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VIII.

Iduna erwartete ihr Kind.

Sie erwartete es mit leiser Angst, ohne Freude.

Ihr feines ästhetisches Empfinden litt bei allem, was ihr Zustand Widerwärtiges mit sich brachte. Ihr ekelte vor ihrem eigenen Spiegelbild. Sie weinte manchmal heimlich, wenn sie ihr müdes, gelbliches Gesicht sah.

Und dann überkam sie stumpfe Gleichgültigkeit ...

Sie vernachlässigte sich in ihrer Kleidung, verwendete keine Sorgfalt mehr auf ihr Haar. Und daß Delten dies nicht rügte, ihre äußere Veränderung kaum zu bemerken schien, dies ertötete in ihr den letzten Rest von Gefallsucht.

Sie kleidete sich vor ihm an und aus, ohne eine Gefühl der Gène, gleichgültig, als wäre sie keine Frau, als wäre er kein Mann. Sie hatte das Bewußtsein ihrer Weiblichkeit verloren.

Sie sprach mit ihm über ihren Zustand wie mit einem Arzt, nicht wie mit dem Vater ihres Kindes.

Sie sagte auch niemals: unser Kind, sondern immer nur: das Kind.

Manchmal, in ruhigeren Augenblicken, hoffte sie, es würde ein Sohn sein. Dann kam ihr der Traum in Erinnerung, den sie als Mädchen öfters gehabt hatte, wie sie zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn im Garten lustwandelte.

Sie wußte aber nicht einmal, ob sich ihr Mann über das Kind freute. Er war immer sehr ernst, wenn er von ihm sprach, und sagte oft:

»Das Kind wird deinem Leben erst Wert und Inhalt geben.«

Sie blickte dann starr vor sich hin. »Wert und Inhalt ...! Tote Worte waren es. Wo blieb das Glück.«

Delten zwang sie zu weiten Spaziergängen. Dann wählte sie Straßen, in denen sie sicher war, keinem Bekannten zu begegnen. Sie kam sich zwar selbst bemitleidenswert vor, aber sie wollte nicht von Fremden bemitleidet werden.

Auf diesen Spaziergängen traf sie junge Frauen wie sie selbst, die sich schwer auf den Arm ihres Gatten stützten. Diese Frauen hatten so einen eigentümlich ruhigen Ausdruck satten Glückes in ihren Zügen, ihre Augen hatten einen feuchtschimmernden, nach innen gekehrten Blick, um ihren Mund spielte ein mildes Lächeln und es ging von ihnen aus wie stolze Erwartung einer göttlichen Offenbarung ...

Sie selbst aber empfand nichts von überschwenglichem, großem Glück. Nur Unruhe, physische Angst vor Bevorstehendem, Ekel vor Gegenwärtigem.

Wenn Delten sie trübe und schweigsam sah, dann spöttelte er leicht über ihre kindische Angst oder verwies ihr ernst das fruchtlose, ungesunde Grübeln. Einmal wurde er scharf:

»Es ist einer anständigen Frau nicht würdig, sich in einem solchen Fall zu benehmen, wie du es tust. Es ist dirnenhafte Frivolität, in der Ehe die Liebe zur Lust herabzuwürdigen, statt die Lust zu adeln durch das Sehnen nach dem Kinde.«

Sie wurde ganz blaß bei seinen Worten, ihre Lippen bebten vor Erregung, ganz brutal antwortete sie:

»Aber ich habe keine Sehnsucht nach dem Kinde, nein, nein, nein ... Und wenn es da sein wird, rot, runzelig, häßlich, wenn es schreien wird, und es im ganzen Hause nach Windeln und Kamillentee riechen wird, so kann mich das nicht glücklich machen, nein, das kann es nicht!«

Er war beinahe erschreckt über ihren Ausbruch. Er nahm ihre Hände, und in weicherem Ton, wie in früheren Zeiten, fragte er:

»Fühlst du denn wirklich nichts, gar nichts? Es ist doch Fleisch von deinem Fleische, Blut von deinem Blute?!«

Aber sie verbiß sich förmlich in ein Gefühl der Empörung.

»Gar nichts fühle ich. Nur daß ich häßlich werde und schwerfällig, daß ich keine Freude mehr habe an Licht und Luft und Sonne, daß ich unter einem beständigen Druck lebe, einer beständigen Furcht, daß ich mich oft einer Ohnmacht nahe fühle, daß es in meinem Innern wühlt und brennt, daß ich mein Dienstmädchen beneide, das sich frei bewegen kann und abends sorglos ihr Lied in der Küche singt ... ja, das allein fühle ich.«

Sie brach in konvulsivisches Schluchzen aus und warf sich auf ihr kleines Sofa. Er stand eine Weile schweigend neben ihr. Sein bleiches Gesicht war noch um einen Schatten bleicher geworden, und er biß die Zähne auf die Unterlippe, als wenn er gewaltsam eine Antwort unterdrücke.

Idunas Schluchzen wurde leiser, und dann sagte er mit klangloser Stimme, den Blick ins Weite gerichtet:

»Wir wollen nie mehr darüber sprechen, Iduna, hörst du, nie mehr. Um deinetwillen und vielleicht auch um meinetwillen. Wir wollen unsere Schuld nicht vergrößern, nicht uns und nicht dem unschuldigen Wesen gegenüber, das uns zu Eltern haben soll.«

Wieder stand er wie abwartend neben ihr. Aber sie hob den Kopf nicht, nur ihre Schultern zuckten noch vom verhaltenen Schluchzen. Er atmete tief und leise auf, ein starrer Zug legte sich ihm um den Mund, seine Augenbrauen zogen sich finster zusammen. Gebeugten Hauptes verließ er das Zimmer.

In Iduna bildete sich seit jenem Tage eine merkwürdige, krankhafte Abneigung gegen ihren Mann aus. Sie vermied es, mit ihm zusammen zu sein, mit ihm auszugehen. Wenn sie seine Stimme hörte, war sie versucht, die Hände vor die Ohren zu legen, um ihn nicht zu hören. Wenn er unvermutet in ihr Zimmer trat, zuckte sie zusammen; wenn sie mit ihm sprach, irrten ihre Augen weit ab, als ob ihr das Betrachten seines scharf geschnittenen, bleichen Gesichtes Pein bereitete.

Wochen und Monate vergingen. Dann kam die lange, endlose Nacht ...

Zwei Ärzte standen an Idunas Bett mit ernsten, besorgten Mienen.

Um die sechste Morgenstunde lag ein kleines rotes Ding im Korbwagen. Iduna aber war noch im narkotischen Schlaf – sie hatte den ersten Schrei ihres Kindes nicht gehört. Und später, als sie aufwachte und man ihr das Kind reichte, sah sie es mit toten, glanzlosen Augen gleichgültig an. Dann ging es wie Widerwillen über ihr Gesicht.

»Pfui, es hat schwarze Haare.«

»Aber, aber! So ein hübsches Kind«, sagte die Hebamme mißbilligend, »und dann sind wir auch ein kleines Mädchen, Mama, ein schönes, kleines Mädchen, kein schlimmer Junge.«

Dieses erste »Mama« aus dem welken Munde der ältlichen Frau berührte Iduna unangenehm. Sie schob das Kind mit einer müden Bewegung von sich.

»Warum es nur so schwarze Haare hat?« fragte sie.

Die Hebamme lachte.

»Wenn die erst ausfallen, kann niemand wissen, ob nicht blonde Haare nachkommen, ganz goldblonde. Aber der Herr Papa ist ja auch schwarz ...«

Der Herr Papa ... ja richtig. In diesem Augenblick dachte Iduna gar nicht an ihren Mann, aber nun entsann sie sich, dunkel wie im Traum, daß sie im Laufe dieser Nacht Deltens Gesicht öfters vor sich gesehen, und daß sie sich immer abgewendet hatte von ihm, bis ihn die Ärzte fortschickten.

»Wo ist mein Mann?« fragte sie die Frau.

»Er frühstückt mit den Herren Doktoren. Haben's redlich verdient, die Herren. Was Sie ihnen zu schaffen gemacht haben, junge Frau!«

»So ...«

Es war beinahe etwas Selbstgefälliges in Idunas Lächeln, eine kindische, nachträgliche Eitelkeit über das Ausgestandene, an das sie sich kaum erinnerte.

»Und was Sie alles zusammengesprochen haben!«

»Gesprochen habe ich?«

»Jawohl, ohne zu wissen, vor Aufregung, immerzu haben Sie gesprochen: vom Feuer, das sie brannte und von einem Klaas ... und dann riefen Sie jemanden ... so ein komischer Name war es ... und ins Gymnasium sollte man laufen, ihn holen, und dann riefen Sie: nach Hause will ich, nach Hause, und dann wieder der komische Name, so englisch klang er ... Ich weiß es von einer Dame aus meiner Kundschaft, die Engländerin ist ...«

Iduna wurde nun ganz still. Sie fragte auch nicht weiter, als fürchtete sie, die Frau würde ihr gleich den Namen nennen, der ihr im Fieberwahn unbewußt von den Lippen gekommen war.

Georgy, Georgy! ...

Warum mußte sie gerade jetzt an ihn denken, an den weichen, sanften Gespielen ihrer Kindheit. Was hatte er noch mit ihrem Leben zu tun? ...

Das Kind fing an zu quäken, die Hebamme nahm es auf die Arme und wiegte es leise summend hin und her.

Warum es nur gerade so eine dichte Tolle schwarzer Haare hatte! So abscheulich schwarz ... Und ein Mädchen war es auch. An diese Möglichkeit hatte sie überhaupt nie gedacht. Auch daran nicht, wie es heißen sollte.

»Sst ... sst ... Lottchen«, beruhigte die Hebamme und klopfte mit der flachen Hand auf das Steckkissen, »still, still, Lottchen ...«

Lottchen! Das war so ein richtiger Sammelname, das paßte für so ein Kind, das ungebeten und unerwünscht seinen Einzug in die Welt hielt. Darin war doch wenigstens nichts so Hochtrabendes, Verschrobenes, wie in dem Namen Iduna!

Mochte die Kleine Lottchen heißen. Iduna war froh, daß sie sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen brauchte. Aber da fiel ihr ein: hieß nicht ihre Mutter auch Charlotte? Wurde sie nicht auch von allen Verwandten Lottchen genannt. Sie hatte schon als Kind dieses ewig wiederkehrende triviale »Lottchen« gehaßt, und nun sollte sie es bei ihrem Kinde wieder hören.

»Mag sie Lolo heißen«, entschied Iduna innerlich.

»Lolo«, sagte sie leise vor sich hin.

Der Klang des Namens gefiel ihr, er tröstete sie beinahe über die schwarze Tolle. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie ein.

Als Delten eine Stunde später ins Zimmer trat, schlief Iduna noch immer. Die Hebamme war im Lehnstuhl eingenickt, und die kleine, schwarzhaarige Lolo lag friedlich schlummernd, mit hochemporgezogenen Fäustchen im Korbwagen.

Am Nachmittag traf eine Depesche von Idunas Vater ein, in Antwort auf das von Delten abgesandte Telegramm. Es war das erste Lebenszeichen von ihm, seit Idunas Abreise.

Iduna war sehr bewegt und las die wenigen Worte immer wieder durch. Sie stellte sich ihren Vater vor, wie er des Morgens das Telegramm erhalten hatte, dann aufgeregt hin und her gegangen war, im Kampfe mit sich, ob er antworten solle oder nicht –, dann, wie die weiche Stimmung den Sieg davon getragen, und er endlich im raschen Entschluß ein paar Worte auf das Papier geworfen und den Zettel aufs Telegraphenamt geschickt ... rasch, rasch, damit es ihm nicht noch leid werde zu guter Letzt ...

Sie war in diesen Tagen, wo absolute Ruhe geboten war, in Gedanken viel im alten Elternhause. Sie dachte an ihre Kindheit zurück, an ihre englische Gouvernante, an die Streifzüge durch Wald und Feld, an ihre Lernstunden, die verschiedenen Lehrer, an das sehnsuchtsvolle Hoffen, das sie oft im Frühling überkommen, an frühen Morgenstunden, wenn alles noch um sie herum schlief und der Tag langsam in funkelndem Sonnenglanze anbrach ... Sie dachte an ihre kindische Verliebtheit zurück, an ihr Sehnen hinaus über die engen Grenzen ihrer grauen Alltäglichkeit, an das bange zitternde Erwachen eines neuen, höheren Lebens ... Und sie dachte auch daran, wie sich doch eigentlich nichts erfüllt hatte von ihrem Sehnen, von ihrem Hoffen, ihrer Glückserwartung.

Sie war nun an einen Sonderling gebunden, einen trockenen Gelehrten, einen halben Asketen, und neben ihr lag ein kleines, quäkendes Kind, dem sie Mutter zu sein hatte. Ein neues Leben hatte sie geschaffen, sie, die noch ihr eigenes Leben nicht gelebt! Sie, die mit sich nicht fertig war, sollte schon in einem anderen Wesen aufgehen ...

Sie hatte so viel vom mütterlichen Instinkt reden hören ... ja, warum hatte sie diesen mütterlichen Instinkt nicht? Es mußte etwas Widernatürliches in ihr sein – es graute ihr beinahe vor ihr selbst.

Erst glaubte sie, die Angst vor der schweren Stunde ließe in ihr das natürliche Gefühl der Mutter nicht aufkommen ... Aber jetzt, wo all das Beängstigende, Peinvolle hinter ihr lag – warum regte es sich jetzt nicht in ihr, das vielbesungene allgewaltige Muttergefühl?

Vielleicht wenn das Kind blond gewesen wäre, blond, mit porzellanblauen Augen ... es wäre ihr wie eine lebendige, kleine Puppe erschienen. Aber diese schwarze Tolle und die glänzenden, schwarzen Augen, wie Jetknöpfe! Sie hatte nicht die Empfindung, daß es Fleisch von ihrem Fleische, Blut von ihrem Blute war, sondern nur die, daß sie Unmenschliches ausgehalten für etwas ihr Fremdes, Unverständliches ...

Etwa sechs Tage nach der Geburt des Kindes klopfte das Mädchen an und fragte, ob sie eine Frau Busse hereinlassen dürfe. Sie wollte die Frau Doktor so gerne sprechen.

Frau Busse ...

Iduna mußte sich erst besinnen, wer das war. Richtig, die Frau, bei der sie gewohnt hatte vor ihrer Verheiratung. Die Gute war immer so nett und aufmerksam zu ihr gewesen, hatte ihr sogar bei der Einrichtung der Wohnung geholfen und sich dann ganz bescheiden zurückgezogen, vielleicht in der Hoffnung, daß sich Iduna selbst einmal nach ihr umsehen würde.

Frau Busse trat ein. Sie hatte großen Staat gemacht, und ihr rundliches Gesicht strahlte förmlich aus der Umrahmung der schmalen Hutbänder hervor. Iduna lächelte ihr zu und streckte ihr die Hand entgegen.

»Wie nett von Ihnen, Frau Busse ...«

»Was nett, meine liebe Frau Doktor! Wie konnten Sie nur, ohne mir was zu sagen! ... Sie haben ja keine Verwandten, und ich wäre so gerne gekommen, hätte Ihnen beigestanden in der schweren Stunde, hätte sie gepflegt nachher. Will's schon glauben, daß Sie jetzt feine Damen kennen, aber die sitzen nicht gerne in Krankenzimmern. Heute, zufällig treffe ich den Herrn Doktor ... er geht doch noch immer in seine alte Wohnung arbeiten, na, und wie ich ihn treffe und nach Ihnen frage, da sagt er mir, daß Sie ein Kind haben. Wo ist denn das Prinzeßchen?«

Bei diesen Worten schlug sie aber schon vorsichtig die blauen Vorhänge des Korbwagens zurück.

»Ach, du liebe Güte, das ist ja der Papa, der Papa, wie er leibt und lebt! Und die schönen, schwarzen Härchen ... die Augen wohl auch schwarz, was? Na ja, dachte ich mir's doch!«

Das Kind wurde unruhig und fuhr sich mit den Fäustchen über das Gesicht.

»Sst ... nicht aufwachen ... sst ...«

Frau Busse ließ die Vorhänge herabfallen, dann trat sie auf den Zehenspitzen wieder an Idunas Bett und setzte sich auf den Stuhl.

»Nu, sagen Sie, junge Mutter, gibt's was Schöneres? Zehn Jahre bin ich verheiratet und immer nur habe ich den Wunsch – ein Kind möchte ich haben! Nichts ... nie, nie ... keine Hoffnung, keine Aussicht. Schneiden und brennen ließe ich mich, wenn's was hülfe – aber es ist umsonst. Die ersten Jahre, da habe ich oft bitterlich geweint. Wenn ich meinen Mann sah, so gesund und stark, immer bei der Arbeit, und ehrlich und treu, da hat's mich gepackt wie Verzweiflung, daß ich ihm nichts geben konnte für all seine Liebe und Güte. Oft habe ich mich geschämt, ihm einen Kuß zu geben, so unheilig kam mir die Liebe vor. Ja, und wenn ich so die anderen Frauen sah, die ein Kind in den Armen wiegten – einen Stich gab's mir jedesmal, wenn ich's ihnen auch von Herzen gönnte, das Glück. Kein größeres gibt es ja, als im Kinde seinen Mann wiederfinden, ihn nochmals und besser noch lieben dürfen im Kinde ...«

Frau Busse senkte plötzlich die Augen, wie erschreckt darüber, daß sie soviel gesagt hatte. Iduna aber lag ganz bleich und still in den Kissen ...

Das Kind fing an zu schreien. Frau Busse hob es aus dem Wagen und nahm es in die Arme. Iduna wunderte sich, wie geschickt sich die kinderlose Frau dabei anstellte – da war es wirklich vorhanden, das Instinktiv-Mütterliche. Das hatte nicht einmal mit der Ehe was zu tun ... Iduna hatte früher halbwüchsige Mädchen gesehen, die wie erfahrene Pflegerinnen kleine Kinder warteten.

»Ich brauche jetzt wohl eine gute Kinderfrau – können Sie mir eine besorgen, Frau Busse?« fragte Iduna.

»Aber ja, gewiß, da soll's mir um die Mühe nicht leid sein. Ein so junges Frauchen wie Sie, das versteht ja doch nicht viel vom Kinderpäppeln. Wollte es gerne selbst übernehmen, wenn ich meinen Mann nicht hätte ... Seien Sie ruhig, in ein paar Tagen schicke ich Ihnen eine zuverlässige, tüchtige Person.«

Iduna atmete erleichtert auf. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie einem Teil ihrer Pflicht genügt. Was konnte sie auch augenblicklich mehr tun, als sorgen, daß es dem Kinde nicht an leiblicher Pflege gebrach? – – –

Als Iduna so weit hergestellt war, daß sie ausgehen konnte, beschloß sie, einige Besuche zu machen. Sie wurde fast überall mit derselben Frage empfangen:

»Ja, wo haben Sie denn nur gesteckt, wir dachten, Sie wären verreist!«

Einige dieser Bekannten wohnten nur zwei, drei Straßen von Idunas Wohnung entfernt. Mit einiger Bitterkeit sagte sich Iduna, daß sie hätte sterben können, ohne daß sich jemand um sie gekümmert hätte. Alle waren mit sich selbst oder dem engen Kreise beschäftigt, in dem sie sich gerade bewegten.

Einige schienen aufrichtig erfreut, sie wieder zu sehen:

»Das ist hübsch, daß Sie kommen, Sie sollen nun auch ihr Leben genießen.«

Iduna nickte. Ja, das wollte sie. Ihr Leben genießen, irgendeine Freude im Leben entdecken, irgendein Interesse.

Sie führte einen Jour bei sich ein. Der Form halber fragte sie ihren Mann um Erlaubnis. Er sagte ihr achselzuckend:

»Tu', was du willst.«

Er hatte jetzt überhaupt eine geringschätzige, kalte Art, mit ihr zu sprechen, und sie war innerlich beständig gereizt gegen ihn.

Eines Tages kam sie in großer Erregung nach Hause. Sie hatte Frau Reitz einen Besuch machen wollen, aber das Mädchen sagte ihr, die gnädige Frau sei schon seit mehreren Monaten verreist und würde auch wohl nicht wiederkehren, der Herr aber reiste dieser Tage nach Amerika.

Obwohl sie es in letzter Zeit vermieden hatte, mit ihrem Mann über Bekannte zu sprechen, so war sie doch zu erregt, um diese Nachricht für sich zu behalten.

»Wunderst du dich darüber«, fragte Delten. »Ein jeder Schritt, den eine Frau über die Grenze der Sitte hinaus macht, zieht sie in den Abgrund. Statt all eurer weibischen, verlogenen Sympathie hätte eine von euch ihr die Augen öffnen sollen, als es noch Zeit war. Aber eine jede von euch, auch die anständigste, ist ihrer Natur nach eine Kupplerin, und die Moral kommt nur da zu Recht, wo ihr den Skandal fürchtet. Jetzt, wo sie der Mann aus seinem Hause gewiesen, wird es keine von euch wagen, ihr die Hand zu reichen, aber früher wart ihr alle bereit, euer Haus zum Rendezvousplatz für sie und ihren Liebhaber herzugeben.«

Iduna schwieg verletzt.

Es waren immer so harte Worte, die ihm von den Lippen kamen, Iduna bildete sich manchmal ein, daß er absichtlich so scharf sprach, um sie zu kränken, ihr weh zu tun. Vielleicht um sich zu rächen für den Mangel an Zärtlichkeit, an weicher Hingebung.

Seit der Geburt des Kindes wich Iduna jeder Liebkosung mit einer Art Grauen aus. Sie dachte sich's entsetzlich, noch ein Kind zu bekommen, und noch eins ... Immer häßlich und schwerfällig herumzugehen und dann wieder so ein schwarzhaariges, quäkendes Ding in der Wiege zu haben. Sie sah sich manchmal im Geiste mit unfrisiertem Haar, im nachlässigen Morgenanzug, umgeben von schreienden, sich balgenden, heulenden Kindern ... All die Kinder hatten schwarzes Haar, schwarze Augen und riefen nach ihr, hingen sich an sie wie Kletten, zerrten an ihr herum wie junge, spielwütige Hunde, warfen sich auf den feinen, weichen Polstermöbeln ihres Zimmers herum, zerbrachen die Nippes und stießen an die zierlichen Tische, daß die Lampen wackelten. Aus diesen Vorstellungen schreckte sie auf wie aus einem furchtbaren Traum. Nein – keine Kinder mehr!

Eines ließ sich allenfalls noch ertragen!

Und Lolo wurde von ihr geduldet ...

Es ward ein stilles, ernstes Kind, beängstigend selten unartig ... Es hatte große, kluge, beobachtende Augen und ein feines, blasses Gesichtchen. Iduna ließ es gestickte weiße Kleidchen aus weicher, schmiegsamer Wolle tragen.

Manchmal ließ sie sich die Kleine in den Salon bringen und in einen Lehnstuhl ihr gegenüber setzen. Dann betrachtete sie das Kind lange, lange und fing an, mit ihm zu spielen, ganz vorsichtig und unsicher. Lolo lachte nicht bei diesem Spiel. Die Kinderfrau hatte es an derbe Späße gewöhnt, aber sie wurde allmählich bekannter mit der Mutter. Sie lächelte ihr zu, und Iduna empfand etwas wie Freude über das Lächeln.

Einmal kam Delten dazu.

»Ei sieh, findest du auch einmal Zeit, dich mit dem Kinde zu befassen. In deinem Gesellschaftstrubel vergißt du wohl manchmal, daß du zufällig eine Tochter hast ...«

Er nahm das Kind auf den Arm und kitzelte es mit der emporgehobenen Spitze seines Bartes. Aber statt zu lachen, verzog die Kleine den Mund zum Weinen. Ganz instinktiv riß Iduna dem Mann das Kind aus dem Arm.

»Nicht ... du erschreckst es bloß.«

Nun war aber das Kind wirklich erschrocken und kreischte laut auf.

»Geh doch, Julius, du siehst, das Kind hat Angst vor dir.«

Delten unterdrückte ein heimliches Lächeln.

»Wenn es ein Junge wäre, würde ich ihm diese Angst schon bald abgewöhnen, aber ein Mädchen – das mach' ich dir nicht streitig.«

Iduna nickte zufrieden.

»Ja, die Tochter gehört der Mutter.«

Es kam ihr vor, als hätte er mit seinen Worten alle Rechte an das Kind an sie abgetreten, und in der Art, wie sie nun den Arm um die Kleine legte und sie auf die Stirne küßte, lag etwas wie ostentatives Besitzergreifen von einem neuen Eigentum.

Es hatte in ihr von jeher ein gewisses Gefühl der Ausschließlichkeit gelegen. Dieses Gefühl übertrug sie auf das Kind. Es gehörte nun ihr, ihr ganz allein.

Jetzt hatte sie es auch viel lieber.

Und sie betrachtete es mit neuem Interesse.

Gottlob, es war ja doch hübsch, es hatte so schöne, ausdrucksvolle Augen, einen so weichen, feinen Mund ... Es ging etwas Seltsames in Iduna vor, ein heißes Sehnen erfüllte sie plötzlich nach weichem, zartem Verständnis, nach warmer, linder Liebe.

Sie preßte das Kind an sich und lehnte ihre Wange an das dunkle Kinderköpfchen.

»Wirst mich lieb haben, Lolo, sag'?« fragte sie.

Und sie schrak selbst zusammen bei dem Klang dieser Worte.

Lieb haben! ...

War das ihr stürmendes, verzehrendes und doch unklares Sehnen!? ...

Lieb haben!


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