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Der romantische Guckkasten.

Augenblicksbilder und Anekdoten.

Der romantische Guckkasten.

Gibst du Kreuzer,
Guckst du Loch!
Gibst du Gulden,
Guckst du ganze Woch!

 

Ein kleiner buckliger Mann sang diesen Vers und man merkte seiner braunen Samtjoppe und dem breitkrämpigen Hute an, daß er sich für einen Künstler hielt. Einen mit Flittertand verbrämten Wagen schob der Kleine vor sich her, und die Leute liefen aus den Häusern heraus und umdrängten das seltsame Fuhrwerk. Jeder zahlte gern den verlangten Kreuzer und preßte das Gesicht gegen die runden Gläser, die den Bord des Gefährtes säumten. Man war befriedigt von dem geschauten Bilderkram und die Gesichter spiegelten noch den Abglanz des Genusses, als der Guckkastenmann längst schon singend um die nächste Ecke gebogen war. Hier folgen einige Augenblicksbildchen aus dem Kaleidoskop des Guckkastenmannes.

I.
Prager Perückenkrieg.

Es war um die Zeit, da die Perücke, die bis dahin allgemein geachtet war, plötzlich ihr Ansehen verlor. Lange hatte sie als ein untrügliches Zeichen von Würde und Stellung gegolten; aber die jüngeren Leute verzichteten jetzt auf diesen Kopfschmuck und nur noch die älteren Herren wollten von der liebgewordenen Perücke nicht lassen.

Damals lebten auf der Kleinseite zwei vielbeschäftigte »Haarkünstler«. Der eine erwies sich als Anhänger der Perücke, und um deren Nützlichkeit jedermann recht deutlich vorzuführen, ließ er über seinem Laden ein großes Schild anbringen, das zeigte, wie Absalon, auf der Flucht vor König David, mit seinen Haaren an dem Zweig eines Baumes hängen blieb. Darunter aber standen die Verse:

Ihr, die Ihr hier vorübergeht,
Den armen Absalon da seht;
Trüg eine Perücke er auf den Haaren,
So wär ihm das Unglück nicht widerfahren!

Die Anhänger einer »falschen Behauptung« waren entzückt und die Perückenfeinde tobten. Doch bald erlebte die Jugend Genugtuung. Der andere Kleinseitner Barbier schützte das Ansehen der Freigeister, indem er über seiner Türe ein Schild annageln ließ. Auf dieser Tafel war ein Mann abgebildet, der, ins Wasser gefallen, verzweifelt mit den Wellen rang; ein vorübergehender Bürger hatte ihn retten wollen, allein er erwischte nur die Perücke des Unglücklichen. Unter dem Bilde aber waren folgende Worte zu lesen:

Perücken setzet niemals auf,
Selbst wenn man Euch noch zahlte drauf:
Tät der mit der Perück nicht prunken,
Wär er gewißlich nicht ertrunken!

II.
Nestroy in Prag.

Johann Nestroy war schon ein berühmter Mann, als er zum erstenmal nach Prag kam, um hier in einigen seiner Stücke die tragende Rolle zu spielen. Die Prager brauchten Zeit, bevor sie sich an das groteske, ganz ungewöhnliche Spiel des großen Komikers gewöhnten. Aber gleich zu Beginn seines Gastspiels ging ihm ein junger Bewunderer nicht von den Fersen und quälte Nestroy, ihm den Weg zur Bühne zu ebnen. »Geben Sie mir Gelegenheit, in einem Ihrer Lustspiele aufzutreten, und ich werde Ihnen ewig dankbar bleiben,« war seine stete Rede.

Nestroy hatte nach einer kleinen Probe die Unfähigkeit des jungen Menschen erkannt; als sich dieser aber nicht abweisen ließ, sagte der Künstler eines Tages: »Heute abend werden Sie auftreten. Ziehen Sie sich Ihren besten Frack an und kommen Sie vor Theaterbeginn in meine Garderobe.« Aufgeregt erschien der Jüngling zur festgesetzten Stunde. Er war sorgfältig herausgeputzt, und Nestroy heftete ihm noch zur Erhöhung des Glanzes einen leuchtenden Ordensstern an die Brust. »Was habe ich zu tun?« fragte atemlos der junge Mann.

»Das werden Sie alles erfahren«, war die Antwort, und Nestroy nahm seinen Gast unter den Arm und führte ihn hinter eine Kulisse. Gleich darauf begann die Vorstellung. So oft Nestroy an dem jungen Menschen vorüberging, flüsterte ihm dieser zu: »Wann komme ich dran?«

Es verging der erste Akt, und der zweite und der dritte Akt fanden ihr Ende, und der Jüngling stand noch immer erwartungsvoll hinter der Kulisse. Auf alle geflüsterten Fragen hatte Nestroy stets die nämliche Antwort: »Nur Geduld, Ihre Rolle kommt noch heute an die Reihe.«

Im Schlußakt, ehe sich der Vorhang zum letztenmal senkte, hatte ein Schauspieler die Worte zu sprechen: »Das muß unser Herr Staatsrat erfahren!« Nestroy ging hinter die Kulisse zu dem Jüngling und sagte: »Haben Sie gehört? Der Herr Staatsrat sind Sie, Sie haben vorzüglich gespielt.«

III.
»Katschierek.«

Noch immer genügt es, wenn die Mutter ihrem unartigen Liebling warnend die geflügelten Worte zuruft: »Sei still, sonst kommt der Katschierek und holt dich!« –

»Katschierek« ist der Kinderschrecken des Baumgartens: alle Flurschützen führen dort diesen Namen, nach irgend einem, der einst vor vielen Jahren im Bubentscher Park draußen mit Strenge seines Amtes gewaltet hat. »Katschierek« ist wie der schwarze Mann im Kindermärchen. Allein, wie es unter den sagenhaften Schreckgestalten eine lange Ahnenreihe gibt, einen Butzemann, einen Hans Drappfuß und andere, so hatte auch der wirkliche Katschierek einen klassischen Vorgänger, und dieser hieß Beranek. Das war einer, der noch etwas auf äußeren Glanz hielt.

Täglich am Nachmittag, während des Militärkonzertes, stand der hünenhafte Greis auf dem »Genußplatz«. Er stand da auf seinem Säbel gestützt, kerzengerade und in Paradeuniform; an den Hosen die grünen Lampassen, an den Händen die weißen Handschuhe und die Brust bedeckt mit Medaillen und Ehrenkreuzen. In respektvollem Abstand, genau sieben Schritte, hatte er sich hinter seine Exzellenz, den Herrn Statthalter, postiert, der es gleichfalls liebte, täglich das »Volk« im Baumgarten an sich vorbeifluten zu lassen. Franz Xaver Beranek und den Exzellenzherrn verbanden gemeinschaftliche Erinnerungen: beide hatten in Italien »Ordnung gemacht«. Aber während Baron Kraus als Statthalter von Böhmen auf seinen Lorbeeren ausruhte, machte der Kürassier Wachtmeister unentwegt auch weiterhin Ordnung, wenn auch jetzt nur noch im Baumgarten.

Genau um die fünfte Stunde verschwand Beranek von der Promenade; er hatte um diese Zeit beim Springbrunnen zu tun und täglich warteten dort schon Leute, die Zeugen seiner Amtshandlung sein wollten. Ohne sich zu beeilen, kam der Alte heran, trat auf eine exzentrisch gekleidete, rotblonde Name zu, und erklärte Sie schöne Frau für verhaftet.

Es war die Operettendiva Schenk-Ullmeier, der täglich im Baumgarten dieses Mißgeschick zustieß, denn Frau Schenk-Ullmeier pflegte dort um die fünfte Nachmittagsstunde ihre zwei Pintscher im Springbrunnen zu baden. Täglich wurde sie bei diesem Verbrechen von Beranek erwischt, täglich führte er sie auf das Bubentscher Kommissariat, wo Frau Schenk-Ullmeier fünf Gulden als Strafe erlegen mußte. Aber am nächsten Nachmittag gönnte sie ihren Pintschern wieder die Erfrischung und machte sich einen ganzen Sommer lang das Vergnügen, von Herrn Beranek täglich verhaftet zu werden.

IV.
Die Ente im Schlafrock.

Es war zur Zeit, als das Bettlerhandwerk in Prag noch einen goldenen Boden hatte.

Eines Morgens schaute ein Kavalier aus dem Fenster seines Kleinseitner Palastes. Da sah er, daß zu der Bettlerin, die drüben unter den Steinlauben ihren angestammten Sitz hatte, eine junge Dienstmagd trat. Die Gasse war eng, so konnte der Graf jedes Wort verstehen, das unten gesprochen wurde.

Das Mädchen fragte die Bettlerin: »Gnädige Frau, was kochen wir heute? Darf ich Ihnen ein Hühnchen braten?«

Aber die Alte antwortete verdrießlich: »Diese ewigen Hühner wachsen mir schon zum Halse heraus! Weißt Du denn wirklich nichts Besseres? Mache doch wieder einmal Ente im Schlafrock!«

Der Graf, ein berühmter Feinschmecker, ließ sofort die Greisin zu sich heraufholen, denn er hatte noch nie eine Ente im Schlafrock gegessen, und war daher sehr auf das unbekannte Küchenrezept begierig. Zuerst stellte sich das Bettelweib taub, wollte lange nicht verstehen um was es sich handelte, doch endlich löste ihr der Kavalier mit der Zusicherung eines täglichen Almosens die Zunge, auch versprach er unverbrüchliches Stillschweigen.

Nun sagte die Greisin: »Euer Gnaden werden es einer alten Frau verzeihen, wenn sie ihren traurigen Lebensabend durch ein paar gute Bissen zu verschönern trachtet. Ich bin über siebzig, habe also nicht mehr lange zu leben und muß mir daher noch schnell etwas gönnen. Ein saftiger Truthahn war früher mein Leibgericht, doch seit einiger Zeit vertrage ich ihn, Gott seis geklagt, nicht mehr recht. Da lasse ich den Truthahn ausweiden, stecke in seine Höhlung eine junge, wohlgemerkt – sehr junge Ente, und brate beide zusammen. Die Ente esse ich, den Truthahn bekommt mein Dienstbote.«

So sprach die Kleinseitner Bettlerin und seufzte dazu aus tiefster Seele; dann flüsterte sie: »Herr Graf, könnten Sie mir das gnädigst zugesicherte Almosen für morgen nicht schon heute geben? Zu dem Entchen muß man nämlich einen guten weißen Melniker trinken, und ich bin so arm, so bettelarm!«

Da tat der Kavalier einen tiefen Griff in die Börse, dann ließ er seinen Koch rufen.

V.
Prager Anekdote.

An unserer Universität lehrte vor Jahren ein berühmter Professor, der sich die paläontologische Durchforschung des Moldautales zur Pflicht gemacht hat. Einmal hatte er besonderes Glück, die Fundstücke häuften sich zu einem kleinen Hügel. Unser Gelehrter entschloß sich, einen kräftigen Mann aufzutreiben, der die kostbare Last nach der Stadt schleppen würde. Der Professor führte den Mann zu dem Steinhaufen, überwachte die Verpackung, sah sorgsam darauf, daß kein Stückchen zurückblieb, zahlte ein Angeld, und ging dann nach Kuchelbad, um sich dort bei einem Mittagessen von den Anstrengungen dieses Morgens zu erholen.

Unterdessen machte sich der Knecht auf den Weg gegen Prag zu. Die Sonne brannte, die Steine drückten. Da begegnete ihm ein Wandersbursch, ein dürrer Gesell, der fragte: »Was trägst Du da Schweres?«

»Steine, die ein alter Narr von dem Felsen dort drüben mit seinem Hammer abgehauen hat.«

»Hoho«, lachte der Wandersbursch, »also ganz gemeine Steine sind es; und wohin trägst Du sie?«

»Bis nach Prag in die Karpfengasse, dort wo das große Eckhaus steht, das Müllerische.«

Nun wußte sich der Wandersmann vor Lachen nicht zu halten. »Du Kindskopf«, wieherte er, »in Prag gibt es Steine genug, und vor dem Müllerischen Haus ist ein ganzer Haufen davon aufgeschichtet! Sei kein Narr und schütte Deinen Sack aus! In der Karpfengasse kannst Du ihn aufs neue füllen.« Im nächsten Augenblick flogen die paläontologischen Prachtstücke in die vorüberfließende Moldau.

Als der Professor heimkehrte, fand er auf seinem Arbeitstisch wertlose Kieselsteine und ähnliches Gerölle, aber der Überbringer dieser Kostbarkeiten wartet heute noch auf die versprochene Prämie und er kann es dem Geologen bis ins Grab nicht verzeihen, daß ihn jener ohne den verdienten Lohn aus dem Hause gejagt hat.

VI.
Prager Bettler.

Mit der Größe einer Stadt, mit ihrer äußeren Pracht und ihrem Glanz, pflegt auch das Elend gleichen Schritt zu halten, und da fällt es angenehm auf, daß man in den Prager Gassen jetzt fast niemals einem Bettler begegnet. Das Betteln ist kein lohnendes Gewerbe mehr.

Was man früher für zehn Heller zu kaufen bekam, ist heute nicht einmal um eine Krone erhältlich, aber selten nur entschließt sich irgendein Wohltäter eine ganze Krone in die flehend vorgestreckte Bettlerhand zu legen. Also steht es kaum für die Mühe mehr, auf den Straßen zu fechten oder in den Häusern anzuklopfen. Heute ruft keine Lumpensammlerin ihrer Nachbarin durchs offene Fenster zu: »Liebe Freundin, wir haben schönes Wetter, möchten Sie nachmittags mit mir nicht ein bißchen betteln gehen?«

In der Tat, das Schnorren hat allen Reiz verloren, man kommt nicht mehr auf seine Kosten. Höchstens an jenen Orten, die frommer Übung gewidmet sind, auf den Friedhöfen und in den Kirchen finden sich noch Leute, die zu größeren Spenden eine gewisse Neigung verraten. Vor Gott und dem Tode werden die meisten Menschen weich, da greifen sie sogar tiefer in den Säckel. Daher sieht man vor den Toren der Gottesäcker und den Portalen der Gotteshäuser auch jetzt noch einige Bettler.

In der Altstadt saß einst solch ein unentwegter Bettelgreis auf den Stufen einer Kirche und betete laut seinen Rosenkranz. Da trat eine reichgekleidete junge Frau auf den alten, in Fetzen gehüllten Mann zu, redete ihn freundlich an, und beim Abschied küßte sie ihm die Hand. Ein vorübereilender Herr war von dieser ungewöhnlichen Szene so überrascht, daß er den Alten fragte: »Was war das für eine Dame, die Ihnen eben die Hand geküßt hat?« – »Das ist meine Tochter«, erwiderte der Bettler, »und daß sie mir die Hand geküßt hat, finde ich nur selbstverständlich, denn ich habe meine Kinder zur Ehrfurcht gegen ihre Eltern erzogen. Es geht ihnen aber auch allen, Gott sei Dank, recht gut.«

»Wenn es Ihren Kindern so gut geht, warum lassen sie den altern Vater betteln? warum unterstützen sie ihn nicht?« staunte der Herr.

Der Greis versetzte: »Das habe ich nicht nötig; mein Brot verdiene ich mir schon selbst.« Und er hielt dem Herrn seinen zerknüllten Filzhut unter die Nase.

VII.
Prager Narren.

Es war einst das Vergnügen vornehmer Leute, sich zu ihren Festgelagen Geisteskranke und Krüppel zu laden. Doch auch die breite Menge ergötzte sich gern an dem Treiben armer Narren, und die Unsitte, geistig verwirrte Menschen zu hänseln, dauerte bis in unsere Zeit. Seitdem Prag eine große Stadt geworden ist, sind aber die unfreiwilligen Lustigmacher aus den Straßen verschwunden.

Noch vor fünfzig Jahren sang man in den Prager Gassen den Spottvers: Karlièek Bumm, koupil si dùm – Karlchen Bumm kaufte sich ein Haus; kauft' sich eine Gans, küßt sie auf den Schwanz; schafft sich einen Kanari an, glaubt, daß man ihn mästen kann. –

Der Held dieses Kinderliedchens pflegte auf den Stufen zu sitzen, die zum Bahnhof in der Hybernergasse fuhren. Er sah dort friedlich und verkaufte bunte Papierfähnchen. Seine Sanftmut verwandelte sich aber sofort in wilden Zorn, wenn man ihm das geflügelte Wort » kapra hoøi!« zurief.

»Die Tasche brennt!« Das war das Stichwort für Karlièek Bumm. Oft umstand ihn ein Kreis heiterer Passanten, je mehr er schimpfte und schrie, desto fröhlicher wurde seine Umgebung. Der arme Wicht soll einst ein vermögender Mann gewesen sein, der sich alles kaufen konnte, was sein Herz begehrte, eine Feuersbrunst verzehrte aber sein Haus und raubte ihm auch den Verstand.

Karlièek Bumm war ein trauriger Narr, ein heiteres Gemüt besaß dagegen jener Idiot, der unter dem Namen »Pan Doktor« auf der Kleinseite große Volkstümlichkeit genoß. Er warf sich stolz in die Brust, wenn man ihm diesen Titel gab, grüßte huldvoll nach allen Seiten, prunkte mit ein paar lateinischen Vokabeln. Das Lächerlichste an ihm war die mächtige Hornbrille, die keine Gläser hatte.

Damals lebte auch noch, und wandelte gravitätisch durch die Gassen, gefolgt von einem Schwarm johlender Straßenjungen, Herr »Wehle mit dem Paraplüh«. Der kleine viereckige Greis trug stets zwei Schirme mit sich herum: einen Regenschirm und einen Sonnenschirm. Je nach dem Wetter hatte er den einen seiner beiden Schirme aufgespannt und hielt den andern geschlossen unterm Arm. Wehle wohnte in der Judenstadt, er war immer sauber gekleidet und sein sorgfältig rasiertes Gesicht strahlte von kindlicher Selbstgefälligkeit.

Ein andrer Narr aus dem Prager Ghetto war Chaim Paff »mit der ledernen Flinte«. Der Zuruf: »Piff, paff!« versetzte ihn in panischen Schrecken, er floh dann schreiend um die nächste Ecke. Die Geschichte seines Schicksals und seine armselige Gestalt gehören bereits der Legende an.

VIII.
Der Papagei.

Auf der Kleinseite lebte vor Jahren ein alter Mann, der sich kümmerlich genug mit dem Abschreiben teuerer Musikalien ernährte. Man kannte ihn in der Nachbarschaft nur unter dem Namen »Pudel-Kalmus«, weil sich der Greis niemals anders als in Gesellschaft eines ebenfalls bejahrten, aber noch recht stattlichen schwarzen Pudels sehen ließ. Doch seine Liebe gehörte allen Tieren. Bemerkte er irgendwo eine Tierquälerei, so wurde der schüchterne Herr Kalmus, der sonst fremden Leuten ängstlich auswich, von einem wahren Löwenmute ergriffen. Der Notenschreiber betrachtete sich eben als Anwalt aller gepeinigter Tiere, und er pflegte nicht eher locker zu lassen, bis dem Unfug ein Ziel gesetzt war.

Einmal hatte Herr Kalmus dem Kapellmeister Karl Maria Weber Noten abzuliefern und begab sich daher, trotz des heftigen Schneegestöbers, nach der Altstadt. Auf dem Wege ins Ständische Theater mußte er an dem Laden eines Vogelhändlers vorbei. Über der Türe saß dort traurig in seinem Messingreifen ein Amazonenpapagei, doch sah man von den schönen roten und grünen Federn, recht wenig, denn das Gefieder des Tropenvogels war bepudert mit Schnee. Das bedauernswerte Geschöpf saß ganz steif vor Frost dort droben und schaukelte sich verzweifelt im eisigen Nordwind. Es war der armen Kreatur anzumerken, wie erbärmlich sie frieren mußte.

Ohne sich lange zu besinnen, trat Herr Kalmus in den Laden und mit zornig gesträubten Schnurrbart sagte er: »Bei diesem Unwetter läßt man keinen Papagei im Freien hängen; das ist roh und gewissenlos! Bringen Sie den Vogel sofort ins Warme.«

Der Händler musterte den angeregten Fremden spöttisch: »Gehört das Tier Ihnen?« fragte er dann ruhig.

»Nein, leider nicht,« gestand Herr Kalmus, »aber ich beharre trotzdem auf meinem Verlangen: Tragen Sie den Vogel augenblicklich in Ihren Laden.«

»Fällt mir gar nicht ein,« versetzte der andere gelassen, »der Papagei ist mein Eigentum, und ich kann daher mit ihm machen, was mir beliebt. Also bleibt er draußen.«

»Aber das Tier geht ja zugrunde!« kreischte der Notenschreiber verzweifelt.

Da klopfte der Händler Herrn Kalmus gemütlich auf die Schulter: »Und wenn Sie darüber zerspringen sollten, bleibt der Vogel draußen.« –

Einen Augenblick war der Alte starr vor Wut, dann stürzte er wie ein Rachegott aus dem Laden, nicht ohne vorher dem Vogelhändler ins Ohr gebrüllt zu haben: »Ich komme wieder!« Und er kam wieder; diesmal in Begleitung eines Wachmannes.

»Herr Novak,« schnarrte der Polizeisoldat und rieb sich die roten Hände, »der Papagei muß ins Gewölb, draußen erfriert er.«

»Sehr erfreut, Herr Wachtmeister, daß Sie uns besuchen,« flötete der Geschäftsmann, »sehr erfreut und geehrt, aber der Vogel bleibt draußen, der erfriert nicht, der hält schon was aus: er ist nämlich ausgestopft!«

IX.
Das Nachtlager von Granada.

Dieses alte Prager Vorstadthaus ist ausgezeichnet vor allen anderen Häusern durch seinen ganz besonderen und unvergleichlichen Geruch. Jedes Haus besitzt ja für seine Nasen seinen persönlichen Odör, an dem man es leicht und sofort erkennt. Aber es kann in einer großen Stadt doch vorkommen, daß das eine oder andere Gebäude zum Verwechseln ähnlich riecht. Doch das Vorstadthaus, von dem hier die Rede ist, unterscheidet sich in dieser Beziehung wirklich von jeder anderen Mietkaserne. Seine Bewohner würden es unter Tausenden, wie die Hunde ihren Herrn, an der Witterung erkennen, auch wenn sie die Straße, die Hausnummer und sein äußeres Aussehen vergessen sollten.

Im Hofe befindet sich ein Pferdestall und darüber ein gewaltiger Heuboden; und dieser Heuboden ist bis an die Dachsparren mit duftendem Heu angefüllt. Und dann gibt es in diesem Hause ein großes Magazin, angefüllt mit Fellen und getrockneten Häuten; und diese Felle und Häute sind mit Naphthalin bestreut. Und der Wohlgeruch der getrockneten Wiese, die auf dem Heuboden aufgespeichert ist, und der zudringliche Gestank des Naphtalins, fließen zu einem seltsamen Akkord zusammen, haben sich verbunden zu einem sonderbaren Aroma, das nicht seinesgleichen hat weit und breit, und den Hof und die Gänge und die Hausflur erfüllt. Die Menschen, die hier wohnen, haben den Geruch angenommen, ihre Kleider sind durchtränkt von ihm, und ihre Haare. Es gibt nur ein Haus in ganz Prag, das so beschaffen ist und seine Hausleute sind gar nicht böse darüber.

Aber dieses Vorstadthaus besitzt noch eine andere Merkwürdigkeit. Sobald bei uns die heißen Tage beginnen und die Menschen unter der bleiernen Glutwelle schmachten, wird dort allabendlich das Nachtlager von Granada aufgeschlagen. Rings um den Hof, die vielen Stockwerke entlang, laufen jene offenen Galerien, die in Prag oft alte Häuser aufweisen, und die hierzulande Pawlatschen genannt werden. Auf diesen Pawlatschen nächtigt nun die zahlreiche Bewohnerschaft des Hauses, Männer und Frauen, Kinder und Katzen, Hühner und Hunde schlummern hier in holdem Verein. Weshalb sollten sie auch in den dumpfen Stuben übernachten, die wie die Bleikammern Venedigs mit brütender Hitze geladen sind, wenn draußen eine unverglaste Pawlatsche mit kühlen Steinfließen ladet? 2n der Stube summen tausende von Fliegen und die Luft ist zum Schneiden dick, aber draußen duftet es so schön nach Heu und Naphthalin. Manche feine Partei, die jetzt in ihren vornehmen vier Wänden fast verschmachtet, mag die Menschen im Armeleuthause um die kühle Schlafgelegenheit beneiden, um die gastfreie Pawlatsche, die ein Witzbold, der auch ein wenig mit seiner Bildung protzen wollte, das Nachtlager von Granada genannt hat.

X.
Der Klügere gibt nach, der Esel fällt in' Bach.

So oft Wolfgang Amadeus Mozart nach Prag kam, wohnte er in der Villa »Bertramka«, die damals dem Künstlerpaare Duschek gehörte. Dort zwischen Wiesen und Weingärten, in dem freundlichen Gartenhaus des Dörfchens Koschirsch hat er auch seinen Don Juan vollendet. Dort entstand die große Ouvertüre des Werkes, die mit aufwühlenden, erschütternden Tönen das Strafgericht ankündigt, das über den leichtfertigen Frevler hereinbricht, der Gott und der Welt in seinem Übermut trotzen will.

Ob das sorglose Genie Mozarts gegen den eigenen Willen in ein Zimmer der Bertramka eingeschlossen, und unter dem Zwange der Gastgeber in einer einzigen kurzen Nacht, kaum achtundvierzig Stunden vor der ersten Aufführung dieses unsterbliche Vorspiel zu dem Hauptwerk seines Lebens niederschrieb, gilt heute noch als Zankapfel der Gelehrten. Sicher ist, daß Mozart den Don Giovanni mit großem Eifer und sehr gewissenhaft in Prag geprobt hat und sich nicht eher zufrieden gab, bis Sänger und Orchester allen Ansprüchen der hohen Aufgabe gewachsen waren.

Namentlich mit der Sängerin Bondini war der Meister unzufrieden. Sie hatte die Rolle der Zerline und machte regelmäßig an jener Stelle, wo sie um Hilfe zu rufen hat, einen Fehler. Dieser Hilferuf hinter der Szene klang Mozart viel zu schwach und auch im Tonfall nicht ganz richtig. Als die Sängerin ihren Angstschrei wieder zur unrechten Zeit und fehlerhaft anbrachte, verließ Mozart ungeduldig seinen Dirigentenplatz, stieg auf die Bühne, ließ die letzten Takte des Menuetts wiederholen und in dem Moment, da Zerline hinter den Kulissen ihren Angstschrei hören lassen soll, packte er die Bondini unerwartet und so heftig bei den Hüften, daß sie entsetzt aufkreischte. »So müssen Sie schreien, schönes Kind«, sagte Mozart und stieg befriedigt wieder ins Orchester.

Dann kam die Kirchhofsszene; da wird der Gesang des Gouverneurs von Posaunenklängen begleitet. Einer unter den Bläsern, ein alter Mann, machte seine Sache schlecht. Als alle Wiederholungen nichts fruchteten, trat Mozart an das Pult des Posaunisten und wollte ihm nochmals erklären, wie diese Stelle vorzutragen sei. Aber er kam schlecht an: »Diese Stelle kann man überhaupt nicht blasen, und von Ihnen werde ich es auch nicht lernen«, knurrte wütend der alte Musikant. – »Wie Sie glauben,« sagte Mozart höflich und lächelte zu der Grobheit des Alten wie ein fröhliches Kind, das sich aus Schelte nichts macht. Dann verstärkte er die Begleitung durch zwei Klarinetten, Fagote und zwei Oboen, »damit der Starrkopf übertönt wird«.

Als dem Meister nachher der Theaterprinzipal Guardasoni aus seiner Nachgiebigkeit einen gelinden Vorwurf machte, erwiderte Mozart vergnügt: »Ich werde doch einem Querulanten zuliebe meine gute Laune nicht aufopfern. Ich habe den Esel einfach in den Bach fallen lassen.«

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