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Können Papageien sprechen?

Der einfache Mann zweifelt keinen Augenblick daran, daß kluge Vögel, wie Stare und namentlich Papageien, sprechen lernen. Überall sehen wir auch in den Läden der Vogelhandlungen Anzeigen von »sprechenden« Papageien. Demgemäß waren auch in der großen Ausgabe von Brehms Tierleben ganze Seiten mit Berichten von klugen Papageien und ihren Unterhaltungen angefüllt. Jetzt aber kommt die Wissenschaft und erklärt: das gibt es ja gar nicht. Und da die neueste Ausgabe von Brehm auf dem Boden der Wissenschaft fußt, so sind alle früheren Berichte gestrichen. Statt dessen heißt es jetzt: Über die Sprachbegabung dieser Vögel gibt es eine Unmasse von Anekdoten seit alter Zeit, bessere und schlechtere, mehr oder minder beglaubigte, aber auch die besten haben wissenschaftlich nur sehr bedingten Wert.

Ein Glück ist es wenigstens, daß der neue Bearbeiter, Professor zur Strassen, zugibt, die Papageien wenden die ihnen gelehrten Worte bei passender Gelegenheit richtig an. Sie sagen also nicht abends »Guten Morgen!« und morgens »Guten Abend!«, sondern bringen ihren Gruß im Einklang mit der entsprechenden Tageszeit an. Professor zur Strassen räumt also diese Tatsache ein, die von manchen Gelehrten kühn bestritten wird. Die Papageien verbinden gelernte Worte und Satzbruchstücke in ihrem Gedächtnis mit Eindrücken der Gelegenheit oder Tageszeit, in der sie ihnen eingeprägt wurden, und gebrauchen dann die betreffenden Worte bei der Wiederkehr einer ähnlichen Gelegenheit.

Die Wissenschaft nimmt etwa folgenden Standpunkt ein: Der Papagei kann nicht sprechen, denn er versteht die Wörter, die er spricht, niemals; auch kann er keine Wörter erfinden oder Sätze gliedern. Gerade das kann aber das Kind in späterer Zeit, das allerdings zunächst wie der Papagei nur nachplappern kann.

Es tut mir sehr leid, daß ich diesen Standpunkt der Wissenschaft nicht in früheren Jahren gekannt habe, denn ich hätte dann die zahllosen Gelegenheiten, wo ich mich mit Papageien und Staren beschäftigte, besser ausgenützt. Ebenso wäre es eine dankbare Aufgabe, einmal in der Sprache der Menschen alle Bestandteile festzunageln, die lediglich nach »Papageien«art nachgesprochen werden. In politischen Versammlungen wird sicherlich nicht ein Drittel der Schlagwörter von den Rednern wirklich verstanden. Gerade die üblichsten Gemeinplätze wie Kultur usw. sind am schwersten zu erklären. Was unsere Landleute von ihrer Sprache wirklich verstehen, ist schwer zu sagen. Von den zahllosen Fremdwörtern, die bei uns üblich sind, versteht der Ungebildete sicherlich so gut wie nichts.

Ob der Förster bei der Treibjagd Tiro! ruft, oder der Papagei etwas ausspricht, steht demnach auf der gleichen Stufe. Der Förster hat, wie ich mich oft überzeugt habe, keine Ahnung davon, daß der Ausruf französisch ist und: schieße nach oben (tire haut) heißt.

Sodann aber ist es durchaus nicht so unzweifelhaft, daß der Papagei das Gesprochene nicht versteht. Ein Schwesternpaar, das ich seit vielen Jahren kenne, besitzt z. B. einen Papagei, der sofort begriff, daß er ruhig sein muß, wenn die Mama Mittagsruhe hält. Er, der sonst immer redselig ist, hält dann nicht nur den Schnabel, sondern er herrscht auch jeden Störer mit den Worten an: »Pst, gute Mutter schläft!« Das dauert so lange, bis die Mama sich wieder erhebt.

In einem anderen Falle kann überhaupt von bloßem Nachsprechen keine Rede sein. Ein alter Bekannter von mir besaß als großer Tierfreund eine Menge Vögel, darunter einen Star und einen Hund. Dieser Star war ein großer Sprechkünstler. Am auffallendsten war jedoch, daß er seinem Herrn, wenn er abwesend gewesen war, sozusagen Bericht erstattete, was in der Zwischenzeit vorgefallen war. Hunde sind bekanntlich unglücklich, wenn ihr Herr fort ist, und geben miefende Töne von sich. Das hatte auch in diesem Falle regelmäßig der Mops getan. Der Star erzählte dann: »Möpschen mm, mm« und machte ganz naturgetreu die kläglichen Töne des Hundes nach. Er petzte also sozusagen.

Eingehend hat sich mit der Sprache der Papageien der ausgezeichnete Tierkenner Professor Gustav Jäger beschäftigt. Er bestreitet die Richtigkeit des Satzes, den der große Sprachforscher Max Müller ausgesprochen hat: Der Mensch spricht, aber kein Tier hat je ein Wort hervorgebracht.

Als Gegenbeweis führt Jäger Erlebnisse mit seinen Papageien an. Es handelt sich, schreibt er, um einen Graupapagei, der seit etwa zehn Jahren unser Zimmergenosse ist. Ich will nicht davon sprechen, daß er alle Personen, die mit ihm länger in Berührung sind, entweder mit ihrem richtigen Namen ruft, oder, falls diese versäumten, sich mit ihrem richtigen Namen vorzustellen, sie nach dem Grundsatz benennt, mit dem man die päpstlichen Bullen bezeichnet, nämlich mit dem ersten Wort ihrer gewöhnlichen Anrede an ihn. So heißt der Vogel meinen Gärtner »du« und eine alte Dienerin »he?«. Man kann auch sagen, er benennt die Menschen geradeso wie wir die Tiere: Wie wir den Vogel, der »Kuckuck« schreit, Kuckuck heißen, so nennt der Papagei den, der sich als »Jakob« vorstellt, »Jakob«, und für den Knaben, der ihm von der Straße aus »Lausbub« zuruft, braucht er den Rufnamen »Lausbub«. Das ist alles geradeso, wie es der Mensch auch macht. Für unsern Vogel bin ich der »Jakob«, meine Frau beliebt, ihn »Vogele« zu heißen, also ruft er sie »Vogele«. Nun hat der Vogel sowohl von der Straße her wie durch meine eigenen Kinder Bekanntschaft mit dem Wort »Lausbub« gemacht, und nicht nur damit, sondern auch mit der Bedeutung des Wortes als eines Schimpfwortes, das er abwechselnd mit dem Wort »Lump«, wie schon der Ton beweist, als Schimpfwort gebraucht, wenn man ihm seinen Willen nicht tut. Eines Tages überraschte er uns nun damit, daß er meine Frau zu schimpfen begann, aber nicht mit den Worten »Lausbub« oder »Lump«, sondern mit »Lausvogele«, ein Wort, das ich noch nie gehört und das ihm auch sicher kein Mensch gesagt hatte, jedenfalls meine Frau nicht. Hier hat ein Tier in Wahrheit »ein Wort hervorgebracht«, und zwar durch Zusammensetzung ein neues Wort gebildet und bewiesen, daß es den Sinn des Wortes versteht; denn wenn er, wie das manchmal geschieht, statt »Lausbub« bloß »Laus« schimpft, so versteht er jedenfalls von dem Wort »Laus« dessen hierhergehörige Bedeutung.

Nun noch ein anderes Beispiel von diesem Vogel. Die gewöhnlichsten Worte, die man einem Papagei beibringt, sind die Begrüßungsworte »Grüß Gott« (Professor Jäger lebte in Stuttgart) beim Eintritt und »Adieu« beim Weggang. Das begriff der Vogel sehr bald. Namentlich gefiel ihm das »Adieu«, und er widmete es auch oft genug ganz wildfremden Leuten. Eines Tages überraschte er seine Umgebung mit einer neuen Anwendung. Eine nicht selten auftauchende Hausiererin war auch einmal wieder dabei, im Zimmer mit großer Beredsamkeit ihre Waren anzupreisen, als ihr der Vogel plötzlich zornig und laut zurief: »Adieu, du!« – Das war natürlich unmöglich Instinkt. – Er hat vielmehr dem Worte durch die Betonung eine neue Bedeutung beigelegt und merkwürdigerweise nicht etwa, weil er das auch wieder angelernt hatte, sondern aus freier Erfindung. Denn es ist im Hause des Professors nicht üblich, diese Redewendung zur Verabschiedung unwillkommener Besucher zu gebrauchen.

Jäger ist der Ansicht, daß allerdings viele Papageien verständnislos plappern, weil sie vollkommen falsch erzogen werden. Die wenigsten Besitzer geben sich die Mühe, den Unterricht nach einheitlichen Gesichtspunkten zu leiten. Dagegen könne man klugen Papageien, die in richtigen Händen sich befänden, wohl die Vernunft abstreiten, da sie allein nur der Mensch besitzt, nimmermehr aber den Verstand.

Einen Gegner, wie Professor Jäger, der beispielsweise von Professor Heck in seinem Hausschatz des Wissens fortwährend in der ehrendsten Weise erwähnt wird, kann die moderne Wissenschaft nicht mit einem Achselzucken abfertigen. Man wird daher zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß die Streitfrage vor der Hand noch nicht als gelöst betrachtet werden kann.


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