Frank Wedekind
Die Büchse der Pandora
Frank Wedekind

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Schigolch Sakerment, Sakerment, Sakerment!

Alwa wirft sich auf eine Chaiselongue Ich glaube, ich habe vom Diesseits nicht mehr viel Gutes zu erwarten.

Schigolch Man hätte das Frauenzimmer an der Kehle zurückhalten müssen. Sie vertreibt alles, was Odem hat, mit ihrem aristokratischen Totenschädel.

Alwa Sie hat mich aufs Krankenlager geworfen und mich von außen und innen mit Dornen gespickt!

Schigolch Dafür hat sie allerdings auch genug Courage für zehn Mannsleute im Leib.

Alwa Keinen Verwundeten wird der Gnadenstoß jemals dankbarer finden als mich!

Schigolch Wenn sie den Springfritzen nicht nach dem Quai de la Gare gelockt hätte, dann hätten wir ihn heute noch auf dem Hals.

Alwa Ich sehe ihn über meinem Haupte schweben wie Tantalus den Zweig mit goldenen Äpfeln.

Pause.

Schigolch auf seiner Matratze Willst du die Lampe nicht ein wenig hinaufschrauben?

Alwa Ob wohl ein schlichter Naturmensch in seiner Wildnis auch so unsäglich leiden kann? – Mein Gott, was habe ich aus meinem Leben gemacht!

Schigolch Was hat das Hundewetter aus meinem Havelock gemacht! – Mit fünfundzwanzig Jahren wußte ich mir zu helfen.

Alwa Es hat nicht jeder meine herrliche, sonnige Jugendzeit gekostet!

Schigolch Ich glaube, sie geht gleich aus. – Bis sie zurückkommen, wird es hier dunkel wie im Mutterleib.

Alwa Ich suchte mit klarstem Zielbewußtsein den Verkehr mit Menschen, die nie in ihrem Leben ein Buch gelesen haben. Ich klammerte mich mit aller Selbstverleugnung und Begeisterung daran, um zu den höchsten Höhen dichterischen Ruhmes emporgetragen zu werden. Die Rechnung war falsch. Ich bin der Märtyrer meines Berufes. Seit dem Tode meines Vaters habe ich nicht einen einzigen Vers mehr geschrieben.

Schigolch Wenn sie nur nicht zusammengeblieben sind! – Wer kein dummer Junge ist, geht sowieso nicht mit zweien.

Alwa Sie sind nicht zusammengeblieben!

Schigolch Das hoffe ich. Sie hält sich die Person im Notfall mit Fußtritten vom Leib.

Alwa Der eine, aus der Hefe des Volkes hervorgegangen, ist der gefeiertste Dichter seiner Nation; und der andere, im Purpur geboren, liegt in London in der Grundhefe und kann nicht sterben.

Schigolch Jetzt kommen sie!

Alwa Und wie selige Stunden gemeinsamer Schaffensfreude hatten sie miteinander erlebt!

Schigolch Das können sie jetzt erst recht. – Wir müssen uns wieder verkriechen.

Alwa Ich bleibe hier.

Schigolch Was bedauerst du sie? – Wer sein Geld ausgibt, hat auch seine Gründe dafür!

Alwa Ich habe den moralischen Mut nicht mehr, um mich wegen einer Summe von fünfzehn Schillingen in meiner Behaglichkeit stören zu lassen. Er verkriecht sich unter seinem Plaid.

Schigolch Ein anständiger Mensch tut, was er seiner Stellung schuldig ist. Verbirgt sich in dem Verschlag.

Lulu die Tür öffnend Come in, come in!

Kungu Poti, Erbprinz von Uahube, in hellem Überrock, hellen Beinkleidern, weißen Gamaschen, gelben Knopfstiefeln und grauem Zylinder, tritt ein.

Kungu Poti It's very dark in the stair-case.

Lulu Come in, darling. Here is more light.

Kungu Poti Is that your sitting-room?

Lulu Yes, Sir.

Kungu Poti I feel cold.

Lulu Take you a drink?

Kungu Poti Well. Have you any brandy?

Lulu Yes. Come on. Ihm die Flasche gebend I don't know where the glass is.

Kungu Poti That does not matter. Setzt die Flasche an Well.

Lulu You are a nice young man.

Kungu Poti My father is Sultan of Uahube. I have six women in London, three English, and three French. Well, I don't like to see them. They are too stylish for me.

Lulu Will you stay long-time in London?

Kungu Poti Well. When my father is dead, I must go to Uahube. My kingdom is twice size of England.

Lulu How much will you give me?

Kungu Poti I give you a sovereign. Yes, I will give you one pound. I give always a sovereign.

Lulu You may give me afterwards, but you must show it to me first.

Kungu Poti Never I pay beforehand!

Lulu Allright, but show me your money.

Kungu Poti No, Daisy. Come on! Sie um den Leib fassend Come-on!

Lulu Let me go, I say!

Kungu Poti greift ihr in die Haare Come on, Daisy; where is the bed?

Lulu No, no; don't that!

Kungu Poti reißt sie zu Boden Well!

Alwa springt vom Lager auf und packt Kungu Poti von hinten an der Kehle.

Kungu Poti Well, that's a den! That's a murderhole! Er versetzt Alwa eins mit dem Totschläger über den Kopf.

Alwa bricht stöhnend zusammen.

Kungu Poti Well. I am going. Ab.

Lulu – – Ich bleibe auch nicht hier. – In eine Kaserne! – – Why look you so sorrowful, my dear? Ab. Schigolch kommt aus seinem Verschlag.

Schigolch über Alwa gebeugt Blut! – Alwa! – – Man muß ihn beiseite schaffen. – Hopp! – Sonst nehmen unsere Freunde Anstoß an ihm! – Alwa! Alwa! – Wer da nicht mit sich im klaren ist –! Entweder oder; sonst wird's leicht zu spät! – – Ich will ihm Beine machen. Er zündet ein Streichholz an und steckt es ihm unter den Kragen. Da sich Alwa nicht regt Er will seine Ruhe haben. – Aber hier wird nicht geschlafen. Er schleift ihn am Genick in Lulus Kammer. Darauf versucht er die Lampe hinaufzuschrauben Für mich wird es nun auch bald Zeit, sonst kriegt man im Cosmopolitan Club keinen Christmas-Pudding mehr. Weiß Gott, wann die von ihrer Vergnügungstour zurückkommen – Lulus Bild ins Auge fassend Die versteht die Sache nicht. Die kann von der Liebe nicht leben, weil ihr Leben die Liebe ist. – Da kommt sie! Ich werde ihr ins Gewissen reden...

Die Tür geht auf, und die Gräfin Geschwitz tritt ein.

Schigolch Wenn Sie Nachtquartier bei uns nehmen wollen, dann geben Sie bitte ein wenig acht, daß nichts gestohlen wird.

Die Geschwitz Wie dunkel es hier ist!

Schigolch Es wird noch viel dunkler. – Der Herr Doktor haben sich schon zur Ruhe begeben.

Die Geschwitz Sie schickt mich voraus.

Schigolch Das ist vernünftig. – Wenn jemand nach mir fragt, ich sitze unten im Cosmopolitan Club. – Ab.

Die Geschwitz allein Ich will mich neben die Türe setzen. Ich will alles mitansehen und nicht mit der Wimper zucken. Sie setzt sich auf den Strohsessel neben die Tür – Die Menschen kennen sich nicht; sie wissen nicht, wie sie sind. Nur wer selber kein Mensch ist, der kennt sie. Jedes Wort, das sie sagen, ist unwahr und erlogen. Das wissen sie nicht, denn sie sind heute so und morgen so, je nachdem, ob sie gegessen, getrunken und geliebt haben oder nicht. Nur der Körper bleibt auf einige Zeit, was er ist, und nur die Kinder haben Vernunft. Die Großen sind wie die Tiere; keines weiß, was es tut. Wenn sie am glücklichsten sind, dann jammern sie und stöhnen sie, und im tiefsten Elend freuen sie sich eines jeden winzigen Happens. Es ist sonderbar, wie der Hunger den Menschen die Kraft zum Unglück raubt. Wenn sie sich aber gesättigt haben, dann machen sie sich die Welt zur Folterkammer und werfen ihr Leben für die Befriedigung einer Laune weg. – Ob es wohl einmal Menschen gegeben hat, die durch Liebe glücklich geworden sind? – Was ist denn ihr Glück anders, als daß sie besser schlafen und alles vergessen können? – Herr Gott, ich danke dir, daß du mich nicht geschaffen hast wie diese. – Ich bin nicht Mensch; mein Leib hat nichts Gemeines mit Menschenleibern. Habe ich eine Menschenseele? – Zerquälte Menschen tragen ein kleines enges Herz in sich; ich aber weiß, daß es nicht mein Verdienst ist, wenn ich alles hingebe, alles opfere...

Lulu öffnet die Tür und läßt Doktor Hilti eintreten. Die Geschwitz bleibt, ohne von beiden bemerkt zu werden, regungslos neben der Tür sitzen.

Lulu Whence are you coming so late, Sir?

Dr. Hilti I have been in the theatre. There are two thousand ladies lifting up the right leg at the same time; and then the two thousand ladies are lifting up the left leg at the same time. I never saw such handsome girls before.

Lulu Didn't you? But you are not English?

Dr. Hilti No. I am only here the last two weeks. Are you borne in London?

Lulu No, Sir. I am French.

Dr. Hilti Ah, vous êtes Française?

Lulu Oui, monsieur, je suis Parisienne.

Dr. Hilti I am coming from Paris, where I was staying for eight days.

Lulu On s'y amuse mieux qu'ici. Vous ne trouvez pas?

Dr. Hilti Oui. I was everyday in the Louvre. I admired the pictures. But I am no French. I am from Zurich in Switzerland.

Lulu Est-ce de la Suisse Française, ça?

Dr. Hilti No. Zurich is in German Switzerland.

Lulu Alors vous parlez l'Allemand?

Dr. Hilti Sprächän Sie Töütsch?

Lulu Un petit peu seulement, parce que mon ancien amant était Allemand. Il était de Berlin, je crois.

Dr. Hilti Tonnärwättär, wia miach tas fröüt, taß Sie Töütsch sprächän!

Lulu Du bleibst bei mir die Nacht?

Dr. Hilti Abär iach habä niacht mähr dän fühnf Schielingä bei miar; iach nämmä nia mähr miet, wän iach ausgähä.

Lulu It's enough – parce que c'est toi! Tu as les yeux si doux. Viens, embrasse-moi!

Dr. Hilti Hiemäl, Härgoht, Töüfäl, Kräuzpatadiohn...

Lulu Je t'en prie, ferme ça.

Dr. Hilti Beim Töüfäl, äs ischt nämliach tas ärschte Mol, taß iach miet einäm Mädachän gähä. Tu kchanscht miar gloubän. Sakchärmänt, iach hätä miar tas gahnz andärsch gädahcht!

Lulu Bist du verheiratet?

Dr. Hilti Hiemäl, Hagäl, worum meinscht tu, iach sei värheurotet? – Nein, iach bien Prifot-Tozänt; iach läsä Philossoffie ahn der Unifärsität. Sakchärmänt, iach bien nämliach ous oinär oltän Bodriziär-Fomiliä; iach ärhielt als Studänt nur zwoi Frankchen Toschängält, und tas kchohntä iach bässär anwänden als füar Mädachän.

Lulu Deshalb warst du nie bei einer Frau?

Dr. Hilti Äbän ja! Äbän! Abär iach brouchä äs itzt; iach habä miach heutä obänd värsprochän miet oinär Basler Bodriziärsdochtär. Sie ischt hiär Nursery governess.

Lulu Ist deine Braut hübsch?

Dr. Hilti Ja, sie hat zwoi Millionän. – Iach bien sähr gespahnt, wia äs miach dunkchän wird.

Lulu Ihr Haar zurückwerfend Quelle chance! Sie erhebt sich und nimmt die Lampe Eh bien, viens, mon philosophe! Sie führt Dr. Hilti in ihre Kammer und verriegelt von innen die Tür.

Die Geschwitz zieht einen kleinen schwarzen Revolver aus ihrer Tasche und hält ihn sich gegen die Stirn... Come on, darling!

Dr. Hilti reißt von innen die Tür auf und stürzt heraus O verreckchte Chaib – do lit eine drin!

Lulu die Lampe in der Hand, hält ihn am Ärmel Bleib bei mir!

Dr. Hilti A Totnige! – A Liach!

Lulu Bleib bei mir, bleib bei mir!

Dr. Hilti sich losmachend A Liach lit do in – Himmel, Stärne, Chaib!

Lulu Bleib bei mir!

Dr. Hilti Wo got's do usse? Die Geschwitz erblickend Und das isch de Tüfel!

Lulu Ich bitte dich, bleib!

Dr. Hilti Chaibe, verchaibeti Chaiberei! – O du ewige Hagel! – Durch die Mitte ab.

Lulu Bleib! – Bleib! Sie stürzt ihm nach.


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