Christoph Martin Wieland
Musarion oder die Philosophie der Grazien
Christoph Martin Wieland

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

                      »Indessen hat, weil ihr der erste Preis gebührt,
Doch Plato nicht sein Recht an Phocion verlorenenPlato nicht sein Recht an Phocion verloren: Daß dieser unter den Feldherren und Staatsmännern so seltene Mann in seiner ersten Jugend noch den Plato und dessen ersten Nachfolger den Xenokrates gehört, und in ihrer Schule die Maximen eingezogen habe, deren Ausübung ihn sein ganzes Leben durch und bis zu seinem Sokratischen Tode zum tugendhaftesten Manne seiner Zeit machte, bezeugt Plutarch in seiner Lebensbeschreibung. .
Was die Natur entwirft, wird von der Kunst vollführt.
Die Blume, die im Feld sich unbemerkt verliert,
Erzieht des Gärtners Fleiß zum schönsten Kind der Floren.«

»Gesetzt«, spricht Phanias, »daß dieses richtig sey,
So ist doch was von Zahlen und Ideen
Und Dingen, die kein Aug' gehört, kein Ohr gesehen,
Theophron schwatzt, handgreiflich Träumerey?«

»Und mit den nehmlichen Ideen
War doch Archytas einst ein wirklich großer Mann!
Auch Seelen dieser Art erzeuget dann und wann
(Zwar sparsam) die Natur. Man wird zum Geisterseher
Geboren, wie zum Feldherrn Xenophonwie zum Feldherrn Xenophon: In den vorigen Ausgaben lautete diese Stelle so:

– Man wird zum Geisterseher
Geboren wie zum Held, wie zum Anakreon.

Da das Wort Held kein Indeclinabile ist, und in allen seinen Biegefällen Helden lautet, so mußte es, nicht zum Held, sondern zum Helden, heißen. Da dieß aber nicht in den Vers passen wollte, so mußte der Held hier ein Opfer der Sprachrichtigkeit werden, und auch Anakreon, wiewohl unschuldig, konnte seinen Platz nicht behalten. Die neue Lesart, wodurch dem Sprachfehler abgeholfen worden ist, hat außerdem, daß der Gedanke an Wahrheit nichts dadurch verliert, noch den Vorzug, sich mit dem folgenden Verse richtiger zu verbinden. – Daß man von Xenophon vorzüglich sagen könne, er sey zum Feldherrn geboren gewesen, scheint sich hinlänglich dadurch erwiesen zu haben, daß er, als er nach dem Tode des jüngern Cyrus aus einem bloßen Freywilligen, der die Dienste eines gemeinen Soldaten verrichtete, auf einmahl zum Rang eines Feldherren stieg, auch die Talente eines Feldherren in einem Grade zeigte, der ihm bis auf diesen Tag einen Platz unter den Meistern der Kriegskunst erhalten hat.

,
Wie Zeuxis zum Palett, und Philipps Sohn zum Thron.
Und in der That, was hebt die Seele höher,
Was nährt die Tugend mehr? erweitert und verfeint
Des Herzens Triebe so, als glänzende Gedanken
Von unsers Daseyns Zweck? – das Weltall ohne Schranken,
Unendlich Raum und Zeit, die Sonne die uns scheint
Ein Funke nur von einer höhern Sonne,
Unsterblich unser Geist, Unsterblichen befreundt,
Und, ahmt er Göttern nach, bestimmt zu Götterwonne!«

»Bey allen Grazien! (ruft lachend Phanias)
Du wirst noch mit der Zeit die Sphären singen hören!
Vor wenig Stunden gab dieß Galimathias
Dir Stoff zum Spott« – »Der Mann, nicht seine Lehren;
Das Wahre nicht, obgleich (nach aller Schwärmer Art)
Sein glühendes Gehirn es mit Schimären paart,
Nur diese trifft der Spott. – Doch stille! wir versteigen
Uns allzu hoch. Ich wollte dir nur zeigen,
Daß dich dein Vorurtheil für dieses weise Paar
Nicht schamroth machen soll. Nichts war
Natürlicher in deiner schlimmen Lage.
Der Knospe gleich am kalten Märzentage
Schrumpft, wenn des Glückes Sonnenschein
Sich ihr entzieht, die Seel' in sich hinein.
Entfiedert, nackt, von allem ausgeleeret
Was sie für wesentlich zu ihrem Wohlseyn hielt,
Was Wunder, wenn sich ihr ein Lehrbegriff empfiehlt,
Der sie die Kunst es zu entbehren lehret?
Der ihr beweist, was nicht zu ihr gehöret,
Was sie verlieren kann, sey keinen Seufzer werth;
Ja, ihren Unmuth zu betrügen,
Aus der Entbehrung selbst ein künstliches Vergnügen
Ihr, statt des wahren, schafft? – Was ist so angenehm
Für den gekränkten Stolz, als ein System,
Das uns gewöhnt für Puppenwerk zu achten
Was aufgehört für uns ein Gut zu seyn?
Was, meinst du, bildete der Mann im Faß sich ein,
Der, groß genug Monarchen zu verachten,
Von Philipps Sohn nichts bat, als freyen Sonnenschein?
Noch mehr willkommen muß, im Falle den wir setzen,
Die Schwärmerey des Platonisten seyn,
Der das Geheimniß hat, die Freuden zu ersetzen
Die Zeno nur entbehren lehrt;
Der statt des thierischen verächtlichen Ergetzen
Der Sinne, uns mit Götterspeise nährt.
Wir sehn mit ihm aus leicht erstiegnen Höhen
Auf diesen Erdenball als einen Punkt herab;
Ein Schlag mit seinem Zauberstab
Heißt Welten um uns her bey Tausenden entstehen;
Sind's gleich nur Welten aus Ideen,
So baut man sie so herrlich als man will;
Und steht einmahl das Rad der äußern Sinne still,
Wer sagt uns, daß wir nicht im Traume wirklich sehen?
Ein Traum, der uns zum Gast der Götter macht –«

»Hat seinen Werth – zumahl in einer Winternacht«,
Ruft Phanias: »allein auch aus den schönsten Träumen
Ist doch zuletzt Endymion erwacht!
Wozu, Musarion, aus Eigensinn versäumen
Was wachend uns zu Göttern macht?«

An Antworts Statt reicht sie, zum stillen Pfand
Der Sympathie, ihm ihre schöne Hand.
Er drückt mit schüchternem Entzücken
Sie an sein schwellend Herz, und sucht in ihren Blicken
Ob sie sein Klopfen fühlt. Ein sanftes Wiederdrücken
Beweist es ihm. Mit manchem süßen Ach,
Das ihr im Busen zu ersticken
Unmöglich ist, bekämpft sie allzu schwach
Die Macht des süßesten der Triebe,
Und kämpfend noch bekennt ihr Herz den Sieg der Liebe.

Der schönste Tag folgt dieser schönen Nacht.
Mit jedem neuen fühlt sich unser Paar beglückter,
Indem sich jedes selbst im andern glücklich macht.
Durch überstandne Noth geschickter
Zum weiseren Gebrauch, zum reitzendern Genuß
Des Glückes, das sich ihm so unverhofft versöhnte,
Gleich fern von Dürftigkeit und stolzem Überfluß,
Glückselig, weil er's war, nicht weil die Welt es wähnte,
Bringt Phanias in neidenswerther Ruh
Ein unbeneidet Leben zu;
In Freuden, die der unverfälschte Stempel
Der Unschuld und Natur zu ächten Freuden prägt.
Der bürgerliche Sturm, der stets Athen bewegt,
Trifft seine Hütte nicht – den Tempel
Der Grazien, seitdem Musarion sie ziert.
Bescheidne Kunst, durch ihren Witz geleitet,
Giebt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet,
Den stillen Reitz, der ohne Schimmer rührt.
Ein Garten, den mit Zephyrn und mit Floren
Pomona sich zum Aufenthalt erkohren;
Ein Hain, worin sich Amor gern verliert,
Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet;
Ein kleiner Bach von Ulmen überschattet,
An dem der Mittagsschlaf ihn ungesucht beschleicht;
Im Garten eine Sommerlaube,
Wo, zu der Freundin Kuß, der Saft der Purpurtraube,
Den Thasos schickt, ihm wahrer Nektar däucht;
Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleichtHorazens Nachbarn gleicht: Vermuthlich hatte der Dichter die Stelle im 6ten der Horazischen Sermonen (des 2ten Buchs) im Sinne:

Cervius haec inter vicinus garrit aniles
Ex re fabellas, u.s.w.

wo Horaz den alten Nachbar Cervius die berühmte Fabel von der Feldmaus und Stadtmaus in einem so unnachahmlich gutlaunigen und verständigen Ton erzählen läßt, daß man nicht umhin kann, den Dichter eben so sehr wegen seines Nachbars Cervius als wegen seines Sabinums, und des frohen Lebensgenusses, den es ihm gewärte, glücklich zu preisen.

,
Gesundes Blut, ein unbewölkt Gehirne,
Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne,
Wie vieles macht ihn reich! Denkt noch Musarion
Hinzu, und sagt, was kann zum frohen Leben
Der Götter Gunst ihm mehr und bessers geben?
Die Weisheit nur, den ganzen Werth davon
Zu fühlen, immer ihn zu fühlen,
Und, seines Glückes froh, kein andres zu erzielen!
Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor war
Kein Cyniker mit ungekämmtem Haar,
Kein runzligter Kleanth, der, wenn die Flasche blinkt,
Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt:
Die Liebe war's. – Wer lehrt so gut wie sie?
Auch lernt' er gern, und schnell, und sonder Müh,
Die reitzende Philosophie,
Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,
Vergnügt genießt, und gern den Rest entbehrt;
Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite
Betrachtet; dem Geschick sich unterwürfig macht,
Nicht wissen will was alles das bedeute,
Was Zeus aus Huld in räthselhafte Nacht
Vor uns verbarg, und auf die guten Leute
Der Unterwelt, so sehr sie Thoren sind,
Nie böse wird, nur lächerlich sie findt
Und sich dazu, sie drum nicht minder liebet,
Den Irrenden bedau'rt, und nur den Gleißner flieht;
Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht,
Doch, ohne Sold und aus Geschmack, sie übet;
Und, glücklich oder nicht, die Welt
Für kein Elysium, für keine Hölle hält,
Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter
Von seinem Thron – im sechsten Stockwerk sieht,
So lustig nie als jugendliche Dichter
Sie mahlen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht.

So war, so dacht' und lebte Phanias,
Und weil er war – wornach wir andern streben,
So that er wohl, zu seyn, zu denken und zu leben,
So wie er that. – Das mag er denn! – Und was
Ward aus dem Manne, der so gerne – Sphären maß?
Gut, daß ihr fragt, den hätt' ich rein vergessen –
Er ward in einer einz'gen Nacht
Zum γνωθι σεαυτον in Chloens Arm gebrachtZum γνωθι σεαυτον, d. i. zur Selbsterkenntniß, welche diese zwey über die Pforte des Tempels zu Delphi geschriebenen Worte empfahlen, als den besten Rath, den der Delphische Gott allen Sterblichen, die sich bey ihm Rathes erhohlten, ertheilen konnte. ;
Er fand er sey nicht klug, und lernte Bohnen essen.
»Und Herr Kleanth?« – Der kroch, so bald die Mittagssonne
Ihn aufgeweckt, ganz leise auf den Zehn
Aus seinem Stall – vielleicht in eine Tonne;
Kurz, er verschwand, und ward nicht mehr gesehn.


 << zurück