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Prager Bilderbogen

Elf Jungfrauen.

Eine Sage aus Alt-Prag.

Bei dem Kaufherrn Veit Wiener in der Michaelsgasse gab es einen Jungmädchenball, ein richtiges Lämmerhüpfen also, mit Spinett und Herren in Wadenstrümpfen. Zu dem Tänzchen waren auch die elf Jungfrauen aus dem Hinterhause eingeladen. Doch ihr Vater, einer von jenen biedern deutschen Handwerkern, wie sie vor hundertundfünfzig Jahren zu Prag noch so zahlreich zu finden waren – der Tischlermeister Barnabas Beil ließ kurz hinüber melden: Er, der Meister Barnabas, lasse untertänigst danken und wisse die Ehre ganz wohl zu würdigen, allein seine elf Töchter gehörten nun einmal nicht in ein erstes Stockwerk, sondern in die Hofwohnung. Und dabei sollte es bleiben – basta.

Aber ich will diese Geschichte aus dem Prager Rokoko vom andern Ende anfassen. Wer kennt heute das Grafengeschlecht derer von Butzeck? Einst war es in Prag sehr begütert und eine alte Scheune im Villenviertel Bubentsch trägt jetzt noch über der Einfahrt das Wappen dieses gräflichen Hauses; sonst ist in meiner Vaterstadt kein Zeichen jener altadeligen Sippe übrig geblieben, es wäre denn, daß das Bräuhaus » u Bucků« auf dem Pořič an den Namen des Grafen Butzeck erinnert.

Als ich aber noch ein kleiner, ein sehr kleiner Junge war, mit einer Spitzenkrause unter den abstehenden Ohren und Pumphöschen an den kurzen Beinen, da führte mich meine Mutter um die Sommerszeit, wenn wir in Bubentsch wohnten, gar oft nach den Butzekschen Anlagen. Dieser verwilderte Park, einst der Kaisermühle benachbart, ist längst schon verschwunden, aber ich sehe ihn noch vor mir, in seiner ganzen Ungepflegtheit, mit dem grünschillernden Weiher, wo hinter Schilfblättern ewig die Frösche quakten und leise zerbröckelnde Göttergestalten standen, die über den nackten Sandsteinkörpern ein Kleid von Moos trugen. Dort, wo jetzt das Gasthaus »Zur Quelle« steht, begann das verrottete Parkgehege, dessen zerbrochenes Gitter für mich eine Welt von Romantik und Poesie umschloß. Ein helles Bächlein summte dort sein Träumerlied vor sich hin und der letzte Graf – er war damals längst schon tot – hatte dort auf einem niedern Hügelchen ein Sommerhaus bauen lassen, im Geschmack seiner Tage, mit viel Säulenwerk, wie ein Göttertempel aus dem Lande Arkadia.

Dieser Graf Butzek, ich weiß nicht mehr, ob er Kaspar oder Silvester geheißen hatte, wurde nun der Schwiegersohn des Tischlermeisters aus der Michaelsgasse und davon will ich hier eben einiges erzählen. Wir wissen schon, daß Meister Barnabas Beil mit elf Töchtern gesegnet war. Er galt deshalb als Merkwürdigkeit der Stadt; damals war das Sprüchwort entstanden: elf Töchter – kein Gelächter. Und Meister Beil hatte wahrhaftig nichts zu lachen, wiewohl seine hübschen Mädchen weibliche Musterknaben waren, reich an Tugenden aber arm an irdischen Gütern, wenn man die Gottesgabe der Schönheit den Erdengütern nicht zuzählen mag. Denn schön waren sie alle, die elf Jungfrauen aus der Michaelsgasse und wenn sie des Sonntags im Gänsemarsch in die Kirche zogen, erregte ihr schmucker Aufmarsch wahres Aufsehen. Aus ganz Prag kamen die galanten Kavaliere und stellten sich vor der Kirche auf, um die elf Schönheiten anzustaunen. Doch konnte sich keiner rühmen, mit seinen Nachstellungen Glück bei den Tischlerstöchtern zu haben. Sie blieben ehrbar und bescheiden, hatten den Blick stets zur Erde gesenkt, und wagte sich ein verliebtes Herrchen bis in den Tischlerladen, so jagte es Meister Beil mit dem Besen aus dem Hause. – Da wurde es bald still um die elf Schönheiten.

Einmal aber kam doch ein Kavalier in die Werkstatt, sogar vierspännig kam er vorgefahren, was in der engen Gasse große Verwunderung erregte. Und weil der vornehme Herr alt, uralt war, fand er Gnade vor den mißtrauischen Blicken des Tischlermeisters und eine freundliche Aufnahme. Der reiche Mann verdiente auch das Mitleid des rüstigen Handwerkers; war er doch so hilflos in seiner Greisenhaftigkeit, stützte sich mühsam auf die goldene Krücke des Ebenholzstockes, hatte hundert Runzeln im Gesichte und einen krummen, altersgebeugten Rücken. Und diese Liebenswürdigkeit, diese Herablassung! So hatte noch nie ein Graf zu einem groben Tischler gesprochen, noch nie mit so freundlichen Worten einen teuern Lehnstuhl bestellt. Als alles beredet war, sagte Graf Butzeck: »Könnt ich nicht seine Töchter sehen. Meister Barnabas?« – Und Barnabas Beil vergaß die sonst geübte Vorsicht und führte den gräflichen Greis in die Mädchenkammer, wo die elf Schönen eben fleißig mit Federschleißen beschäftigt waren. Sie wurden der Reihe nach dem gnädigen Herrn vorgestellt und jede machte einen Knix bei Nennung ihres Namens: Lena – Leda – Leontine – Lore – Lotte – Loretta – Lidia – Linda – Liesa – Lila und Libella.

»Scharmant, ganz scharmant!« näselte der Graf, »ich admiriere diese Namen, schon weil sie alle mit einem L beginnen, was wohl die Lieblichkeit der holdseligen Trägerinnen andeuten soll.« Und er reichte der jüngsten, der zarten Jungfrau Libella die Hand zum Kusse dar.

Es war nicht der letzte Kuß, aber später wurden die Rollen vertauscht, denn Graf Butzeck kam von nun ab gar oft ins Haus des Tischlers, um nachzusehen, ob der bestellte Lehnstuhl nach seinem Wunsche angefertigt werde. Und als der alte Graf mit der kinderjungen Libella Hochzeit feierte, da hatte er sich längst schon in einen stattlichen und jugendlichen Herrn verwandelt, denn die hundert Runzeln in seinem Gesichte waren nur aufgemalt gewesen und der krumme Rücken ein stummer Trug, um den mißtrauischen Tischlermeister zu täuschen. Barnabas Beil aber wohnte von da ab mit seinen zehn anderen Töchtern in einem stolzen Palast auf der Kleinseite, und er hat sie alle mit gräflicher Hilfe unter die Haube gebracht. Doch das Haus in der Michaelsgasse, in dem er einst als armer Tischler gelebt, hieß noch lange Zeit nachher »Zu den elf Jungfrauen«, bis es endlich der Spitzhacke der Maurer weichen mußte, um einem neuen Gebäude Platz zu machen.

*

Es gibt genug Leute in der Welt, die es mit der Wahrheit nicht genau nehmen; andere wieder fordern sie selbst dort, wo man ihrer ruhigen Gewissens entraten kann. Nüchterne Wahrheitssucher schürfen im Zauberreich der Poesie freilich selten nur nach tieferen Wahrheiten, die wie Edelgestein unter Gerölle, hinter den schönen Lügen eines Märchens oder einer Sage verborgen sind. Diesen Fanatikern der Wahrheit sei reumütig und zerknirscht eingestanden, daß es zu Prag wohl einst einen Ratsherrn Buzek von Löwenfeld (Nikolaus Rudolf, um 1648) gegeben hat, niemals aber ein Grafengeschlecht solch eines Namens. Und der längst vom Erdboden verschwundene, romantische Parkwinkel in der Nähe der Kaisermühle, dieses reizende Stückchen Alt-Prag, hat nach dem Zeugnis des ehrwürdigen Schaller und anderer gelehrter Greise, keinem Grafen Butzek, sondern einem Herrn Moritz Butschek Ritter von Heraltitz gehört und wurde daher mit Recht als Butscheksche Anlagen bezeichnet. So verdunkelt irgend ein dickleibiges »Handwörterbuch von Böhmen« oder ein »Kurzgefaßter Grundriß der königl. Haupt- und Residenzstadt Prag« meine hübsche Geschichte von den noch hübscheren Elf Jungfrauen. Aber ich lasse es mich nicht verdrießen, weiß ich doch, daß der Reiz alles Sagenhaften in der leichten und spielerischen Manier liegt, mit der es sich über das »Historische« hinwegsetzt.

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