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Frankfurt und Hanau

Jahre vergehen gleich einem tiefen Schlaf, wo wir nicht vorwärts und nicht zurück uns bewegen, und wirkliche Zeitabschnitte sind nur die, in denen der Geist die Seele befruchtet.

Die Günderrode an Bettina

 

Das Leben der Günderrode ist bis zu den Ereignissen um ihren Tod unscheinbar und still. In ihrem Lebenstag vorbestimmt durch ihre adelige Abkunft und die Wahl ihrer Zuflucht in einem altfürstlichen Damenstift mitten in der Stadtenge, lebt sie, ähnlich wie eine Generation später das westfälische Adelsfräulein Annette von Droste-Hülshoff, lange, ohne sich zu widersetzen, in abseitiger Hege, ein schüchternes, freundliches Stiftsfräulein zu Frankfurt am Main. Und wie bei der Droste verlegen sich Handlung und Abenteuer bei ihr nach innen. Ihre Lebenssehnsucht wächst, weil die Ferne verschlossen ist. Wo der Lebensraum begrenzt ist, schafft sie sich Gedankenräume drinnen, ihre Anschauung von der Welt ist eine Innenansicht. Einen Teil ihrer Kraft übt sie in Geboten und Verboten der Selbstzucht, sie erfindet sich ihr Sollen und Müssen. Ein größerer Teil aber, der sich zur Leidenschaft begabt fühlen durfte, sammelt sich an und staut sich unverbraucht. Und hier, wo die Spannung des Herzens nicht vorwärts treiben, nicht umschwingen kann, wo es der Liebeskraft verwehrt ist, Taten, Leiden, Opfer zu werden, da hätte ein Kenner der Seelengründe wie Kierkegaard auch die Wurzeln ihrer Schwermut gefunden.

Wir werfen einen Blick rückwärts auf ihre Herkunft.

Karoline Friederike Luise Maximiliane von Günderrode ist am 11. Februar 1780 in Karlsruhe geboren. Sie entstammt einem Adelsgeschlecht, dessen älteste Heimat das Reformationsland Sachsen ist. Ihre Vorfahren waren denn auch nach der Reformationszeit vielfach Prediger oder sie hatten ihren Platz in der Umgebung der protestantischen Fürsten. Ein Ahn der Günderrode war Ratsherr in Leipzig, ein anderer war Kanzler Philipps des Großmütigen von Hessen. Später wurde Frankfurt der Hauptsitz der Familie; ihre angesehensten Glieder saßen im Rat der Freien Reichsstadt, einige waren Stadtschultheißen. Karolinens Großvater gründete eine Bibliothek, es wurde ihm eine gelehrte Bildung nachgerühmt, und sein Sohn bewies ähnliche Neigungen. Hektor Wilhelm von Günderrode, der Vater der Karoline von Günderrode, war Kammerherr am Hofe des Markgrafen von Baden. Er starb, als Karoline sechs Jahre alt war. Ihre Mutter, eine schöne und begabte Frau, ging mit ihren sechs Kindern nach Hanau, wo sie an den Hof der Erbprinzessin Augusta von Cassel, einer Schwester Friedrich Wilhelms III. von Preußen, gezogen wurde.

Der markgräfliche Kammerherr hatte sich mit Veröffentlichungen über geschichtliche und staatsrechtliche Themen einen Namen erworben, seine Gattin schrieb Gedichte und Aufsätze. So atmete Karoline in der verfeinerten Bildung ihres Elternhauses schon früh die dünne Luft des deutschen Gelehrtengeistes. Es ist nicht erstaunlich, daß die Tochter Schelling liebt, wenn die Mutter Fichte studiert.

Karolinens Jugend fällt in die Jahre, in denen man sich in ihren Kreisen, das sind die geselligen Zirkel des ärmeren, unbeschäftigten Adels und des reicheren, ebenfalls unbeschäftigten Bürgertums, mit den Leiden schleppt, die durch eine Ueberfütterung des Gehirns hervorgerufen werden. Die Menschen, die in den Briefen der Bettina von Arnim leben oder durch die Memoiren der Berliner Romantik geistern, sind lebendig, rege, nervös bis zum äußersten, aber ihre innere Welt, deren Reichtum so vielfarbig schillert, ist nicht aus erster Hand, sie ist nicht die erste, ursprüngliche, ganze, dumpfe, wirkliche Welt der Selbsterfahrung; sie ist eine zweite, eine abgeleitete, schon einmal zerlegte, durchleuchtete, reproduzierte Welt, wie sie eben aufgenommen wird durch das Organ der Literatur. Das Leben dieser Gebildeten ist wieder verflüssigte Lektüre. Die einfachen Triebe der Liebe, Naturfreude, Gottesverehrung, die Lust am Spiel und der Drang zum tätigen Ernst, alles gelangt nur über das Hindernis fertiger Vorstellungen hinweg an den Weltstoff heran. Man lernt über ein Liebesgefühl tief und ausgiebig reden, ehe man es an sich selber erfährt. Der Ehrgeiz, ein bemerkenswertes Innenleben zu besitzen, ist größer als die ursprünglichere Lust, ein Stück Welt zu kennen. Karoline empfing ihre ersten Bildungseindrücke bei ihren Verwandten in Hanau und in der Nähe des schöngeistigen Hofes. Ueber die Gegenstände dieser ersten Bildung ist nichts überliefert. Gewiß aber vermittelte ihr die Mutter, von der sie sich später mehr und mehr entfernte, die Ehrfurcht vor den geistigen Mächten und Begriffen, vielleicht auch schon den Ehrgeiz, diese Begriffe einst selber zu handhaben.

Es ist merkwürdig: Karoline, die doch die Landschaft ihres inneren Menschen zum Gegenstand ständiger Betrachtung nahm, hat weder in ihren Briefen noch in den Gesprächen mit der Freundin noch in ihren Merkbüchern, worin sie eine Zeitlang über gerade Gedachtes oder Gelesenes Buch führte, die Jahre ihrer Kindheit mit einer Erinnerung festgehalten. Nur einmal sieht sie im Traum den Hof des alten Hauses in Hanau wieder, in dem sie ihre Jugend verbrachte: das Traumgefühl sagt ihr, daß es Nachtzeit ist, eine feuchte Herbstluft weht, und der Regen rauscht herab. Aus einer dunklen Kammer nahen sich die Geister ihrer Schwestern, und die ältere sagt: »Eine ewige kalte Notwendigkeit regiert die Welt, kein freundlich liebend Wesen.« – Das ist eine traurige Botschaft, vielleicht ein Nachklang trüber Jahre. Während bei der Freundin Bettina die meisten Handlungen sich bis ins Alter hinein aus einem Hort unbeschädigter Kindgefühle speisten, scheint die junge Karoline früh an strenge Sitten und schwere Gedanken gewöhnt worden zu sein. Zu früh wurde wohl in dem Hause der verarmten Witwe die gedämpfte Welt der Erwachsenen über sie verhängt. Drei von Karolinens Schwestern starben in ihrer Jugend. Dann in den Jahren der unschuldigen Schwarmgeisterei, in denen Bettina, eine ewige Sechzehnjährige, ihr Leben lang stecken blieb, belud sie sich mit Problemen, die den gereiften Kopf belasten und nur dem leichten und läßlichen zu keiner Zeit Schaden bringen. Leicht und läßlich war sie jedoch nie.

Die Pension der Mutter war so bescheiden, daß Karoline sich mit 17 Jahren in das von Cronstetten-Hynspergische Damenstift in Frankfurt aufnehmen ließ. Damals waren die puritanischen Satzungen, die früher den Insassen, die evangelisch sein und einer bestimmten Adelsfamilie zugehören mußten, ein klösterliches Leben vorschrieben, schon gemildert. Karoline durfte im Stift Besuche empfangen und war selbst auf ihren Reisen in den Odenwald, zu Freunden nach Würzburg, nach Heidelberg oder an den Rhein längere Zeit dem Hause fern. Freundinnen aus den Frankfurter Patrizierhäusern gingen bei ihr ein und aus, am häufigsten wohl die Bettina.

Bettina Brentano
Stich von L. G. Grimm
Frankfurter Goethemuseum

Das junge Stiftsfräulein gab sich sehr zurückhaltend. Briefe berichten von Bällen, Theaterbesuch und abendlichen Geselligkeiten, aber Einsamkeit scheint ihr kostbarer gewesen zu sein als die unterhaltende Gesellschaft. Eine Großmutter, die ihr im oberhessischen Butzbach noch lebte, schickte öfter ernste Mahnungen zu einem sittsamen Lebenswandel ins Stift. Wir wissen so wenig von den Einflüssen, unter denen Karoline sich entwickelte, daß die Briefe der Großmutter Luise, einer geborenen von Drachstedt, noch zu den lebendigsten Belegen gehören. Die um das Schicksal der Enkelin besorgte Dame verbrachte ihren Lebensabend in der Kleinstadt, und sie mag zwischen den Offizieren und Soldaten der dortigen Einquartierung nicht die beste Vorstellung von der Lebensart der heranwachsenden Generation bekommen haben. Was sie an Karoline schreibt, ist ein wunderlich ungelenkes Zeugnis von Treue und Güte: »Ich zweifle gar nicht, daß du liebes Medgen dein Betragen so einrichten würst, daß du uns alle Ehre magst und dir hierin die gröste. Auch immer so dein Vertrauen zeigst, sowohl der Fräulein Pröbstin wie Fräulein Gredel, was schiklich oder nicht Schicklich ist. Dises sind vernünftige Menschen. Daß Nächtliche laufen bringt Keine Ehre, weil sich alsdann hier und da Etwas anfedelt, wo durch ich nichts gewönne ... Ach Gott regiere dich mit dem heiligen Geist, werde und Sey ein recht Schaftene Christin, so würst du dich auch bestreben, eine Tugendhafte Person zu sein und dasz gehet über alles. Hast du noch Liebe vor mich, so verwürf meine Ermahnung nicht und denke daran, wenn ich schon lange Erkald bin. Gott Seegene dich.« Als die Großmutter so schrieb, war Karoline fünf Monate im Stift und fühlte sich dort wenig wohl. Sie begrüßte es, daß sie nach dem Tod der Greisin 1799 den folgenden Winter bei dem verwitweten Großvater in Butzbach verbringen konnte.

Wohl war Karoline in Frankfurt unter den kunstverständigen Jünglingen aus reichen Häusern und den bildungsbeflissenen Mädchen, in deren Kreis sie nun zu erblicken ist, gern gelitten. Aber ihre spröde Natur widersetzte sich dem allgemeinen Freundschaftskult. Sie selbst ermüdete leicht unter Menschen, mit denen sie nichts Gemeinsames zu haben glaubte. Einige sind ihr jedoch wert geworden. Was damals in Frankfurt schwärmte und lärmte, auf den Wällen spazierte, mit Sepia malte und Gesangstunden in italienischer Manier nahm, von Jakobis »Woldemar« und Goethes »Werther« zu Tränen gerührt wurde, aber auch schon die erregende Luft aus der Sphäre der neuen romantischen Philosophen witterte, das sind die Kinder der Generation, der auch Goethe angehörte. In den Briefen der jungen Günderrode erscheinen die Namen, die man zum Teil aus Goethes Erinnerungen kennt. Susanne von Heyden, eine geborene von Mettingh, die spätere Wächterin über der großen Liebe der Günderrode, war mit dem Hause Klettenberg verwandt. Ihre Schwester Lisette, eine kluge Frau von der glücklichsten Veranlagung, heiratete 1804 den aus Goethes Jenaer Allgemeiner Literaturzeitung bekannten Naturforscher Nees von Esenbeck. Sie hat die über ihren Träumen und Leidenschaften weltvergessende Günderrode öfter vor unüberlegten Schritten bewahrt. Wie später die Bettina in Karolinens Leben einen Ton der köstlichen entwaffnenden Lebenstorheit bringen sollte, so wurde Lisette für sie die Stimme der gesunden Vernunft, die vielleicht nur zu gesund war, als daß Karoline sie hätte immer hören mögen. Sie zog später mit ihrem Gatten auf das Landgut Sickershausen bei Würzburg, wo die Günderrode kurz vor ihrem Tod sie noch einmal besuchte. Lisette war es auch, die gemeinsam mit ihrem Gatten für den Druck und die Verbreitung von Karolinens ersten dichterischen Versuchen sorgte. – Karoline von Barkhaus und die Schwestern Servière werden in den Briefen aus der Frühzeit genannt; Frau von Barkhaus wurde die Vertraute von Karolinens erster Herzensneigung zu Savigny, Charlotte Servière hat das Ende in Winkel miterlebt. Mit dem Pfarrer Mertz kam der junge Doktor Wolfarth, ein Arzt, dem Schleiermacher einmal die Grabrede halten sollte. Er war ein Romantiker seines Fachs, Anhänger Mesmers, Schwärmer und Dichter.

Die alte Zeit mit ihrem Behagen an zierlicher und würdiger Form und die neue Zeit mit ihrer Lust am freien Geiste begegnen sich auch in dem orthodoxen Klima des Stifts. Karoline von Günderrode sitzt im schwarzen Ordenskleid mit langer Schleppe, weißem Kragen und Ordenskreuz an der Tafel des Stiftsherrn, ein Bild feinen Anstands und zarter Sitte. Die Ahnin aus der Wielandzeit, Sophie von Laroche, kann sie so ihrer ungebärdigen Enkelin Bettina als Vorbild empfehlen. Im geheimen aber schwärmt Karoline für den freigeistigen Pfarrer von Ostheim und liest Fichtes Abhandlung vom Glauben, den Hyperion und die pantheistischen Ketzereien des Holländers Hemsterhuis.

In Frankfurt knüpften sich auch die Bande zu den Romantikern: Bettina und Clemens Brentano, Arnim und Savigny.

Den jungen Rechtsgelehrten Friedrich Karl von Savigny sah sie zuerst bei Freunden in Lengfeld. Sie traf ihn wieder auf dem Hofgut der Savignys, in Trages bei Hanau. Savigny war ein Jahr älter als die Günderrode. Seine gerade, klare Männlichkeit war damals noch überstrahlt vom schmiegsamen Jugendsinn. Creuzer nannte ihn später einmal eine dorische Säule, richtig im Maß und stark, um einen Tempel tragen zu helfen, aber entkleidet der ionischen Zierde. Karoline blickte bald mit der Gläubigkeit ihrer neunzehn Jahre verehrend zu ihm auf. Seine schweigsame Art und der sanfte Schmerz, der sich in seinem Wesen ausprägte, hinterließen in ihr, wie sie der Freundin anvertraute, einen unauslöschlichen Eindruck. Es war kein Wunder, daß das empfängliche Gemüt des Mädchens, das auf die Reize des Schönen und Guten bei der leisesten Berührung mit zartem Gegenklang antwortete, sich von ihm angezogen fühlte. Selbst Bettina, die sich im Grunde mehr auf das Bizarre als auf das Maßvolle verstand, sah in ihm die edelsten Verhältnismaße verkörpert. Der Neigung, die auf dem Boden einer tiefen Achtung und Verehrung besonderer Vorzüge keimte und die noch kaum den ganzen Menschen ergriff, war keine Entfaltung beschieden. Im Sommer 1799 lernten sie sich kennen. Wenige Monate danach trat Savigny, dessen eigenste Leidenschaft seine Arbeit und geistige Aufgabe war, eine Studienreise durch Sachsen an, die ihn über ein Jahr fernhielt. Karoline sah ihn mit zwiespältigem Herzen gehen. Bei der Freundin klagte sie sich an: »Zürnen möchte ich mir selbst, daß ich mein Herz so schnell einem Manne hingab, dem ich wahrscheinlich ganz gleichgültig bin.« Frau von Barkhaus warnte, sein einsames Leben habe seine Gefühle hochgespannt, er habe sich ein Ideal geschaffen, das er schwerlich in dieser Welt verwirklicht finde. Ueber seine künftige Bestimmung sei er noch völlig unentschieden.

Als Savigny von den sächsischen Universitäten zurückkehrte, führte ihn Clemens Brentano in seine Familie ein. Dort lernte er Gunda, eine Schwester von Clemens und Bettina, kennen. Sie war es schließlich, für die er sich entschied und die im Frühjahr 1804 seine Frau wurde.

Savigny ist es in der Zeit seines Brautstandes durch feinen Takt und gütigen Humor gelungen, das unausgesprochene Verhältnis, das zwischen ihm und Karoline schwebte, in einen festen Zustand des Zutrauens und der Freundschaft, in den auch Gunda einbezogen wurde, hinüberzuführen. Seine Freundesbriefe an Karoline zeigen, wie zart und innig der zurückhaltende Mann mit Frauen umgehen konnte, wenn es galt, ein verwundetes Gemüt zu pflegen und ihm Genesung zu bringen. In dem neuen Zustand der fröhlichen Sicherheit ließ nun auch Savigny erkennen, daß Karoline ihm nicht gleichgültig gewesen war: »Man spricht viel von den Leiden des jungen Werther,« schrieb er, »aber andere Leute haben auch ihre Leiden gehabt, sie sind nur nicht gedruckt worden.«

Er hat ihr, wenn sie sich in verzweifelten Lagen an ihn wandte, nie seine Hilfe versagt. Es schmerzte ihn, wenn sie ihm in der Ratlosigkeit eine äußerste Not verschwieg. Die Mittel, die er empfahl, waren freilich streng und nüchtern. Aber es sprach sich seine ganze schöne Natur darin aus, wenn er ihr zurief: »Nicht zu weich sein und zu schwermütig und zu sehnsüchtig – klar werden und fest und doch voll Wärme und Freude des Lebens.«


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