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Prager Gespenster.

Ein Beitrag zur Ortsgeschichte.

Heute glaubt niemand mehr an Gespenster, und jene modernen Geisterseher, die an überirdischen Erscheinungen Gefallen finden, müssen ihrer Gespensterfurcht ein wissenschaftliches Mäntelchen umhängen, nennen sich Spiritisten oder Okkultisten, tun tiefgründig und sehr gelehrt, um dem Fluch der Lächerlichkeit auszuweichen. Aber meine alte Kinderfrau, die war noch eine von den wahrhaft Gläubigen, die hielt etwas auf ihre lieben Gespenster und sah in jedem Winkel Prags einen besonderen, platzberechtigten Geist, ein Gespenst von lokaler Färbung. Nie hätte sie es gewagt, zur Dämmerstunde über den einstigen Josefsplatz zu gehen: Denn dort – raunte aufgeregt die gute Alte – war Nacht für Nacht ein kopfloser Reiter zu sehen, der auf seinem dreibeinigen Rappen über den Platz raste, als verfolgten ihn hundert hungrige Wölfe.

Dieser Reiter war nicht das Lieblingsgespenst meiner Amme. Sie redete nur ungern von dem unheimlichen Gesellen, wußte nicht anzugeben, welche Schuld er auf sich geladen. Auch hatte sie die grausige Vision nie mit eigenen Augen geschaut; doch ihrem Vater selig, dem ehrenwerten Schuhmachermeister Weißhuhn, war einmal das Gespenst leibhaftig begegnet, als er aus dem goldenen Fasan heimtorkelte. Das konnte sie beschwören, allein die Freveltaten jenes kopflosen Reiters, die er nun als ruheloser Schatten büßen mußte, waren meiner Kinderfrau unbekannt geblieben. Dagegen wußte die pani Anna ganz genau, was der Insasse des schwarzen Wagens verschuldet hatte, der an den mondlosen Nächten regelmäßig vom Wyschehrader Friedhof nach der Postgasse fuhr. Das unheimliche Wesen im Gespensterwagen hatte glühende Feueraugen, so daß man die ganze Gestalt deutlich erkennen konnte, wie sie dasaß, in sich gebückt und gequält von der Last ihrer Sünden. Ein reicher Müller soll es gewesen sein, der nun unter seinem Leichensteine auf dem Wyschehrad keine Ruhe fand. Zeitlebens hatte er das arme Volk bestohlen, hatte Reichtümer angesammelt und vor seinem Tode alle Schätze in der Mühle an der Moldau vergraben. Was der Müller einst den Mahlgästen abgeschröpft, das lag jetzt unter dem Wasser verscharrt, aber in seinem schwarzen Wagen, auf dessen Bock kein Kutscher saß, strebte der Tote allnächtlich den zurückgelassenen Reichtümern zu. Über den Viehmarkt rollte die schwere Karosse und verlor sich in der engen Zeile des Gerbergäßchens, der Moldau entgegenpolternd.

Ich habe diese Geistergeschichte von dem hartherzigen Prager Müller später einmal auch gedruckt gefunden. Sie ist durch Josef Virgil Grohmann, in dessen »Sagenbuch von Mähren und Böhmen«, das 1863 bei Fr. Becke in Prag erschien, aufgenommen worden. Man braucht nicht zu staunen, daß der traurige Held jener Sage seines Zeichens just ein Müller ist, denn gerade die Müllerzunft war von jeher beim Volke in argem Verruf. Die armen Müller, sie wurden einstens arg verlästert. Das Mißtrauen gegen ihr Handwerk war so groß, daß sie in vielen Orten sogar die höhnische Verpflichtung hatten, die Leitern zu den Galgen zu liefern. So verachtet war dieser Stand im alten Römischen Reich deutscher Nation. Man behauptete von den Mahlmüllern auch, daß sie mit schlechten Weibern Umgang hätten und allerhand Diebsgesindel zu beherbergen pflegten. Die Mühlen lagen eben meist draußen vor der Stadt, und da mochte es freilich Wohl vorkommen, daß manch' »fahrendes Fräulein«, ehe es zur Kirchweih oder Marktzeit durchs Stadttor einzog, draußen beim Müller ein paar Tage rastete. Hundert Geschichten und Liedlein weiß heute noch die Volkspoesie davon zu berichten, und Meister Weißkittel ist verurteilt, als ein trauriges Gespenst durch manche Volkssage zu pilgern. Daß die alten Prager den Mahlmüllern unfreundlich gesinnt waren, beweist die vorhin angeführte Geistergeschichte; aber auch mit den Bäckern gingen sie scharf ins Gericht. Ich habe da in einem wohl hundert Jahre alten, in Zürich gedruckten Büchlein eine ellenlange Gespensterballade entdeckt, die einen gewissen Zacharius Falk zum Verfasser hat und »Der Bäcker von Prag und die neuen Strohwische« betitelt ist.

Graumäntelein gieng, so grau von Gestalt,
Wohl durch den finstern, böhmischen Wald;
Graumäntelein gieng wohl über ein Jahr,
Den Mantel zerrissen und unscheinbar;
Der Regen beregnet ihn jeglichen Tag;
Er ging von Böhmisch-Brot bis gen Prag.
Und wie er gen Prag in die Hauptstadt kam.
Wo die Moldau mitten die Stadt durchschwamm.
Wo Heiligenbilder, und drunter erhöht.
St. Nepomuk hoch aus der Brücken steht:
Hell glänzen drei Sternlein über dem Haupt –
Daß selig das Volk wird, das an ihn glaubt:
Besucht er im Regen fein altes Quartier,
Tief unterm Ratschin angebaut liegt's hier.
Und der Wanderer sucht im Nebel den Pfad;
Hier wohnt der Hussit und der Christ und der Jud,
Und lebet geschützt von Verfolgungswuth.
Und sieh! vor der Tür auf dem Schemel, da saß,
Verkaufend Semmel und Stritzel, Herr Clas,
Herr Clas, den Reichen und Armen bekannt,
Und der reichste der Bäcker in Prag nur genannt;
Wohl hielt er der Schweine sich hundert zur Mast,
Er selber war dicker als alle sie fast.

Wie der reiche Mann nun den armen Teufel in seinen Fetzen gewahrte, verhöhnte er ihn laut ob des zerrissenen Mantels. Aber Graumäntelein zog neun Gülden aus der Tasche und warf dem Bäcker das blanke Gold auf die Bank hin: »Herr Meister, Euere Semmeln mag ich nicht; gebt mir neun Strohwische für mein Geld?« Der Bäcker dienerte erschrocken: »Neun Strohwische für diesen Haufen Gold? Aber ich geb' sie Euch gern, sofort sollt Ihr sie haben!« Und er reichte dem Fremden schmunzelnd das wertlose Zeug. Doch am nächsten Tage, da zu Prag der große Jahrmarkt abgehalten wurde, und aus ganz Böhmen die Bauern mit ihren Schweinen zum Tore hereinkamen, hielt auch Graumäntelein neun feiste Säue am Pfahl versammelt. Da erschien der Bäcker von der Kleinseite als kauflustige Kundschaft auf dem Viehmarkt und er gab sich nicht eher zufrieden und feilschte rastlos, bis er vom Graumäntelein um hundert und mehr Goldgulden die neun fetten Schweine erstanden hatte.

Die erste, die zweite. Sie dritte Sau,
Sie kamen zu nah aus dem Markt einer Frau,
Die am Dreifuß saß und Kastanien briet.
O Bäcker, nur Herzleid klingt dir das Lieb;
Denn kaum an den Dreifuß rührt ihr Lauf,
Hui! flackern sie strohwischähnlich auch auf.

Blieben nur noch sechs. Die trieb der Bäcker nun eilends heim. Aber er kam nicht weit mit ihnen. Denn drei der Schweine liefen an einem Faß vorbei, worin Teer gekocht wurde und im Hui! flackerten sie als Strohwische auf. Blieben nur noch drei. Die fielen zuletzt in die Moldau hinein und kaum hatten sie das Wasser berührt, schwammen sie auch schon als armselige Strohwische stromabwärts. Das ist die Geschichte vom Prager Bäcker und dem Graumäntelein. Und sie ist trotz ihres ehrwürdigen Alters aus einer Stimmung herausgedichtet, als ob sie unserer bitterbösen Zeit entsprossen wäre.

*


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