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Der Jiddische Hamlet.

 

I.

Der kleine Poet saß in dem im östlichen Viertel gelegenen Café. Melchisedek Pinchas hatte Sir Ascher Aaronsberg seine Gesänge Zions gewidmet und als Dank für diese Höflichkeit eine 5-£-Note eingeheimst, die ihm die Überfahrt über den Ozean zum großen neuen Judenland ermöglicht hatte. Obwohl er erst in diesem Monate, nämlich im März, angekommen war, hatte er bereits eine Schar von Anhängern um sich versammelt, die an seinen Lippen hingen und alles bezahlten, was er bestellte. Wieder bewahrheitete sich das alte Wort, daß der Prophet überall gilt – nur nicht in seinem Vaterlande. Er hatte vergebens an die Pforten aller jiddischen Theater Europas gepocht und sein Stück angeboten, während hier in Neuyork das erste tonangebende Theater die Arbeit sofort angenommen hatte. Es gab ja allerdings mehrere jiddische Theater, die einander den Rang streitig zu machen suchten, nachdem aber Goldwassers Kunstinstitut sein Stück erworben hatte, war wenigstens in den Augen unseres Poeten diese Frage endgültig entschieden.

»Es ist das größte Stück unserer Zeit,« erzählte er den jungen Sozialisten und Freidenkern, die sich an jenem Abend um ihn geschart hatten und ihre Schokolade schlürften. »Man wird es in alle Sprachen übersetzen.« Mit dem für ihn charakteristischen Optimismus glaubte er mit dem bevorstehenden Ghettotriumphe bereits die ganze Welt erobert zu haben. »Seht nur, meine Initialen lauten M.P.: Master Playwright Meisterdramatiker.

»Wer ist dieser unbekannte Ungehemmte?« murrte von dem nächsten Tische her Ostrowsky, der Sozialistenführer, der sonst in diesem Kreise eine hervorragende Rolle spielte, sich aber nun um des neuen Löwen willen beinahe verlassen sah.

»Er nennt sich selbst den »süßen Sänger Israels,« sagte verächtlich einer von Ostrowskys Getreuen.

»Aber Pinchas!« warf Benjamin Tuch, der Politiker, ein, der ebenfalls zu den abgesetzten Halbgöttern dieser Gesellschaft gehörte, und der sich besonders dadurch wichtig zu machen wußte, daß er sich das Ansehen gab, als ob seine Stimme ausschlaggebend bei der Präsidentenwahl in Brooklyn gewesen sei. »Aber Pinchas! Sie sagten doch vor ein paar Tagen erst, Ihre Initialen bedeuteten ›Messianischer Poet‹!«

»Tun sie das etwa nicht?« fragte der Poet, und sein Dante ähnliches, wenn auch etwas fahl und verkommen aussehendes Antlitz errötete lebhaft. »Sie nennen sich einen Führer des Volkes und kennen nicht einmal das Abc?«

Alles lachte, nur Benjamin Tuch grollte.

»Nein, das kennen Sie allerdings nicht, aber unsre frommen Fanatiker behaupten, daß jedes Wort der Thora sich in verschiedenster Weise deuten lasse,« fuhr in selbstbefriedigtem Tone der Dichter fort. »So läßt sich auch jeder Buchstabe meines Namens in anderer Weise auslegen. Warum sollte ich zum Beispiel nicht beides sein, ein Dichter so gut wie ein Dramenschreiber? War nicht auch Shakespeare beides in einer Person?«

»Sie werden sich doch höher einschätzen als Shakespeare, diesen einfachen Mann, der seine Stücke in Scheunen und Tennen aufführen ließ,« sagte Tuch in sarkastischem Tone.

»Meine Überlegenheit über Shakespeare festzustellen kann ich andern überlassen,« antwortete der Poet ernsthaft und in bescheidener Weise. »Ich selbst entdeckte sie erst, während ich dieses Stück schrieb, aber ich kann natürlich nicht erwarten, daß die Welt dies anerkennt, ehe das Stück aufgeführt worden ist.«

»Und wie kam es, daß Sie selbst diese Entdeckung machten,« fragte der junge Geigenspieler, der sich nicht ganz klar darüber war, ob er sich über den Poet lustig machen oder zu seinen Füßen sitzen sollte.

»Nun, das ging auf ganz natürliche Weise zu – Witberg, bestellen Sie doch noch eine Tasse Schokolade für mich. – Sehen Sie, als Iselmann mit seiner jiddischen Truppe die Tournee durch Galizien machte und den Einfall bekam, die Juden dort mit dem Hamlet bekannt zu machen, da beauftragte er mich, dieses Stück in das Jiddische zu übersetzen; er meinte, nur wer selbst ein großer Dichter sei, könne diese Aufgabe wirklich lösen – Witberg, bitte bestellen Sie ein paar Mandelkuchen für mich. – Nun, ich ging auf den Vorschlag ein, und natürlich im Laufe der Arbeit war die Entdeckung ja ganz unvermeidlich. Das Stück, das ich nur einmal in meiner Jugendzeit, und zwar in einer sehr mittelmäßigen hebräischen Version, gelesen hatte, erschien mir an manchen Stellen unglaublich kindisch. Denken Sie zum Beispiel an den Geist – diese Mandelkuchen sind trocken wie eine Predigt – Witberg, bestellen Sie mir eine Cremeschnitte. Wovon sprach ich doch eben?«

»Von dem Geiste,« murmelten ein paar Dutzend Stimmen.

»Ach ja; ich meine nun, wie kann ein Geist auf eine moderne Zuhörerschaft wirken, die überhaupt nicht mehr an Geister glaubt?«

»Das ist wahr!« Die Tafelrunde erschien plötzlich so aufgeregt, als ob ihre Schokolade sich in Champagner verwandelt habe. Das Wort modern wirkte auf diese Flüchtlinge des alten Ghetto wie ein Trompetenstoß. Diesen Gefangenen einer 300 jährigen Tradition erschien selbst der Unglaube an Geister schon wie Lebensluft. Der Poet zog Nutzen aus dieser augenblicklichen Stimmung. Er legte den Zeigefinger mit dem schwarz umränderten Nagel bedächtig an die rechte Seite der Nase.

»Ich übersetzte also Shakespeare – ja, aber im modernen Sinne. Der Geist verschwand daraus, und Hamlets Tragödie bestand eben nur in der innerlichen Unfähigkeit des Denkers zu jeder niederen Aktivität.«

Die Männer der Tat spitzten die Ohren.

»Höheren Aktivität, meinen Sie,« korrigierte Ostrowsky.

»Der Gedanke hat keine Bedeutung, bis er in eine Handlung umgewertet ist,« sagte Benjamin Tuch.

»Ganz richtig, man muß ihn zu verwerten wissen,« sagte Oberst Klopsky, der große Viehfarmen und Minen im Westen besaß, und dessen stattliche wohlgepflegte Erscheinung im Widerspruch zu dieser ganzen ärmlichen Umgebung stand.

»Schtuß!« sagte der Poet verächtlich. »Die Handlungen sind nur Soldaten. Der Gedanke ist der General.«

»Es nützt nicht viel, beim Geigenspiel nachzudenken, Pinchas,« warf Witberg ein.

»Mein Freund,« sagte der Poet, »der Denker in der Musik ist einzig und allein der Komponist. Seine Gedanken leben fort, ganz unabhängig, ob Sie sie spielen oder nicht, völlig unbeeinflußt von Ihren falschen Noten. Aber Ihr reproduzierenden Künstler seid Euch alle gleich. – Ich zweifle gar nicht daran, daß der Schauspieler, der meinen Hamlet spielt, sich ebenfalls einbilden wird, daß er die bedeutendere Kapazität von uns beiden ist. Aber wehe diesem Burschen, wenn er es sich unterstehen sollte, auch nur eine Silbe daran zu ändern.«

»Ihr Hamlet? Seit wann?« höhnte Ostrowsky.

»Seit ich Flitter und Tünche davon abgestreift und ihn für die moderne Welt neu geschaffen habe. Seit ich ihn in heiliger Begeisterung empfangen und ihm unter unendlichen Qualen das neue Leben gegeben habe, seit – sogar die Creme dieses Törtchens ist sauer – seit ich ihn in meiner Tasche hin und her getragen habe wie ein Känguruh seine Jungen.«

»Dann hat also Iselmann seinerzeit das Stück nicht angenommen?« fragte der christliche Reporter, der sich an der Ostseite umhertrieb, um Notizen für seine Zeitung zu sammeln, und der Pinchas wie Pinkus aussprach.

»Nein, ich habe dafür seinen Namen in ›Eselmann‹ umgewandelt. Denn ich hatte ihm kaum zehn Zeilen vorgelesen, als er ganz erschrocken rief: ›Aber der Geist, wo bleibt der Geist?‹ – ›Der Geist,‹ sagte ich, ›den habe ich gestrichen. Auf ein modernes Theater gehört kein Geist.‹ Eselmann raufte sein Haar. ›Aber es ist doch nur um des Geistes willen, daß ich ihn übersetzt haben wollte. Unser jiddisches Publikum sieht gern Geister auf der Bühne.‹ ›Es sieht sogar Ihre Aufführungen gern,‹ antwortete ich trocken, ›aber ich bin nicht hier, um mit Ihnen über den Geschmack der blöden Menge zu debattieren.‹ O, ich habe dem ›Eselmann‹ ordentlich meine Meinung gesagt.«

»Aber er hat schließlich das Stück nicht angenommen,« scherzte Grunbitz, der in Polen Badchan Ein Badchan ist der Spaßmacher bei jiddischen Hochzeiten, dessen Amt es ist, durch allerlei Scherze die Hochzeitsgäste zu unterhalten. gewesen und jetzt Redakteur an einer zionistischen Zeitung war.

»Bah! Diese Theaterdirektoren sind sich alle gleich. Dieser Eselmann! Aber ich bin doch froh, daß Eselmann mir meinen ›Hamlet‹ zurückgab; so hatte ich Zeit, ihn nochmals durchzuarbeiten, ehe ich ihn Goldwasser anbot, und ihn noch mehr zu vervollkommnen. Ich habe all den gemeinen Unsinn der Zweikämpfe und der Vergiftung gestrichen, es ist eine rein geistige Tragödie geworden, denn es ist nur der Geist, die Seele, die Wert haben. – Nein, diese Cremeschnitte ist gerade so sauer und schlecht wie die andre – mein Stück ist die innerliche Tragödie des Denkers.«

»Die innerliche Tragödie des Denkers ist ein verdorbener Magen,« lachte der Ex-Badchan. »Sie sollten sich mit diesen sauer gewordenen Cremeschnitten in acht nehmen.«

Der Reporter unterbrach sein Gelächter mit den Worten: »Pinkus, am Ende führen Sie uns ›Hamlet‹ auch ohne den Prinzen von Dänemark vor?«

»Besser als den Prinzen von Dänemark ohne Hamlet,« erwiderte der Poet, ärgerlich die geschmähten Cremeschnitten in großen Bissen herabwürgend, »und so wird er leider gewöhnlich gespielt. Ich habe tatsächlich in meiner Version den Prinzen von Dänemark gestrichen, mein Hamlet ist ein Hebräer und Prinz von Palästina.«

»Was, Sie haben einen Hebräer aus ihm gemacht?« rief Mieses, ein pockennarbiger junger Dichter.

»Da er ein idealer Denker ist, soll er auch der Nation der Denker angehören,« sagte Pinchas. »In der Tat ist das Stück eigentlich nur eine Autobiographie.«

»Und Sie nennen es immer noch Hamlet,« fragte der Journalist, sein Taschenbuch hervorziehend und sich Notizen machend, denn er fand hier Stoff zu einer Sonntagsplauderei.

»Warum nicht? Es ist ja wirklich ein ganz neues Stück. Shakespeare hat den Stoff seines Dramas einem alten, Hamlet genannten Stücke entnommen, und er hat diesen benutzt, wie es ihm paßte. Warum also sollte ich nicht Shakespeare benutzen, wie es mir paßt? Die Katze frißt die Ratte – und der Hund beißt die Katze.« Er kicherte lustig. »Würde ich mein Stück mit einem andern Namen benennen, so würde unfehlbar irgendein gelehrter Narr sich berufen fühlen, darzulegen, daß es von Shakespeare gestohlen sei, während es jetzt zum Vergleiche herausfordert.«

»Aber Sie entdeckten, daß Shakespeare diesen Vergleich nicht ertragen kann,« sagte Benjamin Tuch, der Gesellschaft zublinzelnd.

»So wenig, wie der Astrologe des Mittelalters dem Astronomen unserer Tage standhalten könnte,« erklärte der Poet mit gut gespielter Bescheidenheit. »Die Verworrenheit der Ideen Shakespeares, die offenbar auch Ursache der Verworrenheit von Hamlets Charakter ist, hat der klareren Anschauung der Modernen Platz gemacht. Wie hätte Shakespeare einen Denker beschreiben können? Die dem Zeitalter der Elisabeth Angehörigen konnten nicht denken. Sie waren wie unsere Rabbis.«

Die unerwartete Abschweifung in eine moderne Satire erregte die Heiterkeit des ganzen Cafés. Allmählich hatte der Poet die Aufmerksamkeit aller Anwesenden magnetisch angezogen. Die in den entferntesten Winkeln zerstreuten Gäste spitzten die Ohren. Pinchas war in der Tat eine auffallende und bemerkenswerte Erscheinung. Der Gehrock schlotterte um seine hagere Gestalt, als ob er ihn geliehen hätte; das lange Haar fiel wie ein schwarzer Wasserfall unter dem breitrandigen staubigen Hute hervor, und sein düsteres Gesicht glühte vor Begeisterung und Selbstbewußtsein.

»Warum sollten Sie von einem Rabbi Gedanken erwarten,« sagte Grunbitz, »das wäre beinahe so, als ob man von einem Kaufmann verlangen wollte, daß er die Wahrheit spräche.«

»Kellner, geben Sie Herrn Grunbitz eine Tasse Schokolade,« rief Pinchas.

»Danke Ihnen – aber ich wünsche keine mehr.«

»Sie können sie nicht abschlagen – das würde Witberg kränken,« sagte der Poet einfach.

In der großen Stadt sprangen die Menschen auf und ab von den elektrischen Straßenbahnwagen, sie sausten in Lifts die hohen Gebäude hinauf und herunter, sie jagten durch Vorsäle und Gänge, riefen einander durch das Telephon an, diktierten den vor klappernden Schreibmaschinen sitzenden Tippfräulein, rissen Telegramme auf und erfüllten das Leben mit Lärm und Aufregung, mit dem Geräusch der Märkte und dem Klirren der ewig rollenden Dollars – während hier in diesem anspruchslosen und raucherfüllten Raume, der wie eine orientalische Oase in dem Wirbel des Lebens des Okzidents erschien, die Männer des Ghettos – wie einst ihre Vorväter vor den Bänden des Talmuds oder wie die Philosophen in den Kolonnaden Athens – friedlich rauchend und Schokolade schlürfend beieinander saßen und ihre Meinungen austauschten.

Und der Journalist, der diesen stillen Winkel zufällig entdeckt, empfand wieder, wie er dies so oft getan, daß in diesem nüchternen, wie ein Pilz aus der Erde gewachsenen Neuyork nur hier das Altertum, Ruhe und Romantik zu finden sei; hier war das »Quartier Latin« der Stadt der Goten.

Durch des Meisters gute Laune ermutigt, wagte der junge Mieses, ihm schüchtern seine letzten Verse zu zeigen. Pinchas nahm das Manuskript und las es dann, ohne sich um die Verlegenheit des errötenden Jünglings zu kümmern, laut vor.

»Aber das ist ja eine höchst talentvolle Arbeit,« rief er mit unverfälschter Bewunderung. »Ich selbst hätte diese Verse geschrieben haben können! Allerdings sind sie ja von sehr ungleichem Werte, eine Mischung von Edelsteinen und Glassplittern, wie alle hebräische Literatur.« Mit feinem und richtigem Geschmacke las er die besten Verse vor, ohne zu wissen, daß diese samt und sonders unbewußte Reproduktionen aus englischen Meisterwerken waren, die Mieses der Bibliothek der »Erziehungsallianz« entlehnt hatte. Seine Anhänger lauschten andachtsvoll, und der bartlose pockennarbige Mieses gewann plötzlich an Bedeutung in ihren Augen, während er sich selbst höchst wichtig vorkam.

»Vielleicht werde ich dereinst auch noch einmal ein Stück schreiben, und bedeutet der Anfangsbuchstabe meines Namens nicht auch Meister?«

»Es kann ja sein, daß Sie bestimmt sind, mein Nachfolger zu werden und meinen Mantel zu tragen,« sagte Pinchas herablassend.

Mieses warf unwillkürlich einen Blick auf den schlecht sitzenden Rock des Dichters.

Pinchas stand auf. »Nun, Mieses, müssen Sie mir das Fahrgeld für die Straßenbahn geben. Ich muß nämlich zu meinem Schauspieldirektor, um mit ihm Rücksprache wegen der Proben zu nehmen; diese Dummköpfe sind zu allem fähig, selbst zu dem Verbrechen, einen der besten Sätze umzuändern.«

Radsikoff lächelte. Dieser fruchtbarste aller Ghettodramatiker hatte bisher still in seiner Ecke gesessen. Er stützte seine hohe, von Furchen durchzogene Stirn auf die Hand und rauchte eine große starke Zigarre.

»Ich nehme an, daß Goldwasser selbst die Rolle des Hamlet spielen wird,« sagte er.

»Wir haben noch nicht darüber gesprochen,« meinte Pinchas in überlegenem Tone.

Radsikoff lächelte wieder. »O, er wird schon damit fertig werden – wenn nur nicht Frau Goldwasser die Ophelia übernehmen wird.«

»Sie die Ophelia spielen? Sie würde doch nicht im Traum daran zu denken wagen. Sie ist eine naseweise Soubrette, sie gehört auf das Varieté.«

»Ganz recht! Ich habe Sie gewarnt!«

»Sie wollen doch nicht im Ernste andeuten, daß sie es wagen sollte?« Pinchas wurde blaß und zitterte an allen Gliedern.

»Das jiddische Theater ist so sehr moralisch. Die Männer leben nicht nur, sie spielen auch unglücklicherweise meistens mit ihren Frauen,« sagte der alte Dramenschreiber trocken.

»Ich werde sie ganz gewiß ertränken, ehe ich zugebe, daß sie meine Ophelia spielt,« sagte der Poet giftig.

Radsikoff zuckte die Achseln und meinte dann: »Nun, Sie sind gewarnt.«

»Das Frauenzimmer!« Pinchas erhob drohend die Faust. »Aber ich will schon fertig mit ihr werden, wenn alle Stricke reißen, werde ich selbst ihr den Hof machen.«

Des Dichters Vertrauen in seine persönlichen Reize war selbst für seine Bewunderer zu viel. Das ganze Café brüllte vor Lachen bei dem Gedanken, welches Bild der unansehnliche Dichter neben der pikanten Schauspielerin mit ihren Spitzen und Volants machen werde. Pinchas aber nahm diese allgemeine Heiterkeit nur wie einen Tribut hin, den man seiner genialen Idee zollte, der Soubrette die Schlangenzähne auszuziehen.

»Und wann wird Ihr Stück herauskommen?« fragte Radsikoff.

»Nach dem Passahfeste,« antwortete Pinchas und knöpfte seinen ärmlichen Rock fest zu, um sich gegen die kühle Witterung zu schützen. Er mußte unbedingt sofort zu dem Schauspieldirektor, wäre es auch nur, um gegen das Auftreten dieser Ophelia zu protestieren.

»Haben Sie einen Kontrakt mit Goldwasser gemacht?«

»Ich bin ein Dichter und kein Advokat,« sagte Pinchas stolz; »Dokumente sind für Philister; ehrliche Leute verlassen sich auf ein gegebenes Wort.«

»Nun, bei Goldwasser kommt es auch wirklich auf dasselbe heraus,« sagte Radsikoff trocken. »Dabei ist er nicht einmal schlimmer als die anderen; ich habe noch niemals einen Kontrakt gesehen, den die Schauspieldirektoren nicht geschickt zu umgehen gewußt hätten und ich bin noch keinem Schriftsteller begegnet, der sich nicht von ihnen hätte betrügen lassen.«

Radsikoff beschäftigte sich tatsächlich damit, abwechselnd Dramen und Kontrakte zu verfassen. Er machte bei jeder neuen Gelegenheit trübe Erfahrungen und empfand daher für Pinchas mehr ein mitleidiges als ein eifersüchtiges Gefühl. »Ich werde zu Ihrer Premiere kommen,« sagte er.

»Es wird dies ein Zeichen der Anerkennung sein, das das ganze Publikum zu würdigen verstehen wird,« sagte Pinchas. »Ich denke eben daran, daß, wenn ich eine Ihrer so aromatisch duftenden Zigarren hätte, ich dem Herrn ein Rauchopfer darbringen würde.«

Alles lachte über diese Gotteslästerung, denn der Sabbat, an dem man kein Feuer anzünden soll, hatte längst begonnen.

»Versuchen Sie lieber eine Zigarre, anstatt daran zu denken,« lachte der Dramenschreiber und schob Pinchas seine Zigarrentasche zu. »Die Tat ist größer als der Gedanke.«

»Nein, nein, nein,« protestierte Pinchas, vorsichtig die Tasche durchwühlend, um die beste Zigarre zu erwischen. »Warten Sie nur, bis Sie mein Stück gesehen haben – Sie alle müssen bei der Premiere sein – ich werde Ihnen Logenplätze zusenden. Dann werden Sie begreifen lernen, daß der Gedanke größer als die Tat ist – daß der Gedanke das Größte in der Welt ist.

 

II.

Mit großem Genusse Radsikoffs Zigarre rauchend, verließ Pinchas das überheizte, aber behagliche Kaffeehaus und wanderte die schmutzige und unfreundliche Straße entlang, die mit eiskaltem klebrigem Kote bedeckt war, der noch von dem letzten nicht weggeräumten Schnee herrührte. Er benutzte die in den anderen Stadtteil führende Pferdebahn nicht und hob sich seine 5 Cents zu einem Nachttrunke auf. Er kam aber nur langsam voran, denn er blieb in einer Seitengasse, die er eingeschlagen, beinahe stecken in halbgeschmolzenem schmutzigen Schnee, der den Weg fast unpassierbar machte. Pinchas war froh, daß er seinen Stock bei sich hatte; ein richtiger Alpenstock würde nicht überflüssig gewesen sein. Endlich erreichte er das Theater, und der Anblick der davor brennenden Straßenlampen und des brillant beleuchteten Vestibüls belebte seine Lebensgeister aufs neue.

Der Vorhang war bereits aufgezogen, und das ganze Haus bis zur Galerie hinauf war dicht besetzt. Als die Türhüter ihn zurückwiesen, verlangte Pinchas in hochmütigem Tone Goldwasser zu sprechen. Goldwasser war auf der Bühne und konnte ihn nicht empfangen. Aber der Poet ließ sich durch nichts abschrecken. Sein Wut wuchs immer mehr. Ihm war, als ob das ganze große Theater sein eigen wäre, und als ob es in seiner Hand läge, die darin versammelte Zuhörerschaft durch sein Wort zu begeistern und zu rühren.

»Ich werde ihn in der Direktions-Loge erwarten,« sagte er.

»Es ist kein Platz mehr darin,« sagte der Aufseher.

Pinchas warf den Kopf in den Nacken: »Ich bin der Verfasser des ›Hamlet‹.«

Der Mann zuckte, als ob man ihn geschlagen hätte. Sein ganzes Leben lang hatte er von Hamlet als einem großen Schauspiel reden hören, das auf dem Broadway aufgeführt würde. Und nun sah er den Autor dieses berühmten Stückes in leibhaftiger Person vor sich! Und doch kontrastierte diese kümmerliche, schlecht gekleidete Gestalt schmerzlich mit dem Bild, das er sich von dem Typus der Autoren gemacht, deren Dramen vor der vornehmen Welt aufgeführt werden. Aber vielleicht waren sich alle dramatischen Schriftsteller gleich. Er verneigte sich vor Pinchas und bat, ihm zu folgen.

Im nächsten Augenblicke machte sich eine gewisse Aufregung in dem Theater bemerkbar. Man hatte einen Herrn, der auf einem bequemen Sessel saß, gebeten, auf seinen Platz zugunsten des berühmten Mannes zu verzichten, und er hatte es abgeschlagen.

»Ich habe meinen Dollar bezahlt – weshalb also sollte ich gehen?«

»Aber es ist der Dichter des ›Hamlet‹.«

»Mein Geld ist so gut wie das seine.«

»Aber er bezahlt ja gar nicht.«

»Warum sollte ich dann meinen guten Platz um eines Schnorrers willen aufgeben?«

»St, st!« tönte es aus allen Teilen des Hauses, von allen Seiten mischte man sich in den Streit und jiddische und amerikanisch-englische Redensarten schwirrten durch die Luft. Der Mann war in einer freien Republik – der Autor des ›Hamlet‹ war nicht mehr als jeder andere. Goldwasser, der sich auf der Bühne befand, schleuderte dem kleinen Poeten grimmige Blicke zu.

Endlich aber wurde ein Kompromiß gefunden. Man rückte zusammen und stellte noch einen Stuhl in die schon überfüllte Loge. Amerikanische Theaterlogen sind für die Öffentlichkeit bestimmt, und zwischen Pinchas und dem Hause befanden sich wenigstens zwölf Personen. Er konnte sehen, aber nicht gesehen werden, verdrossen und beleidigt hörte er mit verächtlicher Miene dem Spiele zu.

Es war in der Tat ein seltsames Machwerk, das romantische Drama, das man diesem dem Ghetto entstammenden Publikum, das sich in dem amerikanischen Leben so rasch verwandelt hatte, an Stelle seines Sabbat-Ritus bot. Es führte ausschließlich jüdische Charaktere vor, die jedoch viel von den Helden und Heldinnen der westlichen Welt angenommen hatten; psychologisch treu waren sie nur in den untergeordneteren Rollen, die von den sehr begabten Schauspielern mit bewunderungswürdigem Realismus dargestellt wurden. Dieser Naturalismus wurde durch phantastische, einer tollen Einbildungskraft entsprungene Szenen unterbrochen; es wurde zum Beispiel zum Ergötzen eines russischen Tyrannen ein Tanz in Masken von Känguruhs aufgeführt. Aber das komische wie das phantastische Element waren doch dem des Grauens und der Tragödie untergeordnet: diese Emigranten, die vor der Brutalität und Grausamkeit Rußlands und Rumäniens geflohen waren, diese Erben der klagenden Melodien einer verfolgten Synagoge jammerten nach Blut und Grauen! Mit dem ›glücklichen Ende‹ der auf dem Broadway zur Aufführung kommenden Stücke wäre hier nichts aufzustellen gewesen. Die Darsteller und die Zuhörer bildeten sozusagen eine große Familie, waren doch die Mitglieder der Bühne hier immer dieselben. Die ganze Vorstellung trug beinahe den Charakter einer Improvisation. Pinchas, der sehr nahe an der Bühne saß, konnte ganz deutlich jedes Wort aus dem Souffleurkasten verstehen, der sich im Mittelpunkte der Bühne zwischen den Rampenlichtern erhob. Der jiddische Souffleur wartete nicht, bis die Schauspieler stecken blieben – sein Amt war es, ihnen das ganze Stück recht verständlich vorzulesen. »Du also bist das Weib, das meine Mutter ermordet hat,« las er – und der Schauspieler griff die Worte auf, wiederholte sie mit leidenschaftlicher Betonung und schmückte das ihm überlieferte rohe Material so aus, wie es ihm passend erschien. Kein mechanisches Hin- und Herlaufen auf der Bühne, kein sorgsames Überwachen eines geschickten Regisseurs, alles war Inspiration und Leben.

Pinchas jedoch, der das Stück zweimal hörte, einmal roh von dem Souffleur und dann gehobelt von den Künstlern, konnte dem Spiel keinen Geschmack abgewinnen.

»Diese faulen Knochen,« murmelte er. »Nun, jedenfalls lasse ich meine Verse nicht in solcher Weise behandeln. Sie sollen sich jede einzelne Silbe in das Gedächtnis graben, ehe ich den Aufzug des Vorhangs gestatte. Nicht als ob das dem abgeschmackten Stücke dieses verrückten Dramenschreibers irgendwelchen Abbruch täte; es ist ein elendes Machwerk, es hat keinen Anspruch auf literarischen wert.«

Sein literarisches Gefühl wurde durch eine besondere Eigentümlichkeit des Dialoges beleidigt.

Die jiddische Sprache war nämlich reichlich mit amerikanischen Ausdrücken vermischt, und zwar solchen, wie die Emigranten sie zuerst aufzuschnappen pflegen. All right – Sure – Say how's the boss – Take the elevated – Yup – Nup und ähnliche Redensarten schwirrten fortwährend durch die Luft, und das Publikum schien sich sehr darüber zu freuen, schon auf so gutem Fuße mit der neuen Sprache zu stehen. Pinchas jedoch erschien der Gedanke, die jiddische Sprache mit solchen Ausdrücken zu vermischen, ganz frevelhaft. Der Prinz von Palästina sollte mit der eigentümlich näselnden amerikanischen Aussprache reden – unmöglich! wie könnte er sich eine solche Vergewaltigung seines hebräischen Hamlets gefallen lassen? –

Kaum war der Vorhang gefallen, als er sich durch die eiserne Tür drängte, die aus dem Hintergrund der Loge auf die Bühne führte. Rücksichtslos seinen weg durch die Maschinisten und die mit dem Auf- und Niederrollen des Vorhangs beschäftigten Arbeiter bahnend, gelang es ihm endlich, Eintritt in das kleine Bureau und Ankleidezimmer zu erlangen, in dem Goldwasser, der in ziemlich gereizter Stimmung war, seine Hosen wechselte. Kloot, ein langnasiger unverschämter Judenbengel, das Faktotum des Schauspieldirektors, saß mit einer spitzen Mütze auf dem Kopfe auf einem neben dem Telephon stehenden Tischchen und baumelte mit den Beinen.

»Sohn einer Hexe! wie können Sie es wagen, hier einzudringen und das ganze Haus in Aufregung zu versetzen? Was wollen Sie hier?« schrie Goldwasser ihn an.

»Ich wünsche mit Ihnen über die Proben meines Stückes zu sprechen.«

»Ich sagte Ihnen, daß ich es Sie wissen lassen würde, wann die Proben ihren Anfang nehmen.«

»Aber Sie haben vergessen, mich nach meiner Adresse zu fragen.«

»Als ob ich nicht wüßte, wo Sie zu finden sind.«

Kloot grinste: »Pinchas bekommt von allen Besuchern des Cafés etwas zu trinken,« warf er ein.

»Sie trinken alle auf das Wohl Hamlets,« sagte Pinchas stolz.

»Ganz recht! Kloot hat sich Ihre Adresse gemerkt. Guten Abend …

»Aber wann wird es sein? Ich muß das wissen!«

»Wir können keinen bestimmten Tag festsetzen, vorläufig füllt dieses Stück die Kasse.«

»Bah, es bringt Ihnen Geld ein – aber auch Ruhm?«

»Ihr Schriftsteller seid alle gleich, einer ist so eifersüchtig auf die Erfolge des anderen wie der Teufel.«

»Ich eifersüchtig auf Känguruhs? Im Zentralpark kann man dressierte Giraffen sehen – und auch Schildkröten –«

»Ich bezweifle aber sehr, daß es dort einen prahlerischeren Pfau gibt als hier,« murmelte Goldwasser.

»Ich werde Ihnen Nachricht über den Termin der Proben zukommen lassen,« sagte Kloot, Goldwasser zublinzelnd.

»Aber ich muß es durchaus einige Wochen vorher wissen. Ich werde wahrscheinlich eine Tournee machen, Vorlesungen halten müssen. Der große Kontinent ruft nach mir. In Chicago, in Cincinnati …«

»Gehen Sie, reisen Sie auf alle Fälle,« sagte Goldwasser eifrig, »wir können sehr gut ohne Sie fertig werden.«

»Ohne mich? Das würde eine schöne Geschichte werden! Ich muß Sie jeden einzelnen Vers reden lehren.«

»Mich – wollen Sie belehren?« Goldwasser traute seinen eigenen Ohren nicht.

Pinchas schwankte. »Ich – ich meinte Ihre Gesellschaft. Ich muß Ihnen die Aussprache beibringen – Ihnen die nötigen Stellungen angeben. Ich bin nicht nur ein großer Dichter, sondern verstehe mich auch meisterhaft darauf, ein Werk in Szene zu setzen, vor allem will ich keinen Souffleur haben.«

»Wirklich!« Goldwasser, der gerade mit dem Malen seiner Augenbrauen beschäftigt war, sah ihn groß. an. »Und wie wollen Sie ohne die Hilfe eines Souffleurs fertig werden?«

»Sehr einfach – dadurch, daß wir einen ganzen Monat lang täglich proben.«

Goldwasser wurde vor Zorn so rot, daß es dunkel durch die aufgelegte Schminke seiner Wangen glühte.

Kloot meinte neckisch: »Es ist wirklich außerordentlich gütig von Ihnen, uns einen ganzen Monat Ihrer kostbaren Zeit widmen zu wollen.«

Aber Goldwasser war zu zornig, um Sinn für Ironie zu haben. »Einen Monat!« rief er endlich. »Ich könnte sechs Melodramen in einem Monate in Szene setzen.«

»Aber,« sagte Pinchas entsetzt, »Hamlet ist kein Melodrama.«

»Gewiß nicht. Ihr Stück bedarf nicht der Hälfte der zu einem solchen notwendigen Szenerie, und es ist die Szenerie, auf die man seine Aufmerksamkeit zu verwenden hat, und die gut klappen muß – auf das Spiel kommt es weniger an.«

Der Poet wurde nun so dunkelrot wie der Schauspieler. »Sie würden mein göttliches Werk profanieren, wenn Sie es durch Ihre papageienähnlichen Spieler herunterleiern ließen.«

»Nun ist es genug. Lassen Sie doch den hohen Kothurn!« sagte Kloot. »Sie haben das Stück geschrieben, gut – das übrige ist nun unsere Sache.« – Obgleich Kloot nur 19 Jahre alt und mit einem Gehalte von wenigen Dollars die Woche engagiert war, fühlte er sich doch der ganzen Welt ebenbürtig und stellte sich sogar auf gleichen Fuß mit seinem Prinzipal. Zu seinem Erstaunen jedoch fand er in Pinchas seinen Meister.

»Still, unverschämter Bengel! Sie sprechen nicht mit Radsikoff. Ich bin ein Dichter und fordere mein Recht.«

Kloot war sprachlos vor Überraschung.

Goldwasser schien ebenfalls verblüfft zu sein.

»Welche Rechte?« bemerkte er in milderem Tone. »Sie haben Ihre 20 Dollar erhalten, und das war schon zu viel.«

»Zu viel? 20 Dollar für das Meisterwerk des 20. Jahrhunderts?«

»Im 21. Jahrhundert sollen Sie 21 Dollar erhalten,« sagte naseweis Kloot, der sich von seinem Schrecken erholt hatte.

»Spotten Sie, so viel Sie wollen,« antwortete der Dichter stolz. »Ich werde selbst im 51. Jahrhundert noch leben – Dichter sterben niemals –, obwohl sie, ach leider! etwas zum Leben haben müssen. 20 Dollar! Zu viel! Wahrhaftig! Es ist kein Dollar für jedes Jahrhundert, in dem dieses Stück das Haus füllen wird.«

»Nun wohl,« sagte Goldwasser grimmig, »dann geben Sie das Geld heraus. Ich gebe Ihnen Ihr Stück zurück.«

Dieses Mal war es der Dichter, der die Fassung verlor. »Nein, nein, Goldwasser – ich kann meinen Drucker nicht so enttäuschen. Ich habe ihm die 20 Dollar versprochen, um meine in hebräisch erscheinenden ›Ausgewählte Gedanken Nietzsches‹ zu veröffentlichen.«

»Nein,« sagte Goldwasser unerbittlich; »Sie nehmen Ihr Manuskript und geben mir mein Geld zurück.«

»Ein solcher Austausch würde so viel wie einen Raub bedeuten. Ich will Sie nicht berauben. Es bleibt bei unserem Handel. Sehen Sie, hier ist der Brief des Druckers.« Er zog eine Menge schmutzig aussehender Manuskripte und vergilbter Briefe aus seiner Rocktasche und legte sie auf das neben dem Telephon stehende Tischchen, als ob er darin suchen wolle.

Goldwasser winkte ihm ungeduldig ab.

»Seien Sie kein Tor, Goldwasser,« sagte der Dichter. »Ich und Sie, wir sind die einzigen Menschen in ganz Neuyork, die wirklich das poetische Drama fördern: ich, indem ich ein Stück wie Hamlet schrieb, und Sie, indem Sie es zur Aufführung bringen.«

Goldwasser schüttelte immer noch den Kopf, obwohl die Schmeichelworte des Dichters ihn etwas besänftigten.

Kloot ergriff das Wort statt seiner. »Ihr Manuskript soll Ihnen morgen mit dem ersten Kehrichtswagen zugesandt werden.«

Pinchas nahm keine Notiz von dem jungen Manne.

»Ich bin bereit, mich mit nur 14 Tagen für die Proben einverstanden zu erklären. Denn ich vertraue Ihnen, Goldwasser. Ich habe immer gesagt: Das einzige Genie des jiddischen Theaters ist Goldwasser. Klostermann? Bah – die Stücke, die er bringt, sind ja nicht so schlecht, aber wie werden sie gespielt? Und dann Davidoff – er hat eine Stimme wie ein Frosch und läuft auf der Bühne umher wie eine Spinne. Ich habe von diesen Scharlatanen überhaupt erst gehört, als ich nach Neuyork kam. Aber Ihr Ruhm, Goldwasser, ist über den Atlantischen Ozean, über die Karpathen zu mir gedrungen. Ich bin von Krakau hierher gereist, nur um mit Ihnen arbeiten zu können.«

»Weshalb denn machen Sie jetzt solche Schwierigkeiten?« fragte der besänftigte Schauspieldirektor.

»Weil mir so sehr viel daran gelegen ist, daß Europa nicht durch Sie enttäuscht werde. Lassen Sie uns von der Besetzung der Rollen sprechen.«

»Dazu ist es noch zu früh.«

»Wer früh aufsteht, gewinnt den Preis.«

»O, wir gewinnen alle Preise,« grinste Kloot, »wir verfügen über Talente ersten Ranges.«

»Ich weiß, ich weiß,« sagte Pinchas erbleichend. Er sah im Geiste schon Frau Goldwasser in kokett-schelmischer Weise als Ophelia herantrippeln.

»Aber wir können nicht alle unsere Talente in einem Stücke vorführen,« sagte der Direktor.

»Nein, natürlich nicht,« sagte Pinchas mit einem Hoffnungsschimmer.

»Wir müssen unsere Künstler nacheinander vorführen. Wir teilen unsere Kräfte. Ich denke, wenn ich selbst den Hamlet übernehme, so ist das eine Rollenbesetzung, mit der sich selbst der kritischste Autor einverstanden erklären würde.«

»Weiß ich das nicht?« rief Pinchas, »wenn nur Sie Ihre Verse sprächen und alle anderen Partien einfach von dem Souffleur heruntergelesen würden, so müßte das schon genügen, das Haus so zu bezaubern, daß das Publikum vor Staunen erstarrte wie Moses beim Anblick des brennenden Busches.«

»Da dem wirklich so ist,« meinte Goldwasser, »können Sie kaum erwarten, daß auch meine Frau noch eine Rolle übernehmen sollte – –«

»Nein, wirklich nicht,« sagte Pinchas begeistert. »Zwei so tragische Genies würden verwirrend wirken; es würde sein, als ob Mond und Sonne zu gleicher Zeit scheinen wollten.«

Goldwasser hüstelte. »Ophelia ist indessen wirklich nur eine kleine Rolle –« murmelte er.

»Das ist wahr,« gab Pinchas zu. »Das tragische Talent Ihrer Frau könnte nur dann in ›Hamlet‹ zur vollen Geltung kommen, wenn sie, wie eine andere berühmte Tragödin dies tut, selbst die Rolle des Prinzen von Palästina übernehmen würde.«

»Gott möge meine Frau davor bewahren, sich jemals so tief zu erniedrigen! Eine anständige jüdische Hausfrau wird niemals eine Hosenrolle übernehmen.«

»Natürlich, und daher ist ihr Auftreten in meinem Stück unmöglich, denn es ist keine andere Rolle darin, die des Talentes einer Frau Goldwasser würdig wäre.«

»Es kann ja immerhin sein, daß sie bereit wäre, ein Opfer zu bringen,« sagte sinnend der Direktor.

»Wer bin ich, daß ich wagen dürfte, sie zu bitten, ein solches Opfer zu bringen,« meinte der Poet bescheiden.

»Fanny wird Ophelia nicht opfern,« bemerkte Kloot trocken und sich an seinen Chef wendend.

»Hören Sie?« sagte Goldwasser eifrig. »Kleine Frau wird die Ophelia nicht opfern, indem sie diese Rolle einer untergeordnete Kraft überläßt. Sie denkt nur an das Stück. Es ist sehr edel von ihr.«

»Aber sie hat so viel gearbeitet,« sagte der Dichter verzweifelt; »sie bedarf gewiß dringend der Ruhe.«

»Kleine Frau schont sich niemals.«

Pinchas verlor den Kopf. »Aber sie könnte Ophelia verschonen!« stöhnte er.

»Was meinen Sie damit,« schrie Goldwasser in schroffem Tone. »Es ist eine große Ehre für Sie, daß meine Frau sich herab läßt, die Ophelia zu spielen. Damit Schluß!«

»Nein, das ist noch nicht der Schluß,« sagte Pinchas verzweifelt. »Ihre Frau ist doch eine komische Schauspielerin.«

»Sie gaben eben erst zu, daß sie ein tragisches Talent habe.«

»Es ist ein herzzerreißender Anblick, sie in einem Trauerspiele zu sehen,« sagte Pinchas, seine Schiffe hinter sich verbrennend. »Sie tänzelt und trippelt auf der Bühne umher. Ich würde lieber eins Ihrer Känguruhs als Ophelia sehen, als sie –«

»Sie niederträchtiger Affe!« Goldwasser warf dem Dichter beinahe seine Bürste in das Gesicht. »Sie vergleichen meine Frau mit einem Känguruh! Nehmen Sie Ihr elendes Manuskript mit sich, und gehen Sie dahin, wo der Pfeffer wächst.«

»Nun, Fanny würde sich allerdings drollig als Ophelia ausnehmen,« warf Kloot vermittelnd ein.

»Und«, fügte Pinchas eifrig hinzu, »wollen Sie wirklich die Welt des Genusses berauben, Sie als Hamlet zu sehen, nur weil ich nicht wünsche, daß Ihre Frau sich als Ophelia lächerlich mache?«

»Ich kann Hamlete genug bekommen. Jeder Federheld kann Shakespeare übersetzen.«

»Vielleicht; aber kann er auch Shakespeare übertreffen? Wer kann ihn der modernen Seele verständlich machen?«

»Herr Goldwasser!« tönte die Stimme des Rufers von der Bühne, und der zornige Schauspieldirektor verließ rasch das Gemach. Es war ihm offenbar gar nicht unlieb, mit seiner vollen Würde und dem so billig erworbenen Meisterstück entschlüpfen zu können. Kloot blieb allein zurück. Lustig mit den Beinen baumelnd und sich ganz als Herr der Situation fühlend, saß er auf seinem Tische. In müßiger Neugierde und mit der Selbstverständlichkeit und Unverschämtheit, wie sie nur Menschen ohne alle Erziehung entwickeln können, nahm er die Papiere und Briefe des Dichters auf und blätterte ungeniert darin herum. Da sich mit Versen bedeckte Bogen dazwischen befanden, ließ Pinchas es geschehen, ohne Notiz davon zu nehmen.

»Sie werden mit ihm reden, Kloot,« sagte er endlich in bittendem Ton. »Sie werden Ophelia retten?«

Der langnasige Jüngling blickte von seiner impertinenten Beschäftigung auf. »Verlassen Sie sich auf mich, es soll geschehen, und wenn ich selbst die Ophelia spielen sollte.«

»Aber das würde ja noch viel schlimmer sein,« sagte Pinchas ernsthaft.

Kloot grinste, »woher wissen Sie das? haben Sie mich schon auf der Bühne gesehen?«

Der Dichter legte eifrig den Finger an die Nase. »Sie werden mein Stück nicht verderben. Sie werden mir eine jungfräuliche Ophelia zu verschaffen wissen, nicht wahr? Ich und Sie, wir sind die beiden einzigen Menschen in Neuyork, die etwas davon verstehen, wie ein Stück zu besetzen ist.«

»Verlassen Sie sich auf mich,« sagte Kloot. »Ich habe selbst eine Frau.«

»Was?« rief Pinchas.

»Erschrecken Sie nicht – ich meine – ich werde es schon einer beibringen. Sie hat gerade das richtige Alter für die Rolle. Frau Goldwasser könnte ihre Mutter sein.«

»Aber hat sie das Zeug dazu, das Publikum zu Tränen zu rühren?«

»Wollen wir darauf wetten? Sie wirkt wie eine Zwiebel, meine Ophelia.«

»Ich muß sie in der Probe spielen sehen, ehe ich über ihre Annahme entscheiden kann.«

»Natürlich.«

»Und Sie werden mich ganz gewiß in meinem Café aufsuchen, sobald die Proben beginnen?«

»Selbstverständlich.«

Der Dichter sah ihn prüfend an.

»Wie könnten wir denn ohne Sie fertig werden? Sie hätten wirklich nicht so viel Lärm darum zu machen brauchen, wir werden Sie rufen, selbst wenn es mitten in der Nacht sein sollte.«

Der Dichter ergriff entzückt Kloots Hand und drückte einen Kuß darauf.

»Schützer der Poeten,« rief er begeistert. »Ja, Sie werden Sorge dafür tragen, daß mein Stück nicht verstümmelt wird. Sie werden nicht leiden, daß meinem Werke auch nur ein einziges Haar gekrümmt wird.«

»Es soll ihm auch kein Haar abgeschnitten werden,« sagte Kloot feierlich.

Pinchas küßte seine Hand noch einmal. »Ach! Ich und Sie sind die einzigen Menschen in Neuyork, die wahre Poesie zu würdigen wissen.«

»Ganz gewiß.« Kloot zog rasch seine Hand zurück. »Nun aber leben Sie wohl.«

Pinchas sammelte zögernd seine Papiere. »Sie werden auch dafür Sorge tragen, daß mein Stück nicht durch amerikanischen Slang befleckt wird? In Zion sagt man nicht: Sure oder Leih' mir einen Nickel.«

»Nein,« sagte Kloot, »das denke ich auch. Leben Sie wohl!«

»Deshalb können Sie mir jedoch immerhin einen Nickel zum Fahrgeld leihen!«

Kloot dachte, daß er gern fünf Cents bezahlen wolle, um ihn endlich loszuwerden. Er reichte ihm das Geld.

Der Dichter ging. Einen Augenblick später öffnete sich die Tür jedoch, und den Zeigefinger warnend an die Nase gelegt, erschien sein Kopf in dem Türspalt.

»Sie versprechen mir all dies?«

»Habe ich es nicht schon versprochen?«

»Schwören Sie es mir!«

»Wollen Sie dann auch gleich gehen – wenn ich es schwöre?«

» Yup,« sagte Pinchas, sich nun selbst mit amerikanischem Slang brüstend.

»Und Sie werden nicht eher wiederkommen, bis die Proben beginnen?«

»Nup.«

»Nun, dann schwöre ich es – bei dem Leben meiner Eltern.«

Pinchas ging beruhigt fort, ohne zu wissen, daß Kloot eine Waise war.

 

III.

Kurz vor dem Passahfeste lag Pinchas eines Morgens mit einer Zigarette im Munde auf seinem Bett und las die Morgenzeitung bei dem Lichte einer Kerze, denn er bewohnte eines jener unzähligen düsteren Zimmer, die Neuyork zu einem Paradies für Photographen machen. Der gelbe Schein seines Lichtes fiel auf sein einem Propheten ähnlich sehendes Gesicht, dessen lebhafte Züge in fortwährender Bewegung waren, während seine Augen die Spalten des Blattes kritisch überflogen, dessen jiddischer Text stark mit amerikanischen Ausdrücken durchmischt war. Plötzlich drang ein seltsam glucksender Ton durch den Zigarettenrauch. Er las die Anzeige noch einmal.

Der jiddische Hamlet sollte während des Passahfestes das Zugstück von Goldwassers Theater werden. Autor des Stückes war der weltberühmte Dichter Melchisedek Pinchas; die Musik war von Ignaz Levitzky, dem ebenfalls weltberühmten Komponisten.

»Dem weltberühmten Komponisten?« schrie Pinchas den Wänden seiner Kammer zu »Wer hat jemals etwas von Ignaz Levitzky gehört? Und wer fragt nach seiner Musik? Die Tragödie eines Denkers bedarf der Begleitung schriller Geigen nicht. Denkt Goldwasser vielleicht, daß ich ein Melodrama geschrieben habe? Das höchste, was ich allenfalls gestatten würde, wäre eine Ouvertüre – oder Zymbeln, die mich beim Hervorruf mit hellem Klang begrüßen dürften.«

Er sprang aus dem Bette. Größer noch als sein Zorn über diese Einschmugglung Levitzkys war seine gerechte Entrüstung darüber, daß die Premiere seines Stückes so nahe bevorstand, ohne daß man ihm auch nur die kleinste Nachricht hatte zugehen lassen. »Diese Hunde, diese Lügner!« Er war seinem Versprechen treu geblieben, hatte sich fern von dem Theater gehalten. Aber Goldwasser? Und dieser Kloot? Ach, dieser gottlose Mensch, der einen Eid auf das Leben seiner Eltern abgelegt hatte! Wer weiß, was diese Schurken aus dem hebräischen Hamlet gemacht und wie sie das Meisterwerk verhunzt hatten? Wahrscheinlich war jeder Vers verändert und beschnitten worden, ja, wer weiß, ob nicht am Ende gar eine ganze Szene preisgegeben wurde, nur um mehr Zeit für diese elende Musik zu gewinnen.

Er warf sich in seine Kleider, ergriff seinen Stock, und ohne gefrühstückt zu haben, eilte er, so rasch er nur konnte, zum Theater, wo er ganz atemlos ankam. Die ihm durch das Vestibül entgegentönende Orchestermusik beeinträchtigte das Vergnügen, das er trotzalledem empfand, als er überall Plakate angeheftet fand, die die Premiere des »Jiddischen Hamlet« verkündeten. Er gönnte sich nur einen Augenblick, um seinen in großen Buchstaben gedruckten Namen zu lesen. Ein Stoß auf eine große Tür, und er blickte auf eine hell erleuchtete Bühne, die sich im Hintergrunde des verdunkelten Theatersaales befand. Goldwasser, der ganz weiß geschminkt war, stand als Hamlet auf den Zinnen der Stadt Davids und blickte auf die Kuppeln und Minarets Jerusalems.

Mit einem halb zornigen, halb begeisterten heiseren Schrei stürzte Pinchas in den Saal und eilte dem fidelnden und paukenden Orchester zu.

Eine harmlose Kehrfrau, die ihm im Wege stand, wurde einfach umgerannt; aber der ihr entfallene Besen geriet Pinchas zwischen die Füße; er kam polternd zu Falle, und eine Wolke von Staub bezeichnete die Stelle, wo eben noch der Dichter gestanden.

Goldwasser unterbrach die Probe. »Können Sie nicht ruhig kehren,« donnerte er wütend von der Bühne herab.

Ignaz Levitzky schlug seinen Taktstock auf und nun pausierte auch das Orchester.

»Ich bin es, der Autor des Stückes,« sagte Pinchas, sich mühsam wie eine heidnische Gottheit aus grauen Staubwolken hervorarbeitend.

Hamlets Gesicht wurde so düster wie sein Mantel. »Und was wünschen Sie?«

»Was ich wünsche?« wiederholte Pinchas starr vor Staunen.

In diesem Augenblick tauchte Kloot aus den Kulissen auf; er trug seine spitze Mütze wie gewöhnlich und verzehrte ein belegtes Butterbrod.

»Sieh da,« sagte er, »da ist ja unser Shakespeare. Ich komme eben aus dem Café, wo ich Sie gesucht habe. Ich bekam dort dieses Butterbrot.«

»Über dies – dies ist doch nicht die erste Probe,« stammelte schon etwas besänftigt Pinchas.

»Allerdings, dies ist die erste Kostümprobe,« antwortete Kloot mit größter Seelenruhe, »wir behelligen die Autoren unserer Stücke niemals mit der rauhen Arbeit. Sie legen nur die letzte vollendende Hand an. Aber wollen sie nicht auf die Bühne kommen?«

Unfähig, ein glückliches Grinsen zu unterdrücken, stampfte Pinchas durch das halbdunkle parterre, wo er sich fast bei jedem Schritte die Schienbeine zerstieß, vor dem Orchester angekommen, sah er sich einem Abgrund gegenüber. Er wandte sich der links vor dem Proszenium liegenden Theaterloge zu, deren Sitze mit brauner Serge überzogen waren.

»Nein,« rief Kloot ihm zu, »jene Tür ist abgeschlossen; Sie müssen zurückgehen und dann hinten durch die zu der Bühne führende Tür eintreten.«

Pinchas wandte sich und legte stolpernd und überall anstoßend den eben gemachten weg zurück, vor den Anschlagsäulen angelangt, gönnte er sich einen Augenblick Ruhe. Sein Blut erstarrte. Nicht nur, daß der Name Ignaz Levitzky mit ebenso großen Buchstaben wie der seine gedruckt war, darunter stand in noch viel größerem Drucke ein anderer Name:

Ophelia … … Fanny Goldwasser.

Sein Zorn wurde aufs neue entfacht; er eilte zu der nach der Bühne führenden Tür. Er stieß sie auf; dann aber verbarrikadierte ihm plötzlich ein großer und starker Mensch den Weg, und eine rauhe Stimme fragte ihn, was er hier suche?

»Ich bin der Autor«, sagte er mit ruhiger Würde.

»Autoren werden niemals eingelassen«, war die einfache Antwort.

»Aber Goldwasser erwartet mich«, protestierte der Dichter.

»Das glaube ich nicht. Herr Kloot hat strikten Befehl gegeben. Er sagt, es ginge nicht, daß die Autoren umherstehen und Maulaffen feilhalten.« Während er noch sprach, vernahm Pinchas von der nahen Bühne her die Stimme Goldwassers, der eine Opernmelodie sang; da ergriff den Dichter ein schwindelndes Gefühl, er wurde von dem verzweifelnden Bewußtsein erfaßt, das Opfer eines Verrates und seltsamen Komplottes geworden zu sein. Er wandte sich und rannte nach dem Vestibül zurück. Aber er fand verschlossene Türen. Er schlug mit seinem Stocke, mit Händen und Füßen dagegen, bis endlich ein großer Schutzmann ihm klarmachte, daß es wirklich besser sei, ruhig nach Hause zu gehen, da, wenn er nicht mit Lärmen aufhöre, er gezwungen sei, ihn zu verhaften.

Zeit jenem Tage, bis zu dem Abende, der nun wirklich die Premiere des »Jiddischen Hamlet« brachte, lastete das Leben wie ein Alp auf unserem armen Pinchas. Er hatte sich darein, ergeben, von den Proben ausgeschlossen zu sein. »Sie fürchten, daß ich die Ophelia wegschieben werde,« erklärte er seinen Anhängern im Café.

Aber es wartete seiner noch ein letzter harter Schlag, man sandte ihm kein Billet zu der Premiere; er konnte sein versprechen, der Gemeinde des Cafés Logen zur Verfügung zu stellen, nicht einlösen, und da er unter solchen Umständen scheute, sich in dem Lokal zu zeigen, geschah es, daß er mehr als einmal hungrig zu Bette gehen mußte.

Über daß ihm selbst der Einlaß verweigert werden Könnte, als er auf sein ehrliches Gesicht hin als Autor des Stückes an dem Haupteingang wie an der Bühnentür um Zutritt bat, diese Möglichkeit war ihm doch nicht in den Sinn gekommen.

»Schweine seid Ihr! Schweine! Schweine!« schrie er wütend dem Billetverkäufer zu. »Sie und Goldwasser und Kloot! Schweine! Schweine! Schweine! Ich habe wahrhaftig meine Perlen vor die Säue geworfen. Über ich will mich nicht von Ihnen zwingen lassen. – Ich will ein Billet kaufen.«

»Wir haben ausverkauft,« sagte der Mann am Billetschalter und fügte rücksichtslos hinzu: »Jetzt machen Sie aber, daß Sie fortkommen; andere Leute wünschen auch noch Plätze zu kaufen.«

»Ihr könnt mich nicht ausschließen wollen. Es ist eine Verschwörung!« Er versuchte, mit Gewalt einzudringen, wurde aber schonungslos hinausgeworfen. Nun lief er wieder zurück an die Bühnentür und versuchte sich an dem gewaltigen Türhüter vorbeizudrängen. Dieser jedoch stieß ihn rauh zurück und die zur Bühne führende Tür schloß sich vor seinen Augen. Tief gedemütigt stand er vor der geschlossenen Pforte und brach verzweifelt in wilde hebräische Flüche aus. Nachdem er seinen ganzen ziemlich reichen Vorrat von Verwünschungen verausgabt hatte, kehrte Pinchas zu dem Haupteingange zurück. Das Vestibül war jetzt beinahe leer, und einige Fremde standen noch vereinzelt darin umher. Die Aufführung seines Stückes hatte begonnen. Und er – er – der Gott, durch dessen Geist diese ganze Maschinerie in Bewegung gesetzt wurde, der dieses ganze große Haus durch sein heiliges Feuer erwärmte, mußte hier draußen in der Kälte und Dunkelheit stehen, und es wurde ihm nicht einmal gestattet, in den Korridoren zu weilen. Er würde diese verzweifelte Lage kaum ertragen haben, wenn nicht das Geräusch des reichen Applauses, der aus dem Hause drang, ihn einigermaßen getröstet hätte.

Plötzlich kam ihm eine Idee. Er eilte in die nächste Drogerie bat um Einlaß zum Telephonkabinett und setzte sich in Verbindung mit Goldwasser.

»Hallo!« antwortete die Stimme Kloots, »wer ist da?« Es war Pinchas, als sähe er den langnäsigen jungen Mann mit seiner spitzen Mütze auf dem neben dem Telephon stehenden Tische sitzen und mit den Beinen baumeln. Aber er antwortete mit verstellter Stimme: »Sind Sie es, Goldwasser?«

»Nein, Goldwasser ist auf der Bühne.«

Pinchas stöhnte. Aber in demselben Augenblick vernahm er Goldwassers Stimme; der Direktor war offenbar eben in das Bureau gekommen. Er sagte in vergnügtem Tone: »Es gefällt außerordentlich, Kloot; sie schlürfen es ein wie Eiscreme mit Soda.«

Kloot antwortete darauf: »Sie werden an dem Telephon gewünscht.«

»Hallo!« rief Goldwasser.

»Hallo,« antwortete Pinchas jetzt mit unverstellter Stimme. »Möchten Sie eines jähen Todes sterben! Möchte der Vorhang sich über einem sich in Krämpfen zuckenden Epileptiker senken, möchte –«

»Ich kann nicht verstehen,« sagte Goldwasser. »Sprechen Sie deutlicher.«

»Ich will deutlich sprechen: verfluchter Schweinehund. Niemals wieder soll eins meiner Werke in Ihrer schmutzigen Geldfabrik aufgeführt werden. Ich speie auf Sie, da –« Er spie wütend auf das Telephon. »Ihr Vater war ein Meschummad (ein Abtrünniger) und Ihre Mutter – –« Aber Goldwasser hatte die Verbindung aufgehoben. Pinchas schloß den Satz zu seiner eigenen Genugtuung mit den Worten: »eine gewöhnliche ›irische Ofenheizerin‹.«

»Das war zehn Cents wert,« murmelte er, als er wieder draußen war. Er ging vor dem Theater auf und nieder oder lehnte sich, wenn er zu sehr ermüdete, auf seinen Stock wie auf ein Schwert; der Gedanke, daß es ihm trotz der Vorsichtsmaßregeln Goldwassers gelungen war, diesem seine Verachtung kundzugeben, belebte ihn offenbar.

Endlich änderte sich seine Lage etwas. Sein Notizbuch in der Hand, kam der heidnische Journalist aus dem erleuchteten Hause, in das Eingang zu gewinnen Pinchas heißester Wunsch war. Er zögerte, als er den Dichter sah.

»Ich muß mich sehr beeilen, Pin – cuß,« sagte er entschuldigend, »wenn im Morgenblatt schon etwas über Ihr Stück erscheinen soll. Ihre Leute sind so verdammt langsam – nun ist es beinahe elf Uhr; erst zwei Akte sind vorüber. Sie müssen sie ein wenig anspornen Adieu.«

Er schüttelte dem Dichter die Hand und eilte davon. Pinchas aber, dem plötzlich ein guter Gedanke gekommen war, jagte ihm nach und holte ihn in dem Augenblick ein, als der Journalist in einen Straßenbahnwagen springen wollte.

»Haben Sie Ihr Theaterbillett noch?« keuchte er.

»Wozu?«

»Geben Sie es mir!«

Der Journalist suchte in seiner Westentasche und warf ihm das zerdrückte Billett zu. »Wozu, in des Teufels Namen?« Das rasche Abfahren des Wagens enthob Pinchas der Antwort.

Der Dichter hatte für den Augenblick nur Gefühl für die Unwürdigkeit seiner Lage, und der Gedanke, daß der Journalist als Rächer der ihm angetanen Schmach auftreten könne, war ihm gar nicht gekommen. Er glättete sorgfältig das erhaltene Billett, und ehe nur der verblüffte Türhüter die neue Situation begriffen, befand er sich in dem überfüllten Theater. Pinchas fand sofort den leeren Stuhl in der der Bühne zunächst gelegenen Journalistenloge. Er hatte schon Platz darauf genommen, als der Beauftragte der Direktion ihm nacheilte und ihn davon zu vertreiben suchte.

»Dies ist mein Haus,« schrie Pinchas ihn an. »Ich bleibe hier. Laßt mich in Ruhe. Schweine, Schlangen, Behemothe.«

»St, st!« tönte es von allen Seiten. »Bleibt sitzen –« werft ihn hinaus –« Aber im selben Augenblicke ging der Vorhang auf, und Pinchas war gerettet.

Doch es harrten seiner noch größere Qualen. Der dritte Akt begann. Hamlet sprach mit der Königin. Der Dichter spitzte die Ohren. Was für eine Sprache war das? Sicher nicht die Shakespeares oder die des selbst Shakespeare überlegenen Autors. Ihr Engel und guten Geister steht ihm bei! Dies war nur der Jargon des Schmierenkomödianten, der mit Redensarten der Hesterstraße gewürzt war. »Du hast zu viele tote Fliegen auf dir,« sagte Hamlets Mutter zu ihm. Pinchas keuchte wie unter einem Alpdruck, und dieser Druck wurde schwerer und schwerer. Hamlet und seine Mutter öffneten den Mund – und sangen! Ihre Lieder waren heiterer und leichtfertiger Art, und die Vortragenden hatten eine Reihe von Da Capo-Versen in Bereitschaft, mit denen sie für den empfangenen Beifall dankten. Die Schauspieler sowohl wie das Publikum hatten Zeit genug, und die Mitternachtsstunde bedeutete hier keineswegs Schluß des Theaters, wenn es endlich keine Da Capo-Verse mehr gab, wandte sich Ignaz Levitzky um und verbeugte sich dankend vor dem Publikum. Stieren Auges starrte Pinchas auf die Bühne. Auf seinen Lippen sammelte sich Schaum.

Nun hüpfte Frau Goldwasser heran; mit ausgelassen phantastischer Tollheit sang sie ihre Lieder, die, in komische Couplets verwandelt, von dem Publikum mit allgemeiner Heiterkeit ausgenommen wurden. Anstatt mit Raute und Rosmarin geschmückt zu sein, trug sie einen grünen Lulov – den Palmzweig des Festes des Tabernakels – und schwenkte ihn fromm nach allen vier Himmelsgegenden hin; das Publikum begleitete jede ihrer Bewegungen mit tollem Gelächter. Als dann einen Augenblick später eine weiße Gestalt im Cake walk-Schritt erschien, nahm die ausgelassene Heiterkeit und das laute Lachen der Zuhörer einen beinahe hysterischen Charakter an. Es war der Geist, der Ophelia zu erschrecken kam. Die Baßnoten seiner Grabesstimme mischten sich mit den hohen schrillen Soprantönen der entsetzten Ophelia.

Das war der letzte Tropfen. Der Geist – der Geist, den er für immer begraben wähnte, der Geist, der aus dieser Tragödie des Denkers ein Melodrama schuf – war wieder auferstanden – und er tanzte Cake walk.

Pinchas vermochte nicht länger seiner Aufregung Herr zu werden, er sah rot aus, und stürzte unbemerkt von dem lachenden und lärmenden Publikum auf die kleine eiserne Türe und suchte auf die Bühne zu gelangen. Im selben Augenblicke jedoch streckte sich eine Hand nach ihm aus – die Hand, die er geküßt –, faßte Pinchas am Kragen und zog ihn zurück.

»Man hat Sie noch nicht hervorgerufen,« sagte ohne jede Verwirrung der unverschämte Kloot.

»Lassen Sie mich gehen. Ich muß zu dem Publikum sprechen. Es soll die Wahrheit erfahren. Es denkt, daß ich, Melchisedek Pinchas, Autor dieses Tohuwabohu sei. Meine Sonne wird untergehen. Man wird vom Hudson bis zum Jordan über mich lachen.«

»Still, still, Sie stören das Spiel.«

»Wer ist es, der mein Stück in so grausamer weise verhunzt hat? Reden Sie!«

»Ich habe es nur für die Bühne arrangiert,« sagte Kloot uneingeschüchtert.

»Sie?« keuchte der Dichter.

»Sie sagten, ich und Sie seien die zwei einzigen Männer, die es verständen, wie man Poesie behandeln müsse.«

»Sie? Was verstehen Sie von Poesie,« zischte der Dichter, »Sie haben eine Verschwörung angestiftet, um mich dem Theater fernzuhalten. Ich werde Sie fordern.«

»Wir müssen uns alle Autoren fernhalten. Denken Sie nur, wenn Shakespeare auferstanden und sich über Sie beschwert hätte?«

»Shakespeare würde mir nur zu dankbar gewesen sein –«

»Still nun, das Spiel beginnt.«

Hamlet trat aus der gegenüberliegenden Kulisse hervor. Pinchas sprang mit einem wilden Satze voran, aber Kloots starke Faust hielt ihn mit eisernem Griff am Kragen fest.

»Wer ist es nun, der die Poesie schädigt,« fauchte Kloot ihn ärgerlich unter seiner spitzen Mütze an. »Sie werden die ganze Szene verderben.«

»Still, Sie Lügner! Sie versprachen mir, daß Ihre Frau die Ophelia spielen solle.«

Kloot lächelte: »Ganz gewiß, das soll sie auch; die erste Frau, die ich heiraten werde, soll es tun.«

Pinchas knirschte mit den Zähnen. Goldwasser begann ein fröhliches Lied.

»Ich denke, Sie schulden mir das Fahrgeld noch?« sagte Kloot besänftigend.

Pinchas winkte ungeduldig mit dem Stock.

»Warum singt Hamlet?« fragte er gebieterisch.

»Weil es Passahzeit ist,« sagte Kloot. »Sie sind wirklich noch ein »Grüner« in Neuyork, sonst müßten Sie es doch wissen, daß es eine Tradition ist, hier zum Passahfest Singspiele zu geben. Keine andre als eine derartige Aufführung würde ein volles Haus machen. Sie sind ein so unvernünftiger Mensch. Wozu hätten wir denn sonst Ihren Hamlet annehmen sollen, wenn es nicht war, um ihn zu einem Passahspiel zu benutzen?«

»Aber Hamlet ist kein Singspiel.«

»Ja, das ist er ganz gewiß, warum würde sonst Ophelia singen? Ihre Lieder waren es, die den Ausschlag gaben. Natürlich mußten sie zurechtgestutzt werden.«

»Aber Hamlet ist eine Tragödie,« stöhnte Pinchas.

»Zugegeben,« sagte Kloot sehr vergnügt. »Sie sterben ja zum Schlüsse samt und sonders. Aber unser Publikum würde auch gar nicht zufrieden sein, wenn es anders wäre, warten Sie nur, bis alle tot sind, dann wird man Sie herausrufen.«

»Mich herausrufen – für Ihr Stück?«

»O, wenn Sie nur aufmerksam hinhorchen wollen, so werden Sie finden, daß eine ganze Menge Ihrer Verse geblieben ist. Nur, daß Sie absolut nichts von der Bühnentechnik verstehen! O, ich beklage mich nicht darüber, wir sind ganz zufrieden. Die Idee, den Hamlet für das jiddische Theater umzuarbeiten, ist die Ihre, und sie ist jeden Cent wert, den wir dafür bezahlten.«

Ein donnernder Beifallssturm schien die Worte des Redners bestätigen zu wollen, er steigerte gleicherzeit die Aufregung des Dichters bis zu momentanem Wahnsinn, was! Dieser Affe Goldwasser erntete Beifall und Bewunderung, während er, der große Dichter, in das Dunkel zurückgedrängt ward und man sein Werk verspottete und verstümmelte? Wie Samson unter den Philistern nahm er seine ganze Kraft zusammen und riß sich, einen Rockkragen in Kloots Hand lassend, los, um mitten auf die hellerleuchtete Bühne zu stürzen. Goldwasser sah ihn erschrocken an.

»Verseverderber.« Der Dichter schwang seinen Stock und versetzte Hamlet einen scharfen Hieb über die rechte Wange bis zum Auge. »Schänder der Poesie!« ein zweiter Schlag traf ihn auf die linke Wange und das linke Auge.

Der völlig überrumpelte Prinz von Palästina stieß bei jedem Hiebe einen gellenden Angstschrei aus, währen Kloot mit großer Geistesgegenwart rasch den Vorhang über diese tragischen Szene fallen ließ.

Diese Aufregung und der Tumult, das wilde Durcheinandergeschrei, das zu beiden Seiten des Vorhangs entstand! Übrigens gelang es dem Dichter, ungestraft zu entfliehen. Goldwasser war ein Feigling, Kloot ein weiser. Mit derselben Klugheit, die Kloot veranlaßte, die Autoren von der Vorstellung ihrer Stücke auszuschließen, wußte er unter allen Umständen jedes Renkontre mit der Polizei zu vermeiden. Außerdem hätte ein geschickter Advokat immerhin beweisen können, daß Pinchas' Ausschließung von dem Theater ungesetzlich sei. Was geschehen, war eben geschehen. Die Würde Goldwassers wurde am besten gewahrt, wenn er sich eine Zeitlang seine Beefsteaks privatim servieren ließ, und wenn man eine Version des Geschehenen verbreitete, die unanfechtbar war – ausgenommen vor einem Gerichtshofe. Es war ja schlimm genug, daß der heidnische Journalist ein so drastisches Bild des mitternächtlichen Melodramas in die Zeitung brachte, ein Bericht, der noch dunkler gefärbt war als Goldwassers Augen. Kloot war zuerst froh gewesen, daß der Journalist das Haus vor jener Episode verlassen hatte, aber als er den Bericht las, wünschte er doch, der Schreiber desselben wäre geblieben.

»Mit den Beulen im Gesicht wird er fürs erste den Hamlet nicht spielen,« prophezeihte Pinchas, als er um Mitternacht wieder in seinem Café erschien.

Radsikoff strahlte vor Vergnügen und füllte immer wieder Pinchas' Glas mit Champagner. Er hatte sein Versprechen gehalten und hatte der Premiere beigewohnt; jetzt bezahlte er des Dichters Abendessen.

»Sie sind der erste Dramenschreiber, den unterzukriegen Goldwasser nicht gelungen ist,« kicherte er.

»Ach,« sagte der Poet nachdenklich: »Die Tat ist größer als der Gedanke. Die Tat ist das größte in der Welt.«


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