Christoph Martin Wieland
Geschichte der Abderiten
Christoph Martin Wieland

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6. Kapitel

Eine Gelegenheit für den Leser, um sein Gehirn aus der schaukelnden Bewegung des vorigen Kapitels wieder in Ruhe zu setzen.

«Gute, kunstlose, sanftherzige Gulleru», – sagte Demokrit, da er nach Hause gekommen war, zu einer wohl gepflegten krauslockigen Schwarzen, die ihm mit offnen Armen entgegen eilte – «komm an meinen Busen, ehrliche Gulleru! Zwar bist du schwarz wie die Göttin der Nacht; dein Haar ist wollicht und deine Nase platt; deine Augen sind klein, deine Ohren groß, und deine Lippen gleichen einer aufgeborstnen Nelke. Aber dein Herz ist rein und aufrichtig und fröhlich, und fühlt mit der ganzen Natur. Du denkst nie arges, sagst nie was albernes, quälst weder andre noch dich selbst, und tust nichts was du nicht gestehen darfst. Deine Seele ist ohne Falsch, wie dein Gesicht ohne Schminke. Du kennst weder Neid noch Schadenfreude; und nie hat sich deine ehrliche platte Nase gerümpft, um eines deiner Natur; immer geschickt Freude zu geben und zu empfangen, besorgt, ob du gefällst oder nicht gefällst, lebst du, in deine Unschuld eingehüllt, im Frieden mit dir selbst und der ganzen Natur; immer geschickt Freude zu geben und zu empfangen, und wert, daß das Herz eines Mannes an deinem Busen ruhe! Gute, sanftherzige Gulleru! Ich könnte dir einen andern Namen geben; einen schönen, klangreichen, Griechischen Namen, auf ane oder ide, arion oder erion: aber dein Name ist schön genug, weil er dein ist; und ich bin nicht Demokrit, oder die Zeit soll noch kommen, wo jedes ehrliche gute Herz dem Namen Gulleru entgegen schlagen soll!»

Gulleru begriff nicht allzu wohl, was Demokrit mit dieser empfindsamen Anrede haben wollte; aber sie sah, daß es eine Ergießung seines Herzens war, und so verstand sie gerade so viel davon, als sie vonnöten hatte.

«War diese Gulleru seine Frau?»

Nein.

«Seine Beischläferin?»

Nein.

«Seine Sklavin?»

Nach ihrem Anzug zu schließen, nein.

«Wie war sie denn angezogen?»

So gut, daß sie ein Ehrenfräulein der Königin von Saba hätte vorstellen können. Schnüre von großen feinen Perlen zwischen den Locken und um Hals und Arme; ein Gewand voll schön gebrochner Falten, von dünnem feuerfarbnem Atlas mit Streifen von welcher Farbe Sie wollen, unter ihrem Busen von einem reich gestickten Gürtel zusammen gehalten, den eine Agraffe von Smaragden schloß; und – was weiß ich alles –

«Der Anzug war reich genug.»

Wenigstens können Sie mir glauben, daß, so wie sie war, kein Prinz von Senegal, Angola, Gambia, Kongo und Loango sie ungestraft angesehen hätte.

«Aber –»

Ich sehe wohl, daß Sie noch nicht am Ende Ihrer Fragen sind. – «Wer war denn diese Gulleru? War es eben die, von welcher vorhin gesprochen wurde? Wie kam Demokrit zu ihr? Auf welchem Fuß lebte sie in seinem Hause?» – Ich gesteh es, dies sind sehr billige Fragen; aber sie zu beantworten, seh ich vor der Hand keine Möglichkeit. Denken Sie nicht, daß ich hier den Verschwiegnen machen wolle, oder daß ein besonderes Geheimnis unter der Sache stecke. Die Ursache, warum ich sie nicht beantworten kann, ist die allereinfachste von der Welt. Tausend Schriftsteller befinden sich tausendmal in dem nämlichen Falle; nur ist unter tausend kaum Einer aufrichtig genug, in solchen Fällen die wahre Ursache zu bekennen. Soll ich Ihnen die meinige sagen? Sie werden gestehen, daß sie über alle Einwendung ist. Denn, kurz und gut, – ich weiß selbst kein Wort von allem dem, was Sie von mir wissen wollen; und da ich nicht die Geschichte der schönen Gulleru schreibe, so begreifen Sie, daß ich in Absicht auf diese Dame zu nichts verbunden bin. Sollte sich (was ich nicht vorher sehen kann) etwa in der Folge Gelegenheit finden, von Demokrit oder von ihr selbst etwas näheres zu erkundigen: so verlassen Sie sich darauf, daß Sie alles von Wort zu Wort erfahren sollen.


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