolgen, in den Elysäischen Feldern, dann die Seine entlang und jetzt auch hier in seinem Heim hinter seinem Rücken. Seine Kraft war völlig geschwunden, er fühlte sich hinfälliger als ein Kind, und seinen Kopf in ihrem Schoße verbergend, wiederholte er mit erlöschender Stimme und matter Gebärde:

»Mein Gott, wie leide ich!«

Da hob sie, von Leidenschaft überwältigt, mit ihren beiden Händen seinen Kopf bis zu ihrem Munde. Sie küßte ihn und hauchte ihm mit heißem Atem, bis in sein Herz dringend, die Worte zu:

»Schweig, schweig, ich liebe dich!«

Sie fanden sich; ihre Kameradschaft mußte zu diesem Sofa führen, nachdem das Abenteuer mit dem Bilde sie allmählich vereint hatte. Die Dämmerung hüllte sie ein; sie blieben, einander in den Armen liegend, in Seligkeit vergehend, in Tränen gebadet in dieser ersten Liebesfreude. Der Fliederstrauß, den sie am Morgen gesandt, stand neben ihnen auf dem Tische und erfüllte den dunkeln Raum mit seinem Dufte; und nur die vom Rahmen aufgeflogenen Goldstäubchen leuchteten in einem sternenartigen Flimmern.


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