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Geron der Adelige.

An den Leser.

Der Inhalt gegenwärtiger Erzählung ist aus einem alten französischen Ritterbuche, genannt Le Roman de Gyron le Courtois, gezogen, aus dessen Stoffe schon der toscanische Dichter Luigi Alamanni, auf Veranlassung Franz des Ersten, Königs von Frankreich, ein Heldengedicht in vier und zwanzig Gesängen verfertiget hat, das aus nicht weniger als drei tausend vier hundert neun und siebzig achtzeiligen Stanzen besteht und unter den romantischen Gedichten der Italiener noch immer seinen Platz behauptet, wiewohl es an poetischen Schönheiten und Interesse dem Orlando des Ariost und selbst dem Amadigi des Bernardo Tasso sehr weit nachsteht. Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß es hauptsächlich die Poesie des Styls und die Harmonie der Verse ist, was das Glück eines Gedichtes macht: so würde dieser Girone il Cortese des Alamanni, dem es an beiden fehlt, den stärksten Beweis davon abgeben können. Unter Tausend, die den Ariost zweimal gelesen haben, ist schwerlich Einer, der die Geduld gehabt hätte, es in dem gereimten Ritterbuche des andern bis auf die Hälfte zu bringen.

Neuerlich ist der alte Roman von Gyron le Courtois, der (nächst Tristan von Leonnois) der vorzüglichste unter allen denen ist, die sich mit den Thaten der Ritter von der Tafelrunde beschäftigen, durch einen Auszug wieder in Umlauf gebracht worden, womit der vor Kurzem der Literatur entrissene Graf von Tressan die Bibliothèque Universelle des Romans im October 1776 bereichert hat; ein Auszug, der um so schätzbarer ist, als der geschmackvolle Verfasser an den interessantesten Stellen den alten Romandichter in seiner eigenen naiven und kräftigen, wiewohl veralteten, Sprache reden läßt.

Die Geschichte zwischen Gyron und der Dame von Maloank, die nach meinem Gefühl das Schönste in diesem und vielleicht in jedem andern Dichterwerke des mittlern Zeitalters ist, machte beim ersten Lesen einen so starken Eindruck auf mich, daß ich dem Gedanken nicht widerstehen konnte, sie auszuheben und meinen Freunden, in einer dem alten Originale so nahe als möglich kommenden Manier, vorzuerzählen. Jede Verschönerung oder Modernisirung des Originals würde in meinen Augen Entweihung gewesen seyn: eine Geschichte, die nur ein Dichter aus den Zeiten Louis le Jeune erfinden konnte, mußte auch in dem Tone dieser Zeiten vorgetragen werden. Zwar ist die von mir gebrauchte Versart nicht diejenige, in welcher beinahe alle Gedichte unsrer alten Meister und Minnesänger geschrieben sind; aber ich wählte sie, weil sie mir besser zu der Würde des Sujets zu stimmen und den Eindruck, den es bei der simpelsten Erzählung machen muß, zu begünstigen geschickter schien, als die vierfüßigen Jamben, die der komischen Erzählung angemessener sind.

Hingegen suchte ich, indem ich mir, nach unsrer Sprache im sechzehnten Jahrhundert, eine Art von deutschem Gaulois bildete, eine Diction heraus zu bringen, welche, ohne unverständlich oder abgeschmackt zu werden, der Täuschung, als ob man den alten Branor selbst reden höre, so wenig als möglich hinderlich wäre. Ob es mir geglückt sey, muß das Gefühl des Lesers entscheiden.

Ich will es lieber errathen lassen, warum ich bei dieser neuen Ausgabe meinem Helden den alten Beinamen, der Adelige, wieder gegeben habe, als Gefahr laufen, durch ausführliche Aufzählung meiner Beweggründe langweilig zu werden. Unleugbar sind courtois und biederherzig keine gleich viel bedeutende Wörter. Will man sich hingegen bei dem Beiworte adelig einen Mann denken, der eben so edel von Sinnesart und Sitten als von Geburt ist: so drückt es den ganzen Sinn des altfranzösischen courtois aus: und wofern adelig in dieser Bedeutung (nach Herrn Adelungs Vermuthung) nur deßwegen zu veralten angefangen hätte, weil die Sache selbst bei unserm heutigen Adel aus der Gewohnheit gekommen; so können wir um so gewisser hoffen, dieses Wort in seiner alten und echten Bedeutung wieder aufleben zu sehen, da in einer Zeit, wie die unsrige, nur vorzüglicher Adel in Gesinnungen, Sitten und Thaten dem von veralteten Vorurtheilen nur schwach beschützten Geburtsadel noch zur Brustwehre dienen kann.

                    Der große Artus hielt, vor seiner Burg
Zu Cramalot Artus vor seiner Burg zu Cramalot – Ueber den fabelhaften britischen König Artus oder Arthur und seine berühmte Tafelrunde. Bemerken wir hier nur, daß die Ritterdichter diesem Artus vier Städte geben, bei denen gewöhnlich die Abenteuer beginnen. Caramalot (Cramalot), wo die runde Tafel selbst war, Carlion, Caradigan (Cardigan) und Carduel. Wer über das Personale der runden Tafel Auskunft verlangt, der sehe in Vulson de la Colombière Théâtre d'honneur et de chévalerie T. I. p. 136 fgg., von dreißig edeln Rittern
Umgeben, unter einem offnen Zelt
Von goldgewirktem Sammet, seinen Hof;
Und zwischen ihm und ihrem Lanzelot
Saß Genievra, seine Königin;
Zwölf Jungfraun, die der Minne süßen Sold
Dem, der's um sie verdiente, wohl zu geben
Vermochten, standen züchtiglich zur Seiten
Der königlichen Frau; und ums Gezelt,
An hohen Eichen, hingen Schild' und Speere
Im Sonnenglanz, und dreißig Knaben hielten
Im Schatten, jeder an der rechten Hand
Ein aufgeschmücktes Roß: – und siehe da,
Ein schwarzer Ritter kam vom Walde her,
Er ganz allein, und ritt dem Zelte zu;
Und wie er schier heran gekommen, stieg er ab,
Ließ vor der Königin aufs rechte Knie
Sich nieder, richtete sich wieder auf
Und, eines Hauptes länger, als die Ritter alle,
Stand er vor König Artus, neigte sich und sprach:
»Herr König, wollet einer Gabe mich gewähren,
Um die ich bitte, wie ein Rittersmann
Von einem Ritter sie begehren mag.«

Der König sah den Fremden wundernd an,
Und Alle, die zugegen waren, sahn ihn an,
Voll Wunders über seine stattliche
Gestalt und seine Red', und warteten
Der Gabe schweigend, die er bitten würde.

Und Artus sprach: Herr Ritter, heischet frei,
Ich sag' es zu.
                      Der Ritter neigte sich
Zum zweiten Mal und sprach: Durchlauchter Herr,
So mög' es Euch und diesen wackern Rittern
An Eurer Seite nicht entgegen seyn,
Zu Ehren aller minniglichen Frauen
Und holden Jungfraun, hier und überall,
Und zu Bewährung, wem in Ritterschaft
Der Preis gebühre, ob den alten oder
Den jungen Rittern, einer nach dem andern
Im Grünen einen Ritt mit mir zu thun.

Der König Artus und die dreißig Ritter,
Die um ihn standen, allesammt Genossen
Der Tafelrunde, waren nicht die Männer,
Die sich um so was zweimal bitten ließen;
Und statt der Antwort liefen alle stracks
Den Bäumen zu, wo ihre Lanzen hingen, und
Die Knappen bei den hohen Rossen standen.

Und Artus und die Ritter alle schwangen
Auf ihre Rosse sich, den Schild am Arm,
Den Speer gefällt, und ritten nach dem Plan,
Wo seinen Stand der fremde Ritter schon
Genommen hatte. König Artus ritt
Der erste. Beide legten ihre Lanzen ein,
Bedeckten mit dem Schilde sich und rennten
Die Rosse spornend auf einander los,
So mächtig, daß die Erde unter ihrem Stampfen
Erbidmete Erbidmete, erzitterte, von dem alten Worte Bidmen, zittern, sich fürchten.; und wie sie nun im Sturm
Zusammen treffen sollten – hielt
Der Fremde seinen Speer hoch in die Luft
Und fing den derben Stoß des Königs auf
Mit seinem festen Schilde, daß die Lanze
Vom Gegenschlag' in tausend Splitter brach,
Und König Artus kaum mit Arbeit sich
Im Bügel fest hielt. Aber unerschüttert saß
Der schwarze Ritter, und, sobald sein Roß
Sich ausgelaufen, schwenkt' er, ritt zum König'
Hinan und sprach gar ehrbar: Edler Herr,
Das wolle Gott nicht, daß ich meinen Speer
Gebrauche gegen Euch! Gebietet mir
Als einem, der zu Eurem Dienst aus Pflicht
Und gutem Willen sich gewidmet hat.

Der hohe Artus sieht ihn staunend an
Und wendet nach dem Zelt'. Und Galherich,
Sein Neffe, König Loths von Orkan zweiter Sohn,
Tritt rasch empor; kampflustig und gewiß
Des leichten Sieges, faßt mit starker Faust
Er seinen Speer, wirft vor die breite Brust den Schild,
Auf dem ein goldner Adler Blitze wirft,
Und sprengt im Sturm' auf seinen Gegner an.

Fest war sein Stoß und kraftvoll; aber mit
Behender Beugung wich ihm jener aus;
Der Speer fuhr unterm linken Arme durch,
Unschädlich, und im gleichen Augenblick
Rührt ihn des Schwarzen Schaft mit solcher Macht,
Daß ihm die Sinne schwinden, und die Kniee brechen –
Er stürzt und deckt, so lang er ist, den Boden.

Des Bruders Fall zu rächen, drängte sich
Herr Galban, Loths von Orkan Erstgeborner, vor.
Man nennte Galbans Namen allezeit,
Wenn von den Unbezwinglichen die Rede war:
Doch dieses Mal vergaß er seiner Dame
Sich zu empfehlen, oder treulos ward
Das Glück an ihm; der schwarze Ritter that
Ihm, wie er Galherich zuvor gethan.

Das gleiche Loos fiel auf die andern Neffen
Des Königs, Egerwin und Galheret,
Und auf Bliomberis und Lionel,
Des Königs Boort von Gannes edle Söhne,
Und auf Herrn Dinadel von Estrangor,
Den Unverzagten, Immerlustigen.
Sie hatten manchen braven Mann wohl eher
Ins Gras gestreckt; itzt kam die Reih' an sie.

Ha! rief Herr Gries, des Königs Seneschall,
Der Höflingsart mit Rittersitten paarte,
Das soll, bei Gott! von Artus Rittern nicht
Gesungen werden noch gesagt im fremden Lande,
Daß einer nach dem andern, Kegeln gleich,
Vom ersten, den der Wind herbei geweht,
Sich so zu Boden habe werfen lassen!
Der fremde Ritter ist doch wohl so sehr
Nicht Teufel, als er schwarz ist! Lass' ihn kommen!

Mit diesen Worten, halb im Schimpf' Schimpf – In der alten Bedeutung für Scherz. und halb
Im Ernst gesprochen, spornte seinen Klepper
Herr Gries, der Seneschall. Er hatte wohlbesonnen
Aus einem großen Haufen Speere, der
Beim Zelte lag, den schwersten ausgewogen.
Allein nichts mocht' ihm seine Vorsicht frommen, nichts
Sein frecher Muth und seiner spitzen Zunge
Behendigkeit: der schwarze Ritter hob
Ihn hoch empor und ließ ihn unsanft fallen.
Ihm half sein Knappe wieder auf die Beine,
Und brummend hinkt' er nach dem Zelte hin.

Die andern folgten nun der Reihe nach;
Muthvolle Kämpfer, die den besten nicht
Zu weichen pflegten, und kein Abenteuer noch,
Wie schlimm es aussah, von der Hand gewiesen.
Ein Spiel war ihnen Lanzenbrechen nur;
Sie hätten Wälder arm an Holz gemacht.
Doch unter ihnen allen keiner hielt
Den strengen Stoß des Unbekannten aus:
Sie räumten alle nach der Reih den Sattel.

So zuzusehn der Tafelrunde Schmach,
Verdroß den edeln Lanzelot vom See,
Den einzigen, der von den dreißig noch
Zu überwinden war. Der eigne Ritter
Der schönen Königin war Lanzelot;
Viel Thaten hatt' er ihr zu Lieb gethan
Und manchen süßen Kuß und manche glühende
Umhalsung in geheim zum Sold empfangen.
Kein anderer Genoß der Tafelrunde
That's ihm zuvor an Mannheit und an Schöne.
In seiner holden Dame Gegenwart
Däucht's ihm ein Leichtes, alle Lanzenbrecher
Und Prahler auf dem weiten Erdenrund'
Herab zu stechen. Gleichwohl wundert ihn
Des schwarzen Ritters. Denn, was itzt geschah,
War, seit die Tafelrunde stand, noch nie geschehn.
»Ist's schwarze Kunst, was diesen Heiden schützt,
(So spricht Herr Lanzelot mit leiser Stimme
Zur Königin) so bitt' ich, schönste Frau,
Verlasset Euren treuen Ritter nicht;
Die ganze Hölle steh dem Schwarzen bei,
Lacht Euer Auge mir, so ist auf meiner Seite
Der ganze Himmel.«
                                  Als er dieß gesagt,
Läßt ihn die Königin in ihren Augen
(Den schönen Mund versiegelte die Zucht
Vor so viel Zeugen) eine Antwort lesen,
Die ihm das Herz im Busen schwellen macht.
Und mit verhängtem Zügel, hoch den Schild,
Die Lanz' an seine Seite fest gedrückt,
Rennt er dahin; und beide Ritter stoßen
So kräftig auf einander, Roß und Mann,
Daß sie die Stange vor der Faust zersprengen,
Und Helm und Schilde laut zusammen schlagen.
Doch wenig halfen itzt die Augen seiner Dame
Dem edeln Lanzelot: ihn überwiegt
Des schwarzen Ritters stürzendes Gewicht;
Er schwankt, verliert den Zügel, taumelt, sinkt
Und liegt, wo seine Spießgesellen lagen.

Der Unbekannte steigt gelassen ab
Von seinem Rosse, streichelt freundlich ihm
Den feuchten Rücken und die heiße Brust,
Nimmt ihm den Sattel ab und das beschäumte
Gebiß und läßt mit einem sanften Schlag'
Es gehn ins Grüne, wo es ihm beliebt:
Kehrt dann, als wär's von einem Lustritt, wohlgemuth
Und unbefangen, seinen ältlichen
Gewohnten Schritt zum goldnen Zelt zurück.

Mit schelen, düstern Blicken weichen ihm
Die Ritter aus; sie sehn einander an,
Als fragten sie sich mit den Augen: kannst
Du's leiden? – Aber König Artus tritt
Aus dem Gezelt' und reicht dem Kommenden
Die Hand mit Anstand, sprechend: Edler Ritter,
Wir haben, däucht mich, theur genug das Recht
Erkauft, des Mannes Angesicht zu sehen und
Zu wissen, wer es ist, der so behend'
An einem Abend dreißig Schildgenossen
Der Tafelrunde aus dem Sattel hob.

Und alsbald, wie der König dieses Wort
Gesprochen, löst der Fremde seinen Helm:
Und siehe! wie er ab ihn nimmt, so kraust
Schneeweißes Haar sich rings um seine Scheitel,
Und offenbar in aller Herrlichkeit
Des ungeschwächten hohen Alters steht
Der Edle da, ein schöner alter Mann,
Wiewohl die graue Zeit der Furchen viel'
Auf seine breite Stirn gegraben, stark
Und ungekrümmt, wiewohl auf seinem Nacken
Die Last von hundert arbeitvollen Jahren lag.
Dem König Artus und den Rittern wird's
Bei seinem Anblick wieder warm ums Herz;
Sie drängen wundernd sich hinzu, sie fassen
Ihn bei der Hand und schaun ihn an und ruhn
Auf seinem Antlitz liebevoll, wie Söhne,
Die unverhofft den Vater wieder sehen.

Mein Nam' ist Branor, sprach der alte Ritter:
Branor der Braun'. Dein Vater, König Artus,
Der edle Ritter Uther Pandragon,
War noch ein Knabe, der sein Steckenpferd
Im Hofe tummelte, da Branor schon
Durch Berg und Thal nach Abenteuern ritt.
Die alten moosbedeckten Eichen dort,
Ich sah sie alle einer Lanze hoch!
Dein Vater, König Artus, war mein guter Herr
Und Freund, wir haben manchen Ritt zusammen
Gethan und manchen Speer in Schimpf und Ernst
Gebrochen. Segen sey mit seinem edeln Sohne!
Und wohl mir Alten, daß ich junge Männer sehe,
Die noch nicht völlig aus der Väter Art geschlagen!

Indem sie also sich besprachen, ging
Die Sonne unter. König Artus und die Königin
Und ihre Jungfraun und die dreißig Ritter,
Der alte Branor in der Mitte, kehrten nach
Der Burg zu Cramalot zurück. Da stand
Ein köstlich Mahl bereitet in der Halle.

Ein reicher Baldachin bezeichnete
Den Sitz des Königs und der Königin;
Und zwischen ihnen ward dem guten Branor
Ein Stuhl von Elfenbein gesetzt; und als
Sie Platz genommen, setzten sich die Uebrigen
In ihrer Ordnung um die Tafel her.
In Schüsseln aus getriebnem Golde ward
Das Mahl von zwanzig Knappen aufgetragen;
Zur Seite glänzte hoch empor gethürmt
Der reiche Schenktisch; zwanzig andre pflegten
Des Diensts dabei, und zwanzig bei der Tafel;
Und Pauken schallten, und Trompeten klangen,
So oft der große funkelnde Pokal
Herum ging. Als sie nun die Essenslust
Gestillt, ward ritterlichen höflichen
Gespräches viel gepflogen bis um Mitternacht.
Und Aller Augen waren auf den Alten
Geheftet, wenn er seinen Mund zum Reden aufthat.
So stille ward es dann, man hätt' im Saal
Das Weben einer Spinne hören mögen.

Und König Artus nahm des Alten Hand und sprach:
Herr Branor, einen Mann von Eurem Schrot' und Korn
Gesehen hab' ich nie vor diesem Tage.
So helf' mir Gott, als ich die Väter mochte
Gesehen ha'n, die solche Söhne zeugten!

Ihm gab der alte Ritter diese Antwort Ihm gab der alte Ritter diese Antwort – Die Antwort erinnert in ihrem Eingang an die Rede Nestors in der Ilias I. 260 fgg.:
Herr König, hundert Jahre schon und drüber
Hab' ich erlebt, hab manchen guten Mann
Auf seiner Amme Schoß gesehen, manchen bessern
Begraben helfen. Noch gebricht es nicht
An wackern Rittern und an schönen Frauen,
Die ihres Dienstes werth sind. Aber Männer wie
Zu meinen Zeiten werd' ich nimmer sehn!
Von solcher Mannheit, solchem festen Sinn,
So über Ehr' und Recht und Wahrheit haltend,
So bieder und dem Freund so treu und hold,
So offnen Angesichts und offnen Herzens,
So ohne Falsch, wie König Meliad und Hektor
Der Braun' und Danayn der Roth' und Geron
Der Adelige! – Nein, bei meinem Gott!
Nie werd' ich solche Männer wieder sehn!

Hier brach dem edeln Greis die Stimm'; er senkte
Sein weißes Haupt und schwieg. Und Alles schwieg,
Und Niemand wagt' es eine gute Weile,
Die heil'ge Stille zu entweihn. Zuletzt
Winkt Genievra heimlich ihrem Ritter zu,
Und Lanzelot verstand den Wink und sprach
Zu Branorn: Alter Herr, wir Alle sind
Zu jung, der Ritter, die Ihr nanntet, einen
Gesehn zu haben: nur in Euch noch leben sie,
Der sie gekannt, dem einz'gen ihres Gleichen,
Der unsre Zeit erreichte. Wolltet Ihr
Von ihren Thaten uns erzählen, was Ihr wißt,
Wir Alle würden Euch die Gabe danken.

Der König Artus und die Königin
Und alle Ritter stimmten laut zur Bitte
Des schönen Lanzelot. Die Jungfraun schwiegen,
Doch bat ihr züchtiglich gesenktes Aug'
Und ihrer Wangen Röthe, die Verrätherin
Des jungferlichen schüchternen Verlangens.

Und Branor sah sie freundlich nickend an
Und sagte: Was ihr bittet, ist Gefälligkeit;
Das Alter ist geschwätzig, wie ihr wißt,
Es liebt zu reden von den guten Zeiten,
Die nicht mehr sind, in denen es, als wie
In einem sel'gen Traum', allein noch lebt.
Ich will von Geron, von dem edelsten
Der Männer, die ich sah, Euch was erzählen.

Wohl siebzig Jahre mögen's seyn und mehr,
Seit ihn und mich ein wunderbarer Zufall
Zusammenbracht'! Ich zog im Land' umher
Auf Abenteuer. Eines Tages überfällt
Ein Sturm mich tief im Holz'. Ich suche Schirm
In einer Felsenhöhl'. Ein enger Gang,
Der in den Berg hinein sich windet, lockt mich an,
Zu sehn, wohin er führe. Immer abwärts,
Immer dunkler, tiefer geht's hinab.
Auf einmal wendet sich der Gang, und nun
Steht offen eine Höhle vor mir da,
Von Menschenhand gehauen und gewölbt,
Gleich einer Todtengruft – und in der Gruft,
Beim schwachen Glimmer einer Lampe vom Gewölb'
Herunter seh' ich, wie zwei heil'ge Leiber,
Einander gegenüber, still und hehr
Zwei alte Ritter sitzen. Jetzt und noch,
Nach siebzig Jahren, da ich euch davon
Erzähle, fährt mir's kalt durchs Rückenmark hinauf.
Es war, als weckete mein Anblick sie
Aus einem sanften Schlummer. Unbefremdet, mild
Und freundlich sahen sie mich an, und wohl
Zu thun schien's ihnen, wieder einen Menschen
Zu sehn. Sie hießen mich mit dumpfer Stimme
Willkommen, sagten mir, sie wären beide,
Nachdem sie auf dem Lebensmeere lang'
Herum getrieben, alt und ruhesehnend
In diese stille Gruft herab gestiegen, da
In ihrem Grab des Todes zu erwarten.
Sie würden in der Welt, wo man sie suchte
Und nirgends fand, schon längst für todt gehalten:
Erdgeister pflegten ihrer, brächten ihnen auch
Zuweilen Kundschaft, was die Lebenden
Auf Erden machten. Brehus war der Name
Des einen, Geron hieß der andre,
Geron, der ältere. Vor Zeiten hatte der
In Gallien geherrscht, drauf seinem ältsten Sohne
Das Reich gelassen, um der Ritterschaft
Sich ganz zu widmen. Bald ergriff den Sohn
Der gleiche Trieb. Er übergab sein Reich
Dem jüngern Bruder, zog auf Abenteuer
Viele Jahre lang, kam endlich auch in diese Gruft,
Sein mühvoll Leben hier mit seinem alten Vater
In strenger Buße zu beschließen. – Hier,
So sprach der Alte, der mir dieß erzählte,
Hier ist sein Grab! Wo meines zweiten seines ist,
Weiß Gott. Ihm raubte Faramund, der Franke, Thron
Und Leben. Noch ein einziger ist übrig
Von meinem Blut' und Stamm, mein Enkel, Geron
Der Adelige. Was von Zeit zu Zeit
Die Geister von ihm melden, ist die Nahrung, glaub' ich,
Die mich nicht sterben läßt. Er ist ein Mann!
Und Gott vergelt's ihm, daß er meinem Blut'
Und Namen Ehre macht! – Hier schwieg der Greis.

In diesem Augenblick' entschloß ich mich,
Den Ritter Geron aufzusuchen, und ich zog
An Uthers Hof. Da hört' ich Rühmens viel
Von Gerons Tugenden; er selbst war nicht
Zugegen. Und ich zog ihm nach,
Fand ihn und wunderte mich seiner Schöne,
Der Stärke seines Arms und seines Muths, doch mehr
Der Treue seines Herzens; und er ward mir hold,
Und ich begleitet' ihn auf mancher Fahrt
Und war der Zeuge seiner letzten Thaten.

Noch Knabe war er, als sein Vater Kron'
Und Leben gegen Faramund verlor.
Ein alter Freund von Geron, seinem Ahnherrn,
Hektor der Braune, rettete den Knaben,
Floh nach Britannien mit ihm und ward
Der Führer seiner Jugend und sein Meister in
Der Ritterschaft; und Geron war ihm wie
Sein eigner Sohn. Und als in einer großen Schlacht
Der Alte schwer verwundet fiel, empfing ihn Geron
In seine Arme, schlug mit Löwenmuth
Zu Boden Jeden, der an seinen Freund
Hand legen wollt', und trug ihn auf dem Rücken
In sein Gezelt; allein das Leben ihm zu fristen
Vermocht' er nicht. Und sterbend reichte Hektor
Sein gutes Schwert ihm hin; »Da, sprach er, nimm!
Ich kenne keinen Andern, der's nach mir
Zu führen werth ist!« – Groß und selten war
Des Schwertes Tugend, reich der goldne Griff,
Und reicher viel die fest gestählte Klinge;
Und auf der Klinge stand in goldner Schrift:

        Vermeß sich Keiner, untugendlich
        Dieß Schwertes anzumuthen sich!
        Treu geht über Alles,
        Untreu schändet Alles;
        Hohn dem Mann, der seinen Schalk Schalk – Edelknecht.
        Verbergen will in Löwenbalg!

Der edle Jüngling nahm das heil'ge Schwert
Mit nassem Aug' aus seines sterbenden
Pflegevaters Hand und hielt sich reicher drum,
Als wär' ein Königreich ihm angefallen.
Wie er's verwaltete, deß will ich euch
Ein Beispiel geben – wenn ihr zuzuhören
Nicht müde seyd. –

Und Lanzelot vom See und seine Dame,
Die schöne Königin, betheuerten
Im Namen aller Gegenwärtigen,
Sie würden ihm den ganzen Rest der Nacht
So zuzuhören nimmer müde werden.
Der Alte, unter seinen grauen Augenwimpern
Hervor, schießt einen scharf gespitzten Blick
Auf Lanzelot und auf die Königin,
Und beider Augen sinken vor dem Blick
Des Edeln. Eine kurze Stille folgt,
Und fort fuhr Branor: In denselben Tagen lebte
Im Brittenland' ein edler Ritter, Danayn
Der Rothe, Herr der Burg zu Maloank.
Geron der Adelige ward sein Spießgesell'
Und Freund; sie schworen sich den Todesbund,
Und ihrer beider Liebe ward im Land' umher
Zum Sprichwort'. Und die Frau zu Maloank,
Des Danayns Vermählte, war das schönste Weib
Im ganzen Brittenland, das schöner Weiber
Vor allen Landen sich berühmen mag;
Sie ohne Liebesregung anzuschauen war
Unmöglich. Geron, wie er sie zum ersten Mal'
Erblickte, dacht' in seinem Herzen: »Ah!
Der thäte wahrlich keinen theuren Kauf,
Der eine Nacht in dieses Weibes Arm
Mit seinem Leben kaufte!« – Und von diesem Nu
Vermied er streng', ins Auge ihr zu sehn,
Sprach selten bei ihr an und nie allein,
Noch anders, als in seines Freundes Gegenwart,
In dessen treues Herz und Biederauge
Kein Argwohn kam. Sie zogen Monden lang
Und länger oft zusammen aus, auf Abenteuer
In fremden Landen oder an die Höfe
Der Fürsten, wo in Ritterspielen Ruhm
Zu holen war: und wenn nach Maloank
Sie wieder kamen, blieb Herr Geron fest
Bei seiner Weise, haltend ob dem Bund,
Den er gemacht mit seinen Augen; so,
Daß, wer ihn sah, geschworen hätt', ihm sey
Die schöne Frau von Maloank nicht mehr,
Noch weniger, als jedes andre Weib.

Zum Unglück war das Herz der schönen Frau
So nicht verwahrt wie seines. Ihr erschien
Beim ersten Anblick Geron als der Mann
Aus allen Männern, dem ein edles Weib
Den Sold der Minne nicht versagen könnte;
Und ungewahrsam läßt sie auf und ab
Die Augen schweifen auf der stattlichen
Gestalt und schaut ihn an und wieder an,
Wie schön er ist, berauscht ihr Aug' und Herz
An ihm, nichts Böses ahnend; nennt es Freundschaft
Und Höflichkeit und täuschet sich mit Namen
So lange, bis sie sich nicht länger täuschen kann,
Und nun zu heiß die Wunde brennt, sie dem
Zu bergen, der allein sie heilen mag.

Des Weibes Liebe hat ein Falkenauge.
Wie sehr sich Geron ihr verbergen will,
Sobald sein Auge mit dem ihrigen
Zusammen trifft, so sieht sie oder glaubt zu sehn,
Es glimm' in seinem trüben Feuer – Liebe.
In dieser Hoffnung laurt sie auf Gelegenheit,
Allein mit ihm zu seyn, und wie es ihr
Gelingt, bekennt sie ihm ihr Liebesweh'.
In schönerer Gestalt versuchte nie
Die Sünde ein Geschöpf von Fleisch und Blut.
Von ihren Lippen floß der ersten Schlange
Beredsamkeit, Verführung athmete
Aus ihrem Busen, lockt' in ihrem Arm.
Nie kämpfte Geron einen schwerern Kampf.
Doch Freundschaft, Treue, Hektor, Danayn
Stehn zwischen ihm und seines Freundes Weib,
Wie Engel Gottes mit dem Flammenschwert.
Das wolle Gott nicht, daß ich fähig sey,
Den Augenblick von Schwäche zu mißbrauchen,
Der meines Freundes Weib in meine Hände gibt!
Rief er und wand aus ihrem Arm sich los.

Verwirrt und sprachlos stand, von ihrer Hoffnung
So arg getäuscht, indem er ihr entfloh,
Die Schuld'ge da und wäre gleich vor Scham
Und Schmerz gestorben, wär' ihr's zweifelhaft
Nur einen Augenblick gewesen, ob der Mann
Sie aus Verachtung also abgewiesen.
Doch ihre Augen hatten ihr zu wohl gedient.
»Er liebt mich, denkt sie: sah ich nicht den Kampf
In seiner Seele? O, gewiß, sein Herz
Hat keine Schuld!« – Und nun erscheint ihr Geron
Der Adelige seiner Treue wegen
Nur herrlicher, gerechter ihre Liebe
Zu solchem Manne! Ja, sie rühmt sogar
Sich ihrer schönen Schwachheit in sich selbst
Und zeigt sie immer unverhohlner ihm
In ihren Augen. Geron wurde dieß ein Wink,
Sich der gefährlichen Versucherin
Nicht länger auszusetzen. Und er zog hinweg
Von Maloank und kam nach Braunenthal
Zu einem Ritter, dessen Burg daselbst
Gelegen war. Da gingen viele Tage
Mit Jagen, Lanzenbrechen, Sang und Tanz
Vorüber. Aber Geron wurde deß
Bald überdrüssig. – »Wäre Danayn
Doch auch da! dacht' er: ohne meinen Freund
Zu leben unter diesem fremden kalten Volke,
Das duld' ich länger nicht!« – Wie viel die Frau
Von Maloank an seinem Ueberdruß
Theil haben könnte, mocht' er so genau
Sich selbst nicht fragen; kurz, er ließ sich waffnen,
Bestieg sein Roß und zog zurück nach Maloank.

Groß war die Freude seiner Wiederkunft
Bei Danayn dem Rothen, seinem Freund,
Der so ihn liebte, daß sich Zwillingsbrüder
Nicht besser lieben könnten. Und wiewohl sie schon
So lange Spießgesellen waren und so selten
Sich trennten, dennoch lebte weder Ritter
Noch Jungfrau in der Burg, die Gerons Namen
Zu nennen wußten, außer Danayn
Und seiner Dame: Alles nannt' ihn bloß
Den guten Ritter; andern Namen wußten
Die Leute in der Burg ihm nicht zu geben.

Begab sich's nun, daß, während Geron sich
Zu Maloank enthielt, ein Schildknapp kam
Und ging zu Danayn, ihm meldend, daß
In sieben Tagen vor der beiden Schwestern Burg
Ein groß Turnier gehalten werden sollte.
So helf mir Gott, spricht Danayn, als ich
Dabei bin, wenn ich anders kommen kann!

Und stracks ging Danayn der Rothe, seinen Freund
Zu suchen; und sie wurden eins, zusammen
Hinauf zu reiten nach der Schwestern Burg,
Doch unbekannt und nur in schlechten Waffen.

Und das Gerücht davon ging in die Burg
Und kam bald vor die Frau von Maloank.

Und wie die Dame das vernahm, gefiel
Ihr's sehr. Denn, weil der Schwestern Burg
Nur eines halben Tages Weg von Maloank
Entfernt lag, hoffte sie, Herr Danayn
Der Rothe würde (wie es Sitte war
In solchem Falle) zum Turnier sie führen.
Denn in denselben Tagen war an Schönheit wohl
Kein Weib in allen Landen gleich der Frau
Von Maloank. – »Und Geron (dachte sie)
Wird mit uns ziehn, und mir die Freude werden,
Zu sehen, wie er unter allen Königen
Und Rittern aus der ganzen Welt der wackerste
Und schönste ist.« – Denn immer hing ihr Herz
An Geron noch, wiewohl er ihre Liebe so
Zurück gewiesen. Geron war und blieb
Der einz'ge Mann in ihren Augen. Ihn
Allein nur kann sie lieben, mag bei Tag und Nacht
An nichts als seine Schönheit und sein adelig
Gemüth und seine Tapferkeit und treuen Sinn
Gedenken; wollte lieber seine Dame seyn,
Als Frau der ganzen Welt; gelobt sich heilig, nie
Ihr Herz von ihm zu wenden. Sollte sie
Mit ihrem Leben ihre Liebe büßen,
Mit tausend Freuden wollte sie es ihm
Zu Liebe thun, sich's noch zur Ehre schätzen.

So war der Frau von Maloank zu Muth,
Als nach der Burg zu gehen sie beschloß.
Denselben Abend noch sprach sie davon
Mit ihrem Manne; und Herr Danayn
Gab ihr gefällig lächelnd zum Bescheid:
Frau, weil Ihr's wollt, so bin ich's wohl zufrieden;
Ich will zur Schwesternburg mit solchem Staat'
Euch führen lassen, wie für eine Frau
Von Eurem Stand und Wesen ziemlich ist;
Will Jungfraun viel Euch zur Gesellschaft geben
Und Ritter, die Euch sicher hin und her
Geleiten sollen: nur ich selber kann es nicht
Für dieß Mal, weil wir beide, ich und Geron, nur
In schlechten Waffen zum Turnier zu kommen
Und unerkannt zu bleiben Willens sind.

Als nun die Zeit heran kam, machten sich
Die beiden Ritter, nur mit einem Knappen,
Der Schild' und Schwerter nachtrug, auf die Fahrt
Und kamen, durch viel Nebenwege, unerkannt
Zur Schwesternburg, indeß die Frau von Maloank,
In großem Staat, von sechsundzwanzig Rittern
Geleitet, den geraden Heerweg zog.

Und nahe bei der Burg begegnete
Den beiden Freunden auf dem Plan Herr Flaunz,
Ein junger Schalk und Prahler, der in Ritterschaft
Kein kleiner Wicht zu seyn sich dünken ließ,
Und der zur Zeit und Unzeit gar zu gern
Hochmuthete und neckte männiglich,
Der ihm in Wurf kam und es leiden mochte.
Wie der die beiden Ritter so daher
Gelassen traben sieht, in schwarzen Waffen, schwarz
Die Schild' und Speer', ihr ganzer Aufzug schlecht
Und scheinlos, sprengt er auf sie zu und fordert sie
Heraus, gleich auf der Stelle einen Speer
Mit ihm zu brechen. Dessen wehrten sie
Gar höflich sich, als solche, die auf morgen
Sich sparen wollten; aber all umsonst:
Je ehrlicher sie sprachen, desto gröber ward
Herr Flaunz, der Schalk; und da sie, ohne sein
Zu achten, ihres Weges zogen, spottet' er
Zu einem Ritter von der Tafelrunde, der
Zur Seite stand, der beiden schwarzen Knechte
Und sprach so laut, daß sie es hören mochten.
Darob entbrannte Danayn in Zorn
Und sprach zu Geron: Bruder, hörst du da
Die Ritter, die vermeinen ungestraft
Uns hochzumuthen? – Was bedünkt dich? – »Mach's, wie ich,
Versetzt Herr Geron, laß sie klaffen! Ihr Geschwätz
Wird uns nicht schlechter und nicht besser machen;
Und höhnen sie uns heute, leicht mag's seyn,
Es reut sie morgen, halten dann sich selbst
Für Gecken drum und wollten gern' ihr Maul
Gehalten haben. Ihrer laufen viel
Herum im Lande, die sich groß damit
Bedünken, strenge Späßlinge zu seyn
Und Alles kurz und lang heraus zu geifern,
Was ihnen in die Zähne schießt. Ich meines Orts
Nehm keine Kundschaft dessen, was sie sagen,
Und wenn sie reden, ist's mir eben so,
Als schwiegen sie.« – Bei Gott, Herr Bruder, du hast Recht,
Erwiedert Danayn: von Stund' an mögen sie,
Was ihnen lüstet, gackeln, bis sie's müde sind;
Sey eine Memme, der sich dessen kümmert!

Herr Irwin, einer von den adeligsten Rittern
Der Tafelrunde, hörte mit Verdrieß die Reden
Des jungen Knechts, der also ohne Fache
Die unbekannten Ritter geckte Ohne Fache geckte – Gecken ist das alte Wort für vexiren, kann aber auch bedeuten: unschicklich, thöricht reden. Ohne Fache scheint mir indiscret ganz eigentlich auszudrücken, denn Fach bezeichnet Unterschied, wie noch in Dach und Fach die besondern Abtheilungen eines Gebäudes.; und
Er straft' ihn deß mit harten Worten. Aber Flaunz,
Zu zeigen, daß er Keinen fürchte, fing
Von neuem an. Deß hatt' er wenig Frucht.
Denn beide Ritter zogen ihrer Straße, seiner
Nicht achtend, dachten: »Morgen wird sich's weisen.«

Und wie das Herz es ihnen vorgesagt,
Erging's am Tage des Turneis. Danayn
Und Geron warfen alle Ritter aus dem Sattel,
Und keiner war, der ihnen wehren mochte,
Den Dank davon zu tragen. – Und es war
Des Fragens viel von Mund zu Munde, wer
Die Ritter wären: aber Niemand kannte sie,
Als nur allein die Frau von Maloank,
Die ihres Herzens Lust an Geron sah
Und seinen Thaten. Denn, wiewohl er nur
In schlechten Waffen auszog, dennoch war
Der andern Keiner ihm an Anstand gleich;
Und sah, ihn, den schwarzen Schild am Halse,
Das blanke Schwert gezückt in seiner Faust,
Im Trupp der Ritter, die in hellen Farben
Und goldgestickten Wappenröcken strotzten,
Bei ihr vorüber ziehn, dann dünkte ihr,
Sie sehe Niemand auf dem Plan als ihn.

Der schönen Fraun und Jungfraun waren viel,
Die zu der Schwestern Burg auf diesen Tag
Gekommen waren, um zu sehen und
Gesehn zu werden. Aber alle standen um
Die Frau von Maloank, wie Wiesenblumen
Um einen vollauf blühnden Rosenbusch.
Und allen Rittern, die so schön sie sahn,
Schlug hoch das Herz; doch höher keinem schlug's,
Als Lak, dem Freund des Königs Meliad,
Der, wie durch einen Zauberspruch gebunden,
Sein Angesicht nicht von ihr wenden konnte.
Der ist gefangen, sprach der König zu sich selbst.
Und zu erforschen, wie ihm wäre, hub er an
Von ihrem Staat' und ihrem fürstlichen
Geschmeid' und von den sechsundzwanzig Rittern,
Die zum Geleit' ihr dienten. Und Herr Lak
Erwiedert' ihm: die sechsundzwanzig Ritter,
Wie mannhaft sie sich dünkten, wären nur
Ein schwacher Schirm für so ein schönes Weib.
»So helf mir Gott, Herr König Meliad,
Wo diese Frau in einem Walde mir
Begegnete und hätte zum Geleit'
Nur diese sechsundzwanzig, als ich mir
Getraute, sie von ihnen zu gewinnen!«

Herr Danayn, den Spielen zuzusehn erpicht,
Vernahm von dieser Rede nichts. Allein
Von ungefähr stand Geron nah genug,
Um Wort für Wort zu hören, was Herr Lak
Zum König sprach. Und ob sein Herz ihm schon
Entbrannte, daß ein Mann von seines Freundes Weibe
So sprechen sollte, dennoch däucht' es ihm,
Der Ritter, dessen Seele solcher That
Sich werthen dürfte, müßte wohl von Noth Von Noth, nothwendig.
Der besten einer seyn. Und Geron trat
Zu ihm und redet' ihn mit höflichen
Geberden an, ihm zu erkennen gebend,
Er habe wohl verstanden, was Herr Lak
Zum Könige gesprochen. Ich bekenne mich
Dazu, versetzte Lak, und, dessen mich
Zu unterstehen, sollte mich nicht hindern, wenn
Ihr selbst der sechsundzwanzig einer wärt.

Wenn dieß ist, sagte Geron, und Ihr traut Euch zu,
Bloß einer Frau zu Lieb mit sechsundzwanzig Rittern
Es aufzunehmen; sollt' Euch wohl, den Dank
Des Turneis zu gewinnen, über uns
Ein Leichtes seyn?
                              Das ist ein Wort, sprach Lak,
Ich bin dabei. Und König Meliad
Und Danayn, der auch dazu kam, nahmen Theil
An ihrer Wette, und sie wurden eins,
Dreimal zu rennen, Geron gegen Lak,
Und König Meliad an Danayn.
Zum ersten Male rennten Danayn
Und Geron jeder seinen Gegner nieder;
Beim zweiten Rennen drehte sich das Glück,
Die beiden Freunde wurden aus dem Sattel
Gehoben; doch im dritten trugen sie
Mit hohem Lob des Turneis Dank davon.

Und als die Nacht herein brach, kam in Hast
Zu Danayn ein Schildknapp, meldend: daß
Die Mörder seines Neffen, die er überall
Aufsuchen ließ, sich wenig Stunden weit
Von dannen sehen lassen. Alsbald machte sich
Der Ritter auf, sie zu verfolgen. Und er sprach
Zu Geron: Bruder, ein Geschäft ruft mich,
Das keinen Aufschub leidet; ziehe du
Nach Maloank und harre mein daselbst.
Das ließ er auch der Frau von Maloank
Entbieten; und so kehrte sie mit ihrem Zug
Des Morgens drauf nach ihrer Burg zurück.

Herr Geron hatte nicht des Worts vergessen,
Das Lak gesprochen; und sobald die Frau
Von Maloank die Burg der Schwestern wieder
Verlassen, folgt' er ihr von ferne nach.
Allein Herr Lak, der schönen Beute nicht
Zu fehlen, hatte früh sich aufgemacht
Und tief in einem holzbewachsnen Thale,
Wodurch sie ziehen mußte, sich in Hinterhalt
Gelegt; und als der Zug heran kam, fiel
Er, wie ein Blitz aus hellem Himmel, über
Die sechsundzwanzig, trieb sie in die Flucht
Und nahm die Frau und ritt mit ihr davon.

Herr Geron hatte durch ein Abenteuer
Von ungefähr den Weg verloren, den
Die Dame zog. Und wie er, ihre Spur
Zu suchen, wieder seitwärts lenkte, ließ
Sein gutes Glück ihn auf den Räuber stoßen,
Der wohlgemuth mit seiner schönen Beute
Einher getrabet kam. Das Kleinod war
Wohl eines Kampfs um Tod und Leben werth.
Und ängstlich ringend ihre schönen Arme, that
Die Frau zu allen Heiligen im Himmelreich
Gelübde, mehr für ihren Freund als sich.
Doch bald entriß der Tapfre sie der Furcht
Des Ausgangs; denn mit Löwengrimm
Umschlang er seinen rauhen Gegner, warf
Zu Boden ihn und zwang ihn, von der Milde
Der Frau von Maloank sein Leben anzunehmen.

Wie groß die Freude war der schönen Frau,
Als sie befreit sich sah, und durch die Hand
Des Mannes, den sie über Alles liebt!
Geringer kaum des Ritters, seine Dame
Ersiegt zu haben und bestraft den Trotz
Des frechen Nebenbuhlers! – Beide sehn sich an,
Und beide bleiben sprachlos; ihre ganze Seele ist
In ihren Augen. Alles um sie her
Ist Wald und still und einsam; sie und er
Die Einz'gen in der Welt. Welch Augenblick,
Des Freundes zu vergessen! – Aber Geron kam
Bald wieder zu sich selber, trat zurück und sprach
Zur Frauen: Dame, ledig seyd Ihr nun
Des Ritters, möget nun nach Maloank
In Frieden ziehn nach Eurem eignen Willen.

Ihm gibt die Frau zur Antwort: Edler Herr,
Daß ich befreit bin, deß sey Gott gedankt
Und Eurem Arme! Denn gehöhnt auf ewig
Und aller Ehren bar Aller Ehren bar, ohne alle Ehre; bar, nackt, bloß. wär' ich geblieben,
Hätt' Euer Muth die Schmach mir nicht vergaumt Vergaumt – In Freude verwandelt. Gauman ist Freude, Vergnügen, im Alemannischen Gaumon. Man leitet es von dem Griechischen γανυμαι ab, sich freuen, wovon im Gothischen sich viele stammverwandte Worte finden..
Allein was nun beginnen? Meine Reisigen
Und Knappen sind entflohn, desselben gleichen
Auch meine Jungfraun alle haben mich
Allein gelassen. Spricht zu ihr der Ritter: Frau,
Seyd unbekümmert; Eure Leute können nicht
So ferne seyn; sie werden wieder sich
Zu Euch versammeln. Reiten wir indeß
In diesem Pfade fort, der ohne Fehl
Uns wieder in den Heerweg bringen wird.
Und mit dem Worte ritten sie von dannen.

Als nun die schöne Frau von Maloank,
Sich ihres Schreckens quitt und mit dem Manne,
Der über Alles lieb ihr war, so ganz allein
Sich sah und dachte bei sich selbst, wie im Turnier
Er Allen es zuvorgethan, und wie
So adelig und schön und hold er war
In allen Dingen, über alle Männer, die
Ihr jemals vorgekommen: da bewegte sich
Ihr Herz so stark in ihr, sie wußte nicht,
Wie ihr geschah, und was sie sagen, oder wie
Sie schweigen sollte. – Noth ist ihr zu reden:
Allein die Furcht, noch einmal abgewiesen
Zu werden, schreckt sie. Liebe setzt ihr zu,
Ihm frei zu offenbaren, was ihr Herz
Gelüstet: aber Scham hält ihren Mund,
Sobald sie reden will. Auf einer Seite
Spricht Liebe: »Dame, redet ohne Scheu,
Er weiset Euch gewiß nicht wieder ab.
Ihr seyd so wohlgethan von Leib und Angesicht,
Der wäre nicht des Ritternamens werth,
Der eine Frau wie Ihr zum dritten Mal
Abweisen könnte; waget's nur getrost!«
Doch Scham spricht auf der andern: »Dame, hütet Euch
Zu reden! Geron liebet Danayn
So stät und treu, er würd' um Alles in der Welt
An ihm nicht fehlen. Rechnet sicher drauf,
Ihr werdet abgewiesen.« – So verstummte denn
Die Dame zwischen beiden, und sie ritten
Noch eine gute Weile schweigend fort.

Indessen hatt' auf seiner Seite Geron
In seinem Herzen keinen leichtern Kampf
Zu kämpfen. Denn, so oft er auf die Frau
Die Augen warf, war ihm so weh nach ihr
Und dachte: sollt' er nur ein einzigs volles Mal
Sein Herz an ihres drücken, seine Seele gäb'
Er drum! – Zu kämpfen länger däucht ihn weder möglich
Noch ehrlich gegen ein so schönes Weib,
Das ihm so hold ist. Alles schicket sich
Zu ihrer beider Wünschen. Zeit und Ort,
So still, so einsam, werden nimmermehr
So wieder kommen! – »Aber, deines Freundes Weib,
Des Waffenbruders, der dich höher liebt,
Als seiner Augen eines! Das verhüte Gott,
Daß so ein wackrer Ritter durch den Mann
Geschändet werde, gegen dessen Treu' er sich
Den kleinsten Zweifel nie verzeihen würde!
Wie wolltest du in deinem Leben wieder
Ihm in die Augen schauen? welchem Andern, der
Auf Ehre hält? und wie dich selbst ertragen
Nach solcher That? –«
                                    In diesen wechselnden
Gedanken ritt er schweigend hinter ihr;
Doch konnt' er sich nicht wehren, dann und wann
Sie anzusehen, und je öfter er
Sie ansah, desto schöner däucht sie ihm.
Zwei oder drei Mal war ihm's auf der Zunge,
Es ihr zu sagen, wenn die Scham ihm nicht
Den Mund verschlossen hätte.
                                                Endlich hob die Frau
(Der Noth war, ihrem Herzen Luft zu schaffen)
Von selber an und sprach zu Geron: Lieber Herr,
So gebe Gott Euch gute Abenteuer!
Sagt mir, was ist in aller Welt das Ding,
Das einen Ritter, Kühnheit zu beweisen
Und hohen Muth, am stärksten treiben kann?

Erwiedert Geron: »Dame, zweifelt nicht,
Es ist die Minne. Rechte Minne hat
So hohe wundersame Kraft, sie könnte wohl
Aus einem feigen Menschen einen waglichen,
Beherzten Ritter machen.«
                                          Gott behüte!
Versetzt die Dame: wenn dem also ist,
Welch ein gewaltig Wesen müßte dann von Noth
Die Minne seyn!
                          Erwiedert ihr Herr Geron:
»Ja, wahrlich, dem ist also, wie Ihr sagt!
Und wisset, Dame, nie und nimmermehr
In meinem Leben wär' ich das gewesen,
Was diesen Tag Herr Lak erfahren, hätte mich
Die Minne nicht gestärkt, noch hätte Lak,
Obschon der besten Ritter einer, je
Die sechsundzwanzig Reisigen von Maloank
Zur Flucht gebracht, wie er gethan, wo nicht
Die Minne ihm die Kraft zu solcher That
Gegeben hätte.«
                          Wie? (versetzt die Frau)
Aus Euren Reden scheint's, Ihr selber liebt
Mit rechter Minne?
                                »Dame, ganz gewiß
Sagt Ihr die Wahrheit, war des Ritters Antwort:
Auch acht' ich dessen mich für hoch beglückt,
Weil ich mich kühnlich rühmen mag, daß an
Die schönste Frau, die in der Welt ist, ich
Mein Herz gesetzt; und drum allein vermag
Ich Dinge, die ich andrer Weise nie
Bestehen könnte. Denn das glaubt mir, Dame,
Wär's nicht in dieser übergroßen Minnekraft,
Ich hätt' in diesem Turnei nicht gethan,
Was Ihr gesehen habt; und hab' ich Lob
Damit verdient, so bin ich's lediglich
Der Lieb' und meiner Dame schuldig; ihnen ganz
Allein gebührt der Dank.«
                                          Die edle Frau
Von Maloank, indem sie ihren Ritter
So reden hört, erfreut sich ohne Maß.
Denn wohl sagt ihr das Herz: wenn Geron liebt,
So liebt er dich und keine Andre in der Welt.
Und wie er aufgehört zu reden, nahm sie wieder
Das Wort und sprach: Mein Herr, so gebe Gott
Euch gute Abenteuer! sagt mir ohne Scherz,
Wer ist die Dame, die so lieb Euch ist
Und über alle andre Frauen in der Welt
Euch schön zu seyn bedünkt?
                                              »So helf mir Gott,
Versetzt er, als die schönste aller Frauen in
Der ganzen Welt kein' andre ist als Ihr,
Und wohl versichert müßt Ihr dessen selbst
In Eurem Herzen seyn. Ja, liebe Frau,
Ihr seyd es, die ich minne, so wie baß
Kein Ritter seine Dame minnen mag.«

Herr (spricht zu ihm die Frau), was soll ich denken
Von Euren Reden? Sicher ist's nicht Euer Ernst;
Ich seh', Ihr harret meiner Antwort nur,
Um meiner dann zu spotten. Denn es ist
So lange nicht, und ich erinnre mich's
Sehr wohl, wie ich das Alles, was Ihr mir
Da sagtet, Euch gesagt, und wie Ihr härtiglich
Mich abgewiesen. Jetzo wollt Ihr mich bereden,
Ihr liebtet mich so mächtig. Guter Herr,
Was wollt Ihr, daß ich glaube?
                                                »Liebste Frau,
(Erwiedert Geron) pflegt, um Gottes willen,
Nicht solcher Reden mehr. Daß damals ich bethört
Und blind war, laßt mich dessen jetzund nicht
Entgelten! Nehmet mich zu Eurem Ritter an
Und seyd versichert, Herzenskönigin,
Daß keine Minne in der Welt aufrichtiger
Als meine ist.«
                        Die Frau von Maloank
Hat solche Freude, ihren Ritter also reden
Zu hören, daß ihr ist, sie hör' ihn immer noch,
Auch da er wieder schweigt. Sie zweifelt nun
Nicht mehr an seiner Liebe, weidet sich
Daran so innig, daß ihr ist, sie athme, schwimme
In lauter Liebe; ist so voll von ihm
Und ihrem Glück' und kann doch nichts
Zu Worten bringen, horchet nur und schweigt,
Als ob sie fürchte, sie verliere was davon
Durch Reden.
                      Wie sie eine Weile nun
So fortgeritten, zeigte sich ein kleiner Pfad,
Der mitten durch den Wald geraden Wegs
Zu einem Brunnen führte. Geron lenkt dahin
Und spricht zu seiner Lieben: »Dame, Müdigkeit
Vom Turnei und der Arbeit dieses Morgens
Befällt mich; hieltet Ihr's genehm, so möcht' ich wohl
Ein wenig Ruhens pflegen an dem Brunnen dort,
Der vor uns liegt.«
                              Mein Herr, (versetzt die Frau
Erröthend) thut nach Eurem Willen. Und er nahm
Den Weg zum Brunnen, und die Dame ritt
Ihm schweigend nach. Und als sie nun dahin
Gekommen waren, stieg Herr Geron ab
Und band sein Roß an einen Baum, ging dann
Der Frau Maloank herab zu helfen.

Ein frischer Rasen, lustig überschattet
Von Bäumen, war daselbst, umschlossen rund
Mit Büschen, still und lieb und heimlich, als sie sich
Zum Ruhen einen Platz nur wünschen mochten.
Hier setzt er seine Dame, wie er sie
Vom Pferd' herab in seinen Arm empfangen,
Im Schatten hin; beginnt dann Stück vor Stück
Sich zu entwaffnen, nimmt die Haube ab
Und schnallt den Harnisch von den Schultern und
Den schwarzen Schild und legt es Alles auf
Den Brunnen hin; und oben drauf sein gutes Schwert,
Das einst der unbescholtne Ritter Hektor Braun
Geführt und sterbend ihm zum Erbe ließ,
Und das, um seines ersten Herren willen, ihm
So lieb war, daß er nicht das beste Schloß
Des Königs Uther drum genommen hätte.
Allein in diesem Augenblick der Trunkenheit,
Jetzt dacht' er wenig an sein Schwert und an
Die Ritterspflicht, wozu es den verband,
Der nach dem wackern Hektor es zu führen sich
Vermaß. Verlassen hatten ihn zum ersten Mal
In seinem Leben Ehr' und Biedertreu',
Und heißer Hunger nach der süßen Frucht
Der Minne jedes edlere Gefühl in seiner Brust
Verdrungen. Geron ist nicht Geron mehr,
Hat seines Danayns vergessen, seiner selbst
Vergessen, eilt mit rascher Ungeduld
Sich vollends zu entwaffnen; während daß
Die schöne Frau, in süßer Scham, die Augen
Gesenkt auf ihren Schoß, verstummt und kaum
Zu athmen sich getraut.
                                      Und siehe da,
Als Geron eben ihr sich nähern wollte,
Begab sich's, daß vom Rand des Brunnens, wo
Er seine Waffen auf einander hingelegt,
Sein gutes Schwert hinab ins Wasser fiel,
Und wie er's platschern hört, verlaßt er stracks
Die schöne Frau und läuft, sein liebes Schwert
Zu retten, zieht's heraus und trocknet's ab,
Wischt's fleißig wieder blank; und als er's um
Und um betrachtet, ob es unbeschädigt ist,
Fällt ihm die goldne Aufschrift ins Gesicht,
Die Hektor in die Klinge graben lassen.
Er bebt und liest und liest es wieder und
Zum dritten Mal', als ob er nie zuvor die Worte
Gesehen; und auf ein Mal ist's, es fall'
Ein Zauber von ihm ab. Er steht, das gute Schwert
In seiner Hand, und sinkt tief in sich selbst.

»Wo bin ich? – Gott im Himmel! welche That
Zu thun kam ich hierher?« Die Knie erschlaffen ihm
Von dem Gedanken. Und, sein Schwert noch in der Hand
Setzt auf den Brunnen er sich hin, der Frau
Den Rücken kehrend, kummervoll, und sinkt
Aus einem traurigen Gedanken in den andern.
Und wie die Dame, die noch kaum zuvor
Ihn froh und wacker sah, so plötzlich ihn
In solche wunderbare Schwermuth fallen sieht,
Erschrickt sie deß und weiß nicht, was davon
Sie denken soll. Und um zu sehen, was ihm ist,
Geht sie mit leisen Schritten furchtsam hin
Und spricht zu ihm: Mein Herr, was sinnet Ihr?

Und Geron, ohne ihr zu achten, blickt
Mit starren Augen auf sein Schwert und gibt
Ihr keine Antwort. Lange harret deren
Die holde Frau, und da er keine gibt,
Tritt sie noch näher hin und wiederholt
Mit sanfter Stimme: Lieber Herr, was sinnet Ihr?

Und tief erseufzend: Was ich sinne? spricht
Der Ritter: so erbarme Gott im Himmel
Sich meiner Seele, Frau, als ich nach dem,
Was ich an meinem Bruder Danayn
Begangen, länger nicht zu leben würdig bin!

Und als er dieß gesagt,
Begann sein Schwert er wieder anzuschaun
Und sprach mit tiefem Schmerz: Du gutes Schwert,
In wessen Hand bist du gefallen! Wie so gar
Ein andrer Mann war der, der ehmals dich
Geführt! Verrath noch Untreu kam sein Leben lang
Nicht in sein Herz – Vergib mir! – Führen darf
Ich dich nicht länger, aber rächen will ich dich
Und ihn – der Bessers von mir hoffte, da er dich
Mir anvertraute! –
– – – Mit dem Worte zückt'
Er seinen Arm, und eh die Frau, vor Schrecken starr,
Es hindern mochte, stieß er mit dem Schwert
Sich durch und durch, zog's mit Gewalt dann wieder
Heraus und hätte sich noch einen Stoß
Gegeben, wäre nicht die Frau von Maloank
Mit aller Stärke der Verzweiflung und der Liebe
Ihm in den Arm gefallen. Guter Ritter,
Um Gottes willen, schonet Euer selbst,
(Rief sie ihm weinend zu) ermordet nicht
So grausamlich Euch selbst und mich in Euch –
Um nichts! –
                      O, rief er, Dame, laßt
Mir meinen Willen. Ich verdiene nicht
Zu leben, und so will ich sterben, lieber als
In Schande leben! – Aber lauter weinend hielt
Die Frau mit aller ihrer Stärke ihm den Arm.

In diesem Augenblick kam Danayn
Zurück von seiner Fahrt. Gefunden und bestraft
Hatt' er die Mörder seines Neffen; beide waren sie
Gefallen unter seinem Schwert. Nun eilet er
Zurück nach Maloank zu seinem Freund;
Und wie, nicht fern vom Brunnen, er im Wald
Daher zieht, trifft ein Klageton sein Ohr
Vom Brunnen her; und alsbald lenket er
Dahin, und siehe! Geron liegt in seinem Blut,
Und blutig überall, in stummer Angst,
Die Frau von Maloank bei ihm, allein,
Die Hände ringend. – Danayn, anstatt
Zu fragen, springt vom Ross' und eilt dem Freund
Zu Hülfe. Aber Geron weigert sich,
Sie anzunehmen, will nicht leben, klagt
Sich selber an vor seinem Freund, verbirgt
Ihm nichts als seines Weibes Schwachheit, nimmt
Auf sich allein die ganze Schuld. Und wie
Er Alles ihm bekannt hat, reicht er ihm
Die Hand und spricht: Vergib mir, Bruder, wenn
Du kannst, und laß mich sterben: aber hasse nicht
Mein Angedenken – denn die Reue kam
Der That zuvor. In meinem Herzen war
Die Untreu nur: so laß mein Herzensblut
Sie löschen!
                    Aber Danayn, der Edle, fühlt'
In diesem Augenblick die Herrlichkeit
Der Tugend seines Freundes mehr, als er
Sie je zuvor gefühlt; so offenbar
Liegt Gerons Herz und Wesen, wie sein eignes,
Vor seinen Augen da. Er fleht
Ihn dringendlich, sich selber zu verzeihn,
Beschwört bei ihrer heil'gen Freundschaft ihn,
Zu leben, schwört ihm, daß er mehr als je
Ihn ehr' und liebe!
                              Ueberwältiget
Von solcher Liebe, willigt Geron endlich ein,
Für seinen Freund zu leben, überläßt
Sich seiner Pfleg' und wird auf einer Bahre nach
Dem nächsten Schloß getragen, wo
Ein guter alter Ritter sich enthielt Sich enthielt, sich enthalten, anstatt sich aufhalten, findet sich noch bei Logau XII. 102.,
Ein Freund von Danayn. Der lebte da
Mit einer Tochter, die an Schönheit kaum
Der Frau von Maloank den Vorzug ließ
Und viel verborgner Mittel kundig war,
Die schwersten Wunden bald und wohl zu heilen.
Die edle Jungfrau liebte heimlich Geron
Den Adeligen, und durch ihre Kunst
Und Pflege ward er heil in wenig Wochen
Von seiner Wunde. Aber tödtlich war
Die Wunde, die das Abenteuer am Brunnen
Der Frau zu Maloank geschlagen. Solchen Wechsel,
So plötzlich, so gewaltsam, zu ertragen, war
Ihr weiches Herz zu schwach. In schwerer Angst
Lag sie die ganze Nacht als wie in Feuer;
Und gleich am andern Morgen brach die Wuth
Des Fiebers aus und wuchs mit solcher Macht,
Daß keine Rettung war. Sie starb am dritten Tage,
Und Gerons Name war ihr letzter Laut.

―――
Hier schwieg der alte Ritter. Und mit ernstem Blick
Sah er die Frauen und die Ritter alle,
Die um die Tafel saßen, schweigend an;
Und allen Jungfraun schlichen stille Thränen
Die glühnde Wang' herab, und alle Ritter schlugen
Die Augen nieder. Und Frau Genievra,
Die Königin, die, während er erzählte,
Bald todtblaß worden war, bald feuerroth,
Rief, ihre Unruh zu verbergen, seufzend aus:
»'s ist eine traurige Geschichte!« – Und wie ging's
Nun Eurem Geron weiter? – fragte Lanzelot.
Nach der Geschichte, spricht der alte Branor, hab'
Ich nichts mehr zu erzählen. –
                                                Und der König Artus
Stand von der Tafel auf, und Alle standen auf,
Und Artus sprach zu Branorn: Ritter, ein Gemach
Ist Euch bereitet in der Burg für diese Nacht
Und alle Tage, die Ihr bei uns bleiben wollt.

Herr König, gab der alte Mann zur Antwort,
So gebe Gott Euch Ruhm und guten Muth,
Als ich gelobet hab', an keinem Hof'
In meinem Leben über Nacht zu bleiben.

Die Ritter sahn einander schweigend an;
Und Branor neigte vor dem König sich
Und vor der Königin, nahm seine Waffen,
Bestieg sein Roß und ritt bei Sternenlicht
Zurück in seinen Wald.


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