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Im Gewächshaus

Es war Herbst. Ich beschloß, was ich niemals im Sommer tue: ich ging ins Gewächshaus.

Dazu ist es nötig, zuvor einen alten Park zu durchqueren, der immer sehr still und verlassen ist, da er den geschäftigen Bewohnern der Stadt für einen täglichen Gang zu entfernt, für ein Ausflugsziel aber zu nahe liegt. Es besuchten ihn daher nur die wenigen Leute, denen das Leben noch innerlich spürbar wird: Greise, Verliebte und Künstler, welche die Zeit, die sie verbringen, niemals zu messen pflegen. Sie lieben die Stille, und sie lieben darum auch die etwas pedantische Vornehmheit, die der Park noch von früher her hat, – die achtungsvolle Zurückhaltung, mit der er seine Besucher mit den Dingen der Natur umgibt, und sein wohlwollendes Verständnis, das sich bis auf die Wahl der Gewächse erstreckt, gegenüber allen mit sich selbst beschäftigten Seelen.

Ungesellig gehen sie auf den umschweifend angelegten Wegen spazieren – für sie aber niemals umschweifend genug –, setzen ihren bedachtsamen Fuß auf den rötlichen Sand, auf dem beständig eine sonntägliche Reinlichkeit liegt. Sie wandeln dahin zwischen dunklem puffigem Gebüsch, dessen Aussehen geschont ist, als hätten die Parkwärter, bärtige Veteranen aus dem Siebziger Krieg, eben von ihnen den schützenden baumwollenen Überzug abgestreift, – vorbei an elegischen Bäumen, an Trauerbuchen, die aussehen, als wollten sie sogleich verwelken, an Trauerweiden, rührend und zart wie über den Epitaphen auf alten Kupferstichen, – vorbei an blauschwarz gebeugten Weymouthfichten, bei deren Anblick man an Wehmut denkt, – vorbei, bis schließlich der Park seine reifröckig zärtliche Melancholie verläßt und – als wolle er seinen Besuchern nun das härtere Leben zeigen – hinaustritt aufs offene Land. Aber wiederum ist es nur eine äußerst honette Ländlichkeit, die hier herrscht, und in der sommers an den Rändern von täglich neu gebreiteten Rasenteppichen, wie neu gekauftes Spielzeug, überirdisch reinliche Kühe weiden.

In dieser Umgebung, an die Anlage eines maurischen Lustschlößchens grenzend, liegt das Gewächshaus.

Das Schlößchen aber ward einst auf Befehl eines Königs erbaut, der wünschte, daß inmitten der habhaften württembergischen Landschaft das Szenarium für einen seiner gebrechlichen Träume entstand. Die Baulichkeiten erstrecken sich auf hügligem Gelände, zwei Wohnkomplexe, einer auf der Höhe, einer unten: spitzfindig ineinander verschobene Kuben aus rot und ockergelb gestreiftem Sandstein, mit wenigen schmalen, mit Steinfiligran verkleideten Fenstern versehen. Durch Wandelhallen, die die beiden Fronten verlängern und sie seitlich verbinden, wird ein weites hügelan steigendes Rechteck gebildet, das in seinen Mauern die seltsam gekünstelte Anmut eines persischen Gartens behütet. Rosengehege, verschnittene Sträucher, Palmen, deren winterliche Kübel mit Grün markiert sind, ordnen sich dort um einen kreisrunden kleinen Teich. Von der Anhöhe herab fällt ein zartes Wasserspiel und dazwischen, breit und bequem, steigt eine Treppe hinan, deren Stufen mehrmals aussetzen an schmalen Terrassen, die sommers das unbesiegbar leibhaftige Rot von Geranien überfüllt.

Oben, immer noch innerhalb der orientalischen Herrlichkeit, schweift der bisher mit Gingo-Baum, Magnolie und arabisch gekräuselter Inschrift allzu lang beschäftigte Blick endlich über die Mauern ins Freie. Silberner Streif und sanfte Kurve werden sichtbar: der Fluß. Und jenseits des Neckartales der rhythmische Schwung der Hügel, weithin leuchtende, weingetränkte rote Erde, grün besetzt von den Reihen der Rebstöcke.

Jetzt aber im späten Jahr sind die ewigen Hänge ganz ihrer Sicherheiten beraubt. Spielerisch leicht ist ihre Umrißlinie auf den herbstlichen Himmel gelegt. Nur noch durch Farbe verschieden, als ein durchsichtiges violettes Braun, durch das eine Krähe ebenso leicht hindurchdringen könnte wie durch das bläßliche Blau des Himmels, heben sich die Berge kaum von ihm ab. Ihre sommers unzerstörbar geglaubte Form ist flächenhaft aufgelöst, verschwimmt, delikat getönt, zu einem japanischen Bildchen. Und der Himmel ist wie eine glatte aufgerichtete Wand. Ununterscheidbar liegen unter ihm die herbstlichen Entfernungen, da in der kühlen Transparenz der Luft die Dinge sich aus ihrem räumlichen Zusammenhange lösen, da das Fernste dem Nächsten naherückt, da Kleines und Großes einander wie auf der Fläche eines Bildes begegnen, ohne glaubhafte Tiefe, oft dicht nebeneinander oder nur durch ein kleines Fingerbreit voneinander getrennt.

Fremd und verwandelt dünkt mich die seit langem vertraute Landschaft. Es ist, als wäre ihr Entschwinden mit jedem Augenblick zu befürchten. Mein Auge findet keine Ruhe auf ihr, denn ständig entdecke ich fremde Züge, die sich auf ihrem Angesicht eingeschlichen haben, und die mich bestürzen. So taucht aus kleingezeichnetem laublosem Wald plötzlich das Haus auf, das ich noch niemals gesehen habe, unwirklich, als stelle es nur die Vorstellung eines Hauses dar, ein seltsames Haus, das anscheinend gar nicht aus Stein gebaut ist, das auch nicht bewohnt werden kann, das unerreichbar ist für einen willentlich gesetzten Fuß, und nicht einmal sicher in die Fläche des herbstlichen Bildes eingesetzt.

Liegt es wirklich in jenem Gespinst entlaubter Bäume? Es könnte auch, wie es scheint, auf den Abhang gebaut sein, der neben ihm, eine seiner Ecken verbergend, niederfällt.

Unwirklich, geistlich schaut es herüber, vielleicht nur aus der einen Seite bestehend, die es zeigt: ein kleiner weißer Fleck im Bilde der herbstlichen Fraglichkeit.

Aber auch das Nähere ist nicht gewisser. Die Bäume verleugnen ihr Grün. Aber was sind sie ohne den Körper ihrer Raum enthaltenden Laubmassen? – Gedanken, gebrechliche, ungenaue Gedanken an Bäume, aufgezeichnete Arabesken von Baum und Gezweig, die flach und schwarz sich von dunklem raumlosem Untergrund abheben.

Ich sehe von der Höhe herab auf den Park. Fast schwindelumfangen. Aber unten in seiner herbstlichen Auflösung, unlösbar und wie ein kristallinisches Gebilde, verharrt der scharfkantige Trakt des Gewächshauses. Heller als irgend etwas anderes unter dem stumpfen Licht des oktoberlichen Tages schimmert sein gläsernes Dach, wie illuminiert durch eine eigene Helligkeit von innen. Und unfähig, mich vor der zerfallenden Wirklichkeit zu behaupten, verwirrt durch das Bild- und Scheinhafte der herbstlichen Welt, strebe ich eilenden Schrittes dem Glashause zu, in der Hoffnung, mich dort bei einer wohlerhaltenen Gegenständlichkeit von meiner unerträglichen Ohnmacht zu erholen.

*

Ich habe das Eintrittsgeld an der Pforte erlegt, ich habe mit dem Gefühl einer frohen Erwartung den lau erwärmten Vorraum durchschritten und befinde mich nun völlig allein vor einem schmalen, in unabsehbare Tiefe sich fortziehenden Raum, der von schönstem, dunklem Grün erfüllt ist. Undurchdringliche Büsche, die sich von den Seiten her hintereinander schieben, verdecken immer wieder die Sicht. Und der Pfad, dem ich folge, schlingt sich in erschöpfend ausführlichen Windungen dazwischen hin, ja, er erfindet am Ende des Raumes noch eine List, um mir das wohltuende Grün noch länger zu erhalten. Dort nämlich, bevor er es einem zweiten Pfad überläßt, in den nächsten Raum hineinzuführen, schlingt er einen Kreis um ein goldfischbesetztes Becken, über welchem mit leisem Klirren ein kleiner Wasserstrahl zerbricht. Und ich komme nicht mehr von ihm los. Die Windungen seines Laufes haben mich längst zu seiner Bewegung verführt. Ich finde mich willenlos in dieser grünen Geräumigkeit, nach der mich draußen im Herbste so sehr verlangt hat. Sie beruhigt, und die Vorstellung, daß sie trotz des Herbstes besteht, entzückt mich, und gerne beginne ich mit dem Pfade nochmals eine geduldige Rückkehr. Sein feiner blütenstaubgelber Sand verleiht den Sohlen einen mühelosen Tritt. Schon kenne ich den Rhythmus der Windungen; ich lasse mit geschlossenen Augen mich wiegen, um reiner den Duft gebärender Erde zu kosten.

Blattgeruch mischt sich dazu, ein neuer Geruch, Blütenduft, ein ganz unausgeprägter, ständig sich wieder verwischender Geruch wie nach lauem Wasser und regenbetropfter Erde: – Duft von Kamelien, der in mich einzieht und sich in meinem Geiste verbreitet wie die Wirkung einer anregenden Flüssigkeit.

Die Erinnerung wird erweckt. Der müde, vor der herbstlichen Wirklichkeit ohnmächtige Geist erwacht aus seiner Erstarrung. Aber nicht, um sich nun an dieser Wirklichkeit hier zu erkennen. Der Duft ist ihm nur ein Anlaß: erstes Glied einer Kette von losen Gedanken, deren Reihenfolge er rasch vergißt, an die er sich aber bindet, um sich, immer neue erzeugend, daran auf den Grund der Vergangenheit hinabzulassen.

Dort findet sich nun wieder die Frühe und warme Feuchtigkeit eines längst vergangenen südlichen Frühlings, das Bild eines Sees und plötzlich das Andenken einer Stunde, die ich längst für vergessen hielt, Stunde, da nicht viel mehr geschah, als daß die vom fortschreitenden Jahr schon glücklich verlängerte Sonne, nachdem es geregnet hatte, nochmals schräg durch die Wolken brach, und unten im Garten, auf den wir selbzweit hinabsahen, die feuchten Blattovale das scheidende Licht unzählige Male gleißend und blendend auffingen. Ich öffne die Augen. Vor mir drängen sich grün erfüllte Umrisse, deren Inneres sich deutlich angreift: eine kühle, fleischige Substanz. Ein Blatt, das zerbricht, offenbart an der Bruchstelle ein unsagbar lichtes Hellgrün, das flüssig an die Ränder tritt, so daß es der Finger tasten kann und die Zunge es schmeckt. Aber sind das Beweise für den auf der Flucht begriffenen Geist?

Mehr noch! Zuweilen erstrahlt im Blattwerk die eine oder andere Kamelie schon völlig erblüht. Und jeder der Sträucher trägt pralle Knospen, die meisten schon aufgespalten und von innen her farbig bedrängt: Weinrot und Weiß, das aus der dürren Kapsel überschäumt. Und ich nehme trotz eines bestehenden Verbotes die empfindliche Haut einer Blüte zwischen zwei Finger, um sie mit plötzlichem Druck zu zerquetschen. Vielleicht daß ein bräunlicher Makel, der die durchsichtige Reinheit der farbgewordenen Materie trübt, mich fühlen läßt, daß es noch Widerstand gibt: ein Wirkliches, das hinter dem reinen Farbschein ist, und das auf Einflüsse feststellbar antwortet.

Umsonst! Die Farbe ist stärker, und an diesem völlig vom Ding gelösten, unversehrbaren Rot entsteht das Angedenken, das dem Augenblick und dem Ort, denen ich ausgesetzt bin, ihre Wirklichkeit nimmt und sie in ein Gleichsam verwandelt.

O südlich liegende Abhänge, von wieviel entzückten Blicken gestreichelt! Begrünte Mulde für Luft und den länglichen See! Und mitten im Anstieg des Hügels: o Geborgenheit garten-umhüllten Hauses! Dämmerndes Bild der ersten Gefährtin!

Die Erinnerung saugt aus der Wirklichkeit, die mich umgibt, den Saft des Lebens, den sie braucht, um ihre dürren Schimären zu tränken: ein Grün, einen Duft, einen Durchblick, ein Licht, Ähnlichkeiten einer Vergangenheit; und die längst erstarrten, kaum noch empfundenen Bilder beleben sich wieder, umstellen mich deutlich und nah, beginnen sich zu bewegen, beziehen mich ein in ihr plötzlich in Fluß geratendes Dasein, und ich fühle, wie ich wieder den alten Verhältnissen ausgeliefert bin, als seien sie neu und wirklich, verpflichtend, belastend, ermüdend selbst in ihrem glücklichsten Einklang, und vermehrt um die qualvolle Einsicht versäumter Gelegenheit und begangener Fehler.

Aufgehoben ist die Gültigkeit der Ordnungen, mit denen die jeweilige Gegenwart von Ort und Augenblick das Bewußtsein bestimmt und sichert. Eine vergangene Zeit und ein abwesender Ort sind mit gewaltsamem Einfluß an ihre Stelle getreten und belasten die ermattete Seele nun mit der Deutlichkeit einer unerträglich werdenden Gegenwart.

Sie leidet. Sie denkt an eine neuerliche Flucht. Wohin?

Sie gibt dem Fuß, als sei von ihm die rettende Erleichterung zu erhoffen, ein Signal, daß er forteile und den leidigen Aufenthalt ändere. Und ich durchlaufe wie gehetzt die Bühne, auf der die Erinnerung die alten Kulissen wieder aufgestellt hat, damit ich dort wider Willen das ewig unglückliche Stück zum xten Male spiele. Wieder begegnet mir der altbekannte schwierige Schluß, mit dem ich mich auch diesmal wieder nur mangelhaft abfinden muß, obwohl ich längst die bessere Einsicht habe. Ich wünsche nichts als einen möglichst eiligen Abgang. Der Weg hat ein Ende. Der letzte Kamelienstrauch ist gestreift. Eine gläserne Tür fällt klirrend hinter mir zu. Wo bin ich?

*

Wohliger Schweiß tritt mir auf die Stirne.

Mit weichem Atem, durch den der Geruch einer exaltierten Erde dringt, behaucht mich die Wärme tropischer Zonen. Das Grün hier, in unentwirrbaren Formen, ist gefährlich und fremd, verliert sich in einem gierigen Dämmer.

Die Sinne zittern. Brausend füllt das Blut mein Gehör. Selbst die Zunge nimmt teil an der Empfindung der wilden Fremde. Sie spürt den Geschmack einer unbekannt süßlichen Bitternis.

Ist noch das müde Bewußtsein zu retten? – Auch der Schlaf wäre hier eine Flucht, vielleicht eine Gefahr. Warum soll ich also meine Ohnmacht nicht eingestehen und die Herrschaft der Sinne dulden? Unmöglich, daß mich ein Vorwurf treffen könnte! Hat mich nicht die Fähigkeit des Geistes eigenmächtig verlassen? Zurück blieb die Ermattung, die Mutter des Todes, und ohne daß ich es hindern kann, bemächtigen sich nun die Sinne des im Stich gelassenen Geistes.

Es scheint, als begänne das Sichtbare zu denken. Oder es geschieht, daß plötzlich ein Gedanke Körper und Farbe annimmt.

Der Gesichtssinn ergeht sich in einem ausgelassenen Spiel des Vertauschens, leiht, entzückt von einer Erscheinung, ihr freimütig die herrenlos gewordene Macht eines Gedankens, oder kommt dazu, über eine noch unbestimmt in mir schwebende Idee plötzlich die ganze Gegenständlichkeit eines Dinges zu zwängen.

Und ich, von Lasten erlöst, versuche nicht, gegen diesen Unfug Einspruch zu erheben, den die Sinne mit Geist und Materie treiben. Fast heiter gebe ich mich der Wahrnehmung dieser Verwandlungen hin, betrachte ein Ding, ohne mehr zu unterscheiden, was es eigentlich darstellt an sich und was mein Auge aus ihm gemacht hat. Die Pflanze denkt. Und ich betrachte mit Neugier, was sie für mich ersann.

Sicherlich sind die Feuchtigkeit und das Fett der Krume, die auf morschem Aste lagert, dem Orchideengedanken bei seiner Bildung dienlich gewesen. Auch der abgestorbene Ast muß es gewesen sein, rätselhaft sinnerfüllt, wie er ist, in Windung und dumpfer Dicke, aus dessen allmählichem Verfall die Blüte ihre Nahrung zieht: –

Hauchdünn rosa geädert, ein fünfmal verändertes, jedesmal neu erprobtes Geflecht von Kanülen;

Ornament auf fünf blaßlila Blütenblättern, die sich sternförmig mit einer angespannt und genau erklügelten Wollüstigkeit rückwärts biegen um einen Kelch; –

Kelch, der dunkelviolett nach unten hängt, beschwert durch nichts als durch das Gewicht seiner Bestimmung, mit gekräuseltem Rande, schmachtend die Lippe aufgeschürzt, um des Fruchtbodens Dunkelorange, getupft von Blutrot und Weiß, zu verraten.

Keines dieser stumpfgrünen undurchsichtigen Blätter am Stiel, das nicht aus der formlosen mastigen Fruchtbarkeit des Grundes eine geometrisch genaue Figur von Geilheit gewinnt.

Dünn, geziert und gespreizt, nach einem krampfhaft verhaltenen Verlauf durch die Luft, der nur mühevoll angespannt die Absicht einer harmlosen Anmut erreicht, immer wieder bedroht von einer kaum unterdrückbaren wilden Zuckung, die dann als Knick den Zug des sanft gebogenen Konturs unterbricht, bäumt sich das Blatt am Ende, zurück- und vorwärtsschnellend, zu einer ekstatischen Spitze. Wieviel Luftraum wird von diesen durchdringenden Pflanzen geraubt! Grob, aber aufrichtig in ihrer kompakten Masse hängen die Äste, auf denen sie wachsen, herab. Ihre Oberflächen sind stumpf und undurchdringlich wie aus Abwehr, als fühlten sie sich durch die Endlosigkeit des Raumes bedroht. Die Luft legt sich dicht auf sie an.

Doch diese Gebilde schmarotzender Pflanzen, obschon an ihrem dünnen Stengel die Blätter nur spärlich in den Raum hinausspringen, bis schließlich an seinem Ende die Verschwendung der Blüte hemmungslos ausbricht, entreißen dem Luftraum mit schneidenden Umrißlinien unendliche Räume zu eignem Gebrauch. Zwischen den weiten Abständen der Blattpflanzen herrscht eine ganz andere Welt als außerhalb ihres Bereichs. Dort lebt und handelt das Unsichtbare der Orchidee, eine wilde Fremde, ihr Stärkstes vielleicht, der Duft vor allem, vor dem der Luftraum zurückweicht noch weiter, als die sichtbaren Pflanzen grenzen reichen.

Cattleya: ich lese den Namen auf hölzernem Schildchen, bezaubert durch das Erblickte und das Gerochene, zu müde, um noch den Sinn dieses Wortes zu deuten. Eigenmächtig fällt der Klang in mein inneres Gehör, und widerstandslos ergibt sich ihm die Fähigkeit, die die Eindrücke bewertet und scheidet.

Cattleya: zweideutig erscheint mir ihre bizarre Figur: vielleicht eine Form des Verwesens; Hauch, Schein, gerade noch sichtbar, vielleicht die äußerste Möglichkeit vor einem Verfall, da widerstrebende Stoffe einen Augenblick lang erstarrten zur scheinbaren Verwirklichung einer Einheit ..., oder aber Bild einer äußersten Reinheit, jedesmal möglich geglaubt beim Fühlen der makellosen Materie, aus der die Blüte besteht.

Cattleya: Farbe, Saft, Geruch dieses Namens, durch dessen Süße der Hinfall des Fleisches dringt. Nicht fürchterlich, betörend vielmehr, so daß mich eine sanfte Einwilligung erfüllt, die gleiche, mit der ich die Zeit empfange, wenn sie ihre wesenlose Furchtbarkeit zuweilen mit Wohlklang verhüllt und inbrunstgeladen in einem Leib aus Musik vergeht.

Das Anrufen und Erhören dieses fremden Namens, unterstützt von Pflanzengestalt und -geruch, versetzt meinen Geist in die ausgelassene Fruchtbarkeit eines Traumes. Beschwert wie er ist vom Gefühle der Ohnmacht, enttäuscht und leidend angesichts aller klaren Bestimmtheiten, taucht er erleichtert in diesem fragwürdigen Reich der Vertauschungen unter. Alles ist nur ein unverbindliches Gleichsam. Erscheinungen, Farben, Gerüche, kaum möglich geglaubt, kaum gedacht, wechseln ihre Bezeichnung wie ein zufälliges Kleid. Die Namen der Pflanzen sind unaufhörliche Anlässe dazu. Nidularium striatum – Vanda Kimballiana – Caraguata cardinalis. Das spaltet sich in Schwerter, zerlegt sich in Räder und Sterne und mystische Zeichen, das treibt einen seltsamen blütengekrönten Stengel: Ausruf, Ausbruch einer mächtigen Lust, oder hängende dünne Stiele, die sich kaum an der lüsternen Luft erhalten; das drängt sich zu Dolden, ist zu zitternden Rispen gereiht oder ragt als kostbare Einzelheit hinaus in einen Strudel von Duft ... Vergessenheit! Das Wohlbefinden, das sie verschafft, wiegt bei weitem ihre Gefahren auf. Zwar gibt es da nichts, dem ich nicht ausgesetzt wäre. Die Zerstörung hat überall freien Zutritt und könnte mich widerstandslos überwinden. Aber sie ist entwertet und wäre, wenn sie käme, nicht furchtbar. Der Tod ist jetzt nichts als ein Schließen der Lider, kein Gegensatz mehr, sondern ein zugegebener Bestandteil innerhalb dieser unter Glaswänden hemmungslos zeugenden Welt. Ein verführendes Wissen durchdringt mich von der Beziehung, die liebend und geschwisterlich zwischen Vergessenheit und Vernichtung besteht. Ich sehe sie überall, und sie winkt mir lockend zu. Eine Blüte entblättert. Eine andere strahlt. Und ich finde mich, ohne zu wissen wie, in einem weiteren Raum, der mich nur langsam und allmählich mit seiner Deutlichkeit umgibt. Es fällt mir schwer, mich zurechtzufinden. Mühsam blicke ich auf. Die Quadrate der Glasscheiben sind von den Rändern her dunstig beschlagen, als sollte so eine unerträgliche Wahrheit verhüllt werden. Nur durch kleine Ovale in der vom Dunste freibleibenden Mitte der Scheiben sind Anzeichen sichtbar, die unbestimmt an die Wirklichkeit draußen erinnern: einige düstere Schemen, Fragmente von Dingen ... unerklärliche Flecke.

In der Mitte des Raumes ist ein Wasserbecken, dessen Rand mir bis zur Hüfte reicht, und das die Absicht des Raumes, der als ein Oktogon den Kreis anstrebt, vollendet: es ist rund, ununterbrochener Ausdruck eines Mittelpunktes. Außer auf ihm kann nirgends der Blick verweilen. Magisch zieht es ihn an.

Zwar entdeckt ein rascher Gang um das Rund noch einige merkwürdige Früchte an Schlinggewächsen, die um Stäbe gewunden die Wände erklettern. Eine davon, ein hautloser Klumpen aus einer fleischroten, sich zäh an die Finger klebenden Masse, enthält eine Anzahl stahlharter Körner. Eine zweite, ein tropisches Gurkengewächs, löst sich bei leisester Berührung vom Stiel und verspritzt ihren schleimigen Inhalt in weitem Bogen hinaus. Aber das sind nur flüchtig wahrgenommene Eindrücke außerhalb des magischen Kreises. Indem sie der Blick bemerkt, wird er zugleich unablässig vom Mittelpunkte des Beckens angezogen, wo in einer vollkommenen Einsamkeit die Königin der fernen toten Gewässer zwischen den Wendekreisen des Steinbocks und des Krebses thront: Viktoria regia, deren Blütengebilde kreisrunde tischplattengroße Blätter umzingeln, glatt und eben auf der Oberfläche, mit aufgestülptem, nach außen hin dornigem Rand. Die Unterseite des Blattes und die Fläche des Wassers berühren sich mit einer fast widerwilligen Genauigkeit, voll Vorsicht gegeneinander, daß es scheint, als seien ihre von Natur aus zusammengehörigen Flächen infolge von späteren Umständen einander feindlich geworden.

Ich schaue. In wörtlichem Sinne ganz Auge geworden, da mir die übrigen Sinne in der betäubenden Schwüle allmählich vergingen. Das Auge allein behauptet sich noch, freilich beschränkt in seinem Umfassen auf einen kleinen Bereich. Es sieht nichts als dort in der Mitte des Beckens die Blüte, die Mitte in diesem empfindlichen künstlichen Kosmos. Aber wie! Der winzige Umfang des Blickfeldes, nicht größer, als daß gerade die Blüte darin unterkommt, wird von einer niemals gewohnten Schärfe des Sehens durchdrungen, dem nicht die geringste Veränderung des Vorgangs, der sich dort abspielt, entgeht. Und das Auge projiziert das Aufgenommene auf die grell erleuchtete Schirmwand der Seele, wo sich alles, bedeutsam werdend, ins Ungeheure vergrößert.

Ich schaue, ohne die Menge an Zeit noch ermessen zu können, die darüber vergeht. Die Blüte vollbringt ihr Entfalten. Ich sehe, wie im Laufe einer gleichgültigen Zeitdauer sie mit fest aneinandergedrängten Spitzen die dunkle Kapsel der Knospe zerbricht. Ihr Weiß ist anfangs noch morgenrötlich, an den Rändern behaucht von einem ephemeren Rosa, das erst allmählich mit dem zuckenden Sich-Ablösen des einzelnen Blütenblattes vom Blütenkern nach unten entschwindet. An das Licht, an den Blick, an das Insekt wendet sich das blendend leuchtende Weiß der Oberseite: ein Weiß von einer Dichte, als hätten sich alle Töne von Farben in ihm versammeln müssen, damit es erklang, als habe es selbst die undurchdringlichsten Dunkelheiten in sich aufgenommen, – und zugleich ein Weiß von einer Unwirklichkeit, als sei es übriggeblieben nach der Aufhebung aller denkbaren Fälle von Farbe, ein vollkommenes Weiß, das mich denken läßt, es hätten sich in ihm die mystischen Dunkelheiten von Herkunft und Tod nach einer völligen Mischung gegenseitig behoben.

Ein Strahl nach dem anderen biegt sich an der Blüte auf, lanzenspitzenähnlich, zu einem sich langsam vollendenden Kranz von weißen starrenden Schneiden. Das bewußtlose Leben des Pflanzlichen, das sonst seine gewaltige Brunst nur versteckt und heimlich erhebt, das, jedem Zusehen entzogen, sich hinter Starre und Stille birgt, stellt nun sich nackt und sichtbar, im Übermaße erregt, in diesem Vorgang dar, mit hastig überstürztem Eifer das erzitternde Gestirn der Blüte gestaltend. Und um so befremdlicher wirkt diese Bewegung, als nirgendwo in diesem gläsernen Hause eine gewohnte Kraft erscheint, der man sie, bestürzt, wie man ist, zuschreiben könnte. Kein Wind, kein Hauch, keine Welle. Die Bewegung rührt rein aus der Blüte selbst: eine handelnde moles, ein beseeltes Weiß, das sich äußert.

Und fast als bereue diese unheimliche Kraft ihr Erscheinen inmitten dieser stillen Reglosigkeit umher, da kein Blatt sich rührt und jedes Ding in einer metallenen Erstarrung verharrt, verläßt sie den Stoff, kaum daß sie ihn zum Gebilde bewegt hat, nimmt sich heraus aus dem strahlend verzückten Weiß und übergibt es, ohne ihm auch nur einen augenblicklichen Einhalt, auch nur die geringste Dauer zu gewähren, in einem ununterbrochenen Fluß dem Tode. Noch während sich der innerste Kranz der Blütenblätter entfaltet, steif, gespannt, erwartungsvoll, endlich den Goldstaub und den Honig der Mitte enthüllend, beginnen die Strahlen des äußeren Rundes sich schon zu erweichen; sie erschlaffen, rollen sich ein und erhalten die Tönung des Welkens.

Ich lehne mich über den Rand des Beckens. Die schwüle Hitze belastet mich wie ein Gewicht. Selbst das Schauen ermattet vor einer nebligen Trübe, die wie ein Vorhang sich vor die einsame Blüte herabläßt.

Ich tauche meine Hand in das Wasser, ohne den Widerstand zu finden, an den mich seine Undurchsichtigkeit für einen Augenblick denken ließ. Es ist schwarz und lauer als die Luft, stellenweise von einer eklen hellgrünen Haut überzogen. Dazwischen, im Innern eines zierlich geschnittenen Bootes, schwimmt ein winziges Thermometer, das mit seiner empfindlichen silbernen Seele die Wärme des Wassers zeigt. Zuweilen treibt eine träge Blase vom Grunde herauf, mit leise glucksendem Geräusch, um dann wie ein im Tode gebrochenes Auge undenkbar lang auf der Oberfläche des Wassers zu starren, bevor sie lautlos und unerwartet zerspringt.

Plötzlich beginnt sich das ruhende Dunkel im Wasser zu regen. Ein Schatten löst sich aus seiner Gestaltlosigkeit, sich mit unsicherem Umriß bewegend: noch ein unerkennbares Ding, dunkel, aber doch heller als dahinter der undurchdringliche Grund. Und blitzschnell taucht es nach oben, wobei sein gespenstisches Grau mit einem Male anfängt zu erglühen, plötzlich, für einen Wimperschlag nur, aufleuchtend zu rotem Orange, um dann alsbald wieder im Dunkel unbekannt zu verlöschen.

Welche Benachrichtigung will mir die Tiefe signalisieren? Das Zeichen wiederholt sich kurz hernach. Da und dort glimmt es nun auf, schwächer und stärker in unerklärlichen Zeitabständen, bis es schließlich zu einem andauernden kreisenden Leuchten kommt, als würden von einem Arm im Dunkeln Fackeln geschwungen.

Aber es sind kleine Fischchen, die mit schimmerndem Geschupp in die Durchsehbarkeit der obersten Wasserschicht gedrungen sind, fremdländische Geschöpfe mit aufgedunsenem Kopf und glasig hervorquellenden Augen, den schmächtigen Leib mit wallenden Schleiern und Schleppen besetzt.

Furchtlos nähern sie sich meinem fächelnden Zeigefinger, öffnen die weichen Schnauzen und rühren damit an meine Haut. Das Menschliche, das sie nicht kennen, ist ihnen nicht mehr als ein Gegenstand paradiesischer Neugierde. Und sie untersuchen es, ohne dabei Gefahr zu vermuten, dem Eindruck nach, den ich gewinne, ein wenig fassungslos, wie angestrengt durch eine dumpfe Überlegung, was wohl das neue Ding für sie zu bedeuten habe. Sie wenden sich von ihm ab, um über dem Dunkel des Wassers eine nachdenkliche Schleife zu ziehen. Sie kehren daraufhin wieder zurück, um nochmals, aber wieder vergeblich zu prüfen, ob sich der längliche Körper nicht doch zur Nahrung eigne, und sie hören nicht auf, meinen Finger zu untersuchen, wie sie gewohnt sind, es mit dem abgestorbenen Blatt einer Wasserpflanze zu tun, wenn es überraschend und jahrelang nahrhaft auf den Grund ihres Wohnbereichs sinkt. Sie kennen nichts Arges, denn in der Flut ihres Beckens hat für das Leben der Fische nie eine Gefahr bestanden. Vielleicht, daß noch die ersten Bewohner, als sie hier ausgesetzt wurden, ein Gefühl für Bedrohung besaßen. Aber es zeigte sich, daß das rundbegrenzte Wasserdämmer, das sie erst zaghaft durchstreiften, ihnen überall günstig gesinnt war, so daß ihr Instinkt allmählich die Möglichkeit einer Gefahr vergaß. Und für ihre Nachkommen, die sich nun hier um meinen Finger tummeln, ist schon von Geburt an das heimliche Dunkel dieses Wassers eine ins Arglose entrückte Welt gewesen. Der feine Schlamm auf dem Grunde, die runde algenbewachsene Beckenwand stoßen schützend an die warme, den Fischen wohlwollende Flut, und eine höhere, den Fischen unbekannte Absicht bewacht sie beständig, damit sich nicht ein Feindliches in sie einschleicht. Welche Lust für die Kreatur zu sein! Die Angst ist ganz von ihr genommen. Endlich haben sich die beiden Teile der Gegensätze, zwischen denen sie ewig ausbricht, einander genähert. Anfang und Ende, Bewegung und Ruhe, Wunsch und Erfüllung verbinden sich wirklich zu einer Einheit, die sonst nur ein aus Schmerz geborener Gedanke als Möglichkeit sehnsüchtig annimmt.

Unermüdlich in seiner Gleichmäßigkeit fährt dies wohlig verschlungene Gleiten der Fische in seinem Geschehen fort: eine Ruhe, die, ohne sich zu verlieren, gelassen in den Zustand eines Bewegtseins tritt; eine Bewegung, beschlossen im reinen Verweilen, denn sie dient nicht zu einem Zweck, nicht zur Flucht; in sich erfüllte Bewegung, die nichts dem Zufall der günstigen Stunde verdankt. Auch nichts der Gewaltsamkeit eines Entschlusses, wenn er zuweilen versucht, die widerstrebende Natur zum ruhigen Dasein zu bezwingen.

Frei wie ein tanzender Mensch erfinden die goldenen Körper den Anlaß ihrer Bewegung. Nirgends droht eine Angst, die aus der Ruhe des Leibes das Gegenteil einer Bewegung hervortreiben könnte. Die Künstlichkeit, in der sich das Leben der Fische vollzieht, hat ihr Bewegtsein ganz von diesem schmerzlichen Andrang erlöst. Es gilt nur sich selbst. Bewußtlos, mit beschwörender Schönheit, als wirke in diesen Kreaturen das Göttliche ununterbrochen, ziehen sie ihre Figuren in die durchsichtig flüssige Formlosigkeit der Substanz, die sie trägt, jeder ihrer Absichten huldigend nachgegeben, gleichsam mit einem Lächeln, das zärtlich durch das Gewölk der enormen Flossen zieht. Und sie werden nicht müde, die spurlos vergehenden Ovale und Kreise um meinen Finger wieder und wieder nachzuziehen, bis das beständige Wiederholen selbst der Bewegung den Anschein einer Gestalt verleiht.

Starr und gebannt betrachtend bin ich darüber geneigt. Allmählich bleibt jede Stelle, die die Körper verlassen, golden für meinen Blick bezeichnet. Eine leuchtende, sinnlos schöne Figur entsteht über der Nacht des Wassers.

Und ich verliere mich. Ich fühle mein Versinken in ein unbekanntes Element. Wie in Glas. Aber ich lasse es wehrlos geschehen. Der Schmerz meiner Existenz, der in die feinsten Enden meiner Empfindung reicht, hat mein Bewußtsein tödlich gelähmt. Wünsche jagen, ohne ein Ziel zu kennen, in verheerenden Schwärmen darüber hin, und mit rückwärtsgewandtem Blick, den Mund zerbrochen, starrt das ruinöse Antlitz des Unvermögens auf den Grund eines erschöpften Brunnens.

Ich erliege. Das Bild der Welt fällt für mich auseinander. Es beginnt sich kaum merklich zwischen den einzelnen Teilen zu öffnen. Anfangs nur Spalten, durch die das Wesenlose ganz unscheinbar eindringt, zunächst nicht mehr als ein schwarz betonter Kontur um ein Ding, das dadurch nur heller und deutlicher gegen ein anderes hervortritt. Langsam nur zerstört ihm das Dunkel die Grenzen, ganz ohne Gewaltsamkeit, es wie zum Spiel nur leicht und fast schalkhaft verwandelnd.

Goldumschleiertes Wassertier wird zu einer glatten länglichen Frucht, die nicht aufhört, sich über der Dunkelheit schwebend zu rühren. Dann verliert sich die Fülle des scheinbaren Fruchtfleisches; das Dunkel formt aus dem Ding eine scharfgeschliffene Spindel. Schließlich bleibt nur noch ein einfaches zitternd bewegtes Orange, verteilt zu einzelnen Flecken, das wie ein Rahmen gekräuselt den Abgrund umgibt, über dem ich mich furchtlos schwebend erkenne.

Das Nichts verfügt auch über Grazie, wenn es gilt, den Schmerz zu sich zu bekehren.

Und ich gebe mich rückhaltlos an sie hin. Sie macht mir die Leere willkommen, bekränzt ihr Nahen mit goldenem Mohn. Wie leicht, wie verführend, ihr alles zu opfern! Das Liebste zeigt sich als ihr verwandt, hat nur darauf gewartet, spurlos vor ihr zu vergehen. Nirgends ein Wert, der ihr widersteht. Die Leere dringt wie ein wohliger traumloser Schlaf in mich ein. Gleiche ich endlich den stillen Geschöpfen, die bewußtlos und Kreise ziehend beruhigt über dem Nichts existieren?

*

Und da geschah etwas. Unvermittelt. Ganz plötzlich. Mit einem Male zuckt meine längst vergessene Hand zusammen. Meine Finger ballen sich zur Faust. Ich fühle, wie sich ein glitschiges Etwas, ein Gegenstand meinem Griff zu entwinden sucht.

Da reiße ich rasch die Hand aus dem Wasser. Ein riesiges Blatt der »Viktoria« bietet mir seinen nahen Tisch. Und ich schleudere meinen Fang auf seine grüne Fläche.

Und ich sehe nun zu, seltsam erleichtert, wie sich dort das Fischlein biegt und sich in die Luft schnellt: ein Opfer, dem Menschlichen dargebracht. Aber es ist mir, als sei es notwendig gewesen.

Ich sehe. Ich sehe grausam klar und genau. Es war ein Leichtes, das harmlose Lebewesen zu fangen. Aber dennoch fühle ich jetzt einen hemmungslosen Triumph.

Vergeblich bemüht sich das kleine Geschöpf, der tödlichen Luft zu entkommen. Nach zahllosen Sprüngen liegt es mit flatternden Kiemen und aufgerissenem Mund auf der Seite. Das Farbenspiel seiner Schuppen ist erloschen. Sein Leib ist von stumpfem Grau. Um die Flossen windet sich der formlose Schleim der an der Luft zusammengesunkenen Schleier.

Ich bin neugierig. Ich richte den kleinen Körper auf der Tafel des Blattes mit meinem Finger zurecht wie eine Sache, die mir zum erstenmal in meinem Leben begegnet und die ich mit keiner anderen Empfindung betrachte als dem Wunsch, zu wissen, was sie mir etwa bedeuten könnte. Ich betrachte sie genau. Ich fühle sie an. Ich sehe zunächst ganz davon ab, daß sie ein Fisch ist, gar nicht außergewöhnlich, sondern mir längst bekannt. Für mich ist dies Ding in diesem Augenblick nichts als eine namenlose Masse, deren Gestalt ich genau betrachte, als müßte ich eine Bezeichnung erfinden, die ihr entspricht.

Da fällt mein Blick auf die beiden am Ende des reglosen Körpers hervorquellenden Augen. Erregender Anblick! Es ist, als hätte das ganze Leben, das den Körper verlassen hat, sich flüchtend in diesen beiden kleinen Punkten zusammengedrängt. Und was nun von dort im Übermaß ausgeht und mich flehend anstarrt, als sei ich nicht der Feind, sondern der gütige, Hilfe spendende Retter, das erkenne ich ganz als mir verwandt, als das, was ich mit diesem mir unähnlichen Ding gemeinsam habe: – die Angst.

Ich beunruhige nochmals mit einer Berührung die schlanke gebogene Masse, die wie leblos daliegt. Sie spürt es. Sie rührt sich. Doch ist die Bewegung, die sie hervorbringt, nicht die eines toten Gegenstandes, der so lange seinen Ort verrückt, als die Energie meines stoßenden Fingers dauert.

Das graue Ding hier besitzt eine Kraft aus sich selbst. Und es holt sie verzweifelt zusammen, aufzuckend, weil es leidet, ein Wesen, das im Kampf mit dem Schmerz die Stärke eines Lebens auszugeben hat. In ungeheurem Bogen schnellt es sich in die feindliche Höhe, bewußtlos bemüht, in die Sphäre, die ihm sein Dasein gewährt, zurückzufinden. Und nochmals springt es auf, noch ein zweites Mal, noch ein drittes Mal, wenn auch jedesmal einen geringeren Bogen durchmessend. Sichtbar erlahmt seine Kraft. Aber jeder Sprung, den es tut und der es näher an das Nichts heranbringt, bedeutet für mich einen grausamen Schritt zurück in die Wirklichkeit.

Und ich finde mich wieder in der Ordnung zurecht. Ich finde mich so weit, daß ich den kleinen erschöpften Körper, bevor er sein zierliches Leben noch vollends verhaucht hat, einfange und sorgfältig aufnehmen kann, um ihn, wie ich mich froh überzeuge, wieder glücklich in die leichte, zur schönen, zur ziellosen Bewegung verführende Durchdringbarkeit seines Bereiches zurückzusenden.


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