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VII
Universitätsbildung, Zeitungen und Bücher

Lassen Sie uns die nächste Erziehungsstufe betrachten.

Der Erziehungsgang ist ein natürliches Fortschreiten der menschlichen Entwicklung, unser Durchgang von Kindheit und Jugend zur Reife. Schulung gab es, ehe es Schulen gab, ehe es Menschen gab. Ich habe eine Katze beobachtet, die ihre Jungen lehrte. Schulung ist ein Teil des Jungseins. Wir wachsen heran. Es kommt die Zeit, wo die Schulung beendet ist, wo an Stelle der Ausbildung, die wachsende Anteilnahme und Verantwortlichkeit des reifen Alters tritt.

Nichts destoweniger geht unsere Erziehung weiter.

Ich setze voraus, dass der Wilde, der Barbar, der gewöhnliche Bauersmann, jeder ungebildete Mensch uns auslachen würde, wenn wir ihm sagten, dass auch der Erwachsene noch zu lernen habe. Aber in unserer modernen Welt – ich meine in unserer mehr oder weniger zivilisierten Welt – lebt eine neue Anschauung, neu meine ich in dem Sinne, dass sie dem Lebensplan der primitiven Menschheit und der meisten andern Lebewesen zuwiderläuft: es ist die Anschauung, dass man bis zu seinem Lebensende nicht zu lernen aufhört. Es ist das was den modernen Menschen vom tierischen Wesen unterscheidet, er behält auch im reifen Alter noch den Sinn dafür, Neues zu erforschen und zu erfahren.

Ich bin in der Geschichte nicht genug bewandert, um Ihnen mit Bestimmtheit sagen zu können, zu welcher Zeit der reife Mann begonnen hat, sich weiteren Studien hinzugeben, anstatt nur gerade irgend einen Beruf zu ergreifen. In Indien, zur Zeit Buddhas, zu Confucius Zeit in China, bei den Griechen zur Zeit Platos, kannte man das schon. Das ist 26 Jahrhunderte oder noch länger her.

Ähnliches mag es vor 2000 Jahren in den Tempeln Egyptens oder Samarias gegeben haben. Ich weiss es nicht. Wir müssten eine Autorität wie Professor Breasted danach fragen. Vielleicht sind es schon 50 oder 100 Jahrhunderte her, dass Männer sich im reifen Alter weiter fortzubilden strebten. Seitdem hat sich diese Anschauung verbreitet. Ich setze voraus, dass die meisten gebildeten Leute heute darin mit mir übereinstimmen, dass wir lernen, lernen sollen so lange wir leben – dass wir unausgesetzt unsere Gedanken und Vorstellungen zu entwickeln und zu ändern haben.

Sie können aber noch heute Leuten begegnen, die diese Anschauung nicht teilen. Sie können sogar Lehrer, Doktoren, Geschäftsleute finden, die überzeugt davon sind, dass sie bis zu ihrem 25. oder 30. Lebensjahr alles gelernt haben, was man lernen kann. Erst ganz kürzlich hat dieser Gedanke die Grenzen gewisser Kreise überschritten und ist allgemein geworden – der Gedanke, dass jedermann sein Leben lang ein Lernender und die Welt auch für die, die ihre Schulzeit beendet haben, eine Schule bleibt.

Dieser Gedanke hat sich erst kürzlich verbreitet, weil die Welt sich in den letzten Jahren so schnell verändert hat, dass der Gedanke, sich im Leben zur Ruhe zu setzen, aus unserer Vorstellung geschwunden ist und einer neuen Einsicht Raum gegeben hat, der Erkenntnis fortdauernder Anpassung, bis an das Ende unserer Tage. Es tut nicht gut, sich in einer Welt festzusetzen, die ihrerseits nicht gewillt ist, etwas derartiges zu tun.

Früher jedoch setzte sich die Mehrzahl aller Frauen und Männer dauernd und endgültig eines Tages zur Ruhe. Das Lernen hörte mit 12, 15, 16 spätestens 20 Jahren auf. Nur wenige widmeten sich den Studien ihr ganzes Leben lang. In unserer abendländischen Welt war die Universität bisher der Rahmen dieser weiter fortgeführten Studien. Die Universität ist wesentlich die Lehranstalt des erwachsenen Menschen, im Unterschied zu der vorbereitenden jugendlichen Lehrzeit.

Zwischen der Schulzeit und dem Studium des Erwachsenen gibt es noch eine Zwischenstufe.

In Schottland und Amerika wird diese als College-Zeit genau bezeichnet und unterschieden. In England jedoch, wo weniger klar und bestimmt gedacht wird, ist das College halb Schule, halb Universität. Es ist nicht so genau getrennt von der vorhergehenden, vorbereitenden Schulzeit und dem nachfolgenden freien Studium. Was für einen Nutzen sollte nun der junge Mensch, männlichen oder weiblichen Geschlechts, auf Grundlage des von uns geschilderten Unterrichts, aus den Colleges ziehen? In der Praxis sehen wir, dass schon recht viel technische Studien im College getrieben werden. Der künftige Jurist beschäftigt sich mit Rechtswissenschaft, der Arzt beginnt seine medizinischen Studien, der künftige Ingenieur widmet sich der Technik und der junge Kaufmann beginnt (oder sollte es tun), die grossen kaufmännischen Unternehmungen und Geschäftsbewegungen zu studieren.

Für diejenigen, die das College nicht besuchen, haben wir jetzt als Ersatz, in allen zivilisierten Ländern, die Fortbildungs-Abendkurse, die technische Abendschule und die Arbeitsschule.

Aber so gut und nützlich sie auch sind, so können sie die Collegezeit doch nicht ersetzen. Diese soll eine Vorbereitung sein für das spätere Leben, eine Beschauung des Lebens.

Der junge Mann, das junge Mädchen sind in ein Stadium getreten, wo sie selbständig zu denken beginnen und die Collegezeit soll ihnen hauptsächlich Stoff und Anregung dazu bieten.

In der Collegezeit wurden die meisten von uns sich ihrer Religionsempfindungen bewusst, verwirklichten sie, erhielten politische und soziale Anschauungen, gewannen Verständnis für Literatur und Kunst und machten die quälende und doch so beglückende Wandlung zur Selbstentwicklung durch.

Ich denke, die meisten von uns werden rückblickend darüber einig sein, dass das Beste im Collegeleben nicht die Vorlesungen, nicht der Unterricht war – man hätte das meiste davon in der Schule durchnehmen können – sondern die kameradschaftliche Anregung, die Diskussionen und Unterhaltungen in der Klasse, im Laboratorium, die Gespräche, die man untereinander im eigenen Zimmer führte, über Gott, Religion, Staat, Freiheit und Kunst, über alle möglichen und unmöglichen sozialen Beziehungen.

Ich selbst habe noch etwas anderes in meiner Collegezeit erlebt – etwas der gleichen Art, aber doch noch Besseres.

Ich sagte bereits, dass ich mangelhaft erzogen bin. Meine Schulbildung war kläglich, aber als segensreiche Entschädigung dafür, war meine Collegezeit aussergewöhnlich fruchtbar. Ich verliess die Schule im Alter von 13 Jahren. Mein Vater, ein berufsmässiger Kricketspieler, kam durch einen Unfall ums Leben, drei fürchterliche Jahre lang war ich kaufmännischer Angestellter. Dann wandte sich, mein Geschick und ich kam zu dem grössten Lehrer meiner Zeit, Professor Huxley. Ich studierte ein Jahr unter seiner Leitung im Royal-College of Science in London, hörte seine zoologischen Kurse und 1½ Jahre Geologie bei einem sehr tüchtigen, aber weniger anregenden Lehrer, Professor Judd. Ich trieb ebenfalls Physik und Astronomie. Alles in allem genoss ich drei volle Jahre wissenschaftlichen Studiums. Und der geologische Unterricht, wie ihn Professor Huxley erteilte, war eine fortwährende, systematische, erleuchtete Vertiefung in alle Formen und Erscheinungen des Lebens, der Vergangenheit und zukünftigen Zeit. Es war eine kolossale Geistesschulung, Erforschung des Sichtbaren und Prüfung der Erscheinungen.

Ein Jeder neigt wahrscheinlich dazu, seinen eigenen Bildungsgang für etwas Besonderes anzusehen. Ich glaube jedoch, dass diese drei Studienjahre bleibenden Wert hatten – sie gaben mir einen Überblick über das Universum, übten und stärkten meinen Verstand, wie kein anderer Unterricht, weder klassische noch mathematische Kurse, die ich jemals mitgemacht habe. Ich bin so überzeugt von dem Wert des biologischen Studiums, dass ichs meinen Söhnen im Voraus gesichert habe und mein Möglichstes getan habe, um es in England zu verbreiten. So wichtig das Studium auch für mich war, so glaube ich nichtsdestoweniger, dass alles andere, was unser Collegeleben mitsichbrachte, fast noch wichtiger war: die Gespräche, Diskussionen, das Umherschlendern durch die Strassen Londons, wenn wir die politischen Versammlungen besuchten, William Morris über Sozialismus, Auberon Herbert über Individualismus, Gladstone über Homerule, Bradlaugh über Atheismus reden hörten, denn das waren die damaligen Leuchten meiner längst verflossenen Studienjahre.

Wenn die Schule Ausdruck und Mitteilungsfähigkeit entwickelt, so dient die Collegezeit wesentlich der Befestigung umfassender Überzeugungen. Zur sicheren und klaren Begründung derselben soll der junge Mensch alle erdenklichen Ansichten an sich herantreten lassen und die Wahrheit nicht nur von der einen, sondern auch von der anderen Seite betrachten.

Ich stelle hier wieder die gleichen Fragen, die ich bezüglich der Schulen stellte.

Entspricht das College, wie es jetzt beschaffen ist, diesen Ansprüchen? Könnte die höhere Bildung nicht allen Heranwachsenden zuteil werden?

Ich betrachte zunächst die erste Frage. Könnte das geistige Leben im College sich nicht noch viel anregender und mannigfaltiger gestalten, müsste nicht noch viel mehr geschehen, um den jungen Leuten Einblick in die zahlreichen Lebensfragen zu eröffnen?

Es wird z. B. viel über den Begriff von Eigentum, über Recht und Beschränkung desselben gesprochen. Es wird ebenfalls sehr viel über Sozialismus und Kommunismus gesprochen und geschrieben. Über alle diese Fragen sollten unsere jungen Leute unterrichtet werden, denn sie werden sich, sobald sie die Lehranstalten verlassen, mit ihnen auseinandersetzen müssen. Daher müssen sie sich ein Urteil bilden können, sie müssen sich nicht nur darüber klar werden, wie sie selbst zu diesen Dingen stehen, sondern auch wie unser öffentliches Leben dazu steht, ob es nicht in hoffnungslose, hartnäckige Vorurteilskonflikte zerfällt; sie müssen auch die Ansicht anderer kennen lernen, die anders denken als sie selbst.

Sie werden es vielleicht vorziehen, diese Dinge zu übergehen – viele ältere Leute tun das – aber es wird Ihnen nicht gelingen.

Denn unsere Jugend, die Aufgeweckten und Lebhaften unter ihnen, werden darauf bestehen, diesen Fragen nachzugehen und sich ein eigenes Urteil darüber zu bilden. Und wenn das College ihnen nicht die nötigen Anleitungen, die nötigen Aufschlüsse dazu erteilt, so werden sie sich heimlich von anderer Seite Bücher und Erklärungen zu verschaffen wissen und eine einseitige, unüberlegte Anschauung erlangen.

Auch Religion ist ein Thema, über das sich junge Leute selbst ein Urteil bilden wollen und sollen.

Von grosser Wichtigkeit sind die Fragen des Geschlechtslebens.

Ich weiss, auf beiden Seiten des Oceans, hier wie drüben, wütet ein heftiger Kampf zwischen strenger Prüderie und Geheimhaltung einerseits und offener Einsicht und Untersuchung andererseits.

Über den Ausgang dieses Streites bin ich nicht im Zweifel. Ich finde es ziemlich schwer, mir die erste Anschauung vorzustellen.

In der Schule ist der Bursche unmündig, schutzbedürftig und nicht dazu berufen, selbst zu urteilen und zu handeln, er soll einer geistigen Aufsicht unterstellt sein. Es ist ziemlich belanglos, finde ich, wie strenge ein Schulbub oder ein Schulmädel in ihrer geistigen Entwicklung kontrolliert werden. Aber der Heranwachsende hat ein Recht auf eigene Erkenntnis und eigenes Urteil. Das Collegeleben soll dazu dienen, den jungen Leuten Stoff zur Bildung eigener Ansichten zu geben.

Ich möchte den Vorschlag machen, unsere Lehranstalten jeder Art der Propaganda zu eröffnen. An allen Universitäten der Alten und Neuen Welt wird Propaganda immer noch als etwas gefährliches betrachtet. Der Heranwachsende braucht sie aber, er braucht Anregung als lebensförderndes Element.

Ich führe mich selbst als Beispiel an. Ich bin Protestant, protestantischer Herkunft, in protestantischer Anschauung erzogen. Ich bedauere jedoch tief, dass meinen Söhnen in ihren Studienjahren nicht Gelegenheit geboten wird, die katholische Kirche kennen zu lernen. Ich wünschte, die alte Mutterkirche erschlösse sich meinen Knaben, damit sie erkennen was für eine Rolle sie in der Geschichte gespielt hat, was sie ist, sein will, was die Messe bedeutet. Diese Dinge sind mit unserer Vergangenheit eng verwoben, sie gehören zu uns. Ich möchte nicht, dass sie gleich Fremden und Ausländern die Kirche betreten und die Altäre anstarren.

Und zugleich mit der Lehre der katholischen Kirche sollte ihnen von einem nichtkatholischen oder skeptischen Ethnologen Religion und Kirchengeschichte vorgetragen werden. Auch ihm sollte es freistehen, seine Ansicht zu verkünden und seine Schlussfolgerung zu ziehen.

Wir können jedoch die Beobachtung machen, dass Religionsunterricht und Religionsanschauung in den meisten Colleges nicht gelehrt wird. Was wollen Sie denn heranziehen? Brave Klausner oder Frauen und Männer? Das Gleiche ist es mit dem Bolschewismus. Ich weiss nicht, wie es in Amerika ist. In England jedoch versucht man in ganz lächerlicher Weise die bolschewistische Propaganda zu unterdrücken. Ich habe viel von bolschewistischer Propaganda gehört und erfahren, es ist meiner Ansicht nach eine wenig überzeugende Sache. Aber durch die Unterdrückung bekommt der Bolschewismus eine ausserordentlich geheimnisvolle, romantische Anziehung. Selbstverständlich glauben unsere jungen Leute, es müsse etwas ganz besonderes sein, weil es die Regierung so in Aufregung versetzt. Ausserdem werden an unseren Universitäten die roheren Elemente dazu aufgestachelt, alle diejenigen, die im Verdacht stehen, bolschewistische Literatur zu lesen, anzufallen und zu verprügeln. Das gibt der Sache den Zauber grosser intellektueller Bedeutung.

Das Resultat davon ist, dass jeder junge Bursche, der einen Funken geistigen Lebens und Selbstachtung besitzt, darauf brennt, sich von der bolschewistischen Lehre überzeugen zu lassen. Er glaubt an Lenin – weil man ihm verbietet seine Schriften zu lesen. Bei nüchternen Leuten, wie ich es bin, hat er weniger Glück.

Doch Sie ersehen wohl schon meine Auffassung der Collegestudien? Sie sollten sich auf biologischen Unterricht gründen und von dem Streben geleitet werden alle wichtigen Tagesfragen zu erforschen.

Sie werden vielleicht einwenden wollen, dass ich damit die klassisch-philosophische Erziehung, die an allen Universitäten noch immer als die höchste Bildung angesehen wird, verwerfe. Sie werden midi beschuldigen, dass ich Aristoteles, Plato, Heraklid und Lukretius abschaffen will.

Es liegt dies nicht in meiner Absicht, so weit ihre Gedanken heute noch lebendig sind. So weit ihre Gedanken noch lebendig sind, so weit kommen diese Leute auch noch heute für alle Lebensfragen in Betracht. Sind sie jedoch gestorben und begraben, so wollen wir sie begraben sein lassen und den Archäologen zur Ausgrabung überlassen. Sind sie aber noch modern und lebendig, so wird es Ihnen nicht gelingen sie abzutun, wenn Sie offen und ehrlich an die Lebensfragen herantreten. Spüren Sie ihnen nicht nach, so sie in der Dunkelheit vergessener Sprache noch heute unsterblich und neuzeitlich sind. Treiben Sie keine Abgötterei mit ihnen, lassen Sie sich selbst von ihnen finden. Entweder sind sie unvermeidlich in den Fragen des Lebens oder sie sind belanglos und unwichtig. Es ist ein beliebter Gemeinplatz der Klassizisten zweiten Ranges, zu behaupten, dass in den Klassikern Weisheit und Schönheit enthalten sei, die keine moderne Sprache wiedergeben könne, die zwar nicht veredele noch mächtiger mache, aber dennoch von unerhörtem Werte sei; für andere Sterbliche aber hat dies weiter nichts Lockendes und ich will Sie mit diesen Belanglosigkeiten nicht länger belästigen.

Das im College erlangte Wissen sollte im modernen Staat unbemerkt in die geistige Tätigkeit des Menschen übergehen.

Gleichzeitig damit vollzieht sich auch die technische Ausbildung, Vorbereitung für industrielle Betriebe, Handel, Ingenieurwesen, Medizin, Verwaltung. Das Gleiche sollte für die Frau geschehn. Auch dies ist ein Werdegang, der sich in unserer wechselvollen Welt nie vollendet. Der im College begonnene Bildungsgang hört in Wirklichkeit nie auf. Das Leben einer jeden Frau, eines jeden Mannes sollte ein beständiger Wechsel, eine fortwährende Berichtigung und Befestigung der erworbenen Anschauungen sein und ebenso sollte sich auch das technische Wissen und Können mehren.

Ich gehe nun zur zweiten Frage über, zu der Verbreitung der Collegeerziehung. Könnten wir sie der Masse der Gesamtbevölkerung zugänglich machen?

Ich glaube nicht, dass dies möglich ist, wenn wir es uns nicht anders denken können, als in Verbindung mit Universitäten, Klassenräumen, Lehrern, Professoren u. dgl. Wir kommen hier wieder auf das vernachlässigte Problem – vernachlässigt soweit es Erziehung betrifft – der Kraftausnützung; wir müssen auch hier unseren Blick auf die neuen Möglichkeiten richten, die unsere Lehranstalten bisher unbenutzt gelassen haben. Unsere europäischen Universitäten und höheren Lehranstalten erfreuen sich alter ehrenvoller Traditionen, die noch vieles der griechischen und römischen Lehrmethode verdanken. Diese Lehrmethode war bereits vor der Zeit der Buchdruckerkunst hoch entwickelt und längst bevor man Landkarten und Illustrationen druckte; sie war daher noch immer wie im Steinalter grösstenteils eine mündliche. Dies bedingte eine ausserordentliche Gedächtnisleistung. Der Lehrer des Mittelalters ordnete sein Thema in verschiedene Teile, erstens, zweitens, viertens, sechstens und so fort. Der Schüler konnte sich daran halten und die verschiedenen Punkte an seinen Fingern ablesen – eine Art der Daumen- und Fingermethode – eine Methode, die Mr. Hilaire Belloi, der hervorragende Verteidiger des Katholizismus bei seinen Vorträgen in der Vollendung anwendet. Es ist eine Methode, die das Wichtige vom Unwichtigen nicht zu unterscheiden vermag, die verschiedenen Punkte werden ohne Verhältnis zu einander gleichwertig aufgezählt und aneinandergereiht; aber in jenen längst entschwundenen Tagen war man nur auf das Gedächtnis angewiesen. Sie sind jedoch noch keineswegs vollständig geschwunden. Der Universitätsunterricht basiert noch immer auf Vorlesungen, sie werden auch noch immer in gleicher Weise gehalten, erstens, zweitens, drittens, und wir ziehen noch immer einen Professor zweiten Ranges, den wir an Ort und Stelle hören können, jedem noch so befähigten Lehrer in der Ferne vor. Die meisten von uns, die Universitätskurse mitgemacht haben, werden sich erinnern, wie qualvoll es ist, diese ausführlich ausgearbeiteten, langweiligen Vorlesungen über sich ergehen zu lassen, trotz der vielen guten Lehrbücher, die es gibt. Auch hier scheint jetzt die Zeit gekommen zu sein, den Unterricht zu zentralisieren und die Lehrkraft auszunutzen. Die wirklich tüchtigen Professoren sollten nicht an einer Lehranstalt tätig sein, sondern an mehreren und der Unterricht der örtlichen Professoren sollte darin bestehen, sich durch Kommentare, durch ständige kritische Arbeit usw. zu versichern, dass das Textwerk wirklich gelesen, diskutiert und verwandten Büchern der Collegebibliothek verglichen wird. Die wirklich bedeutenden Professoren werden nicht selbst zu lehren haben. Sie werden vielleicht die ihnen unterstellten Lehranstalten besuchen, ihr eigentliches Lehrmittel aber ist nicht das gesprochene, sondern das geschriebene Wort. So wird der Ausspruch Carlyles verwirklicht werden, dass die moderne Universität eine Bücheruniversität ist. Die Erkenntnis, dass der Unterricht auf dem geschriebenen und nicht auf dem gesprochenen Wort beruht, eröffnet uns weite und interessante Möglichkeiten. Sie befreit auch den Lehrgang von seiner früheren Gebundenheit an Ort und Zeit. Der Student braucht sich nicht mehr zu einer bestimmten Stunde in einen bestimmten Raum zu begeben, um anzuhören, wie die goldenen Worte von den Lippen seines Lehrers träufeln. Und der junge Mann, der um 11 Uhr morgens in den luxuriösen Räumen des Trinity-College in Cambridge seinen Studien obliegt, wird vor dem jungen Mann, der z. B. in Glasgow um 11 Uhr nachts in seiner Einzimmerwohnung seine Bücher vornimmt, weil er tagsüber keine Zeit dazu hatte, keinen wesentlichen Vorteil haben. Der Erstere, meinen Sie vielleicht, kann sich das Gelernte und Gelesene erklären lassen, aber warum sollte der Andere nicht Diskussions- und Lesekreise mit seinen Kameraden bilden, mittags oder auf dem Wege zur Arbeit die ihn beschäftigenden Fragen erörtern, warum sollte er nicht von irgend einer Bildungsorganisation Unterweisung erhalten? Und diese Befreiung der Bildungsmöglichkeiten von Ort und Zeit schafft ein für allemal die Vorstellung ab, dass nur derjenige gebildet ist, der ein College besucht hat und dass der Bildungsgang mit dem Abschluss der Universitätszeit beendet ist. Universitätsbesuch berechtigt nicht länger zum alleinigen Anspruch auf Bildung und die Unmöglichkeit, eine Universität zu besuchen, ist nicht länger eine Entschuldigung für Unwissenheit.

Ich glaube unsere Lehr- und Universitätsautoritäten ahnen es nicht, wie sehr sich die Universitätsreife schon von den lokalen Grenzen der Lehranstalten emanzipiert hat; sie wissen garnicht, wieviel jugendliches Studium, wieviel Gedankenarbeit, Universitätsbildung im besten Sinn des Wortes, sich ausserhalb der Mauern ihrer Anstalten entwickelt; andererseits ahnen sie auch nicht, wie viele junge Burschen, dank der vortrefflich organisierten sportlichen Unternehmungen, des gesellschaftlichen Lebens in den Universitätsstädten, niemals die wirkliche Bildungsreife erlangen und die Universitäten ebenso leer und ungebildet verlassen, wie sie sie betreten haben. An dem Unvermögen, die grossen Veränderungen, die sich in unseren Bildungsmöglichkeiten vollzogen haben, zu erfassen, liegt es auch, dass wir eine Verbreitung der höheren Bildung stets mit der Vorstellung kostspieliger, anspruchsvoller Universitätsgebäude, vieler neuer Lehrstühle, hunderter und tausender junger Leute, die aus der Gemeinschaft der tätigen Menschheit ausscheiden, verknüpfen, wo doch in Wahrheit die Bildungsmöglichkeiten garnicht mehr ausschliesslich in dieser Richtung liegen.

Unsere heutige Aufgabe besteht nicht darin, neue Lehrkräfte zu gewinnen, sondern die guten Lehrkräfte auszunutzen und für die Beschaffung und weiteste Verbreitung von Büchern zu sorgen.

Ich glaube, dass die aristokratisch abgeschlossene Erziehung wie sie in Oxford, Cambridge, Yale, Holloway, Wellesley erzielt wird, ihre höchste Entwicklungsstufe erlangt hat. Ich bezweifle, dass die moderne Gesellschaft sie weiter fortführen kann, sicherlich aber wird sie sich nicht sehr verbreiten können.

Wie ich schon angedeutet habe, gibt es neben der Universitätsbildung noch eine andere Ausbildung, das ist die technische, die berufsmässige Ausbildung. In diesem Falle liegen natürlich vernünftige Gründe dafür vor, dass der Schüler ganz bestimmte Orte aufzusuchen hat, Museen, Laboratorien, Versuchsstationen, Kliniken, Fabriken, Häfen oder Künstlerateliers, Theaterwerkstätten, um zu studieren oder die Kunst zu erlernen, die er ausüben will. Hier haben wir natürliche Zentren, von denen aus die höhere Bildung einer zivilisierten Gesellschaft, die allgemeine Jugenderziehung, die Weltauffassung und die Weltstellung des Einzelnen sehr bequem geregelt werden kann.

Das was ich vorgeschlagen habe bedeutet, bildlich ausgedrückt, die Lehranstalten als abgeschlossenes Ganzes gewissermassen zu zerbrechen, wie die Köchin die Schale eines Eies zerschlägt, und ihren Inhalt über das intellektuelle Leben der Gesamtheit auszuschütten.

Hand in Hand damit müsste eine Einschränkung der Arbeitsstunden und des Spezialstudiums gehen, um es den jungen Leuten bis zum Alter von 20 Jahren zu ermöglichen, diese Stufe der Allgemeinbildung zu erreichen. In der modernen Gesellschaft entwickelt sich, wie gesagt, immer mehr die Neigung, wie auch das allgemeine Bedürfnis, die Bildung als einen dauernden Prozess im Leben des Menschen anzusehen. Was wissenschaftliche Forschung, Kunst, Literatur, wirtschaftliche Unternehmungen betrifft, so nimmt die Ausbildung auf diesen Gebieten besondere Formen an, auf die ich nicht näher eingehen werde; die weitere Fortbildung der grossen Masse der Menschheit befindet sich jedoch noch im Anfangsstadium der Entwicklung. Es gibt eine Anzahl literarischer Vereine, Vereine zur Erforschung bestimmter Fragen; es gibt öffentliche Vorträge; in Amerika sehen wir im System des Lyceum Chautauqua hoffnungsvolle Keime einer Einrichtung, die für die Fortbildung sehr bedeutsam werden kann; für die grosse Masse jedoch sind noch immer die Zeitungen, Sonntagsblätter, Zeitschriften und Bücher die einzigen geistigen Nahrungsmittel, nachdem Schule und Universität beendet sind.

Wir müssen bedenken, dass Presse und Literatur ihre riesige Ausbreitung und Bedeutung erst kürzlich, innerhalb des Zeitraums von 4 bis 5 Generationen erlangt haben und fortwährenden Wechseln unterliegen. Man vergisst gewöhnlich, wie neu das alles ist und welch einen Unterschied es in geistiger Hinsicht zwischen unserer Zeit und der Vergangenheit bedeutet. Man kann sich kaum vorstellen, dass es nur der Anfang, nur eine Andeutung dessen ist, was es noch werden kann. Niemand hatte früher so etwas vorausgesehn, niemand hat es gewollt und vorbereitet. Wir alle der heutigen Generation, sind damit aufgewachsen, es scheint uns als ob es immer so gewesen sei und immer so sein werde. Die letzte Vermutung ist fast noch toller als die erste.

Durch etwas, was wir nur als eine Reihe glücklicher Zufälle betrachten können, ist dem modernen Weltstaat durch Literatur und Presse ein notwendiges Werkzeug erstanden, ein Mittel zur schnellen Verbreitung allgemeiner Nachrichten, Gedanken und Auffassungen. Schon vor der Zeit des römischen Kaiserreichs kannte man Nachrichten in Briefform, woraus später dann die Zeitungen entstanden; ihre Entfaltung verdankt die Presse hauptsächlich dem kolossalen Aufschwung der Annoncen und Inserate, die mit der Vermehrung von Handelsmöglichkeiten durch Eisenbahn und andere Verkehrsmittel auftauchten. Moderne Zeitungen werden nicht unzutreffend Annoncenblätter genannt, die nur auf der Rückseite einige politische Nachrichten und Erörterungen bringen. Dass heute nicht nur ein kleiner Kreis, hauptsächlich aus Männern bestehend, sondern die Allgemeinheit Bücher liest, ist ebenfalls neuen Erleichterungen zu danken, wenn auch die Verbreitung des Buches vielfach mit den religiösen Streitigkeiten der letzten drei Jahrhunderte zusammenhängt. Man kann mit Recht behaupten, dass die Bevölkerung Europas erst die Bibel und später dann andere Bücher lesen lernte. Ein grosser: Teil der in England im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert veröffentlichten Bücher, waren Predigten und theologische Zeitschriften.

Die ersten Zeitungs- und Buchverlage begannen im kleinen Masstab, als Unternehmungen einzelner Privatpersonen, ohne dass jemand vorausgesehen hätte, welch einen Umfang sie nehmen würden. Unsere moderne Presse und unser Buchhandel ruht trotz vielfacher Versuche der Kontrolle und Zentralisation, trotz Reichsgesetzen und dergleichen, noch immer in den Händen einer Anzahl von Privatpersonen und dieser Tatsache verdanken wir ihre wertvollsten Eigenschaften. Gedanken, Vorstellungen der verschiedensten und widersprechendsten Art entstehen, werden durch den Druck verbreitet, ausgefochten, ebenso wie es in einem freien, unabhängigen Geist der Fall ist. Ich bitte Sie zu bemerken, dass ich nicht behaupte, diese Freiheit sei bereits eine vollkommene und die geistige Leistung der Presse könnte nicht eine noch viel bedeutendere sein, ich sage nur, dass ihre Freiheit und Wirksamkeit sehr beachtenswert sind und soweit erfreuliche Tatsachen.

Viele Leute sind der Meinung, dass wir einem allgemeinen Sozialismus entgegengehen. Kollektivismus ist vielleicht eine passendere Bezeichnung und was Transport, Verkehr, Handel, Geldwährung, elementare Erziehung, Erzeugung und Verteilung von Rohstoffen, Erhaltung natürlicher Hilfsquellen des Daseins betrifft, so bewegt sich die Welt entschieden einem allgemeinen Kollektivismus entgegen. Aber je mehr gegenseitige Mitwirkung wir zur Unterstützung unserer gegenseitigen Interessen finden, desto notwendiger ist es auch die Freiheit des Geistes zu bewahren, d. h. die Rede- und Gedankenfreiheit.

Hier ist das kommunistische Regime Russlands seinen verhängnisvollsten Schwierigkeiten begegnet. Die katastrophale, unqualifizierbare Abschaffung des privaten Eigentums hat naturgemäss auch dazu geführt, dass alle Druckereien, Bibliotheken, Zeitungs- und Buchverkäufe staatliches Eigentum geworden sind. Es ist nicht möglich, irgend etwas ohne die Erlaubnis der Regierung zu drucken. Man kann keine Zeitung, kein Buch kaufen und muss mit dem vorlieb nehmen, was von der Regierung verteilt wird. Freiheit des Gedankens – in Russland niemals wirklich frei gegeben – ist jetzt in noch höherem Masse ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Es war ein Problem, das der Sozialismus längst erkannt hatte, das aber der absolute Kommunist nie wirklich ins Auge gefasst hat. Das ganze geistige Leben in Russland ist mit einem Schlage erstickt und so lange Russland absolut kommunistisch ist, kann es nie wieder erstehen. Erstehen kann es nur dann wieder, wenn die Veröffentlichung der Zeitungen, Schriften und Bücher aus dem Alleinbesitz des Staates wieder in die Hände einzelner übergeht, und dies kann sich nur durch das Aufgeben der streng kommunistischen Lehre vollziehen.

Im Westen liegen die Gefahren, die unser geistiges Leben bedrohen, mehr auf der entgegengesetzten Seite. Während des Krieges hat die staatliche Zensur den freien Ausdruck und Austausch vielfach verhindert, allen Schriftstellern bedeutende Schwierigkeiten in den Weg gelegt und ihnen viel Ärger bereitet; aber im Allgemeinen konnten sich Bücher und Zeitungen behaupten. Heutzutage ist die Publikationsfreiheit wahrscheinlich aber so unbehindert, wie sie es jemals gewesen ist. Nicht von der Regierung könnte heute in unseren westlichen Staaten das Unheil ausgehen, die intellektuelle, freie Betätigung behindert werden, sondern von zuchtlosen Individuen und dem zur Gewalttat aufgestachelten Pöbel.

Von der amerikanischen Presse weiss ich wenig, ich spreche nur über Dinge, die mir bekannt sind. Seit 1914 hat in der englischen Presse, meiner Ansicht nach, die vorsätzliche Wahrheitsentstellung ausserordentlich zugenommen, ebenso eine bemerkbare Einbusse der journalistischen Selbstachtung. Besondere Interessenwirtschaft hat die Leitung der grossen Zeitungen an sich gerissen und fördert ihre Zwecke unter vollständiger Nichtberücksichtigung des allgemeinen geistigen Wohlstandes.

So wurde kürzlich ein sehr anerkennenswertes Buch »The Triumph of Nationalization« von Sir Leo Money, von einem grossen Teil der Londoner Presse boykottiert, weil es der Absicht verschiedener Gruppen, die beteiligt waren, staatliches Eigentum zu sehr vorteilhaften Bedingungen in Privatbesitz übergehen zu lassen, hinderlich war. Das Buch ist nicht nur als Darstellung besonderer ökonomischer Anschauungen wichtig, sondern auch wegen der ausserordentlichen Klarheit und Tiefe der Ausführungen. Ich glaube nicht, dass es vor 1914 möglich gewesen wäre, sich in dieser Weise zwischen Verfasser und Publikum zu stellen. Die englische Presse hat bedeutend unter dem Ausbruch sozialen und nationalen Hasses gelitten, der durch den Weltkrieg entflammt wurde, unter der in Europa herrschenden Unfähigkeit, die bolschewistischen Ziele zu begreifen, und unter den groben Missgriffen des Versailler Vertrages. Die Hälfte der Nachrichten aus Osteuropa, die in den Londoner Zeitungen erscheinen, sind vorsätzliche Erfindungen und der Rest ist grösstenteils geändert, entstellt, um in den Lesern einen irrtümlichen Eindruck zu erwecken.

Aber die Menschheit kann nicht dauernd in dieser Weise betrogen werden; die Folge dieser Demoralisation ist, dass die Zeitungen viel von ihrem Einfluss eingebüsst haben. Eine verschwindende Anzahl von Leuten hält noch die gebotenen Nachrichten für wahr und eine noch viel verschwindendere Anzahl glaubt es noch, dass die anonymen Zeitungsartikel in gutem Glauben geschrieben sind. Demzufolge hat die Bedeutung der unterzeichneten Zeitungsartikel stark zugenommen. Männer, deren Ehrlichkeit bekannt ist, Männer, mit gutem Namen streben danach, das redaktionelle Ansehen und den Einfluss wieder aufzurichten. Die Zeitungsausbeutung durch jene Abenteurer »privater Unternehmungen« schaden der Ehre und der Macht der Zeitungen ausserordentlich.

Ich glaube, dass diese Überschwemmung eines grossen Teils der gesamten Presse, mit absichtlichen Unwahrheiten und Parteihetzereien, nur ein vorübergehendes Stadium ist; nichtsdestoweniger ist es nachteilig und gefährlich. Es steht jener geistigen Entwicklung im Wege, die wir anstreben. Die Wirklichkeit wird entsetzlich entstellt, die Menschen sehen die Welt nicht mehr so wie sie ist und können sich daher auch keine richtige Vorstellung bilden.

Wir brauchen eine sehr viel bessere, eine sehr viel zuverlässigere Presse als die heutige. Ohne sie ist eine bessere Welt nicht denkbar. Das Heilmittel ist nicht in der von der Regierung ausgeübten Aufsicht zu suchen, sondern nur in dem ehrlich geführten Kampf gegen das grösste Übel – die Lüge. Es läge im Interesse der meisten grossen Inserenten, – denn fast alle grossen Inserate sind ehrlich gemeint – es läge schliesslich auch im Interesse der Presse selbst und es würde einen ungeheuren Fortschritt der allgemeinen geistigen Klarheit bedeuten, wenn jede vorsätzliche Lüge, wo sie auch zu finden ist, im Annoncenteil oder in den politischen Nachrichten, strafbar wäre – strafbar einerlei ob damit ein tatsächlicher Schaden beabsichtigt war oder nicht. Und es würde ferner der Presse und auch der allgemeinen Aufklärung zum Segen gereichen, wenn jede unwahre Behauptung in den Zeitungen, gezwungener Massen berichtigt werden müsste, gleichviel ob sie ehrlich gemeint war oder nicht. Jeder würde lernen vorsichtiger zu sein und das wäre kein Schaden. Es wäre von unsagbar heilsamer Wirkung für unsere ungesunde Streitluft, von gleicher Wirkung, wie wenn man in einem stickigen, überfüllten, ungelüfteten Raum voll streitender Leute die Fenster recht weit öffnet.

Hätten wir entsprechende Gesetze, die das Aufkaufen der Zeitungen, die Ausnutzung der Presse und Literatur durch Parteiinteressen verhinderten, so wären freier geistiger Ausdruck und Austausch die wesentlichen Bedingungen für das Wachstum und die Tätigkeit des gemeinsamen Weltgedankens. Auf der Grundlage einer gesunden Erziehung, wie ich sie ausgeführt habe, ist eine Erweiterung des Verständnisses, ein Wachstum einsichtsvoller Zusammenwirkung, eine Klärung des Willens möglich; sie würde die Schwierigkeiten und Konflikte zum grossen Teil aufheben und zum andern Teil in einer Weise klären, wie wir es in unserer heutigen Wirrsal, unserer heutigen Beschränktheit, den Zweifeln und Missgeschicken dieser Zeit, kaum ausdenken können. Ich weiss nicht, wie weit es mir in den letzten Aufsätzen gelungen ist, Ihnen meine grundlegenden Ideen einer nicht nur intensiven, sondern einer extensiven Erziehung mitzuteilen, einer Erziehung, die planmässig und entsprechend ausgeführt, jeder Frau, jedem Mann zugänglich sein sollte.

Es ist nicht der Traum einer individuellen Erziehung – wir haben uns schon zu viel damit beschäftigt, das Individuum für das Individuum zu erziehen – es ist ein Traum, die Welt zu erziehen, hinaufzubilden zu einer Höhe von Verständnis und Zusammenwirken, die alles, was wir bisher gekannt, weit überragt, zum besten der ganzen Menschheit.

Ich habe zu beweisen gesucht, dass, die entsprechenden Möglichkeiten und der gute Wille dazu vorausgesetzt – eine so allumfassende Erziehung möglich ist.

Ich wünschte, ich hätte genug Beredsamkeit, um Ihren Willen in diesen Dingen zu beleben. Ich weiss nicht, was Sie von der heutigen Welt halten. Ich bin nicht undankbar für die Gabe des Lebens. Wo Leben ist und Menschengeist, da muss es, scheint mir, auch immer Schönheit, auch immer Bewegung geben, wenn auch die Bewegung zu heftig, die Schönheit furchtbar und tragisch ist. Nichtsdestoweniger erscheint mir die heutige Welt finster und schrecklich. Es ist soweit gekommen, dass ich meine Zeitung jeden Morgen mit sinkendem Herzen entfalte und gewöhnlich finde ich nichts Trostreiches in ihr. Ich finde jeden Tag Nachrichten von neuem törichtem Blutvergiessen, Beweise von Zorn, Hass, Unterdrückung und Elend – törichten Hass und unnötiges Elend – Beleidigungen, Argwohn unwissender Leute und die nichtige, unschöne Selbstzufriedenheit der Wohlhabenden. Es ist eine gemeine Welt, eine Welt ohne wahre Bildung, in der wir leben, die argwöhnisch, niedrig und grausam geworden ist. Die Luft, die wir atmen, ist dumpf und wuterfüllt, dumpf wie in einem Gefängnis – das unbeschreibliche Ärgernis einer bedrängten, bedrückten Menschheit.

Und doch weiss ich, dass es einen Weg ins Freie gibt.

Ein paar Stufen aufwärts, und es führt eine Tür aus diesem finsteren Gefängnis, diesem Gefängnis von Unwissenheit, Leidenschaft und Vorurteilen – und diese Tür ist nur von innen verschlossen. Wenn wir den Willen und den Mut dazu haben, so liegt es in unserer Macht, die Freiheit zu gewinnen. Der Schlüssel, um uns aus der menschlichen Wirrsal zu befreien, heisst organisierte, allgemeine, allumfassende Bildung; die Losung, um alle Hindernisse zu überwinden, heisst schlichte Wahrheit. Verlassen Sie sich auf diese Losung, packen Sie den Schlüssel kräftig an, so werden wir dieses Gefängnis, in dem wir leben, verlassen können; so werden wir diese Zustände überwinden, diese Zustände von Krieg, Hass, Beschränktheit, gegenseitiger Behinderung und Krankheit; wir und unser ganzes Geschlecht können Sonnenschein, die wonnige Luft gegenseitigen Verstehens, hoffnungsvoller Freiheit und voller Schaffenskraft finden – auf ewig finden.

Ich weiss es nicht, ob ich es erleben werde, diesen Schlüssel einstmals im Schlüsselloch zu hören – und wage nicht, es zu hoffen. Vielleicht werden noch unsere Kinder und Kindeskinder unter diesem Joche leben müssen. Aber einmal wird sicherlich der Tag anbrechen, an dem die Tür sich weit öffnet und unser Menschengeschlecht den verzauberten Kerker seiner Unwissenheit, Zuchtlosigkeit und seines Argwohns, in dem wir alle schmachten, verlassen wird.


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