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Die Freundin der Bettina

... Dann braust es draußen und stürmt, aber meine Seele wohnt in Dir und pflegt Dich, gibt der Lampe reines Oel zu, die Deine stille Halle erleuchtet.

Bettina an die Günderrode

 

Die Freundschaft mit Bettina war für die Günderrode nicht das tiefste, gewiß aber das heiterbeständigste Glück ihres Lebens. Für ihr Nachleben im Gedächtnis des Jahrhunderts war gerade die Bettina entscheidend. Was sie noch dreißig Jahre nach dem Tod der Freundin vom gemeinsamen Leben aus ihrer Erinnerung zu verkünden wußte, das hat wenigstens den keuschen und freundlichen Schimmer, der einst von der lebenden Gestalt ausging, bis in unsere Tage hinübergerettet. Ohne die Bücher der Bettina hätte sie höchstens im Abenteuer ihres Todes eine Zeitlang spukhaft nachgeglänzt und wäre mit dem Erlöschen des gebildeten Klatsches über ihren Selbstmord versunken und vergessen gewesen.

Bettina weilte 1801 bei ihrer Großmutter, der Frau von Laroche, in Offenbach. In ihrem Hause lernten die Mädchen sich kennen. Karoline war damals einundzwanzig, Bettina sechzehn Jahre alt. Die Jüngere schloß sich mit der ganzen Hingabefähigkeit ihres Alters und ihrer Natur an die reifere Freundin an. Es bedurfte schon eines so offenen Menschen wie Bettina, dessen natürliche Umgangsform durchaus Werbung, mitreißende Werbung war, um die verschlossene Günderrode zu gewinnen. Bettina erzählt, wie sie in Frankfurt und Hanau fast jeden Tag zusammen waren. Für die Tage der äußeren Trennung – Bettina war abwechselnd in Frankfurt und Offenbach, Karoline ging nach Hanau und Würzburg – hielt die schreibselige Zeit den Brief bereit, dieses willige Gefäß für alle Augenblicksregungen. In Briefen erfindet, erschwärmt, erlebt Bettina die Fortsetzung der unterbrochenen Wirklichkeit, hüllt sie sich und die Freundin in ein wolkiges Gewebe, an dem ein unruhiger Liebesdrang, aber auch ein scharfer, merkfähiger Verstand gearbeitet haben. Dieses Gewebe, ein Bildteppich, mit literarischen Lichtern nachträglich aufgehöht, hat Bettina der Mitwelt übergeben in ihrem Briefbuch »Die Günderode«, das sie 1840 veröffentlichte. Der eigentliche Abschiedsgesang Bettinas an die im Opfertod verklärte Freundin erschien fünf Jahre vorher als Einlage in »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde«. Darin schrieb sie sich den Schmerz um den Verlust der liebsten Bildnerin ihrer jungen Jahre vom Herzen; sie begrub, wie die Frau Rat Goethe es ihr nahelegte, die quälende Vorstellung von der Katastrophe »in einem schönen Sarg der Erinnerung«.

Ueber den Quellenwert der Briefbücher ist viel gestritten worden. Wir haben heute genügend Kenntnis von den Realien, um ungefähr zu wissen, wo die Günderrode spricht und wo Bettina mitredet. Es sind Originalbriefe der Bettina an Karoline und umgekehrt Briefe der Günderrode an Bettina auf uns gekommen. Auch die Briefe, die Karoline an Bettinas Bruder Clemens Brentano schrieb und die Bettina in ihr Buch einarbeitete, sind vorhanden ... Möglichkeiten genug, um zu vergleichen und die Tendenz von Bettinas Interpolationen herauszuziehen. Man wird gewahr, daß Bettina niemals etwas buchstabengetreu wiedergeben kann, noch nicht einmal ein Gedicht oder ein Dramolet, das Karoline in den Brief einlegt. So wie sie die dichterischen Urschriften der Günderrode um einen lebhaften Vergleich oder ein treffendes Bild bereichert, »verbessert«, so ändert sie auch die kargere Diktion der Freundin in den Briefen. Ihre verwandlungssüchtige, fast gewalttätige Natur kannte die Ehrfurcht vor der Unantastbarkeit des einmal Gesagten nicht. Aber selbst Wortklang und Satzbild in Bettinas Briefbuch lassen erkennen, was ursprünglich von der Günderrode stammt. Deren Sätze sind feste, folgerichtige Gefüge, nüchtern und genau. Sie haben Subjekt und Prädikat und richtig eingefügte Nebensätze. Der Ausdruck ist sparsam mit Vergleichen und Abschweifungen. Fast hartnäckig vermeidet er den Ueberschwang des Gefühls und besteht auf einer gewissen sachlichen und gedanklichen Härte. Bettinas Sätze sind lyrische Zufallsgebilde. Sie sind syntaktisch selten vollständig, da sie bereits niedergeschrieben werden, ehe sie zu Ende gedacht sind. So haben sie keinen überlegten Aufbau, auch keine Steigerung, da sie ohnehin auf den höchsten Ton gestimmt sind. Bettinas Wortschatz ist vielfacher und farbiger. Er ist reich an spielerischen, übertreibenden Bildungen. Man errät es sofort, wo in einem schlichten Satz, den Karoline angelegt hat, die Bettina aus Laune oder zur besseren Beleuchtung einen farbigen Tupfer aufsetzte. Für die zeitliche Abfolge eines Ereignisses, das sie berichtet, hat Bettina keinen Sinn. Die Reihenfolge der Briefe ist willkürlich. Briefe, die von der Günderrode an Clemens Brentano gerichtet waren, sind von ihr benutzt und als an sie selber gerichtet ausgegeben worden. Ihre eigenen Briefe, denen es wohl schon bei ihrer ersten Entstehung nicht an Breite und Ueberladung fehlte, sind für die Herausgabe noch weiter fortgesponnen und um rhapsodische Einlagen z. B. über Goethe und über Hölderlin vermehrt worden. Auch hat sie sicher ganze Erlebnisse, die so hätten sein können, hinzuerfunden oder mündliche Aeußerungen der Günderrode für Niederschriften ausgegeben.

Dieser, nicht in einer Tendenz, sondern in der Substanz der Schreiberin begründete Mangel an getreuer Nüchternheit bedingt, daß ihre Briefbücher zwar die Wahrheit enthalten, aber nicht die Wirklichkeit sind. Wahrheit sind sie in dem Maß, wie Erinnerung Wahrheit ist: Niederschlag einer umschaffenden, verklärenden Kraft, die dem Geliebten am besten zu dienen glaubt, wenn sie seine Art mit Augen der Liebe sieht. Wer sich ärgert an Bettinas Ungenauigkeit, der betrügt sich leicht um das andere: um die Wahrheit und Fülle der erinnerten Erscheinung. Auch ein gekrümmter Spiegel wirft nur Strahlen zurück, die ihn wirklich trafen, und einem Porträt von der Hand des Malers gesteht man ohne weiteres eine Wahrheit zu, welche die Photographie nicht hat.

Bettina, die ein erstaunlich frühreifes Geschöpf gewesen ist, das dem Leben nur phantastische Vorschläge zu unterbreiten hatte, besaß die Gabe, im trockenen Alltag stündlich dem Wunder und dem Märchen zu begegnen. In der sehr bescheidenen, von nüchterner Arbeit und schweigender Versenkung erfüllten Stiftshege des Fräuleins von Günderrode sah sie eine von dichterischen Weihen begnadete Zelle. Sie hatte sich oft über die Sprödigkeit des Fräuleins zu beklagen, das sich ungern ausschließlich besitzen ließ und das an der Jüngeren erzog, belehrte, dämpfte und zurechtbog, aber sie hatte noch in späteren Jahren zu bekennen: »Das Meiste und Beste, was ich geworden bin, habe ich der Günderode zu danken.«

Bettina hat uns die Gestalt der Günderrode überliefert und sie dabei beschrieben, wie wir auch heute – aus anderen Zeichen noch – glauben, daß sie war: ein zaghaftes Mädchen, das vor jeder Schaustellung zurückschrickt, und eine hohe Frau, die viel in sich hineingesehen hat: »Sie war so sanft und weich in allen Zügen wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn sie lachte, so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes, gedämpftes Girren, in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprach; – sie ging nicht, sie wandelte, wenn man verstehen will, was ich damit auszusprechen meine; – ihr Kleid war ein Gewand, was sie in schmeichelnden Falten umgab, das kam von ihren weichen Bewegungen her; – ihr Wuchs war hoch, ihre Gestalt war zu fließend, als daß man es mit dem Worte schlank ausdrücken könnte; sie war schüchtern-freundlich und viel zu willenlos, als daß sie in der Gesellschaft sich bemerkbar gemacht hätte.«

Das einzige authentische Bild, das uns nach einer Zeichnung ihrer Schwester erhalten blieb, ist sehr unzulänglich. So ist der Widerschein ihres Wesens in den Schilderungen ihrer Freunde unersetzlich.

Aus Bettinas Briefberichten, unter dem Wust langatmiger Räsonnements über die wunderlichen Wege des Gefühls hervor schimmert immer noch die heimelige Welt des schönen Freundinnenlebens mit seiner ganzen gläubigen Jugend. Im Stiftshaus am Roßmarkt, wo sie zwei Zimmer nach dem Garten hin bewohnt, lehnt Karoline im ebenerdigen Fenster und lauscht der Bettina, die hoch in den Aesten einer Birke thront und vorliest. Mit leisem Zuruf beschwichtigt sie die Freundin und mahnt und dämpft, wenn die Jüngere vor Ausgelassenheit alle Grenzen überspringt. Bettina hat sich im Stift neben dem Zimmer der Günderrode eine Kammer eingerichtet. Während draußen der Nachmittag summt, zeichnet sie dort im kühlen Gelaß an einer Karte des griechischen Inselreichs, und Karoline zeigt ihr darauf die Irrfahrt des Odysseus, denn in den Räumen von Sage und Geschichte ist sie bewanderter als Bettina. Dann lesen sie gemeinsam Pindar und Homer. Bettina schleppt Moos und Kräuter, Raupen und Schmetterlingspuppen auf die Stube, und der aufgeschlossene Sinn erkennt im Leben dieser kleinen Dinge das ewige Sinnbild. Bettina kann philosophisch musizieren über Abend- und Morgenröten und über die schwere Trunkenheit der heißen Sommernachmittage. »Ach, Günderode, ich weiß was das ist, die Weltseele, ich hab oft gedacht, was doch so braust, wenn ich ganz allein sitze in der Mittagssonne, denn da ist das Brausen am stärksten.« – Aber wenn Bettina ihre Traumwanderungen beendet hat, dann löscht Karoline die Lampe und spricht ins Dunkel ihre schwermütigen Verse. Oder es spricht die Stille. »Wenn Du auch nur stillschweigst,« sagt Bettina, »so redest Du doch. Du bist ein groß Geheimnis, aber ein offenbares.«

Der erste Frühling sieht die Mädchen auf den alten Stadtwällen oder vorm Eschenheimer Tor. »Sieben Spaziergänge haben wir so gemacht, Günderode, ich hab sie mir gezählt, sie kamen mir wie das Köstlichste im Leben vor.« Sie fahren aus der sommerlichen Stadt hinaus nach der Gerbermühle, nach Trages zu den Savignys, auf die grüne Burg, wo sie im Feldgraben lagernd die Nacht erwarten. Während der Nebel vom Feldberg über den Weidegang herabstreicht und der Nachttau fällt, dichtet Karoline das schöne Fragment »Liebst du das Dunkel tauigter Nächte ...«

Damals hat auch die Günderrode erlebt, woran sie später nicht mehr glauben wollte: die Seligkeit, auf der Welt zu sein. »Glückliche Nacht, wo die Gedanken wie Blüten im Südwind sich auftun, fröhlicher Hoffnungen voll – und ein Gefühl heitern Geschicks wie glänzende Strahlen aus den feurigen Blitzen sich ergießt ...«

Der Winter schließt sie in die Stuben, aber die nimmermüde Phantasie Bettinas spinnt an neuen Himmeln. Die Günderrode, angeregt durch Herder und Sendling, drängt auf Studien über den Orient. Bettina nimmt es auf ihre Weise und ersinnt einen Reiseplan ins innere Asien. »Was haben wir für eine Sommerhitze ausgestanden mitten im Eis –«

Wenn die Spiele ausgespielt sind, versinkt Karoline wieder in ihre »Schellingsphilosophie«; Bettina aber mit unendlich empfänglichen Sinnen leert den Gehalt der Winterstunde bis auf den Grund: »Manchmal, wenn wir zusammen schwätzten im Dunkel bei dem verglommenen Feuer in Deinem Oefchen, wo der Märzschnee vom Baum vor Deinem Fenster herunterfiel, da dachte ich, was schüttelt doch den Baum? – und da war ich gleich so begeistert, als lausche was und reize mich an, und Du sagtest, es fülle sich unser Gespräch mit Gas, ein Gedanke nach dem andern stieg in die Wolken und Du verglichst sie mit romantischen Lichtern, die hoch über uns sich in sanften Leuchtkugeln ausbreiten. Das Rasseln im beschneiten Baum, an der Wand das neugierige Mondlicht, das aufflammende Feuerchen, Du und ich, die mit Deinen Fingern spielte beim Sprechen, das war als so, daß ich dacht, der Geist war nah bei uns ...«

»Keiner von uns hatte eine trübe Minute,« hat Bettina später von diesem Winter geschrieben. Und es ist, als ob in einem Kinde plötzlich die reife Frau erwacht, die den Grund aller künftigen Schmerzen vorauskennt, wenn sie schließt: »... denn alles Schmerzgefühl, alle Sehnsucht kommt doch nur daher, weil die gerade Bahn des Lebens gehemmt ist.«

Der schöne Frankfurter Winter ging vorüber. Die Günderrode fühlte sich neben dem dämonischen Kinde einsam. Auf dem Grund ihrer Einsamkeit fand sie Schwermut und Trauer. Sie war nicht die Natur, die eine gesteigerte Heiterkeit sich lange erhalten konnte. Ebensowenig wie umgekehrt Bettina sich lange mit dem Ernst eines Dinges abgeben konnte, das bewältigt werden muß.

Die Natur hatte in diesen beiden zwei einander entgegengesetzte Arten geschaffen. Bettina, immer überhitzt, begabt mit einer genialen Phantasie, war ohne Mitte, welche die auseinandertreibenden Elemente ihrer Natur zusammenhielt. Karoline, ungleich ärmer an raschem Vorstellungs- und Verknüpfungstalent, hatte Besonnenheit und Fassungskraft, sich zu beschränken. Neben Bettinas Wandelgeist erscheint sie wie eingezwängt in Grundsätze. Aber es ist etwas anderes, gerade Bettina wußte das genau, es erfüllte sie mit Neid: Die Günderrode besaß tief in ihrem Unterbewußtsein jene Schwerkraft, die man Charakter nennen darf und die (so wie die Schwerkraft der Erde dem Menschen nur einen, den aufrechten Gang verleiht) sie zwang, aus einer Wahrheit zu leben, die sie nicht ändern konnte. Sie kannte jene unbewegliche Masse in ihrem Innern, sie war ihre Qual und ihre Würde. »Dieses scheint mir also die vornehmste Schule des Lebens,« schrieb sie, »darauf zu achten, daß nichts in uns jene Grundsätze, durch die unser Inneres geweiht ist, verleugne, weder im Geist noch im Wesen.« So lauschte sie beharrlich den Schlägen des eigenen Herzens; sie glaubte, sich durch die Anschauung ihres Innern gewahr zu werden. Was sie aus der Versenkung ins gestaltlose Innere heraufbrachte, war zwar nicht die Kenntnis ihrer selbst – man erkennt sich nicht durch den Blick nach innen – aber sie fand, was der Mensch werden kann. Läuterung, Befreiung vom Gemeinen, fortschreitende Würdigung und Heiligung wurde ihr Trachten. Darum erschien sie der Bettina oft fremd, wie in eine andere Sphäre entzogen und mit einer besonderen Weihe beseligt und belastet. »Es tut mir weh,« klagt Bettina, »daß Du so deutlich die Verschiedenheit unserer Geisteswege bezeichnest und Dir den angestrengten, dornenvollen aneignest ... der Freund, der über Land reisen wollte, würde so sprechen zum Abschied.«

Gegen die geprägte Gestalt der Günderrode gehalten, war Bettina ein proteisches Wesen, ein Kind der Laune, immer offen, immer bereit, sich zu entladen. Ihre glänzenden Gaben machten sie nur glücklich, solange sie auch glänzen konnte. Die Günderrode dagegen hatte für ihre Wirkung auf andere nicht Aufmerksamkeit genug, um anspruchsvoll oder eitel oder kokett zu sein. Dafür brannte, eine verdeckte Flamme, in ihr der Trieb, sich im Reich des Geistes für dauernd auszusprechen; eine im Grunde religiöse Funktion, die sie auch selber so empfand. Solcher inneren Stimme gehorchen hieß das eigene Erscheinenwollen opfern, hieß entsagen und bereit sein. Weil sie wirken oder spielen mußte, konnte Bettina auch nichts lernen. Den Spieltrieb in sich – er ist der unfruchtbare Gefährte ihrer fruchtbaren Produktionskraft – hielt sie heilig, er galt ihr für Genie. Klug und geduldig versuchte die Günderrode an ihr zu erziehen, indem sie die Gegenkräfte zu ihren einseitigen Fähigkeiten weckte und übte. So trieb sie einen Winter lang griechische Geschichte mit ihr; oder sie hoffte, den Wust in Bettinas Kopf mit philosophischen Gliederungen ordnen zu können; oder sie hielt sie zu trockenen, aber das Merk- und Trennungsvermögen stärkenden Geduldsproben an, wie zum Erlernen einer Sprache oder dem Studium von Generalbaß und Kontrapunkt in der Musikwissenschaft. Sie selber hatte eine ursprüngliche Neigung zu der Geschichte, gute Biographien gefielen ihr. In dieser Vorliebe mischen sich wiederum religiöse Antriebe mit dichterischen. Sie sah, wie Herder es gelehrt hatte, im Gang der Geschichte die Erscheinung der Gottheit in der Zeit; an den Heroenfiguren machte sie sich offenbar, welche Maße der Mensch erreichen kann. Beides, das Ergriffensein von der Strömung des Allgeistes durch Geschichte und Natur und die Rühmung der Heroen, beides steht dann in ihrer dichterischen Produktion obenan. Man sieht: planmäßig und zuchtvoll arbeitete sie an der Selbstverwirklichung ihrer Idee, ihres platonischen Menschen, desjenigen, den man zu denken vermag, ehe man ihm ähnlich und ähnlicher wird. Bettina hatte eine natürliche Verehrung für Karolinens ernste Selbstführung, zum Teil weil sie darin bewunderte, was ihr selber versagt war, zum Teil weil sie dort, wo sie liebte, ohne Neid ihr Bestes gab, um das Schöne schöner zu machen.

Friedrich Creuzer
im Verwahr der Universitätsbibliothek Heidelberg

Sie wäre gern die völlige Vertraute der Günderrode geworden. Aber gerade solchem Andrängen hielt Karoline stand. Sie kannte die Scheu vor dem Unaussprechbaren auch im eigenen Leben. Bettina hingegen hatte Töne für alles, was den Menschen ergreift; sie liebte es, auch das noch zu Wort zu bringen, was sie fast nicht mehr fühlte und gewiß nicht mehr verstand. Clemens, der Bruder, hat ein hartes Wort gesagt über ihre Unart, die sie zwang, ihr Innerstes auf den Markt zu bringen: »Weiber sollen das Zartgefühl nicht so verletzen, sich nicht so preisgeben.« Man geht nicht fehl, wenn man hier den Grund sucht dafür, daß die Günderrode ihre geheimeren Sorgen, wie das Kapitel ihrer Liebe zu Creuzer, eher einem Manne wie Savigny anvertraute als einer Freundin wie Bettina. An und für sich brauchte sie keine Vertraute, das heißt kein Wesen, auf das man seine Hoffnungen, Sorgen und Entschlüsse schon ablädt, während man noch hofft, sorgt oder handelt. Aber darüber hinaus fürchtete sie den Schwall der Gefühle, mit dem Bettina überschwemmte, was klar gemacht werden sollte. Der Zustand nebliger Gefühlsdämmerung, in dem Bettina sich erst behaglich fühlte, war das, was die Günderrode gerade überwinden wollte. So gab sie als ursprüngliche Haltung, mit der sie von ihrer Seite die Freundschaft bestimmte: Liebe und Herzlichkeit, wo Bettinas Temperament erfrischte, belebte, befeuerte; Einstimmung in Bettinas Enthusiasmus, solange er nicht wahllos verströmte; eine mütterlich erziehliche Neigung, wo sie Bettina lenken konnte; Duldung, wo deren Individualität nicht zu ändern war; zartfühlende, aber bestimmte Abwehr, wo Bettina herrschsüchtig ihre eigenste Welt angriff. Als es zum Bruch kam, entließ die Günderrode wehen Herzens die Freundin, der sie immer wieder Bestätigung und Befeuerung verdankt hatte und die, zumal in ihrer Jugend, unter der Fülle ihrer Gaben liebenswerte Eigenschaften genug besaß, um auch einen überlegenen Charakter sich zu verbinden.

Die Günderrode war nicht wie Bettina das Individuum, dem schon im Geschöpf, also gleichsam im Naturzustand, gegeben ist, was es sein soll. Wo Bettina ihre Eigenart zufrieden und stolz hütete und pflegte, da bildete und formte die Günderrode an der ihren. Aus dem Spannungszustand zwischen den beiden Polen ihres Wesens, einem weiblichen Verlangen nach erlösendem Untergang im fremden Du und der eingesehenen Nötigung, das Ich zu objektivieren, ihm Maß zu geben, Reife und Gestalt, aus dieser Spannung erwächst ihre Produktivität, ihr Glück; – erwächst auch, wie aus jedem Ringen und Ueberwinden, ihre Mühsal und Qual. Wenn die Tage kamen, an denen ihre Vorsätze sich gegen sie kehrten und die allzu gespannte Natur sich widersetzte, dann fühlte sie sich leer und tot. Kopfschmerzen und Augenschmerzen quälten sie, sie konnte nicht lesen und schreiben. Hinter geschlossenen Vorhängen verbrachte sie die Tage in sanfter Schwermut, ohne Klage, einsam und still. Sie hoffte, ihr Leben auch unter den Schmerzen jener »stillen Säulenordnung« anzugleichen, die Bettina aus ihrer Dichtung schimmern sah. »Mir deucht eine weite Ebene, an den fernen Horizont rundum heben sich leise, wie Wellen auf dem beruhigten Meer, die Berglinien, senken und heben sich wie der Atem durch die Brust fliegt eines Beschauenden; alles ist stille Feier dieses heiligen Ebenmaßes.« Das ist eine Landschaft, vor deren griechischen Himmelsgrund die Gestalt der Diotima hintreten könnte, Platos Seherin, aber auch Hölderlins holde Liebende.

Wem die strenge Selbstbildung und der Drang zur Läuterung in diesem jungen Geschöpf überspannt erscheinen, der bedenke, daß Karoline von Günderrode Dichterin und Eingeweihte genug war, um ihren ungewollten Abstand von den unbeschwerten Frankfurter Bürgerinnen schmerzlich zu fühlen, und daß ihr auf der anderen Seite der anmutig-zuchtlose Lebensstil der romantischen Genies, selbst so melodischer wie Clemens Brentano, ein Aergernis sein mußte. Sie hat sich Mühe gegeben, beide Arten zu verstehen und anzuerkennen, aber keine war ihr gemäß. Von den nüchternen Gemütern trennte sie ihre geistige Leidenschaft, von den überschwenglichen der Lebensernst. Derselbe, den Savigny meinte, als er ihr schrieb: »Du bist wahrhaft ... ohne Koketterie ... Deiner Redlichkeit traue ich.« –

Gerade Clemens Brentano, das gefährdete, einsame, zerrissene Widerspiel seiner Schwester Bettina, hat in den letzten Jahren vor seiner Verheiratung mit Sophie Mereau versucht, die verhängnisvolle Unruhe seiner Natur über die Günderrode zu bringen. Es ist ihm nicht geglückt. Er war blind dafür, was er ihr zumuten durfte, und verdarb sich selber das Spiel. Sie bewahrte ihr Gleichgewicht; mag sein, daß die Episode mit Savigny ihre Selbstverlorenheit und Schwermut vermehrte, das, was Clemens ihr zu erleben gab, machte sie nur härter.

Der feurige Jüngling war es gewöhnt, daß seine südländische Schönheit und das blendende Witzspiel seiner Phantasie ihm eine ungewöhnliche Macht über Frauen verlieh, und er bedurfte ständig eines empfangenden Gegenparts, in dem seine hemmungslos produzierende Natur sich spiegeln konnte. Nachdem Bettina die Bekanntschaft zwischen dem Bruder und der Freundin vermittelt hatte, witterte er in ihr bald eine neue Beschwichtigerin seines ewigen Fiebers. Kenntnis ihres geistigen Lebens hatte er durch die Bettina, von ihrem Dichtertum ahnte er zunächst nichts. Was sich, vermutlich in Trages und bei selteneren Zusammenkünften in Frankfurt, zwischen ihnen anspann, wissen wir nicht. Wahrscheinlich war es nichts, denn für Karoline, die in dem Dichter zwar einen Abgesandten der höheren Mächte verehrte und ihn als solchen auch besang, war der ungebändigte, zwischen Hohn und Kindlichkeit, Begier und Erschlaffung schwankende Mann ein fremdartiges Wesen. Diese Scheu vor der anderen Art, eine Warnung vor dem pflichtlosen, verwilderten Gefühl, das Clemens bot und das er erwecken wollte, hat sie auch nie durchbrochen, und gewiß gab es nichts, was ihn berechtigte, sie 1802 aus seinem Marburger Frühling plötzlich mit schwülen, verliebten Briefen zu überfallen. »Gute Nacht!« – so war nun seine Sprache – »Du lieber Engel! Ach, bist Du es, bist Du es nicht, so öffne alle Adern Deines weißen Leibes, daß das heiße, schäumende Blut aus tausend wonnigen Springbrunnen spritze, so will ich Dich sehen und trinken aus den tausend Quellen, trinken, bis ich berauscht bin und Deinen Tod mit jauchzender Raserei beweinen kann, weinen wieder in Dich all Dein Blut und das meine in Thränen, bis sich Dein Herz wieder hebt und Du mir vertraust, weil das Meinige in Deinem Puls lebt.« –

Wohl standen die Menschen in den Freundeskreisen der damaligen geselligen Zeit von vornherein einander näher, ein ständiges sinnlich-übersinnliches Getändel war unter ihnen vielfach Tagesordnung; es gehörte zum geistigen Austausch, sich gegenseitig täglich mit der Offenbarung der intimsten Seelenregungen zu belästigen. So waren die noch trennenden Schranken leichter und unauffälliger zu überspringen, ja sie bestanden überhaupt nur im guten Willen und im Takt des einzelnen. Von diesem Takt hielt Clemens zwar zu keiner Zeit viel, dennoch erklärt sich der schwüle Ton seines Liebesantrags nur aus einer blinden Stunde erotischer Betrunkenheit oder, wie er selber mit dichterischer Blume sagt, aus einem süßen drehenden Rausche der Mondnacht.

Die Günderrode war nicht prüde, aber sie war auch nicht die rechte Empfängerin solcher Briefe, bei denen schwer zu erraten war, wo das Geniale aufhörte und wo das Gewöhnliche anfing. Wir hören nichts davon, daß sie sich gewaltsam entrüstet hätte, aber sie hielt künftig solche Ausbrüche von sich fern.

Als Clemens zwei Jahre später wieder bei ihr anfragte, sagte sie ihm, ihre Beziehung zu ihm sei nicht Freundschaft, nicht Liebe, sie gleiche vielmehr dem Interesse, das man an einem Kunstwerk habe. Die Schwester beklagte den Streich, den ihm, wie sie sich ausdrückte, die Kobolde in seiner Brust gespielt hatten, und tat das mögliche, um die beiden, die ihre Nächsten waren, wieder in Güte zusammenzubringen. Sie dachte, die Entgleisung als Ausfluß einer wilden Laune, die sie ja auch war, mit der Vergangenheit zugleich auszulöschen. Des Bruders innerstes Leben sei edel, beschwor sie die Günderrode, und sie bezeichnete dieses innere Leben als wahre, tiefe Liebe, als Heiligtum der reinsten Freundschaft. An Clemens schrieb sie, sie wisse, daß die Günderrode ihm günstig gesinnt sei. Er möge jedoch bedenken, daß sie sich neben seinen Scheingöttinnen keine Rolle zuteilen lasse. – Welche von den tausend Seelen in seiner Brust die wahre sei, fragte die Günderrode. Bettina antwortete, alle seine Seelen seien nur eine gute. Er habe sie nicht beleidigen wollen. Seine weiche Natur sei bildsam. Die Freundin möge ihn sich erziehen und auf das Hohe auch in diesem Menschen bauen. »Entlasse ihn nicht, liebe Günderrode, kämpfe Dich mit ihm durch, der die Idee in sich trägt, die Du ihm zumutest, und die so hoch ist, daß er hinter ihr zurückbleibt; denn die anderen tragen gar keine Idee in sich und bleiben nicht zurück und kommen nicht vorwärts.«

Auch Clemens schrieb aus Heidelberg mit herzlicher Bitte. Gewiß bestand in seinem Herzen für den Augenblick, in dem er diese Bitte niederschrieb, der ehrliche Wunsch, die würdige Ebene für eine neue Gemeinsamkeit zu finden. Zuviele schon, deren Zuneigung er ebenso achtlos beiseitegeworfen, wie er sie einst heftig gefordert hatte, hielten sich fern, und selbst in den glücklichsten Heidelberger Jahren spürte er, wie ein Hauch eisiger Luft überall von dort gegen ihn zurückwehte, wo er ein unschuldiges Vertrauen gekränkt und erkältet hatte. Er warb bei Karoline um Achtung; von ihren Dichtungen hatte er eben jetzt zum ersten Male gehört, und er setzte sich mit feinem Gefühl mit ihrer Eigenart auseinander. Er nahm sein Bestes für jene beiden Briefe, die wir aus dem Jahre 1804 besitzen, zusammen. Seine Gesinnung war nun so edel und fest, wie sie in Marburg rücksichtslos und unbeherrscht gewesen war. Jetzt, wo es ihm versagt war, Unruhe über sie zu bringen, suchte er Ruhe und Beschwichtigung bei ihr für seine ewig heimat- und friedlose Seele. »Sie sollen mir wieder vertrauen lernen.«

Karoline antwortete ihm offen; sie wünschte ihm zu bedeuten, daß die rechte Achtung und eine heilsame Entfernung für sie beide das beste Verhältnis ergäben. In ihren Worten war seine Natur wie in einem reinen Spiegel aufgefangen und ihm selber zurückgegeben: »Ja, ich verstehe den Augenblick, in dem Sie mir geschrieben haben; ich bin überhaupt nie weitergekommen, als Ihre Augenblicke ein wenig zu verstehen. Von ihrem Zusammenhang und Grundton weiß ich gar nichts. Es kommt mir oft vor, als hätten Sie viele Seelen; wenn ich nun anfange, einer dieser Seelen gut zu sein, so geht sie fort und eine andere tritt an ihre Stelle, die ich nicht kenne und die ich nur überrascht anstarre. Aber ich mag nicht einmal an alle Ihre Seelen denken, denn eine davon hat mein Zutrauen, das nur ein furchtsames Kind ist, auf die Straße gestoßen.«

Clemens hatte die Wahl; er konnte sich zugestehen, daß sie bis auf den Grund sah und daß in ihrer Ablehnung noch eine sehr lautere Güte waltete, oder er konnte sich solcher Zerlegung seines Innern mit Mißbehagen entziehen. Er entschied sich für das letztere und versäumte in Zukunft ungern die Gelegenheit zu kleinlicher Rache. Seine Schätzung ihrer Dichtung schlug plötzlich um, er pflegte nun vor der Lektüre ihrer hausbackenen Lieder zu warnen. Nur selten wich der Schleier, den gekränkte Eitelkeit vor seine Augen gezogen hatte. Wo es jedoch geschah, wie in jenen Zeilen im »Frühlingskranz«, da liest man mit Wehmut: »Grüße die Günderrode und sage, daß ich schreiben würde, aber ihre Antworten sind nicht auffordernd, nicht erschließend, sondern vielmehr abschließend. Weiß Gott, warum wir alle aus dem Paradies des Vertrauens herausgeworfen sind und keiner findet irgendeinen Schleichweg dahin zurück.«


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