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Examensschmerzen in der Tierwelt.

Wie, Examina in der Tierwelt? höre ich den Leser rufen. Gerade darum sind ja die Tiere zu beneiden, wird er denken, daß sie von Examenssorgen nicht so geplagt werden wie z. B. die Jugend Deutschlands. – Hat doch ein Ausländer die boshafte Bemerkung gemacht, daß in Deutschland die männliche Bevölkerung in zwei Klassen zerfiele, nämlich in eine, die prüfe, und eine, die geprüft werde.

Das freilebende Tier weiß allerdings von Examenssorgen nichts, wenn man nicht die Kämpfe unter den Nebenbuhlern als eine solche Prüfung auffaßt, wo sich entscheiden soll, wer durch seine Anlagen und Lebensweise am besten geeignet sei, die Braut heimzuführen. Aber bei unseren Haustieren liegt die Sache teilweise anders. Je leistungsfähiger ein Pferd oder ein Hund ist, desto höheren Wert besitzt er. Seit Jahrtausenden sind daher schon Wettrennen oder wenigstens Wettfahrten üblich, wie wir beispielsweise aus den Schilderungen bei Homer ersehen. Dagegen sind Prüfungen der Hunde – wenigstens in der Häufigkeit, wie sie bei uns üblich sind, wohl ein Produkt der Neuzeit.

Während bei den Wettrennen und Wettfahrten der Reiter oder Fahrer mindestens ebenso wichtig ist wie das Pferd, tritt bei den Hundeprüfungen der Führer etwas mehr zurück, wenngleich er immerhin von hoher Bedeutung ist.

Da selbstverständlich jedem Besitzer eines Pferdes oder Hundes sehr daran liegt, daß sein Prüfling einen der ausgesetzten Preise gewinnt, so spielt außer den natürlichen Anlagen das Trainieren des Pferdes und das Dressieren des Hundes die größte Rolle.

Beim Wettrennen oder Wettfahren kann gewöhnlich auch ein Laie entscheiden, ob ein Pferd schneller ist als das andere. Bei den Prüfungen der Hunde, insbesondere der Jagd- und Polizeihunde, wo es hauptsächlich auf die Leistungen der Nase ankommt, spielen aber Dinge eine Rolle, worüber sich selbst Fachmänner noch nicht im klaren sind. Mit diesen Hundeprüfungen wollen wir uns im nachstehenden etwas näher beschäftigen.

Die gute Nase des Hundes ist sowohl für den Jäger wie für den Polizisten deshalb von der größten Bedeutung, weil er mit deren Hilfe Dinge ermittelt, die den menschlichen Sinnen vollkommen verborgen bleiben. So waren kürzlich bei Spandau durch Einbruch neun wertvolle Hühner gestohlen worden. Wer der Täter gewesen war, konnte die Polizei nicht feststellen. Eine Fährte können wir Menschen ja nur mit den Augen verfolgen, wenn sich also eine Fußspur im Sand oder Schnee abhebt, was gewöhnlich nicht der Fall ist. Für die Hundenase genügen jedoch die Duftstoffe, die der Einbrecher zurückgelassen hat. Der Hund versagt regelmäßig nur dann – die Ausnahmen sollen später erörtert werden –, wenn er zu spät an die Fährte gebracht wird, oder wenn, wie z. B. in einer belebten Straße, so viele Menschen die Örtlichkeit betreten haben, daß sich die Hundenase in dem Wirrwarr der verschiedenen Duftarten nicht mehr zurechtfinden kann. Außerhalb der Großstadt wird daher ein guter Hund regelmäßig Vortreffliches leisten. So fanden auch in dem erwähnten Falle beide Polizeihunde, die man der größeren Sicherheit halber nacheinander zur Einbruchsstelle geführt hatte, sofort die Fährte und liefen zur Wohnung eines polnischen Arbeiters, dessen Festnahme angeordnet werden konnte.

Für den Jäger ist die gute Nase des Hundes von so ausschlaggebender Bedeutung, daß ein Jäger ohne Hund eigentlich nur ein halber Jäger ist. Unzählige Male würde ein Mensch mit den schärfsten Augen nicht wissen, daß in seiner Nähe Wild verborgen sei, wenn ihn sein treuer Begleiter nicht darauf aufmerksam machte. Er wittert die im dichten Kraut verborgenen Rebhühner, Fasanen, Kaninchen usw., er weiß – ein Beschnüffeln genügt ihm – ob ein Fuchs- oder Dachsbau bewohnt sei oder nicht. Die hervorragendsten Dienste leistet er, sobald ein Stück Rotwild tödlich getroffen ist, aber noch die Kraft hatte, sich in ein Dickicht zurückzuziehen. Ohne Hilfe des Hundes würde in solchen Fällen, die die Regel bilden, das Stück Wild nicht bloß für den Schützen verloren sein, sondern auch häufig einen martervollen Tod sterben und von Füchsen und anderem Raubzeug gefressen werden. Deshalb bringt man den Hund auf die Schweiß(Blut)fährte und wird von ihm zur Beute geführt.

Da es nun bei den Prüfungen der Jagdhunde regelmäßig nicht gut möglich ist, vorher ein Stück wild zu schießen und den Prüfling auf eine wirkliche Schweißfährte zu bringen, so begnügt man sich mit einer künstlichen Schleppe, indem man Wildblut tropfenweise bis zu einem verendeten Bock (Rehbock) fallen läßt. Je leichter und sicherer der Hund dieser Fährte folgt, desto besser fällt natürlich die Zensurnummer des Richterkollegiums aus.

Da wir von der Tätigkeit der Hundenase nur eine ungefähre Vorstellung haben, so ist es nicht wunderbar, daß die Prüfung ganz unerwartete Ergebnisse zeitigt. Ein Hund, der beispielsweise bei seinem Herrn spielend die schwierigsten Schweißfährten ausgearbeitet hat, versagt z. B. bei einer Prüfung vollkommen. Welche Gründe sind hierfür ausschlaggebend gewesen? Wir wissen, daß es unter den Menschen ebenfalls geborene Examenshelden gibt, andererseits aber auch solche, die trotz reichen Wissens beim Examen kein Wort von sich geben können. Jedem sind aus der Kinderstube ähnliche Vorfälle in der Erinnerung haften geblieben. Beispielsweise sollte ein Kind Dinge, die es täglich vor Eltern und Geschwistern unaufgefordert leistete, indem es z. B. ein Gedicht aufsagte, das gleiche vor Fremden tun. Das stolze Mutterherz wollte die ungläubigen Gemüter der neugierigen Zuhörer gründlich bekehren. Aber o weh! – Karlchen kann kaum den Anfang des Gedichtes aufsagen, dann fängt es an zu weinen und flüchtet schamerfüllt in der Mutter Schoß.

Unzweifelhaft beeinträchtigen ähnliche Umstände ebenfalls die Leistungen mancher Hunde. Ein Schäferhund z. B., der gewöhnlich mit seinem Herrn allein und an lautlose Stille gewöhnt ist, wird sicherlich durch die Anwesenheit vieler Menschen auf dem Prüfungplatze, durch das große Geräusch und namentlich durch die Wahrnehmung so vieler Artgenossen in der nachteiligsten Weise beeinflußt.

Es können aber auch Witterungsverhältnisse die Nase des Hundes ungünstig beeinflussen. So wissen wir, daß dem Hunde bei Frost das Fährtehalten am schwersten fällt, während umgekehrt ein feuchter warmer Morgen für das Spurhalten sehr günstig wirkt. Wir nehmen an, daß der Frost die Duftstoffe in ihrer Regsamkeit hemmt, während die Hitze das Gegenteil bewirkt. Zur Wahrnehmung der Witterung bedarf jedoch der Hund einer feuchten Nase, deshalb kann er bei Staub und Hitze wenig leisten.

Mit allen diesen Fragen befaßt sich die offizielle Wissenschaft leider wenig. Umgekehrt herrscht unter den Praktikern bei der Schwierigkeit in der Beurteilung der maßgebenden Umstände naturgemäß keine Übereinstimmung der Ansichten. Der Rätsel sind hier viele noch zu lösen. Weshalb z. B. ein Hund mit vorzüglicher Nase trotz guten Windes an einem brütenden Rebhuhn vorbeiläuft, harrt noch der Aufklärung. Die Tatsache an sich dürfte unbestritten sein, da sie von erfahrenen Jägern zu oft beobachtet worden ist. Mir erklärte kürzlich ein alter Landarzt, der zugleich ein großer Jäger vor dem Herrn ist, die Sache folgendermaßen. Das Rebhuhn sende beim Brüten seine ganze Witterung nach unten, deshalb laufe der Hund vorbei. Auf meinen Einwand, warum nicht alle Pflanzenfresser das gleiche im Lager täten, damit sie vor einem Überfall von Raubtieren geschützt seien, blieb er die Antwort schuldig.

Es kann nun auch sein, daß ein in der Praxis hervorragender Hund weder verwirrt noch durch die Witterung beeinträchtigt ist und trotzdem eine künstliche Schleppe unbeachtet läßt, weil er eben merkt, daß es sich hier gar nicht um ein geschossenes Reh handelt. Dann erhält er ein Ungenügend, wo er ein Vorzüglich verdiente.

Bringt so fast jede Prüfung von Jagd- und Polizeihunden eine Überraschung mit sich, so war kürzlich das Erstaunen besonders groß, als man Hunde, die bei früheren Prüfungen Preise erhalten hatten (Sieger), in einer Siegersuche nochmals prüfte. Theoretisch müßte man annehmen, daß diese Sieger alle Hervorragendes leisten würden. In Wirklichkeit waren die Resultate geradezu erbärmlich. Wie soll man sich diesen Widerspruch erklären? Ist es nicht naheliegend, auch hier wieder auf menschliche Verhältnisse zurückzugreifen 7 Würden beispielsweise die Männer, die ihr Abiturientenexamen mit vorzüglich bestanden haben, nach zehn oder zwanzig Jahren nochmals geprüft werden, so würde das Erstaunen über ihre Unwissenheit wahrscheinlich grenzenlos sein. Wer von den studierten Männern, die die Dreißig überschritten haben, würde, wenn er nicht gerade Philologe geworden wäre, noch imstande sein, ein griechisches Extemporale fehlerfrei zu schreiben? Soll man sich da wundern, daß Hunde, die früher die Prüfungen als Sieger bestanden haben, nach einigen Jahren jämmerlich versagen?

Eine andere Ähnlichkeit zwischen Menschen und Hunden liegt auch in den verschiedenen Verfahren der Erziehung. Der eine läßt einem jungen Hund nach Möglichkeit Freiheit. Der andere Hundepädagog hält das für grundverkehrt. So sieht man denn bei den Prüfungen verängstigte und kaum gebändigte Hunde. Wem fällt da nicht der Unterschied zwischen englischer und deutscher Erziehung ein? »Ihr Deutschen,« sagte mir vor dem Weltkriege ein Engländer, »legt den Hauptwert darauf, den Willen des Knaben zu brechen, wir suchen ihn umgekehrt nach Möglichkeit zu stärken. Deshalb haben wir auch die Welt erobert.«

So gibt es auch in der Tierwelt verschiedene Richtungen in der Pädagogik, und Examensschmerzen sind bei den Hundeprüfungen an der Tagesordnung.


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