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Unsere Haustiere und das Automobil.

Ein sehr scharf beobachtender Autofahrer hat seine Urteile über das Verhalten unserer Haustiere beim Zusammentreffen mit dem Kraftwagen veröffentlicht. Hiernach sind z. B. Hühner besonders dumm, klug dagegen Gänse, auch Schafe und Ziegen. Soweit mir bekannt geworden ist, haben seine Ansichten begeisterte Zustimmung gefunden und sind vielfach abgedruckt worden.

Es tut mir sehr leid, daß ich dem Herrn widersprechen muß. Aber die Gerechtigkeit gegen die Tierwelt zwingt mich, gegen die Vermenschlichung unserer Urteile über Tiere Einspruch zu erheben.

Irgendeinen Vorwurf kann man deswegen gegen den Beobachter in keiner Weise erheben. Seine Grundanschauungen werden von den Gebildeten allgemein geteilt. Selbst ein gerichtlicher Sachverständiger für Pferde, der großer Tierfreund und ein sehr geistreicher Mann ist, läßt sich bei der Beurteilung der Intelligenz des Pferdes von denselben Gesichtspunkten leiten. Er schreibt z. B. über das Pferd:

»In mancher Beziehung erscheint uns das Pferd seiner geistigen Veranlagung nach nicht als vollkommenes Geschöpf, sondern mehr eine Maschine, oder ein Tier, welchem der Kopf fehlt. Nehmen wir z. B. eine Katze und umwickeln dieselbe mit Schnüren, bis sie ganz darin verstrickt erscheint, so wird das Tier, losgelassen, vorausgesetzt, daß es nicht verängstigt ist, sorgfaltig und vorsichtig eine Pfote nach der andern aus der Verschlingung herausziehen und schließlich gewandt aus dem Netzwerk entschlüpfen; ein denkender Mensch könnte es kaum geschickter machen. – Verstrickt sich jedoch ein Pferd nur ein wenig im Geschirr, so schlägt es besinnungslos um sich, zersplittert sich die Knochen am Wagen, ohne sich bewußt zu werden, ob seine Bewegungen ihm die Freiheit geben können oder nicht.«

Was der Sachverständige hier berichtet, ist ganz zutreffend, nur werden aus den richtigen Beobachtungen falsche Schlüsse gezogen.

Hat schon jemand einen Landbewohner, der sich bei Hofe auf dem Parkettboden höchst linkisch benimmt und vieles ganz verkehrt anfaßt, für geistesschwach gehalten? Gewiß nicht! Man sagt vielmehr mit Recht: Woher soll der Landmann das Benehmen bei Hofe kennen?

Dieselbe Milde des Urteils kann auch das Pferd für sich beanspruchen. Es ist ein Geschöpf der unbegrenzten Ebene. Wo soll es Gelegenheit haben, das Freikommen aus Stricken kennenzulernen? Nirgends!

Die Katze beweist dabei nicht ihre Klugheit, wie unser Sachverständiger meint, sondern sie befreit sich deshalb verhältnismäßig leicht, weil sie mit solcher Lage seit Urzeiten vertraut ist. Unzählige Male kommt es vor, daß eine Katze bei einem Sprunge in ein Dornengebüsch fliegt. Da lernt sie es gründlich, sich langsam und sicher zu befreien. Mit Klugheit oder Dummheit hat das nicht das geringste zu tun.

Man sieht, daß es nicht so einfach ist, ein Haustier richtig zu beurteilen. Man muß zu diesem Zwecke allerlei berücksichtigen, vor allen Dingen die Lebensweise seiner wilden Verwandten, sein Naturell, seine Sinne und verschiedenes andere.

Das Pferd ist von Hause aus ein Steppentier und ein fliehender Pflanzenfresser, der namentlich von den großen Katzen viel zu leiden hat. Kennt ein Pferd noch kein Auto, so wird es naturgemäß zum Scheuen und Durchgehen neigen. Warum soll es sich bei seiner Schnellfüßigkeit auf einen Kampf mit einem größeren Feind einlassen? Hat es sich allmählich von der Grundlosigkeit seiner Furcht überzeugt, dann bringt es ein ratterndes Auto nicht mehr aus der Ruhe. Dieses Gewöhnen an Dinge, die ihm ursprünglich gar nicht geheuer erscheinen, zeigt immerhin einen erheblichen Grad von Intelligenz.

Ganz anders liegt die Sache bei dem Rindvieh. Es ist von Hause aus kein fliehender Pflanzenfresser, wozu es auch zu schwerfällig wäre, sondern ein wehrhafter, der mutig mit dem Gegner kämpft. Das Rind wird von unserem Autofahrer sehr absprechend beurteilt: »Das liebe Hornvieh! Da heißt es sich in Geduld fassen und langsam und vorsichtig fahren. Gewöhnlich handelt es sich um ganze Herden, durch die man sich den Weg durch List und Geduld bahnen muß. Vorsicht ist nötig, damit man keines der Tiers mit dem Kotflügel verletzt, und daß keines mit den hörnern den Wagen streift. Die begegnenden Viehherden bereiten weniger Schwierigkeiten als die zu überholenden. Mit ausdruckslosem Blick, schier starr über das ungewohnte Bild des Automobils, bleiben die Rinder mit gesenktem Kopf stehen. Ist man ihnen bis auf zwei oder drei Meter nahe gekommen, dann schwenken sie mit einem Ruck seitlich ab.«

Das von unserem Autofahrer so verspottete Verhalten des Rindviehs ist vollkommen durch die Natur des Tieres begründet. Der ausdruckslose Blick rührt daher, daß das Rind ein Nasentier, kein Augentier wie der Mensch, ist. Gerät es also in Gefahr, so verläßt es sich auf seine Nase, nicht auf seine Augen. Deshalb stiert auch eine Kuh mit so blödem Blick das neue Tor an. Die treue Nase sagt ihr, daß hier doch nicht der alte Eingang wie früher ist, und das nicht viel leistende Auge bestätigt es.

Das Rind ist, wie bemerkt wurde, ein kämpfender Pflanzenfresser. Und zwar hat es seine Waffen vorn, wo die Hörner sitzen, im Gegensatz zum Pferde, das sie in den Hinterfüßen hat. Eine entgegenkommende Rinderherde bereitet deshalb weniger Schwierigkeiten, weil ein Rind sich vor einem vorn befindlichen Gegner nicht fürchtet. Erst in der Nähe, wenn es das eiserne Ungetüm wahr, nimmt, schwenkt es ab.

Weiter heißt es:

»Überholt man eine Herde, so darf man sich ihr nicht schneller nähern als im Tempo von sechs Kilometern die Stunde. Die Schwierigkeit besteht jetzt darin, daß die Tiere immer den Weg des Automobils im Zickzack queren. Um nach rückwärts zu blicken, müssen sie nämlich den Kopf wenden, und sie gehen dann naturgemäß in der Richtung ihrer Kopfhaltung. Will man so einem Vieh rechts vorfahren, so blickt es so lange nach rechts, bis es ganz an der rechten Straßenseite ist, also dem Automobil den Weg abgeschnitten hat. Der Automobilist bremst, lenkt nach links und ist jetzt dem Tiere aus dem Gesichtskreis gekommen. Sofort wendet das Rind den Kopf nach links und beginnt nach links die Straße zu überqueren. Es kommt jetzt nur darauf an, wer früher die linke Straßenseite erreicht hat, das Automobil oder das Rind. Ist es das Rind, dann muß der Automobilist wieder bremsen und nach rechts hinüberfahren. Es ist ein sehr unterhaltendes Spiel – für das Rindvieh.«

So geistreich unser Autofahrer plaudert, sein Urteil trifft daneben. Für ein Tier, das hinten wehrlos ist und nicht fliehen kann, ist das Verhalten vollständig einleuchtend. Es will von seiner wehrlosen Seite aus nicht überfallen werden, weshalb es nach hinten schaut. Das Schräggehen ist die unvermeidliche Folge davon.

In der Freiheit drehten sich die Rinder einfach um. Das kann aber eine wandernde Herde nicht machen (vgl. den Aufsatz: Wie erklärt sich die Verschiedenheit von Pferd und Rind?).

Von den Schweinen heißt es:

»Sie scheinen harmlos, sind aber mitunter doch recht tückisch, dies hauptsächlich infolge ihres eigenartigen Laufes. Sie laufen, wie die Biene fliegt, nämlich geradeaus. Wenn ein Schwein die Richtung wechselt, so geschieht dies ganz plötzlich, um dann wieder eine Weile nur geradeaus zu laufen. Sind ihrer mehrere beisammen, so prallen sie bei diesem plötzlichen Richtungswechsel mit den Körpern aneinander, bringen sich gegenseitig zu Fall, verwirren einander und kommen auf diese Weise oft ganz unerwartet vor die Räder. Es ist oft wirklich nur mit Aufbietung aller Mittel möglich, so ein Schweinevieh zu retten. Haben sie aber einmal die Richtung gegen das rettende Feld genommen, dann kann man darauf losfahren, sie werden schnurgerade weiterlaufen. Wer in allen Fällen auf rasches Fortkommen bedacht ist, der muß schon, man verzeihe das Wortspiel, ein Schweineglück haben, um den braven Landleuten in schweinereichen Gegenden nicht einen Schweinebraten zu hinterlassen.«

Auch das Urteil unseres Autofahrers über die Schweine ist zu hart. Das ausgewachsene Wildschwein, der Keiler, ist ein wehrhaftes Tier, das sein Leben teuer verkauft. Junge Wildschweine flüchten dagegen, und zwar wie Kaninchen und Bekassinen häufig in Zickzackrichtung, weil diese sich bei der Flucht als praktisch bewährt hat. Denn eine das Rudel überfallende Katze wird durch das Zickzacklaufen leicht einen Fehlsprung tun.

Wildschweine laufen nicht in solchen Herden, daß eines das andere anstoßen und zu Fall bringen kann.

Bei Gefahr suchen sie am liebsten dichtes Gebüsch auf. Gäbe es solches zur Seite einer Landstraße, so würden unsere Hausschweine es wohl heute noch als Rettungsmittel benützen. So fliehen sie in Ermangelung eines solchen auf das Feld.

Ein Lob erhalten die Schafe:

»Gar keine Schwierigkeiten machen dem Automobilisten die Schafe. Im allgemeinen gilt das Schaf als ein dummes Tier; vom Standpunkt des Automobilisten stimmt das nicht. Eine Schafherde bringt sich immer rechtzeitig in Sicherheit. Es scheint ein einziger Wille in so einer Herde zu stecken. Möglicherweise entscheidet der Leithammel, und sein Entschluß ist richtunggebend für alle übrigen Tiere der Herde. Naht das Automobil, dann fliehen alle zugleich mit großen Sprüngen nach einer bestimmten Richtung, wobei sie mit Vorliebe Deckung hinter Hecken oder Gesträuchen suchen. – Die Ziegen sind den Schafen verwandt. Auch sie überlegen nicht lange, wenn sie ein Automobil erblicken, sondern sie schlagen sich sofort seitlich in die Büsche.«

Ist dieses Lob verdient? Kaum. Schafe und Ziegen sind Tiere der Höhen, wobei besonders Schafe dichte Bestände lieben. Bringt ihnen die Landstraße, also die Ebene, Gefahr, so haben sie das uralte Bestreben – fort von der Ebene. Schafe handeln dabei sehr verständig, wenn sie einem Leithammel folgen, denn bei schneller Flucht im Gebirge ist es das vernünftigste, daß man in die Fährten seines Vormannes tritt und dadurch die Sicherheit hat, daß man nicht abstürzt.

Ebenso ist es mit dem Lobe der Gans bestellt: »Die Gänse sind kluge Tiere. Man pflegt zwar zu sagen ›dumme Gans‹, doch die Gans verdient diesen Schimpf nicht. Wenigstens verhalten sich die Gänse dem Automobil gegenüber sehr verständig. Ertönt die Huppe, so fliehen sie mit möglichster Raschheit. Anfangs laufen sie. Dann pflegen sie sich daran zu erinnern, daß sie auch noch Flügel haben, sie breiten ihre Schwingen aus, wirbeln den Staub in dichten Wolken auf und beginnen zu fliegen.«

Wie jeder Jäger weiß, ist die Wildgans ein sehr kluges Tier. Da sie sich in Brüchen, also in Niederungen, am sichersten fühlt, so wird auch heute noch die Hausgans gern von der ebenen Straße flüchten. Daß sie nicht gleich fortfliegt, kommt daher, weil sie es teilweise verlernt hat und, seitdem sie schwerer geworden ist, auch nicht mehr so mühelos kann.

Schlimm kommen die Hühner fort:

»Mit den Hühnern haben wir am öftesten zu tun; sie kann nur der Zufall vor dem Automobil retten. Die Hühner sind kopflos, und nicht mit Unrecht sagt man von einem Menschen, der nicht besonders viel Verstand hat, er habe ein Hühnergehirn. Sie bevölkern oft in großen Mengen die Straße, wo sie entschieden Heimatsrecht genießen; sie treffen nur ungern Anstalten, auszuweichen. Erst wenn das Automobil in ihre unmittelbare Nähe kommt, ergreifen sie panikartig die Flucht, aber nicht nach rechts und links, sondern immer in der Fahrtrichtung. Steht ein Huhn rechts vom Automobil, so kann man sicher sein, daß es zehn Meter vor dem Wagen noch schnell die Straße überquert, um sich auf die linke Seite zu retten. Der Hahn ist seinen Frauen an Berechnung entschieden überlegen. Er wartet das Heranrollen des Automobils in stolzer Haltung ab, um dann langsamen Schrittes die Fahrbahn freizugeben, aber immer noch zur rechten Zeit. Er läßt sich nicht aus der Ruhe bringen.«

Das Urteil unseres Autofahrers über das Hühnergehirn müßte ihn eigentlich selbst stutzig machen. So verschieden kann doch die Natur die Gaben nicht verteilt haben, daß die Weibchen einer Tierart dumm, die Männchen klug sind. Auch der Hahn hat doch ein Hühnergehirn.

Daß er nicht wie die Hennen kopflos über den Damm flüchtet, liegt daran, daß er sich als Schützer seiner Damen fühlt. Er weiß aus Erfahrung, daß ihm in unserem Vaterlande außer bissigen Hunden so leicht niemand etwas tut. Deshalb ist er direkt dreist geworden.

Wildhühner fliegen bei Gefahr in den Schutz hoher Bäume. Das haben unsere Hühner verlernt, deshalb bleibt ihnen bei Gefahr nur die Flucht nach ihrem Hof. Sind sie über den Damm gelaufen, so müssen sie natürlich wieder zurück. Die rasende Schnelligkeit des Autos richtig einzuschätzen, ist von einem geängstigten Tier zu viel verlangt.

Eine Glucke mit Küken würde wahrscheinlich nicht kopflos über die Landstraße flüchten, da sie mutig den Kampf mit dem größten Hund aufnimmt. Schon hieraus geht hervor, daß das Verhalten der Hühner mit Dummheit nichts zu tun hat.

Sind demnach die Urteile unseres Autofahrers über unsere Haustiere nicht gerecht, so sind sie trotzdem für seine Kollegen von der größten praktischen Bedeutung.


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