Ignaz Vinzenz Zingerle
Sagen aus Tirol
Ignaz Vinzenz Zingerle

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Der Almgeist

Einst giengen drei Knechte abends in den Wald. Als es anfieng graudunkel zu werden, waren sie nicht mehr weit von der Saubacher Alpe. Weil die Nacht vor der Thüre war, giengen sie hinauf und nahmen in einer Sennhütte Nachtquartier. Sie trugen dürres Reisig zusammen, machten Feuer auf und vertrieben sich mit Jodeln und Spaßen die Zeit. Einer nahm einen hölzernen Block, schnitzte daraus eine plumpe Figur, die er den Almgeist nannte. Dann legten ihr die zwei älteren Knechte unter lautem Gelächter eine alte lumpige Jacke an und setzten ihr einen durchlöcherten Hut auf. Dann hieb der erste ihr Hände und Füße ab, und der Zweite warf sie in's Feuer mit den höhnenden Worten: »Hier brate, damit wir dich fressen können.« Der Jüngste schaute zu, schüttelte aber bedenklich den Kopf und meinte, sie sollten nicht so thun, der Almgeist könnte kommen und sich rächen.

Als sie sich so einige Zeit mit dummen, rohen Späßen vertrieben hatten, wurden sie schläfrig. Sie giengen in das anstoßende Lager und legten sich in die von groben Brettern zusammengezimmerte Bettstatt auf wenig Heu. Auf einmal erschollen mitten in der stillen Nacht Fußtritte in der Küche. Der Jüngste fuhr vom Schlafe auf und stieß die anderen an, daß sie ebenfalls erwachten. Aller Augen wandten sich nun der Küche zu. Sie sahen den Almgeist beim Feuer sitzen; bald richtete er seine glotzenden Augen auf sie, bald starrte er wieder in's Feuer. Schrecken lähmte ihre Glieder und vor Angst zitterten sie wie Espenlaub. Auf einmal stand er auf, schritt dem Lager zu, packte den Ältesten und erwürgte ihn; dann nahm er den Zweiten, trug ihn aus der Sennhütte hinaus und schmiß ihn auf's Dach, daß ihm alle Rippen krachten, kam dann wieder zurück und gab dem Jüngsten eine gewaltige Maultasche, daß ihm Hören und Sehen verging und er erst beim ersten Tagesgrauen aus dem todesähnlichen Schlummer erwachte. (Saubach.)

 


 


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