Weiß Ferdl
Die kreutzfidele Harfe
Weiß Ferdl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vorwort.

Es gehört jetzt zum guten Ton, daß jeder Vortragskünstler ein Buch herausgibt. Erstens lernen ihn damit Menschen kennen, die noch nicht das hohe Glück hatten, »Ihn« selbst zu hören und zu bewundern. Zweitens bringt man sich den lieben Mitmenschen, falls sie einen vergessen wollten, wieder in Erinnerung. Drittens wird »Er« nach seinem Tode noch in seinem Buch unter den Lebenden weilen, falls einige Exemplare der Altpapierankaufsstelle entronnen sind und viertens – dies ist zwar für den Verfasser meist sehr nebensächlich – hofft jeder durch sein Buch etwas zu verdienen.

Wir leben jetzt in sehr ernsten, schweren Zeiten. Fast könnte man das Lachen ganz verlernen. Und doch – wir dürfen es nicht verlernen. Wer nicht mehr lacht, ist krank. Krank dürfen wir aber nicht sein, gerade jetzt nicht. Wir müssen gesund und stark bleiben, um diese Prüfungszeit überstehen zu können. – Wie befreiend wirkte oft draußen im Schützengraben in bangen Stunden höchster Not ein kleines Scherzwort. Glaubt mir, diejenigen, die in solchen Augenblicken den Mut zu einem Scherzwort fanden, das waren die Starken, die ihre Kameraden aufrichteten und bei jeder anderen Gelegenheit den Mann stellten. Darum nehme es mir niemand übel, 4 wenn gerade jetzt ein lustiges Buch von mir erscheint. Ganz ohne Lachen muß der Mensch zugrunde gehen.

Sucht in diesem Buch keine hochfliegenden Gedanken, keine dichterischen Werte, ihr würdet umsonst suchen. Es soll ein Buch der Zerstreuung und Unterhaltung sein. Sonst nichts. Und wenn nur bei einigen, die dieses Buch lesen, ein fröhliches Lächeln auf ganz kurze Zeit die Sorgenfalten glättet – dann hat es seinen Zweck vollauf erfüllt.

München, Februar 1923.

Der Verfasser.

 


 

Im Lohengrin.

Solovortrag von Karl Frey.
Für einen Solisten bearbeitet von Weiß Ferdl.

(Der Vortragende betritt bei den letzten Takten des Vorspiels mit feierlicher Miene die Bühne.)

Die feierlichen Klänge, die soeben an Ihr Ohr geklungen, sowie mein durchgeistigtes Äußere werden Ihnen schon gesagt haben, daß heute etwas ganz besonderes auf Sie wartet – und so ist es auch.

Ich bin aufgewühlt in meinem Innersten – aber nicht daß Sie glauben, ich hab' amerikanischen Speck gegessen – der wühlt nämlich auch auf –, nein, ich hab' eine Oper geseh'n – Lohengrin – also großartig – phänominal. – So eine Oper ist schon wirklich eine Pracht – die wunderbaren Kostüme, die diese Opernleut' anhaben, und dann die großartigen Dekorationen – das kost' a bißl a Geld, und Musik ist auch dabei – meistens bei die Opern, und wie die hineinblasen, die drob'n auf der Bühne, die werden ihna manchmal gar nimma Herr; dann schicken sie hinunter, sie soll'n a bissel stader tun, damit man was hört von der Oper. Eine Zeitlang geb'ns a Ruah, auf einmal packt's sie's dann aber wieder an, dann blasens wieder nei wie narrisch. Die droben, die so schön angezogen sind, die warten dann a Zeitlang, bis denen da drunten der Blasbalg ausgeht – dann geht's wieder weiter mit der Oper. 6

Also ich erzähl' Ihnen alles der Reihe nach. – Angegangen ist es schon vor acht Tag, wie ich mich ums Billett angestellt hab'. Abends um 10 Uhr hab' ich mich angestellt, da waren noch nicht viel Leut da, weil nämlich erst am nächsten Tag in der Früh um 10 Uhr die Kasse aufgemacht wurde. – Wir Angestellte haben gleich einen Betriebsrat gewählt aus unserer Mitte und von ihm verlangt, er soll durchsetzen, daß die Theaterkasse für uns schon um 1 Uhr früh geöffnet wird – aber der hat nichts erreicht. Um halb zehn haben wir nochmals einen gewählt, einen sehr energischen, linksradikalen. Der hat sich dann sofort ganz vorn hingestellt – und kam dann um 10 Uhr, als aufgemacht wurde, als erster dran.

An dem Tag der Vorstellung hab ich mich schon nach mittags um 3 Uhr angestellt an der Tür, wo es zur Galerie hinaufgeht. Der Türbändiger vom Hoftheater – Portier darf man nicht mehr sagen, die Fremdwörter muß man kategorisch boykottieren – meinte, ich sei früh genug dran. Ich war der erste, endlich ist das Türl aufgemacht worden, ich wie der Teufl nauf über die Wendeltreppen, im dritten Stock ist mir der Atem ausgegangen; damit mir aber keiner vorkam, hab ich gerufen: Halt! – Bis die Leute dann gefragt haben: Warum? – Was is denn los? Einstweilen hab ich mich erholt g'habt, dann ging's wieder weiter. – Den allerschönsten Platz hab ich mir rausgesucht und hab mich schön breit gemacht. Am Anfang war's ganz schön, aber dann sind die Leut immer mehr worden, da hat sich auf mich auch noch einer naufg'lehnt und auf den hab'n sich auch noch 6 hinaufg'lehnt. Da is mir dann sehr warm 7 worden. Hunger hab ich auch kriegt, drum hab ich dann mein Kaserl herausgezogen und g'ess'n – da hab ich gleich mehr Lust kriegt – ja, da hab'ns gewedelt auf der Galerie.

Endlich is angangen. Der Vorhang geht hoch. Der König Heinrich lehnt an einem Baum, um ihn rum ein Haufen Soldaten – da wenn ihm die Entente drauf kommt, daß der noch soviel Soldaten hat, dann hat's was. Also der König Heinrich lehnt dort'n und singt:

Grüaß euch Gott [: alle mitanander :]
Was gibt's Neu's [: im Lande der Brabanter :]
Was gibt's Neu's?

Da tritt ein Feldwebel namens Telramund vor und singt:

Bei uns hier in Brabant, da ist ein Ding
          passiert, aha, aha.
Die Elsa hat ganz heimlich mit an Kerl
          poussiert, aha, aha.

Der König Heinrich, der früher, scheint sich, selber ein alter Draher g'wes'n is, hat g'lacht und dazu g'sunga:

Menschen, Menschen san ma alle,
Fehler hat a jeder gnua,
Engel könna's doch net glei sein,
Das liegt schon so in dern Natur.

Damit es aber keine Rederei gibt, hat er die Elsa durch einen Schutzmann holen lassen. – Schutzleut hat es damals schon gegeben, Schutzleut hat es immer gegeben, schon im Paradies. Der erste hat Gabriel geheißen, das war der, der im Paradies immer gesagt hat: »Rechts gehen!« Beim Apfelbaum hat er sich immer gern aufgehalten und hat 8 gerufen: »Weiter geh'n – nicht stehen bleiben!« – Das war der Wachtmeister Gabriel; später, wie er dann den Adam und die Eva hinausgejagt hat aus dem Paradies, ist er, glaub ich, Oberwachtmeister worden. Jetzt ist er, glaub ich, schon pensioniert. – Also der Schutzmann bringt die Elsa, sie schwebt herein. (Musik: »Schier dreißig Jahre bist du alt.«) Kaum ist sie herin, fängt sie zum Weinen an.

Woaßt du König, was i tramt hab –

D'Weiber träumen ja immer, am hellichten Tag auch, und von was träumens – von de Mannsbilder:

So trat er aus der Luft zu mir –

Aha, sagt der König, einer von der Luftschiffer-Abteilung. Das sind so Lumpen. – Die Elsa läßt sich aber net drausbringen und singt ganz grimmig:

Den Kerl, den ruf ich auf zum Streite
als Zeuge, daß ich schuldlos hier.

Na, man kennt ja die Geschichten, zum Schluß will's immer keiner gewesen sein. – Der König sagt: Das werden wir gleich sehen, lassen wir ihn einmal herblasen den Fliegergigerl. Die am besten blasen können, sollen vortreten. Vier junge, hübsche Burschen treten vor und blasen. (Musik spielt: »August sollst mal runter kommen«.) Weil sich aber nix rührt, bettelt die Elsa:

No amal, no amal, no amal –

Aber die Musikanten hab'n nicht mehr geblasen, weil die Elsa den neuen Tarif nicht zahl'n wollt. Die G'schicht ist sehr peinlich geworden. Die Elsa hat sich dann niedergekniet und hat gebetet. (Musik spielt: »Das Gebet einer Jungfrau«.) Das hat gewirkt. Auf einmal hört man aus weiter Ferne 9 (Huppe), nein, mit einem Schnauferl ist er nicht gekommen. Der Lohengrin kommt auf einem Schwan daher geschwommen. – Er steigt aus, schickt den Schwan zum Füttern heim und fragt die Elsa, ob es ihr recht ist, wenn er mit ihr geht. Die Elsa meint generös halber: »Redens mit meiner Mama, Herr . . ., Herr . . . Das letztemal hab ich ganz vergessen zu fragen, mit wem ich eigentlich das Vergnügen gehabt hab. – Das hat ihm aber scheinbar gar nicht recht behagt, denn er hat gesungen:

Nie sollst du mich befragen,
Noch Wissens Sorge tragen –

Ein Schlauberger, der Lohengrin, damit sie ihn nicht erwischen kann, wenn – – – Die Elsa hat sich denkt, am Standesamt wird es sich dann schon rausstellen, was er für ein Landsmann ist und hat bloß ihren Schirm verlangt. – Jawohl, ich hab's ganz deutlich gehört, wie's zu ihm gesagt hat:

Mein'n Schirm herr – mein Engel
Ich schwöre . . . usw.

Ganz genau hab ich's nicht verstanden, war's a Sonnen- oder a Regenschirm – von einem Schirm war die Rede. – Der Lohengrin nimmt die Elsa um die Mitt'n und singt im Abgehen:

Ja, das haben die Mädchen so gerne –

Und der Soldatenchor brüllt:

Seh'n Sie, das ist ein Geschäft,
Das trägt noch was ein.
Tralala, tralala, tralalalala
Tralala, tralala, lala.
10

Das war also so ungefähr der erste Akt. Wie der Vorhang wieder hoch ging, war es stockfinster auf der Bühne – warum weiß ich nicht, vielleicht haben's die letzte Gasrechnung nicht bezahlt g'habt oder was – allmählich ist's dann a bißl lichter geworden, dann hab ich g'seh'n, wie da Lohengrin grad mit der Elsa aufs Standesamt gangen is. Am notwendigsten haben's natürlich d' Weiber g'habt. Die sind um die Elsa rumg'schwanzelt und haben gesungen:

Hochzeit machen das ist wunderschön,
Ach, wie ist das schön.

Auf einmal tritt ihnen ein Frauenzimmer in den Weg, das muß eine gewesen sein, mit der der Lohengrin früher ein Gspusi gehabt hat, Ortrud glaub ich hat's g'heißen, die Trud. Die hat die Elsa ang'schrien: Zurück dein Mann ist kein Kavalier! Der Telramund, der alte Feldwebel, hat sich auch gleich dreing'mischt und den Lohengrin zum Duell aufgefordert. Der Lohengrin war gleich dabei und hat'n glei a so hing'wichst, das er so schnell nicht mehr aufgestanden ist – das hat mich g'freut, weil ich die Feldwebel so nicht leiden kann. Der Lohengrin ist dann, als ob gar nix g'wes'n wär, mit der Elsa zum Kopuliern ganga. Alles hat gesungen:

Wir winden dir den Jungfrau'nkranz
Mit veilchenblauer Seide.

Der nächste Akt hat im Brautgemach gespielt. Der Lohengrin hat ein langes, weißes Nachthemd angehabt, hat den Nachtriegel vorgeschoben und hat dann schön stad mit der Elsa angebandelt. Zuerst hat er's verliebt angeblinzelt, dann hat er's in d' Seit'n neig'stößn, dann hint 11 naufgetatschelt, wie ma's halt macht, Sie wissen's ja selber, und dann hat er g'sungen:

Liebste Elsa, lasse dich erweichen,
Liebste Elsa, Mädchen ohne gleichen,
Liebste Elsa, reich mir deinen Mund,
Küsse mich, küsse mich, ach das ist gesund.

Anstandshalber hat sie sich noch ein bisserl geziert, wie's die Mädels immer machen: Aber nein, nicht so stürmisch – nein, du bist einer – so geh doch weiter. – Er ist aber nicht weiter gegangen, im Gegenteil – er is noch näher hingegangen, hat sich mit ihr aufs Kanapee hing'setzt und gesungen:

Mädle ruck, ruck, ruck,
An meine grüne Seite.

Sie ist dann auch hingerückt und hat geflüstert: »Mir wird so quise, quasi, um 's Herz herum so g'spassi. Da lacht der Lohengrin und sagt, das kenn ich:

Das macht die Liebe so ganz allein,
Die gräbt sich tief ins Herz hinein.

Bei dem Wort »tief« seufzt die Elsa tief auf. Da sagt der Lohengrin: »Ich weiß, an was du jetzt denkst!« – Drauf sagt die Elsa: »Du Schweinchen!« – Nein, sagt der Lohengrin, so hab ich das nicht gemeint! – Ich hab's auch nicht so gemeint, sagt die Elsa, aber du kannst mir das nicht verdenken, daß ich endlich einmal wissen möchte, mit wem ich eigentlich verheiratet bin. – Merkwürdig, das wollt er absolut nicht sagen, daß er der Lohengrin is, das hat mich gewundert, wo's doch großmächtig aufm Theaterzettl g'stand'n is. – Sie hat immer wieder gefragt, aber er 12 hat's ihr nicht gesagt. Da hat mir das Mädl leid getan und ich hab nunterg'schrien: »Lohengrin hoaßt er.« Dann is der Spektakl anganga, alles hat »p'sch, p'sch« g'macht; die feinen Leut, die im ersten Rang g'sessen sind, haben durch d'Finger pfiffen; ein Kaibipraxer, der in der Königsloge drin g'sess'n is, hat g'schrien: »Hait's Mäu, Depp, dappiga!« – Da hat er mich gemeint damit, dann kam ein Schutzmann und ein Theaterdiener und hab'n mich herausgeholt. Ich hab zu ihnen gesagt: »Entschuldigens, i hab's net bös g'moant, i wollt nur dem armen Mädl helfen.« Ich hab ihnen dann versprechen müssen, daß ich nimmer mitmach bei der Oper – dann hab'n sie mich wieder neilass'n.

Wie ich wieder hineinkam, war die ganze Blas'n beinander, der König, d' Elsa, da Lohengrin, d' Weiber, Soldaten, alles, und da Lohengrin hat grad erzählt, warum er die Elsa sitz'n laßt. Er hat auf sie hindeut' und gesungen (d' Weiber hab'n aber auch allweil drein g'sungen):

[: Sie hat mir gebrochen den heiligen
Sie hat ihm gebrochen den heiligen :]
[: Sie hat mir gebrochen – Sie hat ihm gebrochen :]
Sie hat ihm gebrochen den Heiligen
Den Heiligen

Alles sechsmal wiederholt.
Wegen Papierknappheit nicht auszuführen.

Ich weiß net, was sie ihm für einen Heiligen zerbrochen hat, man hat nix verstanden, weil die Weiber auch allweil drein g'schrien haben. – Er hat g'sehn, daß ihm die ganze G'schicht nichts nutzt, weil ich ihn schon aufgebracht hab, drum hat er sich selber vorgestellt: 13

In fernen Landen, unnahbar euren Schritten,
Liegt eine Burg, der Mondsalavtor genannt,
Und ich, ich bin der Sohn von meinem Vater
Und werd der Ritter Lohengrin genannt.

Dann sagt er: Leben's wohl, Frau Lohengrin, hat ihr die Police von der Lebensversicherung gegeben und hat seinem Schwan gepfiffen. Die Soldaten singen:

[: Was kommt dort von der Höh :]

Und der Lohengrin singt:

Kommt a Vogerl geflogen –

Richtig kommt von ob'n eine weiße Taube, das muß der heilige Geist g'wes'n sein, denn auf amal hat die Elsa einen Bub'n g'habt, der war mindestens schon 12 Jahr alt, i wüßt net, wo sie ihn sonst herg'habt hätt, sie hab'n ja erst g'heirat – vielleicht hat's den Buab'n schon lediger g'habt, dös woaß i net, da is nix drob'n g'stand'n am Theaterzettl. – Der Lohengrin hat den Durchanander benützt, hat sich auf seinen Schwan naufg'hockt und hat sich druckt. Auf einmal sieht ihn die Elsa schon weit draußen schwimmen und schreit

Ich bin eine Witwe, eine kleine Witwe –

Der Lohengrin sitzt aber ganz grüabi auf seinem Schwan drob'n und singt:

Muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus,
Städtle hinaus und du mein Schatz bleibst hier.

Dann war der Lohengrin aus. 14


 

Erinnerungen eines alten Soldaten.

        's ist her a lange Zeit, doch denk ich dran voll Freud
An'n Tag der Musterung, da war i jung.
»Tauglich zur Infantrie«, g'stieg'n bin i wie noch nie,
G'juchazt und g'schrien voll Freud, hätt's mi nur g'seh'n.
Goldene Jugendzeit – 's war halt doch schön.

Dann wurde ich Rekrut, da ging es mir nicht gut,
Bis ich die Knie durchdrückt, hab'ns mi fest zwickt.
Dauerlauf hin und her, da hab i g'schnauft oft schwer,
Fuchz'gmal am Bauch hing'legt, wieder in d'Höh',
Kniebeug, 's G'wehr vorwärts g'streckt – o, dös tat weh!

Schnell war vorbei die Zeit, dann gab's a große Freud,
In Urlaub durft ma naus, stolz fuhr ich z'Haus.
Alles hat an mir blitzt, da hab'n die Madln g'spitzt,
B'such hab i üb'rall g'macht, das mi jed's g'seh'n,
Manchmal a in der Nacht – 's war halt do schön.

Und beim Manöver dann, hab'n g'schwitzt wir dann und wann,
Trieb'n ham's uns umanand, 's war oft a Schand.
Endli dann im Quartier, lusti war's dort beim Bier,
Dich traf's, o welches G'frett, zum Posten steh',
A andrer lag in dein Bett – o, dös tat weh!

Als Vierzehn kracht hat dann, da kamen's Mann für Mann
Und schützten 's Vaterland, alle mit'nand'.
Schnell ging es über'n Rhein, gar weit nach Frankreich 'nein,
Blies der Hornist »Trara«, 's blieb keiner steh'n,
»Sprung auf, marsch, marsch, Hurra« – 's war halt do schön. 15

Wurd' dann nach heißer Schlacht, im Schutz der dunklen Nacht
Die Kompagnie aufg'stellt, hat mancher g'fehlt.
Manch' jung Soldatenblut, dem wir von Herzen gut,
Schaufelten wir ein Grab, leb wohl, ade,
Senkten ihn dann hinab – o, dös tat weh!

Oft drauß'n im Quartier, an d'Heimat dachten wir,
Die vor der Feinde Wut beschützt wir gut.
Kehr'n wir erst z'rück, o mei', all's wird uns dankbar sei',
Werden uns Blumen streu'n, stolz Fahnen weh'n,
All's wird mit uns sich freu'n – o, dös wird schön!

Doch uns're Heimkehr war, ach jeder Freude bar,
Zum Dank, der uns hätt' g'freut, hatt' niemand Zeit.
Wir sah'n nur Bürscherl steh'n, die nie den Feind geseh'n,
Die schrie'n uns nach gar keck: »He, du bleib steh',
Tua dei' Kokard'n weg« – o, dös tat weh!

                        Und doch sie kommen all
                        Wenn heut ertönt 's Signal,
                        Rettet das Vaterland
                        Vor Not und Schand.
                        Wo alte Banner weh'n
                        Werden sie wieder steh'n,
                        Ziehen zum deutschen Rhein,
                        Alle mitgeh'n.
                        Deutschland wird einig sein,
                        O, dös wird schön. 16


 

Doppelbier-G'stanz'ln.

Melodie: »Der alte Peter«.

        Kaum ist bei uns in München die Faschingszeit vorbei,
Wo d'Leut alle stocknarrisch, gibt's scho was anders glei.
Jetzt gibt's die starken Biere, die Jedes trinkt so gern.
Z'Berlin drob'n nehmen's Kokain, wir sind nicht so modern,
Weil d'Leut bei uns mit'n Doppelbier a ganz schö damisch wer'n.

Erst wollten's ganz verbieten den Doppelbier-Ausschank,
Dann hab'ns uns doch genehmigt den süßen Himmelstrank.
D'Regierung hat wohleing'seh'n, wohin könnt so was führ'n,
Daß da das gute Bayernvolk tät schließlich revoltier'n,
Und daß das Volk, wenn's b'suffa is, sich leichter laßt regier'n.

Ein braver Münchner Bürger trank fünf Maß Doppelbier.
Ein Herr schimpft: »In der schlechten Zeit für so was Geld habt ihr!«
»Halt's Mäu!« sagt drauf der Münchner, »i tu's fürs Vaterland,
Ein jeder Schluck versteuert ist, drum so sauf i, 's is koa Schand.
Was tuat ma denn net alles fürs teure Vaterland.« 17

Die Leut sind jetzt ganz anders bei uns in München hier,
Sie sind so liab und guat jetzt, das macht das gute Bier.
Das Bier, es wirkt veredelnd, i sag's ja allaweil,
Ein Kummunist sang neulich des Nachts aus Langeweil
Das Lied, ihr glaubt es mir wohl nicht »Heul unserm König, Heul!«

Weil durch das Bier im Lande Ordnung und Recht gedieh,
Wird ein Denkmal jetzt errichtet der Bierbrauindustrie.
In der Feldherrnhall' der Tilly und der Wrede steh'n allweil,
Zu dö zwoa kommt jetzt eini no da Moaster vom Pschorrbräu.
Jetzt könna's doch tarock'n, denn dann san's eahna drei.

D'Regierung drob'n in Preußen hat einen hergesandt,
Zu schauen, wie es stehet bei uns im Bayernland.
Und der hat dann berichtet Zustände schaudervoll.
Der weiße Terror wütet in Bayern, es ist toll.
Wie der hat den Bericht gemacht, war er sternhaglvoll.

O trinket alle fleißig den edlen Gerstensaft,
Dann wird es wieder besser, der macht uns Mut und Kraft.
Hast du ein kleines Schwipserl, vergißt du alle Not,
Die ganze Welt erscheinet dir so lieblich rosenrot.
Ich hab' neulich im Rausch umarmt sogar mein' Steuerbot'. 18


 

Der Ausflug der Familie Reiter.

Die Idee, einen größeren Ausflug ins Gebirge zu machen, ging von der Tochter Elli aus. Die Lisi, wie sie früher hieß, war in einem bayerischen Restaurant in Berlin als »echt Münchener Bedienung« und hieß nun »Elli«; sagte statt »na« »nö« und hatte sich weltstädtische Manieren zugelegt. Am zweiten Tag ihrer Anwesenheit konstatierten sämtliche weiblichen Hausinwohner, daß »d'Berlinarin« – wie sie die bösen Leute in der Baaderstraß'n nannten – einen gestickten gelben Jumber, zwei plissierte Röcke, fünf verschiedenfarbige seidene Blusen, drei elegante Kleider, zwei Mäntel, vier Hüte – darunter einen lachsfarbigen Lederhut – und vier Paar Schuhe mit den passenden Strümpfen hatte. Die Elli hatte dieses Kunststück, innerhalb zweimal vierundzwanzig Stunden ein halbes Warenhaus spazieren zu tragen, fertig gebracht, indem sie sich drei- bis viermal umzog. Sprach sie auf der Treppe eine Bekannte an: »Ja Freil'n Elli, jetzt hab'ns ja scho wieder was anders an«, dann antwortete sie bescheiden ablenkend: »Wissen's, ich muß die Sachen anziehen, damit die Sachen in d'Luft kommen, in die Koffer hab ich alles so verknittert!« Kein Wunder daher, daß, wenn sie das Haus verließ, alle Fenster besetzt waren. Am seligsten war ihre Mutter, »d'Reitarin« hieß sie in der Baaderstraß'n. Mit glückstrahlendem Lächeln 19 lag sie in ihrer ganzen Breit'n auf'm Fensterbrettl, fast war der Fensterstock zu klein, um das stolz angeschwoll'ne Mutterherz zu fassen, hob den kleinen Pepperl – ein Andenken von Ellis' Werdegang – in die Höhe und sagte zu ihm: »Da schau, d'Mami geht furt!« Sollte also wirklich eine oder die andere das Ausgehen ihrer »feinen« Tochter übersehen, »d'Reitarin« sorgte dafür, daß dies nicht leicht möglich war. Wenn dann alle Fenster besetzt waren, rief sie: »Elli, bleib fei' net so lang aus, gell!« Worauf »d'Berlinerin« antwortete: »Nö, nö!« und mit elegant wiegendem Schritt, verfolgt von einigen Dutzend Augen, die Baaderstraße entlang schwebte. Es war himmlisch – bis neulich die »Zanklin«, die ja bekannt ist wegen ihrem bösen Maul, zu der Reitingerin naufg'schrien hat: »Die muß a gut's G'schäft hab'n z'Berlin drob'n« und dazu, wie man hier sagt, recht dreckig lachte. Es gibt halt überall böse Leut, sogar in der Baaderstraß'n.

Also wie gesagt, von der Elli ging der Plan aus, nach Tegernsee zu fahren. Ihre Gäste in Berlin erzählten immer von Tegernsee, Schliersee, Garmisch usw., und es sei doch eine Schande, daß sie als Münchnerin noch nie da drinn war. »d'Reitarin« war entzückt von dem Plan. »Ach,« sagte sie, »wie oft hab ich scho da 'nei woll'n, aba an Vatta bringt ma ja nirgends hin!« – »Ja freili, i war da Schuld,« wehrte sich der Vatta, »dir brenna scho d'Füaß, wenn ma in d'Hinterbrühl nausgenga. Weil ma di scho wo hinbringt, alte Kaffeesuzl!« Außerdem meinte der Vater, daß das sehr viel Geld kosten wird und daß man in Großhess'loh die Berg auch recht schön sieht – und daß da drob'n 's Bier 20 ausgezeichnet guat sei. Er drang mit seinem Antrag nicht durch, die Tochter erklärte, daß sie die Kosten übernehme, und der Pepperl mußte sofort den kleinen Fahrplan im Papierwarengeschäft nebenan holen.

Am Sonntag früh fuhr die Familie Reiter in rosigster Laune zum Bahnhof. Man schimpft, daß die Warenhäuser und großen Geschäfte den Mittelstand ruinieren, ich glaub es, aber hätte der Pepperl den Fahrplan nicht in dem kleinen Geschäft gekauft, wäre den Reiterischen viel Ärger erspart geblieben, denn es war noch ein Winterfahrplan. – Die Elli löste die Fahrkarten, der Beamte gab sie ihr, ob wohl er ganz genau wußte, daß jetzt kein Zug ging, vielleicht freute er sich sogar darüber, weil er heute bei dem Prachtwetter auch da bleiben mußte. – Richtig, es dauerte nicht lange, da kam die Elli aufgeregt zum Schalter zurück: »Der Zug ist ja schon fort, jetzt geht doch gar keiner!« – »Dös woaß i scho,« sagte der Beamte. »Ja, warum haben Sie mir das nicht gesagt?« – »Sie hab'n mi ja net g'fragt, i bin ja koa Auskunftsbüro!« – Das Geld erhielt sie zurück. Was tun jetzt?? Vorerst schimpfte man einmal weidlich über die bayerischen Bahnverhältnisse, vom Verkehrsminister angefangen bis hinunter zu dem ekelhaften Schalterbeamten. Dann kam das Schreibwarengeschäft dran und zum Schluß der Pepperl. »Dummer Bub, das hätt'st doch seh'n müssen, daß das a Winterfahrplan ist.« Der kleine Bub hätt' es sehen sollen, daß aber die Alten auch hätten seh'n sollen, davon sprach man nicht. »Unseroans derf si bloß auf was g'freun,« seufzte d'Reiterin. »Dös geht scho gut o,« brummte der Vater, »war'n ma auf Großhess'loh auffi.« Die Elli 21 studierte einstweilen die aufgehängten Fahrpläne und meinte dann schnell entschlossen: »Da regen wir uns gar nicht auf, wir fahr'n mit dem nächsten Zug nach Starnberg!« – Die Familie Reiter setzte sich in Marsch vom Holzkirchner zum Starnberger Bahnhof.

Auf der Fahrt unterhielt sich die Elli mit zwei norddeutschen Herren hochdeutsch. »d'Reiterin« schaute voll staunender Bewunderung auf ihre »gebüldete« Tochter, der Vater aber ging – als Ausrede gebrauchend, »es sei ihm z'hoaß herinn« – auf die Plattform hinaus. In Wirklichkeit fühlte er sich in Gesellschaft der »spinnat'n Gischpeln«, wie er die beiden Herren nannte, nicht wohl. In Starnberg wurde die Familie mit dem Menschenstrudel, der sich zum Dampfschiff hinwälzte, mitgerissen. »Da schau Pepperl, dös viele Wasser!« – »Wo denn?« – »Da vorn!« – »I sieg's net!« – »d'Reiterin« mußte den Pepperl hochhalten damit er 's Wassa sehen konnte. Von allen Seiten wurde sie gestoßen und getreten, aber was will man machen, der Pepperl will »'s Wassa« seh'n. – Die Elli rief schon: »Mutter, so komm doch, wir kriegen doch keinen Platz mehr!« – Auf der Landungsbrücke bekam es d'Reitarin mit der Angst zu tun. »Mei Good, wenn dös durchbrecha tat! – Jessas, dö vüll'n Leut, dö scho drob'n san am Schiff, moanst, es datragt no alle? – Fahr'n ma liaba mit'n nächst'n!« – Die Menschen lachten und schoben sich rücksichtslos vor. Ein Spaßvogel meinte: »G'scheiter is, Muatter, du laßt da an Frachtdampfer hoaz'n!« Die Elli wurde ärgerlich: »Red' doch nicht so dumm daher!« Der Vater brummte: »I hab's ja glei g'sagt, mit dera kannst nirgends hingeh'!« 22 Endlich standen die Reiterischen mit vielen anderen Leuten zusammengepreßt in der Nähe des Maschinenschachtes, die Schiffsglocke ertönte, pfauchend fingen die Maschinen zu arbeiten an. »Jess' Maria« schrie d'Reitarin. »Was gibt's denn?« – »Was hast denn, alte Kuah?« »I hab g'moant, mir fliag'n in d'Luft.« Gelächter. Die Elli wurde wütend, sie sprach aber kein Wort, damit die Leute nicht merken sollten, daß diese einfältige Frau ihre Mutter ist. Der Pepperl aber sorgte dafür, daß die Zusammengehörigkeit den Umstehenden kein Geheimnis blieb. Er starrte mit großen Augen in den Maschinenschacht, damit ihm aber ja nichts entging, lehnte er sich noch über die Eisenstange, und schon lag seine schöne nagelneue Matrosenmütze, die d'Mami mitgebracht, unten. Er brachte nur noch die Worte heraus: »Mami, Mütz'n.« – Der Kolben, dieses eiserne Ungetüm da drunten, schien nur darauf gewartet zu haben. Er faßte die Mütze – um das oft mißbrauchte Wort zu gebrauchen – mit eiserner Faust und tauchte sie mit sichtbarer Wollust in die schmale Blechrinne, in die das verbrauchte Öl tropft. Nicht bloß einmal, nein, zehn-, zwanzigmal preßte er die schöne Mütze, auf der mit goldenen Lettern stand: »S. M. S. Hohenzollern« mit proletarischer Roheit in die ölige, schmutzige Rinne. Jeder Kolbenstoß erpreßte der Reitarin ein hilfloses: »Mei Good« – »Aus is« – »Jessas« usw. Endlich wurde der Maschinist aufmerksam und warf die Mütze herauf. Sie war nur mehr, um mich maritim auszudrücken, ein Wrack, ein aus Stoff, Öl und Schmutz bestehender Knäuel, die schönen Bänder hingen wie ein paar schmutzige Kreuzerstrick'ln runter. Die Inschrift war total unleserlich 23 gemacht, ganz anders als bei den Hoflieferantenschildern und ähnlichen Tafeln, auf denen nur das Wort »Kgl.« notdürftig überstrichen wurde, in der Annahme, daß, wenn man vielleicht doch wieder – – –. Wer kann es der Mami verdenken, die sich das Geld in Berlin sauer verdienen muß, daß sie sich ärgerte, dem Pepperl mit den Worten: »Weil du nie aufpaßt« einen Puffer gab. Die Großmutter suchte den weinenden Pepperl zu trösten: »Sei stad, Pepperl, dö wasch ma dahoam, nacha is wieder wie neu.« Dabei versuchte sie mit Hilfe ihres Taschentuchs, einer alten Zeitung und ihres Unterrockzipfels, die Mütze zu reinigen, was ihr allerdings nicht recht gelang, dafür aber das Taschentuch und der Unterrock voll Öl und Schmier wurde. Die Elli fühlte, daß der Aufenthalt im Zwischendeck für die Reiterischen unmöglich geworden, sie hatte I. Klaß-Billetts geholt und die Familie begab sich auf das Oberdeck. Das Schiff schwamm bereits zwischen Leoni und Possenhofen. Oben angekommen, sagte die Elli: »Da schau Mutter, das ist doch wunderschön, nich? Wie man die Berge sieht, fabelhaft, nich?« d'Reiterin aber, als sie die unermeßliche Wasserwüste sah, wurde wieder ängstlich, nickte zaghaft und meinte: »Aba ziag'n tuat's da herob'n!« – »Geh, du hast überall was anders,« sagte die Elli ärgerlich, und zum Vater gewandt: »Der Blick ist doch herrlich?« – »Dös glaub i,« antwortete dieser eifrig, »woaßt, d'Muatta hat für so was gar nixn, 's is schad ums Geld.« Nach einer Pause setzte er hinzu: »A Bier gibts a – aber dös werd halt recht teuer sein!« Die Tochter verstand ihn nicht. Der Pepperl hatte inzwischen die Großmutter, die sich zwar dagegen sträubte, 24 – ihre zarte Frauenseele ahnte wohl schon das kommende Mißgeschick –, langsam aber sicher an das Schiffsgeländer gedrängt. Die Matrosenmütze hatte er krampfhaft in der Hand – das gebrannte Kind fürchtet das Feuer. Plötzlich hatte sein Seemannsauge etwas entdeckt. »Großmami, da schwimmt was!« »Wo?« Ach, warum mußte aber auch Großmutter so schlechte Augen haben. – »Daaa,« er deutete hin, vergaß im Eifer, daß er die Mütze in der Hand hielt und – – das andere können Sie sich denken. Der Pepperl wurde bleich, Großmutter noch bleicher, wollte mit dem Sonnenschirm nach der Mütze angeln, rutschte und fiel mit dem Mauserl (wie man in München die sehr empfindliche Muskel im Ellbogengelenk nennt) auf das Geländer, und – ein Unglück kommt selten allein – der schöne seidene Sonnenschirm begleitete in gemessenem Abstande die Mütze auf dem Flug in die Tiefe. Das Schiff rauschte unbekümmert weiter. Die anderen Fahrgäste lachten, ein anwesender Lehrer benützte den Unglücksfall als Lehrbeispiel und sagte zu seinen Kindern, an der Entfernung der Mütze vom Sonnenschirm könne man sehr leicht die Geschwindigkeit des Schiffes berechnen. Ein Herr meinte, daß es für einen guten Schwimmer ein Spaß wäre, die Sachen zu holen; wenn er noch jünger wäre – – Ein anderer meinte, daß irgendwas da sein sollte, eine lange Stange mit einem Netz, dann wäre es eine Leichtigkeit, usw. Es waren viele gescheite Leute an Bord, aber leider kein guter Schwimmer, dem es ein Spaß gewesen wäre, und keine lange Stange, und so wurden die beiden auf dem Wasser schwimmenden Punkte immer kleiner und schließlich 25 verschwanden sie ganz. Der Mami war es natürlich nicht entgangen, sie trat mit drohendem Kopfschütteln näher, der Pepperl heulte, die Großmutter wischte ihm mit ihrem Taschentuch die Tränen weg, dafür das in ihrem Taschentuch noch vorhandene Schmieröl ins Gesicht – es war fürchterlich. »d'Reitarin« atmete erleichtert auf, als sie nach der Rundfahrt das Teufelsschiff verließen, schwor: »einmal und nie wieder.« Die Stimmung war natürlich miserabl, man wollte sofort heimfahren. Doch das Maß war noch nicht voll. Da kein Zug ging, entschloß sich die Elli, im Strandrestaurant Kaffee zu trinken. Die feine Aufmachung dort – ringsum saßen gut gekleidete Herren, die sie mit Kennermiene beim Eintreten musterten – hätte sie bald alles Unangenehme, das der heutige Tag brachte, vergessen lassen – aber der Pepperl, der arme Pepperl hatte heute gräßlich Pech. Während sie Kaffee tranken, bat er: »Mami, derf i a bisserl ans Wasser hi'geh'?« – »Ja, aber paß auf, daß du dich nicht schmutzig machst!« In einen festgebundenen Kahn waren einige Buben geklettert und schaukelten. Wie gern wäre Pepperl auch in den Kahn, aber Mami rief schon: »Bubiii, nich so nah ans Wasser ran, hübsch artig sein!« Eine Weile konnte er sich zurückhalten, aber bald war er wieder bedenklich nahe am Kahn, da rief es wieder: »Bubiii, was hab ich gesacht!!!« – Welcher Bub kann da auf die Dauer widerstehen, wenn andere so lustig schaukeln und sagen: »Da Matros' traut sich net eina,« es ging nicht. Die Mami schaute gerade nicht her, schon hatte er die Hand am Bootsrand, wollte hineinspringen, die Buben im Boot bewegten sich, das Boot mit, der Pepperl 26 verlor den Halt und – patsch – lag er im Wasser. »d'Reitarin« schrie: »Jessas«; schon war ein Herr hinzugesprungen und zog den Pepperl heraus. Als die Mami den schönen, teuren Matrosenanzug sah, zerrissen und voll Schlamm, vergaß sie die ganze Berliner Kultur und rief: »Malefizbankert, verdammter!« Das war münchnerisch und kam von Herzen. Was man in der Jugend gelernt, vergißt man nicht.

Der Zug von Garmisch war überfüllt, die Familie fand endlich auf einer vorderen Plattform, eingekeilt zwischen Alpenstangen und Rucksäcken, Platz. Es fing auch zu regnen an und der Wind wehte die Tropfen massenweise auf die Passagiere der vorderen Plattform. Beim Aussteigen trat noch einer mit seinen »Genagelten« der Elli auf die Lackschucherln, und zwar so nachdrücklich, daß gleich die Fetzen weghingen. Zur Entschuldigung brummte dieser Lümmel: »Man soll sie halt richtige Schuh kaffa und net so G'fraß in de Ramsch'gschäfte.« Das war die Höhe.

So endete der Ausflug der Familie Reiter.

Schweigend, mit finsteren Mienen, bogen sie in die Baaderstraß' ein, auf der Treppe brachte es »d'Reitarin« fertig, zu sagen: »Es war doch recht schön da drob'n.« Es klang hohl. – Der Vater konnte sich nicht halten, er haßte Phrasen und brummte: »Mhm, dös war freili schö«, und nach kurzer Pause setzte er hinzu: »War'n ma auf Großhess'loh auffi!« 27


 

Der Ringkampf.

Heute Abend Entscheidungskampf zwischen
Victore Rassio, Champion von Italien
und
Xaver Milchthaler, Meisterschaftsringer von Bayern.

So las ich auf einem Plakat, und abends ½8 Uhr saß ich auf der Galerie und wartete mit gespannter Aufmerksamkeit der Dinge, die da kommen sollten.

An meinem Tisch hatte außer mir ein junger Mann, seinem Aussehen nach ein Schenkkellner, ferner ein stellenloser Steinträger mit seinem Fräulein Braut, ein behäbiger Münchener Bäckermeister und ein böhmischer Schneidermeister Platz genommen.

Schon vor der Vorstellung entspann sich an unserem Tisch eine lebhafte Debatte. Der Bäckermeister sagte zu mir: »No, Herr Nachba, wer moanan's denn, das do heut Herr wird? – Da Milchthaler, was??« – »Jjaa« sag ich, »das ist sehr zweifelhaft, mit so einen Schampio da wird er sich net leicht tun!« 28

Das genügte, um mir von seiten des Schenkkellners folgende Rüge einzutragen: »Mein Name wer'ns vielleicht scho amal g'hört hab'n – i bin der Muskulaturschorschi – und dössell wer'ns wohl zugeb'n, das i vo dera G'schicht a bisserl mehra versteh wia Sie mit Eahnan aufg'woacht'n Semmikopf! – I sag Eahna bloß dös oane, daß da Milchthaler den italienischen Makronifresser in fuchzehn Minuten ganz unleina am Bod'n hi'pelzt, daß 'n da Teifi holt. Dös soll's nacha a scho geb'n, daß mir an Italiener net werfa! – War ja glei recht. Wer'ns scho seg'n, wia'n da Milchthaler packt mit'n Hitzlergriff – a so – (dabei legte er mir seine Pratz'n auf meinen Nacken), ziagt'n rüber (mich zog er auch rüber, daß ich keine Luft mehr bekam), nacha draht an umi (er hat auch mich umidraht, mein Krag'n war kaputt und acht Tag konnt' ich meinen Hals nicht mehr dreh'n) und patsch – da liagt er a wia a Frosch!«

Ich schwöre Ihnen, von einem Athleten laß ich mir nie mehr etwas erklären. »Ja, ja, Sie haben ganz recht,« sagte ich, »das merkt man schon, daß Sie von der Sache etwas verstehen.« Dabei bin ich aber möglichst weit weggerückt von meiner neuen Bekanntschaft, dem »Muskulaturschorschi«.

Der Vorhang ging in die Höhe und 10 Ringkämpfer betraten die Bühne. Mir entschlüpfte unwillkürlich der Ausruf: »Herrgott, sind das Lackeln!« Ein Blick von seiten des stellenlosen Steinträgers machte mich sofort wieder verstummen. Dieser entpuppte sich später als der bekannte »Flax'ntoni« von der Au.

Der Kampf begann und wurde von den Fachleuten an unserem Tisch mit lebhaftem Interesse verfolgt. – »Da 29 schau hi, da schau hi,« sagte aufgeregt der Flax'ntoni zu seiner Braut, »wia der böhmische Zigeuner an Milchthaler d'Fotz'n dahaut, a so a Bazi! Milchthaler, dawirf'n den böhmischen Schlawina, dadruck eahm sei böhmische Nas'n zu an Kalbskottlett! Laß Dir's net gfall'n!!«

Das paßte nun dem an unserem Tisch sitzenden böhmischen Schneidermeister nicht. »Erlaub'ns me bittä, was schrein's denn sooo! Ringkämpfe isse gar net Landsmann meiniges, Ringkämpfe isse italienische und soo!!«

»Halt's Mäu,« sagt der Toni, »sunst wisch i di über Gallarie obi«, und seine Braut stimmte ihm bei. »Geh zua, Toni, tua di net aufreg'n weg'n so an böhmischen Taschenkünstler, heutzutag geht scho all's ins Varietee!«

Beruhigt wandte sich der Flax'ntoni wieder dem Ringkampf zu. Plötzlich brauste der ganze Tisch auf: »Falscher Griff, falscher Griff (gellende Pfiffe), hast'n g'sehn an böhmischen Valott'n, wia r'an bei der Hax'n packt hat, Bandit vafluachta, Schlawina z'sammazuapfta, Milchthaler dagarb'n den böhmischen Boll'nhund!« – Schrecklich war der Zornesausbruch des Volkes. – Der böhmische Schneidermeister protestierte: »Siii, das verbitt ich mich Ihne, denn Böhm machens keine falsche Griff, mir machens schon richtige Griff und soo!«

»Halt's Mäu,« sagt der Toni, »sonst schpeib i dir a Aug'n aus! Er aa scho, steig ma am Buckl auffi!« – »Und ich Ihnen auch«, antwortete frech der Böhm. – Jetzt legte sich der Bäckermeister ins Mittel. »Herrschaftsapparament, sapparament halt's doch enker Mäu, ös Hammi'n, ös ungebüldeten, mir san do in an Varietee und auf koan Neubau, 30 moant's i zahl mei Fuchzgerl Angträh (Eintritt), damit i enkane g'schert'n Schprüach o'hör'n ko? – Ös – ös – – Da ging ihm die Luft aus. Diese Pause benützte die Braut des Flax'ntoni, die angegriffene Ehre ihres Bräutigams zu verteidigen. »Ja, den schaugts o, wia der Toaghami aufmandeln tat, ma kunnt scho moana, mir san do in koan Rosenkranz. Weg'n Eahna ziag i Glacehandschuh o und geh zu dö Englischen Fräulein und lern französisch, damit's Eahna saudumme Loawipapp'n net vaziagt!«

In diesem Augenblick unterbrach ein riesiges Geschrei die weiteren Auseinandersetzungen. »Saubazi, dös gilt net, Schlawina,« worauf Bierfilz'ln und andere Gegenstände auf die Bühne flogen.

Milchthaler war tatsächlich unterlegen. Da triumphierte der böhmische Schneidermeister: »Satrazene pablitschko, hab'ns g'seh'n, wie hab'ns hing'haut bayrische Halawachl und sooo« – –

Im nächsten Augenblick lag er unterm Tisch. Der Flax'ntoni auf ihm drauf, der Muskulaturschorschi will ihn wegreißen, rennt den Tisch um, schüttet das Bier auf meine schöne helle Hose. Ich sag: »Aber das ist denn doch eine Unverschämtheit« – weiter kam ich nicht. Zwei Ordnungsleute erschienen, hauen mich mit ihren Gummiknütt'ln windlweich durch und werfen mich hinaus. Am nächsten Tag las ich in der Zeitung: »Für die heutige verweichlichte Menschheit ist die Förderung des Ringkampfes eine moralische Notwendigkeit, wie denn auch das herrliche Spiel der Muskeln viele künstlerische Impulse wachruft.«

Davon war ich vollkommen überzeugt. 31



 << zurück weiter >>