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Zweites Kapitel.

Fast drei Wochen waren seit der Ankunft des Regiments verstrichen. Der größte Teil desselben war schon nach dem Schauplatz der Insurrektion aufgebrochen, nur die Abteilung Geralds befand sich noch in Cattaro. Seine Geduld wurde dadurch freilich auf eine harte Probe gestellt. Er war mit seinen Leuten einstweilen nach dem Kastell beordert worden, das sich über der Stadt erhob und augenblicklich nur als Gefängnis diente. Der Dienst war daher sehr leicht, und der junge Offizier konnte täglich einige Stunden in der Stadt und bei seiner Braut zubringen, was auch regelmäßig geschah.

Es war noch sehr zeitig am Morgen. Die Frühnebel lagen dicht auf der Bucht und den Bergen, und am Hafen regte sich noch wenig von dem gewohnten Treiben. Unter den einzelnen Schiffern und Arbeitern, die schon zur Stelle waren, zeigte sich auch die Gestalt Georg Moosbachers, der in voller Uniform auf- und abspazierte, sich aber sichtlich dabei langweilte.

Er hatte es zwar versucht, mit einem der Schiffer ein Gespräch anzuknüpfen, da dieser aber nur slavisch verstand, und die Pantomime zur Verständigung nicht ausreichte, so mußte die Unterhaltung abgebrochen werden. Jörg schlenderte mißmutig weiter und brummte etwas von unwissendem Volk, das nicht einmal Tiroler Deutsch verstehe, als eine Stimme hinter ihm sagte:

»Das ist ja der Jörg vom Moosbacher Hofe!«

Der Gerufene fuhr auf und wandte sich um. Vor ihm stand ein Geistlicher in der Ordenstracht der Franziskaner, eine hohe Gestalt mit ernsten, tiefdurchfurchten Zügen, in denen jedoch keine Strenge lag, die Augen hatten vielmehr einen unverkennbaren Ausdruck von Güte und Wohlwollen, und derselbe Ausdruck lag auch in seiner Stimme, als er jetzt hinzusetzte:

»Grüß Gott, Jörg, hier in der Fremde!«

Jörg hätte beinahe einen höchst respektwidrigen Freudensprung gemacht, statt dessen aber beugte er sich nieder und küßte ehrfurchtsvoll die Hand des Priesters.

»Hochwürden Pater Leonhard! Hab ich doch nicht gedacht, daß Sie hierher an das Ende der Welt kommen würden. Ich meinte, Sie säßen daheim im schönen Tirol unter den Christenmenschen!«

»Nun, unter die Heiden scheine ich hier auch nicht geraten zu sein, denn das erste Wesen, das mir in Cattaro begegnet, ist eins meiner Beichtkinder«, sagte der Pater lächelnd. »Ich bin gestern erst angelangt und bin gesandt, um den Pater Anton zu ersetzen, der das Klima nicht vertragen kann. Ich werde statt seiner das Regiment begleiten.«

Das Antlitz des jungen Soldaten verklärte sich förmlich bei dieser Nachricht.

»Sie gehen mit uns, Hochwürden? Gott sei Dank! Dann haben wir doch ein Gutes in der Wildnis – Krivoscie nennen sie das Ding! Das ist schon ein so barbarischer Name, daß eine ehrliche Tiroler Zunge ihn gar nicht aussprechen kann. Da oben gibt es nämlich nichts als Steine, Räubergesindel und Ziegen, zu essen findet man nichts und zu trinken« – Jörg seufzte tief und schmerzlich – »zu trinken noch weniger, und wenn man sich abends niederlegt, kann es passieren, daß man mit abgeschnittenem Kopfe wieder aufwacht.«

»Das wären allerdings traurige Verhältnisse! Aber wie ich höre, ist das Regiment längst von Cattaro abgegangen, was tust du denn noch hier in der Stadt?«

»Wir sind einstweilen hier geblieben, der Herr Leutnant, ich und noch einige fünfzig Mann. Wir sitzen da oben in dem alten Gemäuer – Kastello heißt man es – und bewachen ein paar von den Ohrenabschneidern, die wir glücklich erwischt haben. Der Herr Gerald ist natürlich wütend darüber, aber das hilft ihm nichts!«

»Gerald von Steinach?« fragte der Pater. »Ich glaube nicht, daß er die Verzögerung so schwer erträgt, da Oberst Arlow Kommandant der hiesigen Garnison ist.«

»Ich glaube, er wäre viel lieber da oben bei den Wilden«, sagte Jörg lakonisch.

»Weshalb? Ist denn seine Braut nicht in der Stadt?«

»Das schon! Und er ist auch Bräutigam, das steht fest, aber – die Geschichte gefällt mir nicht!«

Pater Leonhard stutzte. »Was gefällt dir nicht? Die Braut des Herrn von Steinach?«

»Das gnädige Fräulein?« rief Jörg enthusiastisch. »Das ist, mit Respekt zu sagen, ein Prachtmädel! Die sieht aus wie der leibhaftige Sonnenschein, und lachen kann sie und Possen treiben wie ein Kobold. Ich steh' bei ihr in Gnaden und muß ihr stets von unserem Tirol erzählen, wo sie ja auch geboren ist. Nein, die gefällt mir sehr, Hochwürden.«

»Nun, was meintest du denn aber mit deiner Bemerkung?«

Der junge Soldat fuhr verlegen mit der Hand durch sein schwarzes Kraushaar.

»Ich weiß nicht – der Herr Gerald küßt ihr ja immer die Hand und bringt ihr auch Blumen und reitet und fährt mit ihr spazieren – aber ich würde mit meinem Schatz anders umgehen.«

»Das glaube ich«, sagte der Pater mit einem flüchtigen Lächeln. »Aber in den Kreisen des Freiherrn von Steinach freit man anders als im Moosbacher Hofe.«

»Schon recht! Ich weiß schon, daß es bei den Vornehmen anders zugeht als bei unsereinem, aber wenn man verliebt ist, dann ist's eins beim Bauern wie beim Grafen, und verliebt ist der Herr Gerald blutwenig. Kurz und gut – die Sache hat einen Haken, und da müßte sich eigentlich eine hochwürdige Geistlichkeit einmischen und sie wieder in Ordnung bringen.«

Er blickte so treuherzig bittend zu dem Priester auf, daß man wohl sah, er war felsenfest überzeugt, eine hochwürdige Geistlichkeit könne alles in Ordnung bringen, was sie überhaupt in die Hand nahm. Pater Leonhard aber sagte abwehrend:

»Nein, Jörg, dergleichen muß das junge Paar allein unter sich ausmachen, da taugt keine Einmischung. Sie werden sich schon näher kennen und lieben lernen. Gerald von Steinach ist ja ein vortrefflich angelegter Charakter.«

»Ja, leider nur gar zu vortrefflich!« fuhr Jörg heraus. »Ich glaube, er hat noch nie in seinem ganzen Leben eine Dummheit gemacht, und Dummheiten muß der Mensch machen, Hochwürden, dafür ist er Mensch, das geht nicht anders.«

»Das hast du allerdings hinreichend bewiesen. Der Moosbacher und die Bäuerin sind in Sorge, wie es ihrem leichtsinnigen und etwas rauflustigen Buben in der Fremde gehen mag. Ich habe ihnen versprochen, ein Auge auf dich zu haben, aber ich denke doch, du hast das Versprechen gehalten, das du mir beim Abschiede gabst. – Freilich woher stammt denn dann die Beule da auf deiner Stirn?«

Jörg fuhr schnell mit der Hand nach dem Kopfe und zog das Käppi herunter, so daß die verdächtige Stelle verdeckt wurde.

»Das ist nicht der Rede wert! Das war nur zum Vergnügen, damit man doch nicht ganz aus der Übung kommt. Übrigens hat der Bartel angefangen, er gab mir einen Faustschlag, aber nur einen einzigen, und ich gab ihm sechs zurück. Er kommt mir sobald nicht wieder nahe.«

»Jörg, du bist unverbesserlich!« sagte der Pater ernst, aber der Sünder sollte für diesmal noch der verdienten Strafrede entgehen, denn gerade jetzt erschien Gerald, der vom Kastell kam und überrascht und erfreut den Geistlichen begrüßte, von dessen Ankunft er gleichfalls noch nichts wußte.

Auch hier wurden Grüße und Fragen nach der Heimat ausgetauscht, und als Pater Leonhard erklärte, daß er im Begriff sei, den Kommandanten aufzusuchen, erbot sich der junge Offizier, ihn dorthin zu geleiten. Zuvor aber wandte er sich noch einmal um mit der Frage:

»Die Maultiere sind doch rechtzeitig bestellt, Jörg?«

»Ja, Herr Leutnant, in einer halben Stunde sind sie vor dem Hause des Herrn Oberst.«

»Gut, ich denke, die Damen werden bis dahin fertig sein. Melde es mir, wenn die Tiere da sind.«

Er schritt im Gespräch mit dem Priester davon, und Jörg folgte, in höchster Befriedigung darüber, daß eine hochwürdige Geistlichkeit mit in die »Wildnis« ging, wie er hartnäckig die Krivoscie nannte.

*

Im Hause des Obersten war trotz der frühen Stunde schon alles wach und bereit zu dem Ausfluge, den man gestern verabredet hatte, bis auf Fräulein Edith, der es in letzter Stunde noch einfiel, ihre Teilnahme an der Partie zu verweigern. Sie fand das Wetter zu unsicher, den Weg zu weit, den Ritt zu anstrengend, kurz, sie wollte zu Hause bleiben, und der Vater, anstatt dieser Launenhaftigkeit mit einem Machtworte entgegenzutreten, versuchte es mit Vorstellungen.

»Aber Kind, so nimm doch Vernunft an«, ermahnte er. »Was soll Gerald davon denken, wenn du wirklich zurückbleibst? Muß er nicht glauben, daß dir seine Nähe und seine Begleitung ganz gleichgültig sind?«

»Vielleicht so sehr wie ihm die meinige!« lautete die trotzige Antwort. »Nun gut, dann sind wir quitt.«

»Ihr hattet gestern eine kleine Szene miteinander. Ich sah es an euren Mienen, als ich in das Zimmer trat, und das soll nun der arme Junge büßen. Nimm dich in acht, Edith, und spanne die Saite nicht zu straff, er ist nicht allzu nachgiebig in dieser Hinsicht.«

»Papa, du hast mich lieb, nicht wahr?« Die Stimme des jungen Mädchens hatte einen ganz ungewohnten, herben Klang. »Du würdest selbst einen Lieblingswunsch opfern um meinetwillen, du würdest mich nie zu einer Verbindung zwingen, die –«

»Um Gottes willen, was soll das heißen?« rief der Oberst, in vollem Ernste erschrocken. »Was ist denn zwischen euch vorgefallen?«

Statt aller Antwort begann Edith zu weinen, so bitter und schmerzlich, daß der Vater in die höchste Besorgnis geriet.

»Aber Kind, was hast du denn eigentlich gegen Gerald? Ist er nicht ein aufmerksamer, ritterlicher Bräutigam? Erfüllt er nicht jeden deiner Wünsche? Ich begreife dich nicht.«

»O ja, er ist aufmerksam und ritterlich und – eisig, daß es mich bisweilen ganz kalt anweht. Danira hatte recht, als sie mir schon beim Anblick seines Bildes sagte, er könne überhaupt nicht lieben und werde es nie lernen. Ich habe noch nicht ein einziges, zärtliches Wort aus seinem Munde gehört, aber dafür spielt er den Mentor bei jeder Gelegenheit, und wenn ich das nicht dulde, dann zuckt er die Achseln und lächelt mitleidig, wie man über ein Kind lächelt – das ertrage ich nicht länger!«

Der Oberst ergriff die Hand des leidenschaftlich erregten Mädchens und zog es an sich.

»Edith, du weißt, wie sehr mir und Geralds Mutter dieser Wunsch am Herzen liegt, aber du weißt auch, daß ich dich niemals zwingen werde. Sei aufrichtig, spricht in deinem Herzen wirklich keine Stimme für den Jugendgespielen?«

Eine verräterische Glut floß über Ediths Gesicht, und, sich in die Arme des Vaters schmiegend, verbarg sie den Kopf an seiner Brust.

»Er hat mich ja nicht lieb!« schluchzte sie. »Er hat nichts als den Feldzug im Kopfe. Der Boden brennt ihm hier unter den Füßen, er möchte fort, je eher, je lieber; daß ich zurückbleibe, kümmert ihn nicht im mindesten.«

»Du irrst«, sagte Arlow ernst, aber mit voller Überzeugung. »Gerald könnte etwas weniger Soldat und etwas mehr Bräutigam sein, das gebe ich zu, aber an seiner Liebe darfst du nicht zweifeln. Leidenschaftlichkeit liegt nun einmal nicht in seinem Charakter, aber je mehr ich diesen Charakter kennen lerne, je mehr bürgt er mir für dein künftiges Glück. Hast du es denn schon versucht, ihn ernstlich zu fesseln. Ich glaube nicht.«

Edith richtete sich empor, sie ließ sich offenbar sehr gern überzeugen und, leise fragte sie:

»Du meinst, Papa? –«

»Ich meine, daß Gerald bisher mehr von deinen Launen kennen gelernt hat als von deiner Liebenswürdigkeit. Sollte es meiner kleinen Edith denn wirklich nicht gelingen, Funken aus dem Stein zu schlagen, wenn sie es auf diesem Wege versucht? Sie weiß ja doch sonst überall ihren Willen durchzusetzen. – Und nun geh, mein Kind, und mache dich fertig zu dem Ritt, ich werde inzwischen den Herrn Leutnant einmal ins Gebet nehmen. Er hat jedenfalls keine Ahnung davon, wie übel ihm sein Kriegseifer ausgelegt wird.«

Die junge Dame fand es diesmal für gut, der Weisung zu folgen. Mitten durch ihre Tränen brach schon wieder ein Lächeln, denn soeben ertönte Geralds Stimme im Vorzimmer.

»Da ist er!« flüsterte sie. »Verrate es ihm nicht, Papa, daß ich geweint habe«, und ohne eine Antwort abzuwarten, schlüpfte sie aus dem Zimmer.

Der Oberst schüttelte lächelnd den Kopf, er war jetzt beruhigt über eine etwaige Abneigung seiner Tochter gegen den ihr bestimmten Bräutigam, aber aus dem »ins Gebet nehmen« wurde für heute nichts, da Gerald in Begleitung des Pater Leonhard erschien, den er dem Kommandanten vorstellte.

*

Der Nebel begann zu sinken, als die kleine Kavalkade die Stadt verließ. Es ging vorbei an den Befestigungsmauern, an dem Kastell, das dräuend von seinem Felsen herabschaute, ins Freie. Das Ziel des heutigen Ausfluges war ein Fort, das einige Stunden entfernt auf steiler Höhe lag und in seiner beherrschenden Lage eine weite und prachtvolle Aussicht gewährte. Man wollte bei dieser Gelegenheit auch dem dort kommandierenden Offizier einen kurzen Besuch abstatten, denn die Beschränkung, die Fremden den Eintritt untersagte, existierte natürlich nicht für den Schwiegersohn des Kommandanten. Der Oberst selbst wurde durch Dienstgeschäfte in der Stadt zurückgehalten, und so begleitete Gerald allein die beiden Damen.

Die Bergstraße, die hauptsächlich militärischen Zwecken diente und deshalb vorzüglich angelegt war, begann unmittelbar hinter der Stadt. Anfangs zeigten sich noch Bäume und Gebüsche zu beiden Seiten, aber bald verschwand das Grün, und der Weg stieg durch ödes, felsiges Gestein und in zahlreichen Windungen empor zu der Höhe.

Der schwere, dichte Wolkenvorhang, der bei Tagesanbruch die ganze Landschaft verbarg, begann sich immer mehr zu lichten, er ward zum leichten, durchsichtigen Schleier und zerrann endlich ganz in bläulichen Duft. Immer tiefer sank die Bucht mit ihren Umgebungen, und immer höher und schroffer stiegen die Berge empor, je mehr man sich ihnen näherte.

Bei Edith kam das »Aprilwetter« heute zu seinem vollen Rechte, dem Regenschauer von heute morgen war heller Sonnenschein gefolgt. Man sah es diesen leuchtenden, lachenden Augen nicht an, daß sie noch vor einer Stunde Tränen vergossen hatten. Die zierliche Gestalt in dem dunkelblauen Reitkleide mit dem wehenden Schleier saß so leicht und graziös auf dem Maultiere und erschien so frisch und sonnig wie der Tag, der sich dort aus den Nebeln emporrang.

Ob die väterliche Ermahnung beherzigt worden war, oder ob Edith sich wirklich vorgenommen hatte, Funken aus dem Stein zu schlagen, genug, sie war heute von einer so bezaubernden Liebenswürdigkeit, daß selbst die kühle Ruhe Geralds nicht davor standhielt. Er hätte auch in der Tat von Stein sein müssen, um gleichgültig zu bleiben bei diesem Sprühfeuer von Scherzen und Neckereien. Das Lächeln, das seinen ernsten Zügen so gut stand und doch so selten darauf erschien, zeigte sich immer häufiger, und er ließ sich ganz gegen seine Gewohnheit von der Heiterkeit seiner Braut mit fortreißen.

Während so das junge Paar im besten Einvernehmen vorausritt, folgte Danira langsamer. Sie hielt wie absichtlich ihr Maultier um einige Schritte zurück, und der Raum zwischen ihr und den beiden andern ward unmerklich immer größer. Den Beschluß des Zuges machte Jörg, der wohlgemut dahin trabte und Betrachtungen darüber anstellte, wie töricht es doch von seinem Leutnant sei, sich so nach dem Feldzuge zu sehnen, wo man in Staub und Sonnenglut marschieren mußte, während man hier so ganz bequem auf Maultieren spazieren ritt.

Sie hatten ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt, als ihnen ein einzelner Reiter begegnete. Er trug die malerische Tracht der Bergvölker des Landes, die der kraftvollen Gestalt und dem dunklen Gesichte des schon älteren Mannes vorzüglich stand. Die reiche Kleidung und das kleine, aber tüchtige Bergpferd mit seinem glänzend braunen Fell und bunten Zaumzeug verrieten, daß er zu den Reichen und Angesehenen seines Volkes gehörte, und überdies ging ihm noch ein Diener oder Untergebener voraus, der gleichfalls die Landestracht trug, aber zu Fuße war.

Die beiden kamen einen steilen Saumpfad herab, der hier in die Bergstraße mündete, und in einer schmalen Windung der letzteren trafen sie mit Gerald und Edith zusammen. Der Fremde hielt sein Pferd an, um sie vorbeizulassen, er grüßte stolz und würdevoll, aber dabei fiel ein feindseliger Blick auf den jungen Offizier. Dieser dankte militärisch, und Edith, der die imponierende Erscheinung gefiel, neigte freundlich das Haupt.

Sie waren bereits eine Strecke voraus, als Danira jene Stelle passierte. Der Fremde hielt noch immer ernst und beweglich auf seinem Rosse; auf einmal strauchelte das Maultier des jungen Mädchens, bäumte sich dann hoch auf und machte einen Sprung gegen die Felswand. Es war ein gefährlicher Moment, als jener Reiter mit kräftigem Griff die Zügel des Tieres packte und es festhielt. Dabei sagte er halblaut einige Worte in slavischer Sprache. Danira antwortete ebenso, es mochte wohl ein Dank für die geleistete Hilfe sein. Einige Minuten hielten die Tiere dicht nebeneinander, während der Fremde weitersprach; erst als Jörg herankam, gab er die Zügel frei und wandte sich mit kurzem Gruße ab, während Danira weiter ritt.

Auch Gerald und Edith waren aufmerksam geworden, sie hatten sich umgewandt und den Vorfall mit angesehen. Ein Grund zur Besorgnis war zwar nicht vorhanden, da die Reiterin fest im Sattel blieb, dennoch hielten sie an.

»Siehe da, Danira hat auf offener Bergstraße einen Ritter gefunden!« sagte Edith lachend. »Ihre Landsleute pflegen doch sonst nicht gerade den Frauen Ritterdienste zu leisten; das scheint ein Ausnahmefall zu sein.«

»Es ist auch ein Ausnahmefall, wenn ein ruhiges und sicheres Maultier auf glattem Wege strauchelt«, erwiderte Gerald, ohne den Blick von jener Gruppe abzuwenden. »Ich begreife nicht, wie das überhaupt geschehen konnte, es muß gereizt worden sein.«

»Da bist du ja! Was ist denn vorgefallen?« rief Edith ihrer Pflegeschwester entgegen, die bei dem kleinen Unfall ganz gleichgültig war und jetzt ruhig entgegnete:

»Ich weiß es nicht; irgend etwas muß das Tier erschreckt haben.«

»Kannten Sie den Mann, Fräulein Danira?« fragte Gerald.

»Nein, ich dankte ihm nur für seine Hilfe.«

Die Antwort klang so bestimmt und abweisend, als wollte sie jeder ferneren Frage vorbeugen. Der junge Offizier schwieg auch, er warf nur einen scharfen Blick zurück, wo der Fremde soeben in der Biegung des Weges verschwand, Edith dagegen fragte neugierig:

»Kanntest du ihn, Gerald?«

»Gewiß, es ist Joan Obrevic, der Führer eines Hauptstammes der Bergvölker, der sich zwar noch nicht offen gegen uns erklärt hat, aber jedenfalls nur auf das Signal wartet, um gleichfalls in offene Empörung auszubrechen. Er ist seit einigen Tagen in Cattaro, angeblich um Unterhandlungen einzuleiten, und leider hat man ihn nicht ohne weiteres damit abgewiesen.«

»Leider?« wiederholte Danira. »Sie scheinen das zu bedauern, Herr von Steinach.«

»Gewiß, denn ich halte das Ganze nur für einen Vorwand, um Zeit zu gewinnen oder anderweitige Bestrebungen zu verdecken. Joan Obrevic hat allerdings Grund, sich vorläufig noch passiv zu verhalten, da sein Sohn sich in unserer Gefangenschaft befindet. Dieser Sohn war einer der ersten, der sich widersetzte, als er zur Militärpflicht gezwungen werden sollte, und dabei schoß er ohne weiteres den Offizier nieder, der das Detachement führte. Es war der Anfang jener blutigen Szenen, die sich seitdem so oft wiederholt haben, aber es gelang wenigstens, sich des Mörders zu versichern.«

»Des Mörders – weil er seine Freiheit verteidigte?«

»Weil er den Offizier, der in ruhiger Unterhandlung vor ihm stand und auf keinen Angriff gefaßt war, meuchlings niederschoß – bei zivilisierten Völkern nennt man das Mord, mein Fräulein!«

Frage und Antwort klangen in gleicher Schärfe, aber jetzt mischte sich Edith ein, die mit äußerster Ungeduld zugehört hatte.

»Mein Gott, so hört doch endlich auf mit diesen politischen und militärischen Erörterungen! Ich werde den Jörg zu meinem Kavalier erheben, der gibt sich wenigstens Mühe, mich zu unterhalten, und langweilt mich nicht mit Insurrektionsberichten.«

Die Drohung war wohl kaum ernstlich gemeint, dennoch schien sie Gerald so zu nehmen, er erwiderte kühl:

»Wenn du Jörgs Begleitung der meinigen vorziehst, so – muß ich mich allerdings fügen.«

Das war wieder das Achselzucken und das mitleidige Lächeln, das die junge Dame stets so außer sich brachte, es tat auch heute seine Wirkung. Sie zog hastig die Zügel an, wandte sich dann um und rief laut:

»Jörg, komm hierher zu mir! Wir wollen vorausreiten!« Und damit lenkte sie in den Saumpfad ein, der, steil emporsteigend, einen großen Bogen der Bergstraße abschnitt.

Jörg ließ sich das nicht zweimal sagen. Er setzte sich schleunigst in Trab und war schon in der nächsten Minute zur Stelle. Zwischen ihm und dem gnädigen Fräulein hatte sich bereits ein ganz vertrauliches Verhältnis gebildet. Ihr gefiel der etwas derbe, aber drollige und diensteifrige Bursche, sie sah in ihm mehr den Jugendgespielen als den Untergebenen ihres Bräutigams und hatte sofort seine Bitte gewährt, ihn mit dem heimischen »Du« anzureden. Jörg seinerseits war nicht wenig stolz auf seine Vertrauensstellung, er hegte beinahe mehr Enthusiasmus für die Braut seines Leutnants als dieser selbst.

Es ging etwa zehn Minuten scharf bergan, dann erreichte man wieder die Straße und war nun allerdings den Zurückgebliebenen weit vorausgekommen. Edith hielt ihr Maultier an, und Jörg tat desgleichen.

»Wir warten wohl hier auf den Herrn Leutnant?« fragte er.

Die junge Dame warf einen Blick zurück. Ihr Zorn war bereits verflogen, aber strafen wollte sie Gerald doch für seinen Mangel an Galanterie, indem sie ihn zwang, mit Danira zu reiten. Sie wußte, daß er eine entschiedene Abneigung gegen ihre Pflegeschwester hegte, und daß dies Gefühl gegenseitig war, denn auch Danira mied ihn, wo sie nur konnte. Edith ergötzte sich ungemein bei dem Gedanken an den Ärger der beiden, wenn sie auf ein längeres Alleinsein angewiesen waren.

»Nein, Jörg«, sagte sie. »Da wir einmal voraus sind, so wollen wir auch die ersten droben am Fort sein – wenn du mir nämlich folgen willst?«

»Ich, gnädiges Fräulein – bis in die Krivoscie, wenn Sie befehlen!« rief Jörg, dessen Zunge jedesmal einen Krampfanfall zu bestehen hatte, wenn er das ominöse Wort aussprach.

»Nun, so weit geht es für heute nicht, aber ich weiß diesen Beweis deiner Ergebenheit zu schätzen, die Krivoscie ist ja für dich der Inbegriff alles Schrecklichen. Um so besser! Da kommst du wenigstens nicht in Gefahr, dir eine von den Krisvoscianerinnen mitzubringen, um sie daheim zur Moosbachbäuerin zu machen.«

Der junge Tiroler ließ vor Schreck die Zügel fallen und bekreuzigte sich.

»Sankt Georg steh mir bei! Da müßte ich doch zuvor den Verstand verloren haben und den Kopf dazu. Ich glaube, mein Vater verschriebe den ganzen Moosbacher Hof dem Kloster, wenn ich ihm eine solche Wilde in das Haus brächte, und da tät' er recht.«

»Dein Vater erwartet natürlich, daß du ihm eines von den Mädchen des Landes als Schwiegertochter in das Haus führst?«

»Eine andere wird's auch nimmermehr!« versicherte Jörg feierlich. »Es geht nichts über ein ›Tiroler Madel‹ Das taugt mehr als all die andern zusammen.«

»Ich bin durchaus deiner Meinung, um so mehr, als ich ja auch im Grunde ein ›Tiroler Madel‹ bin, und wer weiß – wenn ich nicht schon versagt wäre, so hätte ich am Ende Aussicht, Bäuerin auf dem Moosbacher Hofe zu werden.«

»Ja, das könnt' schon passieren!« meinte Jörg offenherzig. »Ich hätt' gar nichts dagegen, ich nähm' Sie gleich auf der Stelle, gnädiges Fräulein – aber es geht halt nicht an.«

Edith brach in lautes Lachen aus. »Nein, es geht wirklich nicht an, aber dein Antrag ist mir doch sehr schmeichelhaft, ich werde ihn jedenfalls ernstlich überlegen. Und nun laß uns weiterreiten, die Tiere haben genug geruht.« Sie trieb ihr Maultier an, und Jörg folgte. Er blieb respektvoll einige Schritte hinter der jungen Dame zurück, aber er empfand doch ein gewisses Bedauern darüber, daß es »halt nicht anging«.

Gerald und Danira verfolgten inzwischen allein ihren Weg. Die letztere hatte allerdings einen Moment angehalten und gefragt: »Wollen wir nicht folgen?«

»Ich denke nicht«, sagte Gerald mit so kühler Gelassenheit, daß man sah, er war durchaus nicht willens, der Laune seiner Braut nachzugeben. »Der Saumpfad ist steil und steinig. Ich wenigstens ziehe es vor, die bequeme Bergstraße zu reiten.«

»Und Edith eine Lehre zu geben«, ergänzte Danira halblaut.

»Edith muß allerdings lernen, meinem Beruf etwas mehr Interesse zu widmen, das ist unerläßlich für die Frau eines Soldaten.«

»Gewiß, ich fürchte nur, daß Sie mit dieser Art zu lehren nichts erreichen werden.«

»Weshalb nicht? Edith ist noch ein halbes Kind, und Kinder müssen erzogen werden. Wenn Sie mir jedoch in dieser Hinsicht Ratschläge geben wollen, gnädiges Fräulein, so werde ich Ihnen dankbar sein.« Es lag ein unverhohlener Spott in diesem Appell an den Rat des siebzehnjährigen Mädchens, aber der kalte, finstere Blick, der den Spott beantwortete, zeigte, daß dieser nicht traf. Die junge Slavin war kein Kind mehr, der dunkle Schatten auf ihrer Stirn verriet, wie weit sie bereits ihren Jahren vorausgeeilt war.

»Edith ist nur in einer Weise zu leiten«, sagte sie. »Dann aber auch unbedingt – man muß sich an ihr Herz wenden.«

»Und das habe ich bisher nicht verstanden, wie Sie meinen?«

»Das haben Sie bisher nicht gewollt, wie es scheint. Der Mentor wird bei diesem verwöhnten Kinde nie etwas erreichen – der Bräutigam alles.«

Gerald biß sich auf die Lippen; er fühlte die Gerechtigkeit des Vorwurfs, aber er empfand auch etwas von der Gereiztheit Ediths, wenn sie zurechtgewiesen wurde. Jetzt passierte ihm das, und er fand nicht einmal eine passende Antwort darauf.

*

Die Bergstraße begann jetzt, wo sie sich der Höhe näherte, in steileren Windungen emporzusteigen. Danira ritt dicht am Abhang, obgleich ihr Maultier vorhin erst gezeigt hatte, wie wenig zuverlässig es war, aber sie schien in dieser Beziehung ganz sorglos zu sein. Gerald konnte nicht umhin, zu bemerken, wie vollkommen ruhig und sicher das Tier jetzt auf dem losen Geröll dahinschritt, und wie fest diese schmale Hand es zu zügeln wußte; sie hatte es augenscheinlich ganz in der Gewalt, um so unerklärlicher blieb jener Vorfall.

Sie erreichten soeben einen breiteren, felsigen Vorsprung, als Danira plötzlich die Zügel an sich zog und sich auf den Sattel niederbeugte.

»Ist Ihnen etwas geschehen?« fragte Gerald, aufmerksam werdend.

»Nichts von Bedeutung. Bei dem heftigen Sprunge vorhin muß irgend etwas an dem Sattelzeug in Unordnung geraten sein. Ich bemerke es erst jetzt.«

Der junge Offizier hielt sofort an und stieg ab, aber auch seine Begleiterin schwang sich so rasch aus dem Sattel, daß sie bereits auf dem Boden stand, als er herantrat. Er sah, daß sie seine Hilfe vermeiden wollte, und wandte sich daher, ohne ein Wort weiter zu verlieren, zu dem Tiere. Der Schaden war nicht groß, der Sattelgurt hatte sich nur unbedeutend gelockert. Gerald brachte ihn wieder in Ordnung und sagte dann, sich aufrichtend:

»Ich denke, wir lassen die Tiere einige Minuten rasten. Sie haben einen scharfen Weg gemacht, und das Fort liegt noch eine ganze Strecke entfernt.«

Er schlang die Zügel lose ineinander und trat dann gleichfalls hinaus auf jenen Vorsprung, wo Danira bereits stand und in die Ferne blickte.

 

Es war ein ebenso großartiges als eigenartiges Landschaftsbild, das sich dort aufrollte, ein Bild, das in seinem weiten Rahmen die schroffsten Gegensätze einschloß. Öde Felsenwildnis und grüne, lachende Gestade, weißleuchtende Ortschaften im hellsten Sonnenschein und düstere Schluchten, wohin kaum ein Strahl des Tages drang. Die Üppigkeit des Südens und die rauhe Einsamkeit des Nordens, aber das alles lag wie verklärt im Morgenglanze, im klaren, goldigen Lichte.

Dort tauchte die Stadt auf mit ihrem Hafen und dem Kastell, malerisch hingelagert an der Küste, und unmittelbar darüber begann wieder der Fels, nacktes dunkelgraues Gestein, das immer höher, immer wilder emporstrebte und endlich in zackigen, zerrissenen Gipfeln endigte. Tief unten schimmerte die Bucht mit ihren seltsam geschwungenen Linien, die sich bald zu suchen und zu berühren schienen, bald wieder weit zurückflohen. Wie ein leuchtender Metallspiegel blitzte die Wasserfläche, wo sie von den Strahlen der Sonne getroffen wurde, und dieselbe Flut lag wieder schwarz und unbewegt im Schatten der hohen Felsen, die förmlich daraus emporwuchsen, und deren jäh abstürzende Wände die Wogen bespülten.

Über Felsen und Fluten hinaus aber schweifte der Blick in die offene See. Dort in der Ferne blaute das Meer, eine duftumschleierte, sonnenbeglänzte Weite, die sich endlos, grenzenlos auszudehnen schien, denn dort, wo sie den Horizont berührte, zerfloß sie in eins mit dem tiefen Blau des Himmels, der sich in der vollen, leuchtenden Pracht des Südens über dem Ganzen wölbte.

Geralds Blick ruhte unverwandt auf diesem herrlichen Landschaftsgemälde, dessen wechselvoller Reiz auch ihn gefangen nahm. Endlich wandte er sich zu seiner Begleiterin, aber sie bemerkte es nicht, ihre Augen hatten sich träumend in die Weite verloren und hingen jetzt an den Felshäuptern ihrer Heimat, die dort aus dem Nebelduft der Ferne auftauchten. – Das Mädchen stand ja selbst wie ein dunkles Rätsel inmitten der Umgebung, in die das Schicksal sie geworfen hatte. Dieses kalte, unbewegte Antlitz und der heiße Glutstrahl in der Tiefe des Auges, diese jugendlich zarten Züge und der herbe Ausdruck darin, der ihnen alle Jugend nahm, waren ebenso widerspruchsvoll wie das Land, dem sie entstammten.

Vielleicht fesselte gerade dieser Kontrast den jungen Offizier. Das war freilich eine andere Erscheinung als die blonde Edith mit dem rosigen, lachenden Gesicht, das der blaue Schleier so neckisch umflatterte. Daniras schwarzes Reitkleid hatte auch nicht die geringste Verzierung, und der kleine, schwarze Hut, der die schweren Flechten nicht zur Hälfte bedeckte, war von derselben Einfachheit. Die schlanke und doch kraftvolle Gestalt zeigte freilich Formen von vollendeter Schönheit, und das Gesicht erschien in seiner strengen Regelmäßigkeit wie in Marmor gemeißelt, aber der Sonnenschein, der sie von allen Seiten umflutete, schien an dieser Gestalt abzugleiten, sie hatte etwas von einem Schatten an sich, der im hellen Lichte nur um so schärfer hervortritt.

Danira mußte den beobachtenden Blick fühlen, der auf ihr ruhte, denn sie wandte sich plötzlich um und sagte, in die Ferne deutend:

»Da haben Sie ein Bild unseres Landes! Ich glaube, es kann den Vergleich aushalten selbst mit Ihrer Heimat.«

»Gewiß, und es hat sogar noch etwas von ihr voraus – den mächtigen Hintergrund des Meeres. Das Land ist schön, wenn es nur nicht so viele Rätsel in seinem Schoße bergen wollte.«

»Nun, Sie sind ja eben dabei, diese Rätsel zu lösen! Es gibt keine Schlucht, keinen Felsenbezirk, der sich nicht Ihren Truppen öffnet; die Bevölkerung weiß davon zu erzählen.«

»Wenigstens wollen wir wissen, wer uns Freund oder Feind ist, und ich denke, wir haben ein Recht dazu.«

Die Worte klangen so bedeutungsvoll, daß Danira aufmerksam wurde. Sie streifte mit einem raschen, forschenden Blick das Gesicht des jungen Offiziers, dann sagte sie kurz und kalt:

»So fragen Sie!«

»Und wenn ich nun mit dem Fragen hier beginnen müßte? – Woher kennen Sie Joan Obrevic?«

»Ich sagte Ihnen ja bereits, daß er mir fremd ist!«

»Ja, das sagten Sie, aber ich glaube es nicht.«

Danira richtete sich stolz auf. »Herr von Steinach, ich bitte, dehnen Sie Ihre Erziehungsversuche nicht auch auf mich aus, ich bin nicht Edith.«

»Aber Sie sind die Pflegetochter des Kommandanten und genießen Kindesrechte in seinem Hause. Ich möchte Sie daran erinnern, mein Fräulein, denn Sie scheinen es vergessen zu haben.«

Das Mädchen erbleichte, sie war im Begriff, eine heftige Antwort zu geben, bezwang sich aber, wie von einer plötzlichen Mahnung berührt. Nur um ihre Lippen zuckte es verächtlich, als sie entgegnete:

»Wenigstens war das Haus des Kommandanten bisher frei von – Spionage.«

Gerald zuckte zusammen, als habe er einen Schlag erhalten, sein Gesicht wurde dunkelrot, und seine Hand griff unwillkürlich nach dem Degen an der Seite. Man hätte es diesen hellen Augen nicht zugetraut, daß sie ein so wildes Feuer sprühen konnten wie in diesem Moment, und die sonst so ruhige Stimme klang dumpf, halb erstickt:

»Das kam aus dem Munde einer Frau! – Wenn ein Mann es gewagt hätte, mich in solcher Weise zu beleidigen, so hätte ich nur eine Antwort für ihn gehabt.«

Danira mochte wohl nicht eine derartige Wirkung ihres unüberlegten Wortes erwartet haben, aber sie war offenbar mehr erstaunt als bestürzt über dieses jähe Aufflammen. Man mußte also diesen Mann reizen, bis aufs Blut reizen, dann endlich sprühten Funken aus dem Stein. Sie empfand beinahe eine geheime Genugtuung darüber, daß ihr dies gelungen war, empfand aber jetzt auch die ganze Schwere der Beleidigung. Ihr Auge sank zu Boden, und halblaut erwiderte sie:

»Ich war es, die zuerst beleidigt wurde – ich habe keine andere Waffe dagegen als das Wort.«

Gerald hatte sich bereits wieder gefaßt. Er schien seine Aufwallung zu bereuen und kehrte zu der gewohnten ruhigen Haltung zurück, aber es lag etwas Eisiges darin.

»Ich fürchte, ich werde in den Fall kommen, Ihnen dies schlimme Wort zurückzugeben. – Hören Sie mich ruhig an, mein Fräulein«, unterbrach er sich, als sie eine heftige Bewegung machte. »Die Sache muß nun einmal zwischen uns zur Sprache kommen. Ich habe es vorgezogen, mich zuerst an Sie zu wenden, und da wir hier allein sind, so mag es auf der Stelle geschehen.«

Die Worte klangen rätselhaft, aber Danira schien sie zu verstehen, denn sie forderte keine Erklärung.

Doch ihr Auge wich jetzt nicht mehr dem des Gegners, sondern begegnete ihm fest und unerschrocken, sie war kampfbereit.

»Vor acht Tagen hatte ich persönlich dem Kommandanten eine Meldung zu überbringen, die keinen Aufschub litt«, nahm Gerald wieder das Wort. »Es war in den ersten Morgenstunden, als ich das Kastell verließ und mich allein und zu Fuß nach der Stadt begab. Sie kennen vermutlich jenes kleine Haus, das etwas abseits vom Wege liegt und von slavischen Fischern bewohnt wird, ich brauche es Ihnen nicht erst zu beschreiben. Der Tag war noch nicht völlig angebrochen, als ich jene Stelle erreichte. Da öffnete sich die Tür, und es traten zwei Personen heraus. Ein Mann – nicht Joan Obrevic, sondern eine schlanke, jugendliche Männergestalt, die wie er die Landestracht trug – und eine Dame, die ich trotz der grauen Morgendämmerung doch deutlich erkannte. Wie sie es möglich gemacht hat, durch die Stadttore zu kommen, die sich bei Nacht nur dem Losungsworte öffnen, weiß ich nicht, auch nicht, wie sie wieder zurückgelangt ist. Die beiden nahmen einen sehr vertrauten Abschied voneinander, dann schlug die Dame die Richtung nach der Stadt ein, der Mann wandte sich den Bergen zu, nach wenigen Minuten verschwanden sie im Morgennebel. Die Tore aber hatte in jener Nacht niemand passiert, ich war der erste, dem sie sich öffneten.«

Er hielt inne, wie um eine Antwort zu hören, doch diese erfolgte nicht. Das Mädchen schwieg und machte nicht einmal den Versuch, sich zu verteidigen. Der junge Offizier hatte wohl so etwas erwartet, sein Antlitz verdüsterte sich noch mehr, und seine Stimme nahm den Ausdruck einer unverschleierten Verachtung an, als er fortfuhr:

»Ich habe allerdings kein Recht, mich in Herzensangelegenheiten zu mischen, aber ich habe allen Grund zu der Vermutung, daß eine derartige Beziehung hier zu ganz anderen Plänen mißbraucht wird. Wenige Tage nach diesem Vorfall erschien Joan Obrevic in der Stadt. Er verkehrt gleichfalls in jenem Hause und empfängt dort vermutlich ebenfalls Berichte aus der nächsten Umgebung des Kommandanten. Sein jüngerer Gefährte sollte ihm wohl nur den Weg bahnen, den er jetzt benützt. Ich wenigstens glaube nicht an die Unterhandlungskomödie, mit der er seinen Aufenthalt motiviert.«

Es entstand wieder eine Pause. Danira verharrte noch immer in ihrem Schweigen, obgleich Blick und Ton des Sprechenden sie augenscheinlich aufs tiefste verletzten. Ihr Antlitz erschien fahl in seiner Blässe, und ihre Brust flog in stürmischen Atemzügen, aber die Lippen preßten sich so fest aufeinander, als müßten sie jedes Wort verschließen.

»Sie verweigern mir also jede Erklärung«, hob Gerald wieder an. »Dann allerdings sehe ich meine Befürchtungen bestätigt. Sie begreifen, daß ich dem Zartgefühl keine Rechnung tragen kann, wo es sich um unsere Sicherheit handelt. Ich werde dem Obersten mitteilen, daß er in seinem eigenen Hause verraten wird, und zugleich werde ich ihn bitten, Edith die Sache möglichst zu verschweigen. Ich wünsche nicht, daß meine junge Braut erfährt, zu welcher Stunde und an welchem Orte ihre Pflegeschwester einen Fremden empfängt, der –«

Er vollendete nicht, denn Danira unterbrach ihn. Jetzt endlich fand sie Worte, aber es klang wie der Aufschrei eines Gemarterten, der die Folter nicht länger ertragen kann.

»Nicht weiter! Sparen Sie Ihre Beleidigungen. Sie sprechen von – meinem Bruder

Sie schleuderte das Wort so leidenschaftlich, aber auch mit so überzeugender Wahrheit heraus, daß ein Zweifel gar nicht möglich war. Der junge Offizier zweifelte auch nicht, aber er war wie betäubt von dieser unerwarteten Entdeckung, und fast mechanisch wiederholte er:

»Ihr Bruder?«

»Stephan Hersovac – ja! Ihn habe ich in jener Nacht gesehen und gesprochen; ihn allein und keinen anderen.«

Gerald atmete unwillkürlich auf. Er wußte selbst nicht, weshalb es ihm auf einmal wie eine Last von der Brust sank; das Schlimmste, der Verrat, blieb ja doch bestehen, aber er hatte ein dunkles Gefühl, als könne es selbst diesen eher verzeihen als jenes andere, das seine Verachtung herausgefordert hatte.

»Dann bitte ich allerdings um Vergebung«, sagte er. »Ich konnte unmöglich ahnen, daß Geschwister ihr Wiedersehen mit einem solchen Geheimnis umgeben würden.«

»Ist es meine Schuld, daß mein Bruder nicht wagen darf, mir offen zu nahen?« fragte Danira finster. »Er war beteiligt an jenem Vorfall, der den jungen Obrevic in Ihre Hände lieferte, auch ihm droht das gleiche Schicksal, wenn er sich hier zeigt.«

»Und trotzdem wagt er sich bis in die unmittelbare Nähe der Stadt? Geschah das wirklich nur, um seine Schwester zu sehen, die ihm so ganz fremd geworden ist, nach der er nie gefragt, um die er sich nie gekümmert hat?«

Geralds Ton war ein ganz anderer als vorhin, aber er hatte den vollen Ernst behalten, und ebenso ernst und forschend war der Blick, der in den Zügen des Mädchens zu lesen versuchte, doch sie wich ihm aus.

»Herr von Steinach«, sagte sie rasch und gepreßt. »Ich habe Ihnen wider Willen mein Geheimnis verraten, Sie verstanden es, mich zum äußersten zu treiben, aber Sie werden ein Geständnis nicht mißbrauchen, das mir nur die Aufwallung eines Momentes entriß. Sie werden schweigen.«

»Erst überzeugen Sie mich, daß ich schweigen darf, ohne meine Pflicht zu verletzen. Wir stehen hier auf einem heißen Boden, überall tritt uns Haß und Feindseligkeit entgegen, da gilt es, wachsam zu sein. Ich habe Ihnen schon einmal unrecht getan, mein Fräulein, und ich möchte das nicht zum zweitenmal tun, aber – können Sie das, was in jener Nacht zwischen Ihnen und Ihrem Bruder verhandelt wurde, verantworten vor dem Manne, dem Sie so vieles verdanken?«

»Dem ich die Sklaverei meiner ganzen Jugend danke! Sie sprechen doch von Oberst Arlow?«

Die Worte klangen so schneidend, daß die Stirn des jungen Offiziers sich finster zusammenzog, und auch seine Stimme gewann den herben Ton zurück, als er antwortete:

»Der Oberst fühlt es allerdings, wie fremd Sie ihm und Edith gegenüberstehen, eine solche Auffassung von seiten seiner Pflegetochter hat er wohl nie geahnt und auch nicht verdient durch die Güte, mit der er zwei verlassenen Waisen eine Zuflucht gewährte.«

Der Vorwurf schien Danira nur noch mehr zu reizen, in ihren Augen blitzte es drohend auf.

»Und wer hat uns denn zu Waisen gemacht? Wer hat uns den Vater erschlagen? Er wurde todwund hierhergeschleppt, um in der Gefangenschaft zu sterben, die Mutter holte sich den Tod in der Fieberluft des Lazaretts, und die Kinder sollten Bildung und Sitte lernen von denen, die ihnen die Eltern geraubt hatten! Man fragte nicht danach, als man uns unserm Volke, unserer Heimat entriß, man verfügte über uns wie über seelenlose Dinge. Meinem Bruder blieb dies Schicksal erspart, er wurde zurückgeführt in die heimischen Berge – ich blieb unter Fremden als eine Fremde, Geduldete, neben dem geliebten und vergötterten Kinde des Hauses. Sie nahmen mir alles, Vaterland, Eltern, Freunde, und gaben mir das armselige Almosen einer Erziehung, die mich nur elend machte, denn sie füllte nie die tiefe Kluft aus, die mich in meinem ganzen Denken und Fühlen von jenen trennte, sie ließ mich nie vergessen, daß ich anderen Stammes bin. Ich blieb in den Ketten, weil ich mußte, gefühlt habe ich sie schon als ich noch ein Kind war, und gehaßt von dem Moment an, wo ich zum Bewußtsein erwachte. Jetzt endlich rufen mich die Meinen, und jetzt kann und will ich die Fesseln nicht länger tragen. Ich werfe sie euch vor die Füße – ich will endlich frei sein!«

Sie hatte anfangs mit verhaltener Bitterkeit gesprochen, aber bald steigerte sich ihre Rede zur stürmischen Leidenschaft, die jede Vorsicht vergaß, jede Schranke mit sich fortriß. Ihr vorhin so bleiches Antlitz färbte sich dunkel von dem heiß in die Schläfen emporsteigenden Blute, ihr ganzes Wesen bebte in furchtbarer Erregung, es war, als ob ein Dämon sich plötzlich in dem Mädchen aufbäumte.

Aber es war auch ein dämonischer Reiz, der von ihr ausging, das fühlte selbst Gerald, dessen Blick wie gebannt an dieser Erscheinung haftete. Er hatte sie bisher nur kalt, verschlossen, rätselhaft gekannt, jetzt zerriß der Schleier, und er sah die wahre Gestalt – die freie Tochter der Berge in ihrer elementaren Wildheit, die keine Erziehung und keine Gewohnheit gebändigt hatte. In einem einzigen Moment warf sie die jahrelang getragenen Fesseln von sich und erhob sich triumphierend und drohend zugleich gegen ihre bisherigen Wohltäter. Aber trotz alledem war das Mädchen schön, hinreißend schön in diesem Sturm der Leidenschaft. Hochaufgerichtet stand sie da mit flammenden Augen; wohl lag noch dunkle Gewitternacht darin, aber jetzt war diese Nacht voll zuckender Blitze.

Da tönte fern aus der Höhe ein Ruf, der durch die klare, stille Luft deutlich herabdrang. Dort oben hielt Edith, die das Ziel schon erreicht hatte, mit ihrem Begleiter. Sie ließ ihr Taschentuch wehen und schickte einen neckenden Ruf hinab zu den Saumseligen.

Gerald schreckte, wie aus einem Traume erwachend, auf und fuhr hastig mit der Hand über die Stirn, als wolle er dort etwas wegwischen.

»Edith mahnt uns zum Aufbruch«, sagte er mit eigentümlich bebender Stimme. »Es ist in der Tat Zeit, daß wir den Weg fortsetzen, wir hatten das fast – vergessen.«

Danira gab keine Antwort, ihre dunklen Wimpern hatten sich bereits wieder gesenkt, und es war, als fiele damit auch wieder der Schleier über ihr ganzes Wesen; das Antlitz wurde kalt und starr wie vorhin.

Gerald trat zu den Maultieren, welche die ihnen gegönnte Rast benützt hatten, um die kümmerlichen Pflanzen auszuraufen, die hie und da zwischen dem Gestein emporwuchsen. Er löste die Zügel und wandte sich dann nochmals zu seiner Begleiterin.

»Noch ein Wort, solange wir allein sind! Sie waren sehr offen gegen mich, vielleicht allzusehr. Können und dürfen Sie mir mitteilen, was der Inhalt jener nächtlichen Unterredung im Fischerhause war?«

»Nein!« lautete die kurze, energische Antwort.

»Wohlan, so muß ich sprechen, auf die Gefahr hin, Ihnen als Denunziant zu erscheinen. Wo es sich um Verrat handelt –«

»Verrat?« unterbrach ihn das junge Mädchen mit bebenden Lippen. »Ich bin keine Verräterin.«

»Nun, wie nennen Sie es denn, wenn feindselige Pläne gegen Menschen gesponnen werden, unter deren Dache, in deren Schutze man lebt? Wie Sie Ihren Aufenthalt unter diesem Dache mit dem vereinen, was ich vorhin anhören mußte, ist Ihre Sache; die meine ist es, den Obersten zu warnen, und das werde ich noch heute tun.«

Er bot ihr mit kalter Höflichkeit die Hand zum Aufsteigen, aber sie lehnte wortlos seine Hilfe ab und schwang sich allein in den Sattel mit einer einzigen kraftvollen Bewegung. In der nächsten Minute war auch Gerald bereit, und sie setzten den Weg fort, ohne daß weiter ein Wort zwischen ihnen gewechselt wurde.

Oben auf der Höhe empfing sie Edith, strahlend vor Vergnügen über den Vorsprung, den sie gewonnen, und etwas schadenfroh über den Ärger, den sie ihrem Bräutigam bereitet hatte. Sie las es ja deutlich genug aus seinem und Daniras Gesicht, wie sehr dieser gemeinschaftliche Ritt sie verstimmt hatte.

»Da kommen die Nachzügler!« rief sie. »Weshalb seid ihr denn unterwegs abgestiegen? Ihr verweiltet ja eine halbe Ewigkeit auf dem Felsen dort unten.«

»Es geschah der Aussicht wegen«, versetzte Gerald einsilbig. »Du warst allerdings weit voraus. Hat Jörg auch die nötige Vorsicht beobachtet, als er mit dir den steilen Saumpfad passierte?«

Die junge Dame lachte, es war jenes neckische, glockenhelle Lachen, das ihr immer zu Gebote stand.

»Jawohl, aber du wirst den Jörg fordern müssen, Gerald. Er hat mir in aller Form einen Antrag gemacht, und ich habe mir Bedenkzeit ausgebeten, denn der Erbe des Moosbacher Hofes ist doch immerhin eine Partie von Bedeutung. Was meinst du dazu?«

Der junge Offizier lächelte nur flüchtig zu dem Scherz. Er war bereits an der Seite seiner Braut und ritt dicht neben ihr. Es war ihm, als müsse er Schutz suchen bei diesen sonnigen Augen, Schutz vor einem unbekannten Etwas, das ihn wie mit dunklen Flügeln überschattete.

Sie erreichten jetzt die letzte Windung des Weges, und hier tat sich noch einmal die volle Aussicht auf, nur großartiger, umfassender als dort unten. Zu ihren Füßen lag das Land mit seinen Felsen und Fluten, seinen öden Steinwüsten und prangenden Gestaden. Der heiße Glutstrahl der südlichen Sonne brannte darauf nieder, und fern im Hintergrunde schimmerte das Meer in ahnungsvoller Weite.

Ja, es war ein seltsames Land, abstoßend und berückend zugleich wie die Menschen, die ihm entstammten, und wer einmal einen vollen Blick hineingetan hatte, verstand seinen rätselvollen Zauber.

*


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