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Das Leben ein Traum.

Eine Träumerei bei einem Bilde des schlafenden Endymion.

Der Dichter sagt selbst, daß das Bild eines schlafenden Endymion gegenwärtiges Gedicht bei ihm veranlaßt habe: es ist also billig, daß wir uns vor allen Dingen über diesen schlafenden Endymion selbst erklären.

Apollodor (I, 7, 5.) erzählt: Selene verliebte sich um seiner ausgezeichneten Schönheit willen in Endymion. Zeus stellte ihm frei, sich das ihm Liebste zu wählen, und er wählte sich immerwährenden Schlaf, Unsterblichkeit und ewige Jugend. – Heyne bemerkt dabei, es sey nicht recht klar, wie dem Erfinder dieser Sage die Glückseligkeit eines ewigen Schlafes vorgekommen seyn möge; und wer befindet sich hier nicht in Heyne's Falle, – selbst wenn er astronomische Hypothesen zu Hülfe nimmt? Wieland erinnerte sich dabei an Hamlets berühmten Monolog, und was hätte ihm daraus mehr auffallen müssen, als die Reflexion: Schlafen? – Nicht auch träumen? »Er hatte schon früher den Endymion im Schlafe träumen lassen, und so lag ihm allerdings die Betrachtung sehr nahe: worin sich denn der Traum vom Leben selbst unterscheide?« »Daß das Leben des Menschen nur ein Traum sey – schreibt Göthes Werther –, ist Manchem schon so vorgekommen, und auch mit mir zieht dieses Gefühl immer herum. Wenn ich die Einschränkung ansehe, in welcher die thätigen und forschenden Kräfte des Menschen eingesperrt sind; wenn ich sehe, wie alle Wirksamkeit dahinaus läuft, sich die Befriedigung von Bedürfnissen zu verschaffen, die weiter keinen Zweck haben, als unsre arme Existenz zu verlängern, und dann, daß alle Beruhigung über gewisse Punkte des Nachforschens nur eine träumende Resignation ist, da man sich die Wände, zwischen denen man gefangen sitzt, mit bunten Gestalten und lichten Aussichten bemalt, – das Alles macht mich stumm. Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt! Wieder mehr in Ahnung und dunkler Begier, als in Darstellung und lebendiger Kraft. Und da schwimmt Alles vor meinen Sinnen, und ich lächle dann so träumend weiter in die Welt.« Wer, der nicht sein ganzes Leben verträumte, hat nicht die tiefe, erschütternde Wahrheit hiervon gefühlt? Das Resultat davon ist, daß die Einbildung das Leben wie den Traum beherrscht, und daß der der Glücklichste sey, der lächelnd träumt. So ungefähr war Wielands Ideengang, als ihm die in der Beilage angeführte Stelle Cicero's beifiel, die – im Grunde hiemit gar nichts zu thun hat, denn Cicero stellt dem eingebornen Thätigkeitstriebe den Schlaf, Wieland aber dem Wachen den Traum entgegen. Er bestreitet also Cicero eigentlich ganz und gar nicht, sondern nur eine durch Vergesellschaftung ihm unterlegte Idee. Cicero behauptet, daß Schlaf kein Glück sey, Wieland, daß der Traum ein Glück sey; und wenn nun Wieland sagt, Cicero hat Unrecht, so hat Wieland Unrecht. Seine Behauptung indeß sucht Wieland zu beweisen. Sehr wenig würde man ihn aber verstehen, wenn man annehmen wollte, sein Ernst sey es, daß das Leben ein Traum, und daß glücklich seyn leben sey. Zu gut wußte er, daß Bewußtseyn und freies Streben nach dem Zweck der Vernunft, dem einzig guten, das Leben vom Traum unterscheiden, um jenen Satz anders als ironisch zu beweisen. Darum wählt er alle Belege zum Erweis von – wachenden Träumern. Wer es nicht merkt, daß es ihm um das Erwecken zu thun ist, dem weiß ich freilich nicht zu helfen, es wäre denn durch Anwünschung einer guten Nacht. Denen, die unserm Dichter das Erwecken nicht zu verzeihen vielleicht besondre Ursachen haben, lege ich ans Herz, daß er doch so freundlich und gutmüthig ans Bett tritt, und daß er darum doch wenigstens Schonung verdient. Es ist nun einmal seine ehrliche Meinung, daß es um die ganze Welt besser stehen würde, wenn sie – wachte. Hat er darin Unrecht, warum sollten wir denn ärger mit ihm verfahren, als er mit uns? Stellen wir ihn also getrost auch in die Reihe der Träumer und sagen: er jagte Zeitlebens einem Traumbild nach, da er wähnte, man würde ihm das freundliche Erwecken dereinst danken und sich des Wachens freuen. Betrogenster aller Träumer! Es schläft sich gar zu süß, und der Traum kostet so wenig Mühe. Kann also der Mensch dem Menschen etwas Besseres wünschen, als angenehme Ruhe?

1771.

 

 

1.
                Wie schön, von Luna eingewiegt,
Endymion hier im Mondschein liegt!
Auf seinen Wangen scheint der schönste Traum zu schweben.
Die Wonne, die sein Herz entzückt,
In jedem Muskel ausgedrückt,
Scheint was Vergötterndes dem Sterblichen zu geben.
Du, dem sein Schlaf ein Bild des Todes heißt,
Sieh' hier dich widerlegt! Ist glücklich seyn nicht leben?
2.
Wenn Demokrits, des Weisen, Geist
In andre Welten zieht, läßt er den Abderiten Demokrit und seine Landsleute, die Abderiten – werden den Lesern aus Wielands eigner Schilderung noch hinlänglich bekannt werden.
Sein sichtbar Theil zurück. Sie nennen's Demokriten;
Da geht er ja und schwatzt und ißt und trinkt
Und macht es (wie die Herren dünkt)
So gut, als einer ihrer besten.
Und doch betrügen sich die Herr'n.
Der wahre Demokrit ist fern'
Im Geisterreich, bei Jovis Gästen,
Gibt unterwegs vielleicht Besuch dem Mann im Mond
Und irrt, von Welt zu Welt, durch Lamberts Lambert – (geb. 1728 zu Mühlhausen im Sundgau, gest. zu Berlin 1777), gehört zu den vorzüglichsten Mathematikern und Philosophen des vorigen Jahrhunderts. Wieland nennt ihn hier in Beziehung auf seine kosmologischen Briefe über die Einrichtung des Weltbaues. Himmelskreise,
Bis in den Raum, wo Niemand wohnt.
3.
Und glaubet nicht, daß etwa dieß der weise
Demokritus ex privilegio
Voraus gehabt. Es geht uns eben so.
Das träge Thier, das wir gewöhnlich reiten,
Ist (wie Pythagoras Pythagoras – Hielt die Seele für einen Theil des Aethers, glaubte, daß sie von außen in den Körper komme und aus dem Körper wieder in den Aether zurückgehe, nachdem sie ihren nothwendigen Kreislauf vollendet, während dessen sie mit verschiedenen lebenden Wesen vereinigt wird. uns lehrt)
Kein Theil von unserm Selbst, wie des Centauren Pferd.
Was Wunder denn, wenn sich der Geist zu Zeiten
Verändrung macht (denn meistens geht der Trott
Des Thierchens etwas schwer) und, wie sich Anlaß zeiget,
Bald einen Schmetterling, bald einen Liebesgott,
Bald einen Cherub gar besteiget?
4.
Die letzte Art von Reiterei
Hat (die Gefahr des Schwindels ausgenommen,
Und daß man wissen will, der Ein' und Andre sey
Ein wenig angebrannt davon zurück gekommen)
Den Werth der Schnelligkeit. Ihr kommt in gleicher Zeit
Auf keinem Pegasus so weit
Und steigt so hoch, daß euch (wie dort dem frommen
Stallmeister Don Quixotte's Stallmeister Don Quixote's – Der ehrliche Sancho Pansa, der den hier mitgetheilten Bericht abstattete.) der Sitz der Sterblichkeit
Ein Senfkorn nur, und wir, die auf zwei Beinen
Uns drauf bewegen, kaum wie Haselnüsse scheinen.
5.
Die Weisen, die zu Fuße gehn
Und nach den überird'schen Kreisen
Bei kaltem Blut durch lange Röhren sehn,
Sind keine Gönner zwar von solchen Seelenreisen
Und fordern trotziglich, ihr sollt, was ihr gesehn,
Durch x und y beweisen.
Bleibt noch so überzeugt dabei,
Ihr habt's gefühlt, gehört, gesehn – mit Geistessinnen:
Bei ihnen ist damit sehr wenig zu gewinnen.
Das große Machtwort Schwärmerei
Löst Alles auf! – Als ob, indem ich seh' und höre,
Am Wie? mir was gelegen wäre?
6.
Denkt zum Exempel euch, in aller seiner Pracht
Den ersten besten Schach aus tausend einer Nacht:
Mit aller Majestät, die seines Gleichen kleidet,
Füllt er den goldnen Thron in seinem Divan aus;
Er nickt (im Schlummer zwar), doch dieser Nick entscheidet!
Sein Seneschall Seneschall – (nach der wahrscheinlichsten Ableitung von dem alten Sin, Sein, des Seinen, und scalcus, Diener, wovon Schalk), ursprünglich der Diener eines Großen, der sein Hauswesen verwaltete (Hausvogt), dann einer, der an des Herrn Statt dessen Geschäfte verwaltete. Es kommt daher vor theils als Hofamt (jetzt Hof- und Haus-Marschall; Marschall war ursprünglich Oberstallmeister), theils als Staatsamt, wieder entweder am Hofe (jetzt vielleicht Minister-Staatssecretair) oder in Provinzen (jetzt etwa Amtshauptmann). macht ein Edict Edict, Befehl. daraus,
Der Staatsversorgung folgt ein Schmaus
Und Saitenspiel und Tanz und Sängerinnen;
Bis endlich mit betäubten Sinnen
Der eingesungne Völkerhirt'
In großem Pomp zu seiner Ruhestätte
Um Mitternacht getragen wird.
Flugs nehmen an dem goldnen Bette
Zwei junge Nymphen ihren Stand,
An Lieblichkeit den Huri's Huris – Nymphen ausgezeichneter Schönheit im Paradies Muhammeds, welche mit zu den Belohnungen der Seligen gehören. zu vergleichen,
Mit großen Wedeln in der Hand
Von Seiner Majestät die Fliegen wegzuscheuchen.
Nun setzet, daß auf diesem Fuß,
Wiewohl im Wahne bloß, ein Waldheimsbürger Waldheimsbürger – Tollhäusler, benannt nach der sächsischen Irrenanstalt zu Waldheim. lebe,
Worin bestände wohl der Unterschied? – Ich gäbe
Für meinen Theil darum nicht eine hohle Nuß.
Hört, wenn ihr wollt, warum. – Als Dionysius
Die Knaben zu Corinth das Alpha-Beta lehrte,
Anstatt des goldnen Stabs, den ihm das Glück entwand,
Den Birkenscepter in der Hand:
Was, meint ihr, dacht' er da von seinem Fürstenstand?
»Was einer, der im Traum sich Sultan nennen hörte.«
War's etwa mehr? – Ich glaube kaum.
Ihm däucht sogar, die ganze Posse währte
Nicht länger als ein Wintertraum.
Denn zwanzig Jahre gehn in einen engen Raum,
Wenn sie vorüber sind; sie werden zu Secunden:
Füllt sie mit Allem aus, was je in frohen Stunden
Ein Glücklicher an Seel' und Leib empfunden;
Sie fliehn vorbei und sind – ein Traum.
7.
Wenn Salomo in seinen alten Tagen
Uns predigt: »Unterm Sonnenwagen
Ist Alles eitel Eitelkeit!
Ihr gute Leute, braucht die gegenwärt'ge Zeit!«
War's ohne Zweifel dieß, was Seine Hoheit meinte.
Dieß war's, was bei Gelegenheit
Demokritus belacht', und Heraklit beweinte.
Deßwegen bloß hielt Diogen
Es nicht der Mühe werth, in diesem Traum von Leben
Um wie und um warum sich viele Müh' zu geben;
Und wenn er nicht, um Philipps Sohn zu sehn,
Aus seiner Tonne kriechen wollte,
Und da er eine Gunst von ihm sich bitten sollte,
Ihn bat: so gut zu seyn und seines Wegs zu gehn;
So denket nur, es sey aus diesem Grund geschehn.
Hingegen fand, ich wette, bloß deßwegen
Freund Aristipp, es sey daran gelegen,
Den Augenblick, worin wir sind,
Flugs, eh' er uns entschlüpft, zu etwas anzulegen,
Wovon wir, wenn das Glas zu Ende rinnt,
Uns mit Vergnügen sagen mögen:
»Da lebten wir! Dieß Tröpfchen Zeit,
Nach seinem innern Werth, war eine Ewigkeit!«
Was wollt ihr? Selbst ein Mann von unbescholtnem Leben,
Selbst Epiktet gibt uns den Unterricht:
»Genießen, was die Götter geben,
Sei aller frommen Menschen Pflicht.«
Ist Alles gleich nur Luft und Seifenblase,
Gemalte Wolke, Wurmgespinnst
Und Flittergold und Schmuck von buntem Glase,
Kurz, eitel Eitelkeit – Herr Seneca, gewinnst
Du etwa mehr dabei, von unsern Kinderspielen
Dich abzusondern? nichts zu sehen, nichts zu fühlen,
Weil, was man sieht und fühlt, ein Spiel der Sinnen ist?
8.
»Gewinnen – (schnarrt mit aufgeworfner Nase
Ein neuer Seneca) man hört an dieser Phrase
Von welcher feinen Zunft du bist!
Gewinnen? – Wisse, daß ein Weiser
Nicht sich, daß er dem Ganzen lebt.
Gold, Diademe, Lorberreiser,
Mit Amors Rosen unterwebt,
Der Künste Zauberei, der Reiz verwöhnter Musen,
Der wollustvolle Tanz, das weiche Saitenspiel
Glitscht schadlos ab an seinem festen Busen.
Sein einzigs, unbeweglichs Ziel
Ist, treu zu seyn den ewigen Gesetzen
Des großen Alls, und Arbeit sein Ergetzen.
Nie macht in seiner Pflicht ihn Furcht und Hoffnung schwank,
Und weder Phrynens Schoß, noch eine Folterbank
Wird über ihn erhalten können,
Die Lust ein Gut, den Schmerz ein Weh zu nennen.
Die ganze Welt verschwöre sich,
Was Unrecht ist, in Recht zu wandeln:
Betrogne Welt! bedauern kann er dich,
Doch anders wird er nicht dir zu Gefallen handeln.
Und träten, wie in Rom geschah,
Die Götter selbst auf Cäsars Seite:
Auch dann, im hoffnungslosen Streite,
Steht Cato ganz allein auf seiner Seite da;
Der Mann des Staats, sein Schutzgeist, sein Berather,
Nur für die Republik Freund, Bruder, Ehmann, Vater;
Der nur für Rom und für die Freiheit lebt
Und, ihren Fall den Göttern zu vergeben
Unfähig, sie zu überleben
Verschmähend, sich in ihrem Schutt begräbt. –
Und, solch ein Leben Traum zu nennen,
Erröthest du im Angesicht
Der Weisen aller Zeiten nicht?«

Freund Seneca, du wirst vergönnen –
Ich rede von der Brust – ich nenn' es: ein Gedicht.
Den Weisen, den du malst, hat ihn ein Weib geboren,
Und floß in seinen Adern Blut,
War er mit Augen und mit Ohren
Versehn und aß und trank, wie unser einer thut,
So war er wahrlich nicht der Mann, den du uns malest!
Herr Stoiker, wir kennen uns, du prahlest!
Wir wissen auch, was seyn kann oder nicht:
Dein weiser Mann bleibt ewig – ein Gedicht.
Ich sage mehr! Der Mann, der stets nach Regeln handelt,
Stets Herr ist von sich selbst und niemals sich verwandelt,
Allein für Andre lebt, nichts fürchtet, nichts begehrt,
Kurz, nie was Menschliches erfährt,
Der Mann, wofern er nicht ein Gott ist, ist ein Schwärmer!
In seiner Art ein wenig bess'rer Mann
Als Attila und Gengiskhan,
Als Cromwell, Miriweys Attila – Der Hunnenkönig, und der Mongolenfürst Temudschin, der sich Gengiskhan (Dschengis-Khan), d. i. den größten Khan nannte, gehören zu den größten Eroberern und Verwüstern und sind wohl so bekannt, als Cromwell, der gefürchtete Protector von England. – Miriweys (Mir-Weis) gehörte zu den mächtigsten Häuptern der Afghanen, eines kriegerischen Nomadenvolks im persischen Reiche, welches unter Mir-Weis in den Jahren 1709–1713 seine Freiheit erkämpfte. Der so schlaue als tapfere Führer starb 1715. und andre solche Lärmer.
»Die Tugend?« – O, die hat ein Cato selbst nicht wärmer
Geliebt als ich! Sie ehrt sogar der Bösewicht;
Und ohne Gleißnerei, aus Neigung, nicht aus Pflicht,
Ist schöner Seelen Lust, sie fröhlich auszuüben.
Doch selbst die Tugend kann kein Schwärmer weislich lieben.

9.
Die Tugend ist den schönen Formen gleich,
Die jungen Künstlern zu Modelen
Ein Polykletus Polykletus – Aus Sicyon, einer der berühmtesten Künstler Griechenlands, zeichnete sich unter anderem auch durch genaue Beobachtung der Symmetrie aus. Besonders wurde die eine seiner Statuen dadurch berühmt, der Doryphotus, ein Jüngling, der einen Spieß trägt. Sie wurde als Kanon, Musterregel, betrachtet. gibt: »Ihr Knaben, hütet euch
Die Schönheitslinie nur ein Haar breit zu verfehlen!«
Sie hält in Allem Maß und Zeit;
Dem strengen Recht vermischt sie Billigkeit;
Sie wird sogar aus zweien Uebeln wählen,
Wenn ihr die Noth die schwere Wahl gebeut.
Fehlt dem geraden Weg, wie öfters, Sicherheit,
Läßt sie die Klugheit sich durch Seitenwege führen;
Und wenn der Widerstand ihr Werk zu hemmen dräut,
So gibt sie etwas nach, nicht Alles zu verlieren.
10.
Dieß thut ein Cato nie; sein edler Starrsinn geht
Allein und unverwandt auf seinem eignen Pfade
Und achtet nicht, woher der Wind des Zufalls weht.
Sein Anti-Cato selbst gesteht,
Halb ungern, ein, es sey um seine Tugend Schade:
Sie nahte sich vielleicht dem höchsten Grade,
Allein sie kam ein Säculum zu spät.
Was half es, Porcius, die gute Zeit der Alten,
Des armen Roms gezwungne Mäßigkeit
Der Königin der Welt zum Muster vorzuhalten?
Die Sitten wechseln mit der Zeit.
Soll sich Lucull Lucull – Plutarch in seinen vergleichenden Lebensbeschreibungen stellt dem Athener Cimon den Römer Lucius Licinius Lucullus entgegen, nicht bloß als Feldherrn, sondern auch als Kunstfreund. Cimon verschönerte zuerst Athen mit der aus dem persischen Kriege gewonnenen Beute, Lucull verwendete seine von dem pontischen König Mithridates eroberten Reichthümer zur Verschönerung Roms. Plutarch wirft ihm die Anlage der kostbaren Gebäude, prächtigen Bäder und Spaziergänge, das Anschaffen von Gemälden und Statuen als Verschwendung vor., bereichert mit den Schätzen
Des goldnen Asiens, der Mehrer seines Staats,
Der Cimon Roms, der Sieger Mithridats,
Wie Curius Curius – Empfing einst als Dictator die Gesandten der Samniter, da er gerade einige zu seinem Mittagsessen bestimmte Rüben am Feuer briet. Die angebotenen großen Geldsummen der Gesandten schlug er mit den Worten aus: Wem solche Kost genügt, der braucht kein Gold., zu magern Rüben setzen?
Vergebens hoffest du, durch deines Beispiels Kraft
Die neuen Sitten zu besiegen.
Mit einer Art von schauerndem Vergnügen
Wirst du vielleicht wie einer angegafft,
Der aus der andern Welt zu uns herauf gestiegen;
Doch bald gewöhnt das Auge sich an dich
Und findet deinen Ton und deine strengen Sitten,
Gleich deinem Rock' ahnherrlich zugeschnitten,
Zwar ehrenfest, doch etwas lächerlich.
Von Allen, welche sich für deine Freunde gaben,
War auch nur Einer, der zum Muster dich erkor? Einer, der zum Muster dich erkor – Vermuthlich Statyllius, der dem Cato folgen wollte, den dieser selbst aber bei Plutarch einen aufgeblasenen jungen Menschen nennt. Doch fiel er mit Ehre in der Schlacht von Philippi.
Den Einen wenigstens war's besser nicht zu haben:
Denn dieser Eine heißt Plutarchen selbst ein Thor.
Gestehe nur (wenn das Gesetz der Schatten
In die vergangne Welt dir einen Blick erlaubt),
Die Cäsarn und Pompejen hatten
So Unrecht nicht, wie du geglaubt.
Ein Cato war in Cäsars Tagen,
Was Mancha's Held, als ihn Cervantes schuf.
Aus eigenmächtigem Beruf
Mit Zauberern und Riesen sich zu schlagen
Und, weil der Riesenstamm längst ausgestorben war,
Windmühlen dafür anzusehen;
Dieß oder, so wie du, dem Manne widerstehen,
Der Rom allein zu retten fähig war,
Mich dünkt, es gleicht sich auf ein Haar.
Gut war, dieß ist gewiß, der Wille bei euch beiden:
Wohlthätig, tapfer, keusch, bescheiden,
Stolz ohne Uebermuth, ein Feind von trägen Freuden,
Fromm ohne Gleißnerei, an jeder Tugend reich
War er, warst du; – und wer, der Sinn hat, liebet euch
Von dieser Seite nicht, wünscht nicht, er wär' euch gleich?
Und dennoch stelltet ihr, mit allem guten Willen,
Mehr Unheil an als zwanzig Ginesillen Ginesillen – Vielleicht hergeleitet von Argamesilla, einem spanischen Dorfe in der Provinz La Mancha, welches Cervantes als Geburtsort seines Don Quixote angibt..
Wer Tag und Nacht euch in Bewegung sah,
Bewehrt von Kopf bis zu den Füßen,
Stets wachsam, stets bald dort, bald da,
Mit eingelegtem Speer – der hätte denken müssen,
Wenn ihr nicht thätet, würde bald
Die Welt zurück ins Chaos fallen.
Bekenne, Porcius, mit deinen Thaten allen,
Warst du ein Rittersmann von trauriger Gestalt.
Der Widerstand, den du dem Schicksal thatest,
Bewies, wie wenig du von seinem Plan' errathest.
Dem Helden gleich, der auf des schwarzen Berges Höh
Thorheiten that, um Nachruhm zu erwerben,
Gabst du dein Daseyn preis, um unbesiegt zu sterben,
Und deine Tugend war – war seine Dulcinee.
11.
Hört eine Wahrheit, liebe Leute!
Nur ärgert euch, ich bitte, nicht daran.
Der Meisten Lebenslauf ist, von der schönsten Seite,
Ein kläglich Lustspiel ohne Plan,
Und ihr Verdienst oft bloß ein angenehmer Wahn.
Kaum daß wir aus dem Traum der Kindheit aufzuwachen
Beginnen, kaum die Freude, da zu seyn,
Durch Ueberlegung uns beginnen wahr zu machen:
So wiegt die Phantasie uns zwischen Lieb' und Wein
In süßer Trunkenheit zu neuen Träumen ein.
»Von Liebesgöttern und Freuden umgeben,
Däucht dem bezauberten Jüngling die Welt
Ein ewiges Paphos, unsterblich sein Leben
Und eine Venus – die Erste, in deren Netz er fällt.«

Gesetzt (ein seltner Fall!) daß seine bess're Jugend
Am Arm der Weisheit und der Tugend
In edlern Uebungen verfließt,
Und daß Homer sein Spiel, sein Lehrer Plato ist:
Auch dann, im Mittagspunkt von seiner Weisheit, schwärmet
Sein Kopf, warm wie sein Herz. Dem Unerfahrnen däucht
Das Leben – ein System und jede Tugend – leicht.
Athen und Rom ist seine Welt,
Sein Genius Sokrates, und Phocion sein Held.
O, warum konnt' er nicht in ihren Tagen leben!
Wie häßlich findet er die Gothen seiner Zeit!
Doch fehlt's der Phantasie wohl an Gelegenheit,
Auch Gothen selbst zu Griechen zu erheben?
Voll von der hohen Würdigkeit
Der Menschheit, o! wie leicht sieht er in ihren Söhnen
Und Töchtern überall Geschöpfe bess'rer Art,
Diotima's Diotima – Heißt die Seherin in Platons Gastmahl, aus deren begeistertem Munde Sokrates die Weisheit von der Liebe erhalten zu haben vorgibt. in allen sanften Schönen
Und einen Epiktet in jedem – weißen Bart!
Sein Ideal (von Bildern abgezogen,
An deren Schönheit ihm Plutarch und Xenophon
Vielleicht den dritten Theil gelogen)
Ist ihm des Schönen Maß Sein Ideal ist ihm des Schönen Maß – d. h. er hat sich nach den Urbildern bei Xenophon und Plutarch einen Maßstab für die Menschen gemacht, nach welchem er nachher einige zu hoch, andere zu niedrig anschlägt. Der Dichter führt Beispiele in zwei Gegensätzen an, Timoleon und Alcibiades, Cassius und Augustus., – ein Gott Timoleon Timoleon – War, wie Nepos sagt, nach Aller Urtheil ein großer Mann, denn ihm gelang, was vielleicht noch Keinem, daß er das eigne Vaterland vom Tyrannenjoch befreite, aus Syrakus die verjährte Sklaverei vertrieb und in ganz Sicilien Freiheit und Glück wieder herstellte. Er selbst wollte lieber seines Vaterlandes Gesetzen gehorchen, als dasselbe beherrschen, da er es konnte. – Vielleicht aber, meint der Dichter, geht dem Helden der Freiheit doch etwas zum Gott ab, denn sein, wenn auch aus edler Absicht verfügter, Brudermord fällt wenigstens der Casuistik zur Beurtheilung anheim. – Für Alcibiades will der Dichter wohl geltend gemacht wissen, was Luden ihm zugesteht, daß auch ohne ihn, was kam, gekommen seyn würde, und daß er überhaupt nur den Zeitgeist seines Staates zurückspiegelte. – Die Motive des Cassius zur Ermordung Cäsars macht der Dichter durch das Beiwort der Stolze verdächtig, und sein Urtheil über Augustus hat er in seinen Einleitungen zum Horaz deutlich ausgesprochen. Die Vergleichung mit Luden kann auch hier nicht ohne Interesse seyn.,
Und Alcibiades ein schönes Ungeheuer,
Der stolze Cassius des Vaterlands Befreier
Und nichts als ein Tyrann der Sieger von Anton.

So lebt er unbesorgt im Lande der Ideen,
Glaubt Wunder, wenn er phantasirt,
Wie tief er die Natur studirt,
Und bleibt so unbekannt mit dem, was stets geschehen,
Und ist so ungewohnt, was vor ihm liegt, zu sehen,
Als hätt' ihn ein Komet zu uns herab geführt.
»Nur das, was wirklich ist (wie ihn sein Plato lehret),
Ist unsrer Neigung werth.« – Er glaubt's! Und doch bethöret
Ihn tausend Mal (wie kann es anders seyn,
Solang' er schwärmt?) ein falscher Augenschein.
Was wollen wir? Wie soll er Andre kennen?
Er sieht ja gar sich selbst durch Platons Augen an:
Beglückt vielleicht in seinem Wahn,
So gut als Täuschungen uns glücklich machen können,
Doch stündlich in Gefahr, wenn er (wie Demokrit)
Vor lauter Himmel nicht die Erde vor sich sieht,
An irgend einen Baum die Nase anzurennen.
Und wenn dieß oft genug geschieht,
So weiß ich nicht, wie ich den Träumer nennen wollte
Der nicht zuletzt erwachen sollte.

12.
Wohlan, er werde wach! – Wie lange? – Nur zu bald
Läßt Göttin Thorheit ihm in anderer Gestalt
Den Zauberkelch entgegen blinken.
Wir werden nie zu weise, noch zu alt,
Ihr süßes Gift mit Lust hinein zu trinken:
Unmerklich schläfert es die Weisheit wieder ein;
Wir träumen fort und glauben wach zu seyn.
Wenn Ritter Don Quixote den besten Platz im Himmel
Und noch vorher in diesem Weltgetümmel
Ein hübsches Kaiserthum sich zu erfechten denkt;
Wenn Sancho hinter ihm, auf seinem frommen Schimmel,
Den Inseln, die sein Herr ihm vor der Hand geschenkt,
Getrost entgegen trabt; wenn Harpax, reich begraben
Zu werden, dürftig lebt; wenn Flox den Schlaf vergißt,
Um einen neuen Stern zuerst begrüßt zu haben;
Wenn, in gelehrtem Staub vergraben,
Sich Rufus blind an alter Mönchsschrift liest;
Marullus sein Gehirn mit Wörtern so belastet,
Daß selbst Homer – für ihn nur Wörter schreibt;
Wenn (was, auch wenn's geschieht, noch unwahrscheinlich bleibt)
Ein Bonz' in vollem Ernst sich zur Pagode Pagode – Nennt man nicht bloß in gewissen Gegenden Indiens und China's eine Art von Tempeln, sondern auch die Hauptgottheit, der ein solcher Tempel geweiht ist. Aus China kamen ehedem solchen Götterbildern ähnliche Figuren aus Porcellan, welche bei einer leichten Bewegung gleich mit dem Kopfe wackelten und von dem Ungeschmack zur Zierde auf die Kamine gestellt wurden. fastet;
Wenn Niphus Niphus – Augustin, aus Calabrien gebürtig, ein sehr berühmter Philosoph des 16. Jahrhunderts, war während seines ganzen Lebens ein großer Freund des schönen Geschlechts gewesen und wurde noch in seinem hohen Alter von einer heftigen Leidenschaft ergriffen. Er selbst sagt: Crevit amor tandem adeo, ut non ad insanias modo, sed ad mortem compellerer., als getreuer Hirt,
Nach siebzig Wintern noch verliebte Seufzer girrt;
Wenn Brutus, ein Gespenst von Freiheit zu erlösen,
Aus Tugend lasterhaft, zum Vatermörder wird,
Und Timon, um von allem Bösen
Auf einmal frei zu seyn, in eine Wildniß irrt:
Was sind sie wohl? – Und sie, die man uns anzupreisen
Gewohnt ist, ohne recht zu wissen, was man preist,
Die ganze Zunft der Helden und der Weisen
(Den nehm' ich höchstens aus, den Delphi weise heißt),
Der Virtuosen und – der Reimer,
Wo sie am besten sind, was sind sie sonst, als Träumer?
Traum ist der Wahn von ihrer Nützlichkeit!
Die Hoffnung Traum, als ob noch in der spätsten Zeit
Ihr Nam' im Reihn der Götter unsrer Erde
Auf allen Lippen schweben werde!
Traum der Gedank', als ob ganz Paros Marmors kaum
Genug besitze, drein zu graben,
Durch welche Thaten sie die Welt verpflichtet haben!
Kurz, ihr Bemühn, ihr Stolz, ihr ganzes Glück – ein Traum!

 


 

Beilage
zu dem vorstehenden Gedichte.

Das in der Beilage von Cicero angeführte Urtheil über Cato findet sich in den Briefen an Atticus (Bd. 2 Br. 4. ed. Schütz. Bd. 1. Br. 26.) Der Herausgeber glaubt übrigens, den Schluß, welchen diese Beilage hatte, als sie 1773 im August-Stück des T. Mercur zum Erstenmal abgedruckt wurde, hier wieder beifügen zu müssen.

»Die Vergleichung Cato's mit dem Helden von Mancha ist kein rascher Einfall einer vorübergehenden Laune, sondern das Resultat langer Beobachtungen und wohlgeprüfter Grundsätze. Er empfindet indessen sehr wohl, daß die Frage, wiefern Cato als ein Beispiel der Tugend angesehen und nachgeahmet werden könne, nur zu sehr verdiene, von Cicero ein archimedisches Problem Briefe an Atticus Bd. 12. Br. 4. ed. Schütz. Bd. 4. Br. 115. Wielands Uebers. Bd. 5. S. 102. genannt zu werden; und wenn er dieses Problem aufzulösen versucht, so gibt er auch seine Arbeit für nichts mehr, als einen Versuch, dessen bestes Verdienst vielleicht bloß darin besteht, Andere zu einer gründlichern Auflösung zu veranlassen. Irret er sich, so entschuldiget ihn das allgemeine Los der Menschheit, und Niemand ist williger als er, sich zurechte weisen zu lassen. Alles, was er verlangt, ist Freiheit, zu untersuchen und zu sagen, was er, seiner Ueberzeugung nach, für wahr und gut hält. Diese Freiheit ist ein unverlierbares Recht des Menschen und das wahre Palladium des allgemeinen Wohls unsrer Gattung. Was für eine Stirne müßte der haben, der ein Recht, welches er nur mit dem Leben verlieren möchte, irgend einem seiner denkenden Mitgeschöpfe absprechen wollte?«

Ein schlafender Endymion, den ich einst in einer müßigen Stunde mit Vergnügen betrachtete, brachte mir eine Stelle aus dem Cicero in den Sinn, wo dieser große Schriftsteller bei Gelegenheit des Satzes, »daß der Mensch zur Thätigkeit geboren sey,« sagt: »Und wenn wir auch versichert wären, daß wir die angenehmsten Träume von der Welt haben sollten, würden wir uns doch Endymions Schlaf nicht wünschen; im Gegentheil, der Zustand eines Menschen, dem dieß begegnete, würde in unsern Augen um nichts besser seyn, als Tod.«

Diese Stelle führte mich zu einer Folge von Betrachtungen über den Gegenstand des berühmten Monologs in Shakspeare's Hamlet – »Seyn und Nichtseyn;« – einen Gegenstand, der dem gedankenlosen Haufen so klar und einfach vorkommt, daß sie nicht begreifen, wie man etwas darüber sollte denken können, während der Philosoph mit Schwindeln in die Tiefe desselben hinab sieht.

Es war an einem schönen Sommertage, und ich befand mich eben ohne irgend etwas, das meinen Geist verhindert hätte, sich aus dem ersten besten Gegenstande, der sich ihm anbieten mochte, ein Geschäft zu machen. Ein Ueberrest von der Laune, welche den neuen Amadis geboren hatte, machte meine Gedanken in Verse hinfließen; und so entstand das Gedicht, welchem Herr Boie einen Platz in seiner poetischen Blumenlese auf das Jahr 1773, S. 81, einzuräumen beliebte. – Ein Gedicht, welches mehr einem Werke der Natur als der Kunst ähnlich sieht und keinen andern Plan hat, als die oft unsichtbaren Faden, wodurch freiwillige Gedanken in einem Dichterkopfe zusammen hangen, aber, seiner anscheinenden Unordnung ungeachtet, ein Ganzes, in der kunstmäßigen Bedeutung dieses Wortes, geworden wäre, wenn die Dazwischenkunft zufälliger Umstände dessen Vollendung nicht verhindert hätte.

Der Grundriß davon ist ungefähr dieser:

»In jeder Vorstellung, die für die Seele Empfindung ist, ist subjective Wahrheit. Endymion hat in seinem langen Traume die angenehmsten Gesichte. Es sind Einbildungen; aber diese Einbildungen haben für ihn die Stärke wirklicher Empfindungen: er genießt, weil er zu genießen glaubt. Das Daseyn dieser angenehmen Gegenstände außer seinem Gehirne – würde die Wonne dieses Genusses nicht vergrößern. Was geht es ihn an, ob sie für Andre, ob sie für sich selbst wirklich sind? Sie sind wirklich für ihn: dieß ist ihm genug. Er ist in diesem Falle so glücklich, als in jenem. – Wohl bemerkt, daß hier der Zustand, worin er sich vor diesem langen Traume, wovon die Rede ist, befunden, und der Zustand, in welchen er durchs Erwachen versetzt werden mag, hier in keine Betrachtung kommt. – Sein Zustand während des besagten Träumens ist also vom Tode so verschieden, als Leben und Tod verschieden sind, und Cicero hat Unrecht.

»Unsre Seele kann auch wachend träumen. Der speculative Weise – ein Demokrit, zum Beispiel, der (wie Horaz sagt) sein Vieh auf seinen Aeckern weiden läßt, indessen sein Geist in idealischen Welten herum wandert – oder ein Begeisterter aus einer andern Classe, der, wenn wir andere Erdensöhne uns auf gewöhnlichen Steckenpferden erlustigen, auf einem Cherub in die unsichtbaren Welten hinein trottet – Leute von dieser Art gelangen oft dazu, von dem, was sie wachend träumen, von ihren Hypothesen, Vermuthungen, Wünschen, sich so stark zu überreden, als ob es empfundene oder erwiesene Wahrheiten wären. Ohne es zu bemerken oder bemerken zu wollen, däucht ihnen die Fertigkeit, womit sie sich ihre Einbildungen anschauend denken, für die Gewißheit derselben gut zu sagen. Was sah nicht Poiret, dieser scharfsinnige Vernunftkünstler, nachdem er es einmal bis zu der muthigen Entschließung gebracht hatte, die Realität der Gesichte einer Antoinette Bourignon a priori zu beweisen? Was sind die wunderbarsten Feenmährchen gegen die erstaunlichen Träume, womit sein Buch von der Oekonomie Gottes angefüllt ist? Und was für ein demonstratives Ansehen hat er diesen Träumen nicht zu geben gewußt?

»Die Seher dieser Art finden einen wesentlichen Theil ihrer Glückseligkeit in dergleichen Träumereien, welche für sie Wahrheit sind; und sie würden Ursache haben, denjenigen, die sie ihrer Gesichte berauben, sie dadurch in den Stand gemeiner unbegeisterter Menschen setzen wollten – wie jener Argeer (der, in einer Art von Wahnsinn, ganz allein im Schauplatze sitzend die schönsten Tragödien zu hören glaubte) seinen Freunden, welche ihn mit Niesewurz geheilt hatten – statt des Dankes zuzurufen: Pol me occidistis.

»Doch wozu haben wir nöthig, unsre Beispiele aus der Classe der ungewöhnlichen Menschen herzuholen? Ist nicht das Leben der Meisten eine Kette von angenehmen oder unangenehmen sinnlichen Eindrücken und Vorstellungen? Gesetzt, es wäre aus Allem, was die Sinne vergnügen und berauschen kann, zusammen gewebt und dauerte so lange, als Nestors Leben; wenn es vorüber ist, was ist es Andres, als ein verschwundener Traum?

»Von jeher fanden die Weisen, daß es so leicht nicht sey, als Viele meinen, sich zu überzeugen, daß Alles, was einem Sterblichen unterm Monde von seiner Geburt an bis zum Erwachen in eine andre Welt (denn was ist der Tod Andres?) begegnet, etwas mehr als ein langer Traum sey, in welchem die Sachen nur allzu oft wenig ordentlicher, weiser und zweckmäßiger zugehen, als in einem Sommernachtstraum.

»Vermuthlich dachte der weise Salomo so etwas, da er sein berühmtes »Eitelkeit der Eitelkeiten« über Alles, was unter der Sonne ist, ausrief.

»Aus diesem Grunde fand es vermuthlich Diogenes nicht der Mühe werth, in einem Leben, das einem Traume so ähnlich ist, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie und warum wir so und nicht anders träumen? – oder, wenn er in seiner Tonne gemächlich lag, sich heraus zu begeben, um bei Alexandern Gefahr zu laufen, auf persischen Polstern übel zu liegen. Aber aus eben diesem Grunde fand Aristipp, indem er die Sache von einer andern Seite betrachtete, daß nichts thörichter wäre, als in einem Leben, worin der künftige Augenblick so wenig in unsrer Gewalt ist, den gegenwärtigen ungebraucht oder ungenossen entschlüpfen zu lassen.

»Ein weiser Mann, sagt er, geht nicht auf die Jagd des Vergnügens aus – denn wie oft findet man gerade das Gegentheil dessen, was man sucht! – Aber ein unschädliches Vergnügen, das man– wie ein Wanderer im Vorübergehen eine Blume, die an seinem Wege steht – pflücken kann, nicht zu pflücken, würde eine große Sünde – gegen uns selbst seyn.

»Man hat dem ehrlichen Aristipp diese Maxime übel ausgedeutet, und gleichwohl enthält sie mit Grunde nichts, als einen Gedanken, welchen Epiktet noch stärker und ernsthafter ausdrückt, da er sagt: »Es würde Gottlosigkeit seyn, die Annehmlichkeiten, womit uns die Götter dieses mühselige Leben versüßen wollen, zu verschmähen.«

So weit spricht der Dichter der zufälligen Rhapsodie, von welcher wir hier den Entwurf geben, gleichsam mit sich selbst. Aber nun fängt er zu dialogiren an – denn, in der That, die besten Monologen schläfern ein, wenn sie zu lange währen. Er stellt sich einen Stoiker vor, der ihn behorcht hat und über die Maxime des Aristipps oder überhaupt über den Ton, worin der Dichter von Träumen und Leben vernünftelte, den Kopf schüttelt. Er redet ihn an:

»Du hörest, sagt er, daß ich nicht viel dawider einwenden werde, wenn du alle Vergnügungen der Sinne und der Einbildung – wenigstens in Rücksicht auf ihren Gegenstand, auf ihre Dauer und auf ihre Ungewißheit – für eitel Eitelkeit erklärest. Aber, guter Seneca! wenn dieß nun einmal das Los der Erdenbewohner wäre: was gewännest du dabei, wenn du dich von unsern Kinderspielen absondertest, in deinem Winkel ernsthafte Grillen fingest und nichts Angenehmes fühlen, sehen, hören, schmecken und riechen wolltest, weil Alles, was wir fühlen, sehen, hören, schmecken und riechen, ein Spiel der Sinne ist?«

Der Stoiker antwortet dem Dichter, der ihn in der Person Aristipps anredet, in dem hohen Tone, der diese Secte unterscheidet. »Der Weise, spricht er, hat andere Dinge zu thun, als sich zu belustigen. Lebt er etwa für sich selbst? Was ist Vergnügen oder Schmerz für den Mann, der nichts bedarf, nichts wünschet, nichts fürchtet? der keine andere Gesetze kennt als das ewige Gesetz des Rechts, und unbeweglich der Einzige auf seiner Seite bleibt, wenn gleich die ganze Welt zum glücklichen Laster überginge? Immerhin mag das Leben eines Crassus, eines Antonius, eines Cäsars den Namen eines Traumes verdienen; aber das Leben eines Cato – ist das Leben eines Gottes!«

Natürlicher Weise kann der Dichter seinen Aristipp nicht sogleich verstummen lassen. Dieser hat noch etwas zu sagen, eh' er schweigen muß; und es wäre unbillig, ihn mit Strohhalmen fechten zu lassen, da es ihm nicht an bessern Waffen fehlt. »Es steht bei dir (erwiedert Aristipp), einem in deiner Phantasie erzeugten Menschen die Eigenschaften, die Selbstgenügsamkeit, die Unabhängigkeit, die immer weise, immer wohlthätige Wirksamkeit, mit einem Worte, die ganze Größe des vollkommensten Wesens zu geben. Aber, was nicht bei dir steht, ist, uns auf dem ganzen Erdboden einen Menschen zu zeigen, der diesem Ideal, das du den Weisen nennest, gleich wäre. Die Rede ist von Erdensöhnen, und du sprichst uns von einem Gott. Denn dieß ist der Weise, den du ohne Leidenschaften, ohne Ungleichheiten, ohne Bedürfnisse, ohne Schwachheit schilderst: er ist ein Gott oder – ein Schwärmer, dem es träumt, daß er ein Gott sey. Dein Cato zum Exempel –«

Bei diesem Namen brennt der Stoiker auf. »Wie? (ruft er) und selbst einen Cato, selbst den Helden der Tugend, verschont dein sträflicher Leichtsinn nicht?«

»Die Tugend (antwortet jener) – dieß Wort umfaßt Alles, was gut, schön und groß ist! Aber die Tugend gibt keinen Freibrief gegen das Urtheil der gesunden Vernunft, und nicht Alles ist Tugend, was ihren Stempel trägt. Die Tugend ist die Göttin der schönen Seelen; nichts ist liebenswürdiger als sie; aber ein Schwärmer, ein Mensch, der nicht Herr von seiner Einbildung ist, kann die Tugend selbst nicht weislich lieben. Dein Cato, mit allen seinen großen Eigenschaften, war gleichwohl nur ein Don Quixote: er kämpfte sein ganzes Leben durch mit phantasirten Ungeheuern, wie dieser mit Riesen und bezauberten Mohren. Es ist wahr, er liebte die Tugend über Alles, er blieb ihr getreu – bis sie ihn auf eine gar zu harte Probe setzte; er unternahm das Unmögliche für sie; aber seine Tugend – war eine Dulcinee.«


Hier wurde der Dichter unterbrochen. Andre Beschäftigungen brachten ihm dieses Spiel einiger müßigen Stunden aus dem Sinne, und seine Rhapsodie blieb ein Fragment. Seinem ersten Plane nach sollte es hier nicht aufgehört haben. Nicht der Stoiker sollte siegen; aber sein vorgeblicher Aristipp eben so wenig. Der Dichter wollte in seiner eigenen Person zwischen sie treten und Friede unter ihnen machen. Er wollte in einem lebhaften Gemälde gegen den Stoiker vorstellen, wie viel Chimäre, wie viel Träumerisches selbst in dem Leben der besten Menschen ist. Aber er wollte auch in der warmen kunstlosen Sprache der Empfindungen gegen Aristippen beweisen: »daß die Thätigkeit des Weisen und Tugendhaften allein den Namen eines wahren Lebens verdiene, und daß, mitten unter den angenehmen oder unangenehmen Täuschungen unsrer innern und äußern Sinne, die Vervollkommnung unser selbst und die Bestrebung, alles Gute außer uns zu befördern, unserm Daseyn Wahrheit, Würde und innerlichen Werth mittheilen, und ein Leben, welches ohne sie der Zustand einer sich einspinnenden Raupe wäre, zu einer Vorübung auf eine bessere Zukunft, zu einem wirklichen Fortschritt auf der langwierigen, aber herrlichen Laufbahn machen, auf welcher die Geister einem Ziele, das sie nie erreichen können, sich ewig zu nahen bestimmt sind.«


Dieses unvollendete Gedicht, wovon bisher die Rede gewesen ist, sollte der Absicht des Dichters nach entweder vollendet werden oder, wenn es Bruchstück bliebe, unter zwanzig andern verunglückten Geschöpfen der Laune, unbemerkt vermodern. Aber sein Schicksal wollte es anders. Der ehemalige Herausgeber des Göttingischen Musenalmanachs ersuchte ihn, mit einer so verbindlichen Art, um einen kleinen Beitrag zu seiner Blumenlese für das Jahr 1773, daß es unserm Dichter um so weniger möglich war, ihn mit Entschuldigungen abzuspeisen, da viele freundschaftliche Dienste, wodurch Herr B. ihn verpflichtet hatte, der Verweigerung einer so geringen Gefälligkeit einen Schein von Unerkenntlichkeit zu geben schienen. Gleichwohl fand sich unter seinen Papieren nichts, als dieß nämliche Bruchstück, was im Nothfall den Mangel eines vollendeten Stückes einiger Maßen ersetzen konnte. Er schickte es ihm also zu, mehr zum Zeichen seines guten Willens, als in der Meinung, daß es eines Platzes in einer Sammlung, die mit den Namen unsrer besten Dichter prangt, würdig sey. Ein freundschaftliches Vorurtheil hieß den Herrn B. anders denken, und so wurde dieses Fragment der Welt bekannt.

Was sich der Verfasser von dem Urtheile, das Manche darüber fällen würden, zum Voraus vorgestellt hatte, traf nun ein. Er vermuthete, daß die wackern Leute, die ihn (damals wenigstens) nicht verstehen konnten oder wollten, auch dießmal nicht errathen würden, was er mit diesen zufälligen Gedanken über einen schlafenden Endymion beabsichtigt haben könne. Und so erfolgte es. Man fand sehr ärgerlich, daß er von Aristipp in einem Tone, der wenigstens keine deutliche Mißbilligung merken läßt, gesagt hatte:

Und eine Lust in Unschuld, die ein Mann;
Wie einen Schmetterling, geschwinde
In seinem Wege haschen kann,
Nicht haschen, hielt der weise Mann
Für eine Sünde.

Aber noch ärgerlicher fand man, daß er sich nicht gescheuet hatte, eine höchst anstößige Vergleichung zwischen dem Tugendhelden Cato und dem irrenden Ritter Don Quixote von Mancha anzustellen, ja die Tugend des erstern gar für eine bloße Dulcinee auszugeben. »Dieß ist entsetzlich! sagte Jemand, dessen Namen wir aus billiger Schonung verschweigen: Dulcinee, so zärtlich und inbrünstig sie auch von dem Ritter von Mancha geliebt wurde, war im Grunde doch weder mehr noch weniger, als eine Chimäre. Wenn also Cato's Tugend eine Dulcinee war, so war sie ein bloßes Hirngespinnst. Welche Lästerung!« – Gleichwohl hat es eine Menge gelehrter Männer, ja sogar heilige Kirchenväter gegeben, welche mit Cato's Tugenden noch weit unfreundlicher umgegangen sind. Eine Chimäre ist, nach der Erklärung der Gräfin Orsina, ein Ding, das kein Ding ist; und ein Ding, das kein Ding ist (sagt eben diese kluge Dame), ist so viel als gar nichts. Nun frage ich alle ehrliche Leute, ob es ihnen nicht auch so zu Muthe sey, wie dem guten Plutarch, der irgendwo sagt: »Ich würde mich weit weniger beleidigt halten, wenn man von mir sagte. Es gibt keinen Plutarch, es ist nie ein solcher Mann wie Plutarch gewesen, Plutarch ist eine Chimäre; als wenn man sagte: Plutarch ist ein hoffährtiger, ungerechter, neidischer, hartherziger, boshafter Mann.« – Gesetzt nun auch, der Dichter hätte Cato's Tugend eine Chimäre genannt: was wäre dieß gegen das, was der heilige Augustinus gethan hat, da er die Tugenden Cato's und aller andern weisen und guten Heiden geradezu für Laster ausgibt? Wer vergreift sich wohl mehr an Cato's Tugend, derjenige, der sie für eine Dulcinee hält, oder die unendliche Menge von Theologen, die den guten Mann zusammt seiner Tugend – in die Hölle geworfen haben? Wenn der Dichter dieß Letztere gethan hätte, hätte er nicht die ehrwürdigsten Autoritäten und eine unendlich überwiegende Mehrheit der Stimmen auf seiner Seite? Aber er hat nie einen solchen Gedanken gehabt. Er ist ein gutherziger Mensch, der gern lebt und leben läßt, aber, wie Plato, es den Poeten ein wenig übel nimmt, wenn sie dem Vater der Natur ungerechte und seiner unwürdige Dinge nachsagen. Er hat Cato's Tugend nicht einmal für eine Chimäre ausgegeben, wiewohl er sie eine Dulcinee genannt hat. Sollte der ungenannt bleibende Jemand nicht aus der Geschichte des Ritters von Mancha gewußt haben, daß Dulcinee keine Chimäre, sondern ein hübsches Bauernmädchen von Toboso war, Alonza Lorenzo genannt, welche dadurch nichts von ihrer Wirklichkeit, Personalität, auch übrigen Eigenschaften und jungfräulichen Ehren verlor, daß der Ritter sie in seiner Einbildung zu einer Prinzessin von Toboso und zur Dame seiner Gedanken erhob? Und hier liegt eigentlich der Vergleichungspunkt, welchen der Ungenannte zu übersehen beliebte. Der Dichter, indem er von Cato sagt – und deine Tugend war nur eine Dulcinee – sagt weiter nichts als dieß: Cato liebte die Tugend, wie Don Quixote die schöne Alonza Lorenzo liebte. Beiden war es vollkommener Ernst damit. Aber in beider Köpfen stand es nicht so ganz richtig. Don Quixote erhob das Bauernmädchen Alonza Lorenzo in seiner Einbildung zu einem Ideal der Schönheit und weiblichen Vollkommenheit; und von diesem Augenblick an war sie für ihn nicht mehr Alonza Lorenzo, sondern die Prinzessin Dulcinea von Toboso. Cato machte sich ein Ideal von der politischen Tugend, welches nicht die Tugend eines weisen Staatsmannes, sondern die Tugend eines politischen Schwärmers war; und eben dadurch hörte sie auf, echte Tugend zu seyn, und wurde für ihn eben das, was Dulcinee für den Ritter von Mancha. Die Tugend konnte nichts dafür, daß Cato sich übertriebene Begriffe von ihr machte: so wie Alonza Lorenzo nichts dafür konnte und sich wenig darum bekümmerte, daß Don Quixote sie zu einer Dulcinee erhob. Diese war darum nicht weniger Alonza Lorenzo, jene nicht weniger Tugend; und der Ungenannte gab sich also eine sehr undankbare Mühe, da er dem Dichter in einer langen gereimten Epistel aus Gründen, die keinem Schulknaben unbekannt sind, bewies, die Tugend sey keine Chimäre. Davon war ja gar die Rede nicht; und der müßte wohl ein übel organisirter, unglücklicher Mensch seyn, der eines solchen Beweises vonnöthen hätte. Ob die Tugend eine Dulcinee sey, kann unter vernünftigen Leuten niemals eine Frage seyn. Aber ob Cato's Tugend eine Dulcinea war, darüber läßt sich wenigstens reden; und wer es behauptete, wäre darum noch lange kein Mensch, gegen welchen man das Kreuz predigen müßte.

Es lassen sich zwar ganz gute Gründe angeben, warum Esprit, Mandeville und Andre, welche ganze Bücher über die Falschheit der menschlichen Tugenden geschrieben, der Tugend eben nicht den wichtigsten Dienst dadurch geleistet haben. Denn Montaigne hat sehr Recht, da er sagt. »Man gebe mir die allerschönste und reinste Handlung, und es müßte mir übel fehlen, wenn ich nicht ganz wahrscheinlich funfzig schlimme oder unlautere Beweggründe dazu finden wollte.« – Aber wer sich darum ein Bedenken machen wollte, die Tugend eines Dion, Cato, Seneca, Julian oder irgend eines andern Sterblichen, den man für ein Muster gibt, zu prüfen, um das Echte von den Schlacken, das Uebertriebene von dem Wahren darin abzusondern, würde dem abergläubischen Andächtler gleichen, der aus Furcht, zu wenig zu glauben, dem Gebrauch seiner Vernunft entsagte und lieber Gefahr laufen wollte, die ungereimtesten Mährchen für Wahrheit anzunehmen, als zu untersuchen, ob der Gegenstand seines Vorurtheils die Hochachtung auch wirklich verdiene, die er auf Hörensagen demselben gewidmet hatte.

Ueberhaupt scheint der Ungenannte sehr übel zu finden, daß man sich die Freiheit genommen, einen so ehrwürdigen Mann, wie Cato, mit einem so großen Narren, wie Don Quixote, zu vergleichen. Vermuthlich gehört er unter die weisen Männerchen, welche ihre Zeit übel anzuwenden glaubten, wenn sie ein Buch, das ihnen nur zum Zeitvertreib gemacht zu seyn scheint, mit Aufmerksamkeit lesen sollten. Gleichwohl sind wenig Bücher in der Welt, welche ernsthafter gelesen und öfter wieder gelesen zu werden verdienten, als Don Quixote; ja, wir erdreisten uns zu behaupten, daß ein Professor, der dazu angestellt würde, öffentliche Vorlesungen über den Don Quixote zu halten, wofern der Angestellte anders der Mann dazu wäre, der studirenden Jugend und dem gemeinen Wesen ungleich nützlicher seyn würde, als ein Professor des Aristotelischen Organons. Hätte der Ungenannte das Buch des weisen Cervantes gelesen, wie man lesen soll, so würde er vermuthlich klug genug daraus geworden seyn, um sich über eine Vergleichung zwischen Cato und Don Quixote nicht zu ärgern. Es ist immer noch eine Frage, ob Cato oder der Held von Mancha mehr dabei zu verlieren hat. Don Quixote war freilich ein Narr – was den Punkt der irrenden Ritterschaft anbetraf; aber, dieser Narrheit ungeachtet, ein so edelmüthiger, frommer und tugendhafter Mann, als irgend eine wahre Geschichte einen aufzuweisen hat. Es würde sehr überflüssig seyn, den Beweis hiervon führen zu wollen. Seine ganze Geschichte, von Anfang bis zu Ende, enthält diesen Beweis. Er hatte sich den erhabensten Begriff von dem Charakter und den Pflichten eines irrenden Ritters aus Allem, was man jemals edel, gut und lobenswürdig genannt hat, zusammengesetzt; und er war, seiner Absicht und den Gesinnungen des Herzens nach, der Mann wirklich, der er zu seyn wünschte. Daß die äußern Gegenstände seinen Vorstellungen nicht immer entsprachen, daß der Ausgang seine edelsten und wohlthätigsten Absichten so oft zu Schanden machte, war seine Schuld nicht. Was konnte er dafür, als er mit so viel Großmuth und Unerschrockenheit dem guten König Pentapolin mit dem aufgeschürzten Arm gegen den mächtigen Kaiser Alifanfaron, Herrn der Insel Taprobana, und gegen den Riesen Brandabarbaran, Herrn der drei Arabien, zu Hülfe kam und eine so große Niederlage unter dem zahlreichen Heere der Ungläubigen verursachte, was konnte er dafür, daß am Ende das, was er für zwei furchtbare Kriegsheere angesehen hatte, zwei Heerden Schafe waren? Und als er den wackern Ritter Don Gaiferos und die schöne Melisandra mit so vielem Eifer gegen die Mauren beschützte, hatte er darum weniger Recht, sich mit dem Bewußtseyn, eine tapfere und wohlthätige That gethan zu haben, über die Bosheit der Zauberer, seiner Feinde, zu beruhigen, weil sich's beim Ausgang zeigte, daß Don Gaiferos, die schöne Melisandra, der König Marsilius und alle seine Mauren – bloße Marionetten waren? Freilich sind wir Andere, welche dieß schon vorher wußten, nicht zu verdenken, wenn wir die Achseln zucken, da er, nachdem er die Ungläubigen in die Flucht gejagt und einen der edelsten Ritter von Karls des Großen Hofe so glücklich befreit zu haben glaubt, mit dem Triumphe der süßesten Selbstzufriedenheit ausruft: »Nun möcht' ich doch gleich alle Diejenigen vor mir haben, welche nicht glauben wollen, wie nützlich der Welt die irrenden Ritter sind! Man sehe mir einmal, was aus Don Gaiferos und der schönen Melisandra ohne mich geworden wäre? Es lebe die irrende Ritterschaft, trotz ihren Neidern und dem Unglauben Derjenigen, welche nicht Muth genug haben, sich einem so gefahrvollen Stande zu widmen!« u. s. w. – Allein demungeachtet ging in der Seele des guten Ritters eben dasselbe vor, was in ihr hätte vorgehen können, wenn der wirkliche Don Gaiferos und die wirkliche Melisandra seines Armes vonnöthen gehabt hatten; und er hatte – da er von Meister Petern, dem Eigenthümer des Marionettenspiels, aus seinem ekstatischen Gemüthszustande zurück gebracht wurde – vollkommen Recht, sich mit dem Gedanken zu trösten: »daß er bei der ganzen Sache keine andere Absicht gehabt, als die Pflichten seines Standes zu erfüllen. Entspricht der Erfolg meiner Absicht nicht, setzt er hinzu, so ist es nicht meine, sondern der verfluchten Zauberer Schuld, die mich aufs Aeußerste verfolgen.«

Alles dieß beweist wenigstens so viel, daß die Vergleichung, welche den Ungenannten so sehr erhitzte, daß er in seinem Unwillen eine ganze Epistel voll platter Verse gegen den armen Dichter aufs Papier schüttete, – dem Herzen und der Tugend des großen Cato keine Schande macht.

»Aber Don Quixote war doch ein Narr (sagt man), ein Narr, der in einen Käficht eingesperrt zu werden verdiente?« – Gut! und nun fragt sich's, ob der große Cato, da er in dem äußerst verdorbenen, gesetzlosen und einer neuen monarchischen Verfassung schlechterdings bedürftigen Rom die Rolle seines Urgroßvaters spielte und durch eine moralisch unmögliche Wiederherstellung jener Sitten, die ehemals das arme Rom groß gemacht hatten, dem verzweifelt bösen Zustande des zu einer ungeheuren Größe aufgeschwollenen Roms abhelfen wollte, – ob er da was Weiseres und Schicklicheres unternommen habe, als Don Quixote, da er unternahm, den in Verfall gerathenen Staub der irrenden Ritterschaft (einen Stand, der in den Zeiten der Kreuzzüge wohlthätig und gewisser Maßen unentbehrlich gewesen war) in den Zeiten Philipps des Dritten wieder herzustellen?

Alles würde wohl bei Beantwortung dieser Frage darauf ankommen, ob und inwiefern die Umstände, unter welchen Cato die Sitten und Grundsätze des hölzernen Roms in dem marmornen Rom wieder herstellen wollte, sich gegen seine Unternehmung eben so verhielten, wie sich zu Don Quixote's Zeiten die Verfassung Spaniens gegen das Unternehmen dieses tapfern und wohlmeinenden Junkers verhielt? – Eine Frage, die durch die Geschichte beider Zeiten beantwortet wird, welche schwerlich irgend einem Unbefangenen den mindesten Zweifel übrig lassen kann, ob Cicero Recht gehabt habe, von seinem Freunde Cato zu sagen: er füge mit dem besten Willen und Herzen der Republik zuweilen Schaden zu, weil er bei manchen wichtigen Gelegenheiten im Senat wie in Platons Republik, nicht wie in Romuli faece (in den Hefen der alten Zeiten Roms) spreche.

Doch genug zur Vertheidigung eines unvollendeten Gedichtes, dem wir, damit es auch in seiner jetzigen Gestalt für ein Ganzes gelten könne, die Ueberschrift, Das Leben ein Traum, gegeben haben; damit der Leser sogleich auf den rechten Gesichtspunkt gestellt werde und nicht mehr davon erwarte, als man von einer poetischen Rhapsodie über einen Satz, der in demselben Sinne, worin ihn unser Dichter nimmt, seit undenklichen Zeiten von einer Menge weiser Männer behauptet worden ist, billiger Weise erwarten kann.


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