Christoph Martin Wieland
Geschichte der Abderiten
Christoph Martin Wieland

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8. Kapitel

Wie sich Euripides mit den Abderiten benimmt. Sie machen einen Anschlag auf ihn, wobei sich ihre politische Betriebsamkeit in einem starken Lichte zeigt, und der ihnen um so gewisser gelingen muß, weil alle Schwierigkeiten, die sie dabei sehen, bloß eingebildet sind.

Es ist oben schon bemerkt worden, daß Euripides schon lange, wiewohl unbekannter Weise, bei den Abderiten in großem Ansehen stand. Jetzt, so bald es erschollen war, daß er in Person zugegen sei, war die ganze Stadt in Bewegung. Man sprach von nichts als von Euripides. – «Haben Sie den Euripides schon gesehen? – Wie sieht er aus? – Hat er eine große Nase? Wie trägt er den Kopf? Was hat er für Augen? Er spricht wohl in lauter Versen? Ist er stolz?» – und hundert solche Fragen machte man einander schneller als es möglich war auf Eine zu antworten. Die Neugier, den Euripides zu sehen, zog noch außer denen, die der Archon hatte bitten lassen, verschiedene herbei die nicht geladen waren. Alles drängte sich um den guten klatzköpfigen Dichter her, um zu beaugenscheinigen ob er auch so aussehe, wie sie sich vorgestellt hatten daß er aussehen müsse. Verschiedne, insonderheit unter den Damen, schienen sich zu wundern, daß er am Ende doch gerade so aussah wie ein andrer Mensch. Andre bemerkten, daß er viel Feuer in den Augen habe; und die schöne Thryallis raunte ihrer Nachbarin ins Ohr, man seh es ihm stark an daß er ein ausgemachter WeiberfeindEs ist bekannt, daß dieses häßliche Laster dem Euripides, wiewohl unverdienter Weise, Schuld gegeben wurde. sei. Sie machte diese Bemerkung mit einem Ausdruck von antizipiertem Vergnügen über den Triumph, den sie sich davon versprach, wenn ein so erklärter Feind ihres Geschlechts die Macht ihrer Reizungen würde bekennen müssen. – Die Dummheit hat ihr Sublimes so gut als der Verstand, und wer bis zum Absurden gehen kann, hat das Erhabne in dieser Art erreicht, welches für gescheide Leute immer eine Quelle von Vergnügen ist. Die Abderiten hatten das Glück im Besitz dieser Vollkommenheit zu sein. Ihre Ungereimtheit machte einen Fremden anfangs zuweilen ungeduldig; aber so bald man sah, daß sie so ganz aus Einem Stücke war, und (eben darum) so viel Zuversicht und Gutmütigkeit in sich hatte: so versöhnte man sich gleich wieder mit ihnen, und belustigte sich oft besser an ihrer Albernheit als an andrer Leute Witz.

Euripides war in seinem Leben nie bei so guter Laune gewesen, als bei diesem Abderitenschmause. Er antwortete mit der größten Gefälligkeit auf alle ihre Fragen, lachte über alle ihre platten Einfälle, ließ jeden so hoch gelten als er sich selbst würdigte, und erklärte sich sogar über ihr Theater und Musikwesen so billig, daß jedermann vollkommen mit ihm zufrieden war. – «Ein feiner Gast!» raunte der politische Ratsherr der Dame Salabanda, die über ihm saß, ins Ohr; «der tritt leise auf!» – «Und so höflich, so bescheiden, als ob er kein großer Kopf wäre!» erwiderte Salabanda. – «Der drolligste Mann von der Welt, beim Jupiter!» sagte der kurze dicke Ratsherr, beim Aufstehen von Tische; «ein recht kurzweiliger Mann! Hätts ihm nicht zugetraut, mein Seel!» – Die Damen, die er schön gefunden hatte, waren dafür so höflich, und taten, als ob sie ihn um zwanzig Jahre jünger fänden als er war: kurz, man war ganz von ihm bezaubert, und bedauerte nur, daß man die Ehre und das Vergnügen, ihn in Abdera zu sehen, nicht länger haben sollte. Denn Euripides blieb dabei, daß er sich nicht aufhalten könne.

Endlich nahm Frau Salabanda den politischen Ratsherrn und den jungen Onobulus auf die Seite. «Was meinen Sie», sagte sie, «wenn wir ihn dahin bringen könnten, daß er uns seine Andromeda gäbe? Er hat seine eigne Truppe bei sich. Es sollen ganz außerordentliche Virtuosen sein.» – Onobulus fand den Einfall göttlich. – «Ich hatte ihn eben selbst gehabt», sagte der politische Ratsherr, «und war im Begriff es Ihnen vorzutragen. Aber es wird Schwierigkeiten absetzen. Der Nomophylax –» – «O, dafür lassen Sie mich sorgen», fiel Salabanda ein; «ich will ihm schon warm machen!»

«Das glaub ich gerne, Madam, daß Sie das können», versetzte der Ratsherr mit einem schlauen Blick; «allein wir müssen vor allen Dingen den Archon sondieren.»

«Für meinen Oheim steh ich», sagte Onobulus; «und noch in dieser Nacht will ich unter unsern jungen Leuten eine Partei zusammen trommeln, die Lärms genug in der Stadt machen soll.»

«Nur nicht zu hitzig», munkelte der politische Ratsherr mit dem Kopfe wackelnd; «wir wollen uns nichts merken lassen! Erst das Terrain sondiert, und fein leise aufgetreten! Das ist was ich immer sage.»

«Aber, wir haben keine Zeit zu verlieren, Herr FroschpflegerDer Ratsherr war einer von den Fürsorgern des geheiligten Froschgrabens, welches in Abdera eine sehr ansehnliche Stelle war. Man nannte sie die Batrachotrophen, welches zu Deutsch sehr füglich durch Froschpfleger gegeben werden kann. ! Euripides geht fort –»

«Wir wollen ihn schon aufhalten», erwiderte Salabanda; «er soll morgen bei mir sein! – Eine Gartenpartie, und alle unsre hübschen Leute dazu eingeladen – Lassen Sie nur mich machen; es soll gewiß gehen.»

Frau Salabanda galt in Abdera für eine gar weise Frau. Sie war stark in Politicis und hatte großen Einfluß auf den Archon Onolaus. Der Oberpriester war ihr Oheim, und fünf oder sechs Ratsherren, die sie in ihrer Freundschaft zählte, gaben selten eine andre Meinung im Rate von sich, als die sie ihnen des Abends zuvor eingetrichtert hatte. Überdies standen ihr die Liebhaber der schönen Thryallis, mit der sie im engsten Vertrauen lebte, gänzlich zu Gebote; nichts von ihren eignen zu sagen, deren sie immer einige hatte die auf Hoffnung dienten, und also so geschmeidig waren wie Handschuhe. Ihr Haus, das unter die besten in der Stadt gehörte, war der Ort, wo alle Geschäfte vorbereitet, alle Händel geschlichtet, und alle Wahlen ins Reine gebracht wurden: mit Einem Worte, Frau Salabanda machte in Abdera was sie wollte.

Euripides, ohne die mindeste Absicht, Gebrauch von der Wichtigkeit dieser Frau zu machen, hatte sich diesen Abend so gut bei ihr insinuiert, als ob er zum wenigsten eine Froschpflegerstelle auf dem Korn gehabt hätte. Brachte sie ein politisches Weidsprüchlein als einen Gedanken vor, so fand er, daß es eine sehr scharfsinnige Bemerkung sei; zitierte sie den Simonides oder Homer, so bewunderte er ihr Talent Verse zu deklamieren. Sie hatte ihn mit einigen Stellen seiner Werke aufgezogen, die ihn zu Athen in den bösen Ruf eines Weiberfeindes gesetzt; und er hatte, indem er sich gegen sie und die schöne Thryallis verbeugte, versichert, daß es sein Unglück sei nicht eher nach Abdera gekommen zu sein. Kurz, er hatte sich so aufgeführt, daß Frau Salabanda bereit war einen Aufstand zu erregen, falls ihr mit dem politischen Ratsherrn eingefädeltes Projekt durch kein gelinderes Mittel hätte durchgesetzt werden können.

Man säumte nicht, sich vor allen Dingen des Archons zu versichern, der gewöhnlich bald gewonnen war, wenn man ihm sagte, daß eine Sache der Republik Abdera zu großem Ruhm gereichen und dem Volke sehr angenehm sein werde. Aber, weil er ein Herr war der seine Ruhe liebte, so erklärte er sich: er überlasse es ihnen, alles in die gehörigen Wege einzuleiten; er seines Orts möchte sich mit niemand deswegen überwerfen, am wenigsten mit dem Nomophylax, der ein Grobian sei und unter dem Volk einen starken Anhang habe. – «Wegen des Volkes machen sich Eure Herrlichkeit keine Sorge», flüsterte ihm der Ratsherr zu; «das will ich durch die dritte Hand schon stimmen lassen wie wirs nur wünschen können.» – «Und ich», sagte Salabanda, «nehme die Ratsherren auf mich.» – «Wir wollen sehen», sprach der Archon, indem er zur Gesellschaft zurückkehrte.

«Sei'n Sie ruhig», sprach die Dame zum politischen Ratsherrn, indem sie ihn auf die Seite nahm: «ich kenne den Archon. Wenn man ihn haben will, so muß man ihm nur des Abends von einer Sache sprechen, und, wenn er Nein gesagt hat, des Morgens wieder kommen, und, ohne den Mund zu verkrümmen, so reden als ob er Ja gesagt habe, und ihm dabei zeigen daß man des Erfolgs gewiß ist: so kann man sich auf ihn verlassen wie auf Gold. Es ist nicht das erste Mal, daß ich ihn auf diese Art dran gekriegt habe.»

«Sie sind eine schlaue Frau», versetzte der Herr Froschpfleger, indem er sie sachte auf den runden Arm klopfte. – «Was Sie leise auftreten! – Aber man wird merken daß wir etwas vorhaben – und das könnte nachteilig sein. – Wir müssen piano gehn!»

In diesem Augenblick trippelten ein paar Abderitinnen herbei, denen bald alle übrigen von der Gesellschaft folgten, um zu hören wovon die Rede sei. Der politische Ratsherr schlich sich weg.

«Nun, wie gefällt euch Euripides?» fragte Frau Salabanda: «nicht wahr, das ist ein Mann?»

«O ein scharmanter Mann!» riefen die Abderitinnen.

«Nur schade daß er so kahl ist –» setzte eine hinzu; «und daß ihm ein paar Zähne fehlen», sagte die andre.

«Närrchen, desto weniger kann er dich beißen», sagte die dritte; und weil dies ein witziger Einfall war, so lachten sie alle herzlich darüber.

«Ist er schon verheiratet?» fragte ein junges Ding, das so aussah, als ob es, wie ein Pilz, in einer einzigen Nacht aus dem Boden aufgeschossen wäre.

«Möchtest Du ihn etwa haben?» antwortete ein andres Fräulein spöttisch; «ich denke, er hat schon Urenkel zu verheiraten.»

«O die will ich Dir überlassen», sagte jene schnippisch; und der Stich war desto wespenartiger, weil das besagte Fräulein, wiewohl sie so jung tat als ein Mädchen von achtzehn, wenigstens ihre vollen fünfunddreißig auf dem Nacken trug.

«Kinder», unterbrach sie Frau Salabanda, «von dem allen ist jetzt die Rede nicht. Es ist was ganz andres auf dem Tapet. Wie gefiel' es euch, wenn ich den fremden Herrn beredete etliche Tage hier zu bleiben, und uns mit der Truppe, die er bei sich hat, eine seiner Komödien zu geben?»

«O das ist herrlich!» riefen die Abderitinnen alle vor Freuden aufhüpfend; «o ja, wenn Sie das machen könnten!»

«Das will ich schon machen können», versetzte Salabanda; «aber ihr müßt alle dazu helfen!»

«O ja, o ja!» schnatterten die Abderitinnen; und nun liefen sie in hellem Haufen auf den Euripides zu, und schrien alle auf einmal: «O ja, Herr Euripides, Sie müssen uns eine Komödie spielen! Wir lassen Sie nicht gehen, bis Sie uns eine Komödie gespielt haben. Nicht wahr? Sie versprechens uns?»

Der arme Mann, dem diese Zumutung auf den Hals kam wie ein Kübel Wassers auf den Kopf, trat ein paar Schritte zurück, und versicherte sie, es sei ihm nie in den Sinn gekommen in Abdera Komödie zu spielen, er müsse seine Reise beschleunigen, usw. Aber das half alles nichts. – «O Sie müssen», schrien die Abderitinnen; «wir lassen Ihnen keine Ruhe; Sie sind viel zu artig, als daß Sie uns was abschlagen sollten. Wir wollen Sie so schön bitten –»

«Im Ernst», sagte Frau Salabanda, «wir haben einen Anschlag auf Sie gemacht –» – «Und der nicht zu Wasser werden soll», fiel Onobulus ein, «oder ich will nicht Onobulus heißen.»

«Was gibts? Was gibts?» fragte der politische Ratsherr, der den Unwissenden machte, indem er langsam und mit unstetem Blick hinzu schlich; «was haben Sie mit dem Herrn vor?» – Der kurze dicke Ratsherr kam auch herbei gewatschelt. «Ich glaube gar, straf mich! sie wollen alle auf einmal sein Herz mit Arrest beschlagen, ha, ha, ha!» – schrie er und lachte, daß er sich die Seiten halten mußte. Man verständigte ihm, wovon die Rede sei. – «Ha, ha, ha, ha! Ein schöner Gedanke! straf mich Jupiter! Da komm ich gewiß auch, das versprech ich Ihnen! Der Meister selbst! das muß der Mühe wert sein! Wird recht viel Ehre für Abdera sein, Herr Euripides, große Ehre! Haben uns glücklich zu schätzen, daß unsre Leute von so einem geschickten Manne profitieren sollen!» – Noch ein paar Herren von Bedeutung machten ihm ungefähr das nämliche Kompliment.

Euripides, wiewohl er den Einfall nicht so übel fand sich diese Lust mit den Abderiten zu machen, spielte noch immer den Erstaunten, und entschuldigte sich damit, daß er dem König Archelaus versprochen habe seine Reise zu beschleunigen.

«Ei, was!» sagte Onobulus, «Sie sind ein Republikaner, und eine Republik hat ein näheres Recht an Sie.»

«Sagen Sie dem Könige nur», schnarrte die schöne Myris, «daß wir Sie so gar schön gebeten haben. Er soll ein galanter Herr sein. Er wird Ihnen nicht übel nehmen, daß Sie sechs Frauenzimmern auf einmal nichts abschlagen konnten.»

«O du, Tyrann der Götter und der Menschen, Amor!» rief Euripides im Ton der Tragödie, indem er zugleich die schöne Thryallis ansah.

«Wenn das Ihr Ernst ist», sagte Thryallis, mit der Miene einer Person, die nicht gewohnt ist weder abzuweisen noch abgewiesen zu werden; «wenn das Ihr Ernst ist, so beweisen Sie es dadurch daß Sie sich von mir erbitten lassen.»

Dies von mir verdroß die andern Abderitinnen. «Wir wollen nicht unbescheiden sein», sagte eine, indem sie die Lippen einzog, und auf die Seite sah. – «Man muß dem Herrn nichts zumuten was ihm unmöglich ist», sagte eine andre.

«Um Ihnen Vergnügen zu machen, meine schönen Damen», sprach der Dichter, «könnte mir das Unmögliche möglich werden.»

Weil dies Unsinn war, so gefiel es allgemein. Onobulus war hurtig mit seiner Schreibtafel heraus, um sich den Gedanken aufzunotieren. Die Weiber und Mädchen warfen einen Blick auf Thryallis, als ob sie sagen wollten: ‹Ätsch! er hat uns auch schön geheißen! Madam braucht sich eben nicht so viel auf ihre Atalantenfigur einzubilden; er bleibt so gut um unsertwillen hier als um ihrentwillen.›

Salabanda machte endlich dem Handel ein Ende, indem sie sich bloß die Gefälligkeit ausbat, daß er ihr und ihren Freunden, die alle seine großen Verehrer seien, nur noch den morgenden Tag schenken möchte. Weil Euripides im Grunde nicht zu eilen hatte und sich in Abdera sehr gut amüsierte, so ließ er sich nicht lange bitten, eine Einladung anzunehmen, die ihm hübsche Beiträge zu – Possenspielen für den Hof zu Pella versprach. Und so ging denn die Gesellschaft, auf die Ehre sich morgen bei Frau Salabanda wieder zu sehen, gegen Mitternacht in allerseitigem Vergnügen aus einander.


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