Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI
Die Schulung der Welt

Ich gehe jetzt zu einer Prüfung unserer heutigen Erziehungsmethode über.

Ich bin selbst ein Mensch von geringer Bildung. Und erlebe fortwährend Verdruss dadurch. Gleich und gleich gesellt sich gern. Ich beabsichtige die Frage aufzustellen, ob die ganze Welt nicht bloss halb gebildet ist und bereite Sie darauf vor, dass ich diese Frage bejahend beantworten werde.

Ich werde die Möglichkeit erwägen, das Niveau der allgemeinen Bildung zu heben und zu betrachten, was eine Hebung der Bildung für das menschliche Leben bedeuten würde. Ich werde mich sehr einfach und geschäftsmässig ausdrücken und die menschliche Gesellschaft mit den Augen eines Fabrikanten betrachten, der seinen Betrieb auf das Höchstmass der Leistungen prüft. Die Fabrik stellt ein bestimmtes Erzeugnis her und der Besitzer wird zu ermitteln suchen, ob der Betrieb das Höchstmass leistet, die beste und billigste Qualität liefert, und er wird danach trachten, den Betrieb und die Geschäfte möglichst zu heben.

Man kann die menschliche Gesellschaft als einen Betrieb ansehen, der menschliches Dasein produziert und die Frage aufwerfen, ob das produzierte Leben auch voll, reichhaltig, stark und schön genug sei. Das Wertmass, das wir an einen Staat, einen Zeitabschnitt oder ein Volk legen, erschöpft sich in folgenden Fragen:

Wie war das Leben, das sie erzeugten?

Wie ist das Leben, das sie erzeugen?

Bisher besass die Gesellschaft wenig oder gar keine Kontrolle über die gewonnenen Rohprodukte, über das Leben, meine ich, das erzeugt wird. Schon von Platos Zeiten an wird die Möglichkeit erörtert, menschliche Wesen zu züchten, so wie man Pferde und Hunde züchtet. Es wird heutzutage ausserordentlich viel über Eugenik geredet und geschrieben. Doch will ich diese Erwägungen ausschalten, ich glaube nicht, dass etwas derart in unserer heutigen Zeit möglich ist. Abgesehen von allen anderen Erwägungen, haben wir die absolute Verschiedenheit der möglichen Züchtung menschlicher Wesen und der tatsächlichen Züchtung von Hunden und Pferden zu beachten. Wir züchten Hunde und Pferde, um Gleichförmigkeit, gewisse besondere Vorzüge – Geruchssinn, Schnelligkeit – zu erzielen, bei menschlichen Wesen dagegen hätten wir Vielartigkeit und Mannigfaltigkeit zu erstreben; wir könnten nicht irgend einen besonderen Vorzug, den wir brauchen, erzüchten. Wir brauchen Staatsmänner, Dichter, Musiker, Philosophen, gewandte Leute, zartfühlende und tapfere. Der Vorzug des Einen wäre die Schwäche des Andern.

Ähnlichkeit in der Züchtung von Mensch, Hunden und Pferden zu suchen ist sicherlich irrtümlich. Bei menschlichen Wesen verlangen wir eine viel feinere Qualitätsmischung und was die praktischen Leistungen betrifft, so wissen wir nicht, was wir brauchen und wie sie zu erzielen sind. Sehn wir daher von diesen Vergleichen ab. Ich beabsichtige auch noch einige andere Fragen beiseite zu lassen, einfach aus dem Grunde, weil wir, in der uns zur Verfügung stehenden Zeit, mit dem Stoff nicht fertig werden würden. Ich beabsichtige von allen Fragen der Gesundheit und des körperlichen Wohlbefindens abzusehen. Wir besitzen, wie Sie wissen, eine ausführliche Literatur über Gesundheit, Kinderpflege, Kindererziehung, soziale Bedingungen zur Erzeugung einer gesunden Bevölkerung. Man kann annehmen, dass für diese Dinge gesorgt wird und wir uns augenblicklich nicht weiter damit zu beschäftigen brauchen.

Somit bleibt uns das geistige Leben unserer Gesellschaft und ihrer Individuen zur Betrachtung übrig. Der menschliche Geist macht in seinen frühesten Lebensstadien einen Vorgang durch, den wir am besten als »Schulung« bezeichnen. Unter Schulung möchte ich nicht nur das verstehen, was wir den angehenden Bürgern in den Schulen angedeihen lassen, sondern alles, was zu ihrer Entwicklung beiträgt: den Einfluss der Mutter, der Pflegerin, des Erziehers, auch des Kameraden und Spielgefährten. Aus dieser Schulung erwächst das geistige Leben, sie ist der bauliche Untergrund der Erziehung und Gedankenbildung. Wie soll diese Schulung sein? Was geschieht dadurch für das neue menschliche Wesen?

Lassen Sie uns an unsere eigene Schulung zurückdenken; sie war in zwei ziemlich klar getrennte Hälften geteilt. Wir lernten lesen, schreiben, etwas Grammatik, vielleicht auch die Anfangsgründe einer anderen Sprache ausser der unsern, wir lernten ein wenig Arithmetik, auch etwas Geometrie, Algebra und Zeichnen. Alles dies waren Ausdrucksmittel, Mittel uns selbst auszudrücken, unsere Gedanken im Gedankenausdruck anderer wiederzufinden, den Gedankenausdruck anderer zu verstehen. Es war dies das Wesen und die Grundlage unserer Schulung, geistige Aufklärung und Erziehung zu geistigem Austausch. Später kam noch anderes hinzu: wir lernten etwas Geschichte, Geographie und erhielten den ersten naturwissenschaftlichen Unterricht. In dieser zweiten Hälfte unserer Erziehung handelte es sich weniger um Ausdruck, als um Erkenntnis. Wir erfuhren von dem, was man im allgemeinen von der Welt und ihrer Vergangenheit weiss. Wir erhielten Einblick in die allgemeinen Erfahrungen und Vorstellungen der Welt.

Diese Schulung ist bloss eine Erweiterung der elterlichen Erziehung. In den frühesten Zeiten der Menschheit waren es die Eltern und hauptsächlich die Mutter, die aus instinktivem Trieb und praktischer Notwendigkeit die Erziehung erteilte, unterwies, lehrte, verbot, und das Kind lernte und folgte in instinktivem Gehorsam und Nachahmungstrieb. Als sich die Familie zum Stamm erweiterte, erweiterte sich das Wissen gleichermassen, und die primitive Erziehung der Mutter wurde durch das Beispiel der Kameraden, die Lehren der älteren Männer ergänzt.

Die Schule als Schule entstand erst durch die Entwicklung der Zivilisation, als man zu schreiben und lesen begann. Mit der Ausdehnung der menschlichen Gesellschaft entwickelte sich auch der Zweck der Erziehung. Erziehung ist und war in der Tat stets die Entwickelung und Erweiterung des primitiven, menschlichen Geistes, der auch noch heute unser Erbteil ist, das Streben, ihn den Bedürfnissen einer grösseren Gemeinschaft anzupassen. Sie formt aus dem einfachen Rohmaterial, das unser geistiger Grundstoff ist, ein Glied der Menschheit. Es ist ein notwendiger Verschmelzungsprozess, von dem das Bestehen einer zivilisierten Gesellschaft abhängt. Ohne eine Anzahl gebildeter Personen, die fähig sind, gemeinsame Gedanken auszutauschen, im Einverständnis zu handeln, und gewissermassen den inneren und äusseren Zusammenhang zu bilden, könnte eine Gemeinschaft, die mehr als eine Familiengruppe ist, nie bestehen.

Mit der Erweiterung der menschlichen Gesellschaft muss deshalb auch die Bildung, um Schritt zu halten, an Umfang gewinnen.

Von dieser Forderung will ich bei meiner Untersuchung ausgehen; ist sie gesund und richtig, so kann sie zu interessanten Ergebnissen führen.

In meinen vorhergehenden Ausführungen habe ich bereits gezeigt, dass sich der moderne Staat als Staat in den letzten Jahrhunderten um das zehnfache gehoben hat und die Austausch- und Verkehrsmöglichkeiten unserer Gesellschaft in gleicher Weise zugenommen haben.

Ich möchte nun untersuchen, ob auch die Bildung – in der menschlichen Gesellschaft im allgemeinen oder nur innerhalb der führenden Klassen – sich in entsprechender Weise gehoben hat, um mit der ausserordentlichen Entwicklung Schritt zu halten. Ich werde beweisen, dass eine solche Bildungserweiterung nicht stattgefunden hat und die Ursache unserer heutigen Wirrnisse grösstenteils die ist, dass das Bildungssystem mit den ihm gestellten Forderungen nicht Schritt gehalten hat.

Ich stelle zunächst die Frage: Was fordert ein Jeder von uns für seinen Sohn oder seine Tochter von der Schule, um sie zu einem lebendigen Mitglied der modernen Welt zu machen? Ich werde dabei die praktischen Schwierigkeiten, die Kostenfragen, nicht in Betracht ziehen, sondern annehmen, dass uns zur Erziehung dieses jungen, begünstigten Weltbürgers, dessen Entwicklung wir als Beispiel betrachten wollen, unbeschränkte Mittel, die besten Lehrer, besten Hilfsmittel und günstigsten Bedingungen zur Verfügung stehen. Wir setzen einen Schüler voraus, dessen Intelligenz sich nicht über den Durchschnitt erhebt.

Als erstes würden wir unserem Schüler natürlich eine gründliche Kenntnis im Sprechen, Lesen, Schreiben seiner Muttersprache beizubringen wünschen. Für die englische Sprache setzt dies ziemlich gründliche Kenntnisse der lateinischen und einige Anfangskenntnisse der griechischen Sprache voraus. Latein und Griechisch, die in vielen Schulen von dem Lehrplan gestrichen werden, sind für den englischen Lehrgang unerlässlich.

Aber heutzutage reicht man mit einer einzigen Sprache nicht mehr aus. Die Welt wird vielsprachig. Auch wenn wir nicht unter Ausländern leben wollen, so wollen wir doch ihre Bücher, ihre Zeitungen lesen können und ihrer Gedankenentwicklung folgen. Diesem vorbildlichen Lehrplan würde ich als wünschenswert, die Erlernung von zwei bis drei Sprachen hinzufügen. Diese ergänzenden Sprachen sind, wenn sie richtig gelehrt werden, leicht zu erlernen. Jede Sprache erlernt sich am leichtesten in der Kindheit. Viele wohlhabende Leute in Europa ermöglichen es ihren Kindern zwei bis drei fremde Sprachen zu lernen, indem sie zu ihrer Erziehung ausländische Erzieherinnen anstellen, die mit den Kindern nie eine andere Sprache, als die fremde sprechen. Auch das System, jede Woche eine andere Sprache zu sprechen, wird vielfach angewandt. Die Erzieherin ist Schweizerin, sie spricht die eine Woche nur französisch, die andere Woche deutsch mit den Kindern. Auf diese Weise kann man ein acht- bis neunjähriges Kind leicht dazubringen, drei Sprachen, mit gutem Akzent und reinem Dialekt, zu sprechen.

Wenn dies für einzelne Kinder möglich ist, so könnte es ebensogut für alle möglich werden – vorausgesetzt, dass man die richtigen Kinderfräulein, Erzieherinnen oder irgend einen Ersatz dafür findet und die nötigen Mittel dazu vorhanden sind. Doch davon sehe ich ab, ich bemerke hier nur, dass es möglich ist, wenn auch nicht in allen Fällen ausführbar.

In England und Amerika ist es unmöglich, eine fremde Sprache in den Schulen gründlich zu erlernen. Unsere Schulen sind so schlecht geleitet, dass nicht einmal französisch gut, gelehrt wird; ausser deutsch und französisch wird selten eine andere moderne Sprache gelehrt; häufig werden die beiden Sprachen von verschiedenen Lehrern, in verschiedener Weise gelehrt, beide bedienen sich anderer grammatikalischer Methoden, als der, die zum Unterricht der Muttersprache angewandt wird. Die Schule ist voll von zurückgebliebenen Anfängern. Kinder, die zu Hause Sprachen gelernt haben, verlieren mit diesen Fächern in der Schule ihre Zeit. Ein Kind, das in einer fremden Sprache gut beschlagen ist, ist oft eine Quelle des Ärgers für den Lehrer oder es gerät in Ungelegenheiten, weil es Ausdrücke braucht, die dem Lehrer unbekannt sind oder weil es die Aussprache des Lehrers zu beanstanden scheint. Der Fehler liegt dann aber nicht an den Kindern, sondern an der Schule. Angenommen, dass die Möglichkeiten dazu vorhanden sind, spricht nichts dagegen, dass sich im Alter von dreizehn bis vierzehn Jahren der Sprachschatz noch mehr erweitert. Ein paar slavische Sprachen, russisch oder tschechisch, könnten dazu kommen, oder auch der Anfang zur Erlernung einer orientalischen Sprache gemacht werden, arabisch z. B.

Der Zweck des Sprachunterrichts ist in einem zivilisierten Staat ein zweifacher: gründliche, brauchbare Kenntnisse der Muttersprache und einiger Grundsprachen zu vermitteln. Aber wenn der Unterricht ein systematischer wäre und keine Zeit vergeudet würde, wenn die Lehrmethode eine fortlaufende und nicht eine so verhängnisvoll unzusammenhängende wäre, so könnte man eine andere Art des Sprachunterrichts, die jetzt noch vollkommen vernachlässigt wird, einführen. Nämlich die Erlernung einer ganzen Reihe von Sprachgerippen im Zusammenhang mit einigen Grundsprachen. Wenn ein Knabe am Schluss seiner Schulbildung ganz gut englisch, deutsch und französisch sprechen kann und nichts weiter, so wird er doch noch in vielen Teilen der Welt ein hilfloser Fremdling sein. Besitzt er aber ausserdem einige Anfangsbegriffe von russisch, arabisch, türkisch oder hindustanisch und hat er im Zusammenhang mit dem französischen, einige Kenntnisse des spanischen, in Ergänzung des deutschen, einige schwedische Kenntnisse, so besitzt er den Schlüssel zu fast allen Sprachen der Welt, und wenn er auch die Sprache nicht vollständig im Kopfe hat, so hat er doch einen Anfangsbegriff davon und wird mit Hilfe eines einigermassen brauchbaren Lexikons sie in kurzer Zeit beherrschen können.

Sie werden der Meinung sein, dass dies zu weit gegriffen ist. Sie werden finden, dass ich linguistische Wundertaten verlange; aber bedenken Sie, dass ich mich hier auf meinem eigensten Grund und Boden befinde; ich bin ein geschulter Lehrer, habe Pädagogik studiert und in meiner Umgebung genaue Beobachtungen gemacht; ich weiss wieviel Zeit und Gelegenheit in den Schulen versäumt wird, namentlich beim Sprachunterricht. Sprachen sind nicht hermetisch von einander gesondert, eine ergänzt die andere und eine führt zur andern – falls sie nicht mit ungewöhnlichem Stumpfsinn gelehrt wird. Ein Kind kann Vielsprachigkeit fast unbemerkt erlernen. Ein umfassendes Sprachenverständnis gehört zu den erreichbaren Fähigkeiten, fast eines jeden, der in der Welt geboren wird, angenommen, dass die Möglichkeiten gegeben sind. Ich bitte Sie, diesen Vorbehalt zu beachten – angenommen, dass die Möglichkeiten gegeben sind.

Gehen wir zu den weiteren Unterrichtsfächern über. Das zweitwichtigste Lehrfach für die Schule ist die Mathematik, die in drei mehr oder weniger gesonderte Gegenstände, Arithmetik, Algebra und Euklid zerfällt. Meiner heutigen Ansicht nach ist dieser Unterricht nichts als eine hoffnungslos mühselige, hoffnungslos verworrene Anstrengung, Quantität, Folgereihe und Form zu begreifen.

Wenn ich das, was ich damals gelernt habe, mit dem, was ich heute weiss, vergleiche, wenn ich meinen Verstand mit den begünstigteren Individuen vergleiche, so kann ich mich der Überzeugung nicht entziehen, dass ich nicht viel in diesem Fach gelernt habe. Und es tröstet mich nur wenig, dass es vielen nicht besser ergangen ist.

Meine arithmetischen Kenntnisse sind mittelmässig und ungenau. Sie werden sagen, dass dies auch Mangel an Befähigung sein kann. Teilweise gewiss, aber doch nicht ganz. Was ist Mangel an Befähigung? So schlecht ich auch noch heute rechnen kann, so rechne ich doch besser als damals, als ich die Schule verliess. Als ich zwanzig Jahre alt war, hielt ich eine Art von Prüfung ab und machte dabei manche Entdeckungen. Ich entdeckte, dass man mir erlaubt hatte, gewisse schlechte Angewohnheiten, Gewohnheitssünden anzunehmen – den meisten Leuten ergeht es ebenso. Wenn ich eine Zahlenreihe zu addieren hatte, so addierte ich z. B. 9 und 7 ganz richtig und zählte 16; ich hatte jedoch die üble Angewohnheit umgekehrt 7 + 9 = 18 zu addieren, zahllose Additionen stimmten deshalb nicht. Ich war in diese Untugend hinein geglitten, und in der Schule wurde es nicht bemerkt. Meine Additionsrechnungen stimmten nicht, ich wurde dafür bestraft, indem man mich – höchst törichterweise – von Leibesübungen ausschloss. Es wiederholte sich immer wieder, es erfolgte keine Untersuchung des Fehlers und auch kein Fortschritt meinerseits, man gab mir keine Probeexempel auf, die meine Fehler dargelegt und diese Gewohnheitssünde, die mich zu dem ungenauen Rechnen verleitete, aufgedeckt hätte.

Etwas anderes, was mich im Rechnen behinderte, war ein Sehfehler. Meine beiden Augen haben nicht die gleiche Sehweite, dadurch brachte ich häufig die Zahlenkolonnen durcheinander. In der Schule gab es jedoch kein Mittel um dies zu entdecken, und es wurde auch nicht entdeckt. Auch meine geometrischen Fähigkeiten sind ziemlich gering und unentwickelt. Euklids Elemente habe ich immer leicht und begreiflich gefunden, sobald es sich aber um körperliche Geometrie handelt, sagen wir um den Schnitt einer Kugel durch einen Kegel oder ähnliches, fühlte ich mich hoffnungslos verloren. Eingewurzelte schlechte Angewohnheiten, die der Unterricht tatsächlich entwickelte, behinderten mich im Begriff des potenzierten Flächeninhalts.

Hier wie auch beim Sprachenunterricht ist kaum einer von uns wirklich gebildet. Wir leiden fast alle an einer gewissen Unfähigkeit, Mass und Form begreifen zu können. Die Wenigsten von uns haben die richtigen Begriffe dafür erlangt, die Wenigsten haben ordentlich nach Modellen gearbeitet und fast alle haben wir eine äusserst ungeschulte Hand. Angenommen, dass die entsprechenden Möglichkeiten vorhanden sind – ich bitte Sie diesen Vorbehalt wieder zu beachten – angenommen also, dass diese Bildungsmöglichkeiten vorhanden wären, so könnten die Meisten von uns nicht nur imstande sein mit den Bewohnern der meisten Länder der Welt zu reden, sondern wir hätten auch eine so scharfsinnige Auffassung von Form und Mass, wie sie heute nur einige mathematische und mechanische Genies besitzen.

Ich komme nun zu dem dritten Hauptfach unseres Schulunterrichts. Unter dem Namen von Geschichts- und Geographieunterricht versucht man uns in der Schule eine Vorstellung von der uns umgebenden Welt und unserer Stellung in ihr zu geben. Aber ein schwächerer Versuch als dieser ist nicht denkbar. In einer Hinsicht war mein Geschichts- und Geographieunterricht vielleicht von Nutzen. Er war so hoffnungslos, so durchgängig schlecht, dass er ein lebhaftes Gefühl meiner Unwissenheit in mir erweckte. Ich las daher in meinen jungen Jahren viel und mit grossem Eifer.

Ich zweifle, dass der Geschichtsunterricht in den englischen Schulen heute sehr viel besser ist, als zu meiner Zeit, der Geographieunterricht hat sich jedoch bedeutend gebessert, hauptsächlich dank der tatkräftigen Initiative Professor Huxley's, der den langweiligen topographischen Unterricht durch lebendige Darstellungen und Beschreibungen der Welt ersetzte und sie mit einer Art elementarer Naturwissenschaft unter dem Namen Physiographie verband. Ergänzt durch Anfangsgründe der Geologie und Physiologie erhalten jetzt die meisten jungen Leute in England dadurch einen Grundbegriff der Welt als solche. Wir brauchen für den Geschichtsunterricht eine ähnliche Anregung. Hinsichtlich des Geschichtsunterrichts bin ich fanatisch. Ich kann mir keine halbwegs gründliche Bildung vorstellen bevor nicht eine Reform des Geschichtsunterrichts, von den geologischen Urkunden an, bis zu unserer Zeit Platz gegriffen hat. Bevor dies nicht geschehen ist, wird ein Schüler niemals die richtige Einstellung zur Welt erlangen. Er ist unfähig, seine Beziehung zur Welt, seine Rolle in derselben zu begreifen, und was er auch sonst noch gelernt haben mag, so bleibt er im Grunde doch unwissend.

Lassen Sie mich nun die Forderungen, die ich an den Gang unserer Schulung gestellt habe, zusammenfassen – die Schulung, die in der Kinderstube beginnt und im Alter von 16 bis 17 Jahren endet. Ich verlangte eine vollständige Beherrschung von 2 bis 3 Sprachen, ausser der Muttersprache, und Kenntnisse in 4 bis 5 ergänzenden Sprachen, gewissermassen als Sprachgerippe. Daran schloss sich ein gründlicher mathematischer Unterricht, besser als er in den meisten heutigen Schulen erteilt wird. Ich verlangte gute Kenntnisse der Weltgeschichte, der allgemeinen physikalischen und biologischen Wissenschaft und deutete, ohne mich wegen dieser neuen Forderung zu entschuldigen, die sorgfältige Ausbildung von Auge und Hand an, durch Zeichnen und Handarbeit.

So weit dies die Fähigkeiten der Schüler berührt, sind es durchaus ausführbare Reformen. Ein solches Lehrprogramm kann für jeden Schüler in Betracht kommen – angenommen dass die dazu erforderlichen Bildungsmöglichkeiten vorhanden sind – worin jetzt allerdings ein fast allgemeiner Mangel herrscht. Ich trete jetzt an die Frage heran, warum es an diesen Möglichkeiten fehlt, und warum ein so grosser Teil des Volkes, wenn nicht überhaupt unsere Gesamtbevölkerung, nicht zu einem weiteren Verständnis, zu einer völligen Entwicklung ihrer Fähigkeiten, in dem Sinne wie ich's angedeutet habe, erzogen wird.

Das erste, was allen Eltern klar wird, die über die Erziehung ihrer Sprösslinge nachdenken, das erste, was auch wir einsehen müssen ist: dass es an guten Schulen und noch mehr an tüchtigen Lehrern mangelt. Es ist dies keine Neuigkeit, in der ganzen Welt gibt es kaum so etwas, wie eine gut geleitete Schule, d. h. eine Schule, die mit allen materiellen Bildungsmitteln und -möglichkeiten versehen ist und von einem wirklich tüchtigen, verständigen Lehrer geleitet wird, von einem lebendigen, umsichtigen Erzieher, wie er für die ideale Erziehung erforderlich ist. Dies ist die allererste und hauptsächlichste Schwierigkeit, der Kernpunkt unseres Problems. Unsere moderne Gesellschaft kann nicht zur vollen Entwicklung ihrer Fähigkeiten erzogen werden, weil wir weder die Schulen noch die Lehrer dazu haben.

Soll dies Hindernis bestehen bleiben?

Ich sehe einen Augenblick von den Schulen ab, um mich mit dem Problem der Lehrkräfte zu beschäftigen. Gegenwärtig wird nicht einmal der Versuch gemacht, gute Lehrkräfte zu gewinnen! es wird ihnen nichts geboten, was einem erträglichen Dasein nahe kommen könnte; man zwingt sie, ein elendes, kärgliches Leben zu führen, unterzahlt sie in unerhörter Weise; wir verdienten es nicht einmal, so gute Lehrer zu haben, wie sie tatsächlich noch zu finden sind. Aber angenommen, wir zahlten ihnen einen vernünftigen Gehalt; wir böten ihnen durchschnittlich einen Jahresgehalt von 1000 Pfund, Achtung und gute Behandlung ausserdem; daraus ergäbe sich noch lange nicht, dass wir genug Lehrkräfte für unsere idealen Schulen fänden, so wie die heutigen Mittel beschaffen sind, die uns zu Gebote stehen.

»So wie die heutigen Mittel beschaffen sind, die uns zu Gebote stehen«, beachten Sie bitte diesen neuen Vorbehalt.

Bedenken Sie, dass es nicht nur eine Geldfrage ist: tüchtige Lehrer werden geboren, nicht gemacht. Lehrtalent bedingt ein besonderes Temperament und besondere Anlagen. Ich zweifle stark daran, dass, wären Sie in der Lage, die Kostenfrage ganz ausser Acht zu lassen und alle Personen zu gewinnen, die Lehrbefähigung besitzen, ich zweifle stark daran, dass trotzdem auf 100 Kinder mehr als ein leidlich guter Lehrer käme und auf 500 mehr als ein wirklich erleuchteter und erleuchtender Lehrer. Ohne Zweifel findet sich für die Durchschnittszahl von je 20 oder sogar 12 Kindern eine Art Lehrkraft, eine alltägliche Persönlichkeit, die in verschiedenen Fächern Unterricht erteilen kann, ich aber spreche hier von Lehrern, die das geistige Zartgefühl, die Liebe und Hingabe besitzen, die für eine individuelle Erziehung, wie sie heute in Betracht kommt, erforderlich sind. Und da uns nur die »heutigen Mittel« zu Gebote stehen, so können wir mit einem Lehrer nur für 20 oder weniger Kinder erfreuliche Resultate erhoffen, und da es ausserdem fraglich ist, dass wir je mehr als ein Zehntel der für den Unterricht tauglichen Leute erfassen können, so sehen wir uns hier scheinbar vor einem unüberwindlichen Hindernis, das der allgemeinen Bildung im Wege steht.

Ich bin ein alter, erfahrener, erprobter Erziehungsfreund; die meisten meiner frühesten Aufsätze sind in der Anonymität der Londoner pädagogischen Zeitschriften vor einem Vierteljahrhundert verborgen und meine Kenntnisse der pädagogischen Literatur sind ziemlich gründliche. Ich erinnere mich nicht, dass ich jemals der Erkenntnis dieser fundamentalen Schwierigkeit in der erzieherischen Entwicklung begegnet bin. Diese bildungsreformierenden Schriften setzen stets grenzenlos einsichtige Eltern, Verständnis, Mittel und Lehrer von unbegrenzter Tatkraft und Fähigkeit voraus. Und gerade das ist es, was uns im allerweitesten Masse fehlt und was wir niemals zu erlangen hoffen können. Die Erziehungsreformer betrachten die Erziehung stets vom Standpunkt der einzelnen Lehranstalt, der einzelnen Schüler; kaum jemals erblicken sie in ihr die allgemeine Aufgabe, bei der es sich um die ganze Gesellschaft handelt. Praktisch führt dies nur zu einer beträchtlichen Papierverschwendung. Diese Literatur ist von gewissen fixen Ideen beseelt; es wird stets Einspruch gegen jede mechanische Erziehung erhoben: man solle weder einen festen Lehrplan machen, Examen, Unterrichtskontrolle, noch vorgeschriebene Lehrbücher und Konstruktionspläne besitzen, denn all dies hindere die natürliche Begabung des Lehrers. Und so geht es weiter, ungeachtet der Tatsache, dass in 999 Fällen von der natürlichen Begabung des Lehrers garnicht die Rede sein kann, auch ungeachtet dessen, dass der elementare Unterricht sich in der Hauptsache hundertmillionenmal wiederholt.

Diese Erziehungsidealisten lassen immer das fundamentale Problem aller Erziehungsorganisationen ausser Acht, das Problem bester Ausnützung des wertvollsten Materials-, der Lehrkraft. Es handelt sich darum, mit den zu Gebote stehenden tauglichen Lehrkräften einer Höchstzahl von Schülern zu genügen, und dies kann nur durch dasselbe Ausnutzungssystem geschehen, wie es in jedem umfangreichen Betrieb angewandt wird, durch richtige Normierung alles dessen, was auf Norm und Mass gebracht werden kann, durch Benutzung jeder Zeit und Arbeit sparenden Erfindung, jedes Ersatzes menschlicher Leistungen, nicht um Originalität und Initiative gänzlich auszuschalten, sondern um sie für die wirksamste Anwendung zu erhalten.

Ich sagte, dass es für die »fortschrittlich« pädagogischen Bestrebungen charakteristisch ist, die Möglichkeit umfassender Organisation und Kraftersparnis stets ausser Acht zu lassen. Sie können dieses Prinzip bis zu seinen natürlichen Folgen, in allen »fortschrittlichen« Schulanstalten, die heutzutage viel Anklang, besonders bei erzieherisch sorgsamen Eltern finden, beobachten. Sie werden beobachten können, dass diese Anstalten oft landschaftlich sehr schön gelegen sind, sich hübsch ausnehmen, aber meist nicht in der Lage sind, mehr als ein bis zwei gute Lehrer anzustellen. Der Rest könnte einer Prüfung nicht standhalten. Sie können sehen, dass diese Schulen alle möglichen, von den Lehrern selbst entworfenen Unterrichtsvorlagen, Vorbilder und Lehrmittel besitzen, aber wenn Sie näher zusehen oder einen aufgeweckten Schüler befragen, so werden Sie finden, dass dieser Unterrichtsapparat der Durchführung des Lehrplans nicht genügt, dass man nie Zeit gehabt hatte, so weit zu kommen. Sie werden auch niemals so weit kommen. Keine Schule, so reich, gedeihlich und ideal sie auch sein mag, kann jemals hoffen, selbständig Lehrplan und Lehrmittel zu entwickeln, wie sie für die moderne Erziehung, die wir im Auge haben, erforderlich sind. Ebenso gut könnte ein betriebsamer Mann hoffen, aus eigenen Kräften rohe Wolle, ungegerbtes Leder für sich zu Hüten, Kleidern und Schuhwerk zu verarbeiten.

Ich hoffe, Sie begreifen nun, worauf ich hinziele. Es handelt sich darum: soll das allgemeine Bildungsniveau unserer modernen Gesellschaft gehoben werden und soll diese höhere Bildung verbreitet werden, so muss die Erziehung reorganisiert werden, so muss sie auf einen wirksameren ökonomischen Zuschnitt gebracht werden. Wir sind in der Zahl guter Lehrkräfte ausserordentlich beschränkt, wir sind ebenfalls in der Qualität dieser Lehrkräfte beschränkt 5 woran es aber nicht zu fehlen brauchte, das wäre systematische Organisation der Lehrmethoden und -mittel. Ich komme jetzt ausführlich darauf zu sprechen.

Stellen Sie sich ein gewöhnliches Schulhaus vor – ein leeres Ziegelgebäude, mit einigen Kleiderständern, einer Landkarte in Stahlstich, einem halben Dutzend Gipsformen, einigen hundert zerrissenen Büchern und ein paar zerbrochenen, physikalischen Apparaten; stellen Sie sich diese ganze traurige Unzulänglichkeit vor. Auch der beste Lehrer verschwendet hier drei Viertel seiner Energie. Lehrer und Schüler vergeuden zum grössten Teil ihre Zeit. Hier müsste zu allererst die unnütze Energievergeudung eingedämmt werden. Alle Schulen auf der ganzen Welt werden heute von einer Privatperson, irgend welchen lokalen Behörden, die sich mehr oder minder in völliger Unkenntnis der erzieherischen Möglichkeiten befinden, geleitet, die wirksame Unterstützung, die sich aus einem zentralisierten Schulbetrieb ergeben könnte, fehlt ganz.

Lassen Sie uns das betrachten, was wir heute an Stelle dieser typischen Schulen haben könnten.

Jede Schule sollte eine vollständige Bibliothek besitzen, mit gesammelten, genau geordneten Aufzeichnungen und Lehrvorschriften. Dieselben Lehrfächer werden millionen- und millionenmal in allen Schulen gelehrt. Wenige nur stellen sich das vor und noch wenigere ziehen die natürliche Schlussfolgerung daraus. Der menschliche Verstand ist sich fast allgemein sehr ähnlich, man hätte schon längst den bestmöglichsten Unterricht, die bestmöglichste Lehrmethode aller Lehrfächer ausarbeiten und festlegen sollen, als Grundlage für jeden Schulunterricht. Aber wenn Sie heute eine Schule besuchen, so finden Sie in 99 von 100 Fällen einen jungen, unerfahrenen Lehrer, der den Unterricht so unbeholfen und stümperhaft erteilt, als wenn dieses Fach zum ersten Mal gelehrt würde. Der betreffende Lehrer oder die betreffende Lehrerin haben eben keine entsprechenden Vorlagen, keine Aufzeichnungen; der mühsame, mangelhafte Vortrag wird durch einige schwache Zeichenversuche auf der grossen Wandtafel, ein paar mürrisch an die Kinder gestellte Fragen und andere Nichtigkeiten ergänzt. Das Ganze ist widersinnig. Ausser den Unterrichtsnotizen, nach denen sich der Lehrer beim Unterricht richten kann, brauchen wir noch anderes, was heute in jeder Schule fehlt, aber nirgends fehlen sollte, nämlich Sammlungen von Bildern, Vorlagen, Landkarten, Landschaftsbildern, Städteansichten und dergleichen, für den Geographieunterricht; Vorlagen und Tabellen für die wissenschaftlichen Fächer usw. usw. Sie müssen bedenken, dass wenn alle Schulen der Welt einheitlich wären, und einheitlich geleitet würden, alle diese Anschaffungen im Engrospreis sehr viel billiger zu haben wären. Warum sollten Schulbedarfsartikel nicht auch auf den Weltmarkt kommen? Die Geographie Schwedens erfordert die gleichen Landkarten, Reproduktionen, Typenbilder usw., ob der Unterricht in China, Persien, Marokko oder London erteilt wird. Warum sollten alle diese Abbildungen und Landkarten nicht im gleichen Druck erscheinen und von derselben Zentrale aus an alle Schulen der Welt verteilt werden? Wenn die Regierung irgend eines grösseren Staates die nötige Einsicht und Energie besässe, um hierin voranzugehen und alle nötigen Bedarfsartikel zum Gebrauch der eigenen Schulen anfertigen zu lassen, so könnte sie wahrscheinlich sämtliche Kosten einbringen, indem sie den Weltmarkt mit ihren Bedarfsartikeln beherrschte. Fast ebenso wichtig wie die genannten Sammlungen ist für die modernen Schulen eine Anzahl von Grammophonen. Sie kämen nicht nur für den Musik-, sondern auch für den Sprachunterricht in Betracht. Anstatt dass der Lehrer, wie es gewöhnlich der Fall ist, behauptet, dass er die fremde Sprache, die er eigentlich nur stottert, vollkommen beherrschen kann, brauchte er sich nur des Grammophons, des allein wahren Unterrichtsinstruments zu bedienen. Hier käme es wieder auf Massenanschaffung, Massenproduktion an. Die Massenproduktion von Grammophonplatten für den Sprachunterricht würde den Preis der Anschaffung derart herabsetzen, dass jede Schule sich ein ganzes Repertoir von Sprachrollen anschaffen könnte. Der Anfangsunterricht könnte jedenfalls in der Weise geschehen und wäre von dem richtigen Akzent und der richtigen Betonung begleitet. In der ganzen Welt würde jede Sprache mit gleichem Akzent und gleichem Dialekt gelehrt werden – wahrlich durchaus wünschenswert.

Ich komme jetzt zu einer Erfordernis der modernen Schule, die unser Schulbetrieb erst entdecken muss – den Gebrauch des Kinematographen. Jede Schule sollte ein halbes Dutzend Projektionsapparate und ein Lager von Films haben. Der Kinematograph hat schon die Mittel mancher Lehrfächer umgestaltet. In fast allen Schulen werden Sie einen Haufen mehr oder weniger verbrauchter und beschädigter, wissenschaftlicher Unterrichtsartikel finden, die zu Demonstrationszwecken in Chemie und Physik dienen sollen. Man glaubt, dass der Naturgeschichtslehrer – und in Anbetracht der ihm zu Gebote stehenden Mittel, Zeit, Geschicklichkeit, tut er gewöhnlich noch sein Bestes – mit diesem zerbrochenen Kram die genialsten experimentellen Ergebnisse darstellen könnte. Manche von uns werden sich, denke ich, dieser Demonstrationsstunden erinnern können. Die Vorbereitungen dazu dauerten zwei bis drei Stunden, sie selbst nahm ungefähr eine Stunde in Anspruch, und es dauerte wieder eine Stunde bis alles weggeräumt war; es war schwer dem Vorgang zu folgen, das Gesehene zu wiederholen, gewöhnlich misslangen die Experimente und der Lehrer verlor jedesmal die Geduld dabei. Diese praktischen Vorführungen wurden meist im Eifer des Semesteranfangs unternommen. Im Verlauf der Schulwochen fiel der praktische Unterricht allmählich weg und man paukte uns die Wissenschaft aus den Lehrbüchern ein.

Diese Art des Unterrichts besteht noch heute. Aber längst sollte dieser alte wissenschaftliche Plunder hinausgeworfen werden. Die demonstrierenden Experimente, die für den Unterricht notwendig sind, könnten vom Film aufgenommen werden. Sie könnten ein für allemal für den Film photographiert werden und brauchten nie wieder wiederholt zu werden. Nehmen Sie einen gewandten, tüchtigen Lehrer, einen guten Apparat, und die Sache wäre ganz etwas anderes; der Kinematograph kann alles wiedergeben, die kleinsten Details eines Experiments und die schwierigsten und verwickeltsten; man kann einen Gegenstand in der Sehweite einer Meile oder von sechs Zoll zeigen. Alles was ein Lehrer zu tun hätte, wäre während fünf Minuten die nötigen Films vorzubereiten, zehn Minuten lang die entsprechende Lektion vorzulesen und dann kann er den Unterricht beginnen, den Kinematographen in Tätigkeit setzen, Fragen stellen, beobachten wie die Schüler den Unterricht erfassen, zum besseren Verständnis den gleichen Film noch einmal wiederholen und der Klasse die Vorlagen und Bilder aushändigen, nach denen sie das in der Stunde Gelernte zu repetieren hat. Kann die Wirksamkeit dieser beiden Methoden verglichen werden?

Ich versichere Sie, diese Neuerung ist durchführbar: eine neue Schule, eine Musterschule, mit allen modernen Lehrmitteln ausgestattet, Ausnutzung der Lehrkräfte, wie wir sie bisher noch nicht kennen und der gleiche festgesetzte Unterricht für die ganze Jugend der ganzen Erde, die dadurch den gleichen Lehrgang durchmachen würde.

Ich weiss, ich greife hier Vorstellungen an, die in gebildeten Kreisen ausserordentlich beliebt und verbreitet sind. Ich weiss, viele Menschen winden sich bereits vor Abscheu bei dem Gedanken eines gleichen Unterrichts in gleicher Form, für alle Schulen der Welt. Welch eine Einförmigkeit! Sie wird der Menschheit ihre Vielseitigkeit rauben usw. Aber es wird in der Tat absolut nicht einförmig sein. Für jeden einzelnen Schüler wird diese Art des Unterrichts neu, anregend und förderlich sein. Denn alles Lernen bleibt ewig neu, sowie auch alle anderen Hauptsachen des Lebens ewig neu bleiben. Es wird für jeden Einzelnen nicht einförmiger sein, als seinen 7. Geburtstag zu verleben oder sich zum ersten Mal zu verlieben. Und was die Vielseitigkeit betrifft, so kann die vielseitige Unwissenheit, das vielseitige Missverständnis nicht schnell genug aus der Welt geräumt werden. Die Sonne bescheint die Welt, und es ist überall die gleiche Sonne. Man wird mich erst davon überzeugen müssen, dass unser Planet vielseitiger und interessanter wäre, wenn er von 2 bis 3000 unsicheren, krampfartigen, verschiedenfarbigen Scheinwerfern von allen Seiten her beleuchtet würde. Ich bin für das helle, klare Licht der Bildung, das gleich der Sonne die ganze Welt erleuchtet.

Sie sehen, in allem Gesagten ziele ich auf ein – wie soll ich es nennen – auf eine Einheitsschule hin, auf einen einheitlich durchgeführten Lehrgang und Massenproduktion der Schulbedarfsartikel. Die Schulen sollen dasselbe durchmachen was schon viele Detailgeschäfte erlebt haben. Anstatt der vielen kleinen, schlecht bedienten und geführten Schulen, die jede von eigenen Lehrern geleitet wird und zu hohen Preisen sich ihre Bücher, Vorlagen, Lehrmaterial usw. in kleinen Quantitäten beschafft, sollte eine zentralisierte Organisation treten, die tüchtige Lehrer anstellt, zu gemeinsamer Arbeit und Beratung vorgeht, Lehrbücher, Vorlagen, Films, photographische Platten billig und reichlich im grossen Stile für das ganze Land, für mehrere Länder oder wenn sie wollen für den ganzen Weltbedarf herstellt, so wie Amerika z. B. Uhren, Wecker und Automobile für die ganze Welt herstellt. Was die geistige Erziehung anbelangt, so sollten die Schulen nicht von örtlichen Behörden, sondern von einer zentralen Stelle aus geleitet werden.

Nur durch eine Neugestaltung des Schulwesens im Sinne umfassender Neuschöpfungen können wir hoffen, unsere menschliche Gesellschaft zu zivilisieren und einen höheren Bildungsgrad zu erlangen.

Wenn es uns gelingt, die bestehenden Lehrkräfte in dieser Weise auszunützen, wenn durch die modernen Hilfsmittel unsere wirklich tüchtigen Lehrer nicht nur eine Handvoll, sondern Millionen von Kindern unterrichten können, wenn die beste und wirksamste Lehrmethode allgemein üblich wird, ebenso wie wir zu Strassenanlagen und Beleuchtungszwecken die praktischsten Mittel anwenden – dann endlich glaube ich, kann es uns gelingen, die Zivilisation der kommenden Jahre auf eine geistige Bereitschaft zu gründen, die unvergleichlich höher und gesünder ist als alles, was wir bisher gekannt haben.


 << zurück weiter >>