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Neuntes Kapitel.

Der Kampf in den Bergen war zu Ende; der letzte verzweifelte Widerstand, den Marco Obrevic an der Spitze seines Stammes geleistet hatte, war erloschen mit seinem Tode. Stephan Hersovac war nicht der Mann, eine bereits verlorene Sache bis zum eigenen Untergange durchzuführen; ihm fehlte neben dem Trotze auch die Energie seines Vorgängers. Er war wirklich im Fort erschienen und hatte die ihm gestellten Bedingungen angenommen, und damit konnte der Aufstand, soweit er dies Gebiet betraf, für beendigt gelten.

Es vergingen freilich noch Wochen und Monate, ehe die Truppen in die Heimat zurückkehrten, und Geralds Regiment war eins der letzten. Es mußte einige Zeit vor der Einschiffung in Cattaro bleiben; aber das Schicksal ersparte dem jungen Offizier eine peinliche Begegnung: Oberst Arlow und seine Tochter befanden sich nicht mehr in der Stadt.

Der Kommandant hatte während der ganzen Insurrektion in seiner schwierigen und verantwortungsreichen Stellung eine solche Umsicht und Energie gezeigt, daß die Anerkennung nicht ausblieb. Er wurde unter entsprechender Beförderung von seinem Posten abberufen und ihm ein Kommando in einer der österreichischen Hauptstädte übertragen. Es war längst sein Wunsch gewesen, die ferne dalmatinische Festung mit einer Garnison der Heimat zu vertauschen, und es war wohl seinem Einflusse zuzuschreiben, daß die Übersiedelung so schnell erfolgte. Der neue Kommandant traf weit früher ein, als man erwartete, und unmittelbar darauf verließ sein Vorgänger die Stadt, so daß er sich bereits in der Heimat befand, als Geralds Regiment in Cattaro eintraf.

Es lag eine harte Zeit hinter dem jungen Offizier, ein monatelanges Ringen mit allem, was sich seiner Liebe entgegenstellte; er hatte sie sich im vollsten Sinne des Wortes erkämpfen müssen; aber er hatte das Recht zu behaupten gewußt, das jene Stunde der Todesgefahr ihm gegeben.

Er hatte Danira wiedergesehen, als die Truppen von der Wilaschlucht in das Dorf zurückkehrten, um nach dem stundenweiten, eiligen Marsche eine kurze Rast zu halten, und hier galt es noch einen letzten Kampf, um das Mädchen zum Schweigen zu vermögen; sie war fest entschlossen, den Ihrigen zu entdecken, was sie getan, und wer die Hilfe herbeigerufen hatte.

Trotzdem der Friede und die Versöhnung in unmittelbarer Aussicht standen, wäre sie doch nicht eine Stunde ihres Lebens sicher gewesen nach einem solchen Bekenntnis; aber jenes erschütternde Ereignis, das dem Leben Marcos ein Ziel setzte, sprach auch hier sein entscheidendes Wort und beugte den starren Willen des Mädchens. Und es war der Geliebte, der da bat, der mit der ganzen Macht seiner Zärtlichkeit sie überzeugte, daß es hier, wo kein Blut durch ihre Schuld geflossen war, auch keiner Sühne bedurfte. Wohl türmten sich von allen Seiten Schranken und Hindernisse gegen die Möglichkeit einer Vereinigung auf: das wenigstens äußerlich noch bestehende Band, das Gerald an seine einstige Braut knüpfte, der voraussichtliche Widerstand seiner Mutter, der Kampf mit Stephan, der es sicher nicht ruhig geschehen ließ, daß seine Schwester einem Fremden folgte; aber das alles vermochte nicht den Mut und die Zuversicht des jungen Offiziers zu erschüttern, seit er Daniras Wort hatte, die Seinige zu werden, wenn er sie auch mit schwerem Herzen im Hause des Bruders zurückließ, das für den Augenblick ihre einzige Zuflucht war.

In dem wild ausbrechenden Streit, wo beim Nahen der Truppen alle den widerstrebenden Führer zum Aufbruch drängten und alle durcheinander riefen und schrien, waren die letzten Worte Marcos, mit denen er jenen Verdacht gegen Danira schleuderte, nicht gehört oder nicht verstanden worden – außer von Stephan, und dieser zog es vor, zu schweigen. Er wollte nicht wissen, was zu strafen er kein Recht mehr besaß, seit er selbst den Gang zu dem Feinde angetreten und sich ihm unterworfen hatte.

Marco Obrevic hätte mit eiserner Konsequenz selbst die Geliebte, selbst sein Weib hingeopfert bei einer solchen Entdeckung; Stephan war anders geartet. Er wollte seine Schwester nicht fallen sehen von den Händen seiner Stammesgenossen, und er wußte, daß sie verloren war, wenn sich nur ein Verdacht gegen sie erhob. Er gab sich den Anschein, zu glauben, was man ihm und seinen Begleitern im Fort mitgeteilt, um Danira vor einem etwaigen Racheakt zu schützen: jene Abteilung sei ohne Ahnung von Geralds Schicksal zu rein militärischen Zwecken ausgerückt, um den Feind zu suchen, den man in jener Richtung vermutete, und sei sehr überrascht gewesen, als sie ihren Offizier auf dem Wege fand.

Diese Erklärung genügte den Söhnen der Berge, die es nicht gewöhnt waren, über unwiderruflich Geschehenes nachzugrübeln. Der angebliche Zufall schien ihnen nur eine Bestätigung jenes Gerichtes, das über ihren Führer ergangen war, weil er gewagt hatte, die altgeheiligte Überlieferung seines Volkes zu brechen. Kein Verdacht wurde gegen Danira laut; erst in der Trennungsstunde erfuhr Stephan aus ihrem Munde, was ihm kein Geheimnis mehr war.

Jörg Moosbacher, dessen Dienstzeit in wenigen Wochen zu Ende ging, war einerseits sehr stolz darauf, als ruhmreicher Bezwinger der Krivoscie und geschmückt mit der Tapferkeitsmedaille in die Heimat zurückzukehren, andererseits aber verstimmt und höchst beleidigt, denn Pater Leonhard wollte ihm nicht erlauben, seinen Vaterpflichten in dem Maße nachzukommen, wie er es für nötig hielt.

Jenes Wiedersehen im Fort, bei dem Jovica ihrem Beschützer in hellem Jubel entgegenflog, und Jörg mit dem Begrüßen gar kein Ende fand, hatte den geistlichen Herrn doch bedenklich gemacht, und er beschränkte fortan den Verkehr der beiden so viel als möglich. Er war überhaupt in einiger Verlegenheit, was mit der jungen Slavin denn eigentlich anzufangen sei. Heimat oder Angehörige, denen man sie zurückgeben konnte, besaß Jovica nicht, und es war auch durchaus die Absicht des Priesters, sie zu einer Christin zu erziehen; bei seinen vielfachen Amtspflichten aber fand er nur wenig Zeit, den Lehrer zu machen.

Jovica hatte in der Tat noch nicht viel Deutsch gelernt und fing eben erst an, die Lehren des Christentums zu begreifen, als der Befehl zum Abmarsch nach Cattaro eintraf, und damit trat die Frage, was aus dem Heidenkinde werden sollte, ernstlich in den Vordergrund. Jörg wollte es durchaus mit nach dem Moosbacher Hofe nehmen, um es dort seinen Eltern feierlichst als seinen Schützling zu präsentieren; aber Pater Leonhard, der den Bauern und die Bäuerin besser kannte, widersetzte sich diesem Plane, bis endlich Gerald mit einem Vorschlage dazwischen trat, der von beiden Seiten angenommen wurde.

Jovica, die sich sehr anstellig und dienstfertig zeigte, sollte Danira, mit der sie ja eine gemeinsame Sprache und Heimat hatte, als eine Art Zofe begleiten und unter ihrem Schutze bleiben, bis endgültig über ihre Zukunft entschieden sei. Jörg war freilich mit dieser Bestimmung nur halb zufrieden, denn er fand, daß seine Vaterrechte dabei nicht genügend zur Geltung kamen; da er aber Aussicht hatte, seinen Schützling täglich zu sehen, so fügte er sich.

Die Stunde der Einschiffung war gekommen, und der Dampfer, der die Offiziere und einen kleinen Teil der Mannschaften trug, steuerte hinaus in die Bucht. An der Brüstung des Schiffes, etwas abseits von den plaudernden Kameraden, stand Gerald von Steinach, und neben ihm Danira, die seit gestern seinen Namen trug. Pater Leonhard hatte am Tage vor der Abreise in aller Stille die Trauung vollzogen.

Die junge Frau trug einfache Reisekleidung, und dennoch lag ein eigener Reiz über ihrer Erscheinung, der selbst damals fehlte, als die malerische Tracht ihres Landes ihre Schönheit so mächtig und wirkungsvoll hob. Das Düstere, Fremdartige, das dieser Schönheit sonst anhaftete, war hinweggeschmolzen. In dem hellen Sonnenschein, der das Verdeck überflutete, stand die jugendliche Gestalt nicht mehr wie ein dunkler Schatten; der sonnige Glanz lag auch auf ihrem Antlitz: ein Widerschein des Glückes, das so hell aus den Zügen ihres Gatten strahlte.

Das Ufer begann schon zurückzuweichen, und soeben fuhr der Dampfer an dem Hause des Kommandanten vorüber, von dessen Fenster Danira einst das Schiff heranziehen sah, das mit Gerald ihr Schicksal und ihre Zukunft trug. Jetzt war das Fenster geschlossen, an dem damals die helle Gestalt Ediths lehnte und mit lachenden, glücklichen Kinderaugen dem Verlobten entgegenblickte. Die Erinnerung, um welchen Preis ihr Glück erkauft war, überkam die junge Frau auf einmal mit voller Gewalt, und sie wandte sich ab, um die aufsteigenden Tränen zu verbergen. Gerald bemerkte es.

»Es wird dir schwer, die Heimat zu verlassen – ich weiß es«, sagte er, sich zu ihr niederbeugend; aber sie schüttelte ablehnend das Haupt.

»Es wird mir nur schwer, so zu gehen, ohne einen Abschiedsgruß der Heimat, ohne ein Lebewohl meines Bruders. Es ist ja jetzt Friede, und er kommt als Haupt des Stammes ja oft nach Cattaro; an meinem Vermählungstage kam er nicht, ich mußte ohne das Geleit meines einzigen Blutsverwandten an den Altar treten.«

»Hast du etwas anderes erwartet nach der Art, wie Stephan meine Werbung aufnahm? Er schien sie ja fast als eine Beleidigung zu betrachten, und er hat es mir schwer genug gemacht, dich zu besitzen; ich mußte dich ihm förmlich abkämpfen. Du ahnst nicht, wie schwer es mir geworden ist, dich in einer Umgebung zu wissen, die es täglich und stündlich versuchte, dich von mir loszureißen, während ich noch im Felde stand.«

»Hat man das gleiche nicht bei dir versucht? Und du littest schwerer darunter als ich; denn dort kam der Widerstand von einer Seite, die dir das Teuerste auf Erden war. Auch der Segen deiner Mutter fehlt unserer Ehe.«

»Nicht durch meine Schuld«, fiel Gerald ein. »Ich habe versucht, was nur im Bereiche der Möglichkeit lag, um ihre Einwilligung zu erlangen. Monatelang habe ich in meinen Briefen gebeten, gefleht, gestürmt – es war alles vergebens. Sie hatte immer nur das harte Nein, das starre Verbot; da mußte ich mich endlich wohl erinnern, daß ich kein Kind mehr bin, sondern ein Mann, der da weiß, was er im Leben zu wollen hat, und der sein Glück nicht an Vorurteilen scheitern läßt. Du hast recht, wir haben dies Glück schwer erkaufen müssen; es kostet uns beiden die Heimat und die Liebe unserer nächsten Blutsverwandten – meinst du, daß der Preis zu hoch ist für das, was wir errungen haben?«

Es klang eine leidenschaftliche Zärtlichkeit aus der Frage, und der Blick seiner jungen Frau gab ihm die Antwort darauf. Erst nach einer Pause sagte sie leise:

»Du willst also dein väterliches Haus nicht wieder betreten? Willst du nicht noch einmal versuchen, persönlich deiner Mutter –«

»Nein!« unterbrach sie Gerald mit voller Bestimmtheit. »Sie weigerte sich, dich zu sehen, also bleibe auch ich ihr fern. Ich weiß, was ich meinem Weibe schuldig bin – entweder empfängt dich Schloß Steinach als seine junge Herrin, oder es sieht mich nicht mehr in seinen Mauern. Ich kenne freilich den feindseligen Einfluß, der dort gegen uns tätig ist; meine Mutter mag streng und stolz sein, diese grenzenlose Härte gegen ihren einzigen Sohn und Liebling liegt nicht in ihrem Charakter, das ist Arlows Werk! Du weißt, ich habe ihm nach unserer Verlobung geschrieben, offen und rückhaltlos, aber mit der Ehrfurcht eines Sohnes. Er würdigte mich keiner Antwort; aber er schrieb sofort an meine Mutter und stellte ihr die Sache in seiner Auffassung dar. Sie erhielt durch ihn die erste Nachricht, noch ehe mein Brief in ihre Hände gelangte, und wie diese Nachricht gelautet hat, ersah ich aus ihrer Antwort. Seit er wieder in der Heimat ist, hat er vollends das Feuer geschürt und es endlich zum offenen Bruch getrieben.«

»Seinen Haß kann ich tragen«, sagte Danira, deren Augen noch immer unverwandt auf jenem Hause hafteten. »Ich durchkreuzte ihm unfreiwillig seinen Lieblingswunsch, und er hegte ja stets Abneigung gegen mich; aber daß auch Edith sich in unversöhnlichem Grolle von mir wendet, das glaubte ich anfangs nicht überwinden zu können. Sie weiß durch meinen Brief, wie und wo wir uns gefunden haben, weiß, daß erst die Todesgefahr mich in deine Arme führte. Ich habe ihr nichts verschwiegen und sie mit der ganzen Innigkeit der Freundin, der Schwester gebeten, mir zu verzeihen, wenn ich ihr wehe getan – sie hat mir auch nicht mit einer einzigen Zeile geantwortet!«

»Der Vater wird es nicht geduldet haben, sein Verbot –«

»Edith läßt sich nichts verbieten. Sie ist gewöhnt, der Stimme ihres Herzens zu folgen, und sie ist allmächtig bei dem Vater. Hätte sie mir schreiben wollen, so wäre es geschehen jedem fremden Einfluß zum Trotz; aber sie kann es nicht verzeihen, daß ich ihr deine Liebe genommen habe – ich begreife das!«

Gerald schwieg, er wollte es nicht eingestehen, wie schwer die Unversöhnlichkeit seiner Mutter und Ediths auch auf ihm lastete; sie warf einen düsteren Schatten in das junge Glück der Neuvermählten.

Das Gespräch der Offiziere drüben war inzwischen lauter und lebhafter geworden, und der glücklich wieder aufgetauchte Leutnant Salten führte dabei das Wort.

»Gerald ist doch der Klügste von uns allen gewesen«, sagte er soeben. »Er hat sich ein ganz beneidenswertes Andenken an den Feldzug mitgebracht. Er wird Aufsehen machen in der Garnison mit seiner schönen Kriegsbeute, und wenn man nun erst den Roman erfährt, der sich daran knüpft –«

»Du bist ja auch gewissermaßen in diesen Roman verwickelt«, fiel einer der anderen Offiziere lachend ein. »Deine geraubte Brieftasche wenigstens spielte dabei eine verhängnisvolle Rolle.«

»Ja, der verwünschte Bube, der sich so dienstfertig anstellte und dabei als Spion ausgesandt war, stahl sie mir und brachte sie schleunigst seinem Herrn und Meister. Mit den Briefen und Notizen konnten sie freilich nichts anfangen; aber die Brieftasche selbst mußte ihnen als Mittel dienen, um Gerald in das Verderben zu locken. Wäre der Plan geglückt, dann hätten wir einen braven Kameraden weniger und – ah, da kommt das junge Paar! Sehen Sie nur, meine Herren, wie Frau von Steinach aussieht im Glanze der Morgensonne! Ich bleibe dabei, Gerald bringt das Beste von dem ganzen Feldzuge heim.«

Die übrigen Offiziere schienen durchaus derselben Meinung zu sein; denn als Gerald jetzt mit seiner Frau herantrat, erschöpften sie sich in Aufmerksamkeiten gegen die letztere, und das junge Ehepaar wurde sofort der Mittelpunkt eines Kreises, der es fürs erste nicht wieder freigab.

Währenddessen entstieg Jörg der Kajüte mit Jovica, die er glücklich einmal erwischt hatte. Er führte sie nach dem hinteren Verdeck, blieb aber in angemessener Entfernung von seinen Kameraden, die sich dort befanden und auch keinen Versuch machten, die beiden zu stören; denn man wußte nun nachgerade, daß Jörg in bezug auf seinen Schützling sehr empfindlich war, und daß es ihm wirklich nicht darauf ankam, die halbe Kompagnie niederzuschlagen, wenn er gereizt wurde. Augenblicklich aber zeigte er eine so würdevolle Miene, als ob er Pater Leonhard in eigener Person sei, und ebenso feierlich war sein Ton, als er anhob:

»Sieh dir deine Heimat noch einmal an, Jovica, denn du siehst sie zum letztenmal! Es ist zwar ein gottverlassenes Land, diese Krivoscie, und wir danken allen Heiligen, daß wir glücklich wieder heraus sind; aber es ist doch immer dein Vaterland, und das muß man halt respektieren.«

Jovica guckte nach den Bergen hinauf, weil ihr Gefährte dorthin zeigte; von seiner Rede verstand sie nur sehr wenig, und die Trennung von der Heimat schien ihr überhaupt nicht nahe zu gehen, denn sie sah höchst vergnügt aus, obgleich sie wußte, daß das Schiff sie in ein fernes, fernes Land trug.

»Wir gehen jetzt nach Tirol«, fuhr Jörg fort. »Nach dem schönen Land Tirol, und das ist etwas ganz anderes als eure Steinwüsten. Dort gibt es Wälder und Flüsse und Weinberge und Schlösser, und der Moosbacherhof ist nun vollends ein Hof, wie er nicht zum zweitenmal in der Welt gefunden wird. Der gehört dereinst mir! Verstehst du, Jovica? Ich bin kein so armer Schlucker wie der Bartel, der, wenn er die Uniform auszieht, wieder bei den Bauern Dienste nehmen muß; ich bin der einzige Sohn und Erbe des Moosbachers, und das will etwas sagen bei uns im Land.«

Jovica hörte andachtsvoll zu; aber ihr Deutsch war noch zu wenig entwickelt, um diese gerühmten Vortrefflichkeiten zu begreifen. Jörg sah es, daß sie ihn nicht verstand, und versuchte ihr Begriffsvermögen zu wecken, indem er ihre beiden Hände ergriff und sie näher zu sich zog, als urplötzlich wie aus einer Versenkung Pater Leonhard aus der Kajüte emportauchte und hinter den beiden stand.

»Was tust du hier auf dem hinteren Verdeck, Jovica, wo die Mannschaften sind?« fragte er mit ungewohnter Strenge. »Dein Platz ist dort drüben bei Frau von Steinach.«

»Nun, ich war bei ihr, Hochwürden, und da kommt ihr keiner von den anderen nahe«, mischte sich Jörg ein, der sich sofort seines Schützlings annahm. »Ich wollt' es auch keinem raten. Wenn es einer probiert, dann fliegt er in der nächsten Minute kopfüber in das Wasser.«

Das Gesicht des Paters Leonhard zeigte, daß er von diesem Schutze nicht besonders erbaut war; aber er wiederholte nur, zu Jovica gewandt:

»Geh zu Frau von Steinach!« Dann, als sie sich entfernt hatte, trat er vor sein Beichtkind hin, das eine sehr oppositionslustige Miene zur Schau trug:

»Was soll das heißen, Jörg? Ich habe dir ein für allemal diese Vertraulichkeit mit dem jungen Mädchen untersagt; aber du scheinst mein Gebot gar nicht zu beachten. Ich bin sehr unzufrieden mit dir.«

»Nun, Hochwürden, ich bin auch nicht zufrieden!« sagte Jörg trotzig. »Ich hab' die Jovica gefunden und an Kindesstatt angenommen, aber kein Mensch respektiert mich als Vater. Wenn ich das Mädel nur anschaue, sind Hochwürden da und halten mir eine Strafpredigt, und dann kommt der Herr Leutnant und nimmt es mir ohne weiteres fort als Zofe für seine Frau. Ich werd' gar nicht gefragt, ich hab' gar nichts dabei zu sagen – das leid' ich nicht länger!«

»Ich habe dir aber bereits verschieden Male auseinandergesetzt, daß du viel zu jung bist, um eine derartige Vertrauensstellung einzunehmen. Es geht nicht auf diese Weise.«

»Da haben Sie recht, Hochwürden!« stimmte der junge Tiroler so nachdrücklich bei, daß der Priester ihn ganz verwundert anschaute. »Ich hab' das schon längst eingesehen und wollte eben mit Ihnen darüber reden. Es geht doch nicht so recht mit dem Väterlichen, ich hab' gar kein Vergnügen davon, und deshalb werde ich die Geschichte beim andern Ende anfassen. Kurz und gut – ich will die Jovica heiraten.«

Pater Leonhard sah nicht gerade überrascht aus bei dieser Eröffnung, die er längst gefürchtet hatte; seine Stirn faltete sich, und seine Antwort klang sehr ernst:

»Das wirst du bleiben lassen! Das Mädchen ist noch ein halbes Kind, und überhaupt – ihr könnt euch ja noch nicht einmal miteinander verständigen.«

»Nein, verstehen tun wir uns nicht, aber lieben tun wir uns ganz ungeheuer,« sagte Jörg treuherzig, »und deshalb ist es am besten, wir heiraten uns.«

»Und deine Eltern? Hast du schon daran gedacht, was sie zu einer derartigen Wahl sagen werden?«

»Ja, meine Eltern! Die werden freilich einen Lärm erheben, daß man es im ganzen Land Tirol hört; deshalb werd' ich es machen wie der Herr Gerald und noch auf der Reise heiraten. Wir bleiben ja acht Tage in Triest, Hochwürden; da können Sie uns zusammengeben. Erst müssen Sie meine Braut natürlich taufen – denn im Heidentum kann sie doch nicht bleiben – und dann gleich hinterher trauen. Dann ist die Geschichte abgemacht, wenn ich heimkomme, und dann können sich meine Eltern und der ganze Moosbacher Hof auf den Kopf stellen – ich hab' die Jovica!«

Der Vorschlag kam so geläufig von den Lippen des jungen Tirolers, daß man wohl sah, er hatte sich längst eingehend damit beschäftigt; Pater Leonhard schien aber leider nicht geneigt, auf diesen vortrefflichen Plan einzugehen, denn er entgegnete streng:

»Schlage dir diese Torheiten aus dem Sinn; davon kann unter keinen Umständen die Rede sein.«

»Ich tu' es nur meinem Leutnant nach«, beharrte Jörg. »Bei dem setzten sich auch Himmel und Erde gegen das Heiraten in Bewegung, und die gnädige Frau Mutter und der Herr Oberst Arlow und der Herr Schwager und die ganze Sippschaft in der Krivoscie schrien Zeter und Mord. Er hat sich aber gar nicht darum gekümmert, sondern ist mit dem Kopfe mitten durch die Wand gegangen, und grad' so werd' ich es auch machen.«

»Die Sache liegt aber ganz anders bei dem Herrn von Steinach. Er ist schon seit mehreren Jahren mündig und Herr seines Willens, und übrigens hat er alles Mögliche versucht, um die Einwilligung seiner Mutter zu erlangen, ehe er den entscheidenden Schritt tat. Es ist mir schwer genug geworden, eine Ehe einzusegnen, der der mütterliche Segen fehlte; ich wich schließlich nur der Macht der Verhältnisse. Bei der Feindseligkeit, mit der sich Stephan Hersovac dieser Vermählung gegenüberstellte, konnte seine Schwester nicht länger in seinem Hause bleiben, und ebensowenig konnte sie als Braut ihren Verlobten begleiten. Deshalb allein vollzog ich die Trauung, und ich tat es in der Hoffnung, daß es mir noch gelingen werde, die Mutter umzustimmen. Du aber darfst überhaupt noch nicht heiraten ohne die Einwilligung deiner Eltern, und daß du diese nun und nimmermehr erlangen wirst, weißt du so gut als ich. Sie werden einfach glauben, daß du den Verstand verloren hast.«

»Ja, das hab' ich früher auch einmal geglaubt,« versetzte Jörg mit vollster Seelenruhe, »aber man ändert sich halt. Ich sagt' es Ihnen ja damals, Hochwürden: das ganze Volk da oben gibt sich mit dem Hexen ab, zumal die Weiber. Die Dani – wollt' sagen die junge gnädige Frau hat das an meinem Leutnant probiert und die Jovica an mir; ich bin jetzt gerad' so weit wie er. Aber schlimm befindet man sich bei der Hexerei gar nicht, und das Seelenheil kann am End' auch nicht dabei zu Schaden kommen, wenn eine hochwürdige Geistlichkeit den Segen darüber spricht, wie ich es gestern in der Kirche mit angesehen habe.«

»Ich wiederhole dir aber, daß der Fall ein durchaus anderer ist. Geralds Gattin gehört einem fremden Volke an; aber sie entstammt doch immer der ersten Familie dieses Volkes, und die Erziehung, die sie im Hause des Kommandanten empfangen hat, im Verein mit ihrer Persönlichkeit berechtigen sie vollkommen zu der Lebensstellung, die sie künftig einnehmen wird. Jovica ist ein Kind armer Hirten; sie ist noch nicht einmal Christin, versteht weder unsere Sprache noch unsere Sitten und wird sich vielleicht niemals darein finden lernen. Du mußt doch selbst einsehen, daß du ein solches Mädchen nicht zur Moosbachbäuerin machen kannst!«

»Ich seh' gar nichts ein – außer, daß ich die Jovica haben muß. Das geht einmal nicht anders, und bekommen werd' ich sie auch, darum mach' ich mir gar keine Sorge.«

»Und wenn nun deine Eltern den ungehorsamen Sohn enterben? Gerald von Steinach ist unter allen Umständen Erbe der väterlichen Güter, die er bereits übernommen hat; dir aber kann der Bauer jederzeit den Moosbacherhof entziehen, und wie ich ihn kenne, wird er das tun, wenn du auf deinem Willen beharrst. Was dann?«

»Dann laß ich den Hof in Kuckucks Namen fahren!« erklärte Jörg hartnäckig. »Jovica gilt mir mehr als die ganze Moosbacher Herrlichkeit. Der Herr Leutnant hat gar nichts dagegen, wenn ich bei ihm bleibe, das weiß ich, und seine Frau hat dann an der meinen eine Landsmännin. Es ist mein Ernst, Hochwürden, ich verzicht' auf mein Erbe, wenn es mich die Jovica kostet!«

Pater Leonhard sah, daß es leider Ernst war, und kannte den Starrkopf seines Beichtkindes hinreichend um nicht einen argen Familienkonflikt zu fürchten. Für den Augenblick jedoch wurde das Gespräch unterbrochen, indem einer der Offiziere herantrat und den Pater bat, ihm nach dem Vorderdeck zu folgen. Der Geistliche willfahrte, nachdem er Jörg noch ein ernstes: »Wir sprechen uns noch!« zugerufen; dieser aber lehnte sich trotzig an die Kajütenwand, verschränkte die Arme und ließ dabei seine Augen über das ganze Verdeck wandern, um Jovica zu entdecken.

Die junge Slavin befand sich bei Danira und wurde nach einiger Zeit von dieser mit einem Auftrage wieder in die Kajüte hinabgesandt. Sie vermied es gehorsam, den hinteren Raum des Schiffes zu betreten, und stieg mit trauriger Miene die Treppe hinunter; aber kaum war sie in dem Salon angelangt, wo sich augenblicklich niemand befand, so polterte es die Stufen herab, und Jörg in Lebensgröße stand in der Tür.

Jovicas ganzes Gesicht verklärte sich bei seinem Anblick; trotzdem aber warf sie einen besorgten Blick auf die Treppe und sagte ängstlich:

»Pater Leonhard!«

»Der ist oben auf dem Verdeck«, fiel Jörg ein. »Und wenn er auch käme, das machte nichts; ich hab' ihm eben gesagt, wie es mit uns beiden steht; aber dabei ist mir eingefallen, daß ich noch gar nicht mit dir geredet hab', Jovica. Gefragt mußt du doch einmal werden; also – ich will dich heiraten! Willst du mich?«

Der kurze und bündige Antrag stieß auf ein unerwartetes Hindernis: Jovica wußte nämlich durchaus nicht, was das fremde Wort bedeutete. Sie wiederholte es mit fremdartiger Aussprache, aber in einem Tone, der deutlich zeigte, daß sie nicht den geringsten Begriff damit verband.

»Ja so, sie versteht das nicht«, sagte Jörg in einiger Verlegenheit, denn es wurde ihm zum erstenmal klar, wie weit seine Braut noch in der Bildung zurück sei. »Nun, dann muß sie es lernen. Komm her, Jovica, und höre mir zu. Wir sind gestern in der Kirche gewesen und haben zugesehen, wie der Herr Leutnant und seine Braut getraut wurden. Wir zwei werden auch zur Kirche gehen, und Pater Leonhard wird uns ebenso zusammengeben. Begreifst du das?«

Er gab sich Mühe, sehr deutlich zu sprechen, und flocht hin und wieder ein slavisches Wort ein; das hatte auch Erfolg, denn das junge Mädchen nickte eifrig und erwiderte in gebrochenem Deutsch:

»Weiß schon – taufen – Christin werden.«

»Ja, und dann sogleich heiraten –!« ergänzte Jörg, das Wort energisch betonend, als könne er damit das Verständnis ermöglichen; aber Jovicas Sprachkenntnisse waren bis zu dem Begriff des Heiratens noch nicht vorgedrungen, sie wiederholte nur in fragendem Tone:

»Christin werden?«

»Das ist ja aber Nebensache, die Hauptsache ist das Heiraten!« rief der ungeduldige Freier, dessen Frömmigkeit in diesem Punkte nicht Stich hielt. »Mädel, um Gottes Willen, das mußt du doch begreifen, dazu bist du ja eigens in die Welt gekommen! Heiraten – Hochzeit machen – getraut werden!«

Aber so nachdrücklich und beinahe zornig er auch die Worte betonte, es war vergebens; das junge Mädchen sah ihn ratlos an und war nahe daran, zu weinen.

»Sie versteht es wahrhaftig nicht«, sagte Jörg in heller Verzweiflung. »Ich muß ihr das deutlicher machen«, und, als ob ihm plötzlich eine Erleuchtung gekommen sei, umfaßte er seinen Schützling und drückte einen herzhaften Kuß auf dessen Lippen.

Merkwürdig, jetzt auf einmal schien Jovica das Verständnis aufzugehen. Sie schrak zwar zusammen bei dem Kuß, aber sie sträubte sich nicht im mindesten dagegen, sondern schmiegte sich an den jungen Mann und blickte mit glückselig leuchtenden Augen zu ihm auf, während sie leise, in unendlich weichem Tone das Wort wiederholte, das Jörg ihr mit so großer Mühe beigebracht hatte.

»Gott sei Dank, jetzt endlich hat sie es begriffen; das hätt' ich gleich probieren können!« sagte er mit Genugtuung und fügte erklärend hinzu, indem er die neue Lehrmethode, die sich so ausgezeichnet bewährt hatte, noch verschiedene Male wiederholte:

»So macht man es, wenn man verheiratet ist, und schon früher. Der Unterschied ist nur, daß vorher eine hochwürdige Geistlichkeit dazwischen kommt und es verbietet, und nachher hat sie nichts mehr zu verbieten, sondern gibt ihren Segen dazu. – Und nun komm zu dem Herrn Leutnant und seiner Frau; die müssen es zuerst wissen, daß die Geschichte jetzt zwischen uns im Reinen ist, und daß wir uns heiraten. Jovica – sag' das Wort noch einmal! Es klingt gar so hübsch, wenn du es so ungeschickt herausbringst!«

Und Jovica, deren Begriffsvermögen sich wunderbar gehoben hatte, sprach das neugelernte Wort in der Tat zur vollen Zufriedenheit ihres Lehrmeisters und künftigen Eheherrn.

Der Dampfer hatte inzwischen seinen Weg fortgesetzt und näherte sich jetzt dem Ausgange der Bucht. Gerald und Danira blickten noch einmal zurück auf das langsam entschwindende Bild. Leise wogte die Flut und blitzte im Sonnenschein; fern am Ufer lag Cattaro mit seinen weißen Häusern und dem ragenden Kastell, und unmittelbar darüber stiegen die dunklen Berge auf, deren zackige zerrissene Gipfel sich heute im vollen Morgenlichte badeten. Jetzt passierte das Schiff die Enge, welche die Bucht abschloß; düster und drohend wuchsen die Felsen aus der Flut empor, als wollten sie den Weg verlegen, und dann tat sich das blaue, wogende Meer auf, so wie es damals von jener Felsenhöhe erschienen, eine duftumschleierte, sonnenbeglänzte Weite.

*


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