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Sechstes Kapitel.

Die Bora wehte mit unverminderter Heftigkeit, und die beiden Gestalten, die jetzt am Rande der Schlucht erschienen, hatten Mühe, dagegen standzuhalten. Das Mondlicht zeigte, daß die beiden Männer die österreichische Uniform trugen; sie waren so schnell vorwärts gegangen, als der Sturm es erlaubte; jetzt aber blieben sie stehen und versuchten offenbar, sich zu orientieren.

»Ich weiß nicht, Herr Leutnant – die Geschichte kommt mir nicht richtig vor!« sagte der eine. »Das Nest da unten liegt so still und dunkel da, als wär' alles Lebendige drinnen ausgestorben. Wollen Sie denn wirklich hinein?«

Es war die Stimme Jörg Moosbachers, und die Antwort kam von den Lippen Geralds von Steinach, der in seiner ruhig entschiedenen Weise sagte:

»Allerdings will ich das, denn wir sind unzweifelhaft am rechten Orte. Es ist das Dorf, in das unsere Truppen heute morgen eingerückt sind. Ich erkenne es deutlich nach der Beschreibung.«

»Da unten rührt sich aber keine Maus, viel weniger ein Kaiserjäger. Wir müßten doch schon gesehen worden sein, und noch hat uns keiner angerufen.«

»Die Abwesenheit der Posten fällt mir auch auf. Ich fürchte, die Unsrigen haben vorrücken müssen und haben den verwundeten Offizier unter der nötigen Bedeckung zurückgelassen. Die Botschaft an mich hat jedenfalls ihre Richtigkeit, denn es war die Brieftasche Saltens mit seinen sämtlichen Notizen, die mir der Hirtenbube zur Beglaubigung brachte.«

»Es ist aber doch kurios, daß der Herr Leutnant gerade Sie sprechen wollte«, beharrte Jörg. »Ich bleib' dabei, die Geschichte gefällt mir nicht! Und der zerlumpte Bub', der den Boten machte, noch weniger. Er hatte ein echtes Spitzbubengesicht. Wenn da nur nicht irgendeine Teufelei dahinter steckt.«

»Du siehst hier überall Teufeleien und Fallstricke«, sagte Gerald ungeduldig, indem er Anstalt machte, in die Schlucht hinabzusteigen. »Soll ich etwa einem schwer verwundeten Kameraden, der mich zu sehen wünscht und mir vielleicht noch einen letzten Auftrag zu geben hat, seine Bitte versagen? Allerdings wäre es mir lieber gewesen, wenn ich die Gefahr wie die Verantwortung dieses Ganges auf mich allein genommen hätte.«

»Mir nicht«, erklärte Jörg lakonisch. »Wenn es nun einmal an Kopf und Kragen geht, dann ist es mir schon lieber, daß ich dabei bin, und so wird es auch kommen. Der verwünschte Bub' ist verschwunden, als ob die Erde ihn verschluckt hätte. So machen sie es ja alle, diese Wilden; das ganze Volk gibt sich mit dem Hexen ab.«

»Der Knabe ist ja vorausgelaufen, um uns anzumelden,« sagte der junge Offizier, dem der Gedanke einer Gefahr durchaus fern zu liegen schien. »Er hat freilich vergessen, uns die Richtung anzugeben, und nun müssen wir uns allein zurechtfinden. Das Haus dort scheint mir das einzige, das zur Aufnahme eines verwundeten Offiziers einigermaßen geeignet ist. Wir wollen dort zuerst anfragen.«

»Gott sei Dank, hier kann man doch wenigstens verschnaufen!« brummte Jörg, der soeben in den Schutz der Felsen gelangte. »Und das nennen sie hierzulande eine kleine Bora; dann möcht' ich einmal die große erleben! Ich wollte, sie fegte diese Krivoscie von der Erde weg und uns nach Tirol zurück.«

Gerald hatte sich inzwischen dem Hause genähert, durch dessen geschlossene Läden ein matter Lichtschein dämmerte. Der Sturm, der die Schritte der Nahenden verweht hatte, übertönte auch ihr Pochen, und als von drinnen keine Antwort erfolgte, stieß der Offizier die Tür auf und trat ein.

Das auf dem Herde noch hell flackernde Feuer warf seinen Schein gerade auf die Eintretenden und beleuchtete sie voll und grell, aber es blendete sie auch, so daß sie in den ersten Minuten die Umgebung nicht zu erkennen vermochten und auch die weibliche Gestalt nicht bemerkten, die dort hinten im Schatten der Mauer kniete.

Danira schreckte empor; sie wollte sich erheben, aber die Glieder schienen ihr den Dienst zu versagen. Regungslos, mit weit geöffneten Augen starrte sie auf die Erscheinung, die aus der Nacht und dem Sturm da draußen vor ihr auftauchte, als hätten ihre eigenen Gedanken Form und Gestalt angenommen. Erst als Gerald näher trat, kam ihr die Wirklichkeit seiner Nähe zum Bewußtsein, und jetzt rang sich ein halberstickter Aufschrei aus ihrer Brust hervor. Dies plötzliche, ungeahnte Wiedersehen riß den Schleier von der Seele des Mädchens, und sie rief den Namen, der bisher noch niemals über ihre Lippen gekommen war:

»Gerald!«

»Danira!« klang es zurück in einer so stürmisch aufwallenden Freude, daß Jörg, der hinter seinem Leutnant eingetreten war, schleunigst zum Schutze an dessen Seite eilte, während er halblaut, aber im vollsten Entsetzen sagte:

»Alle guten Geister! Da ist sie – die Hexe!«

Es folgte eine sekundenlange Pause. Danira war die erste, die es versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen; es blieb freilich bei dem bloßen Versuch.

»Herr von Steinach! Ich dachte – ich glaubte nicht, Sie wiederzusehen.«

»Und ich ahnte nicht, daß Sie in diesem Hause weilten«, sagte Gerald, dem jene Bewegung Jörgs gleichfalls die verlorene Fassung zurückgab, denn sie erinnerte ihn daran, daß diese Begegnung keine Zeugen vertrug. Er wandte sich deshalb zu ihm und fuhr mit erzwungener Ruhe fort:

»Ich werde die gewünschte Auskunft am besten von dem Fräulein erhalten. Warte inzwischen draußen vor der Tür, bis ich rufe.«

Jörg wußte, was Subordination heißt, und war gewöhnt, seinem Leutnant unbedingt zu gehorchen; diesmal aber empörte sich sein äußerer und innerer Mensch gegen die Disziplin. Der Herr Gerald war in seinen Augen nun einmal behext, also vollständig unzurechnungsfähig, sobald diese Hexerei in das Spiel kam, und ihn mit der Anstifterin all dieses Unheils allein lassen, hieß ihn rettungslos dem Verderben preisgeben. Jörg fühlte sich als Christ und Tiroler verpflichtet, ihn zu schützen vor einer Gefahr, die viel schlimmer war als jene, welche Kopf und Kragen kostete, denn hier ging es um das Seelenheil. Er richtete sich deshalb militärisch auf, legte die Hand an das Käppi und sagte respektvoll:

»Zu Befehl, Herr Leutnant – ich bleibe!«

Gerald runzelte die Stirn und sah ihn an; es war nur ein Blick; aber der junge Tiroler kannte dies drohende Aufflammen von jener Stunde, wo er versucht hatte, einen Einblick in die besagte Hexen- und Herzensgeschichte zu erlangen, und ihm verging augenblicklich die Lust zu fernerem Widerstand. Als Gerald jetzt, ohne ein Wort zu sprechen, mit einer kurzen, gebieterischen Handbewegung nach der Tür zeigte, da fand Jörg es für gut, zu gehorchen, obgleich er mit seinem Entsetzen noch lange nicht fertig geworden war; aber draußen vor der Tür faltete er die Hände zu einem Stoßgebet.

»Sankt Georg und alle Heiligen, steht ihm bei! Jetzt hat sie ihn – nun sei ihm Gott gnädig!«

Die beiden Zurückgebliebenen waren jetzt allein; noch standen sie sich wortlos gegenüber, aber Geralds Augen hingen wie gebannt an dem Mädchen, das sich langsam erhoben hatte und in den Lichtkreis des Feuers getreten war. Der rotglühende Schein ließ ihre Gestalt wie ein Bild auf dem dunklen Hintergrunde hervortreten, ein Bild, das freilich nicht in den Rahmen dieses engen, düsteren Raumes paßte. Die Schönheit Daniras kam in der Tat erst jetzt zur vollen Geltung, wo sie die Landestracht trug, die mit ihren malerischen Farben und Formen wie eigens für sie geschaffen war. Die schwarzen Flechte wallten fessellos herab in ihrer ganzen Schwere und Fülle, und frei, fessellos und stolz war auch die ganze Erscheinung, wie befreit von dem Drucke einer Abhängigkeit, die jahrelang auf ihr gelastet, losgelöst von den Banden der Dankbarkeit, welche die Vernunft ihr aufzwang, während sich das Herz immer wieder dagegen empörte. Es war die Tochter des gefallenen Häuptlings, die einen Moment der Selbstvergessenheit bereits überwunden hatte und nun mit dem ganzen Stolze ihres Blutes und ihrer Abkunft dem Manne gegenüberstand, den sie nun einmal als den Feind ihres Volkes betrachtete.

»Ich glaube, Herr von Steinach, wir sind in einer zu eigentümlichen Weise geschieden, als daß wir dies Wiedersehen mit Freuden begrüßen könnten,« sagte sie endlich. Es war der alte, eisige Ton, eigens darauf berechnet, jenen unbewachten Moment auszulöschen, und er erreichte auch teilweise seinen Zweck. Die Haltung des jungen Offiziers wurde gleichfalls kälter und förmlicher, als er erwiderte:

»So klagen Sie den Zufall an, mein Fräulein, nicht mich, wegen dieses Wiedersehens. Ich wiederhole es Ihnen, ich hatte keine Ahnung, wer in diesem Hause weile. Mich rief einzig eine Pflicht hierher.«

»Daran zweifle ich nicht. Wir sind ja gewöhnt, die Truppen in unsern Heimstätten zu sehen; sie finden freilich nur Frauen und Kinder hier zu bekriegen.«

»Die man unbesorgt zurückgelassen hat, weil man weiß, daß wir uns an Wehrlosen nicht vergreifen. Mit den Männern haben wir allerdings nur zu tun, wenn sie aus ihrem sicheren Hinterhalte über uns herfallen.«

»Wir sind im Kriege!« sagte Danira kurz. »Im Kampfe gilt jeder Vorteil.«

»Und wer hat uns den Kampf denn aufgezwungen? Wir haben ihn wahrlich nicht gesucht; aber es handelt sich hier um ein Gesetz, das wir nicht preisgeben dürfen, und das durch das ganze, große Reich anerkannt wird. Ihr Volk ist das einzige, das ihm die Anerkennung weigert.«

»Weil die freien Söhne der Berge sich in das Joch nicht beugen können und wollen. Ihr versucht es vergebens, sie zu zwingen.«

Die Worte stachelten mehr, als nötig war; denn das Zeichen mühsam verhaltener Aufregung, die dunkle Röte, färbte längst schon die Stirn des jungen Offiziers, und seine Antwort war von schneidender Schärfe:

»Der Waffendienst gilt uns für eine Ehre, nicht für ein Joch! Zum mindesten ist er eine Pflicht. In der zügellosen Willkür, die Ihren Stammesgenossen Freiheit heißt, existiert freilich der Begriff der Pflicht überhaupt nicht, er muß erst gelehrt werden. Aber wir werden ihn lehren, verlassen Sie sich darauf, mein Fräulein. Ich darf wohl annehmen, daß Sie von den letzten Ereignissen unterrichtet sind und wissen, daß das Schicksal des Aufstandes bereits entschieden ist.«

Danira wußte das freilich; sie hatte es selbst vor einer Stunde gegen Marco ausgesprochen; aber um keinen Preis der Welt hätte sie es diesem Manne gegenüber zugegeben, und mit dem Trotz der Verzweiflung erwiderte sie:

»Triumphieren Sie nicht zu früh! Noch hält Marco Obrevic stand und mit ihm die Besten unseres Volkes. Sie können erliegen, unterwerfen werden sie sich nicht.«

Gerald stutzte bei dem Namen, und ein seltsam düsterer und forschender Blick traf das Mädchen.

»Marco Obrevic!« wiederholte er. »Sie kennen ihn also – sehr genau?«

»Er ist der Blutsfreund meines Bruders.«

»Und er verdankt Ihnen seine Freiheit – denn jener Befreiungsversuch war doch wohl einzig Ihr Werk?«

»Wenigstens bot ich die Hand dazu. Marcos Rettung wurde freilich um einen hohen Preis erkauft, sie kostete ihm den Vater und unserm Stamme den Führer. Es war ja Ihre Kugel, von der Joan Obrevic fiel.«

»Ich tat, was ich tun mußte, und übrigens schossen die Flüchtlinge auf mich zuerst. Ich gebe Ihnen das Wort zurück, das Sie mir zuriefen: Wir sind im Kriege!«

Wort und Gegenwort klangen gleich herb und feindlich, und die Haltung der beiden war so starr, so unversöhnlich, als seien sie wirklich Feinde auf Leben und Tod, und doch redeten ihre Augen eine ganz andere Sprache als die des Hasses. Geralds Blick konnte sich nicht losreißen von dem schönen, feindseligen Antlitz; er hatte alles andere vergessen, sogar den Ruf des verwundeten Kameraden, er suchte nur die Augen, welche die seinigen flohen und dennoch, wie von magnetischer Gewalt angezogen, immer wieder zu ihnen zurückkehrten.

»Ich klage Sie nicht an wegen jenes Vorfalles«, sagte Danira, und es klang zum erstenmal ein milderer Ton von ihren Lippen. »Aber auch Sie haben jetzt wohl die Anklage zurückgenommen, die Sie mir damals so vernichtend entgegenschleuderten. Was ich auch tat, wozu ich meine Kenntnis des Ortes und der Verhältnisse brauchte, es galt einzig jener Rettung. Die Meinen riefen mich auf dazu und riefen mich zur Rückkehr, sie hatten ein Recht zu beidem.«

»Wenn Sie ihnen ein Recht zugestehen – gewiß! Es ist nur seltsam, daß die Ihrigen Sie so lange im Schutze und in dem Hause von Fremden ließen, daß sie in all den Jahren nicht einmal nach Ihnen fragten. Erst als man Sie brauchte, fand man den Weg zu Ihnen, der, wie der Anschein lehrt, doch so leicht zu finden war. Bis dahin waren Sie verschollen und vergessen für Ihre Blutsverwandten.«

Das Wort traf; Danira senkte die trotzige Stirn. Man brauchte es ihr nicht erst zu sagen, daß sie nichts weiter als ein Mittel zum Zwecke gewesen war – sie wußte es längst. Gerald trat ihr einen Schritt näher, und auch seine Stimme verlor den eisigen Klang, als er fortfuhr:

»Gleichviel, Sie haben Ihre Wahl getroffen und sind in die Heimat zurückgekehrt – sind Sie glücklich?«

»Ich bin frei! Das ist alles, was ich verlange.«

»Und wie lange werden Sie es bleiben? Ich habe auf unsern Streifzügen einen Einblick gewonnen in die Sitten dieses Landes und kenne das Los, zu dem sie die Frauen verdammen. Sobald Sie einem Manne die Hand reichen, ist dies Los auch das Ihre. Ist es denn möglich, daß ein hochsinniges Mädchen mit dieser energischen Willenskraft, mit diesem glühenden Freiheitsdrange es erträgt, nicht die Gefährtin, nein, die Sklavin eines rohen, wilden Menschen zu sein, der geistige Bedürfnisse nicht einmal dem Namen nach kennt, der jedes höhere Element in ihr erbarmungslos zertreten wird, weil er nur die Arbeitskraft schätzt, die sie mit seinen Haustieren gemein hat, der täglich –«

»Halten Sie ein – das ist nicht wahr!« unterbrach ihn Danira heftig, denn sie fühlte, wen er schilderte, wenn auch kein Name genannt wurde; aber der junge Offizier ließ sich nicht beirren; er sagte mit besonderem Nachdruck:

»Das ist wahr, und an dieser Wahrheit werden Sie zugrunde gehen! Leugnen Sie es, wie Sie wollen, der Zauber, mit dem Ihre Phantasie die Heimat umgab, ist zerronnen, mußte zerrinnen in dem Moment, wo Sie die Wirklichkeit erblickten, und die Kluft, die Sie einst angeblich von uns schied, hat sich jetzt riesenweit aufgetan nach der andern Seite hin. Sie können nicht mehr herabsteigen zu diesen Menschen mit ihren rohen Sitten. Unser sind Sie, zu uns gehören Sie in Ihrem ganzen Denken und Fühlen; aber Sie haben den ganzen Trotz Ihres Volkes, das lieber blutet und stirbt, ehe es sich einem höheren Gesetze beugt.«

Er hatte in steigender Erregung gesprochen, und Danira versuchte es nicht mehr, ihn zu unterbrechen; das waren ja ihre eigenen Gedanken, ihre eigene Todesangst, die vorhin mit so vernichtender Gewalt auf sie eindrangen. Als ob er sie belauscht habe, so kam Wort für Wort von seinen Lippen; sie konnte diese Wahrheit nicht mehr ableugnen und wollte es auch nicht mehr.

Langsam hob sie das gesenkte Haupt empor; aber es glühte dunkel aus in ihren Augen. Gerald mußte wieder an die Gewitternacht denken, die die zuckenden Blitze in ihrem Schoße barg. Seine erbarmungslosen Worte hatten mit dem Stolze des Mädchens auch ihre ganze Energie wachgerufen; sie richtete sich zu ihrer vollen Höhe empor.

»Vielleicht haben Sie recht! Nun denn, ich bin eine Tochter meines Volkes und kann bluten und sterben – unterwerfen kann ich mich nicht. Wenn meine Geburt und meine Erziehung mich in einen ewigen Zwiespalt mit mir selbst warfen, so habe ich ihn gelöst, indem ich hierher zurückkehrte, und diese Lösung ist unwiderruflich für mich. Ich kann nicht mit halbem Herzen hier wie dort sein, ich habe meine Wahl getroffen, und wenn sie mich Glück und Leben kostet – sei es, dann sterbe ich daran!«

Es sprach eine so unbeugsame Entschlossenheit aus diesen Worten, daß Gerald nicht einmal den Versuch einer Einwendung machte. Stumm blickte er auf das Mädchen, das so bleich und düster vor ihm stand; dann glitt sein Auge langsam durch den elenden Raum mit dem qualmenden Feuer und den rauchgeschwärzten Wänden, und es wollte ihn wie eine Ahnung überkommen, als könne dieser Zwiespalt nach außen und innen wirklich nur mit dem Leben gesühnt werden.

»Und so soll ich also als Feind – denn das bin ich ja doch in Ihren Augen – von Ihnen gehen?« sagte er endlich. »Danira, haben Sie wirklich kein anderes Wort des Abschieds für mich?«

Einen Moment lang zuckte es in dem Antlitz des Mädchens wie heiß aufquellendes Weh; aber sie überwand schnell die weichere Regung; in der nächsten Minute war alles wieder starre Härte und eisige Abwehr.

»Ich fürchte, Herr von Steinach, ich habe Sie schon allzu lange von Ihrer Pflicht zurückgehalten. Ich muß Sie daran erinnern, wie es scheint. Sie sind jedenfalls gekommen, um mit Ihren Leuten das Dorf zu besetzen. Wir haben keine Waffen gegen die Übermacht – das Haus ist offen!«

Gerald trat zurück; die herbe Mahnung zeigte ihm, daß jeder Versuch zur Annäherung scheitern mußte, und auch er konnte stolz sein bis zur Härte.

»Sie irren, mein Fräulein«, entgegnete er. »Ich komme nicht in dienstlicher Eigenschaft. Ich suche einen verwundeten Kameraden, der sich hier im Dorfe befindet, und den ich in diesem Hause vermutete. Jedenfalls bitte ich um Nachricht darüber.«

»Ein verwundeter Offizier? Das ist ein Mißverständnis. Es befindet sich kein Österreicher mehr hier.«

»Unsere Truppen haben aber doch heute morgen das Dorf besetzt; wir haben sichere Nachricht, daß es geschah.«

»Allerdings; aber nach kaum einer Stunde brachen sie bereits wieder auf und zogen weiter.«

»Und der Verwundete?«

»Sie haben niemand zurückgelassen, hatten überhaupt keine Verwundeten bei sich. Überzeugen Sie sich selbst, es ist niemand von den Ihrigen im Dorfe.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Jörg erschien in derselben; aber er blieb, der erhaltenen Zurechtweisung eingedenk, auf der Schwelle stehen und sagte:

»Herr Leutnant, ich wollt' nur melden, daß die Geschichte immer bedenklicher wird. In dem ganzen verwünschten Nest steht kein Posten, läßt sich kein Kamerad blicken. Unser Spitzbub' von Führer hat sich davon gemacht, und hier im Haus,« er schoß einen höchst ängstlichen Blick auf Danira, »hier wird die Teufelei wohl vollends im Gang sein. Schicken Sie mich nicht wieder fort, Herr Leutnant, es ist schon besser, wir sind zu zweien – wenn's not tut.«

Danira zuckte plötzlich zusammen, und ein Blick tödlichen Schreckens fiel auf Gerald, während sie wiederholte:

»Zu zweien? Um Gottes willen, Herr von Steinach, Sie sind doch hier an der Spitze Ihrer Leute, Sie haben doch wenigstens genügende Bedeckung mit sich?«

»Nein, ich bin allein mit Jörg, wie Sie sehen.«

Das Mädchen wurde leichenblaß. »Und so wagen Sie sich in einen feindlichen Ort? In der Nacht? Das ist ja mehr als Tollkühnheit!«

»Ich glaubte ja, die Unsrigen hier zu finden, und die Botschaft lautete so bestimmt, so unzweideutig –«

»Wer brachte sie Ihnen? Wurden Sie allein gerufen? Wo blieb der Führer? Haben Sie nichts Verdächtiges auf dem Wege bemerkt?«

Die Fragen überstürzten sich in atemloser, angstvoller Hast, so daß Gerald auch endlich anfing, den Ernst der Lage zu begreifen. Seine Hand umspannte unwillkürlich fester den Griff seines Degens, während er antwortete:

»Der Ruf galt mir allein, und ich wäre ihm auch allein gefolgt, wenn Jörg nicht darauf bestanden hätte, mich zu begleiten. Wir blieben unangefochten auf dem Weg; nur das rätselhafte Verschwinden unseres Führers machte uns bedenklich; aber er überbrachte mir ein glaubwürdiges Zeichen, Brieftasche und Notizen meines Kameraden.«

»Das beweist nichts, sie können geraubt worden sein, man kann sie einem Toten genommen haben – das Ganze ist eine Fabel, eine Erfindung, um Sie herzulocken.«

»Aber wer kann denn ein Interesse daran haben, mich –« fragte Gerald; doch Danira fiel ihm leidenschaftlich in das Wort:

»Das fragen Sie noch? Marco Obrevic hat Ihnen Blutrache geschworen! Er hält Wort – Sie sind verloren!«

Der junge Offizier erbleichte. Die Worte machten ihm mit einem Male die furchtbare Gefahr klar, in der er schwebte. Jörg aber sagte mit einer Art von gemütlichem Entsetzen:

»Hab' ich es nicht vorhergesagt? Jetzt sitzen wir in der Mausefalle.«

Gerald bedurfte nur einer Minute, um sich zu fassen; er richtete sich empor, und jetzt stieg die flammende Röte des Zornes in seinem Gesichte auf:

»Ein schändlicher Plan! Nun denn, so müssen wir uns wehren bis zum letzten Atemzuge. Wir wollen unser Leben teuer verkaufen, Jörg; es soll den Meuchelmördern nicht so leicht werden, uns niederzumachen.«

»Ein paar davon nehm' ich auf mich!« rief Jörg, bei dem jetzt auch die Wut zum Durchbruche kam. »Es soll nur herankommen, das Mordgesindel! Mein Leutnant und ich, wir nehmen es mit der ganzen Bande auf.«

»Nein, nein, hier wäre jeder Widerstand umsonst«, unterbrach ihn Danira. »Wenn Marco kommt, so kommt er mit zehnfacher Übermacht, und dann ist von Kampf nicht die Rede. Man wird euch niederreißen, überwältigen und dann die Lebenden –«

Sie vollendete nicht, aber sie schauderte zusammen, und die beiden Männer wußten genug von der Art, wie der Krieg von seiten der Eingeborenen geführt wurde, um diesen Schauder zu verstehen.

»Gleichviel, wir werden kämpfen«, sagte Gerald energisch. »Hinaus ins Freie, Jörg, da haben wir es leichter, und vielleicht ist es noch möglich, den Rückweg zu erzwingen.«

Er wandte sich nach der Tür; aber Danira vertrat ihm den Weg.

»Unmöglich! Da gehen Sie in den sichern Tod. Marco pflegt nichts halb zu tun; er weiß es jedenfalls schon, daß Sie dem Rufe gefolgt sind, und hat Ihnen den Weg nach allen Richtungen hin verlegt. Hier gibt es nur einen Ausweg, der Rettung bringen kann, wenigstens für den Augenblick.«

Sie eilte durch das Gemach, öffnete rasch und leise die Tür des dunklen Nebenraumes, wo ihre Schwägerin schlief, und lauschte einige Augenblicke. Die tiefen, ruhigen Atemzüge der Schlafenden, die nicht durch die Ankunft der Fremden erweckt worden war, tönten ihr entgegen. Das Pfeifen und Heulen der Bora übertönte das Gespräch nebenan vollständig. Danira schloß ebenso leise die Tür wieder und kehrte zu Gerald zurück.

»Wollen Sie mir folgen und vertrauen – unbedingt vertrauen?«

Geralds Auge begegnete dem des Mädchens, das ihm noch vor wenigen Minuten in so starrer, unbeugsamer Härte gegenüber gestanden hatte, und das wie verwandelt war seit dem Moment, wo ihn die Gefahr bedrohte. Er sah das Flehen in diesen großen, dunklen Augen, und mitten durch Feindseligkeit und Todesgefahr brach es wie ein heller Sonnenstrahl und fiel leuchtend in die Seele des jungen Mannes; er wußte jetzt, wem diese Angst galt.

»Ich folge Ihnen – und wenn es zum Tode wäre!« sagte er, ihr die Hand hinstreckend.

»Herr Leutnant!« rief Jörg außer sich, denn er war fest überzeugt, daß dies blinde Vertrauen seinen Leutnant direkt an das Messer liefern werde.

»Du schweigst und gehorchst«, befahl Gerald.

»Übrigens will ich dich nicht zwingen, mir zu folgen. Bleibe zurück, wenn du willst.«

»Ich gehe mit Ihnen, Herr Leutnant«, sagte der brave Bursche, dessen Liebe zu seinem Offizier doch größer war als sein Aberglaube. »Wo Sie bleiben, da bleib' ich auch, und wenn Sie es nun einmal nicht lassen können und geradewegs in den Hexenkessel hinein wollen – in Gottes Namen – ich gehe mit!«

Gerald lockerte den Degen in der Scheide und untersuchte noch einmal seine Schußwaffen, dann traten sie in das Freie, und unwillkürlich hob ein tiefer, befreiender Atemzug die Brust des jungen Offiziers, als der enge, dumpfe Raum mit seinem qualmenden Feuer und seiner erstickenden Luft hinter ihnen zurückblieb. Draußen empfingen ihn Sturm und Nacht und Todesgefahr bei jedem Schritt, aber er fühlte Daniras Hand in der seinigen, zum erstenmal, und an ihrer Seite stieg er aufwärts zum Rande der Schlucht.

*


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