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Viertes Kapitel.

Auf dem öden, felsigen Hochplateau lag in voller Einsamkeit und Abgeschiedenheit ein Fort, das, schon vor Jahren erbaut, in der letzten Zelt wieder stark befestigt worden war und gegenwärtig einen Mittelpunkt für die militärischen Operationen zur Bekämpfung des Aufstandes bildete.

Monate waren seit dem Ausbruche desselben vergangen, und noch war die Insurrektion nicht völlig niedergeworfen, wenn auch alle Anzeichen auf ein baldiges Erlöschen hindeuteten. Die Truppen hatten während dieser Zeit Gefahren und Entbehrungen aller Art ertragen, es lag eine Reihe von heißen Kämpfen hinter ihnen, und hier galt es, nicht bloß mit den Menschen zu kämpfen, sondern mit dem Boden, dem Klima, mit der ganzen Unwegsamkeit und Öde dieses Felsenbezirkes, die sich als Feinde erwiesen, während sie den Eingeborenen ebenso viele Bundesgenossen wurden. Trotzdem war der größte Teil des schweren Werkes bereits getan, und das Schicksal des Aufstandes entschieden.

Nur der Stamm, an dessen Spitze Joan Obrevic gestanden hatte, setzte den Truppen noch einen zähen energischen Widerstand entgegen. Er hatte sich sofort nach dem Tode seines Führers und der Rückkehr von dessen Sohne der Empörung angeschlossen, und jetzt nahm dieser Sohn die Stelle des Vaters ein und führte einen wilden, verzweifelten Kampf, bei dem die ganze Grausamkeit seines Volkes zum Vorschein kam. Im stolzen Trotze wies er jede Unterwerfung, jede Unterhandlung zurück, und wehe dem, der verwundet oder gefangen in seine Hände fiel!

Man hatte in dem Fort eine Anzahl von Verwundeten untergebracht, deren Zustand einen weiteren Transport nicht gestattete, und aus diesem Grunde befand sich auch Pater Leonhard hier, der gekommen war, um den Kranken geistlichen Trost und Beistand zu gewähren. Die Sonne brannte heiß nieder auf die Steinmassen der kleinen Festung; aber drinnen im Schutze der dicken Mauern war es verhältnismäßig kühl. In dem kleinen Zimmer, das man ihm angewiesen, saß der Pater, und vor ihm stand Jörg Moosbacher, über und über bestaubt, erhitzt und mit allen Kennzeichen eines anstrengenden Marsches.

»Da sind wir, Hochwürden!« sagte er. »Das heißt, da bin ich vorläufig, halb verdurstet, dreiviertel marode und ganz und gar gebraten von der Sonnenhitze. Nun, wenn man alle Tage das Vergnügen hat, gewöhnt man sich am Ende daran.«

»Die Strapazen scheinen dir trotzdem gar nicht übel zu bekommen«, bemerkte der geistliche Herr mit einem Blick in das Gesicht des jungen Soldaten, das allerdings dunkler gebräunt erschien, aus dem aber die schwarzen Augen ebenso keck und lebenslustig hervorblitzten wie sonst.

»Man hält's eben aus«, meinte er gefaßt. »Ich hab' es ja vorher gewußt, es ist ein gottverlassenes Land! Menschen gibt es hier überhaupt nicht, ausgenommen die allertreuesten Truppen Seiner Majestät, die sich mit diesen Wilden herumschlagen müssen. Wir marschieren stundenlang, ohne einen Baum oder Strauch zu Gesicht zu bekommen, nichts als Himmel, Steine und Sonnenglut und zur Abwechselung einmal eine Bora, daß einem Hören und Sehen vergeht. Wenn Sie nicht bei uns wären, Hochwürden, dann gäb' es auch kein Christentum; wir sind ja hier unter die Türken und Heiden geraten. O, du mein schönes, gesegnetes Tirol! Das hat der Herrgott eigens zu seinem Vergnügen erschaffen, aber ich möcht' doch wissen, was er sich eigentlich dabei gedacht hat, als er die Krivoscie erschuf.«

Jörg stand noch immer auf etwas gespanntem Fuße mit dem Namen, der in einer ganzen barbarischen Aussprache von seinen Lippen kam; der Priester aber sagte verweisend:

»Unser Herrgott weiß es am besten, warum er seine Gaben so und nicht anders verteilt hat. – Du hast also Herrn von Steinach und seine Leute im Fort angemeldet?«

»Ja, in einer halben Stunde werden sie hier sein, hoffentlich noch bei lebendigem Leibe.«

»Weshalb? Sind Verwundete bei der Truppe?«

»Nein, als ich fortging, waren sie noch alle wohlauf, aber man ist ja hier keine Stunde seines Lebens sicher. Wie oft schon, wenn wir ganz lustig marschierten und das Lied vom schönen Land Tirol sangen, ist uns unversehens diese verdammte Krivoscie über den Hals gekommen! Eben ist die Wildnis noch ganz leer, und auf einmal sind die Kerle da, als wären sie aus den Steinen emporgewachsen, und ihre Kugeln fliegen uns um die Köpfe. Dabei halten sie nirgends stand; wenn wir sie in der Schlucht fassen wollen, sind sie schon oben auf der Höhe, und wenn wir hinausklettern, sind sie wieder unten. Geht es ernstlich zum Angriff, dann ist in einem Hui die ganze Bande verschwunden, als ob die Felsen sie eingeschluckt hätten, und wir stehen ganz verdutzt da und sehen uns an und zählen unsere Nasen und Ohren, ob wir sie auch alle noch beisammen haben.«

Die ebenso drastische als erschöpfende Schilderung der krivoscianischen Kriegführung rief ein flüchtiges Lächeln auf dem Gesichte Pater Leonhards hervor.

»Wenn man dich hört, sollte man meinen, du wärst ein schlechter Soldat und tätest nur halb gezwungen deine Pflicht«, sagte er. »Und doch habe ich vor einigen Tagen deinen Eltern schreiben können, daß ihr Jörg sich bei jeder Gelegenheit hervortut, und daß die Vorgesetzten seiner Unerschrockenheit und Tapferkeit das höchste Lob erteilen.«

Jörg sah sehr stolz aus bei dem ihm gespendeten Lobe, aber er lehnte es bescheiden ab.

»Das habe ich meinem Leutnant abgesehen! Der geht noch ganz anders drauf, und wenn der mit den Insurgenten zusammengerät, schickt er sie immer mit blutigen Köpfen heim. Haben Sie vielleicht auch an die gnädige Frau von Steinach geschrieben, Hochwürden?«

»Nein, ich hatte keine Veranlassung dazu, und ich denke, das wird der Leutnant selbst tun.«

»Ich müßt es eigentlich«, meinte der junge Tiroler mit niedergeschlagener Miene. »Die Gnädige hat mir den Herrn Gerald ja auf Leib und Leben anempfohlen – aber ich bring' es nicht über das Herz, ihr den Kummer zu machen.«

»Kummer? Weil Ihr Sohn sich so auszeichnet?«

»Nein, deshalb nicht; die Geschichte ist ja ganz anders, Hochwürden.« Jörg faltete andachtsvoll die Hände. »Sie haben mir oft vorgehalten, wie viel Dummheiten ich schon begangen habe, und so ist's auch. Aber das macht nichts, das reicht noch lange nicht so weit wie die einzige Dummheit, die der Herr Gerald in seinem ganzen Leben begangen hat. Jetzt kann ich's nicht mehr mit ansehen, jetzt muß ich's Ihnen sagen.«

Er stieß einen so herzbrechenden Seufzer aus, daß der Pater ihn erschreckt und beunruhigt anblickte.

»Was soll das heißen? Was ist es mit dem Leutnant?«

»Behext ist er!« brach Jörg verzweiflungsvoll aus. »Total behext!«

»Jörg – bist du bei Verstand?«

»Ich bin's schon, aber er ist's leider nicht mehr. Das arme gnädige Fräulein in Cattaro! So hübsch, so lustig und neckisch, daß einem das Herz aufgeht, wenn man sie nur sieht, und nun diese Danira –«

»Die Pflegetochter des Kommandanten, die in der Nacht entfloh? Was ist es mit ihr?«

»Das ist die Hexe, die es meinem Leutnant angetan hat!« rief Jörg ingrimmig. »Irgendeinen Hexentrank hat sie ihm gebraut, sie wissen ja Bescheid damit, diese Wilden, und nun ist das Unglück da – er ist verliebt in sie!«

Pater Leonhard erhob sich in äußerster Bestürzung.

»Unmöglich! Gerald von Steinach, der ruhige, besonnene Mann mit seinem strengen Pflichtgefühl, und eine solche Leidenschaft – das kann nicht sein! Wie kommst du auf diese Idee?«

Der junge Soldat trat einen Schritt näher und dämpfte seine Stimme, obwohl sie sich allein befanden.

»Ich hab' es schon in Cattaro gewußt, aber ich hab' es nicht glauben wollen. Am Abend vor dem Abmarsch war der Leutnant noch einmal bei dem Kommandanten, und ich durfte ihn begleiten, um mich dem gnädigen Fräulein zu empfehlen. Aber wir bekamen sie gar nicht zu Gesicht, auch der Herr Gerald nicht; statt dessen war er allein mit seinem Schwiegervater, und sie schlossen sich ein wohl eine Stunde lang. Ich stand im dunklen Vorzimmer, als sie endlich herauskamen, der Herr Oberst sah mich nicht, und da hörte ich, was er noch zum Abschied sagte:

»Ich will dir nicht unrecht tun, Gerald; ich glaube selbst, daß das Ganze nur eine törichte Einbildung Ediths ist, aber was du sagst, beruhigt mich nicht, denn es zeigt mir, daß du dir selbst nicht klar bist. Wir trennen uns jetzt, und du gehst ernsten Dingen entgegen; da hast du auch Zeit, dich ernstlich zu prüfen. Du hast mir dein Ehrenwort gegeben, nicht eher an deine Braut zu schreiben, bis du ihr mit voller Offenheit sagen kannst: Ich habe Danira nicht geliebt, mein Herz gehört dir allein. Kannst du das, dann ist dir die Braut unverloren, denn ich baue unbedingt auf deine Ehre, und Edith wird es auch tun. Nun lebe wohl, ich hoffe, du wirst bald schreiben!«

Pater Leonhard hörte in äußerster Spannung dieser wörtlichen Wiedergabe des Gespräches zu; jetzt fragte er rasch:

»Nun und –?«

»Nun, Hochwürden – der Herr Gerald hat nicht geschrieben.«

»Wirklicht nicht? Weißt du das genau?«

»Ganz genau. Ich habe ja alle Briefe an den Boten zu besorgen, es war kein einziger an das gnädige Fräulein darunter.«

»Das ist allerdings ein schlimmes Zeichen,« sagte der Pater halblaut, »sehr schlimm!«

»Hexerei ist es, schändliche Hexerei!« rief Jörg wütend. »Die gnädige Frau Mutter trifft der Schlag, wenn sie es erfährt! Das Schloß Steinach stellt sich auf den Kopf, und der Moosbacher Hof dazu und das ganze Tirol – da muß eine hochwürdige Geistlichkeit einschreiten, das geht nicht anders, gegen Hexerei hilft nur der Priester.«

Der Geistliche achtete nicht auf die letzten Worte, die Nachricht berührte ihn augenscheinlich aufs peinlichste; erst nach einer Pause sagte er:

»Hast du dem Leutnant jemals eine Andeutung gemacht, daß du von der Sache weißt?«

»Einmal habe ich es versucht«, sagte Jörg kleinlaut. »Aber ich kam nicht weiter als bis zu dem Namen Danira. Da fuhr er auf und sah mich an mit ein paar Augen – ich dachte gar nicht, daß der Herr Gerald so blicken könne – ich habe es halt nicht zum zweitenmal probiert.«

»So will ich versuchen, ob er mir Rede steht. Einstweilen schweigst du auch ferner darüber, gegen jedermann.«

Hier wurde das Gespräch unterbrochen, denn man vernahm draußen Kommandorufe und den taktmäßigen Schritt marschierender Soldaten.

»Da sind sie!« rief Jörg auffahrend. »Entschuldigen Sie, Hochwürden, ich muß nachsehen, ob sie mir auch die Jovica mitgebracht haben; der Herr Leutnant hat sie unter seinen Schutz genommen, da ich fort mußte.«

»Wer ist die Jovica?« fragte der Pater, aber er erhielt keine Antwort; der junge Soldat war bereits zur Türe hinaus, und der Geistliche trat an das Fenster, um hinauszublicken.

*

Es war in der Tat Leutnant von Steinach, der soeben mit seiner Abteilung einrückte, freudig bewillkommt von der Besatzung des Forts. Die Offiziere begrüßten sich, und die Soldaten gaben unverhohlen ihre Freude kund, das Ziel erreicht zu haben, wo ihnen nach dem anstrengenden Marsche Ruhe und Erquickung winkten. Es gab ein fröhliches Durcheinander, als plötzlich Jörg erschien, in aller Eile Honneur vor seinem Leutnant machte und dann wie ein Stoßvogel mitten in seine Kameraden hineinschoß, wo er irgend etwas zu suchen schien.

Pater Leonhard begab sich auch jetzt hinunter, um den jungen Offizier zu begrüßen, den er seit dem Abmarsch von Cattaro nicht wieder gesehen hatte; denn bei der eigentümlichen Art des Feldzuges operierten die einzelnen Abteilungen des Regiments meist getrennt voneinander. Am Fuße der Treppe kam ihm Gerald bereits entgegen in Begleitung des im Fort kommandierenden Offiziers. Die Begrüßung war warm und herzlich, konnte aber für den Augenblick nur eine flüchtige sein. Gerald verhieß, sobald als möglich den geistlichen Herrn aufzusuchen, und schickte sich dann an, seinem Kameraden zu folgen; im Begriff zu gehen, wandte er sich aber noch einmal um und fragte:

»Hat Ihnen Jörg denn schon von seinem Findling erzählt?«

»Von welchem Findling? Ich weiß kein Wort davon.«

»Jörg bekleidet gegenwärtig eine neue Charge, die ihm allerdings etwas seltsam zu Gesicht steht. Er hat sich zum Pflegevater aufgeworfen und beabsichtigt, Ihnen seinen Pflegling vorzuführen. Sie werden das Nähere ja von ihm hören. Auf Wiedersehen, Hochwürden.«

Die Herren gingen, und Pater Leonhard schüttelte sehr befremdet den Kopf. Er konnte sich sein rauflustiges Beichtkind durchaus nicht in der angedeuteten Situation vergegenwärtigen, aber er sollte nicht lange in Zweifel bleiben, denn soeben betrat Jörg die Treppenhalle mit einem jungen Mädchen, das er wie ein Kind an der Hand führte.

»Gott steh mir bei!« rief der Pater, der aus diesen Anblick gar nicht gefaßt war. »Was bringst du mir da?«

»Eine Wilde!« versetzte der junge Soldat mit großer Feierlichkeit. »Aber Sie dürfen nicht erschrecken, Hochwürden, sie ist ganz zahm.«

Der Geistliche blickte erstaunt auf das kleine, zarte Geschöpf, das seinem Führer kaum bis an die Schulter reichte. Es war ein noch sehr junges Mädchen, kaum dem Kindesalter entwachsen, schlank wie eine Gemse und scheu wie diese. Das südlich dunkle Antlitz mit den noch ganz kindlichen Zügen und die dunklen Augen hatten einen Ausdruck schüchterner Unterwürfigkeit und Sanftmut, während die Kleidung so elend und dürftig war, wie man es nur bei den ärmsten Hirtenstämmen des Landes fand.

»Das ist die Jovica!« erklärte Jörg in einem Tone, als sei damit alles gesagt; dem Pater genügte aber diese Erklärung nicht, er begehrte zu wissen, wer die Jovica denn eigentlich sei, und woher sie komme, und so mußte Jörg sich denn zu einer längeren Erzählung herbeilassen.

»Vor zwei Tagen mußten wir ein paar von den Erd- und Steinhütten nehmen, die sie hier ein Dorf nennen. Es ging scharf her dabei, aber wir setzten uns zuletzt darin fest, und die Einwohner flohen. Da fand ich das arme Ding, das allein zurückgeblieben war, in einem Winkel versteckt, halb verhungert und fast zu Tode geängstigt. Sie glaubte wohl, daß ich sie gleich auf der Stelle spießen werde, denn sie zitterte am ganzen Leibe, aber ich habe ihr jetzt eine bessere Meinung von den Tiroler Kaiserjägern beigebracht, nicht wahr, Jovica?«

Das Mädchen verstand offenbar kein Wort von der ganzen Rede; ihre großen Augen hafteten furchtsam und ängstlich auf dem ihr fremden Geistlichen, während sie sich mit unverkennbarer Zutraulichkeit an ihren Beschützer schmiegte, der jetzt fortfuhr:

»Der Herr Leutnant versteht Slavisch, und da kam es denn heraus, daß sie gar nicht in das Dorf gehörte. Sie war mit einem Trupp Flüchtiger von der Grenze gekommen und wußte selbst nicht, wo sie eigentlich zu Hause war. Sie hat es mir klar gemacht: Vater tot – Mutter tot – alles tot! – Da bleibt doch nichts übrig, als daß ich Vater- und Mutterstelle bei ihr vertrete.«

Die Worte kamen so ehrlich und treuherzig heraus, daß der Pater ein leises Lächeln nicht unterdrücken konnte; aber er sagte ruhig:

»Ich denke, Jörg, es ist am besten, wenn du mir deinen Schützling anvertraust.«

»Ja, das meint der Herr Leutnant auch, und deshalb bringe ich Ihnen ja eben die Jovica, aber, Hochwürden, Sie werden Ihre Not damit haben, denn sie ist noch ein grausames Heidenkind. Gleich am ersten Tage ist es herausgekommen, daß sie noch mitten im Heidentum steckt. Sie kennt kein Kruzifix und keine Kirche, und den lieben Herrgott nennt sie Allah.«

»Dann gehört das Mädchen vermutlich einem der mohammedanischen Stämme an, die an der Grenze wohnen. Wenn sie wirklich eine Waise und ganz verlassen ist, müssen wir uns allerdings ihrer annehmen, es fragt sich nur, was wir mit ihr anfangen.«

»Vor allen Dingen müssen wir sie taufen«, meinte Jörg väterlich. »Das kann gleich hier im Fort geschehen, aber ich will Taufpate sein.«

»Das geht nicht so ohne weiteres. Zuerst muß das Mädchen doch in den Lehren des Christentums unterrichtet werden, und wir müssen wissen, ob sie überhaupt dafür empfänglich ist.«

Jörg sah sehr enttäuscht aus, als der Taufakt, bei dem er eine so wichtige Rolle zu spielen gedachte, in weite Ferne gerückt wurde, aber er sagte ergeben:

»Nun, Sie müssen das am besten wissen, Hochwürden, aber im Heidentum kann das arme Ding nicht bleiben, das ist doch klar.«

»Vorläufig bleibt sie hier«, entschied der Pater. »Mir ist eine Hilfe bei meinen Kranken sehr erwünscht, und da einer davon geläufig slavisch spricht, so kann er den Dolmetscher machen. Wir wollen das sogleich versuchen.«

Er wollte den Arm des Mädchens ergreifen, um sie fortzuführen, aber Jovica widerstrebte aus allen Kräften, als man sie von ihrem Beschützer trennen wollte. Sie klammerte sich angstvoll an ihn und begann bitterlich zu weinen, während sie mit flehender Stimme einige slavische Worte sprach, die Jörg natürlich so wenig verstand wie sie die seinigen; aber er trat sehr entschieden auf und zog sie an sich.

»Das geht nicht so, Hochwürden«, sagte er nachdrücklich. »Mit der Jovica muß man ganz anders umgehen, sonst weint sie, und das leide ich nicht. Das arme Ding ist so scheu wie eine von unsern Gemsen und fürchtet sich vor aller Welt, nur vor mir nicht. Man muß ganz väterlich mit ihr reden, und das versteh' ich allein.«

Er streichelte beruhigend das glänzend schwarze Haar des Mädchens und begann nun in der Tat eine Rede, in der er sein Tiroler Deutsch höchst willkürlich mit einzelnen slavischen Worten mischte, die er irgendwo aufgefangen hatte. Es klang eigentlich mehr barbarisch als väterlich, trotzdem beruhigte sich Jovica sichtlich dabei. Sie sträubte sich nicht mehr, als er sie schließlich zu dem Pater Leonhard führte und ihr pantomimisch dessen Vortrefflichkeit klar zu machen suchte, aber ihre Augen schwammen noch in Tränen und waren mit rührender Beharrlichkeit unausgesetzt auf ihren Beschützer gerichtet.

Dieser schien noch verschiedene Abschiedsfeierlichkeiten zu beabsichtigen, doch der Pater machte dem ein Ende, indem er seine nunmehrige Pflegebefohlene mit sich nahm. Jörg sah ihnen sehr beruhigt nach, er hatte die beiden Dinge, welche ihm jetzt am Herzen lagen, in die Hände einer hochwürdigen Geistlichkeit gelegt und war fest überzeugt, daß diese sowohl mit der »Hexerei« als mit dem Heidentum werde fertig werden.

Eben wandte er sich zum Gehen, als sein Kamerad Bartel eintrat, der dem Leutnant eine Meldung zu bringen hatte.

»Nun, Jörg, bist du deinen Findling glücklich los geworden?« spottete er. »Was sagt denn Pater Leonhard zu dem Heidenkinde? Wird er es taufen?«

»Bartel, nimm dich in acht!« versetzte Jörg. »Du bist mein Freund und Landsmann, aber wenn du mich und die Jovica nicht in Ruhe läßt, geht es dir schlimm.«

Bartel kümmerte sich nicht um die Warnung, er stichelte weiter.

»Ein sauberes Pflegekind hast du dir ausgesucht! Eine heidnische Hexe, braun wie eine Zigeunerin und zerlumpt wie –«

Weiter kam er nicht, denn sein Freund und Landsmann streckte den Arm aus und führte einen so gewaltigen Schlag nach dem Spötter, daß dieser rückwärts an die Mauer taumelte und sich ganz betäubt den Kopf mit beiden Händen hielt.

»So geht es, wenn man über die Jovica redet!« sagte Jörg mit Seelenruhe. »Merk' es dir und sag' es auch den Kameraden, daß sie sich danach richten. Ich schlage im Notfall die ganze Kompagnie nieder, mir kommt es nicht darauf an!« Und in dem Bewußtsein, ein gutes Werk vollbracht zu haben, schritt er mit erhobenem Haupte davon.

*

Leutnant von Steinach hatte Wort gehalten und, sobald er Zeit dazu gefunden, den Pater Leonhard in seinem Zimmer aufgesucht. Er stand jetzt am Fenster des kleinen Gemaches und sah hinaus in die öde, tote Karstlandschaft, der der Sonnenuntergang einen täuschenden Schein von Leben verlieh.

Auch den jungen Offizier hatten die Strapazen des Feldzuges wenig berührt. Zwar trugen seine Züge die Spuren des heißen Sonnenbrandes, und das hellbraune Haar legte sich dichter und wirrer um Stirn und Schläfen, sonst aber war seine Erscheinung noch ebenso frisch und kraftvoll wie einst, die Entbehrungen der letzten Wochen schienen ihn nur gestählt zu haben.

Und dennoch entdeckte der beobachtende Blick des Paters eine Veränderung, die zwar nur im Ausdruck lag, aber trotzdem deutlich hervortrat. Das war nicht mehr der ruhige, leidenschaftslose Gerald von Steinach, dessen kühle Besonnenheit bei seinen Kameraden sprichwörtlich geworden war. Es hatten sich fremde Linien in sein Antlitz gegraben, ein halb düsterer, halb bitterer Zug, der von geheimen, mühsam verhehlten Kämpfen erzählte, und in den sonst so hellen Augen lag es wie ein tiefer Schatten. Er hatte von seinen Kriegserlebnissen berichtet, die Chancen des Feldzuges erörtert, von der Heimat und der Mutter gesprochen, aber er erwähnte mit keiner Silbe seiner Braut und vermied es sogar, Cattaro zu nennen, obgleich die Stadt der eigentliche Ausgangspunkt der militärischen Operationen war. Aber auch seine Art zu sprechen war eine andere geworden, hastig und sprunghaft, als wolle er eine innere Unruhe betäuben und sei mit seinen Gedanken gar nicht bei dem Gespräch. Endlich verstummte er ganz, und sein Blick verlor sich träumend in die Ferne. Die Felsen schimmerten rot in den letzten Strahlen der Sonne, und am Horizont zeigten sich lange, scharf abgegrenzte Wolkenstreifen, die gleichfalls in dem roten Lichte erglühten.

Das längere Schweigen, welches eingetreten war, weckte Gerald aus seiner Träumerei. Er wandte sich um, und als er den forschenden Blick des Paters auf sich gerichtet sah, ging eine Regung des Unmutes über seine Züge.

»Ich beobachtete soeben den Himmel«, sagte er rasch. »Man lernt nachgerade hier die Wetterzeichen verstehen; es scheint, wir werden eine Bora bekommen. Ich bin froh, daß ich meine Leute im Fort untergebracht habe, und daß uns einige Ruhetage in Aussicht stehen.«

»Die Ruhe ist auch allen notwendig«, meinte Pater Leonhard. »Besonders Ihnen, Gerald; Sie sind ja in den letzten Wochen fast immer auf dem Platze gewesen.«

»Es war eben notwendig, die Insurgenten halten uns scharf in Atem. Sie wissen es ja, es ist der Sohn des Joan Obrevic, der uns jetzt am meisten zu schaffen macht.«

»Und dieser Sohn steht an der Spitze des Stammes und bietet alles auf, seinen Vater an Ihnen zu rächen. Das macht mir oft schwere Sorge, Gerald! Sie haben mir von ihren Erlebnissen gesprochen, aber Sie verschwiegen mir, wie oft jene Rache Sie schon bedroht hat. Ich weiß es durch Ihre Kameraden, daß Sie bisher nur wie durch ein Wunder all den geheimen und offenen Nachstellungen entgangen sind.«

Der junge Offizier zuckte die Achseln.

»Ich stehe hier wie dort in der Hand eines Höheren, und – es ist wahr – ich bin in der letzten Zeit so oft und so wunderbar bewahrt worden, daß ich gelernt habe, diesem Schutze zu vertrauen.«

»Wer aber die Gefahr herausfordert, wie Sie es nach der Behauptung der anderen Offiziere tun, der fordert damit auch die Vorsehung heraus. Ihr Leben gehört nicht Ihnen allein, andere haben auch ein Recht darauf.«

»Meine Mutter – ja!« sagte Gerald langsam. »Ich vergesse es bisweilen, daß sie um mich bangt und sorgt.«

»Und Ihre Braut?«

Der junge Mann schwieg und sah zu Boden.

»Sie haben doch hoffentlich Nachrichten von ihr? Unsere Verbindung mit Cattaro ist ja ziemlich regelmäßig.«

Gerald sah auf, er mochte wohl in dem Blick des Priesters lesen, daß dieser mehr wußte, als er zeigen wollte, denn er sagte rasch:

»Hat Oberst Arlow Ihnen geschrieben?«

»Nein, aber vielleicht weiß ich von anderer Seite, was Sie mir verschweigen.«

Gerald gab keine Antwort, er wandte sich wieder nach dem Fenster und schien das Gespräch abbrechen zu wollen, aber Pater Leonhard trat zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter.

»Gerald, Sie sind in den letzten Jahren wenig im väterlichen Hause gewesen, aber Sie wissen doch, daß ich diesem Hause nicht fremd bin. Wollen Sie dem Freunde Ihrer Eltern, dem Priester, nicht Rede stehen?«

Die Frage klang mild, aber doch in ernster Mahnung, und sie blieb nicht wirkungslos. Gerald fuhr mit der Hand über die Stirn.

»Was soll ich denn sagen? Weiß ich selbst, was auf mir lastet? Ich bin ja hineingehetzt worden in den Zweifel, in den Zwiespalt mit mir selber. Hätten Edith und ihr Vater meiner Ehre vertraut, sie würden es wahrlich nicht bereut haben. Die Sache war ja zu Ende, und ich hätte die Erinnerung daran niedergezwungen wie einen schweren Traum – für immer!«

»Eine junge Braut will nicht bloß der Ehre ihres Verlobten vertrauen, daß er sein Wort hält«, entgegnete der Pater ernst. »Sie fordert seine Liebe und mit vollem Rechte. Übrigens hat Ihnen der Oberst, soviel ich weiß, die Wiederannäherung freigestellt, sobald Sie es mit freiem Herzen tun können. – Haben Sie Ihrer Braut geschrieben?«

»Nein«, sagte Gerald schwer und dumpf.

»Sie konnten es nicht?«

»Nein, ich konnte nicht.«

»Gerald – das ist ja unmöglich! – das kann nicht sein!«

»Was ist unmöglich?« fragte der junge Mann mit tiefer Bitterkeit, »daß der Nachtwandler, den man plötzlich weckt, um ihm die Tiefe zu seinen Füßen zu zeigen, vom Schwindel ergriffen wird? Hätte man ihn ungestört gelassen, er hätte den Weg zurück gefunden. Ich hielt es auch einst für unmöglich, daß eine Empfindung wochenlang auf dem Grunde der Seele schlummern kann, ohne daß man eine Ahnung davon hat, bis dann mit einem Male der Blitz einschlägt, der das Dunkel erhellt, daß ein solcher Schlag das ganze Sein und Wesen verändern kann, daß man sich selbst nicht mehr wiedererkennt in all seinem Denken und Fühlen. Damals in Cattaro hätte ich es noch überwinden können, jetzt, wo ich wochenlang mit mir allein gewesen bin, weiß ich, daß ich es nicht mehr kann, und damit bin ich losgelöst von meiner ganzen Vergangenheit, zerfalle mit denen, die mir am nächsten stehen, im ewigen Kampf mit mir selber! Wäre es denn da nicht am besten, wenn ich gar nicht zurückkäme, und wollen Sie mir einen Vorwurf daraus machen, wenn ich die Gefahr aufsuche und die Kugel ersehne, die der ganzen Qual ein Ende macht?«

Er hatte in steigender Aufregung gesprochen. Es war in der Tat eine furchtbare Veränderung mit dem sonst so ruhigen Manne vorgegangen, und der Pater erschrak über diese wilde, fieberhafte Heftigkeit.

»Ich habe nie geglaubt, Sie so zu sehen, Gerald«, sagte er vorwurfsvoll und schmerzlich zugleich. »Also dahin ist es bereits gekommen, daß Sie den Tod suchen, daß –«

»Wir müssen ja hier alle dem Tode in das Auge sehen«, unterbrach ihn Gerald. »Für mich hat er seine Schrecken verloren, das ist das Ganze. Aber wir sollten uns das Wiedersehen nicht mit solchen Erörterungen verderben, ich wollte von ganz anderen Dingen mit Ihnen reden. Jörg hat Ihnen seinen Schützling bereits übergeben, wie ich höre. Er ruhte nicht, bis ich ihm erlaubte, das Mädchen mit nach dem Fort zu nehmen. Es fragt sich nur, was jetzt aus ihm werden soll.«

Dies jähe Abbrechen zeigte deutlich, daß er um jeden Preis von dem bisherigen Gegenstande des Gesprächs loskommen wollte, und Pater Leonhard machte keinen Versuch, ihn dabei festzuhalten; er hatte schon zu viel erfahren.

Die Unterhaltung drehte sich noch einige Minuten lang um Jovica, aber keiner der beiden war recht bei der Sache, und Gerald ergriff die erste Gelegenheit, sich zu verabschieden. Der Priester blickte ihm mit einem schweren Seufzer nach.

»Wie wird das enden!« murmelte er. »Die Sache ist also doch wahr, so unglaublich sie scheint, man möchte beinahe wie Jörg an Hexerei glauben. Freilich, wenn in diese ruhigen, eisigen Naturen einmal der Funken der Leidenschaft schlägt, dann gibt es einen furchtbaren Brand!«

*

Die Nacht verging im Fort ohne jeden Zwischenfall, und besonders die neuen Ankömmlinge gaben sich der wohlverdienten Ruhe hin; aber sie sollte ihnen nicht lange gegönnt werden. Eben begann der Tag zu dämmern, als urplötzlich das Signal ertönte, das die Soldaten aus dem Schlafe weckte, und die ganze Festung geriet in Bewegung.

Pater Leonhard, der noch spät bei seinen Kranken beschäftigt gewesen war, wurde gleichfalls aufgeschreckt, – man mußte ja hier immer auf das plötzliche Losbrechen einer Gefahr gefaßt sein – er erhob sich rasch und verließ sein Zimmer, als ihm an der Treppe schon Jörg entgegenkam in voller Uniform und in höchster Eile.

»Da sind Sie ja, Hochwürden! Der Herr Leutnant schickt mich, um Ihnen zu melden, daß wir Hals über Kopf fort müssen. Er hat keine Zeit mehr, und ich muß auch in fünf Minuten drunten sein. Habe ich es nicht gesagt! Kaum denken wir einmal auszuschlafen, da kommt uns schon wieder die verdammte Krivoscie über den Hals!«

»Was gibt es denn aber? Greifen die Insurgenten etwa das Fort an?«

»Nein, aber unser Hauptmann schlägt sich zwei Stunden von hier mit ihnen herum. Sie haben ihn in der Nacht überfallen, er kann der Übermacht nicht allein standhalten und hat um Verstärkung gesandt. Wir stoßen zu ihm! Hochwürden, ich wollt' nur bitten, daß Sie sich der Jovica annehmen. Das arme Ding weint, wenn es mich heute nicht sieht, und ich vertrete doch nun einmal Vaterstelle bei ihr.«

»Sei ohne Sorge, ich habe das Mädchen ja unter meinen Schutz genommen. Wo steht denn eigentlich der Hauptmann?«

Aber Jörg war viel zu sehr mit seinen väterlichen Pflichten beschäftigt, als daß er jetzt Sinn für etwas anderes gehabt hätte, er sprach hastig und abgebrochen weiter:

»Und wenn ich gar nicht zurückkomme – taufen müssen Sie das arme Ding doch wenigstens, es kann doch nicht im Heidentum bleiben. Versprechen Sie mir das, Hochwürden! – Da ist schon wieder das Signal, und gerade jetzt fängt diese verwünschte Bora an zu pfeifen. Aber das hilft nichts, hinaus müssen wir doch! Ich wollte, ich könnte dieser ganzen Krivoscie den Hals umdrehen – nein, nicht der ganzen, die Jovica gehört ja auch dazu! – Behüt' Gott, Hochwürden, und nehmen Sie mir die Jovica in acht!«

Er stürmte die Treppe hinunter, um sich seinen Kameraden anzuschließen. Pater Leonhard folgte und kam noch gerade recht, um zu sehen, wie die Festungstore geöffnet wurden. Jörg stand bereits in Reih und Glied; Gerald, der sich an der Spitze seiner Leute befand, winkte dem Geistlichen mit dem Degen einen Abschiedsgruß zu, und die kleine Schar zog mutig hinaus in den dämmernden Morgen.

*


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