Ernst Wichert
Für tot erklärt
Ernst Wichert

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X.

Draußen vor der Tür blieb sie stehen und überlegte, was zu tun sei. Die Kisten und Kasten mit Betten, Wäsche und Hausgerät, die sie am Hochzeitstage von der Nehrung mitgebracht hatte, standen noch ungeöffnet auf dem Boden. Die Kleidungsstücke, die sie aus einer verschließbaren blauen Lade genommen hatte, waren bald wieder verpackt. Bei der Nachbarin, in deren Hause sie die erste Nacht zubrachte, hoffte sie leicht ein paar starke Fischerknechte zu ermitteln, die ihr das Gepäck ans Wasser tragen könnten. Das kleine Boot, das zur Klarsschen Fischerkate gehörte und am Hochzeitstage das Gepäck aufgenommen hatte, mußte noch auf dem Haken liegen; sie konnte es nun zur Rückfahrt benutzen. Freilich erinnerte sie sich, damals gehört zu haben, daß sich in demselben wie in dem zurückgelassenen zweiten Boote ein Leck gezeigt habe; die schadhafte Stelle war aber vielleicht zu verstopfen, ohne daß es einer förmlichen Reparatur bedurfte. Jedenfalls war eine Besichtigung nötig, und sie beschloß, dieselbe nicht zu verschieben.

Als sie in Gedanken vertieft den Hof verließ und die Dorfstraße nach dem Flusse zu einschlug, saß Peter Klars an der Ecke der Scheune auf dem Grabenrande und sah seinem Knaben zu. wie er ein Korkschiffchen auf dem stachen Wasser am Faden hin und her zog. Sie bemerkte die beiden nicht, aber den munteren Augen des kleinen Peter entging nicht leicht etwas, das sich in der Nähe regte und bewegte. »Die Mutter!« rief er überrascht und wollte ihr mit einem Freudengeschrei nacheilen, als sein Vater ihn schnell beim Arme faßte, zwischen seine Knie zog und ihn bedeutete, zu schweigen. »Ich will ihr mein Schiffchen zeigen,« meinte er kleinlaut, »wie es im Wasser schwimmen kann.« Der Matrose stand auf, nahm ihn bei der Hand und führte ihn nach dem Hofe. »Geh jetzt in den Stall zu den Pferden,« sagte er, »ich will die Mutter rufen gehen.« Der Junge war damit zufrieden.

Peter Klars folgte Annika in einiger Entfernung.

Sie bog, immer eilig vorwärts schreitend, von der Dorfstraße ab nach dem Treidelstege, der am Fluß entlang nach dem Haken führte, in dessen Ausbuchtung wirklich das Boot, halb aufs Land hinaufgezogen, lag. Sie versuchte, es ganz aufs trockene zu bringen, aber ihre Kraft reichte dazu nicht aus. In dem tieferen Teil, der vom Fluß bespült wurde, hatte sich Wasser angesammelt, auf welchem der hölzerne Ausschöpfer schwamm. Sie stieg hinein und machte sich an die Arbeit, es zu entfernen.

Erst jetzt, da er ganz nahe an sie herantrat, bemerkte sie den Matrosen. Sie richtete sich erschreckt auf und sah ihn mit ängstlichen Blicken an. »Warum bist du mir gefolgt?« fragte sie nach einer Weile ernst.

Er lächelte unheimlich. »Weil ich dich schon längst zu sprechen hatte«, antwortete er scharf. »Die Alte hütet dich vor mir, wie ein Drache seinen Schatz – und es mag dir auch wohl gefallen beim Krüger. Wie?«

»Er ist krank,« sagte sie, »du weißt es.«

»Und lag doch heute schon im offenen Fenster und plauderte ganz munter – bis ich ihn fortscheuchte. War's nicht so?«

Sie nickte schwermütig. »Darum bin ich hier«, erwiderte sie leise.

Er sah sie fragend an. »Was soll geschehen, Annika?«

Sie schwieg.

»Besinnst du dich, wie wir auf dieser Stelle zum erstenmal als Brautleute zusammentrafen?« fing er nach einer Weile wieder an. »Es war, wie ich dir gesagt hatte, daß ich dich zum Weibe haben wolle, und wie du mir die Hand gegeben hattest, daß nichts in der Welt uns trennen solle. Da liegen noch die Steine, auf denen wir saßen, als die Sonne schon untergegangen war, und wir meinten's gewiß damals beide treu, und wer uns gesagt hätte, daß wir uns so einmal wieder hier treffen sollten –«

Seine Stimme bebte; er kehrte sich mit einer raschen Wendung ab und zog den Hut tief über die Stirn.

»Ich weiß alles«, versicherte sie schmerzlich.

Peter Klars wendete sich wieder zu ihr und ergriff ihre Hand. »Geh nicht mehr zurück zu Konrad«, sprach er halb bittend, halb drohend. »Ich ertrag's nicht.«

Annika entzog sich ihm nicht. »Ich halte, was ich versprochen habe«, sagte sie freundlich. »Morgen fahre ich nach der Nehrung.«

Er horchte auf. »Morgen – und allein?«

»Allein – wenn du mir das Kind nicht mitgeben willst, Peter.«

Er fuhr wild auf. »Soll ich mich auch von ihm trennen? Nimmermehr!«

Annika senkte demütig den Kopf. »Wie du willst – ich muß zufrieden sein.«

»Du kannst dich trennen von dem Kinde?« rief er. »Annika! Hast du kein Herz in der Brust? Von dem Kinde trennen! Und wem zuliebe? Dem Krüger, der dich überlistet hat, daß du mir untreu wurdest. Soll er nun auch noch Mutter und Kind scheiden? Nein, Annika! Wir gehören zueinander – mag er's wissen! Es ist kein Vergleich möglich zwischen uns. Sei mein, Annika, wieder ganz mein – und er wird die Hoffnung aufgeben, dich doch noch gewinnen zu können; er wird selbst das unselige Band lösen, das dann nur eine lästige Fessel für ihn ist. Aber du mußt den Mut haben, deinem Herzen zu folgen, und auf den Pfaffen nicht hören, der nur der reichen Krügerin zum Mund spricht. Was die Leute sagen, was kümmert uns das? Wir brauchen sie nicht. Und die meisten werden auf unserer Seite sein. Mut, Annika! Es kann noch alles gut werden.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es kann nicht gut werden – so nicht, Peter.«

Er ließ sich auf den Bord des Kahns nieder und suchte sie an sich zu ziehen. »Verstoße mich nicht,« bat er leidenschaftlich, »verstoße das Kind nicht wegen einer so kalten Pflicht, von der das Herz nichts weiß. Nimm uns mit dir, Annika! Ich hole den Knaben!– ich setze das Boot instand. Wir fahren zusammen hinüber nach der Nehrung, kehren in unser kleines Haus zurück, in das Stübchen, das all unser Glück gesehen hat. Und dann mögen sie kommen, uns zu trennen! Ich werde mein Weib und Kind zu schützen wissen. Und jenseits ist die weite See! Wenn sie doch Macht über uns haben, dort find wir frei. Wir steigen auf ein Schiff und wandern aus – die Welt ist groß, Annika, und überall, wo wir zusammen sind, ist unser Glück und unsere Heimat.«

Ihre Brust wogte stürmisch; sie atmete schwer und hastig. »Und können doch nicht wieder sein, was wir gewesen sind«, preßte sie mühsam heraus. »Du vielleicht, aber ich nicht. Ich habe gesündigt, als ich dir treulos ward, und eine Sünde nimmt die andere nicht von mir. Laß mich allein hinüber!«

Sein Gesicht verzerrte sich. »Es geht nicht,« sagte er unwillig, »ich kann's nicht überwinden.«

Sie setzte sich auf die Ruderbank hinter ihn und legte die Hand auf seine Schulter: »Vielleicht, wenn wir Geduld haben, Peter–«

»Worauf sollen wir warten? Wir haben schon Jahre verloren.«

»Ich darf's seinetwegen nicht wünschen – aber Konrad ist krank –«

Er wandte schnell den Kopf seitwärts und prüfte sie mit einem Blick, der ihr blitzartig durch und durch ging. »Hast du auch schon daran gedacht?« zischelte er nah ihrem Ohr.

»Still – still!« bat sie ängstlich. Sie erriet ihn nicht, und doch war sein ganzes Wesen so unheimlich, daß sie irgendein Unheil befürchtete.

Der Matrose rückte noch näher an sie heran, indem er ihr Handgelenk mit seinen Fingern wie mit einem Eisenringe umspannt hielt. »Höre –«, flüsterte er noch leiser. »Er ist krank – sehr krank – es ist kein Wunder, wenn kranke Menschen sterben; hat man mich doch bei gesundem Leibe für tot erklärt. Was kann es ihm nützen, daß er sich mit siechem Körper und gebrochenem Herzen noch ein paar Jahre quält –? Wenn du wolltest –«

Sie stieß ihn mit Gewalt zurück, daß er vom Bord des Kahns forttaumelte. »Peter –« rief sie entsetzt; »denk' an dein Seelenheil! Noch ein solches Wort, und wir sind auch im Herzen geschieden!«

Der Seemann schöpfte eine Handvoll Wasser und goß sich dasselbe über das Gesicht. »Es macht mich wahnsinnig«, lallte er. »Er oder ich!«

Annika war aus dem Boot gesprungen und machte sich nun eilig auf den Weg nach dem Dorfe zu. Klars folgte ihr einige Schritte; bald aber sah er ein, daß er sie nicht mehr einholen könne. »Tollheit, ihr's zu verraten!« grinste er. »Das ist nichts für Weiber. Wenn sie mich freilich liebte, wie ich sie – aber das ist vorbei.«

Er lehnte sich wieder aufs Boot, nahm die kurze hölzerne Schaufel auf, die ihrer Hand entfallen war, und setzte mechanisch ihre Arbeit fort. Das Wasser war bald ausgeschöpft, zog sich aber, wenn auch langsam, wieder hinein. »Das Boot hat ein Leck,« sprach er vor sich hm, »sie darf darauf morgen nicht fahren. Es wird ihr auch nicht so eilig sein.« Er nahm sich vor, nächsten Vormittag den Schaden auszubessern, und kehrte langsam nach dem Dorfe zurück.

Es war ihm recht schlecht zumut, er wußte sich vor Unbehaglichkeit kaum zu lassen. Er hatte sich erschöpft in Liebe und Haß und fühlte nun in seinem Innern eine Leere, die er sich vergebens bemühte, durch irgendeine befriedigende Empfindung auszufüllen. Annika war nicht gewonnen – sie war so gar nicht zu gewinnen. Was er aber bei ihr verloren, indem er voreilig seine schlimmsten Gedanken preisgab, machte ihn noch unruhiger. »Man denkt's wohl,« murmelte er unwillig vor sich hin, »aber man tut's deshalb noch nicht, und wenn ich ihr's sagte, so war's doch nur, als ob ich zu mir selbst sprach. Verdammt! Innen sieht's hell aus, wie ein Leuchtfeuer, das den Hafen anzeigt, und wenn das Wort über die Lippen geht, ist's schwarz und häßlich zum Grauen. Freilich – wer kann für sich gut stehen? Wenn sie drüben ist auf der Nehrung – so nah, nur diese Wasserrinne trennt uns, und ich darf doch nicht hinüber – seinetwegen –! Und da steht er im Wege morgen und übermorgen und alle Tage – wer weiß, was geschieht? – Nein, es ist nichts für mich mit den Heimlichkeiten. Gradheraus soll er mir Rede stehen, und dann wird sich's entscheiden zwischen uns!«

Er hoffte im Kruge oder- im Dorfe nochmals mit Annika zusammenzutreffen und sie beruhigen zu können. Aber auf dem Hofe erfuhr er, daß sie den kleinen Peter abgeholt habe und mit ihm fortgegangen sei. Von den Nachbarn hatte niemand sie bemerkt. Annika hatte den Kleinen auf den Arm genommen und ihn durch das Pförtchen neben der Scheune hinausgetragen auf die Wiese, wo die vielen schönen Blumen wuchsen, von denen er ihr täglich einen Strauß ins Krankenzimmer hinaufgebracht hatte. »Im Wald ist's noch viel schöner«, hatte sie ihm gesagt, als er verweilen wollte; »du kennst den Wald noch gar nicht.« Sie faßte ihn bei der Hand und führte ihn durch die Kornfelder und die Wiesenraine um das Dorf herum nach dem Birkenwäldchen, das sich so anmutig am Flußufer hinabzog. Dort war sie ganz ungestört. Sie wollte ja nichts mehr, als sich noch einmal ihres Kindes erfreuen und von ihm Abschied nehmen. Auf dem eiligen Gange vom Haken nach dem Kruge hatte sie ganz eigene Gedanken gehabt; so plötzlich sie ihr gekommen waren, so sicher fühlte sie sich doch darin. Sie sagte sich, daß sie doch allein die Schuld an allem Unheil trage, weil sie nicht fest den Weg gegangen sei, den ihr das Herz gewiesen, und daß nun noch mehr Unheil folgen werde, wenn der Streit der beiden Männer um ihren Besitz sich fortspinnen dürfe. Konrad werde sich in Geduld fügen, aber in Sehnsucht hinkranken und auf seine geheimen Wünsche doch nicht verzichten. Und Peter Klars – er fügte sich nicht; jetzt war es gewiß. Wohin war es schon mit ihm gekommen? Sie hatte gehofft, beide Männer zum Verzicht zu vermögen, aber schon war kein Zweifel, daß sie sich arg täuschte. Wenn ihnen keine Hoffnung mehr blieb, einander abzuringen, was keiner dem andern gönnen wollte, dann reichten sie vielleicht einander die Hand zur Versöhnung und gedächten auch ihrer in Frieden.

Es war ihr nicht anzumerken, was in ihr vorging. Mit heiterem Gesicht spielte und scherzte sie mit dem Knaben, suchte ihm Blumen oder kleine bunte Steinchen, sang ihm Lieder, erzählte ihm Märchen, half ihm die schlanken Birkenstämme hinaufklettern, oder versteckte sich hinter dem dichten Wacholderstrauch und ließ sich suchen. Der kleine Peter hatte keine Ahnung, daß geschieden sein sollte. Erst als er nach einigen Stunden müde wurde und auf ihrem Schöße einschlief, wehrte sie den Tränen nicht und bat Gott laut und inbrünstig, daß er sich des Kindes gütig annehmen und es vor so schwerem Kummer bewahren möchte wie der ihre.

Und dann, als die Sonne untergegangen war und der Wald dunkelte, schlug sie ihr Tuch um den Knaben und trug ihn nach Hause. Sie brachte ihn sorgsam zu Bette, ohne die Magd, in deren Kammer er gewöhnlich schlief, aus der Ruhe zu stören, küßte ihn noch einmal herzlich und ging hinaus.

Auf dem Hofe nahm sie von dem dortigen Vorrat eine Stange und machte sich mit derselben auf den Weg nach dem Haken hinaus. Sie begegnete unterwegs niemand. Dann schob sie mit Aufbietung aller Kräfte das Boot in die Flut, stieg ein und stieß es mit der Stange vom Ufer ab. Sie stand mit den Füßen im Wasser, aber sie achtete nicht darauf. Die Stange immer wieder auf den flachen Grund setzend und sich weiter fortschiebend, brachte sie das kleine Fahrzeug bald auf das offene Haff hinaus, über dem ein dichter Nebel lag. Nach wenigen Minuten war nur noch eine dunkle Masse bemerkbar, die mehr und mehr verblaßte und hinter der Nebelwand verschwand.

Über Konrad Hilgruber kam in dieser Nacht kein Schlaf. Er hatte gehofft, Annika würde sich doch noch einmal einfinden und sich gütlich zusprechen lassen; da sie aber nicht kam, mußte er's für gewiß halten, daß sie schon den letzten Abschied genommen hatte und sich von ihm nicht mehr sehen lassen wolle. Sie wird zur Nachbarin gegangen sein, dachte er, wo sie schon die erste Nacht zubrachte; ich war unfreundlich gegen sie, und sie hat Grund, mich zu meiden. Er legte sich hin, aber der Husten quälte ihn und trieb ihn wieder auf. Wie wird das Leben sein ohne –? überlegte er tausendmal; wenn Klars billig wäre, es gäbe vielleicht doch einen Ausgleich.

Früh am nächsten Morgen verließ er sein Zimmer und den Krug, um den Matrosen aufzusuchen. Es war sein erster Ausgang. Er erfuhr, daß Klars mit Handwerkszeug, Holz und Nägeln nach dem Haken hinausgegangen sei, um das Boot instand zu setzen, auf dem Annika hinüberfahren wollte. Konrad entschloß sich, ihm zu folgen.

Schon eine Strecke vor dem Haken kam Klars ihm entgegen, offenbar sehr eilig und aufgeregt. Er stutzte, als er Konrad auf sich zuschreiten sah, und blieb stehen. »Wo ist Annika?« rief er ihm entgegen.

»Ich weiß es nicht,« antwortete Konrad, mühsam atmend, »sie war die letzte Nacht nicht im Kruge.«

»Nicht im Kruge –! Aber wo sonst?«

»Wahrscheinlich im Nachbarhause. Sie wollte heute nach der Nehrung übersetzen.«

»Ganz recht, das wollte sie. Aber das Boot ist fort.«

»So wird sie schon gefahren sein und ihre Sachen nachkommen lassen.«

»So früh? Und ihre Sachen sind noch im Kruge?«

»Ich glaube wohl.«

»Und das Kind?«

»Es schläft noch. Die Magd besorgte sein Frühstück, als ich ging.«

Klars sah finster grübelnd zur Erde. »Sonderbar – so früh – und ohne Abschied – und ohne das Kind – ? Das Boot war leck.«

»Die Fischer werden es untersucht haben«, meinte Konrad. »Vielleicht ist's auch auf dem Fluß nach dem Dorf gebracht zur Ausbesserung vor der Fahrt – und Annika noch daheim.«

»Vielleicht.« – Er ging einige Schritte zögernd weiter und machte dann wieder halt. »Und was willst du hier?«

»Ich suchte dich.«

Peter Klars sah mißtrauisch zu ihm auf. »Mich? – Du hast Grund, mir aus dem Wege zu gehen.«

Der Krüger trat näher. »Ich habe dich nicht kränken wollen«, sagte er mild. »Wir waren ja auch Freunde.«

» Waren –«

»Und könnten noch jetzt freundschaftlich gegeneinander handeln und uns das Mißgeschick erleichtern, das uns betroffen hat – uns und ihr–!«

Der Matrose wandte sich trotzig ab. »Was willst du von mir?«

»Mit dir vernünftig wegen Annika sprechen, Peter.«

»Pah – vernünftig! Was heißt das? Ich kann nicht nachgeben.«

»Wenn du Mitleid mit mir haben wolltest –«

Es lag etwas in dem Tone, mit welchem diese Bitte sich äußerte, das Peter Klars nicht ungerührt ließ. Er zog die Augenbrauen finster zusammen und blickte sich abwendend zur Erde, ohne zu antworten.

Konrad glaubte, daß er sich entfernen wollte, und streckte ihm die Hand entgegen. »Bleibe noch«, bat er. »Es ist bald gesagt, was ich zu sagen habe.– Annika ist nun einmal meine Frau.«

Klars krampfte die Hand zusammen. »Nein!«

»Sie ist es. Darüber ist keine Täuschung möglich. Aber sie wird es nicht lange sein – gewiß nicht lange. Ich bin krank, und es geht bald mit mir zu Ende.«

»Konrad!«

»Ich kenne meinen Zustand, und wenn der Arzt ehrlich sein wollte – – sprich mit ihm. Wenn du mir nur die kurze Zeit, die mir noch bleibt, das Glück lassen wolltest –«

Klars schüttelte schweigend den Kopf.

»Höre mich an! Ich will sie betrachten wie deine Frau – ich schwöre dir's zu. Sie würde auch sonst gar nicht zu bewegen sein, wieder in mein Haus zu kommen. Aber wenn unser Verhältnis auf solche Art sichergestellt ist, wird sie gern die Pflichten einer treuen Pflegerin erfüllen und mir dieses armselige Restchen Leben erheitern. Du wirst mein Freund sein – und ihr Freund, bis sie dir mehr sein kann. Willst du?«

Peter Klars war bewegt. Konrad meinte es offenbar ehrlich. Die alte Neigung brach noch einmal durch und verscheuchte die finsteren Schatten, die sein Gemüt umnachteten. Er reichte Konrad die Hand und sagte ohne Groll: »Ich kann's nicht! Wahrhaftig, ich kann's nicht – ich liebe Annika!«

Sie standen eine Minute Hand in Hand. Der Krüger blickte mit dem Ausdruck tiefsten Schmerzes vor sich hin.

»Nicht einmal das gönnst du mir!« klagte er leise.

Peter Klars fiel ihm leidenschaftlich um den Hals. »Sei großmütig!« rief er, »gib sie frei – wir können so nicht miteinander leben! Ich nicht – sie nicht – auch du nicht, Konrad! Gib sie frei, und ich will unsere Freundschaft segnen.«

»Es ist mein Tod«, sagte er finster.

Vom Fluß her wurden Ruderschläge vernehmbar. Die beiden Männer traten voneinander und sahen unwillkürlich nach jener Richtung, von der das Geräusch kam. Es war ein Nehrunger Fischerboot, das mit Netzen und Fischen beladen einfuhr. Es schleppte etwas im Wasser hinter sich her, das sich nicht sogleich erkennen ließ, da es nur wenig über die Oberfläche hinausragte. Erst als das Fahrzeug ihnen gegenüber kam, bemerkte Klars hinten angebunden einen Kahn, der fast ganz voll Wasser geschöpft war, und wurde aufmerksamer. Der Fischer, als er den Krüger und den Matrosen erkannte, hielt mit Rudern inne und ließ die Spitze auf den Sand laufen. »So früh auf?« rief er den Männern zu.

Der Krüger nickte traurig; Klars trat näher der Schälung.

»Was bringt Ihr da?« fragte er. »Habt Ihr mit Eurem Handkahn Unglück gehabt?«

Der Fischer lachte. »Ich brauche keinen Handkahn. Mein Boot ist flach genug für den Fluß bis zum Marktort. Ich habe das Ding so auf dem Haff gefunden; es war zum Sinken voll Wasser. Ich wollt's neben dem Krug aufs Land bringen, da findet sich der Eigentümer am leichtesten.«

Klars fuhr erschreckt zusammen. »Auf dem Haff – ?« rief er, »und diese Nacht?« Eine schwere Ahnung überkam ihn. Er watete durch den Fluß, faßte den Bord des versunkenen Kahns und hob ihn aus dem Wasser hinaus. » Mein Kahn!« schrie er auf und taumelte nach dem Lande zurück.

Der Krüger begriff nicht sogleich, um was es sich handelte. Erst als er aus den abgerissenen Reden des Matrosen entnahm, daß von dem Fahrzeug gesprochen wurde, das gestern noch auf dem Haken gelegen, das leck gewesen sei und mit dem Annika habe überfahren wollen, begriff er die ganze Gefahr. Selbst aufs äußerste besorgt, suchte er doch Klars zu beruhigen, der wie unsinnig am Ufer auf und ab lief und die Hände rang. »Das Boot kann sich vom Sande losgemacht haben und hinausgetrieben sein«, sagte er; »wir dürfen nicht gleich ans Schlimmste denken.«

»Es ist keine Hoffnung«, jammerte der Matrose. Er sprach es nicht aus, aber es war bei ihm gewiß, daß sie den Tod gesucht habe.

Man zog das Boot aufs Land, schöpfte es aus und untersuchte es genau, ohne einen Gegenstand darin zu finden, der auf Annika deutete. Man eilte nach dem Dorf zurück, brachte alle seine Bewohner in Bewegung, fragte in jedem Hause nach – niemand wußte von ihr. Nur der kleine Peter konnte erzählen, daß sie im Walde mit ihm gespielt. Wer irgend über ein Boot verfügte, machte es ruder- und segelfertig und folgte Klars aufs Haff hinaus, um nach der Vermißten zu suchen. Vergebens! Erst am dritten Tage kam Nachricht, daß die Leiche der Fischersfrau eine Meile oberhalb des Dorfes angespült sei.

Es war ein Begräbnis, das den zahlreich Beteiligten noch lange im Gedächtnis blieb. Der Sarg war mit den schönsten Blumen geschmückt, und Blumen wurden vor ihm hin auf den Weg gestreut bis zum Kirchhof, von dem die grünen Birken freundlich winkten. Hinter dem Sarge gingen Peter Klars und der Krüger, und sie hatten den kleinen Peter zwischen sich angefaßt, als ob er beiden gehörte. Und jeder sah auf sie und nickte ihnen einen traurigen Gruß zu und dachte bei sich: »Es war doch so das beste.« Als sie aber den Sarg hinabgesenkt und Blumen darüber ausgestreut und Erde darauf geworfen und ein stilles Vaterunser unter Tränen gesprochen hatten, wandten sie sich zueinander und umarmten sich schweigend und standen lange so. Dann schüttelten sie einander die Hand und küßten das Kind. Sie brauchten nichts zu sprechen. – –

Konrad Hilgruber machte bald darauf sein Testament und setzte den Sohn der geliebten Frau zum Erben ein. Klars erfuhr nichts davon, bis nach einigen Jahren der Krüger seinem Brustleiden erlag, und nun sein letzter Wille bei Gericht eröffnet wurde. Er hatte nun Mittel vollauf, seinen Sohn aufs beste erziehen zu lassen. Da der Knabe gute Fähigkeiten zeigte, brachte er ihn nach der Stadt auf das Gymnasium und ließ ihn dann studieren. Peter wollte zuerst durchaus Seemann werden wie sein Vater. Als dieser sich aber nach schwerem Kampfe entschloß, ihn in seine traurigen Erlebnisse einzuweihen, wandte sich sein Sinn, und er beschloß, ein Geistlicher zu werden, womit sein Vater einverstanden war. Nachdem er sich würdig vorbereitet, nahm er eine jener wenig beneideten Pfarrstellen auf der Nehrung an und war durch kein Anerbieten einer Verbesserung zu bewegen, sich von ihr zu trennen. Die reiche Erbschaft seines Stiefvaters sah er als ein Vermächtnis zum gemeinen Besten an und verwendete sie so, indem er, unbeirrt durch das wiederholte Fehlschlagen der ersten Versuche, planmäßig den Sand der Dünen hinter den Ansiedlungen durch Anpflanzungen von Gräsern, Sträuchern und Bäumen festzulegen bemüht war. Er hatte nach einigen Jahren die Freude, ein kleines Wäldchen aufwachsen zu sehen, das sich bald nach rechts und links erweiterte, und in dessen Schutz der frühere dürre Boden Früchte trug.

Eine solche Anlage auf der Nehrung ist eine Stiftung, deren Zinsen den Enkeln und Enkelkindern zugute kommen. Das Andenken der Wohltäter grünt in ihr fort, und man segnet sie, wenn man den Sturm von der See her heranrasen hört und sein Haus geschützt weiß, oder wenn man vor dem Sonnenbrand des Sommers ein schattiges Ruheplätzchen unter den grünen Birken findet.


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