Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Deutsche Arien aus Alt-Prag.

Aus der Mappe eines Sammlers.

Manche tauschen seltene Briefmarken, andere wieder ihr von Künstlerhand radiertes Exlibris – ich sammle alte Bänkellieder. Diese ebenso hübsche, wie lehrreiche Passion, verdanke ich einem befreundeten Bildhauer. In einer jener uralten, buntbemalten Truhen, die einst im Egerlande zum Hausrat gehörten, entdeckte mein Freund ein Bündel vergilbter Drucke. Es waren Lieder aus Alt-Wien und sie mochten an hundert Jahre friedlich in dem Geheimfach geruht haben neben einem vertrockneten Sträußchen Rosmarin, das der Hochzeiter an seinem Ehrentage getragen, dem Lehrzeugnis und dem Meisterbrief und ähnlichen Erinnerungen eines schlichten Handwerkerlebens. Damals wanderten die Werkgesellen am liebsten nach Wien und hatten sie nach altem Burschenbrauch vor dem Stadttor in dem bekannten »Stock im Eisen« ihren Nagel geschlagen, dann fühlten sie sich als Bürger der Wiener Gemeinde. An der schönen blauen Donau mußten sie das Singen erlernen; was dort die Harfenisten beim Heurigen und die Straßensänger im Prater zum besten gaben, bekam man auf den Jahrmärkten fein säuberlich gedruckt, um einen Groschen zu kaufen. So stellte sich aus diesen Einblattdrucken jeder sein weltlich Liederbüchlein nach eigenem Geschmack zur angenehmen Unterhaltung selbst zusammen und so ist auch der Band entstanden, den der Egerländer Handwerksbursche zur Erinnerung an seine frohe Wanderzeit mit in die Heimat genommen hat. Jenes Bündel »Fliegender Blätter« wurde nun der Grundstock meiner Sammlung, die ich durch Kauf und Tausch fleißig vermehrte, und schließlich in einer liebevollen Auswahl als »Arien und Bänkel aus Alt-Wien« knapp vor Kriegsbeginn im Inselverlag zu Leipzig herausgab.

Aber so sehr ich auch nach alten Liedern aus Deutsch-Prag fahndete, kein Groschenblatt verriet, daß einst auch zu Prag deutsche Bänkel gesungen wurden. Und doch wußte ich aus eigener Erfahrung: in unserem lieben Prag hatten die deutschen Kleinbürger und Handwerker im Vormärz noch ihre eigenen Arien und Gassenhauer, das lehrte mich eine greise Harfenistin – die letzte ihres Stammes – bei den »Drei Eicheln« auf der Kleinseite. Dort, in der Welschen Gasse, sang die Alte mit einer, für ihre Jahre erträglichen Stimme deutsche Volkslieder, die auf Prager Boden entstanden waren. Es sind kaum fünfzehn Jahre her, da fand sich ein Kreis fröhlicher Künstler manchmal in der kleinen Schenke, die drei Eicheln im Schilde führte, zusammen. Da gab es nur einen einzigen Raum und der war eher wie eine gute Bauernstube eingerichtet, als wie das Gastzimmer eines großstädtischen »Restaurants«. An der Wand hing ein großer Käfig mit zwei Turteltauben, die ewig lachten und kicherten, beim Ofen lag eine schöngetigerte Katze und eine Elster, die verschiedenes zu schackern wußte, spazierte zwischen den zwei Tischen herum, den einzigen, die den Gästen zur Verfügung standen. Die Krone aller Darbietungen aber war das alte Fräulein, das bescheiden im Türwinkel vor seiner Harfe saß. Sie sang für die Abendgäste – Soldaten und Mädchen vom Hradschin – tschechische Volkslieder; baten wir die Greisin aber um eine deutsche Weise, so lächelte sie geschmeichelt, fiel in die Saiten, drückte die Augen ein (wie der Sänger bei Goethe) und begann:

Leuteln, hört, was ich euch immer sag:
Es gibt in der Welt, halt nur ein einzig Prag:
Und wer von euch will wirklich fröhlich sein,
Der komm zu uns, in unser Prag herein.
Am Nachmittag geht man ins »Goldene Fassel«,
Dort findet sicherlich man sein Gespassel;
Hernachen geht man in die Komödie
Und hört dort Oper oder Tragödie;
Am Abend geht man in den Konvikt,
Und tanzt, daß der Staub von den Füß'n fliegt.
Man tanzt sich dort recht tüchtig aus
Und führt das Madl dann nach Haus,
Ja, ja – und führt das Madl dann nach Haus.

Auch auf den Roßmarkt – den heutigen Wenzelsplatz, wo einst vor Jahren schon zwischen der Wassergasse und der Heinrichsgasse ein hübsches Reiterdenkmal des heiligen Wenzel aufgestellt war (es ist jetzt nach dem einsamen Wyschehrad verbannt) – auch auf den Roßmarkt wußte die Alte ein Loblied, das also anhub:

Was macht denn der Roßmarkt,
Ist er immer noch so breit?
Der Mann, der dort am Pferd sitzt.
Den grüßen alle Leut.

Das Paradelied unserer Harfenistin aber war doch nur die Arie vom Herzenskrämer.

Als nun in dem itz'gen Jahr
Erster Wiener Jahrmarkt war,
Hat auch auf des Marktes Mitte
Amor eine Krämershütte,
Und er bote Jedermann
Herzen, Herzen zum Verkaufe an.

Kommt da auch eine schmucke Jungfer in seine Bude und verlangt nach einem besonderen Herzen. Der dienstbeflissene Knabe lächelt:

Ach sie sind, sagt mir mein Sinn,
Eine schöne Pragerin,
Und da wird von andern allen
Auch ein Landsmann wohlgefallen?
Nein, sprach sie, du irrest dich;
Nur kein, nur kein Prager Herz für mich.

Er bietet ihr Pariser Herzen, die wie kleine Affen scherzen, Niederländer und Herzen aus dem Welschland, allein die wählerische Dame findet nichts passendes und als ihr Gott Amor endlich sein eigenes Herzchen anbietet, erwidert sie schnippisch:

Weil ich eine Böhmin bin
Hab ich auch den Eigensinn
Mir kein anders Herz zu kaufen,
Weder deins noch aus den Haufen.
Hast du nicht das rechte hier.
Für die andern, andern dank ich dir.

Dieses Scherzlied habe ich auch in meine Ariensammlung aus Alt-Wien aufgenommen, denn es fand sich in einem Einblattdruck, den der Kupferstecher Anton Leitner am Wiener Schottenfelde feilbot und auch im Reiche drüben wurde es mit entsprechender Abwandlung viel gesungen. Doch ein echtes Prager Groschenlied war nirgendwo aufzustöbern, weder bei einem Antiquar, noch bei einem Trödler, in keiner öffentlichen Bücherei und in keinem Museum. Endlich aber habe ich doch eines gefunden, noch dazu eines, das auf ein verhältnismäßig recht geringes Alter zurückblickt, denn vor kaum sechszig Jahren kann dieses Prager deutsche Bänkel entstanden sein, das als Verlag den Drucker Josef Berger in – Leitomischl nennt. Auch der Dichter dieses Liedes, Josef Kutschera, hat stolz seinen Namen unter das Kunstwerk gesetzt und es beginnt:

1.
Höret liebe Leutchen doch, tramta tradidida,
Auf dies Liederverschen noch,
Wie die Mädchen es versteh'n,
Daß Jünglinge auf sie seh'n.

2.
Aus der Smichower Fabrik, tramta tradidida,
Sieht man tragen die Tunik,
Mädchen, die nach Hause geh'n,
Man sagt dann, sie geh'n vom Näh'n.

3.
Im Smichower Liebeshain, tramta tradidida,
Wandert mancher aus und ein,
Da sieht man den Jüngling zieh'n
Zu den Fabriksmädchen hin. Usw. mit Glanz und Gloria.

*


 << zurück weiter >>