Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vom »Baumgarten«.

Ein Lenzbrief.

Kein Genuß läßt den bitteren Bodensatz der Enttäuschung vermissen, nur die Freude an der Natur, die allen neidischen Geistern trotzt, macht uns wahrhaftig glücklich! So hat der Mensch, seitdem das Geschick ihn aus den grünen Gefilden, aus Wäldern und Wiesen ins graue Stadtgemäuer verbannte, unter der Sehnsucht gelitten, der freien Schöpfung teilhaftig zu werden. – Hinaus ins Freie sehnt er sich, und weil ihm diese Flucht aus der Steinwüste versagt blieb, oder weil er zu schwach war, den Freuden und Annehmlichkeiten der Großstadt zu entsagen, so griff er zur Kunst und zauberte mit ihrer Hilfe ein Stück Natur um sein Haus. Doch gar bald wuchs der Wert aller städtischen Grundstücke so übermäßig an, daß die großen Höfe den Bürgern wie eine sträfliche Vergeudung erscheinen mußten und der kleinste Hausgarten als eine Sünde gegen den eigenen Geldbeutel. Da sind die öffentlichen Gärten entstanden, die weiten Parkanlagen, die jedem und doch niemandem zugehören, aber ein Trost bleiben für alle jene, die ihre Sehnsucht büßen. Auch Prag hat seine Gärten, seine öffentlichen Parke, und jetzt, da sie eben wieder aus einem langen Winterschlaf zu neuem Leben erwacht sind, will ich die Schönheit des größten unter ihnen rühmen und von dessen Schicksalen erzählen. Denn auch Gärten haben ihre Schicksale und ihr besonderes Gesicht, just so wie die Menschen.

Viele Parkanlagen habe ich kennen gelernt: in Wien bin ich durch den fürstlichen Prater gestreift bis tief in die Donau-Auen hinunter; in Dresden war ich oft im »Großen Garten« und habe seine alten Alleen und die Pracht seiner Blumenbeete bewundert; die ungezwungene Natur des »Englischen Garten« habe ich in München genießerisch mit erlebt und habe auch den vielgerühmten »Tiergarten« der Berliner wohlgefällig betrachtet. Aber kein einziges dieser weitläufigen Parkgelände hat mich jemals so entzückt, wie unser alter lieber »Baumgarten«. Viele Fremde sagen das gleiche, so brauche ich nicht zu fürchten, daß mein Urteil einer beschränkten Heimatsvorliebe zur Last gelegt wird. Der Baumgarten also ist schöner als alle Großparke der mitteleuropäischen Weltstädte. Auch er ist ein Riese an Ausdehnung, hat Wirtschaften, Teiche und Wasserkünste innerhalb seines Bezirkes, besitzt greise Bäume und saftige Rasenflächen, dankt seine Entstehung der Jagdliebhaberei eines Herrschers und ward durch kaiserliche Gnade zum Gemeingut der Bürgerschaft. Und doch ist unser Baumgarten anders, ganz anders wie die andern grünen Lustreviere, wie überhaupt alle Prager Gärten ihre eigene, besondere Note besitzen.

Als meine Vaterstadt noch nicht so ausgewachsen war und nur zögernd über das linke Moldauufer herübergriff, lag der Baumgarten weit weg von Prag; da gab es noch Einsamkeit auf seinen breiten verschlungenen Wegen, und im Schatten der hundertjährigen Linden und Rieseneichen träumte die Schwermut. Damals schmiegte sich nur das Örtchen Bubenè an die Mauern des »Königlichen Tiergartens«, sonst gab es weder Hof noch Haus in der Nähe. Jetzt freilich ist die Stadt bis dicht an unsern Baumpark herangerückt, auf drei Seiten hält sie ihn eng in ihren steinernen Armen, die »Elektrische« hat ihre Eisenschienen bis tief in sein entheiligtes Bereich geschoben, aber er ist schön geblieben trotz alledem. Seit 1804. also schon über ein Jahrhundert, stehen die Tore des Baumgartens offen; damals hat Kaiser Franz I. diesen Wildpark den böhmischen Landständen geschenkt und er ist heute noch Eigentum des Landes Böhmen.

In meiner Kinderzeit war ein »Ausflug« nach dem Baumgarten ein besonderes Sonntagsvergnügen; damals gab es dort noch Getreidefelder und Kartoffeläcker. Ein Meierhof, wo man wundervolle kuhwarme Milch zu trinken bekam, galt als besonderer Anziehungspunkt. Natürlich war auch schon die »große Restauration« da mit dem Genußplatz und der Nobelallee. Und die Militärkonzerte am Sonntag und Donnerstag versammelten ganz Prag unter die schattigen Kastanienbäume.

Worin beruht nun der Reiz und die besondere Anziehungskraft des Baumgartens? In der ungewöhnlichen Art, wie sich hier Kunst und Natur verbunden hat. Kaiser Rudolf, jener unglückliche Herrscher, unter dessen Szepter der dreißigjährige Krieg ausgebrochen ist, hat diesen Park, wie alles, was er von seinen Vorgängern an Krongut ererbt, mit eigenem künstlerischem Geist erfüllt, denn er war eine schönheitstrunkene Künstlernatur und sein ganzes Wesen und sein Schicksal erinnert an den schwermütigen König Ludwig von Bayern. Der Kaiser ließ einen Stollen durch den Sommerberg schlagen, das felsige Belvedereplateau durchstechen – ein für die damalige Zeit selten kühnes Unternehmen der Technik – und setzte so weite Strecken des Tiergartens unter Wasser. Auf einem Hügel wurde ein Jagdschlößchen erbaut, das später dem jeweiligen Statthalter von Böhmen zum Sommeraufenthalte diente; Wildgänse und Wasserreiher wurden im Waldgehege angesiedelt; eine neue, völlig veränderte Landschaft entstand und das jetzige Eichenwäldchen ragte als kleine Insel aus den schilfumränderten Fluten eines mächtigen Teiches empor. Der große Teich ist nun längst wieder verschwunden, ein herrlicher Landschaftspark mit weiten Wiesen und selten schönen Baumgruppen bedeckt seinen Boden, aber die Anlage des rudolfinischen Zeitalters ist noch deutlich in ihren ursprünglichen Linien zu erkennen und sie geben eben dem Baumgarten den unvergleichlichen persönlichen Reiz, das besondere Gepräge.

Noch ein anderer Park erinnert die Prager an die tiefe Naturschwärmerei Rudolfs II., der Kaisergarten auf dem Hradschin; dort blühten in ganz Europa die allerersten Tulpen, der kaiserliche Gesandte Buschbeck hatte sie aus der Türkei mitgebracht und seinem blumenliebenden Herrscher verehrt. Auch im Baumgarten blühen jetzt wieder die Tulipane, wie rote und gelbe Opferflammen auf dem Altar des Frühlings brennen ihre farbigen Kelche über den Rasenflächen. Jetzt im Wonnemond ist der Prager Großpark sicher am schönsten, er hat noch den zarten Glanz der Jugend über sich gebreitet, die Sattheit der sommerlichen Reife fehlt ihm und der heimliche Unterton einer müden Seele. Aber jetzt, da das Laub noch nicht so dicht ist, die schütteren Wipfel und Sträucher noch einen freieren Durchblick gestatten, merkt man dafür die Wunden, die die Zeit dem alten Park geschlagen hat, die Sünden einer verständnislosen Menschheit gegen das kostbarste Naturjuwel. Vor siebzig Jahren etwa, als die Staatseisenbahn-Gesellschaft ihre Strecke zwischen Prag und Dresden baute, mußte ausgerechnet der Schienenweg mitten durch den Baumgarten gelegt werden; seitdem zerreißt ein endlos langer und häßlicher Bahndamm unseren Park in zwei ungleiche Teile. Der Ruhm dieser Tat ließ die Buschtiehrader Bahn nicht eher ruhen, bis auch sie ihre Trasse durch das poesievolle Gelände des Baumgartens getrieben hatte, diesmal im Süden des Reviers mit der Zugabe eines Tunnels. Als endlich die Moldau reguliert wurde, da wußten die Baumeister wieder nichts klügeres, als einen langweiligen Wasserkanal für die Schiffahrt des Flusses wie mit einem Lineal schnurgerade durch die saftigsten Wiesen unseres Tiergartens zu ziehen und dabei die majestätischesten Baumriesen herzlos aufzuopfern, wiewohl es just wie bei den Eisenbahnen nur einen kleinen Umweg gekostet hätte, um den paradiesischen Anlagen die verdiente Schonung zu erweisen. Nicht genug an all diesen Sünden, hat man noch zu Ausstellungszwecken ein weites Gebiet vom Baumgarten abgetrennt und mit unschönen Bauten in dem gewissen Ausstellungsstil der Industriepaläste und Maschinenhallen geschmückt. Diese tote Welt erwacht nun jedes Jahr zu einem kurzen, hastigen Leben, sonst liegt sie verstaubt und gottverlassen hinter Gittern und Planken. Der Ausstellungsplatz hat eben eher auf das Belvedereplateau gepaßt als hierher.

Ein Fehler war es schließlich auch, dicht an dem Baumgarten die elektrische Zentrale Prags zu errichten. Die beiden turmhohen Schornsteine, die unverschämt ihre schwarzen Rauchschwaden in die reine Heiligkeit des Parkes schleudern, mußten einen jeden Naturfreund ehrlich verdrießen. Als ein deutsches Blatt unserer Stadt dann eine Rundfrage an Gelehrte, Künstler und Schriftsteller veranstaltete, um Weihnachtswünsche dieser Männer über öffentliche Angelegenheiten Prags zu sammeln, da wünschte ich mir in meiner Bescheidenheit, daß die zwei gräulichen Fabriksschlote aus der Nachbarschaft des Baumgartens verschwinden möchten. Der Weihnachtsengel hat aber meinen Wunsch unerfüllt gelassen, denn bei meinem ersten Lenzgang durch den Bubentscher Park mußte ich die betrübende Entdeckung machen, daß sich den beiden Rauchfängen über der elektrischen Zentrale ein neuer Schornsteinriese zugesellt hatte und seitdem zähle ich jedes Frühjahr einen langhalsigen, qualmenden Schlot mehr hinter der Baumgartenmauer. – Ja, an meinem Zauberpark ist viel gesündigt worden im Wechselspiel der Zeiten, aber ich halte ihn trotz alledem noch immer für einen der schönsten Gärten der Welt.

Allerdings, die modernen Raumkünstler sind der Landschaftsgärtnerei nicht sehr gewogen und werfen daher auch dem Baumgarten vor, daß er seinen Aufgaben nur zum Teil gerecht wird. Heute verlangt man eben mehr von einem Park, als die bloße Gelegenheit zu Spaziergängen. Das Verbot, den Rasen zu betreten, zwingt dem Besucher die Rolle eines Gastes auf; ein Fremder bleibt er, dem keine Besitzerfreuden zuteil werden. Professor Alfred Lichtwark, einer unserer feinfühligsten Ästheten, trat in seinen Parkstudien schon mit Eifer dafür ein, daß der öffentliche Garten endlich aufhören möge, ein Schaustück zu sein. Die alten Parke, die heute noch die Nachbarschaft unserer Großstädte zieren, sind fast immer aus herrschaftlichem Besitz in das Eigentum der Allgemeinheit übergegangen, aber der neuen Bestimmung haben sie sich nicht angepaßt. Diesen mächtigen Landschaftsgärten, die ein stolzes Herrschergefühl geschaffen hat, mangelt der praktische Realismus unserer Zeit. Der Schöpfer solch eines Parkes besaß inmitten desselben ein Lustschloß oder ein Jagdhaus, hier wohnte er, hier konnte er ausruhen von seinen Pürschgängen oder Spazierritten. Aber das Publikum, dem Aufklärung und Menschenfreundlichkeit jene weiten Parkanlagen erschlossen haben, durcheilt sie hastig, um das Endziel – die Bierwirtschaft zu erreichen. Bewohnt soll der Garten werden, wirklich bewohnt von den Menschen, die ihn aufsuchen, um die dumpfe Luft ihrer Stuben zu vergessen. Auf den grünen Teppichen des Rasens sollen sich alle behaglich niederlassen dürfen, und kein Kind soll vor den strengen Augen des Parkwächters zittern müssen. Das ist der Traum der modernen Gartenreform. Für einen Volkspark in diesem Sinne ist freilich unser Baumgarten zu schade; ich wünsche seinen smaragdgrünen Fluren ein besseres Los, als von übermütigen Füßen plattgestampft zu werden.

Alte Gärten sind wie Märchenbilder,
Die ein Dichter sich zum Trost ersann;
Sie umhegt ein eigenartig milder
Und beglückend tiefer Zauberbann.
Alte Gärten soll man nicht zerstören,
Weil sie uns den Weg zur Schönheit lehren.

*


 << zurück weiter >>