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Die nächste innerpolitische Aufgabe

Frankfurter Zeitung vom 17. Oktober 1918

Der Bundesrat hat sich auch jetzt nicht entschlossen, durch Aufhebung des letzten Satzes des Artikels 9 der Reichsverfassung die Möglichkeit zu schaffen, daß der Reichskanzler dem Reichstag und daß die zu Staatssekretären ernannten Führer der großen Parteien dem Bundesrat angehören. Vermeintlich »föderalistische« Bedenken scheinen dabei mitzuspielen. Es muß auf das tiefste bedauert werden, daß das Irrtümliche dieser ganzen Vorstellungsweise wiederum nicht erkannt wurde. Die seinerzeit vorausgesagten Folgen des Verhaltens der Bundesstaaten zeigen sich sofort und werden weiterhin ihre Kreise ziehen. Da nämlich die parlamentarischen Staatssekretäre nicht im Bundesrat sitzen, haben sie sich außerhalb des Bundesrats mit dem Reichskanzler zu einem nicht rechtlich, wohl aber tatsächlich kollegial verhandelnden »Kabinett« zusammengeschlossen, dessen politisches Schwergewicht zunehmend bei ihnen, weit mehr als bei dem nicht dem Reichstag angehörigen Reichskanzler, liegen wird und auch liegen muß. Der Bundesrat wird dadurch äußerlich zu einer Art von »Staatenhaus«, der Sache nach aber zu einer Abstimmungsmaschinerie, während die wirkliche Reichsregierung sich oberhalb seiner konstituiert hat. Sie kann nunmehr gar nicht anders prompt funktionieren, als indem sie ihn ausschaltet, und würde der Bundesrat diesem Zustand Schwierigkeiten bereiten, so würde Preußen, das den Reichskanzler stellt, kraft der sicheren Mehrheit, welche ihm die von ihm völlig abhängigen Zwergstaaten geben, ihn zum Schweigen bringen müssen. Unser Verlangen, durch eine maßvolle Parlamentarisierung des Bundesrats, diesen zum Mitträger der aktiven Reichspolitik zu machen, war demgegenüber von dem Wunsch bestimmt, den großen Bundesstaaten einen gesicherten positiven Einfluß auf die Leitung des Reichs zu geben. Liebgewordene Gewöhnungen und mißverstandene Prestigesucht der einzelstaatlichen Bürokratie und wohl auch höfischer Kreise haben vorläufig einmal wieder über das wirkliche politische Interesse die Oberhand behalten. Bleibt es dabei, so gilt es nun, entschlossen die Folgerungen zu ziehen und die improvisierten Neuschöpfungen in geregelte Bahnen zu leiten.

Eine starke, geschlossene Regierung ist jetzt dem Reiche unentbehrlicher als Irgend etwas anderes. Noch während der ganzen Zeit des Krieges aber und für jedermann sichtbar seit Anfang 1916 hat es in Deutschland mehrere Regierungen nebeneinander gegeben, und niemand, weder das Inland, noch das feindliche, noch das neutrale, noch – und das war besonders gefährlich! – das verbündete Ausland wußte, welche von ihnen für die Führung der Politik den Ausschlag gab. In aller Öffentlichkeit spielten sich in der Presse die Kämpfe dieser Regierungen miteinander ab und, was ebenso schlimm war, vor den Augen unserer Bundesgenossen bot sich z.+B. noch in Brest-Litowsk das Schauspiel, daß die deutschen Unterhändler bei jeder Einzelheit am Telegraphendraht nicht etwa zum verantwortlichen Staatsmann, sondern zum »Hauptquartier« hingen und dann von dort aus, im Drang der Geschäfte, Weisungen empfingen, welche oft genug der Sachlage nicht entsprachen und gelegentlich geradezu eine Bloßstellung bedeuteten. Alle unsere offiziellen amtlichen Schritte und Erklärungen aber, vom Friedeinsangebot von 1916 angefangen, wurden konterkariert, bei Freund und Feind diskreditiert und in das Licht der Zweideutigkeit gerückt durch die stets erneute Veröffentlichung von Reden oder Telegrammen dynastischer oder militärischer Stellen, weiche dem verantwortlichen Leiter der Politik nicht zur Billigung vorgelegen hatten. Ein so geleitetes Reich konnte – und das hat seine Konsequenzen gehabt – auch bei seinen Verbündeten nicht das Vertrauen in Anspruch nehmen: daß seine Politik zum Erfolg und zum Frieden zu führen imstande sei. Gleichviel also, welches politische System bei uns künftig herrschen wird, – hier an diesem Punkt lag und liegt der Krebsschaden der deutschen politischen Willensbildung, und alles andere bleibt Stückwerk, solange diesem Zustand nicht, und zwar für immer, ein Ende gemacht wird.

Schon nach der bisherigen Verfassung hatten militärische Stellen überhaupt nicht politische Erklärungen abzugeben. Und schon nach dem bisherigen System stand dem Monarchen, wenn er mit der Haltung des Reichskanzlers nicht einverstanden war, nur die Befugnis zu, ihn zu entlassen und einen anderen zu berufen. Unter gar keinen Umständen jedoch durfte, auch schon nach dem Geist der bisherigen Verfassung, durch öffentliche oder durch private, aber der Veröffentlichung ausgesetzte monarchische Äußerungen die Politik eines im Amt befindlichen Ministers durchkreuzt oder sie präjudiziert werden, wie es seit einem Menschenalter wieder und wieder und auch in den letzten Kriegsjahren stets erneut geschehen ist und jetzt zu der für unser nationales Selbstgefühl furchtbaren Lage geführt hat, daß wir dem Ausland Erklärungen darüber haben abgeben müssen, wen denn eigentlich unsere Regierung vertritt. Kein Politiker irgendeiner Partei konnte über diesen Zustand abweichender Meinung sein, und dies ist auch nicht der Fall gewesen. Dennoch geschah nichts dagegen, und die höfische Umgebung des Monarchen verharrte in verstockter Unbelehrbarkeit. (Ja, es schien in letzter Zeit gelegentlich, als ob sie auf jene ihr wohlbekannte Forderung mit einem: »Nun grade!« reagiere.) Ein Monarch kann heute die politische Tragweite seiner Kundgebungen nicht übersehen. Das ist nicht seines Amts. Jene Stellen aber, insbesondere jener Zivilkabinettschef, welcher derartige politische Äußerungen entwarf oder veröffentlichen ließ, wie wir sie noch im Sommer erlebten, war ein schlechter und ungetreuer Diener seines Herrn nicht nur, sondern: der Monarchie. Ein solches Treiben muß ein- für allemal unmöglich gemacht werden, und dafür gibt es nur den Weg: die Publikation monarchischer oder militärischer Kundgebungen, wenn sie die Politik berühren, an einen festen Geschäftsgang und vor allem an die vorherige Kontrolle des Reichskanzlers zu binden, wie es der Verfassung entspricht, jeden anderen Weg aber unter schwere Strafe zu stellen. Es ist dies die weitaus dringlichste Reform, deren unser politisches Leben bedarf. Sie schafft ja nur einen Zustand, der überall anderwärts völlig selbstverständlich ist, ganz einerlei, ob parlamentarisches System oder welches andere sonst besteht, und ganz einerlei, ob dafür (wie es vereinzelt der Fall ist) ausdrückliche Verfassungsbestimmungen geschaffen sind, was bei uns nach den gemachten Erfahrungen zweifellos unumgänglich ist. Wir erwarten also von den Mehrheitsparteien, daß sie unverzüglich mit einem entsprechenden Antrag im Reichstag vorgehen und ihre verantwortliche Beteiligung an der Regierung von der unverzüglichen Zustimmung des Bundesrats abhängig machen. Sonst schwebt der Kredit auch dieser Regierung nach außen und innen in der Luft und sie ist Überraschungen aller Art von Seiten unverantwortlicher Stellen ausgeliefert. Es wäre unfaßlich, wenn die Anhänger monarchischer Institutionen auch jetzt noch nicht verstehen sollten, was die Stunde fordert!


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