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Wahlrecht und Demokratie in Deutschland

Dezember 1917

Das weitschichtige Problem der Demokratie wird hier nur mit Rücksicht auf die augenblickliche Problemlage bei uns behandelt, der wir uns sofort ohne Umschweife und allgemeine Betrachtungen zuwenden.

Das jetzige Reichstagswahlrecht ist von Bismarck bekanntlich ausschließlich aus Demagogie, und zwar teils aus außenpolitischen Gründen, teils zu innerpolitischen Zwecken: für den Kampf seines Cäsarismus gegen das damals widerspenstige Bürgertum, in seinem berühmten Ultimatum an den Frankfurter Bundestag auf den Schild gehoben und gegen schwere Bedenken der damaligen Liberalen eingeführt worden. Zwar seine Hoffnung auf ein konservatives Verhalten der Massen erfüllte sich nicht. Aber die Spaltung gerade der für die moderne soziale Gliederung charakteristischen Schichten in zwei sich ebenso intim berührende wie, eben deshalb, verfeindete Klassen: Bürgertum und Proletariat, gab später die Möglichkeit – wie Fürst Hohenlohe bemerkt hat –, die Feigheit ( Hohenlohe sagt: »Schüchternheit«) des Bürgertums vor der »Demokratie« für die Erhaltung der Herrschaft der Bürokratie auszunutzen. Diese Feigheit wirkt bis heute nach. Daß man recht wohl ein Demokrat sein und dennoch Lassalles Begeisterung für jenes Wahlrecht unter den damaligen Umständen ablehnen konnte, zeigt z.B. Eduard Bernsteins Stellungnahme in der Einleitung zu dessen Schriften. Rein staatspolitisch wäre sehr wohl die Frage aufzuwerfen: ob für die ersten Jahrzehnte der neuen Reichsgründung ein die ökonomisch und sozial prominenten und politisch (damals) geschulten Schichten etwas stärker privilegierendes Wahlrecht – etwa so, wie es das bisherige englische tat – den inneren und äußeren Ausbau des Reichs, vor allem: die Eingewöhnung in parlamentarische verantwortliche Mitarbeit, nicht erleichtert hätte. Doktrinäre »Wahlrechts-Orthodoxie« wollen wir hier nicht treiben. Aber das Beispiel Österreichs unter Graf Taaffe zeigt: daß alle nur durch Wahlrechtsprivilegien in der Macht erhaltenen bürgerlichen Parteien heute nicht in der Lage sind, dem Beamtentum die demagogische Waffe der Drohung mit dem gleichen Wahlrecht zu lassen, ohne daß sie bei jeder ernstlichen Gefährdung bürokratischer Machtinteressen auch von ihm gegen sie gebraucht wird. Ganz ebenso wäre es den deutschen bürgerlichen Parteien Bismarck gegenüber gegangen, wenn sie das gleiche Wahlrecht abgelehnt hätten. Und Ungarns Beispiel lehrt, daß sogar die stärksten Gegeninteressen einer herrschenden staatsklugen Nationalität gegen das gleiche Wahlrecht es nicht dauernd verhindern, daß im Konkurrenzkampf ihrer eigenen Parteien dennoch die Parole eben dieses Wahlrechts ausgespielt, dadurch ideell propagiert und schließlich einmal durchgeführt wird. Immer wieder finden sich – und das ist kein Zufall – politische Gelegenheiten, bei denen es auf dem Plan erscheint. Gleichviel wie es damit anderwärts liegt, für Deutschland jedenfalls steht seit Bismarck fest, daß ein anderes Wahlrecht nie mehr am Ende von Wahlrechtskämpfen stehen kann. Und während andere Fragen des Wahlrechts (z.B. das Proportionalwahlrecht) bei aller politischen Wichtigkeit doch als »technische« empfunden werden, ist die Frage der Gleichheit des Wahlrechts eben auch subjektiv eine so rein politische, daß ihr ein Ende gemacht werden muß, wenn man sterile Kämpfe vermeiden will. Schon dies ist staatspolitisch entscheidend. Der 4. August 1914 und die Zeit nachher zeigte aber auch, daß dies Wahlrecht bei entscheidenden politischen Proben sich bewährt, wenn man damit zu regieren versteht und den guten Willen dazu hat. Es würde dauernd ganz ebenso gut funktionieren, wenn das gleiche Stimmrecht seinen Gewählten die Verantwortlichkeit der an der Macht im Staat wirklich mitbestimmend Beteiligten auferlegte. Überall sind mitherrschende demokratische Parteien Träger des Nationalismus.

Der zunehmende Nationalismus gerade der Massen ist nur natürlich in einem Zeitalter, welches die Teilnahme an den Gütern der nationalen Kultur, deren Träger nun einmal die nationale Sprache ist, zunehmend demokratisiert. Schon das wahrlich bescheidene Maß faktischer und prekärer Anteilnahme, welches den Vertretern der radikalen Demokratie im Kriege bei uns eingeräumt wurde, genügte, sie in den Dienst sachlicher nationaler Politik treten zu lassen. Sehr im Gegensatz zu der Plutokratie des preußischen Landtags, die im dritten Kriegsjahr wahrhaftig nichts Besseres zu tun wußte, als ein Gesetz zur Nobilitierung von Kriegsgewinnen zu beraten. Statt daß im deutschen Osten neues Bauernland bereitgestellt würde – und wir könnten noch den Mannschaftsbestand für 10 Armeekorps durch neue Bauernstellen beschaffen –, sollte hinter dem Rücken des kämpfenden Heeres der deutsche Boden den Eitelkeitszwecken der Kriegsparvenü-Plutokratie für Fideikommißstiftungen zwecks Erlangung des Adelstitels ausgeliefert werden. Diese bloße Tatsache ist Kritik des Klassenwahlrechts genug. –

Die innere Unhaltbarkeit dieses und jedes ähnlich wirkenden Wahlrechts liegt aber auch an sich auf der Hand. Bei Fortbestand der preußischen Dreiklassengliederung würde sich die ganze Masse der heimkehrenden Krieger einflußlos in der untersten Klasse befinden, in den Vorzugsklassen aber: die Daheimgebliebenen, denen inzwischen Kundschaft und Arbeitsstellen jener zugefallen, die im Kriege oder durch den Krieg reich geworden oder doch intakt geblieben sind, und deren schon vorhandenen oder neuerworbenen Besitz jene durch den Krieg politisch Deklassierten mit ihrem Blut draußen verteidigt haben. Gewiß ist die Politik kein ethisches Geschäft. Aber es gibt immerhin ein gewisses Mindestmaß von Schamgefühl und Anstandspflicht, welche auch in der Politik nicht ungestraft verletzt werden.

Welches andere Wahlrecht könnte an seine Stelle treten? Bei den Literaten erfreuen sich allerhand Pluralwahlsysteme großer Beliebtheit. Welche aber? Soll der Familienstand, etwa durch Zusatzstimmen, privilegiert werden? Die Unterschichten des Proletariats und die Bauern auf den ärmsten Böden, überhaupt aber alle Schichten mit der geringsten ökonomischen Voraussicht, heiraten am frühesten und haben die meisten Kinder. Oder – der Lieblingstraum der Literaten – die »Bildung«? Unterschiede der »Bildung« sind heute, gegenüber dem klassenbildenden Element der Besitz- und ökonomischen Funktionsgliederung, zweifellos der wichtigste eigentlich ständebildende Unterschied. Wesentlich kraft des sozialen Prestiges der Bildung behauptet sich der moderne Offizier vor der Front, der moderne Beamte innerhalb der sozialen Gemeinschaft. Unterschiede der »Bildung« sind – man mag das noch so sehr bedauern – eine der allerstärksten rein innerlich wirkenden sozialen Schranken. Vor allem in Deutschland, wo fast die sämtlichen privilegierten Stellungen innerhalb und außerhalb des Staatsdienstes nicht nur an eine Qualifikation von Fachwissen, sondern außerdem von »allgemeiner Bildung« geknüpft sind und das ganze Schul- und Hochschulsystem in deren Dienst gestellt ist. Alle unsere Examensdiplome verbriefen auch und vor allem diesen ständisch wichtigen Besitz. Also könnte man sie der Wahlrechtsgliederung zugrunde legen. Welche aber? Sollen die Doktorfabriken der Hochschulen oder die Maturitätszeugnisse der Mittelschulen oder soll etwa das Einjährigenzeugnis die politische »Reife« beglaubigen? Rein quantitativ bedeutet das ganz gewaltige Unterschiede, und mit der letztgenannten, der Masse nach stark ins Gewicht fallenden, Mehrstimmrechtsqualifikation könnte man politisch recht eigenartige Erfahrungen machen. Vor allem aber: Soll wirklich das Examensdiplom, welchem schon die Masse aller Ämter ausgeliefert ist, und die dadurch patentierte Schicht mit ihren sozialen Prätensionen noch weiter privilegiert werden? Soll dem Pfründenhunger der examinierten Amtsanwärter – deren Zahl durch die Frequenzkonkurrenz der Hochschulen und den sozialen Ehrgeiz der Eltern für ihre Kinder ungeheuer über den Bedarf gesteigert ist – die Macht über den Staat zugewendet werden? Und was hat eigentlich der Doktor der Physik oder der Philosophie oder Philologie mit politischer »Reife« zu tun? Jeder Unternehmer und jeder Gewerkschaftsführer, der, im freien Kampf um das ökonomische Dasein stehend, die Struktur des Staates täglich am eigenen Leibe spürt, weiß mehr von Politik als derjenige, dem der Staat nur die Kasse ist, aus der er kraft Bildungspatentes eine standesgemäße, sichere, pensionsfähige Einnahme erhält.

Oder – eines der Lieblingskinder aller kurzsichtigen »Ordnungsphilister« – ein »Mittelstandswahlrecht«, also etwa: Privilegierung der Inhaber »selbständiger« Betriebe oder dergleichen? Abgesehen davon, daß auch dies die Daheimgebliebenen gegenüber den Kriegern bevorzugen würde, – was bedeutete es für den »Geist« der künftigen deutschen Politik?

Von den wirtschaftlichen Bedingungen der deutschen Zukunft lassen sich mit Sicherheit heute nur drei vorausberechnen. Zunächst: die Notwendigkeit einer ungeheuren Intensivierung und Rationalisierung der wirtschaftlichen Arbeit. Nicht, damit das deutsche Dasein reich und glänzend, sondern damit das Dasein der Massen bei uns überhaupt möglich sei. Es ist angesichts des eisernen Frühlings, den uns der Frieden bringen wird, ein Frevel, wenn jetzt Literaten der verschiedensten Lager den deutschen »Arbeitsgeist« als die nationale Erbsünde und ein »gemächlicheres« Dasein als Zukunftsideal hinstellen. Das sind Schmarotzerideale einer Pfründner- und Rentnerschicht, welche den schweren Alltag der geistig und körperlich arbeitenden Mitbürger an ihrem Tintenfaßhorizont messen zu wollen sich erdreistet. Wie vollends die kindliche Literatenvorstellung vom »Segen« der genügsamen Armut der guten alten Zeit, den Deutschland als Frucht des Krieges wieder genießen werde, in der Realität aussehen würde, lehrt die zweite unzweifelhafte Zukunftstatsache: daß der Krieg uns für 100 Milliarden Kapitalwert neue Rentner hinterlassen wird. Schon vor dem Krieg war die relative statistische Zunahme der reinen Rentner bedenklich groß für eine auf den Wettkampf mit den großen Arbeitsvölkern der Erde angewiesene Nation. Für diese nunmehr ganz ungeheuer in die Breite gewachsene Schicht werden die wirtschaftlich arbeitenden Staatsbürger die Rente zu beschaffen haben. Teils in der Entstehung großer neuer [Wert-]Papiervermögen, teils aber auch in der Verwandlung der vorhandenen Vermögen durch Anleihezeichnung äußert sich die Umgestaltung. Denn wenn ein Vermögensbesitzer heute statt Dividendenpapieren (also: Anteilen an privatwirtschaftlichen Unternehmungen) staatliche Rentenverschreibungen in seinen Bankdepots hat, – was bedeutet das? Ein »Rentner«, dessen Einkommen die Banken mit der Couponschere beschaffen, ist er formell in beiden Fällen. Allein: wenn ihm früher die Dividendenpapiere Einnahmen brachten, dann bedeutete dies: daß auf einem Kontor und in einem betriebstechnischen Büro – Stätten geistiger Arbeit so gut und oft besser als irgendeine Gelehrtenstube es ist –, und daß in den Maschinensälen von Fabriken von kaufmännischen und technischen Leitern, Angestellten, Meistern und Arbeitern scharf und hart gearbeitet, Güter für einen vorhandenen Massenbegehr hergestellt, Menschen ihr Lohn und Brot beschafft wurde, dies alles in der Vollkommenheit oder Unvollkommenheit, wie dies nun einmal die heutige noch auf lange gültige Wirtschaftsordnung gestattet. Für die Leiter hat dabei die ökonomische und soziale Macht- und Rangstellung, für die Angestellten und Arbeiter die Brotstelle im Kampf um den Markt auf dem Spiele gestanden, und dieser Kampf ist gewonnen worden: das »beweist« die Dividende. Wenn er dagegen jetzt Zinsen von seinen staatlichen Rentenpapieren bezieht, so bedeutet dies: daß der Steuerexekutor oder der Zollbeamte oder ihresgleichen den Zahlungspflichtigen das Geld erfolgreich aus der Tasche geholt haben und dafür bezahlt worden sind, und daß auf staatlichen Büros nach Reglement und Anweisung die geforderte Arbeit abgeleistet wurde. Natürlich muß beides geschehen, die privatwirtschaftliche wie die staatliche Arbeit. Aber es liegt auf der flachen Hand, daß die ganze Zukunft Deutschlands, wirtschaftlich und politisch, die Lebenshaltung der Massen sowohl wie die Beschaffung von Mitteln für »Kulturbedürfnisse«, in erster Linie daran hängt, daß die Intensität der deutschen wirtschaftlichen Arbeit nicht herabgesetzt wird, daß – wie man es auch ausdrücken kann – die Rentnergesinnung: die typisch französische innere Haltung der dortigen Kleinbürger- und Bauernschichten zum Wirtschaftsleben, in der deutschen Nation nicht noch mehr, als es ohnedies geschieht, überhand nimmt. Denn das würde die wirtschaftliche Lähmung Deutschlands bedeuten und – eine noch rapidere Propagierung des ohnehin sich schnell ausbreitenden Zweikindersystems. Außerdem noch einen anderen Zug der französischen Zustände: die Abhängigkeit von den Banken. Die Unwissenheit der Literaten, welche das Rentenvermögen des Couponschneiders von dem Erwerbskapital des Unternehmers nicht zu unterscheiden vermag und dem letzteren mit ebensoviel Ressentiment wie dem ersteren mit begehrlichem Wohlwollen gegenübersteht, hat von der Rolle etwas läuten gehört, welche im parlamentarischen Regime Frankreichs das »Finanzkapital« spielt, sowohl bei sachlichen Maßregeln (Steuern), wie bei der Auswahl der Minister, und meint natürlich, daß dies eine Folge des gefürchteten »Parlamentarismus« sei. Aber es ist in Wahrheit die Folge davon, daß Frankreich ein Rentnerstaat ist, daß die Kreditwürdigkeit der jeweiligen Staatsregierung, wie sie sich in dem Börsenkurse der Staatsrenten ausdrückt, für die Millionen mittlerer und kleinerer Rentner schlechthin die Frage ist, nach welcher sie den Wert der Minister taxieren, daß deshalb die Banken bei der Ministerauswahl oft irgendwie mitwirken oder geradezu konsultiert werden. Von jeder, ganz gleichviel ob monarchischen oder parlamentarischen oder plebiszitären Regierung würden sie berücksichtigt werden müssen, ganz ebenso wie ein Schuldnerstaat wie der russische Zarismus 1905 seine »Verfassung« und nachher wieder den »Staatsstreich« machte, weil in beiden Fällen die Stimmung der auswärtigen Börsen: die Quelle seines Kredits, es verlangte. Fortschreitende Verstaatlichung gegen Ausgabe von Staatsrenten bei uns, vor allem aber: die Zunahme der mittleren und kleinen Staatsrentenpapierbesitzer, würde bei uns genau die gleichen Folgen haben, ganz einerlei ob »Demokratie« oder »Parlamentarismus« besteht oder »monarchische« Regierung. Während die Beziehung des englischen Staates zum Kapitalismus vornehmlich eine solche zum Erwerbskapitalismus war, welcher der Ausdehnung der Macht und des Volkstums über die Erde hin gedient hat. Welche Maßregeln finanzpolitischer Art nun in Deutschland dazu dienen können, jene erstickende Rentnerlast abzuwälzen und doch den Ansprüchen und Erwartungen der Anleihezeichner voll zu genügen, ist eine gewichtige Frage für sich. Wirtschaftspolitisch ist jedenfalls die höchstmögliche Rationalisierung der wirtschaftlichen Arbeit, also die ökonomische Prämiierung der rationalen Wirtschaftlichkeit der Produktion, also: des »Fortschrittes« in diesem technisch-ökonomischen Sinn, – mag man ihn nun an sich hassen oder lieben, – eine Lebensfrage für die Weltstellung nicht nur, sondern einfach für die Möglichkeit einer erträglichen Existenz der Nation überhaupt. Und deshalb ist es eine gebieterische politische Notwendigkeit, daß den Trägern dieser rationalen Arbeit wenigstens jenes Mindestmaß politischen Einflusses zugewendet wird, welches ihnen nur das gleiche Wahlrecht gewährt. Denn in jenem einen wichtigen Punkt: dem Interesse an der Wirtschafts rationalisierung, ist, trotz aller sozialen Gegensätze, das Interesse der Arbeiterschaft mit dem der organisatorisch höchststehenden Unternehmer und sind beide mit dem politischen Interesse an der Erhaltung der Weltstellung der Nation, nicht immer in den Einzelheiten, wohl aber im Prinzip, identisch und schnurstracks entgegengesetzt dem Interesse aller Pfründnerschichten und aller ihnen kongenialen Vertreter ökonomischer Stagnation. Und es scheint die höchste Zeit, daß der Einfluß jener Schichten eingesetzt wird an einem Punkt, dessen prinzipiell falsche Behandlung schon jetzt einen Schatten auf unsere Zukunft vorauswerfen könnte. Denn – das ist die dritte völlig sichere Zukunftsperspektive – wir werden für Jahre im Zeichen einer »Übergangswirtschaft« stehen mit Rationierung der Rohstoff Zuteilung, der Zuweisung internationaler Zahlungsmittel und womöglich: der Betriebe selbst und ihrer Kundschaft. Es ist klar, daß dies eine nie wiederkehrende Gelegenheit sein kann sowohl im Sinne der Rationalisierung der Wirtschaft wie auch, genau umgekehrt, eine Fundgrube für sogenannte »mittelständlerische« Experimente im denkbar übelsten Sinne dieses fast stets mißbrauchten Wortes. Mit Hilfe eines staatlichen Bezugscheinsystems und verwandter Mittel könnte man »selbständige« Bettelexistenzen aller Art, vor allem das Ideal jedes Kleinkapitalisten: bettelhafte, aber bequeme Ladentischexistenzen und ihresgleichen, in Masse subventionieren, welche das gerade Gegenteil einer Intensivierung und Rationalisierung unserer Wirtschaft bedeuten würden: die Züchtung von Schmarotzern und Tagedieben, Trägern jener »Gemächlichkeit«, die das Zukunftsideal der Literaten ist. Was würde das bedeuten? Die »Verösterreicherung« Deutschlands. Und zwar in jenem Punkte, der von den Österreichern selbst als eine der Hauptquellen alles dessen angesehen wird, was sie bei sich als »Schlamperei« bezeichnen. Denn soviel wir auf dem Gebiet der Geschmackskultur und gesellschaftlichen Erziehung von ihnen zu lernen hätten – allen Grund, uns zu bedanken, hätten wir für die Übernahme ihrer »Mittelstandspolitik«, deren wunderbare Früchte man in den dicken Bänden der Entscheidungen über solche Fragen wie: ob das Benageln eines Stuhls Tapezier- oder Tischlerarbeit sei, studieren kann. Die Gefahr aber, daß etwas Ähnliches geschieht, ist nicht gering. Denn es gibt in den heute maßgebenden Schichten zweifellos Politiker, welche unbelehrbar der Meinung bleiben: daß auf dem gen Himmel stinkenden Sumpf von Faulheit und Schlamperei, den man dadurch ins Leben rufen würde, am besten die Fundamente dessen, was sie »monarchische Gesinnung« nennen, das heißt: einer die Machtstellung der Bürokratie und der wirtschaftlich reaktionären Gewalten unangetastet lassenden bierseligen Fügsamkeit, gelegt werden könnten. Denkt man sich nun gar Wahlrechtsprivilegien für jene Schichten, welche eine solche Politik gern züchten möchte, so kann man sich leicht vorstellen, wie das wirkt: im Sinne der Lähmung Deutschlands, ökonomisch und politisch. Wer diese Lähmung aus irgendeinem positiven religiösen oder anderen letzten metaphysischen Glauben heraus will, – nun wohl! er bekenne sich offen dazu. Aber aus erbärmlicher Feigheit vor der Demokratie soll man sie nicht wollen, und eben jene Feigheit: Angst um die Erschütterung der Legitimität des Besitzes und der heute in Kraft stehenden sozialen Positionen, ist das derzeit zentrale Motiv, es zu tun.

Zu den dilettantischen Seifenblasen, welche deutsche Literateninstinkte immer neu hervortreiben, gehören nun auch alle jene zahlreichen Ungedanken, welche unter der Firma: » berufsständische Vertretung« kursieren. Sie hängen mit allerhand konfusen Vorstellungen von der Zukunft unserer Wirtschaftsorganisation eng zusammen. Es ist erinnerlich, daß schon die Art der Organisation der Unfallversicherung in Berufsgenossenschaften die Erwartung einflußreicher Literatenkreise erregte (und zum Teil ihr entstammte): hiermit werde der erste Schritt zu einem »organischen Aufbau« der Volkswirtschaft getan, – und man könnte auch wissen, was daraus geworden ist. Und heute erwartet mancher von den vorwiegend finanz- und valutapolitisch bedingten wirtschaftlichen Zukunftsorganisationen gar, daß sie sich als Drachentöter gegen den unruhestiftenden Vater alles Bösen, den »Kapitalismus«, erweisen werden. Man stellt sich dabei die »Gemeinwirtschaft«, »Solidaritätswirtschaft«, »Genossenschaftswirtschaft« (oder wie die Phrasen lauten) der Kriegszeit und der durch sie geschaffenen Zwangsorganisationen, kindlich genug, als Vorläufer einer künftigen prinzipiellen Änderung der »Wirtschaftsgesinnung« vor, welche die abhanden gekommene »Wirtschaftsethik« der Vergangenheit auf höherer Stufe »organisch« wiedererstehen lassen werde.

Dabei ist nun vor allem die profunde Ignoranz unserer Literaten über das Wesen des Kapitalismus das, was jeden mit den Verhältnissen Vertrauten so ungeduldig macht. Es ist noch das wenigste, wenn diese heilige Einfalt etwa die Kriegsgewinne der Firma Krupp mit den Kriegsgewinnen irgendeines Malzschiebers in einen Topf wirft, weil ja beides Produkte von »Kapitalismus« seien. Wichtiger ist, daß sie von dem abgrundtiefen Gegensatz alles von der rein politischen Konjunktur: von Staatslieferungen, Kriegsfinanzierungen, Schleichhandelsgewinnen und all solchen durch den Krieg wieder gigantisch gesteigerten Gelegenheits- und Raubchancen lebenden Kapitalismus und seiner Abenteurergewinne und -risiken gegenüber der Rentabilitätskalkulation des bürgerlichen rationalen Betriebs der Friedenszeit nicht die geringste Ahnung hat. Was auf dem Kontor eines solchen Betriebes eigentlich geschieht, ist ihr ein Buch mit sieben Siegeln. Daß ferner die grundlegende »Gesinnung«, oder wenn man es so ausdrücken will: das »Ethos« jener beiden verschiedenen Arten von Kapitalismus untereinander so entgegengesetzt ist, wie zwei geistige und sittliche Potenzen es überhaupt zu sein vermögen, daß die eine: der rein politisch verankerte »Raubkapitalismus«, so uralt ist wie die uns bekannte Geschichte von Militärstaaten überhaupt, die andere aber ein spezifisches Produkt des modernen europäischen Menschentums, davon ahnt sie natürlich gar nichts. Wenn man einmal ethisch unterscheiden will (und das ist hier immerhin möglich), dann besteht ja die eigentümliche Lage eben darin, daß in der persönlichen Geschäfts ethik gerade die höchststehende – im Durchschnitt weit höher als irgendeine historisch wirklich real gewesene, und nicht nur von Philosophen und Literaten gepredigte, ökonomische Durchschnittsethik irgendeines Zeitalters stehende –, die rational-kapitalistische Betriebsethik dieser zweiten Art von »Kapitalismus«: die Ethik der Berufspflicht und Berufsehre es ist, welche jenes eherne Gehäuse hergestellt hat und erhält, durch das die wirtschaftliche Arbeit ihr heutiges Gepräge und Schicksal empfängt und natürlich nur um so mehr und endgültiger empfangen wird, wenn man an Stelle des Gegensatzes zwischen privatkapitalistischer und staatlicher Bürokratie durch »Vergemeinwirtschaftung« der Betriebe eine einheitlich den Arbeitern übergeordnete Bürokratie schaffen würde, gegen die es kein Gegengewicht außerhalb ihrer selbst mehr gäbe.

Um aber hier bei jenem Gegensatz zu bleiben: nicht jene Gewinne, die nach dem berüchtigten Satz gemacht wurden: daß man »die Millionen nicht verdient, ohne mit dem Ärmel an das Zuchthaus zu streifen«, sondern gerade jene Rentabilität, welche nach dem Grundsatz erzielt wurde: »honesty is the best policy«, wurde der Träger des spezifisch modernen Kapitalismus als eines die Wirtschaft und durch sie das Alltagsschicksal der Menschen unentrinnbar beherrschenden Systems. Hat denn wohl jemand von diesen schreibseligen Ideologen einer geträumten wirtschaftlichen Solidaritätsethik einmal einen Blick hinter die Vorhänge unserer »Kriegsgemeinwirtschaft« getan und gesehen, was unter ihrer Einwirkung aus dem angeblich durch sie zu erdrosselnden »Erwerbstrieb« geworden ist? Ein wilder Tanz um das goldene Kalb, ein hasardierendes Haschen nach jenen Zufallschancen, welche durch alle Poren dieses bürokratischen Systems quellen, ein Verlust jedes Maßstabes für irgendwelche wie immer gearteten geschäftsethischen Unterscheidungen und Hemmungen und – ein eherner Zwang für jeden, auch den gewissenhaftesten, Geschäftsmann, bei Strafe des ökonomischen Untergangs mit den Hyänen dieser beispiellosen Schädelstätte aller Wirtschaftsethik mitzuheulen und mitzutun, – genau so oder vielmehr in weit ungeheuerlicherem Maßstab so, wie es zu allen Zeiten gewesen ist, wenn kapitalistische Erwerbschancen sich an die Fußstapfen des Kriegsgottes oder – des heiligen Bürokratius hefteten. Generationen werden vergehen, bis die Nachwirkungen dieser Zersetzung des normalen bürgerlich-kapitalistischen Ethos wieder ausgetilgt sind, – und das soll die Grundlage einer neuen Wirtschaftsethik sein? Wir werden uns zu bemühen haben, zunächst das Niveau der alten wieder zu erreichen! Doch das alles nur nebenbei.

Rationale Zweckverbandsbildungen größten Stils werden die Kriegswirtschaft ablösen. Aber doch wahrhaftig keine »organisch« auf dem Boden der natürlich gewachsenen oder aus primären inneren menschlichen Beziehungen heraus entfalteten Gemeinschaftsverhältnisse und Gebilde von jener innerlichen Eigenart, wie sie Familie, Sippe, Gemeinde, die feudalen und grundherrlichen Beziehungen und auch noch die Zünfte, Gilden, sogar die Ständeeinungen des Mittelalters immerhin in verschieden starkem Maße an sich trugen. Wer von dem Gegensatz aller modernen rationalen Zweckverbände zu ihnen noch keine Ahnung hat, der begebe sich zunächst in die soziologische Abc-Schule, ehe er anfängt, den Büchermarkt mit seiner Literateneitelkeit zu behelligen. Daß der einzelne nicht einem, sondern oft zahlreichen solcher Gebilde zugleich angehören müßte, würde zwar einem auf ihnen aufgebauten Wahlrecht die Qualität einer »Volksvertretung« nehmen, es aber nicht schon dazu verdammen, »Unsinn« zu sein. Es wäre eben »Interessenvertretung«: die Vergangenheit kannte Ähnliches. Aber man braucht nur die ersten Anfänge eines Versuchs zu machen, die typischen Figuren der modernen Wirtschaft nach » Berufen« so zu gruppieren, daß die entstehenden Gruppen als Wahlkörperschaften für eine allgemeine Volksvertretung brauchbar wären, – dann steht man vor dem vollendeten Unsinn. Gleich die eigentlichen »Leiter« des Wirtschaftssystems finden einfach gar keinen Platz. Unter welche »Berufe« – es stünden deren Dutzende zur Wahl – sollen die Herren Stinnes, Thyssen, Krupp v. Bohlen, Graf Henckel-Donnersmarck, v. Mendelssohn, Rathenau, die persönlich haftenden Gesellschafter der Disconto-Gesellschaft usw. verteilt oder sollen sie vielleicht in einer einzigen Wahlkörperschaft der »Riesenunternehmer« vereinigt werden? Und sollen andererseits die Generaldirektoren Kirdorf, Hugenberg und ihresgleichen unter die »Betriebsbeamten« der einzelnen »Berufe« verteilt werden, oder was geschieht mit ihnen? So aber geht es nun von diesen höchsten Spitzen des kapitalistischen Getriebes bis zum untersten Boden. Gerade die wirklich wichtigsten von den Steuerleuten der heutigen Wirtschaft entziehen sich überall, bis zum Engrossortimenter und Betriebsvorstand herunter, jeder Einordnung unter materiell zutreffende Kategorien. Denn überall müßte ja für die Abgrenzung der Wahlkörperschaften ein formales Merkmal gefunden werden, dem aber unter den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen der materielle, ökonomische Sinn der betreffenden Stellung hundertfältig ins Gesicht schlüge. Unsere moderne Wirtschaft zeichnet sich ja im Gegensatz zur ständisch gebundenen Wirtschaft gerade dadurch aus, daß man aus der äußeren Stellung fast nie entnehmen kann, welche ökonomische Funktion dem einzelnen eignet, daß auch die eingehendste Berufsstatistik noch nicht das geringste von der inneren Struktur der Wirtschaft verrät. So wenig man in dem Landschaftsbild einer schönen Standesherrschaft ihre Hypothekenbelastung sieht, so wenig sieht man einem Ladeninhaber an, was er ökonomisch ist: ob ein Filialbetriebsbesitzer, ein Angestellter oder fest gebundener Klient einer kapitalistischen Macht (z. B. einer Brauerei), ein wirklich selbständiger Detaillist oder was sonst. Ebensowenig einem »selbständigen Handwerker«, ob er Hausindustrieller, Zwischenmeister oder selbständiger Kleinkapitalist oder handwerksmäßiger Kundenarbeiter ist. Und das sind noch die einfachsten Fälle! Vollends die immer wieder neu auftauchende naive Literaten-Vorstellung, daß dies der Weg sei, um die heute in »verhüllter« Art sich bei den Parlamentswahlen geltend machende Macht der materiellen Interessen »offen« und also »ehrlich« sich »im Kreise der Berufsgenossen« auswirken zu lassen, gehört in die politische Kleinkinderstube. Tausendfach sind die Drähte, an welchen kapitalistische Gewalten den »selbständigen« Kleinhändler und Handwerker nicht nur, sondern auch den selbständigen Fabrikanten bei den Wahlen nach ihrem Willen tanzen lassen würden. Ganz abgesehen davon, daß sich jede solche Berufsabgrenzung in breitestem Maße auf dem Flugsand der durch jede neue Maschine oder Absatzchance radikal umgeschichteten Betriebseinheiten, Produktionsrichtungen und Arbeitskräfte bewegte.

Etwas objektiv Unwahrhaftigeres als den Versuch, in einem Zeitalter beständiger technischer und kommerzieller Umschichtungen und fortschreitender zweckverbandsmäßiger ökonomischer und sozialer Bindungen »organische« Gliederungen im alten ständischen Sinn als politische Wahlkörper schaffen zu wollen, gibt es schon aus diesen rein ökonomischen Gründen in aller Welt nicht. Wo immer man »berufsständische« Wahlrechtsexperimente gemacht hatte – in neuerer Zeit in Österreich und in dem Bulyginschen russischen Dumawahlrecht –, hatte man daher ganz grobe und formale Kategorien bilden müssen, und man hatte damit in Österreich ein tief korruptes Parlament geschaffen, welches nur die Ehre der ersten Erfindung der Obstruktion für sich in Anspruch nehmen darf, in Rußland aber: die Vorfrucht der Revolution. In keinem von beiden Fällen aber sind dabei die Vertreter der in der ökonomischen Welt heute wirklich bedeutsamen Gewalten überhaupt politisch zur Geltung gekommen. Am allerwenigsten: »offen«. Zu dieser Unangepaßtheit an die moderne, fortwährend in Umwälzung begriffene ökonomische Struktur käme die Kreuzung der beruflichen durch die rein politischen Interessen, deren selbstherrliches Wirken solche vermeintlich realistischen Afterprojekte stets gründlich verkennen. Nicht etwa eine Fundierung der Parlamentsvertretung auf »offene« Wahrnehmung der »natürlichen« in sich solidarischen beruflichen Interessen käme heraus, sondern gesteigerte Zerreißung der Berufssolidarität durch politische Parteiung. Schon heute sehen wir die politischen Parteien auch in den Gemeindeverwaltungen, Genossenschaften, Krankenkassenverwaltungen usw. – kurz, in allen möglichen sozialen Bildungen, um die Macht ringen. Man hat das oft beklagt. Die verschiedenen Seiten des gar nicht einfachen organisationspolitischen Problems sollen hier nicht nebenher miterörtert werden. Jedenfalls zeigt sich darin eins: daß überall, wo Wahlzettel und Agitation herrscht, die politischen Parteien als solche schon jetzt dazu prädisponiert sind, Träger des Kampfes zu werden. Schon weil sie über den Apparat dazu verfügen. Man stelle sich nun vor, daß jene Interessenkörperschaften durch ihre Vertreter über die staatspolitischen und Kulturfragen abzustimmen hätten, und das Resultat ist klar: Das Hineintragen politischer Parteiungen in Interessentenverbände, welche sachliche, den Verbandsgenossen wirklich solidarisch gemeinsame Angelegenheiten zu erledigen haben, durch ihre Erhebung zu parlamentarischen Wahlkörpern würde selbstverständlich zur Folge haben, daß zunächst einmal der wirklich rein wirtschaftliche Interessenkampf sich neben dem Gehäuse dieser politischen Wahlkörperschaften neue Organe schaffen müßte und würde. Vergebens würden jene Schachteln für die Zählung von Wahlstimmen versuchen, das reale ökonomische Leben in sich einzufangen. Zwar würde der ökonomische Interessenkampf natürlich in diese wie in alle Wahlkörper hineinspielen. Aber weit mehr auf nackte individuelle Gewaltverhältnisse: – Verschuldung, Kundschaft – statt auf dauernde Klassenlage abgestellt als heute bei der Finanzierung und Beeinflussung des Parteiwahlkampfes durch Interessenten. Und zugleich: ungleich verborgener. Denn wer könnte unter einer derart verzwickten Wahlrechtsgliederung noch den Abhängigkeitsverhältnissen, in welchen ein formal »selbständiger« Händler oder Gewerbetreibender zu einer kapitalistischen Potenz steht, nachspüren und den Einfluß ermitteln, welchen der Druck solcher kapitalistischer Mächte auf die politische Haltung der von ihnen Abhängigen ausüben würde? Die Schärfe der Abhängigkeit als solcher würde steigen, da ja die Betroffenen nun durch ihre Konkurrenten in den Wahlkörpern sehr zuverlässig kontrolliert werden würden. Denunziation und Boykott würden diese in den Wahlkörperschaften zusammengepferchten vermeintlichen Träger von »Berufssolidarität« gegeneinander hetzen. Denn nun würden diese berufsständischen Körperschaften ja nicht nur berufliche Interessen wahrzunehmen haben, sondern: das Ergebnis des Wahlkampfes in ihnen entschiede über die Besetzung der staatlichen Pfründen und Ämter. Haben sich die »guten Leute und schlechten Musikanten«, welche dies System empfehlen, wohl klargemacht, was dabei herauskäme? – Genug. Diese kindlichen literarischen Seifenblasen sind hier nur deshalb erwähnt, weil sie Anlaß geben, zu noch einem allgemeinen Problem Stellung zu nehmen.

Wir haben ja bei uns und anderwärts schon heute auch Interessentenverbände als Träger von Vertretungsrechten. Zunächst für die Beratung der Bürokratie: die Landwirtschafts-, Handels-, Handwerks-, künftig wohl einmal die Arbeitskammern, auch die Eisenbahnräte u.dgl. Gerade an ihnen aber kann man lernen, was heute eine formale Berufsorganisation nicht leistet. Oder bildet sich jemand ein, diese offiziellen Körperschaften könnten den »Bund der Landwirte«, den »Zentralverband der Industriellen«, vollends: die Arbeitgeberverbände oder die Gewerkschaften, je ersetzen? Wo pulsiert denn wirklich das »Leben« der berufsgegliederten Interessensolidarität? Und ebenso haben wir ja innerhalb unserer Gesetzgebungsmaschinerie wenigstens teilweise berufsständisch zusammengesetzte Körperschaften: die ersten Kammern. Vorwiegend Grundbesitzerverbände bestimmter sozialer Prägung (»alter und befestigter Grundbesitz«), daneben Handelskammern, einige besonders große Gemeinden, auch Universitäten, künftig vielleicht einmal Handwerks- und Arbeiterkammern, senden ihre Vertreter hinein. Unendlich grobschlächtig ist diese Art der Interessenvertretung, aber für diese politischen Zwecke notdürftig ausreichend. Die politische Kindlichkeit unserer Literaten bildet sich nun offenbar ein: durch Häufung und Spezialisierung solcher Vertretungsrechte müsse es schließlich doch gelingen können, aus diesen Oberhäusern Parlamente zu machen, in welchen nun jeder Staatsbürger als Glied seines organischen Berufs- und Lebenskreises sich vertreten finde, – wie (angeblich) einst im »Ständestaat«. Von diesem »Ständestaat« nachher ein Wort. Die ersten Kammern aber, bei denen wir hier kurz verweilen, sind (der »Idee«, meist nicht der Wahrheit nach) heute Stätten der politischen Aussprache teils von Honoratioren, teils aber von solchen Interessentenschichten, welche rein staatspolitisch aus Traditionsgründen als besonders ins Gewicht fallend gelten. Vor allem: des Besitzes und bestimmter sozial hoch bewerteter Berufe. Nicht immer tatsächlich, meist aber nach der »Idee« werden sie nicht nach politischen Parteigesichtspunkten ausgelesen. Daraus folgt sofort das Entscheidende für die naturgemäße Stellung eines solches Oberhauses im Staate. Wo immer sie politisch richtig geordnet ist, fehlt ihm zum mindesten das eigene Budgetrecht, die Grundlage der Machtstellung der Volksvertretung, und ist seine Rechtslage im übrigen, politisch angesehen, die: daß es eine Instanz ist, welche Beschlüsse der Volksvertretung beanstanden, kritisieren, zur nochmaligen Erörterung zurückgeben, sistieren und zurückstellen, auch amendieren kann, welche aber – gleichviel ob das formale Recht dazu besteht – nicht dauernd in einer politisch wichtigen Frage dem Willen einer unbezweifelbaren starken Mehrheit der Volksvertretung sich in den Weg stellen darf, bei Strafe des Verlustes ihrer formalen Rechte (wie jetzt in England) oder des Pairsschubs (wie in Preußen 1873). Dieser letztere ist ein Ventil, welches ohne politische Gefahr nie beseitigt werden kann, obwohl alle Oberhäuser aus Machtlust dagegen zu remonstrieren pflegen und das preußische Herrenhaus sicherlich gelegentlich der Wahlreform die Beseitigung dieses Kronrechts und womöglich das Budgetrecht erstreben wird, – was politisch zu den schwersten Krisen und Gefahren führen würde: denn das würde bedeuten, daß das Klassenwahlrecht fortbestände, nur auf zwei Körperschaften verteilt, deren Konflikte sich zu Staatskrisen auswachsen würden. Hoffen wir, daß das nicht versucht wird.

Der Einfluß von Oberhäusern kann – und zwar auch und gerade bei formal beschränkten Rechten – sehr bedeutend sein. Aber mit einer Volksvertretung haben sie, wie immer sie zusammengesetzt seien, schlechterdings gar nichts zu schaffen. Sie bilden der Idee nach ein Gegengewicht gegen die Parteiherrschaft. Der Tatsache nach freilich oft ein solches von problematischer politischer Nützlichkeit und unzulänglichem geistigem Niveau: das preußische Herrenhaus ist die einzige »gesetzgebende« Körperschaft, welche des Strafrichters zur Erzwingung des von ihr in Anspruch genommenen Respekts zu bedürfen glaubt. Die Oberhäuser könnten gewiß heute recht eigentliche Stätten individueller politischer Beredsamkeit sein. Tatsächlich freilich sind sie statt dessen recht oft Stätten überflüssigen Geredes. Im preußischen Herrenhause wird gewiß viel kunstgerechter und »vornehmer« geredet als im Reichstag, – aber wer möchte seine Zeit daran wenden, diese Reden zu lesen? Und doch könnte ein solcher öffentlich beratender Staatsrat – denn das ist ein richtig konstruiertes Oberhaus dem Sinne nach – als eine Stätte der Aussprache des parteiungebundenen politischen Denkens und der amtlosen, aber amtserfahrenen politischen Intelligenz, namentlich also der Amtserfahrung früherer Staatsmänner, gegenüber der aktuellen politischen Parteiführerschaft, gerade in einem parlamentarischen Staat unleugbar wertvolle Dienste leisten. Von den heutigen Gebilden dieser Art entsprechen freilich nur sehr wenige diesem Zweck.

In einem Volksstaat kann eine erste Kammer entweder – wie in den überseeischen Demokratien – eine ebenfalls nach gleichem Wahlrecht, aber nach anderem Wahl verfahren zusammengesetzte Körperschaft sein, – also: ein Mittel der Korrektur der unvermeidbaren Unvollkommenheiten, die jedes Wahlsystem hat. Oder eine Vertretung der in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik bewährten Intelligenz. In diesem Falle aber: eine nur beratende, kritisierende und (durch suspensives Veto) sistierende Körperschaft. Sie kann also formell nur eine minderberechtigte Kammer sein. Politisch wäre wünschenswert, daß in solchen Oberhäusern die beruflichen Interessentenvertreter jedenfalls nur neben der Vertretung 1. staatspolitischer Intelligenz und 2. kulturpolitischer Bildung ständen, daß also z.B. alle aus dem Amt scheidenden Minister und Bürgermeister von Großstädten und daneben die Vertreter kulturpolitisch wichtiger Kreise (gewählte Vertreter der Schullehrer, Hochschullehrer, Künstler, Journalisten) ihnen angehörten. Die Frage der zukünftigen Zusammensetzung solcher Körperschaften ist jedenfalls nicht so unwichtig, wie man bei uns vielfach um deswillen glaubt, weil sie heute allerdings leider meist nur als eine mechanische Bremse gegen die »Gefahren« der Demokratie zur Beruhigung der Feigheit des Spießbürgers (gleichviel welcher sozialen Stellung) konstruiert werden. Indessen kann und soll uns dies Problem hier nicht auch noch nebenher beschäftigen. –

Wir fragen hier vielmehr lediglich: Wie kommt es wohl eigentlich, daß jene staatlich organisierten Interessenkörperschaften, wie die einst von Eugen Richter so scharf bekämpften Handelskammern und alle nach ihrem Schema seitdem entstandenen ähnlichen Gebilde, der Tatsache nach so ganz und gar nicht als Gefäße des eigentlich lebendigen Stroms der wirtschaftlichen Interessen fungieren, verglichen mit dem strotzenden Leben der wirklichen ökonomischen Interessentenverbände? Und daß sie andererseits doch auch gegenüber den Parteien so absolut unfähig bleiben, das politische Leben in sich einzufangen? Ist das Zufall? Es ist durchaus kein Zufall, sondern die Folge davon, daß die Parteien einerseits, die ökonomischen Interessentenverbände andererseits auf dem Boden der rechtlich freien Werbung ihrer Anhängerschaft stehen und jene staatlichen Bildungen eben nicht. Jene sind, infolge jener Struktur, die geeigneten Organisationen für Kampf und Kompromiß, diese infolge der ihrigen: für sachliche gutachtliche Äußerung oder rein »pflegliche« friedliche Verwaltungsarbeit. Der Eifer für »Organisation« versteht bei uns unter diesem Wort eben leider immer nur: Zwangsorganisation mit obrigkeitlichem Reglement durch die Polizei. Die auf dem Boden der freien Eigeninitiative (» voluntaristisch«) geschaffenen Organisationen werden von den Literaten gern als eigentlich illegitim, günstigstenfalls aber als nur provisorisch, zum dereinstigen Aufgehen in eine polizeilich reglementierte Organisation bestimmt, angesehen, ohne Rücksicht darauf, ob sie vielleicht ihrem Wesen und Sinn nach nur einer voluntaristischen Struktur fähig sind. Da liegt der Kernfehler.

Es gehört zu den Erbtorheiten unseres dilettantischen politischen Literatentums: »mit Worten«, in diesem Fall: mit Paragraphen eines von ihnen zu entwerfenden Statuts, »ein System bereiten« zu wollen, wo dafür alle Bedingungen mangeln. Jene offiziellen berufsständischen Organisationen – bis zu den etwaigen aus Berufsvertretern zusammengesetzten Oberhäusern hinauf – sind, politisch angesehen, Gebilde, dazu bestimmt, daß ihre Äußerungen: Gutachten oder Resolutionen oder Debatten, gewogen und nicht gezählt werden. Und sie werden, je nach dem sachlichen Gehalt ihrer Äußerungen, schwerer oder leichter wiegen. Politische Parteien sind dagegen im modernen Staat Organisationen, welche auf (rechtlich) » freie« Werbung von Anhängern ausgehen und deren Ziel ist: durch die Zahl ihrer Anhänger die Politik zu bestimmen: die ultima ratio aller modernen Parteipolitik ist der Wahl- oder Stimmzettel. Und wirtschaftliche Interessentenvertretungen sind in der kapitalistischen Wirtschaft Vereinigungen ebenfalls auf der Grundlage (rechtlich) » freier« Werbung, welche darauf ausgehen, durch die privatwirtschaftliche Macht ihrer Glieder, beruhe sie nun auf Besitz von Gütern, Marktmonopol oder monopolistischer Zusammenfassung der wirtschaftlich unentbehrlichen Arbeitskräfte, ein Kompromiß über die Bedingungen des Preises von Sachgütern oder von Arbeit zu erzwingen, welches ihren Interessen entspricht. Für beide Arten von freien Gebilden ist aber gerade diese ihnen charakteristische » voluntaristische« Grundlage der Organisation das Entscheidende, absolut allein Angemessene, daher »Organische«. Der Versuch, sie nach Art einer staatlichen Behörde zwangsmäßig zusammenzuschließen, wäre ein rein mechanischer Zwang, der ihrem inneren Leben ein Ende bereiten würde. Nicht, daß ihnen selbst etwa der »Zwang« überhaupt fremd wäre. Ganz im Gegenteil. Boykott, Verfemung und alle Lock- und Zwangsmittel materieller und geistiger Art, welche auf dem Boden (formal) freier Werbung der Menschengeist ersinnen kann, stellen sie in ihren Dienst: – nur gerade mit Ausnahme jener dem Apparat des staatlichen Zwangsverbandes eigentümlichen und ihm vorbehaltenen Form der Herstellung staatlich » legitimer äußerer Ordnung«. Man kann auch für Parteiorganisationen von Staats wegen Bestimmungen treffen, welche, je nachdem, die Rechte der Mehrheit gegen Illoyalität einer Minderheitsklique oder umgekehrt Minderheitsrechte gegen Vergewaltigung schützen, und man hat das in Amerika getan. Aber an dem voluntaristischen Grundzug: der rechtlichen Freiwilligkeit der Mitgliedschaft ändert das so wenig etwas wie staatliche Vorschriften über die Bedingungen der Gründung von Gewerkschaften. Gerade daß der Parteiführer auf die formal freie Werbung seiner Gefolgschaft angewiesen ist, ist das schlechthin Entscheidende gegenüber dem reglementierten Avancement des Beamten. Gerade, daß die Leiter von wirtschaftlichen Interessenten zur formal » freien« Organisation ihrer Gefolgschaft genötigt sind, bedingt deren Eigenart und ist wiederum durch die Struktur der modernen Wirtschaft bedingt. Organisation und staatspolizeilich herbeigeführter Zusammenschluß sind auf diesem Gebiet unter den heutigen Bedingungen schlechthin unversöhnliche Gegensätze. Wer diese Dinge noch nicht begriffen hat, der hat das Abc des modernen politischen und wirtschaftlichen Lebens noch nicht erfaßt. Das sind keine »ewigen« Tatbestände. Aber sie liegen heute so. Natürlich kann man auf dem Papier ganz beliebige berufsständische Wahlkörper konstruieren. Aber gesetzt, man täte es, so würde, wie gesagt, die Folge sein, daß nun hinter ihnen die politischen Parteien einerseits, die wirtschaftlichen Interessentenverbände andererseits ihr wirkliches Leben führen würden.

Es muß das hier genügen. Wir haben alle diese romantischen Phantasien, welche ja für den Kundigen der Ehre ernster Widerlegung nicht wert sind, hier nur erwähnt, weil diese ganz ungeschichtlichen Konstruktionen immerhin den einen Schaden anrichten: die Wasserscheu des deutschen Spießbürgertums (aller Schichten) vor dem Eintauchen in die spezifisch moderne Problemlage noch zu steigern, es noch weltfremder und unpolitischer zu machen. Ob denn wohl – um schließlich auch das kurz zu berühren – einer von diesen Tintenfaßromantikern vom Wesen des wirklichen »Ständestaats« der Vergangenheit eine klare Anschauung hat? Verworrene Vorstellungen über eine »Gliederung der Gesellschaft« nach den »natürlichen Berufen« in »ständischen Gemeinschaften«, den Trägern »christlicher Brüderlichkeitsethik«, und von einem »stufenförmigen Aufbau« mit dem geistlichen Weltmonarchen an der Spitze verhüllen die absolute Unkenntnis über das, was hinter diesem, teils den Ideologien der philosophischen Literatur, teils aber sehr modernen rationalistischen Organisationsbegriffen entnommenen Bilde an Realitäten wirklich stand. Denn diese sahen anders aus. Das wirklich Charakteristische an dem sog. Ständestaat war nicht etwa die »organische« Gliederung der Gesellschaft nach »natürlichen ökonomischen Berufsgruppen« oder gar der Aufbau der Wirtschaft auf dem »Prinzip der Solidarität«. Das, was die Wirtschaft im Ständestaat von der heutigen unterschied, waren Züge, die sich in aller Welt unter den denkbar verschiedensten politischen Verfassungen wiedergefunden haben. Diese Wirtschaftsformen machten, im Gegensatz zu den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen, den Ständestaat allerdings möglich, – was er heute nicht ist (ebenso wie sie anderwärts ganz anderen, heute nicht mehr möglichen Staatsformen die Voraussetzungen bereiteten). Aber sie schufen den Ständestaat nicht. Sondern etwas ganz anderes war dem nur in einem Teil von Europa zur vollen Ausbildung gelangten Ständestaat eigentümlich: die Aneignung politischer Rechte durch Einzelpersonen und Körperschaften nach Art des Privatbesitzes an sachlichen Gütern und: der Zusammentritt (nicht immer nur, aber immer: vornehmlich) dieser Privilegieninhaber zu gemeinsamen Tagungen behufs Ordnung politischer Angelegenheiten durch Kompromiß. Burgenbesitz und militärisch oder politisch oder finanziell wichtige Befugnisse aller denkbaren Art waren damals als erbliche Privilegien in ganz gleicher Art in den Händen einzelner, wie heute nur noch der König seine Krone hat. Das, was wir heute als Inhalt der einheitlichen »Staatsgewalt« anzusehen gewohnt sind, fiel dabei in ein Bündel von Einzelberechtigungen in verschiedenen Händen auseinander. Von einem »Staat« im modernen Sinn war da überhaupt noch keine Rede. Zu jeder politischen Aktion war vielmehr eine Einigung dieser gegeneinander prinzipiell selbständigen Inhaber von Prärogativen nötig, und dies herbeizuführen war der Zweck der Ständeversammlungen. Sie kannten daher, im Prinzip und ursprünglich, weder Abstimmungen noch einen für denjenigen, der nicht zustimmte, bindenden Beschluß, sondern als Form der Erledigung der Geschäfte den Vergleich (»Rezeß«, »Abschied«), im heutigen Sprachgebrauch: das Kompromiß, und zwar nicht nur zwischen den verschiedenen Ständegruppen, sondern ebenso innerhalb einer jeden von ihnen unter den einzelnen Privilegieninhabern. Man lese beliebige Akten solcher Versammlungen und frage sich dann: ob ein moderner Staat in solchen Formen regiert werden könne? Diese Formen aber sind gerade (bei aller Flüssigkeit im einzelnen) die wesentlichsten Bestandteile des Typus, der sich sofort zu ändern beginnt, wo die ultima ratio des Stimmzettels: dies wichtigste (wenn auch nicht einzige) Merkmal des modernen Parlaments, in diese Gebilde einzudringen beginnt. Damit erst entsteht die moderne rationale Form der staatlichen Willensbildung. Im konstitutionellen Staat ruht in entscheidenden Punkten auch heute noch das staatliche Handeln (z.+B. die Budgetfeststellung), im Rechtssinn und politisch, auf dem Kompromiß. Jedenfalls aber ist dies im Rechtssinne weder bei Wahlen noch bei Verhandlungen einer parlamentarischen Körperschaft der Fall und kann es auch gar nicht sein, ohne deren Bestand zu sprengen. Nur als das Kompromiß die rechtliche Grundlage politischen Handelns war, war auch die ständische Berufsgliederung ihrem Wesen nach am Platze. Nicht aber da, wo der Stimmzettel regiert: für eine Parlamentswahl.

Heute noch beherrscht ferner das Kompromiß, wie ehemals, als Erledigungsform die wirtschaftlichen Interessenkämpfe, vor allem zwischen Unternehmern und Arbeitern: es ist hier unvermeidlich die einzige endgültige Form des Austrags, und gerade dies gehört zum wesentlichen Charakter aller wirklich lebendigen wirtschaftlichen Interessentenvertretungen. Natürlich herrscht es auch in der parlamentarischen Politik, zwischen den Parteien: als Wahlkompromiß oder Kompromiß über Gesetzesvorlagen. Die Möglichkeit des letzteren gehört sogar, wie noch zu erörtern, zu den allerwichtigsten Vorzügen des Parlamentarismus. Aber, wohlgemerkt: immer mit der ultima ratio des Stimmzettels im Hintergrund. Das heißt also: unter dem Druck, daß in Ermanglung des Zustandekommens des Kompromisses die dann stattfindende Wahl oder Abstimmung ein vielleicht allen Beteiligten annähernd gleich unerwünschtes Resultat haben werde. Wirkliche und schätzungsweise Stimmen zählung gehört nun einmal zum eingeborenen Wesen des modernen Wahlkampfes sowohl als der parlamentarischen Geschäftsführung; daran werden unsere Romantiker mit ihrem Abscheu vor der »Ziffer« nichts ändern. Mögen sie der Politik fernbleiben, wenn ihnen das »Rechnen« ein allzu prosaisches Mittel scheint. Nichts anderes als eine mehr als gewöhnliche Dreistigkeit ist es aber, gerade das gleiche Wahlrecht als »Zifferndemokratie« zu verlästern zugunsten anderer, etwa »berufsständischer« Wahlen. Denn wie steht es mit den Ziffern bei diesen? Alles Gerede über die »organisch« sinnvolle Art der beruflichen oder sonstigen ständischen Gliederung ist in allen diesen Projekten nur Schaufenster. Wer nicht Phrasen, sondern Realitäten wünscht, hört darüber ganz hinweg und sieht sie sich stets nur darauf an: wie die Zahl der Mandate und Stimmen unter diese kunstvoll ersonnenen Gruppen verteilt werden soll. Denn da der Stimmzettel auch dort die ultima ratio bleibt, so ist dies an ihnen ganz allein wichtig: sie alle sind eben nichts anderes als: Wahlrechtsarithmetik. In dieser Wissenschaft hat insbesondere das Königlich Preußische Statistische Büro Übung. Die »Wahlrechtsreformprojekte« der letzten 30 Jahre, mit denen es sich zu befassen hatte, beruhten stets auf Berechnungen: wieviel Konservative, Zentrumsleute, Nationalliberale usw. ungefähr bei einem bestimmten Wahlmodus zu erzielen seien. Solche Ziffernkunststücke und ihre Produkte aber als das gegenüber der »Zifferndemokratie« Erhabenere anzusehen, – das wollen wir den Phraseologen und Literaten gern überlassen.

Es ist rein politisch kein bloßer Zufall, wenn heute das gleiche »Ziffernwahlrecht« überall im Vordringen ist. Denn diese Gleichheit des Stimmrechtes entspricht in ihrer »mechanischen« Natur dem Wesen des heutigen Staates. Dem modernen Staat erst gehört der Begriff des »Staatsbürgers« an. Und das gleiche Wahlrecht bedeutet zunächst schlechterdings nichts anderes als: daß an diesem Punkt des sozialen Lebens der einzelne einmal nicht, wie sonst überall, nach seiner Besonderung in beruflichen und familienhaften Stellungen und nach den Verschiedenheiten seiner materiellen oder sozialen Lage in Betracht kommt, sondern eben nur: als Staatsbürger. Die Einheit des Staatsvolks an Stelle der Gespaltenheit der privaten Lebenssphären kommt darin zum Ausdruck. Das hat mit einer Theorie von irgendeiner natürlichen »Gleichheit« der Menschen natürlich nicht das geringste zu schaffen. Seinem Sinne nach ist es gerade im Gegenteil ein gewisses Gegengewicht gegen die nicht durch natürliche Qualitäten, sondern, oft im schroffsten Mißverhältnis zu ihnen, durch gesellschaftliche Bedingungen, vor allem durch das Portemonnaie geschaffenen unvermeidlichen, aber in keinerlei natürlichen Unterschieden begründeten sozialen Ungleichheiten. Solange auch nur annähernd die heutige Gesellschaftsordnung besteht – und sie hat ein sehr zähes Leben –, wird die Ungleichheit der äußeren Lebenslage, vor allem des Besitzes, und werden die dadurch bedingten sozialen Abhängigkeitsverhältnisse zwar gemildert, aber nie ganz beseitigt werden können, die dadurch Privilegierten also auch ihren weit über ihre Zahl hinausgehenden Einfluß auf die Staatspolitik nie auch nur annähernd ganz einbüßen. Ebenso bedingt die Natur der modernen staatlichen und wirtschaftlichen Organisation dauernd die privilegierte Lage der Fachschulung und damit der (mit ihr nicht identischen, aber durch sie – auch rein erziehungstechnisch – geforderten) »Bildung«, dieses stärksten Elements ständischer Unterscheidung innerhalb der modernen Gesellschaft. Eben deshalb ist es sinnvoll, daß im parlamentarischen Wahlrecht hiergegen ein Äquivalent: die Gleichstellung der an Masse überlegenen sozial beherrschten gegenüber den privilegierten Schichten zum mindesten bei der Wahl der kontrollierenden und als Auslesestätte der Führer fungierenden Körperschaft geschaffen wird.

Und noch wesentlich gesteigert wird die Unentbehrlichkeit dieser Instanz, wenn wir einmal annehmen: es würde wirklich im Gefolge der Kriegswirtschaft eine dauernde weitgehende »Organisation« der Volkswirtschaft in Interessenverbänden unter Beteiligung von staatlichen Amtsstellen, also eine bürokratisch »beaufsichtigte« oder »mitverwaltete« oder sonst irgendwie mit den staatlichen Instanzen in feste dauernde Beziehungen gesetzte berufsgenossenschaftliche Regulierung der Wirtschaft (oder doch gewisser wichtiger ihrer Zweige) ins Leben treten. Hat sich eigentlich irgendeiner unserer dafür so kindlich begeisterten Literaten einmal überlegt, was dabei politisch herauskommen würde, wenn nicht gleichzeitig durch eine gewaltige Machtsteigerung des nicht berufsständisch organisierten Parlaments ein Gegengewicht geschaffen wird? Sie bilden sich ein: »der Staat« werde dann der weise Regulator der Wirtschaft. Umgekehrt! Die ihnen so verhaßten Bankiers und kapitalistischen Unternehmer würden die unbeschränkten und kontrollfreien Herren des Staates! Denn wer in aller Welt ist denn »der Staat« neben dieser Maschinerie von groß- und kleinkapitalistischen Kartellen aller Art, in denen die Wirtschaft »organisiert« ist, wenn seine eigene Willensbildung in die Hand eben dieser »genossenschaftlichen« Organisationen gelegt wird? Schon die Beteiligung des Staates am Kohlensyndikat und am Bergbau überhaupt bedeutet praktisch: daß der Fiskus interessiert ist nicht an der bestmöglichen Versorgung der Nation mit billiger Kohle, sondern an hoher Rente aus seinen Bergwerken, daß private und staatliche Zechen und Bürokratie in diesem Interesse identisch sind, gegenüber den Arbeitern sowohl wie gegenüber dem Kohlenverbraucher. Jeder weitere Fortschritt der staatlich geleiteten Kartellierung bedeutet selbstverständlich nichts anderes als eine weitere Propagierung dieses Tatbestandes. Mag sein, daß sie trotzdem unausweichlich ist, – das soll hier nicht erwogen werden. Aber welche unermeßliche Naivität zu glauben, dadurch würde die – in den Augen unserer Tintenfaß-Ideologen – so höchst verwerfliche Herrschaft des Interesses am »Profit« und an der Produktion von Gütern zu »Erwerbszwecken« beseitigt oder geschwächt zugunsten des »naturgemäßen«: des »gemeinwirtschaftlichen« Interesses an der möglichst besten, das heißt möglichst wohlfeilen und guten Versorgung der die Güter begehrenden und verbrauchenden Menschen? Welch abgründiger Unsinn! Jenes von den Kartellen vertretene kapitalistische Produzenten- und Erwerbsinteresse beherrschte dann den Staat selbst ganz ausschließlich. Es sei denn, daß jener Organisation der Produzenten-Interessen eine Macht gegenübergestellt wird, stark genug, um sie zu kontrollieren und entsprechend dem Bedarf der Bevölkerung zu lenken. Der Bedarf eines Menschen aber richtet sich nicht nach seiner Stellung im Mechanismus der Güter produktion. Der Arbeiter bedarf Brot, Wohnung, Kleidung ganz in gleicher Art, ganz gleichviel, in welcher Art von Fabrik er arbeitet. Gerade wenn also jene Organisation der Wirtschaft bevorsteht, ist es schlechthin notwendig, daß, ehe sie zu funktionieren beginnt, jetzt sofort also, ihr ein nicht nach der Art der Beschäftigung bei der Güterbeschaffung, sondern nach dem Prinzip der Vertretung des Massen bedarfs gewähltes Parlament: – ein Parlament des gleichen Wahlrechts – mit ganz souveräner Macht gegenübergestellt wird. Mit wesentlich souveränerer Macht als bisher, denn die bisherige Machtstellung hat nicht genügt, die naturgegebene Herrschaft des Fiskalismus in den Staatsbetrieben und die Macht der Erwerbsinteressenten zu brechen. – Dies ist ein negativer Grund für das gleiche Wahlrecht.

Positiv steht aber das gleiche Wahlrecht rein staatspolitisch in einer engen Beziehung zu jener Gleichheit gewisser Schicksale, die wiederum der moderne Staat als solcher schafft. »Gleich« sind die Menschen vor dem Tod. Annähernd gleich sind sie auch in den unentbehrlichsten Bedürfnissen des körperlichen Lebens. Eben dies Ordinärste und andererseits jenes pathetisch Erhabenste aber umfassen auch diejenigen Gleichheiten, welche der moderne Staat allen seinen Bürgern wirklich dauernd und unbezweifelbar bietet: die rein physische Sicherheit und das Existenzminimum zum Leben, und: das Schlachtfeld für den Tod. Alle Ungleichheiten der politischen Rechte der Vergangenheit führten letztlich auf ökonomisch bedingte Ungleichheit der militärischen Qualifikation zurück, welche im bürokratisierten Staat und Heer fehlen. Gegenüber der nivellierenden unentrinnbaren Herrschaft der Bürokratie, welche den modernen Begriff des »Staatsbürgers« erst hat entstehen lassen, ist das Machtmittel des Wahlzettels nun einmal das einzige, was den ihr Unterworfenen ein Minimum von Mitbestimmungsrecht über die Angelegenheiten jener Gemeinschaft, für die sie in den Tod gehen sollen, überhaupt in die Hand geben kann.

In Deutschland nun ist es das Reich, welches den Krieg führt, von den Einzelstaaten aber ist Preußen kraft seiner Stellung im Reich der für dessen Politik schlechthin ausschlaggebende Hegemoniestaat. An das Reich stellt daher der einzelne den Anspruch, daß es die Erfüllung wenigstens des absoluten Mindestmaßes von politischer Anstandspflicht gegenüber den heimkehrenden Kriegern seitens dieses Hegemoniestaates garantieren müsse. Keiner von ihnen darf – das ist ein Reichsinteresse – in dem ausschlaggebenden Einzelstaat gegenüber einem Daheimgebliebenen im politischen Wahlrecht zurückgesetzt sein, wie es bei jedem anderen als dem gleichen Wahlrecht unvermeidlich der Fall wäre. Die, wie es scheint, beabsichtigte Verknüpfung des Wahlrechts mit Aufenthaltsfristen, welche also die Entziehung des (jetzt in der dritten Klasse bestehenden) Wahlrechts der zu häufigem Ortswechsel genötigten Arbeiterschaft bedeuten würde, wäre eine Entrechtung der betreffenden Schichten von im Felde stehenden Proletariern! Bei der großen Umschichtung der Wirtschaft würde bei den nächsten Wahlen vielleicht die Mehrzahl aller Arbeiter die Arbeitsstelle neu suchen müssen, also das Wahlrecht verlieren!. Die Forderung ist rein staatspolitischen, nicht parteipolitischen Charakters. Wir kennen ja die Stimmung und politische Gesinnung gar nicht, welche die heimkehrenden Krieger erfüllen wird. Vielleicht wird sie sehr »autoritär« sein. Denn starke »konservative« Parteien wird es immer geben, weil es immer autoritär gestimmte Menschen geben wird. Dann mögen sie mit dem Wahlzettel in der Hand den Staat nach ihren Idealen aufbauen, und wir Daheimgebliebenen werden an unseres Tages Arbeit gehen. Nur der schamlose Widerstand der »Heimkämpfer« gegen die Erfüllung jener elementaren Anstandspflicht wird hier bekämpft. Dafür, daß die Bäume der veralteten, negativen, nur die Freiheit vom Staat fordernden Demokratie nicht in den Himmel wachsen, sorgen die unerbittlichen Realitäten der Gegenwart und würde am besten die selbstverantwortliche Beteiligung der parlamentarischen Parteiführer an der Macht im Staate sorgen. Gerade die Erfahrungen dieses Krieges haben (auch jetzt in Rußland) gezeigt, was schon einmal betont wurde: daß keine Partei, welchen Programms auch immer, die effektive Leitung eines Staates in die Hand bekommt, ohne national zu werden. Das würden wir bei uns ganz ebenso erleben, wie man es überall erlebt hat. Weil sie von der Staatslenkung nicht ausgeschlossen waren, waren die sozialistischen Parteien anderer Staaten »nationaler« als (damals) die unsrige. Welches aber auch immer die Stimmung der heimkehrenden Krieger sein wird, – jedenfalls bringen sie Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen mit, welche nur sie gehabt haben. Was wir von ihnen vor allem erwarten zu dürfen glauben, ist einmal ein mindestens relativ größeres Maß von Sachlichkeit. Denn im Höchstmaß sachlich sind die Aufgaben, welche der moderne Krieg stellt. Und ferner: ein größeres Maß von Gefeitheit gegen bloße Literatenphrasen, gleichviel welcher Partei. Dagegen hat die Kriegszeit innerhalb der Daheimgebliebenen, vor allem der Besitzenden und der Literatenschichten, ein so widerwärtiges Bild fehlender Sachlichkeit, mangelnden politischen Augenmaßes und geflissentlich genährter Verblendung gegen die Realitäten offenbart, daß hier nur gelten kann: »Du hast ausgeläutet, herunter vom Glockenturm«! Zum mindesten die Neuordnung des Wahlrechtes aber muß schon während des Krieges erfolgen. Denn die heimkehrenden Krieger dürfen nicht in die Notwendigkeit versetzt werden, zunächst in sterilen inneren Kämpfen um Wahlrechte sich die Machtmittel zu verschaffen, in dem Staat, dessen Existenz sie verteidigt haben, maßgebend mitreden zu dürfen. Sie müssen eine solche Ordnung der rein formalen politischen Rechte bereits vorfinden, daß sie unmittelbar Hand an den materiellen Neuaufbau seiner Struktur legen können. Dies ist das rein praktisch entscheidende Argument für das gleiche Wahlrecht in Preußen und seine alsbaldige Einführung gerade jetzt, ehe der Krieg zu Ende gegangen ist. –

Wir kennen ja nun alle die Phrasen, mit welchen demgegenüber die Interessenten den Spießbürger, zumal: den Literaten, zu schrecken suchen. Vor allem: die Angst vor der Zerstörung der angeblich »vornehmen« und daher kulturfördernden »Traditionen« und auch der vermeintlich unergründlichen politischen Weisheit der den Staat beherrschenden, angeblich »aristokratischen« Schichten durch die »Demokratie«. Gehen wir einmal auf den wirklichen Kern dieser Argumente ein, obwohl sie von der Wahlrechtsfrage als solcher zunächst abführen.

Es ist unzweifelhaft, daß eine echte Aristokratie recht wohl ein ganzes Volk im Sinn und in der Richtung ihres Vornehmheitsideals zu prägen vermag. Denn die plebejischen Schichten ahmen ihre »Geste« nach. Und sie kann ferner, den Vorteil der festen Tradition und des sozial weiten Horizonts mit dem Vorteil der »kleinen Zahl« verbindend, als Leiterin eines Staatswesens politisch hochwertige Erfolge erzielen. Die Herrschaft einer Aristokratie mit politischen Traditionen hat vor demokratischen Herrschaftsformen ferner einen staatspolitischen Vorzug: die geringere Abhängigkeit von emotionalen Momenten. Anders ausgedrückt: den durchschnittlich kühleren Kopf, der das Produkt einer bewußt durchgeformten Lebensführung und durch Erziehung auf »Contenance« eingestellten Haltung ist. Sie hat die Gabe schweigenden Handelns regelmäßig in wesentlich höherem Maße als sowohl die demokratischen Massen, wie auch – was von Schmeichlern meist verschwiegen wird, obwohl es weit schlimmer wirkt – die nichtparlamentarischen modernen Monarchen. Alle nichtparlamentarischen modernen Monarchen sind der Gefahr ausgesetzt: zu glauben, sie müßten im Interesse ihres Prestiges ähnlich für ihre Person durch Reden sozusagen Reklame machen, wie es demokratische Führer im Klassenstaat für ihre Partei im Interesse der Werbung zu tun gezwungen sind. Ein Volk kann daher dem Himmel danken, wenn seinem Monarchen die staatspolitisch höchst unwillkommene Gabe und das Bedürfnis der persönlichen Rede versagt ist. Und das parlamentarische System hat eine seiner Stärken darin, daß es den Monarchen vor dieser Bloßstellung seiner Person bewahrt. Einer alten politischen Aristokratie liegt diese Gefahr am fernsten. Und sie verbindet mit diesem Vorzug die Fähigkeit der Geschmackskultur. Demokratische Parvenüstaaten, wie der italienische, pflegen von ihr ebenso entblößt zu sein wie neu entstandene Monarchien. Wenn die furchtbare Barbarei der pietätlosen – dabei durch antiklerikale Tendenz gegen »peinliche«, das heißt beschämende, »Erinnerungen« eingegebenen – Verunstaltung Roms dem italienischen großen Lyriker Carducci den Wunsch entlockte: es möchte der Kirchenstaat einmal auf einen Monat hergestellt werden, um die hohle Theatralik und den Ungeschmack der »terza Roma« hinwegzufegen, so ist das seiner kargen Schlichtheit entkleidete Berlin mit seinem elenden Dom, seinem Scheusal von Bismarck-Denkmal und manchem andern, verglichen etwa mit München oder Wien, aber auch mit vielen kleineren Residenzen, ein solches Monument banalen Pseudomonumentalismus, daß man mit Schaudern an das Geschmacksurteil der Nachwelt über dies Menschenalter deutscher Geschichte und mit Scham an eine Künstlergeneration denkt, die sich dafür hergegeben hat, und an ein Publikum, welches dem nicht entgegentrat. Jedenfalls aber erbringt diese: Verunstaltung den Beweis: daß die Monarchie an sich wahrlich nicht die geringste Garantie, oft eine Gefährdung künstlerischer Geschmackskultur bietet. Während das Bismarck-Denkmal Hamburgs, die einzige vollwertige Monumentalleistung Deutschlands, für immer dem Hamburger Patriziat zur Ehre gereicht und unseren blöden Literaten zeigen kann, daß »Kapitalismus« und »Kunst« nicht notwendig in jener natürlichen Feindschaft leben, die man ihnen andichtet. Für die Demokratien aber erbringen italienische Gewerkschaftshäuser den gleichen Beweis, im übrigen: Städte wie Zürich. Hohe Geschmackskultur, wie sie einer fest gefügten und selbstsicheren alten Aristokratie oder einer deren Traditionen nachahmenden Demokratie am ehesten eignet, ist aber auch rein staatspolitisch keineswegs gleichgültig: das Prestige Frankreichs in der ganzen Welt beruht auf dem Schatz, den es aus seiner aristokratischen Vergangenheit herübergerettet und, bei höchst üblem Verfall der offiziellen Kunstpflege, eben doch in den intimen Kreisen seines Kunstschaffens und der ästhetischen Durchgeformtheit des französischen Menschentypus weitergepflegt hat. Hier hat die Demokratisierung wenigstens partiell zur Propagierung der alten exklusiven Geschmackskultur geführt, wie es für den italienischen Menschentypus gerade der Unterschichten in anderer Art ebenfalls gilt. –

Fassen wir auch für Deutschland dies Problem ganz prinzipiell und zunächst von der hier besprochenen Wahlrechtsfrage ganz unabhängig. Da fragt es sich nun zunächst: wo ist denn die deutsche Aristokratie mit ihrer »vornehmen« Tradition? Gäbe es sie, – dann wäre zu diskutieren. Aber sie ist ja, außerhalb einiger Fürstenhöfe (gerade kleinerer) einfach nicht da. Denn was bedeutet: Aristokratie, oder vielmehr: welche Bedingungen sind gefordert, damit eine Schicht – gleichviel, ob im Wesen feudal (»Adel«) oder bürgerlich (»Patriziat«) – als Aristokratie im politischen Sinne des Wortes fungieren und politisch nutzbar gemacht werden kann? Vor allem anderen: eine ökonomisch sturmfreie Existenz. Ein Aristokrat muß, das ist ja die allerelementarste Vorbedingung, für den Staat leben können, nicht von ihm leben müssen. Die bloß äußerliche Tatsache des Besitzes solcher Einnahmen, daß ihm der Verzicht auf ein Ministergehalt nicht allzu schwer fällt, entscheidet dabei noch nicht. Er muß vor allem »ökonomisch abkömmlich« sein, um äußerlich, und vor allem auch innerlich, für politische Zwecke zur Verfügung zu stehen. Das heißt: die Arbeit im Dienst eines wirtschaftlichen Betriebes darf ihn nicht, oder jedenfalls nicht erschöpfend, in Anspruch nehmen. Von allen privatwirtschaftlichen, auf scharfe eigene geistige Arbeit zugeschnittenen Erwerbsarten ist der Advokatenberuf derjenige, welcher am relativ ehesten den, der ihn ausübt, für politische Zwecke abkömmlich bleiben läßt (durch die Möglichkeit der Assoziation oder des Engagements von Vertretern und das Fehlen des Kapitalrisikos) und – weil der Advokat über Rechtskenntnis und Erfahrung in der Alltagspraxis der Lebensbedürfnisse, überdies aber über ein organisiertes Büro verfügt – ihn in allen Demokratien sehr stark in der politischen Laufbahn begünstigt, ihm auch im Falle von Wahlmißerfolgen den Wiedereintritt in die Leitung seines Betriebes relativ sehr erleichtert. Man hat über die Bedeutung der Advokaten in zahlreichen Demokratien sehr gescholten, und zumal die niedrige soziale Schätzung des Anwaltes bei uns ist für dies Urteil bestimmend gewesen. Außerdem der nicht selten berechtigte Vorwurf des »Formalismus« in der Behandlung politischer Probleme. Allein der Formalismus gehört zum Wesen aller juristischen Schulung, auch der des Richters und Verwaltungsbeamten, wenn man nicht die Willkür züchten will. Andererseits aber bedeutet die Advokatenarbeit im Gegensatz zu der des Richters und Beamten eine Schulung zum »Kampf mit dem Wort«: die starke Überlegenheit unserer Feinde über uns in der politischen Werbearbeit, und überhaupt in der Benutzung der wichtigen Waffe des Wortes ist durch jenen Mangel an Advokatenschulung (die durchaus vornehmen Niveaus sein kann) bedingt, der jeder reinen Beamtenregierung gegenüber den Advokatenministern der Demokratien anhaftet. Wer also eine Änderung darin wünscht, muß das Mittel: Vermehrung des politischen Einflusses der Advokaten durch Steigerung ihrer politischen Chancen, in den Kauf nehmen. Von dem Wesen des wirklich großen Advokatenberufes hat freilich der Deutsche, vor allem der Literat, dessen Vorstellung an Schöffengerichts- oder Eheprozessen oder kleinen Ärgernissen des Alltags, die ihn zum Advokaten führten, orientiert ist, im allgemeinen keinerlei Ahnung. Wer ihn kennt, weiß, daß er die Krone aller juristischen Arbeit nicht nur, sondern auch aller freien Vertrauensstellungen ist und an geistiger Intensität und Verantwortlichkeit hoch über der meisten juristischen Arbeit steht. Das Beamtentum haßt selbstverständlich den Advokaten als lästigen Mittelsmann und Querulanten und daneben aus Ressentiment gegen seine Erwerbschancen. Es ist gewiß nicht erwünscht, daß Parlamente und Kabinette ganz und gar von Advokaten regiert werden. Aber ein kräftiger Einschlag vornehmen Advokatentums wäre jedem modernen Parlament zu wünschen. – Immerhin: eine »Aristokratie« bildet die heutige Anwaltschaft jetzt nicht einmal in England mehr. Sondern einen bürgerlichen Erwerbsstand: freilich einen solchen, der politisch abkömmlich ist.

Niemals ist dagegen ein moderner Unternehmer ein »Aristokrat« im politischen Sinne des Wortes. Er ist im Gegensatz zum Advokaten spezifisch unabkömmlich, und zwar je größer und also ihn in Anspruch nehmender der Betrieb ist, desto mehr. Das alte Handelspatriziat der Städterepubliken war eine Schicht von Gelegenheitsunternehmern, im übrigen aber: von Rentnern; darauf beruhte seine politische Brauchbarkeit. Ein moderner Fabrikant, an die stetige, scharfe, aufreibende Arbeit seines Betriebes gefesselt, ist von allen Vertretern besitzender Schichten der für Politik unabkömmlichste Typus. Darauf vor allen Dingen beruht die im Verhältnis zur ökonomischen Wichtigkeit und praktischen Intelligenz dieser Schicht relativ unvermeidlich geringe Bedeutung ihrer Mitglieder für die politische sowohl wie für die Arbeit der Selbstverwaltung. Nicht wie der übliche stupide Literatenmoralismus schwätzt – geringerer »Opfersinn« oder »Mammonismus«, sondern die dem bürgerlichkapitalistischen Betrieb und Erwerb immanente äußere Arbeitsgebundenheit und innere Pflichtgebundenheit an den Betrieb entscheidet darüber. Der Saisoncharakter der Landwirtschaft läßt immerhin wenigstens die Wintermonate für die politische Arbeit frei. Aber: bei allen in den ökonomischen Interessenkampf als Unternehmer unmittelbar verflochtenen Schichten fehlt etwas anderes, noch Wichtigeres: die, sozusagen, innerliche Abkömmlichkeit, die Distanz von privatwirtschaftlichen Alltagsinteressen kämpfen. Stets ist der moderne Unternehmer, auch der landwirtschaftliche, im Gegensatz zum Advokaten, viel zu unmittelbar in diesen Kampf verflochtener Interessent, um politisch verwertbar zu sein.

Die hinlängliche Distanz vom ökonomischen Interessenkampf besitzt seit jeher nur: der Großrentner. Vor allem der ganz große Grundherr (Standesherr). Aber auch der große Rentenvermögensbesitzer überhaupt. Ihm allein eignet die nötige relativ weitgehende Entrücktheit aus dem ökonomischen Alltagskampf, den jeder Unternehmer um sein Dasein, seine ökonomische Macht, den Bestand seines Betriebes unausgesetzt zu führen hat. Die demgegenüber weit größere Sturmfreiheit der Existenz des Großrentners, die – auch wo er Großunternehmungen zu seinen Rentenquellen zählt – weit größere Distanz zum Alltag des Betriebs setzt äußerlich und innerlich seine Kräfte für politische – Staats- und kulturpolitische – Interessen, für »weltmännische« Lebensführung, Mäzenatentum und Erwerb von Weltkenntnis großen Stils frei. Nicht, daß er etwa in einem ökonomisch »interessenleeren Raum« lebte. Derartiges gibt es nicht. Aber er steht nicht im Alltagskampf um die Existenz seines Betriebes, ist nicht Organ eines solchen, ist nicht Träger plutokratischer Klasseninteressen, weil er dem aktuellen Interessen kampf entrückt ist. Nur eine Schicht dieser Struktur könnte heute auf das Prädikat einer »Aristokratie« im Sinn einer spezifischen ökonomischen Qualifiziertheit Anspruch erheben.

Von der Bedeutung dieser ökonomischen Qualifikation kann man sich schon im kleinen leicht überzeugen. Nehmen wir ein Beispiel: Jedermann weiß, um ein Alltagsbeispiel zu wählen, was für den Geist eines Offizierkorps ein »nervöser« Regimentskommandeur bedeutet. Nun, – diese »Nervosität« ist (bei sonst gleichen Verhältnissen) in typischer Art Folge der ökonomischen Lage: der Vermögenslosigkeit, die den Kommandeur für den Fall der Verabschiedung mit seiner an soziale Ansprüche gewöhnten Familie vor eine schäbige Zukunft stellt, ihn daher in seinem dienstlichen Verhalten bedrückt und belastet und es ihm im Vergleich mit einem vermögenden Kommandeur unendlich erschwert, die Ruhe zu bewahren und – ein praktisch sehr wichtiger Punkt – die Interessen seiner Untergebenen nach oben rücksichtslos zu vertreten. Jeder Offizier mit offenen Augen wird diese Erfahrung gemacht haben, die durch Einzelbeispiele zu illustrieren wohl unnötig ist. Und ähnlich steht es auf anderen Gebieten. Viele der sozialpolitisch charaktervollsten Figuren unseres Beamtentums – z.+B. in den Fabrikinspektionen – waren vermögende Männer, welche eben um deswillen nicht nötig hatten, sich jedem Luftzug der Interessenten zu beugen, sondern ihr Amt einsetzten, wenn ihnen Zumutungen gestellt wurden, die sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnten. Die Bedeutung Paul Singers und seine Stellung innerhalb der Sozialdemokratie war, angesichts seiner intellektuell schließlich doch recht begrenzten Begabung, in starkem Maß Funktion seines Vermögens, welches ihm erlaubte, für die Partei zu leben – wie er es getan hat –, statt daß er von ihr hätte leben müssen. »Politischer Charakter« ist nun einmal billiger für den vermögenden Mann, daran kann kein Moralismus etwas ändern. Und es handelt sich keineswegs nur um Charakter »nach oben«. Die relativ größere Zugänglichkeit der besitzlos im Alltagskampf um ihr Dasein ringenden Massen für alle emotionellen Motive in der Politik: für Leidenschaften und Augenblickseindrücke sensationeller Art, gegenüber dem »kühleren Kopf« des dieser Sorge enthobenen Besitzenden läßt es dringend erwünscht erscheinen, daß gerade demokratische Parteien auch Leute in gesicherter ökonomischer Lage, die aus rein persönlicher Überzeugung sich der politischen Arbeit widmen, in ihrer Leitung zählen, um gegen diese Einflüsse ein Gegengewicht zu haben, welches das Partei beamtentum als solches nicht immer zu bieten vermag. Die emotionalen Qualitäten der Masse sind zwar, weil sie nicht unmittelbar in die Politik einzugreifen vermag, und weil ihr Verhalten leichter vergessen wird, bei weitem nicht so gefährlich wie die emotionalen Qualitäten der Monarchen, welche durch erregte und unvorsichtige Telegramme und Reden die politische Lage einer Nation auf Jahrzehnte hinaus kompromittieren können. Aber vorhanden sind sie auch, und auch ihnen gegenüber ist »politischer Charakter« und kühle Überlegung unter sonst gleichen Verhältnissen billiger für den besitzenden Mann. Es ist eine wichtige Zukunftsfrage: ob auch die in ihrer Vermögenslage unabhängigen Besitzenden, die nun einmal dasein werden, solange es eine Privateigentumsordnung gibt, in den Dienst der politischen, und zwar gerade auch der demokratischen parteipolitischen Arbeit treten. Das leicht entstehende Ressentiment des schwer um sein Brot arbeitenden und auf sein Gehalt angewiesenen Parteibeamten gegen solche Elemente darf die Parteien nicht hindern, die Lehren, welche die Erfahrung in dieser Hinsicht gibt, zu beherzigen. Andererseits ist jenes Ressentiment des Partei- und Genossenschaftsbeamtentums das ganz geeignete Gegengewicht gegen die Gefahr, daß eine »plutokratische« Leitung der Parteien aus jener Lage entstehen könnte. Die Erfahrungen der russischen demokratischen Parteien, bis zur äußersten Linken hin, bei denen Fürstentöchter mit auf den Barrikaden gefochten und Mäzenaten größten Stils die Mittel für die Volksbewegung aufgebracht haben, zeigen, daß der Spielraum, welchen das ökonomische Eigeninteresse besitzender Ideologen für die idealistische Betätigung zuverlässig »demokratischer« Gesinnung offenläßt, weit größer ist als bei irgendeiner, sozial angesehen, plebejischeren, aber dabei in den Interessenkampf unmittelbar verstrickten Schicht, weil ihre Vermögenslage ihnen nicht die Richtlinien ihres politischen Verhaltens weisen muß, sondern Rückhalt für politisch selbständige Überzeugung sein kann. Rein äußerlich leisten diesen Dienst die prosaischen Rentenpapiere ihrem Besitzer ebensogut wie etwa der Besitz einer Standesherrschaft. Aber allerdings schult diese durch die Art der im großen disponierenden Aufgaben, vor welche sie den Inhaber stellt, und durch den Resonanzboden der Herrenstellung, ihn unter sonst gleichen Umständen in einer weit spezifischeren Art für politisches Handeln, als die Couponschere und der rein konsumtive Stadthaushalt eines [Wert-]Papierrentners es zu tun vermögen. Kein Zweifel also: eine Grundherrenschicht, wie sie in England bestand und wie sie ähnlich den Kern des altrömischen Senatsadels ausmachte, ist staatspolitisch ein durch nichts zu ersetzender Träger von politischer Tradition, Schulung und Temperierung. Aber wo ist sie bei uns? Wie viele solcher Standesherren gibt es in Deutschland, insbesondere in Preußen? Wo ist ihre politische Tradition? So gut wie nichts bedeuten sie politisch, und am allerwenigsten in Preußen. Und es scheint denn doch klar, daß eine staatliche Politik mit dem Ziel der Züchtung einer solchen wirklich aristokratischen Großrentnerschicht heute ein Ding der Unmöglichkeit ist. Mag es auch möglich sein, auf Waldboden – dem einzigen zur Fideikommißbildung sozialpolitisch qualifizierten Grundbesitz – noch eine Anzahl großer Standesherrschaften entstehen zu lassen, so wäre es doch ausgeschlossen, dadurch Resultate zu erzielen, die quantitativ ins Gewicht fallen. Und das war ja die tiefste innere Unwahrhaftigkeit des Anfang 1917 in Preußen beratenen Fideikommißgesetzentwurfs: daß er dies adäquate Institut eines standesherrlichen Besitzes auf den Mittelstand des durchschnittlichen ostelbischen Rittergutsbesitzers erstrecken und dadurch Existenzen zu einer »Aristokratie« aufblasen wollte, die nun einmal keine sind und auch keine sein können. Wer die viel (und oft zu Unrecht) geschmähten und ebensoviel (und ebenso zu Unrecht) verhimmelten »Junker« des Ostens kennt, wird gewiß rein persönlich seine Freude an ihnen haben müssen: auf der Jagd, beim guten Trunk, bei der Karte, in der Gastlichkeit des Gutshofs: da ist alles echt. Unecht wird alles erst, wenn man diese schon rein ökonomisch auf landwirtschaftliche Unternehmerarbeit und auf den Interessenkampf – einen so rücksichtslosen sozialen und ökonomischen Interessenkampf wie nur irgendein Fabrikant – angewiesene, also dem Wesen nach »bürgerliche« Unternehmerschicht als »Aristokratie« stilisiert. Zehn Minuten im Kreise on ihresgleichen genügen, um zu sehen: daß sie Plebejer sind, gerade und vor allem in ihren Tugenden, die durchaus massiv plebejischen Charakters sind. Ein ostdeutsches Rittergut » trägt heute keine Herrschaft«, wie sich der Minister von Miquell einmal (privatim!) ganz richtig ausdrückte. Versucht man eine solche heute auf schlichte bürgerlich-kapitalistische Arbeit hingewiesene Schicht zu einer »Aristokratie« zu stempeln mit feudalen Gesten und Prätensionen, so wird daraus unweigerlich nur eines: eine Parvenüphysiognomie. Diejenigen Züge unseres politischen und sonstigen Auftretens in der Welt, welche diesen Charakter tragen, sind zwar nicht nur, aber immerhin auch dadurch mitbedingt, daß man diese Ansprüche, eine Aristokratie zu spielen, Schichten eingeflößt hat, denen dazu nun einmal die Qualifikation fehlt.

Nicht nur gerade dieser Schicht. Denn das Fehlen von Formen weltmännischer Erziehung bei uns ist natürlich keineswegs nur durch die Physiognomie gerade der Junker, sondern durch den penetrant bürgerlicher Charakter aller derjenigen Schichten gegeben, welche die spezifischen Träger des preußischen Staatswesens in den Zeiten seines ärmlichen, aber glorreichen Aufstiegs gewesen sind. Die alten Offiziersfamilien, welche in ihren oft überaus dürftigen Verhältnissen hochehrenwert die Tradition des altpreußischen Heeres pflegen, die gleichartigen Beamtenfamilien sind – einerlei, ob adlig oder nicht – ökonomisch und sozial ebenso wie nach ihrem Horizont ein bürgerlicher Mittelstand. Die gesellschaftlichen Formen des deutschen Offizierkorps sind innerhalb seines Kreises im allgemeinen durchaus dem Charakter der Schicht angemessen und gleichen in ihren entscheidenden Zügen denen der Offizierkorps der Demokratien (Frankreich, auch Italien) durchaus. Sie werden aber allerdings sofort zur Karikatur, wenn sie über diesen Kreis hinaus von nichtmilitärischen Kreisen als vorbildlich behandelt werden. Vor allem dann: wenn sie eine Mischehe eingehen mit gesellschaftlichen Formen, welche dem Pennalismus der Beamtenschulen entstammen. Und das ist bei uns der Fall.

Das studentische Couleurwesen ist bekanntlich die typische soziale Erziehungsform des Nachwuchses für die nichtmilitärischen Ämter, Pfründen und »freien« sozial gehobenen Berufsstellungen. Die »akademische Freiheit« des Paukens, Trinkens, Schwänzens entstammt Zeiten, wo andere Freiheiten irgendwelcher Art bei uns nicht existierten und wo nur diese Literatenschicht der Amtsanwärter mit eben jenen Freiheiten privilegiert war. Der Einschlag aber, welchen die damals entstandenen Konventionen in der »Geste« des in Deutschland von jeher und noch immer zunehmend wichtigen »Prüfungsdiplommenschen« hinterlassen haben, ist noch heute nicht zu beseitigen. Die studentischen Couleuren selbst würden auch dann schwerlich verschwinden, wenn heute nicht schon die Hypotheken auf den Couleurhäusern und die Notwendigkeit für die »Alten Herren«, sie zu verzinsen, für ihre ökonomische Unsterblichkeit hinlänglich Sorge trügen. Im Gegenteil dehnt sich das Couleurwesen stetig weiter aus. Einfach deshalb, weil das Konnexionswesen der Couleuren heute eine spezifische Form der Auslese der Beamten ist und weil die Reserveoffizierqualität und die dazu erforderliche, durch das Couleurband sichtbar verbriefte »Satisfaktionsfähigkeit« den Zutritt zur »Gesellschaft« öffnet. Zwar der Trinkzwang und die Mensurentechnik der Couleuren werden zunehmend den Bedürfnissen der schwächlicheren Konstitution der um der Konnexionen willen immer zahlreicheren Reflektanten auf das Couleurband angepaßt: es gibt angeblich jetzt Teatotaler in einigen Korps. Aber das Entscheidende: die geistige Inzucht (eigene Lesezimmer in den Couleurhäusern, besondere, nur von »Alten Herren« mit einer unsäglich subaltern-kleinbürgerlichen Art von gutgemeinter »patriotischer« Politik versorgte Couleurblätter, Perhorreszierung oder doch sehr große Erschwerung des Verkehrs mit Gleichaltrigen anderen gesellschaftlichen oder geistigen Gepräges) ist in den letzten Jahrzehnten stetig gesteigert worden. Dabei ergreift die Couleurkonnexion stets weitere Kreise. Ein Kommis, der auf Reserveoffizierqualitäten und das durch sie gebotene Konnubium mit der »Gesellschaft« (der Tochter des Chefs vor allem) reflektiert, besucht eine jener Handelshochschulen, welche um eben dieses Verbindungstreibens willen einen guten Teil ihres Zulaufs finden. Wie immer man nun alle diese studentischen Gebilde an sich beurteilen mag – und der Maßstab des Moralismus ist nicht der des Politikers –, jedenfalls bieten sie keine weltmännische Erziehung, sondern mit ihrem schließlich doch unleugbar banalen Pennalismus und ihren subalternen sozialen Formen so ziemlich das gerade Gegenteil davon. Der stumpfsinnigste angelsächsische Klub bietet gerade davon mehr, so »leer« man an sich z.+B. den Sportbetrieb, in dem er sich nicht selten erschöpft, finden mag. Vor allen Dingen deshalb, weil er bei oft sehr strenger Auslese doch stets auf dem Prinzip der strengen Gleichheit des Gentleman aufgebaut ist und nicht auf demjenigen des Pennalismus, welchen die Bürokratie an unseren Couleuren als Propädeutik für die Disziplin im Amt so außerordentlich schätzt und durch dessen Pflege die Couleuren sich nach oben zu empfehlen nicht versäumen. In der deutschen Korpszeitung Nr. 428 (hier zitiert nach der Wiedergabe von Prof. A. Messer, Gießen, in der »Weserzeitung« vom 2.6.17) heißt es bei der Kritik »moderner« Reformvorschläge: »Die Vorschläge berücksichtigen überhaupt nicht das wechselnde Material von Füchsen und überhaupt Aktiven bei jedem Bunde. Um eins herauszugreifen: Kein Trinkzwang! Kein Resttrinkenlassen! Kein Vollpumpen! Derartige Kneipen habe ich ohne vorhergegangene Reformen oft genug bei den verschiedensten Korps erlebt, manchmal semesterlang. Und später bei denselben Bünden Abende, an denen alles rollte. Es warn eben andere da, und die hielten eben Vieltrinken für schön und angenehm, sehr oft aber auch für notwendig. Und die Möglichkeit des Vieltrinkens und des Vieltrinkenlassens ist auch notwendig. Verbieten wir das Resttrinkenlassen, so kann jederzeit jeder trinkfeste Fuchs jeden weniger vertragenden Korpsburschen in Grund und Boden trinken, und die Autorität ist hin, oder aber wir schaffen die Bierehrlichkeit und damit die Grundlage jeder Kneipgemütlichkeit ab. Verbieten wir das Vollpumpen, so geben wir ein Erziehungsmittel aus der Hand! Ich bitte diese Worte nicht aus dem Zusammenhang gerissen zu zitieren. Unser Korpsleben soll doch eine Kette von Erziehungsversuchen darstellen. Und jeder Korpsstudent wird bestätigen, daß er nie mehr im Leben so deutlich, so ungeschminkt, so unglaublich grob manchmal die Wahrheit zu hören bekam wie im Korps. Und wie kam's, daß er sich das gefallen ließ? So lächerlich es klingt: Infolge der Kneipe! Die Kneipe ist für uns, was der vielgelästerte Kasernenhofdrill, der Parademarsch für den Soldaten. So wie dort das hundertmal wiederholte ›Knie beugt!‹ nacheinander Faulheit, Wurstigkeit, Trotz, Wut, Schlappheit und Ermattung überwindet und aus dem Gefühl hilfloser Ohnmacht und völliger Willenlosigkeit vor dem Vorgesetzten die Disziplin hervorgehen läßt, so bietet bei uns das ›Rest weg!‹ dem Älteren vor dem Jüngeren immer Gelegenheit, seine unbedingte Überlegenheit zu zeigen, zu strafen, Abstand zu wahren, die Atmosphäre zu erhalten, die für das ständige Erziehungswerk des Korps unbedingtes Erfordernis ist, wollen wir nicht Klubs werden. Das ›Rest weg!‹ ist natürlich nicht immer, nicht bei jedem angebracht, aber es muß über der Kneipe schweben, wie das ›Knie beugt!‹ über jedem Kasernenhof. Auf beiden kann es trotzdem urgemütlich zugehen.«

Jedenfalls erziehen die formelhaften Konventionen und erzieht vollends der Pennalismus dieser sog. »akademischen Freiheit«, welche den Amtsreflektanten aufgenötigt werden, nur um so weniger einen aristokratischen Weltmann, je mehr sie sich zu einem Protzen mit dem Geldbeutel – der Eltern ausgestalten, wie es unvermeidlich geschieht, wo immer es die Verhältnisse gestatten. Wenn der junge Mensch, der in diese Schule gerät, nicht ein ungewöhnlich selbständiger Charakter und ein sehr freier Geist ist, so werden an ihm jene fatalen Züge eines lackierten Plebejers entwickelt, die wir so oft an ihren Vertretern, auch sonst recht tüchtigen, beobachten. Denn durchaus plebejisch und fern von allen in gleichviel welchem Sinne »aristokratischen« sind diejenigen Interessen, welche von diesen Gemeinschaften gepflegt werden. Und der entscheidende Punkt liegt auch hier eben darin, daß ein seinem Wesen nach plebejisches, aber da, wo es unbefangen nur jugendlichen Überschwang suchte, unschädliches Scholarentreiben heute die Prätension erhebt, ein Mittel aristokratischer, zur Führung im Staat qualifizierender » Erziehung« zu sein. Der geradezu unglaubliche Widerspruch, der darin liegt, rächt sich darin, daß als Resultat – eine Parvenüphysiognomie entsteht.

Man hüte sich doch sehr, diese Parvenüzüge im deutschen Angesicht für politisch so ganz gleichgültig zu halten. Nehmen wir gleich ein Beispiel: »Moralische Eroberungen« bei Feinden, d.+h. Interessengegnern, zu machen, ist ein eitles, von Bismarck mit Recht verspottetes Treiben. Aber: bei Bundesgenossen, jetzigen oder künftigen? Unsere österreichischen Bundesgenossen und wir sind politisch dauernd aufeinander angewiesen. Das ist ihnen wie uns bekannt. Ohne große Torheiten droht da keinerlei Gefahr eines Bruches. Die deutsche Leistung wird von ihnen – auch ohne daß immer so viel davon bei uns geredet wird, ja dann noch leichter! – rückhaltlos und neidlos anerkannt (von den sachlichen Schwierigkeiten, welche sie ihrerseits haben und die Deutschland erspart sind, hat man bei uns nicht überall die richtige Vorstellung und daher nicht immer die entsprechende Wertschätzung ihrer Leistung). Aber was jedermann in der ganzen Welt weiß, muß offen auch hier gesagt werden: was von ihnen und von allen anderen Völkern, mit denen wir je Freundschaft wünschen könnten, nicht ertragen werden würde, wären Parvenümanieren, wie sie gerade neuerdings wieder in unerträglicher Art sich breitmachen. Derartiges wird auf die stumme, höfliche, aber bestimmte Ablehnung jedes Volkes mit alter, guter, gesellschaftlicher Erziehung stoßen, wie es z.+B. die Österreicher nun einmal sind. Von schlecht erzogenen Parvenüs will keiner regiert sein. Jeder Schritt über das außenpolitisch absolut Unentbehrliche hinaus, alles also, was von »Mitteleuropa« (im innerlichen Sinne des Wortes) möglich oder bei künftigen Interessengemeinschaften mit anderen Nationen erwünscht wäre (gleichviel, wie man zu dem Gedanken der wirtschaftlichen Annäherung steht), kann jedenfalls politisch für beide Teile an dem absoluten Entschluß scheitern, sich das nicht aufdrängen zu lassen, was neuerdings mit protziger Geste als »preußischer Geist« ausgegeben wird und dessen angebliche Gefährdung durch die »Demokratie« in den Deklamationen der Phrasendreschmaschine der Literaten eine solche Rolle spielt. Solche Deklamationen hat man bekanntlich bei ausnahmslos allen Schritten innerer Reform seit 110 Jahren 1807. ganz ebenso zu hören bekommen.

Der echte »preußische Geist« gehört zu den schönsten Blüten des Deutschtums. Jede Zeile, die wir von Scharnhorst, Gneisenau, Boyen, Moltke haben, atmet ihn ebenso wie die Taten und Worte der großen preußischen (zum guten Teil freilich außerhalb Preußens heimischen) Reformbeamten, die man nicht erst zu nennen braucht. Und ebenso Bismarcks von den heutigen bornierten Philistern der »Realpolitik« übel karikierte eminente Geistigkeit. Aber es scheint zuweilen, als ob dieser alte preußische Geist heute im Beamtentum anderer Bundesstaaten stärker weiterlebe als in Berlin. Und der Mißbrauch dieses Wortes durch die jetzige konservative Demagogie ist gar nichts als eine Schändung jener großen Gestalten.

Es existiert, um es zu wiederholen, in Deutschland keine Aristokratie von hinlänglicher Breite und politischer Tradition. Sie hatte am ehesten in der freikonservativen und Zentrumspartei (jetzt auch nicht mehr), nicht dagegen in der konservativen Partei eine Heimat. Und, was mindestens ebenso wichtig ist: es existiert auch keine vornehme deutsche gesellschaftliche Form. Denn völlig unwahr ist – womit unsere Literaten gelegentlich zu prahlen suchen –, daß, im Gegensatz zu den angelsächsischen Gentlemankonventionen und dem romanischen Salonmenschentum, in Deutschland »Individualismus« in dem Sinn der Freiheit von Konventionen existiere. Starrere und zwingendere Konventionen als die des »Couleurmenschen« gibt es nirgends, und sie beherrschen, direkt und indirekt, einen ebenso großen Bruchteil des Nachwuchses der Führerschichten als irgendeine Konvention in anderen Ländern. Sie sind, soweit nicht die Offizierkonventionen reichen, »die deutsche Form«! Denn in ihren Nachwirkungen bestimmen sie weitgehend die Formen und Konventionen der in Deutschland maßgebenden Schichten: der Bürokratie und aller derer, welche in die von dieser beherrschte »Gesellschaft« rezipiert werden wollen. »Vornehm« sind freilich diese Formen nicht. Staatspolitisch noch wichtiger als dieser Umstand ist aber der andere: daß sie, im Gegensatz zu den romanischen und angelsächsischen Konventionen, auch schlechterdings nicht geeignet sind, der ganzen Nation, bis in die untersten Schichten hinein, als Vorbild zu dienen und sie in ihrer Geste derart einheitlich zu einem in seinem äußeren Habitus selbstsicheren Herrenvolk« durchzuformen, wie es jene romanischen und angelsächsischen Konventionen getan haben. Es ist ein schwerer Irrtum zu glauben, die »Rasse« spiele bei dem auffallenden Mangel an Anmut und Würde der deutschen äußeren Haltung die entscheidende Rolle. Dem Deutschösterreicher mit seiner durch eine wirkliche Aristokratie durchgeformten Art des Auftretens fehlen jedenfalls diese Qualitäten, trotz gleicher Rasse, nicht, welches auch immer seine sonstigen Schwächen sein mögen.

Die Formen, welche den romanischen Menschentypus bis in seine Unterschichten hinein beherrschen, sind bestimmt durch die Nachahmung der »Kavaliergeste«, wie sie sich seit dem 16. Jahrhundert entwickelte. Die angelsächsischen Konventionen, ebenfalls bis tief in die Unterschicht hinein die Menschen formend, entstammen den sozialen Gewohnheiten der in England seit dem 17. Jahrhundert tonangebenden Schicht, welche im späten Mittelalter aus einer eigenartigen Mischung ländlicher und städtisch-bürgerlicher Honoratioren, der »Gentlemen«, sich als Träger des »Selfgovernment« entwickelt hatte. In all diesen Fällen waren – das war das Folgenreiche – die entscheidenden Züge jener Konventionen und Gesten leicht allgemein nachahmbar und also: demokratisierbar. Die Konventionen der deutschen akademisch geprüften Amtsanwärter dagegen und der durch sie beeinflußten Schichten, vor allem die Gewohnheiten, welche die Couleuren anerziehen, waren und sind, wie gesagt, offenkundig nicht geeignet, von irgendwelchen außerhalb der Examensdiplomschicht stehenden Kreisen und vollends von den breiteren Massen nachgeahmt, also: »demokratisiert« zu werden, obwohl oder vielmehr gerade weil sie ihrem inneren Wesen nach keineswegs weltmännisch oder sonstwie »aristokratisch«, sondern durchaus plebejisch sind. Der romanische Ehrenkodex war ebenso wie der ganz andersartige angelsächsische einer weitgehenden Demokratisierung fähig. Der spezifisch deutsche Begriff der »Satisfaktionsfähigkeit« dagegen ist dies nicht, wie jede Überlegung lehrt. Dabei ist er aber von großer politischer Tragweite. Und zwar ist nicht etwa – wie immer wieder geglaubt wird – die Geltung des im engeren Sinne sogenannten »Ehrenkodex« innerhalb des Offizierkorps, wo er durchaus am Platze ist, das politisch und sozial Wichtige. Politisch wichtig ist vielmehr der Umstand, daß ein preußischer Landrat schlechterdings im Scholarensinn für »satisfaktionsfähig« gelten muß, um sich auf seinem Posten überhaupt behaupten zu können, und ebenso jeder andere leicht absetzbare Verwaltungsbeamte (im Gegensatz z.+B. zu dem kraft Gesetzes »unabhängigen« Amtsrichter, der eben dieser Unabhängigkeit wegen gegenüber dem Landrat sozial deklassiert ist). Der Begriff der »Satisfaktionsfähigkeit« ebensowohl wie alle anderen Konventionen und Formen, welche durch die Struktur der Bürokratie und der für sie maßgebenden deutschen Scholarenehre getragen sind, bilden, weil ihrer Eigenart nach nicht demokratisierbar, formal: Kastenkonventionen. Material aber sind sie dennoch, weil jeglicher ästhetischen Würde und aller Vornehmheit entbehrend, nicht aristokratischen, sondern durchaus plebejischen Charakters. Dieser innere Widerspruch ist es, der an ihnen so sehr den Spott herausfordernd und politisch ungünstig wirkt.

Die Deutschen sind ein Plebejervolk, – oder wenn man es lieber hört: ein bürgerliches Volk, und nur auf dieser Basis könnte eine spezifisch »deutsche Form« wachsen.

Irgendeine durch die politische Neuordnung herbeigeführte oder beförderte gesellschaftliche Demokratisierung – das ist dasjenige, was hier auseinandergesetzt werden sollte – fände also bei uns, gesellschaftlich angesehen, keine aristokratischen Formwerte vor, welche sie entweder zerstören oder umgekehrt ihrer Exklusivität entkleiden und in der Nation propagieren könnte, wie sie dies mit den Formwerten der romanischen und angelsächsischen Aristokratie getan hat. Die Formwerte des deutschen »satisfaktionsfähigen Prüfungsdiplommenschen« sind aber andererseits wieder auch nicht hinlänglich weltmännisch, um als Stütze der inneren Sicherheit auch nur der eigenen Schicht dienen zu können. Vielmehr genügen sie, wie jede Probe zeigt, nicht einmal immer, um die tatsächliche innere Unsicherheit gegenüber weltmännisch gebildeten Fremden zu verbergen. Es sei denn in der Form einer als Unerzogenheit wirkenden, meist aus Verlegenheit stammenden »Patzigkeit«.

Dabei sei nun hier ganz dahingestellt, ob eine politische »Demokratisierung« diese Folge der gesellschaftlichen Demokratisierung wirklich haben würde. Die schrankenlose politische »Demokratie« Amerikas hindert z.+B. nicht, daß gesellschaftlich nicht etwa nur – wie bei uns geglaubt wird – eine rohe Plutokratie des Besitzes, sondern außerdem eine ständische »Aristokratie« im langsamen – wenn auch meist unbemerkten – Entstehen ist, deren Wachstum kulturgeschichtlich ebenso wichtig ist wie jene andere. –

Die Entwicklung einer wirklich vornehmen und zugleich dem bürgerlichen Charakter der sozial maßgebenden Schichten angemessenen »deutschen Form« liegt jedenfalls noch im Schoß der Zukunft. Die Anfänge der Entwicklung einer solchen bürgerlichen Konvention in den Hansestädten sind unter dem Einfluß der politischen und ökonomischen Änderungen seit 1870 nicht fortgebildet. Und der jetzige Krieg beglückt uns mit so vielen Parvenüs – deren Söhne auf den Universitäten sich mit Eifer die üblichen Couleurkonventionen, welche ja an vornehme Tradition keine Anforderungen stellen, als bequeme Dressur für den Erwerb der Reserveoffizierfähigkeit aneignen werden –, daß vorläufig hier wohl nichts Neues zu hoffen ist. Jedenfalls steht fest: sollte die »Demokratisierung« den Erfolg haben, das soziale Prestige des Prüfungsdiplommenschen zu beseitigen – was keineswegs feststeht, wie hier nicht erörtert werden kann –, so würde sie damit politisch wertvolle gesellschaftliche Formwerte bei uns nicht vernichten. Sie könnte dann vielleicht die Bahn freimachen für die Entwicklung unserer bürgerlichen sozialen und ökonomischen Struktur angemessener und daher »echter« und vornehmer Formwerte. Von diesen Formwerten läßt sich – da man sie selbst sowenig »erfinden« kann wie einen Stil. – nur das eine (wesentliche Negative und Formale) sagen, was für alle Formwerte dieser Art gilt: daß sie jedenfalls auf keiner anderen Grundlage entwickelt werden können als auf innerer Distanz und Reserve in der persönlichen Haltung. An dieser Voraussetzung jeglicher persönlichen Würde hat es uns oben und unten nicht selten stark gefehlt. Und das neueste Literatentum mit seinem Bedürfnis, seine »Erlebnisse«, erotische oder »religiöse« oder welcher Art sie sonst seien, zu beschwatzen oder drucken zu lassen, ist der Feind aller Würde, gleichviel welcher Art. »Distanz« ist aber keineswegs, wie der Mißverstand der verschiedenen auf Nietzsche zurückgehenden »Prophetien« bei uns glaubt, nur auf dem Kothurn der »aristokratischen« Kontrastierung seiner selbst gegen die »Vielzuvielen« zu gewinnen: – sie ist im Gegenteil stets unecht, wenn sie heute dieser inneren Stütze bedarf. Gerade als Probe ihrer Echtheit kann ihr vielleicht die Notwendigkeit, sich innerhalb einer demokratischen Welt innerlich zu behaupten, nur dienlich sein.

Alles Gesagte aber zeigt aufs neue, daß das deutsche Vaterland auch in dieser, wie in so vielen anderen Hinsichten, nicht das Land seiner Väter, sondern das Land seiner Kinder ist und sein muß, wie Alexander Herzen dies von Rußland schön gesagt hat. Das gilt vor allem auch in bezug auf die politischen Probleme. Der »deutsche Geist« ist für deren Lösung nicht aus noch so wertvollen Geisteswerken unserer Vergangenheit zu destillieren. Den großen Schatten unserer geistigen Ahnen alle Pietät und ihrer Geistesarbeit jede der formalen Schulung unseres eigenen Geistes dienende Verwertung! Aber: sobald die Eitelkeit unserer Literaten, weil es ihr Schriftstellerberuf ist, sie der Nation zu interpretieren, daraus das Recht ableitet, unsere politische Zukunftsgestaltung damit wie mit einem Bakel zu schulmeistern: in die Ecke mit den alten Scharteken! Darüber ist nichts aus ihnen zu lernen. Die deutschen Klassiker können uns u.+a.. lehren, daß wir ein führendes Kulturvolk der Erde zu sein vermochten in einer Zeit materieller Armut und politischer Ohnmacht und sogar Fremdherrschaft. Dieser unpolitischen Epoche entstammen ihre Ideen, auch wo sie politisch und ökonomisch sind. Sie waren teils, angeregt durch die Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, Konstruktionen in einem politisch und ökonomisch leidenschaftsleeren Raum. Soweit aber eine andere politische Leidenschaft in ihnen lebte als die zornige Auflehnung gegen die Fremdherrschaft, war es die ideale Begeisterung für sittliche Forderungen. Was darüber hinaus liegt, blieben philosophische Gedanken, die wir als Mittel der Anregung zu eigener Stellungnahme entsprechend unseren politischen Realitäten und der Forderung unseres Tages benutzen können, – nicht aber: als Wegweiser. Die modernen Probleme des Parlamentarismus und der Demokratie und die Wesensart unseres modernen Staates überhaupt lagen ganz außerhalb ihres Gesichtskreises. –

Dem gleichen Wahlrecht, zu dem wir damit zurückkehren, wirft man vor, es bedeute den Sieg der dumpfen, politischer Überlegung unzugänglichen »Masseninstinkte« gegenüber der wohlerwogenen politischen Überzeugung oder der emotionalen gegenüber der rationalen Politik. Was zunächst das letztere anlangt, so ist Deutschlands auswärtige Politik – dies muß hier allerdings gesagt werden – ein Beweis dafür, daß eine Monarchie, die mit einem Klassenwahlrecht regiert (denn der Hegemoniestaat Preußen war und ist der maßgebliche Leiter der deutschen Politik), an Einfluß rein persönlicher emotionaler und irrationaler Stimmungen der Leitung jedenfalls jeden Rekord hält. Man braucht den jahrzehntelangen erfolglosen Zickzackgang dieser geräuschvollen Politik mit der ruhigen Zielbewußtheit etwa der englischen Außenpolitik nur zu vergleichen, um den Beweis zu haben. Und was die irrationalen »Masseninstinkte« anlangt, so beherrschen sie die Politik nur da, wo die Massen kompakt zusammengedrängt sind und als solche einen Druck üben: in den modernen Großstädten unter den Bedingungen vor allem der romanischen städtischen Lebensform. Die Kaffeehauszivilisation und daneben klimatische Bedingungen gestatten dort der Politik der »Straße«, wie man sie zutreffend genannt hat, von der Residenz her das Land zu vergewaltigen. Die Rolle des englischen »man in the street« andererseits ist mit sehr spezifischen, bei uns völlig fehlenden, Eigentümlichkeiten der dortigen Struktur der städtischen »Massen«, die russische hauptstädtische Straßenpolitik mit den dortigen Geheimbund-Organisationen verknüpft. Alle diese Vorbedingungen fehlen in Deutschland, und die Temperierung des deutschen Lebens macht es ganz unwahrscheinlich, daß wir dieser Gelegenheitsgefahr – denn das ist sie im Gegensatz zu dem, was bei uns als chronische Gefahr unsere Außenpolitik beeinflußt hat – verfallen, wie es dort geschieht. Nicht die an ihre Arbeitsstätten gebundene Arbeiterschaft, sondern die Tagediebe und Kaffee hausintellektuellen in Rom und Paris sind es, welche dort die kriegshetzerische Politik der »Straße« fabriziert haben, übrigens ausschließlich im Dienst der Regierung und nur soweit diese es wollte oder zuließ. Das Gegengewicht des industriellen Proletariats fehlte. Das industrielle Proletariat ist, wenn es geschlossen auftritt, sicherlich eine gewaltige Macht, auch in der Beherrschung der »Straße«. Aber, verglichen mit jenen gänzlich verantwortungslosen Elementen, eine Macht, die der Ordnung und geordneten Führung durch ihre Vertrauensmänner, durch rational denkende Politiker also, zum mindesten fähig ist. Auf die Steigerung der Macht dieser Führer, bei uns der Gewerkschaftsführer, über die Augenblicksinstinkte kommt daher staatspolitisch alles an. Und darüber hinaus auf die Steigerung der Bedeutung der verantwortlichen Führer, des politischen Führertums als solchen, überhaupt. Es ist eines der stärksten Argumente für die Schaffung geordneter verantwortlicher Leitung der Politik durch ein parlamentarisches Führertum, daß dadurch die Wirksamkeit rein emotionaler Motive von »oben« und von »unten« so weit geschwächt wird, als dies möglich ist. Mit dem gleichen Wahlrecht hat die »Herrschaft der Straße« nichts zu tun: Rom und Paris wurden durch die »Straße« beherrscht, auch als in Italien das plutokratischste Wahlrecht der Welt und in Paris Napoleon+III. mit einem Scheinparlament regierten. Im Gegenteil kann nur die geordnete Führung der Massen durch verantwortliche Politiker die regellose Straßenherrschaft und die Führung von Zufallsdemagogen überhaupt brechen.

Das gleiche Wahlrecht ist ein Problem von politischer Tragweite für das Reichsinteresse nur im führenden Bundesstaat: Preußen. Durch die inzwischen erfolgte Interpretation der Osterbotschaft scheint es hier im Prinzip erledigt. Im Prinzip, – aber nicht: dem einzuschlagenden Wege nach. Denn es ist ganz unwahrscheinlich, daß das jetzige Klassenparlament freiwillig auf das Wahlprivileg verzichten werde, falls nicht politisch zwingende Verhältnisse eintreten. Oder wenn doch, dann in der Art eines Scheinverzichtes: etwa unter Koordination eines mit Hilfe der Wahlrechtsarithmetik konstruierten Herrenhauses. Legale Durchführung des gleichen Wahlrechts für Preußen ist aber eine staatspolitische Forderung des Reiches. Denn das Reich muß auch in Zukunft in der Lage sein, seine Bürger zum Kampf für die eigene Existenz und Ehre aufzurufen, wenn es not tut. Dazu genügen nicht Munitions- und andere Vorräte und die erforderlichen amtlichen Organe, sondern auch: die innere Bereitschaft der Nation, diesen Staat als ihren Staat zu verteidigen. Die Erfahrungen im Osten können lehren, was geschieht, wenn diese Bereitschaft fehlt. Eins aber ist sicher: niemals wieder ist die Nation für einen Krieg in der Art wie dieses Mal in Bewegung zu setzen, wenn feierliche Zusagen durch irgendeinen vermeintlich klugen Trug verfälscht werden. Das würde für immer unvergessen bleiben. Das ist der politisch entscheidende Grund, von seiten des Reiches die Durchführung nötigenfalls zu erzwingen. –

Zuletzt möge noch die prinzipielle Frage gestreift werden: wie verhält sich denn die Parlamentarisierung zur Demokratisierung? Es gibt gar nicht wenige sehr aufrichtige und gerade besonders fanatische »Demokraten«, welche in der »Parlamentarisierung« ein korruptes, zur Verfälschung der Demokratie und zur Kliquenherrschaft führendes System für Streber und Schmarotzer erblicken. »Politik« sei ein vielleicht für Tagediebe recht »interessantes«, aber im übrigen steriles Treiben: auf eine gute »Verwaltung« komme es, gerade den breiten Schichten der Nation, allein an und diese garantiere nur die »wahre« Demokratie, wie wir sie ja in Deutschland, dem Lande des »wahren Freiheitsbegriffs«, teils schon besser besäßen als anderwärts, teils ohne Parlamentarisierung besser als dort herstellen könnten. Und es versteht sich, daß die Vertreter der Kontrollfreiheit der Bürokratie mit Wonne beides als Gegensätze gegeneinander ausspielen: die »wahre« Demokratie sei gerade dann und da am reinsten verkörpert, wo das Advokatenvolk der Parlamentarier nicht in der Lage sei, die sachliche Arbeit der Beamten zu stören. Der dreiste Schwindel – bei unseren Literaten: Selbstbetrug durch arglose Hingabe an Phrasen – findet, wie alles, was dem Interesse der Bürokratie und den mit ihr verbündeten kapitalistischen Interessen dient, leicht Anhänger, und zwar in allen Lagern. Daß es Schwindel ist, liegt auf der flachen Hand. Denn 1. Welches Organ hat, wenn man sich die Parlamentsmacht fortdenkt, die Demokratie, um die Verwaltung der Beamten ihrerseits zu kontrollieren? Hierauf gibt es überhaupt keine Antwort. Ferner: 2. Was tauscht sie für die Herrschaft der parlamentarischen »Kliquen« ein? Die Herrschaft noch weit verborgenerer und – meist – noch weit kleinerer, vor allem unentrinnbarerer Kliquen. Das System der sogenannten unmittelbaren Demokratie ist technisch nur in einem Kleinstaat (Kanton) möglich. In jedem Massenstaat führt Demokratie zur bürokratischen Verwaltung, und, ohne Parlamentarisierung, zur reinen Beamten herrschaft. Gewiß: unter der Herrschaft des Systems des »Cäsarismus« (im weiteren Sinn des Wortes), also: der unmittelbaren Volkswahl des Staats- oder Stadthauptes, wie in den Vereinigten Staaten und einigen ihrer großen Kommunen, vermag Demokratie ohne parlamentarisches System – nicht etwa: ohne Parlamentsmacht überhaupt – zu existieren (auf ihre politischen und verwaltungstechnischen Vorzüge und Schwächen soll hier nicht eingegangen werden). Die volle Parlamentsmacht ist aber überall da unentbehrlich, wo erbliche Staatsorgane: die Monarchen, die (formellen) Chefs des Beamtentums sind. Der moderne Monarch ist ganz unvermeidlich stets und immer ein Dilettant, wie nur irgendein Parlamentarier es ist, und daher völlig außerstande, eine Verwaltung zu kontrollieren. Mit dem Unterschied, daß 1. ein Parlamentarier im Kampf der Parteien zu lernen vermag, die Tragweite des Wortes zu wägen, während der Monarch dem Kampf entzogen bleiben soll; und daß 2. das Parlament, wenn man ihm das Recht der Enquete gibt, in der Lage ist, sich das Sachverständnis (durch eidliches Kreuzverhör von Fachmännern und Zeugen) zu verschaffen und das Tun der Beamten zu kontrollieren. Wie soll dies der Monarch und wie soll es die parlamentlose Demokratie bewerkstelligen?

Aber ganz allgemein: Eine Nation, welche wähnt, die Staatsleitung erschöpfe sich in »Verwaltung«, und »Politik« sei eine Gelegenheitstätigkeit für Amateure oder eine Nebenleistung von Beamten, möge auf Politik in der Welt verzichten und sich für künftig auf die Rolle eines Kleinstaats einrichten, wie ein Schweizer Kanton oder Dänemark oder Holland oder Baden oder Württemberg es sind: – alles recht gut verwaltete Staatswesen. Sonst werden ihr die Erfahrungen nicht erspart bleiben, die wir mit jener »wahren Freiheit« dieser Phraseologie, das heißt: der kontrollfreien Beamtenschaft, gemacht haben, soweit sie hohe Politik zu treiben unternommen hat. – Die Schwärmerei für die »Demokratie ohne Parlamentarismus« hat während des Krieges naturgemäß dadurch Nahrung erhalten, daß – wie in jedem schweren Kriege, so auch in diesem – in ausnahmslos allen Ländern, in England, Frankreich, Rußland wie in Deutschland, in weitestem Umfang eine politische Militär diktatur tatsächlich an die Stelle der sonst bestehenden Regierungsform, heiße sie nun »Monarchie« oder »parlamentarische Republik«, getreten ist (und zweifellos ihre Schatten noch weit in den Frieden hineinwerfen wird). Sie arbeitet überall mit einer spezifischen Art von Massendemagogie und schaltet alle normalen Ventile und Kontrollen, daher auch die parlamentarische, aus. Diese wie andere durch den Krieg als solchen bedingten Erscheinungen blenden die Augen der auf beschleunigte und »zeitgemäße« Bücherproduktion hingewiesenen dilettantischen Literaten. Aber so wenig die Kriegswirtschaft das Muster sein kann für die normale Friedenswirtschaft, ebensowenig diese politische Kriegsverfassung für die politische Struktur des Friedens.

Was soll politisch, fragen wir, die Leistung eines Parlaments ersetzen? Etwa, für die Gesetzgebung, das Referendum? Zunächst: in keinem Lande der Welt ist das Referendum für die wichtigste Leistung der laufenden Parlamentsarbeit, das Budget, eingeführt. Es leuchtet auch ein, daß das gar nicht möglich wäre. Das Schicksal fast aller Steuervorlagen bei Entscheidung durch Volksabstimmung ist leicht vorauszusehen. Für alle einigermaßen verwickelten Gesetze und Ordnungen der inhaltlichen Kultur aber bedeutete das Referendum im Massenstaat eine starke mechanische Hemmung jedes Fortschrittes. Zum mindesten in einem geographisch großen Staat (anders: in einem Kanton). Aus dem einfachen rein technischen Grunde: weil es das Parteikompromiß ausschließt. Mit dem Referendum kann man politisch und technisch befriedigend nur Fragen lösen, auf die glatt mit »Ja« oder »Nein« zu antworten ist. Wenn nicht, so würden die verschiedenen und entgegengesetzten Gründe, die gegen einen konkreten Vorschlag geltend gemacht werden können – und deren sind in einem Massenstaat mit weitgehender sozialer und geographischer Differenzierung stets ungleich mehr als in einem amerikanischen Einzelstaat oder Schweizer Kanton – es hindern, daß überhaupt etwas zustande kommt. Das ist die spezifische Leistung des Parlaments: daß es ermöglicht, durch Verhandlung und Vergleich das »relativ« Beste zustande zu bringen, und diese Leistung wird mit dem gleichen Opfer erkauft, welches der Wähler bei der Parlamentswahl in der Form zu bringen hat, daß er nur für die ihm relativ genehmste Partei optieren kann. Diese rein technische Überlegenheit parlamentarischer Gesetzgebung ist durch nichts zu ersetzen, – womit nicht gesagt ist, daß es nicht Fälle gäbe, wo das Referendum ein geeignetes Revisionsmittel wäre. Über die Volkswahl der Beamten – soweit sie nicht nur die Wahl des Führers betrifft, also »Cäsarismus« ist – ist zu sagen: daß sie in jedem Massenstaat nicht nur die hierarchische Amtsdisziplin zerbricht, sondern (nach amerikanischen Erfahrungen) durch Ausschaltung der Verantwortung für die Ernennung die Korruption fördert. Jede Befehdung des Parlamentarismus im Namen der »Demokratie« bedeutet in einem monarchischen Staat: daß aus Ressentiment oder Blindheit die Geschäfte der reinen Bürokratenherrschaft und insbesondere ihres Interesses an Kontrollfreiheit besorgt werden.

Die »Demokratisierung« im Sinne der Nivellierung der ständischen Gliederung durch den Beamtenstaat ist eine Tatsache. Man hat nur die Wahl: in einem bürokratischen »Obrigkeitsstaat« mit Scheinparlamentarismus die Masse der Staatsbürger rechtlos und unfrei zu lassen und wie eine Viehherde zu »verwalten«, – oder sie als Mitherren des Staates in diesen einzugliedern. Ein Herrenvolk aber – und nur ein solches kann und darf überhaupt »Weltpolitik« treiben – hat in dieser Hinsicht keine Wahl. Man kann die Demokratisierung sehr wohl (für jetzt) vereiteln. Denn starke Interessen, Vorurteile und – Feigheiten sind gegen sie verbündet. Aber es würde sich bald zeigen, daß dies um den Preis der ganzen Zukunft Deutschlands geschähe. Alle Kräfte der Massen sind dann gegen einen Staat engagiert, in dem sie nur Objekt und an dem sie nicht Teilhaber sind. An den unvermeidlichen politischen Folgen mögen einzelne Kreise interessiert sein. Aber gewiß nicht: das Vaterland.


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