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Karoline von Günderrode
nach einem zeitgenössischen Portrait

Einleitung

In gewissen Abständen rufen die Deutschen immer wieder die Erinnerung wach an eine Dichterin des romantischen Zeitalters, die ihr Leben in einem eigenwilligen Abseits verbracht hat und erst durch ihren Tod ins Licht – in ein seltsames, geisterhaftes Zwielicht – gerückt ist: Karoline von Günderrode.

Sie lebte in Frankfurt und schrieb ihre Dichtungen zwischen 1801, dem Todesjahr von Novalis, und 1806, dem Jahr, in dem der Geist Hölderlins umnachtet wurde. Diese kurzen Jahre umschließen auch ihre Liebe, aus der sie lebte und schuf, und ihre Vorbereitungen auf den Tod: am Abend des Tages, an dem der geliebte Mann ihr seine Absage schickte, hat sie sich bei Winkel am Rhein erdolcht und in den Strom gestürzt.

An und für sich sind mehr als hundert Jahre genug, um einen freiwilligen Tod aus enttäuschter Liebe vergessen zu lassen; es muß mehr sein als die nicht einmal ungewöhnliche Konstellation der Umstände, was hier dem Gedächtnis Dauer gibt. Der Mann, den sie liebte, der Heidelberger Altertumsforscher Friedrich Creuzer, zeigte in seiner Anlage ein reines Gemüt, einen Kopf von Verstand und Phantasie, ein Herz aus Sehnsucht und Schwäche; aber er war nicht hochgemut genug, um ihrer Unsterblichkeit aus eigenem etwas hinzuzufügen. Er weckte ihre Liebeskraft, er spornte sie zur äußersten Leistung an, er ließ sich lieben, er entsagte und verließ sie, um damit der Richtung ihres Lebens, ohne es zu wollen und ohne es zu verantworten, jene heftige Umkehr ins entleerte Innere zu verleihen, die in ihren Tod mündete. – Aber auch in ihren Dichtungen allein wäre diese Frau nicht lebendig geblieben. Sie haben als Ganzes nicht den Grad der Intensität erreicht, aus dem ein Werk sich selber erhält.

Was aber an ihrer Erscheinung ist lebendig, kräftig, gegenwärtig, erregend genug, um auch heute einen wachen Menschensinn noch zu beschäftigen? Vielleicht ist es der Schauer des Ewigen, der ein todesmutiges Herz umgibt, wenn es sich plötzlich unschuldig den Mächten ausgeliefert sieht, die mehr sind als der Mensch. Vielleicht ist es der zarte Jünglingshauch, der in ihren Bekenntnissen atmet, vielleicht der reine Wandel einer schönen Frau, der Bettina Brentano zu einer Verehrung hinriß, wie sie nur den Heiligen gezollt wird ... sicher aber ist es der Charakter des Notwendigen, der sich in allem, was sie tat und erlitt, ausprägt.

Ein Mensch, der es sich schwer macht, schwerer als er auszuhalten vermag, eine Frau, die nicht mehr zurück kann, nachdem sie ihr Herz einmal ausgegeben hat, und die über die relative Unwichtigkeit des Geliebten ohne Aufenthalt hinweggeht, weil ihre Liebesvorräte nur mit den Maßen der Unendlichkeit gemessen werden können, eine Jugend, die lieber den Untergang will als den Kompromiß, den Rückfall ins Gewöhnliche ... dies alles gewesen zu sein, heißt genug gewesen sein, um den Ruhm eines schriftstellerischen Genies gerne zu entbehren.

Von ihren Dichtungen ist so viel erhalten, wie einen mäßigen Band füllen kann. Die eigentlich unvergänglichen Zeugnisse ihres Lebens sind spärlicher; zu ihnen zählen einige Briefe der Liebe an Creuzer, einer der Rechtfertigung an Daub, einige rührende Gesänge des Abschieds aus dem Herzen, das den Untergang vorfühlt und dennoch glaubt, ein paar durchscheinende Sätze aus ihrem Werk, strenge Selbstgebote und Anrufungen der Mächte über ihr. Sie bilden das Epitaph über dem Grabe eines schönen Wesens, das seine Dichtungen bis ans Ende erlebte.

Seitdem uns die Werke der Dichterin wieder zugänglich wurden und die Wissenschaft das Aeußere ihrer Beziehungen im Leben feststellte, wurde ihre Gestalt öfter beschworen. Ludwig von Pigenot gab in der Vorrede zu seiner Ausgabe ihrer Dichtungen eine Würdigung ihrer Gestalt, deren Besonderheit wieder eher eingesehen wird, nachdem eine neue Auffassung vom zeitlichen Amt und überzeitlichen Menschentum des Dichters überhaupt sich Bahn gebrochen hat. Otto Heuscheles hymnisch rühmende Schrift über die Günderrode, die er dem Andenken Hofmannsthals widmete, ist noch in Erinnerung. Er hat die Dichterin in die Nähe Hölderlins gerückt und ihr die Ehren erwiesen, um die sie, auch hierin Hölderlin ähnlich, ein Jahrhundert lang betrogen war. Er sah in ihr die im Reiche des Mythos beheimatete Griechin, eine Priesterin und Prophetin, und errichtete ihr ein über die Umwelt erhöhtes Standbild. Naturgemäß gingen bei solcher edlen Stilisierung der Gestalt manche uns überlieferten Züge verloren, die das Antlitz der Frau lebensvoller und wirklicher, irdischer erscheinen lassen.

Uns liegt aber auch ihre einfache Menschlichkeit, die Historie der im trüben Zeitenstoff noch befangenen Seele am Herzen; jede Erinnerung, nicht nur an die heilige Fremdlingin, auch an die zage Deutsche, ist uns wertvoll. Auch das Mühsame, das Schwankende, das Ueberreizte, das Unzulängliche, die Zeichen der Ermüdung und Resignation möchten wir nicht missen. Vor die große Genesung am Ende ihres Lebens waren Tage der Krankheit und Wehrlosigkeit gesetzt. Ehe sie ihre wahrhaft eingeweihten Adonislieder schrieb, mußte sie sich durchquälen durch ein Wirrsal von literarischen Abhängigkeiten. Als sie liebte, begann auch ihre Demütigung. Und ehe es zu den wunderbar vertrauensvollen Zwiegesprächen mit dem Tode kam, hatte sie sich an den Grenzen der Umwelt, die ihr nicht groß genug war, wundgestoßen.

So mag es gerechtfertigt sein, wenn unter diesem Gesichtswinkel ihre Lebensgeschichte, ihre Briefe und Dichtungen für diese Arbeit noch einmal durchgegangen wurden. Auf ihre lautere, unzerklüftete Gestalt und ihr sinnbildliches Schicksal hinzuweisen, zur Beschäftigung mit den auch heute noch eindringlichen Bestandteilen ihres Werkes anzuregen, das ist der besondere Zweck unserer Darstellung. Man lese ihre Briefe, soweit sie nunmehr aufgefunden sind, man greife zu ihren Gedichten, zu Bettinas Erinnerungen. In allen diesen regt sich noch das ursprüngliche Bild, dem unsere Liebe gilt.

Wer in ihrer Hinterlassenschaft blättert, der glaubt diese lautere Stimme in ihrem Zeitalter schon einmal gehört zu haben, er erinnert sich an die Briefe der Diotima und an den vollen, dunklen Klang in den Briefen der Karoline von Schelling. Bei aller Verschiedenheit ihrer Naturen scheinen diese Frauen einander verwandt zu sein, vielleicht weil jede aus dem Grunde ihres Herzens und ihrer Hingabe spricht.

Ihre Gestalt ist schmal, ihre Gebärde sparsam, ihr Ausdruck fast monoton. Auch in den wechselvollen Tagen der Leidenschaft bleibt sie harmonisch, einfach, rein. Darum ist sie schwer zu fassen und sichtbar zu machen, in dem Maße schwerer, als das Reine, Harmonische, Einfache schwerer zu bemerken ist als das Zerspaltene, Interessante, Auffallende.

Im Schicksal der Karoline von Günderrode spricht sich eine verwandte Welt mit aus. Die schwermütige Kunde, die sie davon gibt, ist der Gegenstand unseres Gedächtnisses – es ist die alte Wahrheit der heroischen Naturen: daß der Mensch die Welt überwindet, der sich selber treu bleibt bis in den Tod.


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