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»Indessen hat, weil ihr der erste Preis gebührt, 
        Doch Plato nicht sein Recht an Phocion verlorenen. 
        Was die Natur entwirft, wird von der Kunst vollführt. 
        Die Blume, die im Feld sich unbemerkt verliert, 
        Erzieht des Gärtners Fleiß zum schönsten Kind der Floren.«
        »Gesetzt«, spricht Phanias, »daß dieses richtig sey, 
          So ist doch was von Zahlen und Ideen 
          Und Dingen, die kein Aug' gehört, kein Ohr gesehen, 
          Theophron schwatzt, handgreiflich Träumerey?« 
»Und mit den nehmlichen Ideen 
          War doch Archytas einst ein wirklich großer Mann! 
          Auch Seelen dieser Art erzeuget dann und wann 
          (Zwar sparsam) die Natur. Man wird zum Geisterseher 
          Geboren, wie zum Feldherrn Xenophon, 
          Wie Zeuxis zum Palett, und Philipps Sohn zum Thron. 
          Und in der That, was hebt die Seele höher, 
          Was nährt die Tugend mehr? erweitert und verfeint 
          Des Herzens Triebe so, als glänzende Gedanken 
          Von unsers Daseyns Zweck? – das Weltall ohne Schranken, 
          Unendlich Raum und Zeit, die Sonne die uns scheint 
          Ein Funke nur von einer höhern Sonne, 
          Unsterblich unser Geist, Unsterblichen befreundt, 
          Und, ahmt er Göttern nach, bestimmt zu Götterwonne!« 
»Bey allen Grazien! (ruft lachend Phanias) 
          Du wirst noch mit der Zeit die Sphären singen hören! 
          Vor wenig Stunden gab dieß Galimathias 
          Dir Stoff zum Spott« – »Der Mann, nicht seine Lehren; 
          Das Wahre nicht, obgleich (nach aller Schwärmer Art) 
          Sein glühendes Gehirn es mit Schimären paart, 
          Nur diese trifft der Spott. – Doch stille! wir versteigen 
          Uns allzu hoch. Ich wollte dir nur zeigen, 
          Daß dich dein Vorurtheil für dieses weise Paar 
          Nicht schamroth machen soll. Nichts war 
          Natürlicher in deiner schlimmen Lage. 
          Der Knospe gleich am kalten Märzentage 
          Schrumpft, wenn des Glückes Sonnenschein 
          Sich ihr entzieht, die Seel' in sich hinein. 
          Entfiedert, nackt, von allem ausgeleeret 
          Was sie für wesentlich zu ihrem Wohlseyn hielt, 
          Was Wunder, wenn sich ihr ein Lehrbegriff empfiehlt, 
          Der sie die Kunst es zu entbehren lehret? 
          Der ihr beweist, was nicht zu ihr gehöret, 
          Was sie verlieren kann, sey keinen Seufzer werth; 
          Ja, ihren Unmuth zu betrügen, 
          Aus der Entbehrung selbst ein künstliches Vergnügen 
          Ihr, statt des wahren, schafft? – Was ist so angenehm 
          Für den gekränkten Stolz, als ein System, 
          Das uns gewöhnt für Puppenwerk zu achten 
          Was aufgehört für uns ein Gut zu seyn? 
          Was, meinst du, bildete der Mann im Faß sich ein, 
          Der, groß genug Monarchen zu verachten, 
          Von Philipps Sohn nichts bat, als freyen Sonnenschein? 
          Noch mehr willkommen muß, im Falle den wir setzen, 
          Die Schwärmerey des Platonisten seyn, 
          Der das Geheimniß hat, die Freuden zu ersetzen 
          Die Zeno nur entbehren lehrt; 
          Der statt des thierischen verächtlichen Ergetzen 
          Der Sinne, uns mit Götterspeise nährt. 
          Wir sehn mit ihm aus leicht erstiegnen Höhen 
          Auf diesen Erdenball als einen Punkt herab; 
          Ein Schlag mit seinem Zauberstab 
          Heißt Welten um uns her bey Tausenden entstehen; 
          Sind's gleich nur Welten aus Ideen, 
          So baut man sie so herrlich als man will; 
          Und steht einmahl das Rad der äußern Sinne still, 
          Wer sagt uns, daß wir nicht im Traume wirklich sehen? 
          Ein Traum, der uns zum Gast der Götter macht –« 
»Hat seinen Werth – zumahl in einer Winternacht«, 
          Ruft Phanias: »allein auch aus den schönsten Träumen 
          Ist doch zuletzt Endymion erwacht! 
          Wozu, Musarion, aus Eigensinn versäumen 
          Was wachend uns zu Göttern macht?« 
An Antworts Statt reicht sie, zum stillen Pfand 
          Der Sympathie, ihm ihre schöne Hand. 
          Er drückt mit schüchternem Entzücken 
          Sie an sein schwellend Herz, und sucht in ihren Blicken 
          Ob sie sein Klopfen fühlt. Ein sanftes Wiederdrücken 
          Beweist es ihm. Mit manchem süßen Ach, 
          Das ihr im Busen zu ersticken 
          Unmöglich ist, bekämpft sie allzu schwach 
          Die Macht des süßesten der Triebe, 
          Und kämpfend noch bekennt ihr Herz den Sieg der Liebe. 
Der schönste Tag folgt dieser schönen Nacht. 
          Mit jedem neuen fühlt sich unser Paar beglückter, 
          Indem sich jedes selbst im andern glücklich macht. 
          Durch überstandne Noth geschickter 
          Zum weiseren Gebrauch, zum reitzendern Genuß 
          Des Glückes, das sich ihm so unverhofft versöhnte, 
          Gleich fern von Dürftigkeit und stolzem Überfluß, 
          Glückselig, weil er's war, nicht weil die Welt es wähnte, 
          Bringt Phanias in neidenswerther Ruh 
          Ein unbeneidet Leben zu; 
          In Freuden, die der unverfälschte Stempel 
          Der Unschuld und Natur zu ächten Freuden prägt. 
          Der bürgerliche Sturm, der stets Athen bewegt, 
          Trifft seine Hütte nicht – den Tempel 
          Der Grazien, seitdem Musarion sie ziert. 
          Bescheidne Kunst, durch ihren Witz geleitet, 
          Giebt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet, 
          Den stillen Reitz, der ohne Schimmer rührt. 
          Ein Garten, den mit Zephyrn und mit Floren 
          Pomona sich zum Aufenthalt erkohren; 
          Ein Hain, worin sich Amor gern verliert, 
          Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet; 
          Ein kleiner Bach von Ulmen überschattet, 
          An dem der Mittagsschlaf ihn ungesucht beschleicht; 
          Im Garten eine Sommerlaube, 
          Wo, zu der Freundin Kuß, der Saft der Purpurtraube, 
          Den Thasos schickt, ihm wahrer Nektar däucht; 
          Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht, 
          Gesundes Blut, ein unbewölkt Gehirne, 
          Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne, 
          Wie vieles macht ihn reich! Denkt noch Musarion 
          Hinzu, und sagt, was kann zum frohen Leben 
          Der Götter Gunst ihm mehr und bessers geben? 
          Die Weisheit nur, den ganzen Werth davon 
          Zu fühlen, immer ihn zu fühlen, 
          Und, seines Glückes froh, kein andres zu erzielen! 
          Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor war 
          Kein Cyniker mit ungekämmtem Haar, 
          Kein runzligter Kleanth, der, wenn die Flasche blinkt, 
          Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt: 
          Die Liebe war's. – Wer lehrt so gut wie sie? 
          Auch lernt' er gern, und schnell, und sonder Müh, 
          Die reitzende Philosophie, 
          Die, was Natur und Schicksal uns gewährt, 
          Vergnügt genießt, und gern den Rest entbehrt; 
          Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite 
          Betrachtet; dem Geschick sich unterwürfig macht, 
          Nicht wissen will was alles das bedeute, 
          Was Zeus aus Huld in räthselhafte Nacht 
          Vor uns verbarg, und auf die guten Leute 
          Der Unterwelt, so sehr sie Thoren sind, 
          Nie böse wird, nur lächerlich sie findt 
          Und sich dazu, sie drum nicht minder liebet, 
          Den Irrenden bedau'rt, und nur den Gleißner flieht; 
          Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht, 
          Doch, ohne Sold und aus Geschmack, sie übet; 
          Und, glücklich oder nicht, die Welt 
          Für kein Elysium, für keine Hölle hält, 
          Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter 
          Von seinem Thron – im sechsten Stockwerk sieht, 
          So lustig nie als jugendliche Dichter 
          Sie mahlen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht. 
So war, so dacht' und lebte Phanias, 
          Und weil er war – wornach wir andern streben, 
          So that er wohl, zu seyn, zu denken und zu leben, 
          So wie er that. – Das mag er denn! – Und was 
          Ward aus dem Manne, der so gerne – Sphären maß? 
          Gut, daß ihr fragt, den hätt' ich rein vergessen – 
          Er ward in einer einz'gen Nacht 
          Zum γνωθι σεαυτον in Chloens Arm gebracht; 
          Er fand er sey nicht klug, und lernte Bohnen essen. 
          »Und Herr Kleanth?« – Der kroch, so bald die Mittagssonne 
          Ihn aufgeweckt, ganz leise auf den Zehn 
          Aus seinem Stall – vielleicht in eine Tonne; 
          Kurz, er verschwand, und ward nicht mehr gesehn.  |