Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wie erklärt sich die Verschiedenheit von Pferd und Rind?

Welcher augenfällige Unterschied besteht zwischen den beiden größten und nützlichsten Haustieren, dem Pferde und dem Rinde? Während wir das edle Roß mit Recht zu den schönsten Geschöpfen der Welt rechnen, hat die Schönheit des Rindes schwerlich einen Dichter begeistert. Allerdings müssen wir das schöne große Auge dieses Tieres ausnehmen, das es selbst einem Homer angetan hat, der beispielsweise die Hera als rindsäugig bezeichnet. Hiervon abgesehen, ist das Rind zwar außerordentlich nützlich, da wohl alle seine Körperteile verwendbar, seine Milch und sein Fleisch sozusagen unser täglich Brot sind – aber schön ist es nicht.

Ganz anders liegt die Sache beim Pferde. Wie oft ist ihm zu Ehren die Laute des Dichters erklungen! Besonders die edlen Tiere Arabiens liefern den morgenländischen Dichtern unerschöpflichen Stoff. Hören wir beispielsweise folgende Lobeserhebungen, die dem arabischen Pferde gespendet werden: »Sage mir nicht, daß dieses Tier mein Pferd ist, sage, daß es mein Sohn ist! Es läuft schneller als der Sturmwind, schneller noch, als der Blick über die Ebene schweift. Es ist rein wie das Gold. Sein Auge ist klar und so scharf, daß es ein Härchen im Dunkeln sieht. Die Gazelle erreicht es im Laufe. Zu dem Adler sagt es: Ich eile wie du dahin! Wenn es das Jauchzen der Mädchen vernimmt, wiehert es vor Freude, und an dem Pfeifen der Kugeln erhebt sich sein Herz. Aus der Hand der Frauen erbettelt es sich Almosen, den Feind schlägt es mit den Hufen ins Gesicht. Wenn es laufen kann nach Herzenslust, vergießt es Tränen aus seinen Augen. Ihm gilt es gleich, ob der Himmel rein ist oder der Sturmwind das Licht der Sonne mit Staub verhüllt; denn es ist ein edles Roß, das das Wüten des Sturmes verachtet. In dieser Welt gibt es kein zweites, das ihm gliche. Schnell wie eine Schwalbe eilt es dahin, so leicht ist es, daß es tanzen könnte auf der Brust deiner Geliebten, ohne sie zu belästigen. Sein Schritt ist so sanft, daß du im vollsten Laufe eine Tasse Kaffee auf seinem Rücken trinken kannst, ohne einen Tropfen zu verschütten. Es versteht alles wie ein Sohn Adams, nur daß ihm die Sprache fehlt.«

Ein schöner Mensch, namentlich ein schmucker Krieger, der auf einem edlen Rosse sitzt, gewährt dem Auge einen Genuß, von jeher hat deshalb der verliebte Jüngling dadurch das Herz der Angebeteten zu erweichen gesucht, daß er sich ihr als vollendeter Reiter zeigte, wie noch heute das Vorbeireiten vor dem Fenster der herzallerliebsten nicht ausgestorben ist. Mit Recht sagt Fée: »Kamel, Dromedar, Esel sind als eigentliche Reittiere entweder zu groß oder zu klein, der Stier ist zu eigensinnig, zu ungelenk und auch nicht schön. Setzt hingegen einen geschickten Reiter aus einen edlen Renner, gebt ihm einen Rassehund zum Begleiter, bewaffnet ihn mit einem Karabiner und mit einer Damaszenerklinge, laßt ihn über die Ebene galoppieren, und ihr habt das Schauspiel eines vollkommenen Mannes mit Waffen zu seiner Verteidigung, einem gelehrigen Diener und einem ergebenen Begleiter.«

Allerdings leistet das Rind als Reittier in heißen Ländern unschätzbare Dienste, aber ein Reiter »zu Rinde« kann sich ebensowenig mit einem Reiter »zu Pferde« vergleichen, wie ein Ochsengespann mit einem Pferdegespann.

Daß uns das schöne Roß soviel besser gefällt, liegt hauptsächlich daran, daß das Rind zu plump, zu schwerfällig und zu stumpfsinnig ist, während umgekehrt das Pferd elegant, schnell und feurig ist. Dieser Unterschied liegt darin begründet, daß das Rind, wie das Wildschwein, der Elch usw., zu den wehrhaften Pflanzenfressern gehört, die im vertrauen auf ihre Kraft nicht ängstlich überall herumhorchen, ob sich etwa ein böser Feind naht. Das Pferd, besonders der Hengst, bekämpft zwar kleine Feinde, z. B. Wölfe, immerhin gehört es zu den fliehenden Pflanzenfressern, die, wie Rehe, Hasen usw., das Heil in der Schnelligkeit ihrer Beine suchen.

Von diesem Gesichtspunkte aus wird uns das Verhalten des Rindes viel sympathischer. Es weiß, welche furchtbare Waffe es in seinen Hörnern führt, und daß es verloren ist, wenn es die Flucht ergreift. Denn sein Lauf ist nur auf kurze Strecken schnell, und hinten führt es keine Waffen wie das Pferd, das durch Ausschlagen schon manchen Feind getötet hat. Hieraus erklärt es sich auch, daß Ochsen so leicht nicht scheuen, auch nicht durchgehen, während diese Eigenschaften des Pferdes in zahllosen Fällen schon entsetzliches Unheil angerichtet haben. Die Hauptfeinde der Einhufer in den warmen Ländern sind eben die großen Katzen, die an der Tränke und an sonstigen geeigneten Stellen aus ihre Beute unter den Pflanzenfressern lauern. Die Einhufer wissen sehr wohl, daß dem Löwen und Tiger gegenüber jeder Kampf aussichtslos ist und daß sie sich nur durch die Schnelligkeit ihrer Beine retten können. Es ist daher nicht wunderbar, daß sie, sobald sie eine Gefahr vermuten, wie ihre Ahnen ihr Heil in einer sinnlosen Flucht suchen.

In der Wildnis können sie durch dieses Durchgehen keinen Schaden anrichten oder nehmen, denn das Pferd ist von Hause aus ein Tier der Ebene. Schon Telemachos will keine Rosse als Geschenk haben, weil das felsige Ithaka sich zur Rossezucht nicht eignete. In den endlosen Ebenen Arabiens, Innerasiens, Rußlands, Ungarns usw. gibt es fast nirgends Bäume, Häuser, Abgründe, durch die die wildfliehende Pferdeherde geschädigt werden kann.

Ganz anders benimmt sich das wehrhafte Rind. Unser leider so früh verstorbener v. Witzmann erzählt beispielsweise von seinem Reitstiere, daß er ihn fast durch ganz Afrika getragen, sich auf große Raubtiere gestürzt und diese in die Flucht geschlagen habe.

Das Pferd gefällt uns trotzdem so sehr, weil es sich, genau wie der Mensch, am wohlsten fühlt, wenn es den festen Boden unter sich und ringsum einen freien Ausblick hat, wie z. B. die Steppe ihn bietet. Ist auch das Rind ein Kind der Steppe? Nein, in keiner Weise. Es ist vielmehr ein Kind des Waldes, und deshalb ist es auch so vollkommen anders gebaut als das Pferd.

In vortrefflicher Weise hat Reinhold Hensel diesen Unterschied zwischen Pferd und Rind dargetan, da er in Brasilien an verwilderten Tieren die beste Gelegenheit hatte, eingehende Studien hierüber zu machen. Seinen Ausführungen kann ich mich nur vollkommen anschließen. Vergleichen wir, schreibt er, den Bau des Rindes namentlich mit dem des Pferdes, so fallen uns bei jenem der langgestreckte, schwerfällige Körper, die kurzen, kräftigen Beine, der gedrungene, nicht allzulange Hals auf, der gewöhnlich horizontal getragen wird. Wir sagen uns, eine solche Form kann keinem Steppentier angehören, diese Figur paßt nur in den dichten Wald, vielleicht in den Gebirgswald. Die Richtung des Halses deutet auf engen Horizont. Der niedrige Körper dringt durch das Dickicht, und die stämmigen Extremitäten erleichtern das Klettern. Beobachten wir das Hausrind, wenn es weidet, so erscheint dabei die eigentümliche Funktion der Zunge sehr wesentlich. Das Rind verlangt hohes Gras. Es rafft mit der lang vorstreckbaren Zunge ein Büschel Gras zusammen und bringt es auf die unteren Schneidezähne, drückt es mit diesen gegen das knorpelharte Zahnfleisch des Zwischenkiefers, um es mit einem Ruck nach oben abzureißen. Das Pferd faßt das Gras zuerst mit den Lippen und beißt es mit den Schneidezähnen ab. Es verlangt daher kurzes Gras auf der Weide, und Rind und Pferd schließen einander auf dem Kamp nicht aus.

Eine solche Mechanik des Weidens, wie sie das Rind zeigt, weist auf Blätternahrung hin. Das Rind ist ein Waldtier, das auf der Steppe nicht seine natürliche Heimat findet. Damit stimmt ganz die Stimme des Rindes. Das Stimmorgan des Pferdes ist eine Trompete, deren Geschmetter weithin über die freie Ebene hörbar ist. Dumpf wie des Botokuden Muschelhorn tönt das tiefe Brüllen des Stieres im dichten Urwald. Es täuscht uns über seine Entfernung, und während wir den Zornigen noch in weiter Ferne glauben, hört man vielleicht schon die Rohrstengel unter seinem schweren Tritte krachen.

Diese Unterschiede treten nach Hensel auch beim Verwildern des Rindes recht deutlich in Erscheinung. Rindvieh aus der Steppe ist oft an den Anblick des Waldes nicht gewöhnt. Es betrachtet ihn zuerst mit einiger Scheu und wagt sich nur vorsichtig hinein. Bald aber geht eine merkwürdige Veränderung mit einzelnen Tieren vor. Sie erwachen im Dunkel des Waldes wie aus einem tiefen Traum. Sicher steigt ihnen eine dunkle Ahnung wie eine unbewußte Erinnerung auf, hier sei ihre alte Heimat, dieses Rauschen in den hohen Laubkronen, diese kühle Dunkelheit sei ihnen längst bekannt gewesen. Mit Lust erprobt der junge Stier die Kraft seiner Lungen, und der mächtige Widerhall, der sich auf dem Kamp lautlos verlor, reizt ihn nur zu stets erneuter Anstrengung.

Diejenigen Tiere, in denen der Sinn für die Freiheit des Naturlebens noch nicht ganz erloschen war, besinnen sich schnell, entsagen dem Kamp und seinen Genüssen und schließen sich an die verwilderten Stammesgenossen an. Wenige Tage genügen, sie an Wildheit dem Hirsch gleichzumachen. Nur in der Nacht treten sie vorsichtig aus dem Walde heraus, um unmittelbar an seinem Rande zu weiden.

Daß ein verwildertes Pferd sich den Wald als Aufenthaltsort wählte, ist ausgeschlossen.

Die wilden Rinder sind mehr Nachttiere als die Einhufer. Auch dieser Unterschied ist nicht ohne Einfluß. Ferner liebt das Pferd, wie der Mensch, den festen Boden, während das Rind sich auch in sumpfigen Gegenden wohl fühlt, da es mit seinen gespaltenen Hufen nicht so leicht einsinkt wie ein Einhufer.

Fassen wir noch einmal die Unterschiede zusammen, so erklärt sich die Verschiedenheit von Pferd und Rind zunächst aus ihrem verschiedenen Charakter, indem jenes flieht, während dieses sich verteidigt. Damit hängen die Schnellfüßigkeit des Pferdes, seine Unruhe, sein Scheuen und Durchgehen zusammen, während umgekehrt das Rind aus dem gleichen Grunde schwerfällig und stumpfsinnig erscheint. Das Pferd ist ferner ein Tier der unendlichen Steppe und des festen Bodens, während umgekehrt das Rind ein Tier des Waldes ist, dem auch der Sumpf nicht unangenehm ist.


 << zurück weiter >>