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Deutschlands äußere und Preußens innere Politik

Februar 1917

I. Die Polenpolitik

Der monarchischen Staatsform wird die Fähigkeit besonders stetiger und einheitlicher Haltung in der großen Politik nachgerühmt. Wenn es nun irgendeine hochpolitische Frage gibt, welche besonders dringend zielbewußter Einheitlichkeit der Behandlung bedarf, so ist es die polnische. Im Winter 1916 kündigte der Reichskanzler die Wiederaufrichtung Polens an, nachdem das Problem schon seit Monaten erwogen war. Bis zur Novemberproklamation der beiden Kaiser blieb also hinlänglich Zeit für alle Instanzen, sich über die Konsequenzen klar zu werden. Daß diese vor allem auch auf dem Gebiet der innerdeutschen Polenpolitik liegen mußten, war selbstverständlich. Die folgenschwere Wandlung unserer Gesamtpolitik im Osten wäre sonst ein politischer Aberwitz. Ohne grundsätzliche Neuorientierung der Beziehungen zwischen den beiden Nationalitäten bedeutete sie ja die bewußte Schaffung eines »Serbien« vor unseren Toren. Die Ära, in welcher unsere Interessengemeinschaft mit Rußland auf der beiderseitigen Beherrschung polnischen Gebietes beruhte, ist abgeschlossen, und neue Wege müssen beschritten werden.

Eine für die Deutschen sowohl wie die Polen absolut befriedigende Lösung der zahlreichen schwierigen Interessenkollisionen ist – leider – nicht möglich. Denn solange Militärstaaten und staatliche Wirtschaftspolitik bestehen, kann die Nationalität – deren Grenze überdies im Osten mit seinem Durcheinanderwohnen beider Völker gar nicht gefunden werden könnte – für die Ziehung der politischen Grenzen nur neben 1. der militärischen Sicherheit und 2. der wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit maßgebend sein. Aber auch eine nur irgendwie leidliche Lösung ist ausgeschlossen, wenn nicht von beiden Seiten alle jene »Prestige«- und Eitelkeitsfragen ausgeschieden werden, deren Hineintragung die Kämpfe der Nationalitäten ebenso wie die der Staaten immer unaustragbar macht. Die Frage darf nur dahin gestellt werden: was die rein sachlich- staatlichen Interessen des Reichs und Preußens einerseits und was das Interesse der Polen an der Entwicklung ihrer eigenen Kultur auf der anderen Seite als absolutes Minimum erfordern, was also z. B. auf den wichtigsten Gebieten: der Schul- und Sprachenpolitik und der Siedlungspolitik beiderseits rein sachlich 1. unentbehrlich, 2. wünschenswert, 3. erträglich ist. Die bisherige preußische Polenpolitik ist jedenfalls fortan unhaltbar. Das ist sie aber auch rein an sich.

Daß das Vordringen der Polen auf Kosten der Deutschen im Osten sich vollzog gerade infolge der größeren Kulturarmut der ersteren, die sich ausdrückte in geringeren Lohnforderungen der polnischen Arbeiter und geringerem Mindestbodenbedarf der polnischen Bauern, – diese fatale Beherrschung der Nationalitätenkonkurrenz durch das »Prinzip der billigeren Hand« war seinerzeit ein triftiger Grund für uns Deutsche, die Ansiedlungspolitik der preußischen Regierung zu unterstützen. Selbstverständlich aber unter der Voraussetzung, daß gleichzeitig und vor allem die alljährliche Überschwemmung des Ostens durch Hunderttausende billiger russisch-polnischer Wanderarbeiter aufhörte, welche dazu dienten, Großgrundbesitzern eine Existenz auf Kosten der nationalen Interessen zu ermöglichen. Statt dessen wurde die von Bismarck durchgeführte Grenzsperre beseitigt und damit der Ansiedlungspolitik aller Wind aus den Segeln genommen, sie, trotz noch so ausgezeichneter Arbeit, zur politischen Sinnlosigkeit verurteilt. An Stelle jener nationalitäts- und siedlungspolitisch allein wirksamen Maßregel begann die bekannte Sprachenpolitik. Alle Erfahrungen darüber, daß solche Maßregeln überall und immer eine jede nicht mehr analphabetische, sondern mit eigener Presse und einer eigenen Literatenschicht ausgestattete Nationalität, schon durch das materielle Interesse dieser Schichten, zum äußersten, bisher noch in keinem Falle gebrochenen Widerstand zusammengeschlossen haben, blieben unbeachtet. Jetzt erst wurden die »Massen« innerlich beteiligt. Die wirtschaftliche Mobilmachung des Polentums folgte. Die immer weiter sich verschärfenden Gegenmaßregeln führten in logischer Konsequenz zum Enteignungsgesetz. Damit war man aber auf dem Punkt, wo Interessen der hohen Politik mitsprachen: Rücksicht auf das österreichische Bündnis nötigte dazu, haltzumachen, und das Gesetz blieb ein agitatorisch für die Polen höchst wirksamer toter Buchstabe. Der sichtbarste Erfolg dieses Kampfes und all jener höchst fatal wirkenden »Ostmarken«-Pfründen, die er schuf, war – wie das mit amtlichem Material arbeitende Buch von Ludwig Bernhard drastisch schilderte: –, daß die Polen in ihren Kampforganisationen sich ökonomisch so entwickelt haben, daß von einer »Konkurrenz der durch Kulturlosigkeit billigeren Hand« heute nicht mehr wie früher geredet werden darf.

Die jetzige Außenpolitik des Reichs in Polen aber ist mit der bisherigen innerpreußischen Polenpolitik ganz unvereinbar: beide müssen zu den verhängnisvollsten Konsequenzen führen, wenn nicht die innere Polenpolitik Preußens sich der hochpolitisch bedingten Stellungnahme des Reichs anpaßt.

Selbstverständliche Voraussetzung jedes Erfolgs einer neu orientierten Polenpolitik ist zunächst, daß die Regierung und daß die in Preußen maßgebenden Parteien sich mit den Vertretern der preußischen Polen in Verbindung setzen. Ob nicht auch im Königreich Polen der sachlich zweckmäßige erste Schritt, statt der Ausstellung einer Art von Ehrenwechsels mit unbestimmtem Inhalt und zugunsten eines als Verband noch nicht existierenden Adressaten, die Schaffung einer von niemand anzweifelbaren gewählten Vertretung der Bevölkerung, zunächst natürlich zu rein intern beratenden Zwecken, gewesen wäre, mit der man dann hätte verhandeln können, das soll hier unerörtert bleiben. Denn es ist unbekannt, ob nur sachliche Gründe den jetzt beliebten Weg erzwangen. Über manche Zukunftsfrage aber, z. B. die der geographischen Begrenzung des künftigen Polen nach Osten und Nordosten, sind aus den Kreisen der preußischen Polen Ansichten vertreten worden, deren Berücksichtigung gerade eine rein »realpolitische« Vertretung deutscher Interessen weit eher in Erwägung ziehen sollte als die vielfach heillos konfusen östlichen Ideale mancher deutscher Politiker. Für die preußische Innenpolitik ist ohne streng sachliche Erörterung der Ausgleichsprobleme mit den polnischen Interessenten keinesfalls vorwärts zu kommen. Die Sprachenprobleme, Fragen wie die Schaffung von Siedlungsrayons beider Nationalitäten in den Ostprovinzen und die Begünstigung freiwilliger Umsiedlungen deutscher Ansiedler aus dem Königreich Polen nach Deutschland und umgekehrt, können nicht einseitig ohne den ehrlichen Versuch einer vorherigen Verständigung gelöst werden. Allein wie man darüber denken mag, unter allen Umständen ist eins zu verlangen: daß für unbedingte Einheit der Politik des Reichs und Preußens in dem ganzen Komplex von Fragen, welche die kaiserliche Proklamation aufgeworfen hat, Sorge getragen werde. Ist davon irgend etwas bisher zu bemerken?

Die November- und erst recht die Januarverhandlungen des Abgeordnetenhauses gaben darauf eine negative und, wenn es dabei bleibt, für die Politik des Reiches vernichtende Antwort. Direkt provozierend, politisch gänzlich zwecklos und ohne alles Augenmaß war schon das Vorgehen der Rechtsparteien in der Spätherbsttagung. Rein agitatorisch gebärdeten sich die auf den Ton der Kapitolsrettung gestimmten Reden so, als ob der Schritt der beiden Kaiser sie aus allen Wolken fallen lasse, obwohl die Absicht doch seit Monaten niemandem unbekannt war. Wenn man die Proklamation der beiden Kaiser in ihrer politischen Wirkung absichtlich zu durchkreuzen und zu diesem Zwecke das nun folgende Verhalten der preußischen Polenfraktion als Echo absichtlich hätte hervorrufen wollen, dann war dies freilich der Weg. Die damalige Erklärung des Ministers des Innern zeigte überdies: daß jetzt erst, endlose Monate nach der öffentlichen Ankündigung des Kanzlers, die aus der Reichspolitik folgenden Probleme Gegenstand von »Erwägungen« werden sollten.

Die Januartagung dieses Jahres brachte Schlimmeres: Die Etatsrede des Abgeordneten Korfanty war, so begreiflich eine gewisse Ungeduld der Polen nachgerade sein konnte, doch in der Tonart mancher Stellen gewiß keine Leistung eines verantwortungsbewußten Politikers, wie übrigens von polnischer Seite nicht verkannt zu werden scheint. Beide Teile, die Deutschen ganz ebenso wie die Polen, werden eben außer ihren alten Schlagworten nötigenfalls auch manche ihrer alten Führer über Bord werfen müssen, wenn jemals etwas Verständiges herauskommen soll. Eine Ablehnung dieser Teile der Rede war am Platze, aber gut vereinbar mit sachlicher Behandlung des Problems selbst. Indessen, die Antwort des Ministers, der sich doch nicht verhalten darf wie ein bloßer (und noch dazu wie ein die Selbstbeherrschung verlierender!) Parteipolitiker, war von Sachlichkeit weit entfernt. Auf die von dem polnischen Redner erörterten Etatstitel ging er gar nicht ein. Sondern nachdem er erklärt hatte, daß »Beschwerden« über seine Verwaltung nicht an die Zentralinstanz gelangt seien, fuhr er unter Hinweis auf die wirtschaftliche Blüte der Provinz Posen fort: »Sie (die Polen) sollten noch heutigen Tages Gott auf den Knien danken, daß sie zu solcher Entwicklung gekommen sind! Sie sollten den preußischen Königen danken, die die Staatsregierung angewiesen haben, solche Wege zu gehen!« Abgesehen davon, daß es wohl besser wäre, wenn ein Minister Gott und die Könige nicht als Deckung seiner eigenen Politik verwenden würde, werden die Polen wohl der Ansicht sein, daß für die wirtschaftliche Entwicklung ihrer eigenen Nationalität jedenfalls in den letzten zwanzig Jahren »Gott« durch die Leiter der polnischen Genossenschaften besser vertreten war als durch die preußischen Minister. Der übliche unsachliche Prestigestandpunkt der Regierung: ein gewisses »Entgegenkommen« in der Praxis der Verwaltung wie eine Art von Gnadengeschenk an »Untertanen« zu behandeln, für welches man von diesen »Dankbarkeit« beanspruchen könne, schneidet jede sachliche Erörterung von vornherein ab. Wir könnten allmählich wenigstens eins wissen: Wo immer man eine auf Dank spekulierende Politik betrieben hat, war sie von vornherein zum Scheitern verurteilt. Angesichts der wahrlich schwierigen Frage, wie die bisherigen schweren Auseinandersetzungen im Osten durch einen billigen Ausgleich ihrer doch nun einmal kollidierenden Interessen in andere Bahnen geleitet werden können, wirkt es doch unglaublich oberflächlich, wenn der Minister solche Probleme von obenher mit der etwas schulmeisterlichen Bemerkung abtun zu dürfen glaubt: es sei »ungehörig« (!), einen »Unterschied zu machen zwischen polnischen und deutschen Interessen hier im Inland«. Und wenn der Minister, der am 20. November die »überkommenen bisher erfüllten Aufgaben Preußens in den Ostprovinzen« als »in naher und ferner Zukunft:« fortbestehend bezeichnet hatte, nunmehr gar in Aussicht stellte, die Staatsregierung werde auf Grund der Rede des Abgeordneten Korfanty »diejenigen Entschlüsse finden, die sie als Konsequenz solcher Ausführungen für nötig erachtet«, so ist das nichts anderes als eine Kriegsansage gegen die innerdeutschen Polen sowohl wie vor allem gegen die hochpolitisch bedingte Polenpolitik des Reichs. Denn diese wäre ja bei der angekündigten Haltung eine frevelhafte politische Leichtfertigkeit. Eine von beiden, die jetzige Politik des Reichs oder die Preußens, muß jedenfalls weichen. Schon die ungünstige Rückwirkung der rein agitatorischen Novemberreden der Rechten auf die Entwicklung der Verhältnisse im künftigen Königreich ist kaum zweifelhaft. Diese jetzige Regierungserklärung aber schafft eine politisch unhaltbare Lage. Es handelt sich hier nicht etwa um die Person eines Ministers, gegen den persönlich gewiß niemand etwas hat. Daß gerade er absichtlich die kaiserliche Proklamation zu konterkarieren versuchte, traut ihm selbstverständlich niemand zu. Der Sache nach aber hat er dies in einem Maße getan, welches die deutsche Polenpolitik in einer der ernstesten Stunden unserer Geschichte in kaum zu verantwortender Art bloßstellt und tatsächlich geeignet ist, ihr alles Vertrauen zu entziehen. Solche bedenklichen Fehler sich zu gestatten, ist Deutschland, wenn es große Politik treiben will, nicht in der Lage, und der Ministerpräsident, der zugleich Leiter der Reichspolitik ist, muß schlechterdings dafür haften, daß sie sich fortan nicht wieder ereignen. Die bürokratische Fachspezialisierung und die Stellung Preußens im Reich dürfen nicht zu einem Zerfall der einheitlichen Leitung, wie sie eine monarchische Staatsform zu gewährleisten beansprucht, in Satrapien führen, die miteinander im Kampfe liegen. Der letzte Grund liegt freilich nicht in der Struktur des Reichs, sondern in der Abhängigkeit der preußischen Regierung von der politisch unendlich kurzsichtigen, aber nun einmal den Landtag beherrschenden Plutokratie, der sich keine, angeblich noch so »starke«, Regierung bisher entzogen hat. Entweder dies findet einmal ein Ende, oder es ist besser, auf jede Politik jenseits unserer Ostgrenze sofort und definitiv zu verzichten. Sie könnte unter solchen Einflüssen nur zum Unheil führen.

II. Die Nobilitierung der Kriegsgewinne

Frankfurter Zeitung vom 1. März 1917.

Zu den erstaunlichsten Schritten der neuesten preußischen Politik gehört die Einbringung der Fideikommißvorlage. Das Wesentliche darüber hat die Redaktion dieser Zeitung schon gesagt. Es sei aber gestattet, im Anschluß daran noch auf einige politisch wichtige Punkte etwas näher einzugehen.

Es besteht in Deutschland zurzeit ein starkes Ressentiment gegen »Kriegsgewinne«. Je nach den Umständen, mit Recht oder mit Unrecht. Bei Kriegsgewinnen der Firma Krupp z. B. wäre doch wohl ausschließlich zu fragen: 1. waren ihre Leistungen der Nation nicht diesen Betrag (und vielleicht ein Vielfaches davon) wert?, und ferner 2. verwendet sie diese Gewinne nicht in ihrem Betrieb in einer Art, welche den Interessen der Nation frommt? Und das gleiche gilt in vielen anderen Fällen. Auch den Landwirten, welchen die Kriegspreise die Abstoßung ihrer Schuldenlast ermöglicht haben, sei das gegönnt. Der bloße Neid gegen den, der Geld verdient, wäre ein schlechter und auch ein der Nation unwürdiger Berater. Etwas ganz anderes ist es freilich, wenn ein Gesetz geschaffen werden soll, welches im wesentlichen ausschließlich, und zwar auf Kosten von Lebensinteressen der Nation, der Nobilitierung von Kriegsgewinnen zu dienen bestimmt ist. Darum aber handelt es sich hier. Wer wird Fideikommisse gründen? Einerseits der Landwirt, den die Kriegsgewinne schuldenfrei und damit »fideikommißfähig« gemacht haben. Andererseits der Händler und Gewerbetreibende, der sein durch Kriegsgewinne vermehrtes Vermögen zum Ankauf eines Rittergutes verwendet, dessen Sohn dann den erworbenen Besitz in ein Fideikommiß verwandelt was nach dem Gesetz schon nach dreißig Jahren, für Leute aber, die auf dem Lande Wohnung nehmen, ohne alle Zeitgrenze zulässig sein soll –, und der dann die schlichtbürgerliche Vergangenheit des Vaters vergessen zu machen trachtet, indem er den Briefadel erwirbt. Im wesentlichen nur dazu dient: die Zulassung neuer Fideikommißgründungen. Sie ist ein Instrument für die Befriedigung der allererbärmlichsten Art von Eitelkeit, die es gibt. Diese Schaffung neuer Peers, welche man im vermeintlichen Interesse der Krone und des Adels damit bezweckt, ist nichts als eine grobe und dabei ganz ungleichwertige Nachahmung englischer Gepflogenheiten. Denn in England, außerdem in Spanien und im Orient (der Türkei), war dies Institut vornehmlich zu Hause. Und in allen diesen Ländern ist das Problem heute dies: ob und wie man seine Folgen wieder beseitigen könnte. Unseren historischen Adel möchte auch ich nicht missen. Aber gerade er bedarf bekanntlich keiner neuen Fideikommißgründungen. Diese dienen lediglich der Eitelkeit der Plutokratie. Über die Eigenart jenes Talmiadels, der auf dieser Leiter »aufsteigen« möchte, nehme ich eine gewisse Urteilsfähigkeit in Anspruch und bin der Ansicht: daß, allgemein gesprochen, unter allen Parvenüs der Erde diese Art von Briefadeligen bei weitem die wertlosesten sind. Unsere tüchtigsten Offiziere stammen ebensowenig aus diesen Kreisen wie unsere tüchtigsten Beamten. Keinerlei Staatsinteresse fordert die Vermehrung einer Schicht von Emporkömmlingen, deren nichterbberechtigte Angehörige doch geradezu darauf hingewiesen sind, ihr Adelsdiplom und ihre Konnexionen zur Jagd auf Staatspfründen zu benutzen. Denn jene »Versorgungsmasse«, deren Aufspeicherung aus den Einkünften des Fideikommisses der Entwurf für diese »Enterbten« vorschreibt, wird zwar bei ihnen die Vorstellung nähren, einer alimentationsberechtigten Kaste anzugehören, ohne sie doch zu sättigen. Wir haben heute in Preußen etwa tausend Fideikommißbesitzerfamilien. Um diese Familien zu sustentieren, ist bereits jetzt mehr als der Flächenraum einer ganzen preußischen Provinz fideikommissarisch gebunden, was auch einem fanatischen Freund des Instituts genügen muß. Der Entwurf richtet zwar (§ 5) gegen das Umsichgreifen der Fideikommisse eine Schranke auf, die sich aber, näher hingesehen, sofort als Attrappe erweist: ein Zehntel des landwirtschaftlichen Bodens des Staatsgebiets will er den Fideikommissen preisgeben. Mehr als 10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche des betreffenden Kreises soll nicht gebunden werden dürfen. Aber: für Grund und Boden, der sich sechzig Jahre in derselben Familie befindet, fällt auch dies fort, und die schon bestehenden riesigen Fideikommißkomplexe werden überhaupt nicht angetastet. In Wirklichkeit wird also weit mehr, wohl etwa 15 Prozent des Staatsgebiets, der Eitelkeit der Parvenüs preisgegeben. Wer ein erjobbertes Vermögen in einem Rittergut anlegt, kann seinen Enkel ohne Rücksicht auf jene Schranken hoffähig werden sehen. Das ist keine ernsthafte Schranke, wie es z. B. die in Baden geltende Beschränkung auf alten Adel ist.

Was bedeutet nun die Existenz und Neuzulassung von Fideikommissen praktisch? Rein technisch-wirtschaftlich wirkt die Bindung des Grundbesitzes so weit und nur so weit günstig, als reiner Waldboden in Betracht kommt. Denn auf diesem entfalten die feudalen Instinkte ihre wirtschaftlich günstigen Seiten. Nur etwa ein Viertel des Waldbesitzes ist heute fideikommissarisch gebunden, und es wäre also reichlich Platz für ein etwaiges Bedürfnis nach unschädlicher Vermehrung der Fideikommisse. Für den landwirtschaftlichen Boden dagegen gelten die folgenden statistisch feststehenden Tatsachen:

1. Die Plutokratie sucht für neue Fideikommisse gerade den guten Boden auf, denjenigen, der für den Besitzer nicht ein bloßes Arbeitsentgelt, sondern außerdem eine Rente liefert. Die Bauern werden also auf die schlechteren Böden gedrängt. In den typischen Fideikommißkreisen des Ostens steht daher neben den Fideikommissen nicht etwa Mittelstand, sondern Zwergbesitz. Ganz natürlich: die Einschränkung des käuflichen Bodens steigert den Landhunger der Massen, und alle Bodenmonopole haben daher überall diese Folge gehabt.

2. Abwanderung und Unstetheit der Landbevölkerung sind, unter sonst gleichen Umständen, da weitaus am größten, wo der kompakte Großbesitz vorherrscht und natürlich am allermeisten da, wo dieser Besitz überdies gebunden ist. Die Landbevölkerung ist um so landsässiger, der Prozentsatz der im Bezirk ihrer Geburt Ansässigen um so größer, je beweglicher der Boden ist (bis erheblich über 90 Prozent im Rheinland, gegen 55–63 Prozent in Schlesien). Ganz natürlich: die Chance, sich in der Heimat ankaufen zu können, ist das entscheidende Motiv, auf dem Lande zu bleiben.

3. Wo der Boden frei beweglich ist und Kleinbesitz vorherrscht, ist die Landbevölkerung auch am dichtesten. Den Grund dafür kann man so ausdrücken: Die Bauern wirtschaften, um ein Maximum von Menschen mit den Erzeugnissen der gegebenen Landfläche auf dem Lande selbst zu ernähren. Der große Landkapitalist dagegen wirtschaftet, um mit möglichst wenig Aufwand an ortsansässigen Arbeitskräften möglichst viel für den Absatz in die Ferne zu erzeugen.

4. Der Mobilisierung, Verdünnung und Verdrängung der Landbevölkerung von der Scholle parallel geht bei herrschendem Großbesitz ihre Zusammendrängung in den Wohngebäuden und Wohnräumen, die auf dem Lande im Osten um ein vielfaches größer ist als im Westen (in den schlesischen Gutsbezirken 15–16 Köpfe auf das Wohnhaus gegen 6–7 auf dem Lande im Westen).

5. Unglaublicherweise wird nicht selten die Bindung des Bodens mit dem Interesse an der Erhaltung des Deutschtums in Zusammenhang gebracht. Statistisch steht aber fest: daß die Landkapitalisten am meisten mit billigen Saisonarbeitern fremder Nationalität wirtschaften, und allen voran stehen auf dem national umstrittenen Gebiet im Osten gerade die Fideikommißgrundherrschaften, die den Höchstbruchteil polnischer Arbeiter verwenden. Das Interesse der Plutokratie an billigen Arbeitern und das Interesse des Deutschtums sind unvereinbar.

6. Gerade die mittleren und kleineren gebundenen Besitzungen sind agrarpolitisch die schlimmsten Schädlinge. Ein ganz großer Standesherr kann und wird häufig eine großzügige Agrarpolitik, nach Art etwa des Mecklenburgischen Domaniums durchführen: planvolle Einteilung in rationelle Betriebsgrößen, langfristige und gesunde Pacht- oder Erbrentnerstellen, verhältnismäßig günstige Wohn- und Lohnverhältnisse der Arbeiter, planvolle Unterstützung der Pächter mit Kapital sind nur bei ihm heimisch und können es auch nur dort sein. Das Fideikommiß ist auch geschichtlich ein Institut der allergrößten Landkomplexe. Um aber dem Vorwurf zu entgehen, die »Latifundien« zu begünstigen, hat der Entwurf die Bindung landwirtschaftlichen Bodens auf höchstens 2500 Hektar beschränkt, dagegen nach unten keine andere Grenze gezogen als die Vorschrift: daß das Fideikommiß dem Besitzer mindestens 10+000 Mark Reinertrag abwerfen müsse. Diese Demagogie ist auf die Ignoranz des Mittelstandes berechnet. Denn während ein ganz großer Grundherr mit fürstlichen Einnahmen nicht auf die Herauspressung des absoluten Höchstgewinnes aus seinem Besitz bedacht sein muß, muß ein Fideikommißherr von ein paar hundert Hektaren aus Boden, Pächtern und Arbeitern herausholen, was irgend möglich ist, um »standesgemäß« zu leben und außerdem das Betriebskapital zu sammeln, welches er nicht hat. Und gelingt ihm das gut, – was wird er tun? Land kaufen. Denn Rente braucht er und immer mehr Rente, um zunächst geadelt, dann im Lauf der Generationen Freiherr, Graf usw. werden zu können. Denn wird einmal der Grund und Boden des Landes der Befriedigung der Parvenüeitelkeit preisgegeben, so besteht für diese keine Obergrenze. Jedes Fideikommiß ist, wie die Statistik erweist, ein naturgegebenes Zentrum von Landhunger zu Rentenzwecken. Der Entwurf freilich gebärdet sich so, als wolle und könne er dieser ganz selbstverständlichen Entwicklung Halt gebieten.

Sehen wir zu, wie? Da finden wir zunächst eine Attrappe: die königliche Genehmigung für jedes Fideikommiß und jede Erweiterung um mehr als 20 Hektar landwirtschaftlichen Bodens. Was bedeutet sie? Schlesien, in welchem die königliche Genehmigung für große Fideikommisse erforderlich war, ist deren klassischer Boden. In Hannover war die königliche Genehmigung unbekannt, und Hannover hat das Minimum an Fideikommißentwicklung. Ganz natürlich: das Fideikommiß ist eine Angelegenheit der Eitelkeit, und nichts kann die Eitelkeit mehr kitzeln als der Glaube: daß die genehmigte Fideikommißstiftung den Beweis liefere, die betreffende Familie habe der Allerhöchsten Prüfung auf ihre »Würdigkeit« hin unterlegen und diese Probe bestanden. Eine wirksame materielle Prüfung der Zweckmäßigkeit der Fideikommißgründung ist absolut nicht garantiert. Die Prüfung durch die Fideikommißbehörde (Oberlandesgericht, Beschwerdeinstanz – höchst unpassender Weise – der Justizminister!) erstreckt sich lediglich auf die Verletzung formaler Rechte. Das Amtsgericht (!) und der Kreisausschuß sollen im Falle der Einverleibung früher bäuerlicher Grundstücke über die Unschädlichkeit von deren Einbeziehung in ein Fideikommiß gehört werden: eine absolut unwirksame Bestimmung, wenn einmal das Land dem Bauernareal verloren ist. Der König wird sich in solchen Fällen der Zustimmung dazu, daß das einmal gekaufte Land nun auch Fideikommißland wird, nie entziehen können. Das Allermindeste, was zu verlangen wäre, ist: 1. die Vorschrift einer öffentlichen Bekanntmachung des Antrages auf Fideikommißerrichtung mit angemessener Frist zur Geltendmachung von Bedenken, die dann öffentlich vor einer unbefangenen Instanz zu verhandeln wären, – 2. Verbot jedes Ankaufs von Land durch den Fideikommißbesitzer.

Je kleiner das Fideikommiß, desto kapitalärmer und schlechter ist die Wirtschaft des Besitzers, dem ja die Unterlage für den persönlichen Betriebskredit fehlt. Als wahre Mißgeburten haben sich daher überall die Bauernfideikommisse bewährt. Tüchtigkeit als Landwirt vererbt sich nicht mechanisch auf einen durch Gesetz oder Statut bestimmten und oft überhaupt auf keinen Sohn. Die Einführung von »Stammgütern« durch den Entwurf für selbständige Bauerngüter ist daher lediglich ein Feigenblatt für den eigentlichen Zweck: die Schaffung von Parvenüadel. Unglaublicherweise scheint aber ein Teil der Zentrumspartei in diese plumpe Falle zu gehen. Die Verbreitung der mittleren und kleinen Fideikommisse wäre eines der sichersten Mittel, die Leistung unserer Landwirtschaft herabzusetzen. Man braucht sich die Vorschriften des Entwurfs über die Aufstellung und obrigkeitliche Genehmigung eines »Wirtschaftsplans« und alle die anderen Fälle, in denen der Fideikommiß- und Stammgutsbesitzer an behördliche Genehmigung gebunden ist, nur anzusehen, um sich ein Bild davon zu machen, wie wenig anpassungsfähig ein solcher Besitzer an Konjunkturen und neue Wirtschaftsmethoden ist.

Der Entwurf züchtet nicht Wirtschafter, sondern: Rentner. Und zwar solche von der übelsten Sorte. Ein Einkommen von 10+000 Mark, wie es der Entwurf als Minimum zuläßt, genügt heute zur Führung einer schlicht bürgerlichen Existenz nach Art eines mittleren Beamten, nicht aber für eine Lebensführung von in irgendeinem Sinn »aristokratischer« Art. Die Parvenüansprüche, welche in einem solchen Fideikommißbesitzer geweckt werden, verdammen ihn zu einer scheinadligen Bettelexistenz. Jenes Interesse an der Züchtung von Rentnern aber ist das Unerhörte an dem ganzen Vorgehen gerade im gegenwärtigen Augenblick. Denn ohnehin wird der Zustand nach dem Kriege ja der sein: daß mindestens ein Fünftel unseres Nationalvermögens in Kriegsanleihen, fast ein Drittel in rententragendem Besitz aller Art angelegt sein wird. Denn wir haben dann für 60 Milliarden Kapital neue Rentiers und sicher für über 100 Milliarden Rentiers überhaupt. Dazu treten die Kriegsbeschädigten, Alters-, Invaliditäts- und Unfallrentner, die »privatisierenden« Hausbesitzer usw. usw. Das Ideal der sicheren Rente schwebt einem steigenden Bruchteil der Nation vor, und das stupide Literatengezeter gegen den »Kapitalismus« ist sein Schrittmacher. Das über unsere ganze Zukunft entscheidende Problem ist: jene Rentnergesinnung, die daraus entstehen muß, wieder loszuwerden. Gelingt das nicht, so wird Deutschland ein ökonomisch stationäres Land, weit mehr als Frankreich es ist, und unsere Zukunft in der Welt, die auf angespanntester ökonomischer Arbeit allein ruhen kann, ist verscherzt, möge der Krieg noch so glänzend ausgehen. Und in einem solchen Moment will man diese Rentnergesinnung zugunsten von reinen Eitelkeitsinteressen noch verstärken und dabei nebenher die Zukunft unserer inneren Kolonisation, welcher der beste, für Bauern geeignetste Boden entzogen werden soll, über Bord werfen. Man redet viel von der Notwendigkeit, Neuland zur Besiedlung für den Nachwuchs unserer Bauern zu schaffen. Aber wo? Draußen in Kurland, wo diese Kolonisten dann im Kriegsfall als erste den Anprall der Barbaren auszuhalten haben, dabei rund umstellt von Millionen fremdstämmiger, aller menschlichen Berechnung nach ihnen, als Eindringlingen, feindlich gesinnter Nachbarn? Dabei ist aber unser eigener deutscher Osten um ein volles Viertel dünner besiedelt als das angrenzende kongreßpolnische Gebiet. Dieses soll durch Fideikommißbildung verewigt werden, obwohl doch unsere dringendsten Interessen für die möglichste Verstärkung der Zahl der Landbevölkerung gerade im Osten sprechen. Reichlich zehn Armeekorps wären aus den Bauernstellen, die innerhalb unserer Grenzen noch neu geschaffen werden könnten, in Zukunft zu rekrutieren. Im Innern das Reservoir an besiedlungsfähigem Boden zugunsten von Bodenkapitalisten, die den Briefadel erstreben, der Bauernsiedlung zu sperren und dafür dem deutschen bäuerlichen Nachwuchs Hoffnungen auf Boden weitab von der Heimat zu eröffnen, dieses »Ineinandergreifen« von östlicher Expansionspolitik des Reichs und Binnenpolitik Preußens eröffnet unerwartete Perspektiven. Im Ernst: etwas Maßloseres als die Zumutung dieses Gesetzentwurfs in dieser Zeit unter dem »Burgfrieden«, hinter dem Rücken unserer Heere draußen, ist schwer auszudenken, und das Ganze ist eine schlimme Karikatur des Wortes: Freie Bahn jedem Tüchtigen.

Unsere militärischen und nationalen Interessen fordern gebieterisch, daß dem sofort Einhalt geboten werde. Zu Unrecht hat das Reich die Fideikommißgesetzgebung den Einzelstaaten und damit gerade an dem gefährdeten Punkt, den im preußischen Landtag vertretenen Interessen der Plutokratie an der Nobilitierung von Parvenüs preisgegeben. Mag man die Regelung der technischen Einzelheiten des Instituts den Einzelstaaten belassen. Zu verlangen aber ist, daß für das Reich folgende Grundsätze festgelegt werden:

1. Beschränkung der Neugründung von Fideikommissen auf absoluten Waldboden.

2. Beschränkung auf hinreichend große Komplexe (mindestens etwa 30+000 Mark sicherer Reinertrag), um keine auf die Staatskrippe angewiesenen Bettelexistenzen zu schaffen.

3. Beschränkung auf Familien, die a) seit hundert Jahren in den betreffenden Bezirken begütert sind, und b) dem historischen Adel angehören, – ausgenommen etwa für hervorragend verdiente Feldherren oder Staatsmänner im Einzelfall durch Staatsgesetz.

4. Verbot und Auflösung aller nach Nr. 1 und 2 unzulässigen Fideikommisse.

5. Vor allem: hoher Fideikommißstempel und dauernde Sonderbesteuerung. Denn was durch die Bindung des Bodens der Staatskasse durch Mindereinnahmen aus dem Immobilienstempel entgeht, muß ja durch andere Volksteile, also auch durch die Bauern, aufgebracht werden. Wie soll man es aber parlamentarisch kennzeichnen, wenn im gegenwärtigen Moment der Steuernot der Entwurf den Fideikommißstempel gerade für die schädlichsten, die mittleren Fideikommisse bis auf die Hälfte herabsetzen will? Ausdrücklich ist ferner auch festzustellen, daß alle Fideikommißnachfolge der Erbschaftsteuer unterliegt. Eine etwaige Steuerfreiheit würde sonst bei Einführung der Erbschaftsteuer für die direkte Linie von 1 Prozent eine Steuerentlastung dieses besonders steuerfähigen Großgrundbesitzes von schon jetzt etwa 8 bis 10 Millionen Mark in jeder Generation bedeuten!

Der Gegenstand darf nie wieder von der Tagesordnung irgendeiner wirklich nationalen Partei verschwinden. Die beabsichtigte Erleichterung der Nobilitierung von Kriegsgewinnen auf Kosten der Bauerninteressen gehört zu dem auch sittlich Unerträglichsten, was eine durch das plutokratische Wahlrecht an der Macht erhaltene Minderheit sich gegen die Nation herausnehmen könnte. Die überwältigende Mehrheit des preußischen Volkes, erfreulicherweise einschließlich der Nationalliberalen Partei, lehnt den Entwurf ab. Durch das Vorgehen der privilegierten Minderheit ist der Burgfriede gebrochen, und es besteht aller Anlaß, daraus sofort die Konsequenzen zu ziehen.


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