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Die heilige Ehe.

 

I.

Als Schneemann, der Maler, von Rom zurückkehrte und sein Heimatsdorf in Galizien aufsuchte, fand er, daß der Klatsch sich sehr lebhaft mit seiner Großmutter väterlicherseits beschäftigte, die allgemein unter dem Namen » Bube Jenta« bekannt war. Es schien, daß die törichte Alte sich von Jossel Mandelstein, dem Buckligen, von der Synagoge nach Hause begleiten ließ und daß sie dem mißgestalteten siebzigjährigen Alten sogar zuweilen eine Prise ihrer Dose anbot, wenn er an der Tür ihrer Hütte vorbeiging. Noch ehe Schneemann Zeit gefunden, seine Großmutter in ihrem ziemlich abgelegenen Häuschen aufzusuchen, hatten die Klatschbasen des Dorfes ihn von der Liebelei der alten Frau in Kenntnis gesetzt, und selbst seine eigene Mutter sprach sich sehr gereizt darüber aus. Vielleicht trug die Erinnerung an die fanatische Entrüstung, mit der ihre Schwiegermutter es einst mißbilligt hatte, daß sie bei ihrer Verheiratung ihr schönes Haar nicht unter einer Perücke verbergen wollte, viel dazu bei, nun ihrerseits schärfste Kritik zu üben. Der Künstler, der in der ewigen Stadt Toleranz gelernt hatte, mußte sich zusammennehmen, um nicht laut zu lachen.

»Alte Leute wollen ihren eigenen Weg gehen,« sagte er begütigend.

»Ja, aber alte Leute sind manchmal schlimmer als junge Leute,« sagte Frau Schneemann ernst, »du darfst nicht vergessen, daß Jossel Junggeselle ist.«

»Ja – und deshalb ein Sünder in Israel – ich weiß,« sagte der Künstler, seiner Mutter freundlich zublinzelnd. Wie seine unverheirateten Freunde Leopold Barstein, der Bildhauer, und Rozenoffsky, der Pianist, sich darüber amüsiert haben würden!

»Du brauchst nicht zu spotten. Es ist wahrlich die höchste Zeit, daß auch du endlich ein Mädchen unter den Traubaldachin führst.«

»Ich bin so schüchtern – wenig Mädchen sind so entgegenkommend wie Großmutter.«

»Gott sei Dank!« sagte seine Mutter. »Als ich damals meine Flechten nicht unter eine Perücke stecken wollte, sprach sie nicht anders von mir, als ob ich eine erklärte Ketzerin sei; aber ich würde ganz gewiß eher gestorben sein, ehe ich mich so schamlos mit einem Manne aufgeführt hätte, mit dem ich nicht verlobt wäre.«

»Vielleicht sind sie verlobt.«

»Verlobt mit Jossel! Möge sein Name von der Erde getilgt werden.«

»Warum denn? Was ist denn los mit Jossel? Selbst Moses Mendelsohn hat einen Buckel gehabt.«

»Wer spricht von seinem Buckel? Hast du es vergessen, daß wir einer Rabbinerfamilie angehören?«

Ihr Sohn hatte das wirklich vergessen, wie so vieles von diesem naiven Leben, dem er einen Ferienbesuch machte, seinem Gedächtnisse entschlüpft war.

»Ja, ja,« murmelte er. »Aber Jossel ist doch gewiß fromm, nicht wahr?« Die Erinnerung an die kleine Synagoge mit ihren Psalmsängern und Gebetsprechern tauchte in ihm auf, und ihm war, als ob gerade der Bucklige sich immer besonders eifrig dabei erwiesen habe.

»Er mag von Morgen bis Abend in der Synagoge sein, damit kann er doch seinen Vater nicht abschütteln! Der hatte ein Wirtshaus. Wenn ich an Stelle deiner Großmutter wäre, würde ich mir lieber mein Leichentuch weben, als an junge Männer zu denken.«

»Du sagtest aber doch, daß sie an einen alten Mann dächte?«

Im Vergleich mit ihr ist er jung, sie ist 84 Jahre alt, er nur 70.«

»Nun, dann wird ihre Ehe keinesfalls sehr lange dauern,« lachte er.

Frau Schneemann legte ihre Hand auf seinen Mund.

»Möge der Himmel es nicht zugeben; es hieße, eine achtbare Familie mit Bilbul (Schande) bedecken.«

»Ich werde hingehen und selbst mit ihr sprechen. Ich hätte sie schon gleich besuchen müssen.«

Als er an dem anderen Ende des Dorfes und der einsamen Hütte zuwanderte, in der die alte Frau in selbstgewählter Einsamkeit hauste, war er sich des Kontrastes der geistigen Welt, in der seine Mutter lebte, mit der eigenen voll bewußt. »Die Menschen leben in ihrem eigenen Sinn, nicht in Straßen oder Feldern,« philosophierte er.

 

II.

Durch die kleinen in Blei gefaßten Fenster ihrer Hütte sah er die alte Frau; mit einer weißen Haube angetan, saß sie friedlich spinnend an dem ländlichen Herde, eine klösterlich ausschauende ehrwürdige Gestalt. Es erschien ihm profan, diese Frau mit einer Liebelei in Verbindung zu bringen – sie war das Bild einer Greisin. Aber was für ein feines Bild! Warum hatte er bisher nie daran gedacht, sie zu malen? Ja, solch ein Bild der »Spinnerin« würde unbedingt interessant sein! Er würde auch das Kesubah, das Heiratszertifikat, darin anbringen, das über dem Kaminsims hing, eine ironische Erinnerung an die Tage ihrer Jugend. Er öffnete die Tür – er hatte in seinen Kindertagen niemals erst an Großmütterchens Tür geklopft, und die Erinnerung an jene glückliche Zeit erwachte mit voller Lebendigkeit.

»Guten Abend,« sagte er.

Sie setzte eine Hornbrille auf und blickte ihn forschend an.

»Guten Abend,« murmelte sie.

»Erinnerst du dich meiner nicht mehr? Ich bin Vroomkele. Er gebrauchte den alten kindischen Kosenamen für Abraham, obwohl er beinahe vergessen hatte, daß er so hieß.

»Vroomkele,« rief sie freudig und stieß beinahe ihr Spinnrad um, als sie aufsprang, um ihn in ihre mageren Arme zu schließen. Er hatte die schmerzliche Empfindung, daß sie viel kleiner sei als früher, und daß ihr zarter Körper beinahe kindliche Verhältnisse angenommen habe. Ihre Hände zitterten vor Alter und Erregung. Dann beeilte sie sich, aus dem ihm so wohlbekannten Schranke Kuchen und andere einfache kleine Näschereien zu holen, Dinge, die er in seiner Jugend so gern gehabt hatte, und die jetzt nicht den kleinsten Reiz mehr auf ihn ausübten.

»Wie geht's mit dem Geschäfte?« fragte sie. »Sie sagen, daß du immer zu tun hast. Muß man in Rom viele Häuser bauen?« Sie war der Meinung, daß er Anstreicher sei, und er wagte es kaum, ihr zu widersprechen, besonders da das Porträtmalen nach der Anschauung der orthodoxen Juden verboten ist.

»O, ich bin nicht nur in Rom gewesen,« antwortete er ausweichend, »ich habe viele Länder durchreist.«

Ihre Rügen belebten sich plötzlich und leuchteten durch ihre große Brille. »Bist du in Palästina gewesen?« rief sie.

»Nein, ich bin nur bis Ägypten gekommen; aber warum fragst du danach?«

»Ich dachte, du hättest mir vielleicht eine Hand voll heiliger Erde Palästinas gebracht, damit ich sie mit in mein Grab nehmen könnte.« Ihr Blick erlosch wieder, sie seufzte und nahm dann ein tröstliches Prischen Tabak.

»Sprich nicht vom Grabe – du wirst 100 Jahre und länger leben,« rief er. Im stillen dachte er des erbärmlichen und lächerlichen Klatsches, mit dem man diese Frau verfolgte; er schonte weder Alter noch Verhältnisse und hing sich an diese vertrocknete Greisin, die selbst nur an ihr baldiges Ende dachte. Plötzlich bemerkte er, daß der Türeingang durch einen Schatten verdunkelt wurde. Im selben Augenblicke leuchtete das Auge der Großmutter wieder freudig auf, und schon ehe er sich nach dem Eintretenden umwandte, wußte er, daß der Held des Romans vor ihm stehe.

Jossel Mandelstein sah allerdings sehr wenig heldenmäßig aus. Er glaubte sich zu erinnern, daß in früheren Zeiten in dem Ausdruck des Buckligen etwas Kluges und Pathetisches gelegen habe, etwas, was darauf schließen ließ, daß eine schöne Seele in diesem armen verkrüppelten Körper wohne, aber davon war nichts mehr zu erkennen, wenn er es sich überhaupt nicht nur eingebildet hatte. Mandelstein machte den Eindruck eines gebrechlichen und verkümmerten Greises. Er gebrauchte Krücken, um sich voran zu bewegen, und erinnerte ihn in seiner ganzen Gestalt nur wenig an seine frühere Erscheinung. Wenn nicht die ihm so wohlbekannten langen Ohrlocken, die an jeder Seite hinter seiner Pelzkappe herabhingen, die große gekrümmte Nase und das kleine hinter dem langen Bart verborgene Kinn gewesen wären, würde Schneemann in dieser Gestalt kaum den Jossel von früher erkannt haben, den er mit der Knaben eigentümlichen Grausamkeit oft genug verspottet hatte.

Jossel humpelte auf seinen Krücken heran und zog ein altes, schwarzgebundenes Buch unter seinem fettigen Kaftan hervor. »Ich habe Ihnen Ihren Chovoth Halvovoth zurückgebracht,« sagte er.

Der Maler vermochte es nicht, ein Lächeln zu unterdrücken. Er erinnerte sich, wie er in Rom auch selbst oft genug junge Damen unter dem Vorwande besucht hatte, ihnen ein Buch zurückzubringen. Es ist wahr, daß die Bücher, die er zurückbrachte, keine hebräischen Gebete waren, aber es erregte von neuem sein Lächeln, als er sich sagte, daß der hebräische Titel Chovoth Halvovoth: »Die Pflichten des Herzens« bedeutete. – Die Bube Jenta nahm das Buch dankend an, und dann entstand eine kleine verlegene Pause, die die Alte dadurch abzukürzen suchte, daß sie ihre Dose anbot. Jossel nahm eine Prise, und als er dann sein Auge über das Stübchen gleiten ließ, bemerkte er das festlich gedeckte Tischchen, das ihn um so mehr in Erstaunen setzte, da seines Wissens heute kein jüdisches Fest gefeiert wurde. Das alte Sprichwort, daß zwei Personen »Gesellschaft« sind, drei aber nicht, kam zur Geltung, und ohne sich Zeit zu geben, die Bekanntschaft mit dem Helden dieses seltsamen Romans zu erneuern, verließ der Künstler die idyllische Hütte. Mochte der Liebhaber die guten Dinge verspeisen, für die er selbst zu alt war.

So hatte also das Dorfgerede doch Grund gehabt; mit seinem Amüsement darüber mischte sich ein Gefühl des Ärgers, daß seine Mutter also recht habe. Gewiß, wenn seine Großmutter noch einmal der großen Passion huldigen wollte, hätte sie sich ein etwas ansehnlicheres Objekt für ihre Liebe wählen können. Indessen konnte man sich von Jossels Geschmack dasselbe sagen. Wenn, nachdem er 70 Jahre lang im Zölibate gelebt hatte, nun endlich doch der Reiz der Weiblichkeit auf ihn wirkte, hätte man annehmen können, daß die betreffende Dame etwas anders aussehen müsse wie Großmutter.

Aber vielleicht hatte diese nach einer anderen Richtung Reize. Sie hatte wohl Geld? Er legte diese Frage seiner Mutter vor.

»Natürlich hat sie Geld«, sagte diese grimmig. »Sie hat Tausende von Gulden in ihrem Strumpfe. Vor 20 Jahren hätte sie unter einem Dutzend wohlsituierter Witwer wählen können, jetzt, da sie schon mit einem Fuße im Grabe steht, ist sie verrückt geworden und hat ihr Auge auf diesen Bettler geworfen.«

»Ich dachte, sein Vater hätte ihm sein Wirtshaus vermacht«, sagte der Künstler.

»Sein Wirtshaus, ja, aber nicht seinen gesunden Menschenverstand. Jossel hat sich schon seit langer Zeit dadurch ruiniert, daß er sich mehr um seinen Talmud als um sein Geschäft gekümmert hat. Er war immer ein Schlemihl.«

»Aber kann man sich zu viel um den Talmud kümmern? Das ist eine seltsame Sprache für die Tochter eines Rabbi.«

»König Salomo sagt: Ein jegliches Ding zu seiner Zeit«! erwiderte schlagfertig die Tochter des Rabbis. »Jossel hat die Lehre des weisen Königs nicht beachtet, und daher kommt es, daß er jetzt versucht, deine arme Großmutter um ihr Geld zu bringen. Wenn er heiraten wollte, warum hat er es nicht getan, ehe er 18 Jahre alt war, wie der Talmud dies vorschreibt?«

»Er scheint eben alles zur unrechten Zeit zu tun«, lachte ihr Sohn. »Übrigens glaubst du, beiläufig bemerkt, daß König Salomo seine 1000 Heiraten alle geschlossen hat, ehe er 18 Jahre alt war?

»Scherze nicht über ernste Dinge«, sagte seine Mutter ärgerlich. –

Er fand, daß man im Dorfe allgemein der Ansicht war, daß Jossel sich nur des Geldes wegen hinter die alte Frau machte. Dies entlastete seine Großmutter jedoch keineswegs von dem Vorwurfe, zu entgegenkommend zu sein, denn wenn sie wirklich eine zweite Ehe eingehen wollte, so hätte sie sich anständigerweise an den Schadchen wenden sollen, dann würde der arme Heiratsvermittler, der in diesem gottvergessenen Dorfe wenig genug verdiente, doch auch ein paar Gulden davon gehabt haben.

Obwohl Schneemann die ganze Angelegenheit unglaublich komisch fand, so mußte er doch eingestehen, daß er die allgemeine Mißbilligung dieser Heirat teilte. Wirklich, wenn man es recht bedachte, so war es geradezu lächerlich, daß er noch einen neuen Großvater haben solle. Und was für einen Großvater! Vielleicht war die Bube wirklich im Begriffe, kindisch zu werden! Oder, war er selbst schon so weit, den Verstand zu verlieren, indem er diesen Dorfskandal ernst nahm und glaubte, weil ein auf Krücken gehender Buckliger von 70 Jahren von einer mehr als 80jährigen Greisin ein Gebetbuch geliehen habe, müßten die beiden sich nun heiraten? Indessen sprachen verschiedene Umstände dafür, daß die allgemeine Annahme nicht unbegründet sei. Es konnte zum Beispiel nicht in Abrede gestellt werden, daß nach Schluß des Synagogendienstes, wenn die Frauen von der für sie reservierten Galerie herabkamen und sich unter die Männer mischten, seine Großmutter und Jossel, wie durch eine übernatürliche Macht angezogen, sich sofort fanden und miteinander den Heimweg antraten. Ebenso stand es fest, daß bei dem letzten Laubhüttenfest Bube ihren rituellen Palmzweig dem Buckligen geliehen und ausschließlich seinem Gebrauche überlassen hatte, weil er selbst zu arm war, einen zu erschwingen. Natürlich ließ sich dies auch als einen Akt der Dankbarkeit auslegen, da vierzehn Tage vorher, als bei dem Neujahrsfeste die Großmutter nach Gottes unerforschlichem Ratschlusse krank zu Bette gelegen hatte, Jossel sich die Erlaubnis zu verschaffen wußte, das Schofarhorn zu erlangen und dann die Synagoge verließ, um damit zu ihrer Wohnung zu eilen. Er hatte – den Anstand wahrend – das heilige Horn in dem unteren Zimmer der Hütte geblasen, so daß sie es oben hörte und, nachdem sie es gehört, frühstücken konnte. Es war ein Akt der Nächstenliebe gewesen, der seine volle Rechtfertigung darin fand, daß die orthodoxe Jüdin durch ihre Krankheit verhindert war, in der Synagoge zu erscheinen. Und doch – welcher mittelalterliche Minnesänger hatte je eine zartere Art der Huldigung seiner Herrin gefunden, als indem er ihr ein Trompetenständchen brachte? Aber woher hatte Jossel gewußt, daß seine Herrin krank sei? Sein Auge mußte doch über die Galerie der Frauen geschweift und ihre Abwesenheit unter den weinenden und sich hin und her wiegenden Gestalten entdeckt haben!

Eines Tages aber geschah etwas, das einen schlagenden Beweis für das wirklich bestehende zärtliche Verhältnis des alten Paares lieferte. Die Großmutter hatte tatsächlich den Dorfpostboten gebeten, ihr den Gefallen zu tun, ein braunverpacktes Paket in Jossels Wohnung abzugeben. Der Postbote plauderte die Sache nicht aus, aber Jossels Wirtin tat es, und nach einer Stunde schon wußten alle jüdischen Bewohner des Dorfes, daß Jenta Jossel einen Beutel für seine Gebetriemen gesandt hatte – also das Liebessymbol, das die jüdischen Mädchen dem Bräutigam verehren. Konnte ihre schamlose Leidenschaft weitergehen?

 

III.

Der Künstler beschloß, daß die Sache nicht weitergehen dürfe. Er setzte seinen Hut auf und ging, Jossel Mandelstein aufzusuchen. Es war aber nicht so leicht, ihn zu finden, und des Malers Entschluß, auf jeden Fall mit ihm zu sprechen, befestigte sich um so mehr, je schwerer es schien, seiner habhaft zu werden. Er schien von der Erde verschwunden zu sein. Endlich jedoch fand er ihn in der Beth Hamidrasch (der Schule), wo er in Gesellschaft einer buntscheckigen Versammlung von Jünglingen und Graubärten, die dem wirklichen Leben ebenso fremd gegenüberstanden wie er selbst, tief in das Studium eines babylonischen Folianten versunken sich unablässig hin und her wiegte. Der dämmrige Raum der »Schule«, in der nur das Studium der heiligen Schriften betrieben wurde, schien ein sehr unpassender Ort zur Besprechung einer Liebesangelegenheit. Er flüsterte daher dem eifrig Lesenden zu, daß er ihn dringend bäte, mit ihm herauszugehen. Jossel schreckte erstaunt auf.

»Ach, Ihre Großmutter liegt im Sterben«, rief er dann; »ich werde sofort mit Ihnen gehen, um für sie zu beten.«

»Nein, nein, sie ist nicht am Sterben«, sagte Schneemann schnell; »es müßte denn sein, daß sie vor Liebe stürbe.«

»O! Es ist also nicht wegen Ihrer Großmutter?«

»Nein – das heißt – ja.« Es erschien ihm plötzlich sehr schwer, die heikle Angelegenheit zur Sprache zu bringen. Ohne weiteres plump von Jossels Absichten zu sprechen, würde, besonders wenn sie am Ende gar nicht existierten, seine Großmutter und damit seine ganze Familie kompromittieren. Auf der anderen Seite drängte es ihn jedoch, zu erforschen, was wahres an all dem Geschwätz sei, das sie jedenfalls schon kompromittiert hatte, und als Schützer seiner Großmutter und Repräsentant seiner Familie hielt er sich für verpflichtet, Jossel geradeaus zu fragen, ob seine Absichten ehrenhafte seien.

Er erinnerte sich gewisser Szenen in Romanen und Theaterstücken, in denen unliebsame Freier von den Vertretern der Familie abgefunden und in ein anderes Land geschickt worden waren. Ob es nicht am Ende das Beste wäre, denselben Weg bei Jossel einzuschlagen und ihn zu veranlassen, das Dorf zu verlassen? Jedenfalls konnte man es versuchen.

»Nicht wahr, Jossel,« sagte er, als sie miteinander durch die Dorfstraße gingen, »Sie haben Ihr ganzes Leben hier verbracht?«

»Wo sollte man sonst leben?« antwortete Jossel.

»Haben Sie denn niemals Lust gehabt, einmal etwas anderes zu sehen? Möchten Sie nicht einmal nach Wien gehen?«

Jossels ernstes, melancholisch dreinblickendes Gesicht erhellte sich ein wenig.

»Nein, nicht nach Wien – es ist eine unheilige Stadt' aber nach Prag. In Prag war es, wo der große Rabbi gelebt hat, und wo heute noch die uralte unterirdische Synagoge sich befindet, die Gott Jahrhunderte hindurch erhalten hat.«

»Nun, warum gehen Sie nicht mal hin, um sie sich anzusehen?« schlug der Künstler vor.

Jossel stutzte, »Haben Sie mich von meinem Talmud gelockt, um mir das zu sagen?«

»Nein, nein, nicht gerade deswegen,« stotterte Schneemann, »aber als ich sah, wie eifrig Sie darin studierten, kam mir plötzlich der Gedanke, wie schade es sei, daß Sie nicht einmal reisen und zu Füßen der großen Rabbis sitzen könnten.«

»Wie sollte ich reisen können? Ich kann mit meinen Krücken nicht bis nach Prag humpeln.«

»O, ich würde Ihnen aber gern das Geld leihen, um dahin zu fahren.«

»Ich könnte es Ihnen niemals zurückerstatten.«

»Sie können es im Himmel tun. Sie können mir dort ein wenig von Ihrem Gau-Iden (Paradiese) abgeben.«

Jossel schüttelte den Kopf. »Selbst wenn ich das Reisegeld hätte, wovon sollte ich dort leben? Hier verdiene ich mir ein paar Gulden dadurch, daß ich für die Leute Briefe an ihre nach Amerika ausgewanderten Verwandten schreibe. Außerdem kann ich, wenn es mir nicht beschieden ist, in Palästina zu sterben, ebensogut an dem Orte sterben, wo ich geboren bin.«

»Warum können Sie nicht in Palästina sterben?« rief der Künstler mit einem neuen Hoffnungsstrahle. »Sie sollen in Palästina sterben, ich verspreche es Ihnen.«

Jossels Antlitz schien sich zu verklären. »Ich, ich sollte in Palästina sterben?« fragte er begeistert.

»So wahr ich lebe. Ich werde das Fahrgeld für die ganze Reise, und zwar zweiter Klasse, für Sie bezahlen.«

Jossels strahlendes Antlitz verdüsterte sich plötzlich. »Wie kann ich Geld von Ihnen annehmen. Ich bin kein Schnorrer

Es war nicht leicht für Schneemann, auf diese Frage eine Antwort zu finden, um so mehr, da Jossels Eifer, nach Palästina zu gehen, um dort zu sterben, ihm bewies, daß kein Grund dafür vorliege, sich seiner zu entledigen. Indessen sagte er sich, daß es immer gut sei, sicher zu gehen, selbst wenn alles nur eitler Klatsch sei; außerdem könne er auf diese Weise einen alten Mann glücklich machen.

»Es liegt kein Grund vor, weshalb Sie mein Geld nicht nehmen sollten,« sagte er mit echt künstlerischer Eingebung, »aber ich habe allen Grund, mir durch eine Mizwah (gute Tat) die Gnade des Allerhöchsten zu erbitten, und deshalb will ich Sie nach Jerusalem senden. Sehen Sie, ich habe nicht viele gute Taten vollbracht, auf die ich mich vor Gott berufen könnte.«

»Das habe ich gehört«, antwortete Jossel gelassen. »Man sagt, daß Sie in Rom ein sehr gottloses Leben führen.«

»Das ist wahr«, gab der Maler fröhlich zu.

»Man sagt, daß Sie das zweite Gebot brechen, indem Sie Darstellungen von Dingen machen, die auf dem Meere und dem Lande sind.«

»Ich möchte, daß die Kritiker das zugeben wollten«, murmelte der Künstler.

»Ihre Großmutter versteht das nicht; sie glaubt, daß Sie Häuser bemalen, was nicht verboten ist. Ich werde sie natürlich nicht enttäuschen – es hieße ihr zuviel Kummer bereiten.« Dieses zarte, eines Liebenden würdige Gefühl erregte die Besorgnis des Künstlers aufs neue.

»Wann werden Sie zum Aufbruche bereit sein?« sagte er.

Jossel zögerte. »Um in Palästina zu sterben, muß man in Palästina gelebt haben«, sagte er; »ich kann es nicht erwarten, daß Gott meine Seele in dem Augenblicke zu sich rufen wird, wo mein Fuß den heiligen Boden betritt.«

Der Künstler dachte einen Augenblick nach; er war kaum reich genug, um Jossel ein sorgenfreies Leben in Palästina gewähren zu können, besonders wenn er, was ja möglich genug war, noch lange leben sollte. Da aber kam ihm ein glücklicher Gedanke: »Dort ist die ›Chaluka‹«, erinnerte er Jossel.

»Ist das ein Wohltätigkeitskomitee?«

»Nein, nein, das ist es nicht; es ist einfach eine Art von Universitätsstiftung. Von der ganzen Welt aus wird Geld dahin geschickt, um alte Studierende wie Sie davon zu unterhalten. Die Gebete und Studien unserer alten Männer in Jerusalem kommen ganz Israel zugute. Ihre Gebete würden mir insbesondere zum Heile sein.«

»Das ist wahr,« sagte Jossel eifrig; »und ich habe immer gehört, daß das Leben dort sehr billig sei.«

»Dann ist es also abgemacht?«

Jossel antworte einfach: »Möge der Segen des Ewigen für immer und ewig auf Ihnen ruhen, und um des Verdienstes meiner Gebete in Jerusalem willen mögen Ihnen Ihre Sünden vergeben werden.«

Der Künstler war gerührt, während er zwischen Lachen und Weinen kämpfte, dachte er, daß nie das Haupt einer Familie so rasch einen unerwünschten Freier losgeworden sei. Nicht zu sprechen von einem nicht erwünschten Großvater! –

 

IV.

Die Neuigkeit, daß Jossel das Dorf verlassen würde, um in das heilige Land zu ziehen, erregte allgemein eine Sensation, die noch viel größer war als die, die seinerzeit die Dorfbewohner bewegte, als sich das Gerücht verbreitet hatte, daß er in den Stand der Ehe treten wolle. Alle, die jetzt diese große Neuigkeit besprachen, vergaßen es, wie fest sie davon überzeugt gewesen, daß eine Heirat und nicht der Tod in Palästina das ersehnte Ziel des Buckligen sei. Woher Jossel das Geld zu dem großen Abenteuer bekommen hatte, war ein Punkt, der dem Dorfklatsch viel zu überlegen und zu raten aufgab. Man flüsterte sich sogar zu, daß die Großmutter selbst bezahlt habe. Ihre unvorsichtigen Avancen waren von Jossel ernst genommen worden. Man erzählte sich, daß er ihr den Vorschlag gemacht habe, sie unter den Traubaldachin zu führen, daß aber, als es so weit gekommen sei, die alte Dame sich zurückgezogen habe. Sie, die ihn soweit gebracht, habe nun genug des Spieles gehabt. Frauen sind eben veränderlich, das ist bekannt, und selbst wenn sie alt sind, ändern sie sich darin nicht. Dann aber habe Jossel andere Saiten aufgezogen und auf seinem Rechte bestanden, er hatte Entschädigung gefordert. Das Reisegeld nach Palästina sei eine Konzession für seine beleidigten Gefühle. Es dauerte wirklich nicht lange, bis der Künstler mit Leuten zusammentraf, die behaupteten, selbst gehört zu haben, wie Bube und der Bucklige diese Sache miteinander verhandelt hätten.

Unterdessen rückte die Zeit von Jossels Abreise näher, und alle, die in Palästina Verwandte hatten, kamen meilenweit aus der Umgegend zu ihm, um ihn zu bitten, Botschaften, Segenswünsche, ja sogar Pakete an ihre Sippe mitzunehmen. Außerdem war kaum ein jüdischer Bewohner des Dorfes, der ihn nicht dringend gebeten hätte, ihm eine Flasche mit Jordanwasser sowie eine Handvoll Erde aus Palästina zu schicken. So groß waren die an ihn gestellten Bitten, daß, wenn sie alle erfüllt werden sollten, der Sultan sich dagegen aufgelehnt haben und der Jordan ausgetrocknet sein würde.

Nachdem sein Gemüt die Sorge um die Zukunft seiner Großmutter abgeschüttelt hatte, machte sich der Künstler daran, ein Bild des zerstörten Schlosses zu malen, das er von dem Fenster seines Schlafzimmers aus sah. Aber nachdem der Agent in Wien das Reisebillett nach Palästina geschickt und er Jossels Dank und seinen Segen empfangen hatte, empfand er plötzlich ein Gelüst, zu sehen, wie die Bube den Verlust ihres Helden ertragen würde. Schon als er den Riegel aufschob, hörte er von außen ihre Befehle erteilende Stimme. Er blieb erstaunt in der Türschwelle stehen und blickte auf die völlig veränderte Szene. Er hatte erwartet, die Großmutter, wie stets, friedlich spinnend an ihrem gemütlichen Herde zu finden; statt dessen beaufsichtigte die alte offenbar verjüngt aussehende Dame jemand, der ihre Sachen packte. Die größte Überraschung aber war, daß dieser Jemand niemand anderes als Jossel war, der flach auf dem Boden saß und seine Krücken neben sich gelegt hatte. In beinahe schuldvoll aussehender Verwirrung knüpfte der Bucklige rasch das Leinentuch, das ein Chaos von Dingen zu enthalten schien, zu einem Bündel zusammen, ehe der Künstler einen Blick darein werfen konnte. Indessen glaubte er sich die Sache erklären zu können.

»Aha, Großmutter!« sagte er, »ich sehe, daß du Geschenke nach Palästina schickst?«

Die Großmutter nahm verlegen eine Prise. »Ja,« sagte sie, »all dies geht in das Land Israels.«

Als der Künstler sein Auge von den zwei mißgestalteten am Boden liegenden Haufen – nämlich von Jossel und seinem Bündel – erhob, bemerkte er mit Erstaunen, daß der ihm sonst so behagliche Raum kahl und ausgeplündert aussah.

»Was ist das!« rief er. »Großmutter, wo ist denn dein Spinnrad?«

»Ich habe es der Witwe Rubenstein gegeben – ich werde nicht mehr spinnen.«

»Und ich habe dich als Spinnerin malen wollen,« murmelte er schmerzlich. Dann fiel sein Auge auf einen weißen Flecken auf der dunklen Holztäfelung über dem Kamin, »was ist das – dein Heiratszertifikat ist ja nicht mehr da?«

»Ja, ich habe es weggenommen.«

»Um es auch der Witwe Rubenstein zu geben?«

»Welch eine Idee!« sagte seine Großmutter ernsthaft. »Es ist in dem Bündel.«

»Willst du es nach Palästina schicken?«

Die Großmutter rückte nervös an ihrer Brille, nahm sie mit zitternden Händen ab und blinzelte nach dem auf dem Boden liegenden Bündel. Jossel ergriff seine Krücken und richtete sich stramm an ihnen auf.

»Ihre Großmutter geht mit mir,« erklärte er entschieden.

»Was?« rief der Künstler.

Das Auge der Großmutter begegnete seinem fragenden Blicke, ohne zu zucken; es leuchtete wie das Jossels.

»Warum sollte ich nicht auch nach Palästina gehen?« sagte sie.

»Aber du bist schon so alt.«

»Ein Grund mehr für mich, daß ich mich beeile, damit ich glücklicher bin als Moses unser Meister.« Sie setzte mit einer festen Bewegung ihre Brille wieder auf die Nase.

»Aber die Reise ist eine sehr beschwerliche –«

»Jossel ist weise; er wird den Weg dahin finden, während er am Leben ist, so gut wie andere, die erst nach ihrem Tode dorthin wollen.«

»Du wirst sterben, ehe du dort ankommst,« sagte der Künstler brutal.

»Ach nein, Gott wird mich nicht sterben lassen, ehe mein Fuß das heilige Land berührt hat.«

»Was, du, auch du willst in Palästina sterben?« rief der erstaunte Künstler.

»Wo anders sollte eine Tochter Israels zu sterben wünschen? Ach – ich vergesse! Deine Mutter mit ihren gottlosen Zöpfen war eine Epikuräerin; sie hat dich nicht in der wahren Liebe für unser heiliges Land erzogen. Aber seit 70 Jahren und länger habe ich täglich gebetet, daß meine Augen die Wiederkehr des göttlichen Reiches in Zion erleben möchten. Ich werde dieses Glück in meinen alten Tagen wohl nicht mehr erleben, da der Sultan sein Herz verhärtet hat und uns unser Land nicht zurückgeben will, obwohl Moses, unser Meister, ihm jede Nacht erscheint und ihn mit seiner Rute züchtigt. Aber meine Augen werden wenigstens das Land Israels erschauen.«

»Amen,« sagte Jossel. Der Enkel wandte sich an den Buckligen: »Sie wollen sie doch nicht wirklich mitnehmen?«

»Warum nicht?« sagte Jossel ruhig.

Schneemann machte ihn auf die Verantwortlichkeit aufmerksam, die er auf sich nähme, indem er mit einer so alten Frau reise; es erschien ihm lächerlich, von dem Skandal zu sprechen, der dadurch hervorgerufen würde. Aber die alte Großmutter selbst war es, die diesen Punkt zur Sprache brachte.

»Möchtest du etwa, daß ich allein in Palästina ankäme?« fragte sie ungeduldig. »Bedenke doch nur, wie man in Jerusalem darüber reden würde! Wer weiß, ob man mich überhaupt hereinlassen würde! Man sagt, daß des Sultans Soldaten am Landungsplatze mit geschwungenem Schwerte stehen, wie die Engel vor den Pforten des Paradieses. Aber Jossel versteht sich auf die Sitten der Heiden. Er wird es den Soldaten begreiflich machen, daß er österreichischer Untertan ist, und daß ich seine Frau bin.«

»Was? Er will dich für seine Frau ausgeben?«

»Wer spricht davon? Er könnte sagen, ich sei seine Schwester, wie Abraham, unser Vorvater, von Sarah sagte; aber das wäre eine Sünde vor dem Herrn, und daher erklären unsere Schriftverständigen –«

»Es ist einfacher, verheiratet zu sein«, unterbrach sie Jossel.

»Verheiratet!« wiederholte der Künstler gereizt.

»Die Zeugen kommen heute nachmittag in mein Haus,« fuhr Jossel gelassen fort. »Es sind Dovidel und Jitzkele aus der Beth Hamidrasch (Schule).«

»Sie glauben, nur zu einem Abschiedstrunke eingeladen zu sein,« kicherte die Großmutter, »aber sie werden Zeugen einer heimlichen Trauung sein.«

»Und morgen werden wir vor aller Augen zusammen nach Triest abreisen,« schloß Jossel ruhig.

»Aber all das ist ja zu lächerlich«, brach der Künstler los. »Ich verbiete diese Heirat.«

Ein Ausdruck äußersten Erstaunens glitt über das Gesicht der alten Dame, und mit einem Klang der Stimme, der ihn an längst vergangene Zeiten erinnerte, sagte sie energisch: »Halte den Mund, Vroomkele, oder ich schlage dir in das Gesicht, hast du vergessen, daß du mit deiner Großmutter sprichst?«

»Ich denke, daß Herr Mandelstein dies vergißt«, erwiderte der Künstler, sich an den buckligen Helden wendend, »Ist es wirklich Ihr Ernst, daß Sie meine Großmutter heiraten wollen?«

»Warum nicht?« fragte Jossel zurück. »Gibt es in ganz Galizien eine gottesfürchtigere Frau?«

»Still, Jossel, denn ich bin eine große Sünderin«, sagte die Alte mit strahlendem Gesichte. Dann wandte sie sich an ihren Enkel: »Sei nicht böse auf Jossel, ich ganz allein bin schuld daran. Er hat mich nicht aufgefordert, mit ihm nach Palästina zu gehen. Ich selbst habe ihn darum gebeten.«

»Willst du damit sagen, daß du ihn auch darum gefragt hast, dich zu heiraten?«

»Gefragt? Gebeten, wie man am Versöhnungstage betet, volle zwei Jahre habe ich ihn gebeten, aber er hat es mir immer abgeschlagen.«

»Warum denn?« fragte der Künstler.

»Weil Jossel so stolz ist; es ist seine einzige Sünde.«

»O Jenta,« protestierte Jossel. »Ich bin ein sehr sündiger Mensch.«

»Ja, aber du hast nur diesen einen großen Fehler. Sie gleicht deiner Häßlichkeit – bei manchen Leuten ist sie über den ganzen Menschen verteilt, aber bei dir ist sie auf einen Punkt gehäuft. Dein Hauptfehler ist der Stolz.«

»Was geht mich sein Stolz an,« warf der Maler ungeduldig ein. »Warum hat er nicht fortgefahren, es dir abzuschlagen?«

»Ich komme dazu! Du bist doch von jeher so ungeduldig gewesen, Vroomkele. Wenn ich dir früher ein Stück Kuchen abschnitt, fielst du immer gleich gierig über die herabfallenden Krümel her. Du siehst es, daß Jossel nicht wie du und ich beschaffen ist. Durch ein Versehen hat der Allmächtige einen Engel in die Welt geschickt statt eines Menschen, und da er im letzten Augenblicke seinen Irrtum erkannte, hat der Herr ihm die Flügel gebrochen und sie unter einem Höcker verborgen. Als aber Jossels Vater ihn mit Lea, der Tochter des reichen Kornhändlers, verheiraten wollte, da hat das törichte Mädchen, als ihr der Bräutigam zugeführt wurde, nur den Höcker gesehen und sich gemeinerweise geweigert, den von den Vätern geschlossenen Vertrag zu erfüllen. Seit jener Zeit ist Jossel so stolz, daß er sich in seinen Höcker hineinverkroch und einen Haß gegen alle Frauen nährte.«

»Wie kannst du das sagen, Jenta,« unterbrach Jossel sie wieder.

»Aus welchem anderen Grunde hast du es denn verweigert, mein Geld anzunehmen?« fuhr Bube unbeirrt fort. »Zwei-, zehn-, nein mehr als zwanzigmal habe ich ihn flehentlich gebeten, mit mir nach Palästina zu gehen. Aber eigensinnig wie ein Schwein grunzte er immer nur: ›Das kann ich nicht – ich habe kein Geld dazu?‹ Ehe er mir gestattet hätte, das Reisegeld für ihn zu bezahlen, würde er es lieber gesehen haben, daß wir beide hier stürben.«

Der Künstler brach auf dem Bündel zusammen; Erstaunen, Ärger, das Bewußtsein, sich lächerlich gemacht zu haben, alles erregte ihn in unerträglicher Weise. Das also war, was er durch seine macchiavellistischen Pläne erreicht hatte! Er hatte eine Grube gegraben und war selbst hineingefallen.

Das würde ein Gaudium für Rozenoffski und Leopold Barstein sein! Er lachte bitter.

»Nein, das war durchaus nicht zum Lachen,« sagte Bube entrüstet, »denn ich weiß es, wie sehr sich Jossel danach sehnte, mit mir nach Jerusalem zu gehen und dort zu sterben. Erst als der Allerhöchste ihm das Reisegeld schickte, ist er zu mir gekommen und hat mich eingeladen, mit ihm zu gehen.«

Der Künstler bemerkte, daß Jossel ihm mit den Augen zuwinkte und ihm Zeichen gab, nichts zu verraten. Als ob er mit seinen guten Taten renommieren wollte! Er sollte bald genug erfahren, weshalb der Bucklige ihm Zeichen machte.

»So! Sie sind also zu Gelde gekommen?« fragte er Jossel ernsthaft.

Jossel sah wie ein Bild des Elends drein. Bube klärte, ohne es zu wissen, die Situation.

»Ein schlechter Mann hat ihm das Geld gegeben, um dafür Vergebung seiner Sünden in Jerusalem zu erflehen.«

»Wirklich?« murmelte der Künstler. »Ist es einer, den du kennst?«

»Der Himmel hat ihr den Schmerz erspart, ihn zu kennen,« erklärte doppelsinnig ihr eifriger Beschützer.

»Ich weiß nicht einmal seinen Namen,« sagte Bube. »Jossel hält ihn geheim.«

»Man darf einen Mitmenschen nicht beschämen,« meinte Jossel kleinlaut. »Eine solche Sünde käme der des Blutvergießens gleich.«

Die Großmutter nickte beistimmend mit dem Kopfe. »Es ist genug, daß der Allmächtige seinen Namen weiß. Aber für einen solchen Epikuräer wird viel Beten notwendig sein. Es wird eine große Arbeit sein! Dein erstes Gebet, Jossel, muß daher sein, daß du nicht so bald stirbst, sonst wird der Arbeiter seines Lohnes nicht würdig sein.«

Jossel drückte wie ein Liebender ihre gelbe und verschrumpelte Hand. »Sei ruhig, Jenta! Ihm wird vergeben werden – wäre es auch nur um deiner Verdienste willen. Und sind wir nicht eins?«


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