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Raubtiere als Vegetarier.

Der Fleischmangel, der sich auch im Berliner Zoologischen Garten bemerkbar macht, läßt den Gedanken auftauchen, ob man bei den Raubtieren nicht in ähnlicher Weise wie bei den Menschen durch allerlei Ersatzmittel über die schlimme Zeit hinwegzuhelfen vermöchte. Könnten nicht sogar Pflanzenstoffe als Streckungsmittel verwendet werden?

Bekannt ist das schöne Bild, auf dem der Löwe seine Raubtiernatur ganz verleugnet hat und sich friedlich unter den Pflanzenfressern bewegt. Ist doch überhaupt die Bekehrung der Raubtiere zu Vegetariern eine Vorstellung, die namentlich bei idealen Naturen häufig anzutreffen ist.

Vom Standpunkt des Tierkenners aus muß man diese Vorstellung ablehnen. Denn die Raubtiere haben die äußerst wichtige Aufgabe zu erfüllen, ein Überhandnehmen der Pflanzenfresser zu verhindern. Außerdem sorgen sie dafür, daß Krankheiten und Seuchen im Keime erstickt werden, da kranke Tiere in erster Linie von den Raubtieren erbeutet werden.

Aber ein Körnlein Wahrheit liegt doch in dieser Vorstellung der Idealisten. Da den meisten Lesern unbekannt sein dürfte, daß der Vegetarismus unter den Raubtieren weit verbreiteter ist, als gewöhnlich angenommen wird, so sei im Nachstehenden eine kleine Blumenlese hiervon gegeben.

Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit Fritz Bronsart von Schellendorf über sein neues Löwenbuch. v. Bronsart ist zwanzig Jahre in Afrika gewesen und hat sich während dieser langen Zeit eingehend mit der afrikanischen Tierwelt beschäftigt. Am bekanntesten ist er dadurch geworden, daß er als Löwenjäger selbst die englischen Sportjäger übertroffen hat, da er 60 Löwen geschossen hat. Wer ihn hiernach für einen wilden Schießer hält, ist sehr im Irrtum, wie schon seine Tierschutzbestrebungen und seine Zähmungsversuche an Zebras beweisen. In bezug aus Löwen ist also v. Bronsart gewiß sachverständig. Da war mir folgendes in unserer Unterhaltung von großem Interesse.

Er erzählte mir, daß er in seinen Büchern mancherlei über Löwen verschwiegen habe, obwohl er es mit eigenen Augen gesehen habe. So habe er einst einen Löwen beobachtet, dessen Benehmen ihm nicht ganz verständlich war. Bei genauem Hinsehen habe er zu seinem Erstaunen wahrgenommen, daß der Löwe sozusagen weidete. Er hatte, wie er sich an Ort und Stelle überzeugte, ganze Grasbüschel ausgerissen und verzehrt. Überhaupt habe er wiederholt in der Losung der Löwen Pflanzenbestandteile festgestellt. Ferner sei ihm aufgefallen, daß ganz alte Löwen, die keine Zähne mehr besäßen, häufig Mais fräßen. Mit Vorliebe würfen sie die Maismühlen der Eingeborenen mit den Tatzen um, damit sie den gestampften Mais zu sich nehmen könnten.

Dies habe er in seinen Büchern deshalb nicht angeführt, weil es ihm hier nicht geglaubt würde.

Ich muß gestehen, daß ich diese Angaben durchaus nicht für unglaubwürdig halte. Sie stehen ganz im Einklang mit dem, was wir von andern Raubtieren wissen.

So soll nach Pechuel-Loesche der blutgierige Leopard gern die fetten Früchte der Ölpalme fressen. Das hat allerdings Bronsart v. Schellendorff, wie er mir erzählte, bei seinen Beobachtungen nicht wahrgenommen, wohl aber, daß er Datteln frißt.

Noch wunderbarer aber ist, daß der Tiger, der doch nur eine andere Ausgabe des Löwen ist, nach den Berichten von Forbes sogar den Durian, die Frucht von Durio Zibethinus, mit Gier verzehrt. Pechuel-Loesche hält diese Angabe mit Rücksicht auf seine eigenen Beobachtungen beim Leoparden für durchaus glaubwürdig.

Die hundeartigen Raubtiere sind weit erpichter auf Pflanzennahrung als die katzenartigen. Bekannt ist die Vorliebe des Fuchses für Weintrauben. Auch unsere Hunde sind häufig Freunde davon. Bei Bordeaux haben, wie Lenz angibt, die Winzer das Recht, jeden Hund, der sich ohne Maulkorb in den Weinbergen sehen läßt, auf eine beliebige Art vom Leben zum Tode zu bringen. Man sieht daher dort viele Hundegalgen, an denen die Verbrecher aufgehängt werden. Auch in den ungarischen Weinbergen sollen die Haushunde erheblichen Schaden anrichten, weil dort die Trauben fast ganz bis auf die Erde herabhängen.

Beim Speisezettel des Wolfes ist im Brehm angegeben, daß er zur Sommerzeit gern Kürbisse, Melonen, Gurken, Mais u. dergl. frißt.

Der Bär ist zur gleichen Zeit halber Vegetarier. Daß er im Frühjahr den Herden so gefährlich wird, liegt sicherlich daran, daß er vom Winterschlaf schrecklich ausgehungert und seine Lieblingsnahrung, nämlich Beeren, Getreide und Honig, nicht vorhanden ist. Auch der Eisbär, der im kalten Norden fast ganz auf Seehunde und andere tierische Nahrung angewiesen ist, verzehrt im Sommer gern Beeren, Gras und Moos, wie der Mageninhalt getöteter Eisbären untrüglich beweist.

Die marderartigen Raubtiere sind ebenso wie die Bären große Freunde von Pflanzenkost. Dem Jäger ist bekannt, daß man die Falle für den Marder mit einer Pflaume oder ähnlichen Frucht beködert. Der Zobel frißt gern Zedernnüsse und Arvensamen. Der Dachs hat genau denselben Speisezettel wie das Wildschwein, das doch zu den Pflanzenfressern gehört. So heißt es bei Brehm:

»Seine Nahrung besteht im Frühjahr und Sommer vorzüglich aus Wurzeln, namentlich Birkenwurzeln, später aus Trüffeln, Bucheln und Eicheln. Hier und da scharrt er ein Hummel- oder Wespennest aus und frißt mit großem Behagen die larvenreichen und honigsüßen Waben, ohne sich viel um die Stiche der erbosten Kerbtiere zu kümmern; sein rauher Pelz, die dicke Schwarte und die darunter sich befindende Fettschicht schützen ihn auch vollständig vor den Stichen der Immen. Kerbtiere aller Art, Schnecken und Regenwürmer bilden während des Sommers wohl den Hauptteil seiner Mahlzeiten. Im Herbste verspeist Grimbart abgefallenes Obst aller Art, Möhren und Rüben, Vogeleier und junge Vögel; kleinere Säugetiere, junge Hasen, Feldmäuse, Maulwürfe usw., werden auch nicht verschmäht, ja selbst Eidechsen, Frösche und Schlangen munden ihm vortrefflich. In den Weinbergen richtet er unter Umständen Verwüstungen an, drückt die traubenschweren Reben ohne Umstände mit der Pfote zusammen und mästet sich förmlich mit ihrer süßen Frucht.«

Gewissenhafte Jäger bestreiten jedoch, daß der Dachs Bucheckern fresse. Sie hätten jedenfalls in seinem Magen noch keine feststellen können. Wir wollen die Streitfrage auf sich beruhen lassen, da sich der Dachs in Zoologischen Gärten bei Reisnahrung sehr wohl befindet.

Aus wissenschaftlichen Gründen habe ich jahrelang Katzen gehalten. Bekannt ist es, daß unsere Hauskatze infolge Gewöhnung weit mehr Vegetabilien zu sich nimmt als irgendeine Wildkatze. Sie lernt bei armen Leuten sogar Brot fressen, während sie gewöhnlich, wenn sie die Auswahl hat, nur feines Gemüse und mit Fett schmackhaft gemachte Mehlspeisen frißt. Bei allen Katzen ist mir aufgefallen, daß sie eine unstillbare Sehnsucht nach den Pflanzen in den Blumentöpfen hatten, die man vor ihnen kaum retten konnte. Bei den Katzen, die wir in meiner Jugend auf dem Lande hielten, hatte ich so etwas nicht wahrgenommen. Der Grund liegt einfach darin, daß man Katzen auf einer Besitzung niemals in dem Grade beobachten kann, als wenn man sie in seiner Wohnung hält. Selbstverständlich sehe ich davon ab, daß die meisten Katzen für den Baldrian schwärmen, ja wie berauscht sich auf ihm wälzen. Das weiß jeder Landbewohner, und der Jäger beködert häufig mit ihm die Falle, in der er wildernde Katzen fangen will. Mit Hinzes Nahrung hat der Baldrian nichts zu tun. Es ist allein sein Geruch, der eine solche Wirkung auf die Katzen ausübt, obwohl er nach unsern Begriffen nichts Verlockendes enthält.

Die Hauskatze beweist uns, daß die Katzenarten die ausgeprägtesten Fleischfresser unter den Raubtieren sind, denn vegetabilische Nahrung ist bei ihr stets die Ausnahme. Einen Hund kann man ganz allein mit Brot füttern, bei einer Katze wäre es ausgeschlossen.

Noch mehr als Wölfe und Hunde sind die Hyänen Verzehrer von toten Tieren. Wir können uns daher nicht wundern, daß die zahmen Hyänen Brehms Brot als Leckerbissen betrachteten und Zucker leidenschaftlich gern fraßen.

Der Löwe, von dem v. Bronsart berichtet, wird natürlich das Gras nur aus medizinischen Gründen gefressen haben, wie ja auch unsere Hunde manchmal deshalb Gras fressen, um sich leichter lösen zu können.

Das Maisfressen des zahnlosen Löwen erinnert mich daran, daß die zahmen Käuzchen in Italien oft mit Polenta vorlieb nehmen müssen. Dabei ist die Eule ein ausgesprochener Raubvogel, den Dr. Floericke mit Recht als »fliegende Katze« bezeichnet hat. In einer Schilderung von Lenz kommt folgende Stelle vor:

»Arbeitet nach dortiger Sitte ein Schuster, Schneider, Töpfer oder anderer Handwerker auf der Straße, so hat er, wie ich oft gesehen, sehr gern seine Lieblinge, seine zwei bis vier Käuzchen, neben sich auf einem Stäbchen angefesselt und wechselt mit ihnen so oft als möglich zärtliche Blicke. Weil er nicht immer Fleisch für diese artigen Vielfraße beschaffen kann, so gewöhnt er sie daran, bei dessen Ermangelung mit Polenta vorlieb zu nehmen.«

Zum Schlusse möchte ich noch einen Fall erwähnen, der eine entfernte Ähnlichkeit hiermit hat. Ein Bekannter von mir schoß auf einen Habicht. Der Schuß hatte die ungewollte Wirkung, daß dem Raubvogel beide Fänge abgeschossen wurden. Ein Habicht ohne Fänge ist noch schlimmer daran als ein Löwe ohne Zähne. Einige Tage darauf wurde der Habicht am Rande eines Teiches entdeckt, wie er von einem Frosch fraß. Frösche wird sonst ein Habicht, der an Blut und Fleisch von Säugetieren und Vögeln gewöhnt ist, gewiß nicht anrühren; aber der quälende Hunger und die Unmöglichkeit, ein Tier zu erbeuten, hatten ihn dazu gezwungen.

Wenn ein Löwe in der Not Mais frißt und andere Raubtiere sogar freiwillig hin und wieder Pflanzennahrung zu sich nehmen, so ist also eine Streckung ihrer Fleischrationen durch Vegetabilien kein Ding der Unmöglichkeit.


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