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Der Elendbischof

Eine Berglegende

Und wieder war der Ahorn in Purpur gestorben wie ein Fürste, und der weiße Wolfsmonat hatte Zaum und Hütte verschneit, und schon wieder prangte der Sommer nieder, und immer noch siedelte der, den die Pfarrherren des Tales lächelnd den Elendbischof schalten, in der hölzernen Gottesburg auf dem Brennet.

Der Elendbischof!

Sein Kirchlein hatte nicht Kreuzgewölb, nicht Kanzel noch Orgelwerk, kein Kirchenknecht legte ihm das fadenscheinige Messgewand um die jungen Schultern oder bot ihm Birett und Buch; Waldharz glomm in seinem Weihrauchfass; die spangrüne Glocke, die mutterseelenallein im Schindeltürmel hing, musste er sich selber läuten, und weil das dürftige Widum vom Wildfeuer geäschert worden war, schlief Wunsam der Brennetklausner sommerüber im Gotteshaus.

Aber er freute sich seiner Armut als der rechten Nachfolge des notvollen Lebens des Seligmachers Jesu Christi und neidete dem Bischof von Regensburg nicht Wildbret, Biberbraten und Donauhecht, sondern ließ sich die frischen Eier wohl behagen, welche gutherzige Bauernweiber vor dem Altarbild der liebheiligen Kunigund opferten.

Auch damit, dass das fromme Spiel der Orgel dem Bethause gebrach, wusste er sich zu versöhnen, in dem er hie und da auf seiner Geige zur heiligen Handlung ein Lied spielte. Nur griffen freilich oft die groben Stimmen der Bauernhälse derart ungefüg in die Weise, dass sie verschüchtert und aus dem Geleis gedrängt schwieg und der Geigenstecken sich drohend gegen die Gemeinde aufreckte.

Allzu gering schier war die Zahl der Seelen, die des Elendbischofs Krummstab zu hüten hatte, denn nur spärlich lagen die Gehöfte auf dem grünen Berghaupt verstreut. Drum ging auch in den Tälern die blaue Lüge, Wunsams Amt sei, dem Irrwisch auf den wiesigen Lehnen Schlingen zu legen oder die Regenbogen zu halten, die vom Brennet gegen die Osserwände hinüberspannten.

Selten kam auch ein Bittgang gen Sankt Kunigund kirchfahrten aus den Dörfern herauf oder die vergraste Hochstraße daher, die seit Urgedenken von Bayern auf der Gebirgsschneide herüberkroch; selten redete ein Wallbruder die lindenholene Muttergottesin an um günstige Fahrt: des Tales Straße hatte längst den Sieg über den Hochweg errungen.

Doch Wunsam, der Klausner, pflog treulich seines engen Ämtleins und sorgte, dass die ihm anvertrauten Seelen auf den Staffeln des Vaterunsers gemächlich gottvaterwärts klommen; die Gebete flogen aus seiner Brust eifrig wie segenbeladene Bienen empor zum Himmel, um dort für die Brennetleute Zellen zu bauen.

Er tat noch ein Übriges: wenn Mann und Weib ins Streurecheln oder in den Haberschnitt mussten, betreute er die Kinder und erzählte ihnen die Begebnisse der Bibel, vor allem aber die Geschichte vom Paradies, die in des Einsiedels Munde dem Märlein vom Schlaraffenlande wunderlich ähnelte.

Gern suchte er auch einsame Antwort auf den fragenden Ruf der Wildamsel und ließ sich von des Ammers Weise, die wie ein wehmütiger Verzicht war, beglücken.

So lebte er, wie ein wirklicher Anrainer des Himmels, vergnügt in der Beschränkung und wäre wohl nicht minder getrost gewesen, wenn sein Betglöckel an einem Föhrenast hätte schwanken und er in einem verstürzten Brunne, in raue Geißfele gehüllt, sich hätte verklausnen müssen, wie es von manch gottgefälligem Waldbruder ruchbar ist.

Allabendlich dankte er Gott, dass er sein Leben in diese Bergöde geleitet, denn die Einsamkeit ist eine harte Brustwehr und ein hoher Friedzaun wider die Lüste der Welt.

Aber einmal gefiel es dem Herrn, den Versucher zu erwecken und zu senden in das verlorene Bistum des Elendbischofs.

Der Weckruf, den das Geläute in die goldene Nachsommerfrühe hinausgerufen, hatte heute keinen Beter gelockt, denn Bauer und Gesinde waren alle auf Weide und Moos über das Grummet her.

Einsam erbaue sich der Klausner an seiner Stillmesse: er fiedelte öfter denn sonst darein, drehte fröhlich den Tabernakel und segnete die Welt zur offenen Kirchentür hinaus. Nach getaner Pflicht holte er aus einem räumigen Kasten einen Topf, tat einen starken Trunk, bis ihm eine Schlange Geißmilch über Kinn und Kutte huschte, und senkte seine Zähne in knarrendes Schwarzbrot.

Nun trug er seine Andacht geigend hinaus in den Tau.

Bergfrischer Wind grüßte ihn. Des Enzians tiefblauen Becher füllte siebenfarbener Wein.

Der Geiger war nicht böse, wenn eine Gerte fürwitzig ihm in die Saiten schlug und sein Gotteslied störte. Drinnen im Tann hub er ein hallendes Gloria an und hörte den Wind, den Orgelmeister, aufstehen und schwellen und wieder im fernsten Gewipfel verrauschen.

Am staudigen Waldrand hielt Wunsam an. Vergrämten Rufes strich eine Krähe. Eine raue Dirnenstimme kreischte ihr nach: »Krau, Krau, dein Nest brennt!« worauf eines fernen Kühbuben Übermut erwiderte: »Katherl, Katherl, dein Kopf brennt!«

Da sah der Kunigundenklausner des Brennetbauern rothaarige Magd auf der Brunnwiesen unten gähwild die Sense schwingen. »Das Mensch, das nixnutzige!« brummte er.

Weiter stieg er die Äcker entlang, wo die Waldäste hoch über die Haberfelder hinausgriffen, die bleich waren von dem Glück des Reifens. Doch als er dorthin kam, wo sich der dichte Tann zum jungen Mischwald lichtete, da überwältigte ihn der Geist der ewigen Fröhlichkeit Gottes, und er tat, was er schon oft getan: er predigte den Bäumen.

Niemals hatten ihm die Dorfleute genügt, deren versorgte Bauernstirnen bald schlafend auf den Lehnen des Betgestühles lagen, wenn er ihnen seine gottdurchdrungene Seele öffnen wollte. Und wie der klare Quellenüberschwang des Brennets in den Brunnstuben ich sammelt, ehe er sich strömend der Tiefe gibt, so hatten sich wieder einmal in des Elendbischofs Brust Gedanken und Bilder gestaut, die ihn mit ihrem urlautern Zauber wundervoll bedrängten, die Lauscher und Glaubende in dieser Einsamkeit. Drum hatte er sich eine Gemeinde entdeckt, die grün und horchend auf dem Berge wuchs, eine allesgläubige Kinderschar: die jungen Bäume und Sträucher.

Einen grauen Stein erhob er zum Predigtstuhl, und nun lächelte er das halbwüchsige Baumvolk an und räusperte sich.

Aus den tiefen, tannenverwachsenen Wälderbuchten hob sich Köhlerrauch, der blauzarte Wipfelüberklimmer, und der Osser stand drüben groß und mannhaft wie ein rechter Himmelhalter.

»Birke und Hasel und Aberesche und Föhrling und ihr andern alle, laubige und Stachelige! Wollet einmal ein Örtel zulosen! Ich verkünde euch eine gute Märe.

Als Christus, unser lieber Herr, noch auf dem Erdreich gewallet ist, hat er zu den Zwölfboten geredet: ›Der Baum, der keine Frucht trägt, muss umgebrochen, muss mit Feuer gesegnet werden.› – Da sind gar viele Bäume, die ehdem in ihrer Unschuld fröhlich das Haupt in die Höh gehalten, traurig worden und erstummt.

Wie nun einmal der Herr ganz allein und in Gedanken die heiße Heerstraße gegangen ist, die Sonne zu Häupten, wund die Füße vom harten Weg, hat er ausrasten müssen unter zwei Bäumen, den einzige, die er in der Weite und Breite gesehen hat.

Auf einmal fängt der eine Baum hoch über ihm zu reden an. ›Herr›, hat er gemeint, ›wie es im Maien gewesen ist, da hab ich meine Krone wie ein weißes Wunder deinem Himmel entgegengehalten. Doch in eitler Nacht hat der Sturm gebraust, hat mir die Zweige zerknickt und die Blüten verstreut und sie hingeworfen den vier Straßen der Welt. – Umsonst ist meine Blühe gewesen. Die Waldhacke wird mich stürzen, die Sägemühl wird mich zerreißen, der Brand mich zehren.‹

Da lacht der helle Heiland. – ›Was kümmerst du dich, du zag kleinmütig Wesen? Bist im Blühen gestanden, also sei gesegnet!‹

Demütig hat jetzt der andere Baum geredet. ›Herr, schau mich an! In Träumen bin ich aus der finstern Erde gestiegen, hab voll Sehnsucht auf die Stunde gewartet, wo mein laubig Haupt Schatten schenken soll dem Pilgram, der deine Straßen fährt. – Arm bin ich und verdürrt, spärlich mein Laub, nie hab ich geblüht, niemals eine Frucht gehalten am Zweig. Ich bin so traurig. Warum hast du just mich verstoßen, Christe, du treuer, du hilfreicher Mann!?‹

Da weint der Meister laut auf. ›Du armer Bruder! Mich reut meine Rede!‹ Und wie er die Hände spreizet gen den dürren Baum, da durchdringen den Schauer und Lüste und tausend Rosen quillen wie Himmelsflammen aus seinen Zweigen.«

Tief atmend stieg der Prediger vom Stein und mengte sich in die lauschende Heerschar.

»Wie frohgemut steht ihr da, meine grünen Freunde, freudvoll zur Sommerschwüle, freudvoll im Laubriss! Denn euch ist der Trost worden, dass kein Tod töten kann und dass wir, die auf rauem Berge siedeln, nit weit zu Gottes hilfreichen Händen haben.«

Auf einer Steinmauer, dessen Getrümmer tausend winzige Sonnen in sich barg, stand der Dornbusch in scharlachfarbenen Hagebutzen.

»Auf dem glitzernden Steinbühel prangst du oben wie auf einer Kanzel, reich verziert, so eine rechte Gottesherberg. Ja nun bin ich deutlich inne worden, warum der Herrgott in dem brennenden Dörnerhag gestanden.«

Er wandte sich zu einer Birke, silbern stand die Luft um der Lieblichen Grünlaub. »Und du, Taubegossne, in deiner Demut und Keuschheit, du weiße Nonne!«

Und er küsste ihre Silberrinde und ging weiter, die Fiedel zu seinem Lieblingslied streichen.

»Es stehen drei Rosen auf Gottes Hirn,
Die schönste ist die Liebe.«

Bergdunst schleierte sanft die fernen Höhen; es grünte und blaute die Welt. Marienseide wallte und spannte funkelnde Brücklein von Staude zu Staude. –

Unter der einschichtigen Feldbuche lungerte ein alter Gesell in Gras und Quendel, den Hals steif von sich reckend, ein Hasenschwänzel am schäbigen Filz. Er bellte unwirsch in des Klausners Spiel.

»Höllsakerment, da geigt er daher, statt dass er mir die Heiligen anschreien hilft!«

Wunsam blieb stehen. »Was plagt dich denn wieder, Absalon?«

»Wenn ich nur aus meiner alten Haut hupfen könnt«, kreistete der im Quendel, »vettelrunzlig ist das verfluchte Leder, aber Aißen wachsen noch immer darauf schier so groß wie Haselnüsse. – Da schau her, da sitzt das Geschwür am Hals! Alle Heiligen ruf ich an, aber es hilft nix. Tät am liebsten auf dem Totenbrett liegen! – Herrgott, Himmel, der Teufel soll meine Seel quintelweis zerreißen!«

»Sollst nit fluchen wie eines Schächers Knecht!« mahnte der Klausner.

»Und wenn du mich in deinen Tabernakel stellst, das Sakermentieren lass ich nit. – Aber ich weiß, was Grund und Ursach ist, dass ich den Aiß am Genack als ein Fegfeuer sitzen haben muss.«

Der Marterer entballte die zittrige Faust und zeigte ein beinern Würflein her.

»Ja, Absalon, Würfel und Kartenspiel ist neben dem Fluchen dir die liebste Schoßsünd!« nickte der andere.

»Der Würfel gilt nit weniger als ein Bruttaler«, fuhr der Absalon fort. »Wie ich noch die Trummel geschlagen hab bei den Mannsfeldischen vor Prachatitz, hab ich das Knöchlein meinem Obristen gestohlen. Einen wilden Namen hat der gehabt, schreck dich nit, Klausner, Wolf Teuffel hat er sich geschrieben.«

»Gedenk nit des Wolfes, sonst springt er aus der Hecke!« erinnerte der Gottesmann.

»Es ist ein Wünschwürfel«, erzählte der geweste Trummler. »Du kannst ihn schmeißen, wohin du magst, auf eine Trummel oder auf eine Weiberhaut, auf dein Messbuch oder auf dem Teufel seinen Bauch, allweil sind die sechs Augen oben. – Dass ihn mir keiner nimmt, hab ich ihn im Maul getragen, hab mit ihm fressen und saufen gelernt.«

»Hättest dich leicht erwürgen können.«

»Freilich wär ich ein paarmal bald erstickt, bin schon blau im Gesicht gewesen, hab ihn aber immer wieder brav aus der Gurgel gespieben.«

»Wo hast denn aber die Geldtruhen, Absalon, die du von rechtswegen hättest mit dem Sündenknochen da erwürfeln müssen? Bist ja gerad so notig wie der Elendbischof.«

»Höllsakerment!« begehrte der Alte auf, »Glück hat mir das Knöchel gebracht wie ein Diebsbaum, hab gar nit verspielen können, hätt dem Teufel die Krickeln vom Schädel gewürfelt. Aber wie wenn die Luft in die Aschen pfaust, so ist alles wieder verrauscht und hin worden.«

»Und du meinst, dass der Würfel die Ursach ist, dass dein Hals allweil bucklig ist vor lauter Geschwüren?«

»O mein Herrgott in der Wolken, du strafst hart! Grauslich brennt und druckt und beißt es, wie wenn die Haut auf eine Trummel geschraubt wär! – Höll und Fegfeuer! Ich häng mich auf wie der Judenkönig Absalon.«

Wimmernd tappte der Alte nach dem eiternden Geschwulst, wimmernd zog er den krummen Finger wieder zurück.

Der Klausner beugte sich mitleidig zu ihm herab. »Geh, leih mir das Hexenhölzel, ich möcht überm Weihbrunn ein paar lateinische Wörter mit ihm reden.«

»Ja, hörst – tu es, ich bitte dich! Aber bring es mir fein heut noch zurück!«

Und während der Bresthafte den Würfel in die geweihte Hand gleiten ließ, atmete er auf: »Mich ziemt, das Geschwür lässt schon nach!« –

Auf dem Heimweg kam Wunsam zur Brunnwiese. Die war hälftig gemäht, und die Sense lag satt und friedlich neben der leisen Quelle. Dort zog es den Neugierigen ins Gras.

»Ich will halt im Namen Gottvaters und Gott Sohnes und des Heiligen Geistes den Zauber versuchen.«

Er schleuderte nun den Würfel wohl an die hundert Male und immer grinsten ihn unheimlich die sechs Augen an. Wunsam warf erst auf den Grasschlag, hernach auf seine Kutte und schließlich ins Brünnlein, dort schwamm das Hokuspokus, die Sechs nach oben gerichtet.

Kopfschüttelnd streckte der Mann sich in die Sonne hin und befühlte und wog das Wunderbeinlein. Eine mächtige Hummel umbrummte ihn, geheimnissend wie eine Wahrsagerin, und – rucks – waren ihm die Wimpern gesunken, und er stand mitten drin in einem drolligen Traum.

Ihm träumte: er war durch des Knöchleins Kunst überreich geworden, so dass an Stelle des Kunigundenkirchleins ihm stolze Quadern zum Dome erblühen mussten, und in diesem Dome stand er plötzlich selber, infelgeziert und büffelhorngeschnitzte Krümme des Bischofsteckens über sich; auf dem veilchenfarbnen Grunde seines Ornates funkelten goldene Greif und Tauben. Weihrauch wolkte, Glocketöne wallten mit schweren, silbernen Prachtgewändern um das Brennet – und zur gotischen Pforte kamen psalmsingend herein die demütigen Birken und die hochgemuten Tanne, die gottdurchrauschten Buchen, die Haselbäume, die Wechalterstauden – alle trugen sie ihre klingenden Vogelnester im Haar – und zuletzt ein rosenflammender Dornbusch. Silberne Orgelpfeifen brauste, und der Elendbischof lehnte am Hochaltar und grüßte mit borkatbeschwertem Arm und lachte laug und froh – und erwachte mit klingenden Ohren und hörte sich noch lachen.

Hoch stand der Sonnenschein.

Etliche Hasensprünge weit gegen den Jungwald zu lag der Dornbusch in Flammen und die rothaarige Grummeterin kniete davor.

Mit flatternder Kutte hastete der Träumer hinzu.

»Hab ich dich – bei hebender – Hand ergriffen! Was für – ein Fackelwerk – richtest du da an? – Hat dir die – Staude was – getan?« eiferte er atemlos.

Das Katherl aber deutete ihm, still zu sein. »Ich warte, bis der Herrgott in der Stauden steht.«

»Der Herrgott in der Stauden?« wunderte sich Wunsam. »Bist wirrsinnig? Träumt dir was?«

»Du hast es ja selber heut früh da gepredigt, Klausner.«

»Richtig wahr!« erinnerte er sich und wurde blutrot. »Aber, liebe Grummeterin, der Gottvater hat jetzt wohl nit viel Zeit für uns Brennetleute. Unten im Land ist ein grausamer Krieg, da hat er alle zwei Hände voll zu tun, er muss viel Not gut machen und kann nit in die erstbeste Staude hinabsteigen, die du anzünden tust. – Oder glaubst, du kommst deswegen in den Himmel?«

»Schnurgerad möcht ich hinauf«, lachte die Rothaarige. »Drum will ich dir erst das beichten, was mich am Herzen druckt.«

»Der Beichtstuhl lehnt in der Kirche«, wies er sie ab.

»Hast heut da gepredigt, kannst auch ein bisserl Beicht hörenda bei dem Föhrling!«

»Was? Bei der Föhre? Soll ich auf den Baum hinaufkraxeln und die Kutte zerreißen und vom Wipfel aus dir zulosen?«

Aber seine Güte hatte ihn schon bewogen, das fromme Verlangen zu stillen, – und so saß er unter dem Föhrling, die Geige sorglich zwischen Bergbogen wie ein blauer Hauch.

Sonne und Schweigen … Feierlich reiste Unserer lieben Fraue Gespinst.

»Hörst es, jetzt atmet Gott!«

Er hob den Warnfinger, und die Magd saß steinstill, bis der Wind schalkisch im Wipfel oben einen Wispler tat.

»Dass du droben uns nix dreinredest!« scherzte der Beichtiger ins Nadelwerk hinauf und schüttelte den erhobenen Finger. Dann sah er erwartend die Reuige an, der derweil das Saitenspiel weggeschoben hatte und ganz nahe an ihn herangerückt war, und plötzlich ward ihm seltsam angst vor ihren blühenden, brennlichten Augen, und schier Bangen ergriff ihn vor dem, was nun aus diesen derben Vogelbeerlippen herausspringen werde.

Die taten sich denn langsam auf: »Lustig und traurig zugleich kann ich sein, heiliger Brennetklausner.«

»Ich bin nit heilig«, wehrte der ab. »Aber ich bitt dich, ruck nit so fest zu mir, ich hör dich schon, bin nit törrisch.«

Der rotzöpfige Kopf neigte sich aber immer näher, so dass der Einsiedler sich steif zurückbeugen musste, um ihn nicht zu streifen.

Abermals rauspelte die Luft im Kienbaum und abermals hob die Beichte an.

»Du weißt es eh schon, dass ich dich gern hab!«

»Geh, hör auf!« kam es toderschrocken aus seinem Mund.

Doch sie schob ihm den Ärmel zurück. »Schau, schau, wie die Haut unter der groben Kutte weiß ist!«

»Was geht dich meine Haut an?! Heißt das beichten, du Sündenmensch, du arges? Deine Rede verscheucht Gott.«

In dem Zorneifer seiner sprudelnden Worte aber barg sich ein Zagen, – und Scham ergriff ihn vor der lieben Birke, die er vorher geküsst, vor den Bäumen und dem Dornstrauch, der lautlos verloderte.

Und lautlos saßen die zwei einen Vaterunser lang. Bis sie mit rauer, unsicherer Stimme anhub:

»Es stehen drei Rosen auf Gottes Hirn,
Die schönste ist die Liebe.«

Und im Hui hatte sie den Rotkopf an seiner Brust geborgen und schluchzte: »Rupfen und braten kannst mich!«

»Ja, was tut dir denn weh? Was weinst denn?« stammelte seine ohnmächtige Verwirrung. »Lass mich aus, der Herrgott könnte aus der Staude schauen!«

»Der Herrgott hat nit Zeit für und Brennetleut«, lachte sie und küsste den Elendbischof schnalzend auf den Mund.

Der langte sprühenden Blickes nach der Geige, stieß die Dirn von sich und sprang auf: »Weiche von mir, du Rotschädel!«

Sodann hob er die Kutte bis zu den Knien, hüpfte über eine Kranwitstaude und lief gräulich schnell davon.

Klagend, dass ihr Buhlzauber nicht verfangen, stand das Beichtkind vor dem glimmenden Dorn.

»O mein süßer Herrgott! Warum müssen denn gerad aus meiner Haut rote Haar wachsen!«

*

Der aufnehmende Mond glitt über das Brennet, senkte die verwirrenden Netze über Waldwölbung und Bergtrift, bleichte die vereinödeten Hofstätten, hellte die Steiglein und lugte in die trotzigen Gesichter schlafender Bauernkinder.

Auch in des Elendbischofs Hausung brach er, sich durch die engen Lichtlöcher zwängend und den Weg mit Silber plasternd. Er besuchte die morschen Heiligenbilder, trank im Weihbrunn und stahl sich zu dem braunen Haupt des Schlafenden, der unter der schimmernden Berührung bald erwachte.

Wunsam saß in dem verschnirkelten Beichtstuhl, vom Traum beherrscht, dem buntverzerrten Schatten des Tages. Gestalten quollen ihm auf und zögerten und wurden verwischt, bis endlich scharfumrissen und deutlich sein Dom vor ihm sich hob, die Glockenkammer bis an des Herrgotts Nasenspitze gerückt, die Portalrose mit ihrem vielfarbenen Glas wunderbares Licht verströmend.

Als der Träumer aber nun mit plötzlich erwachtem Auge in seinem Gehäus sich zurechtfand, tat es ihm leid um diese wohnliche, durchmondete Klause, die dem fremdhoffärtigen Steinbau weichen sollte.

Wie heimlich, wie behaglich war dieser Raum, durch dessen mächtiges Gebälk kein Hass der Zeit hereinbrach und kein Wunsch in die Welt hinaus strebte! In der Ampel dämmerte der Rubin des Immerlichtes, vergoldete Flügel zwitterten im Mondschein – die heilige Kunigund am Altarbild hob beschwörend den langen Arm, und herrisch starrte ihr kaiserlicher Gemahl in das Kirchenschiff hernieder.

Wenn Waldkauz und Eulkater draußen wie besoffene Weinbrüder jauchzten, wenn alle Spuk der Bergnacht los war und unten in den Tälern die Lüste und Schmerzen der Welt tosten, hier in der Holzkirche saß einer, ein Geborgener, ein Raingenoss des Himmels. –

Ebenfühlte er wieder eine rosigweiche Traumwolke näher schwimmen und wollte sich in sie wickeln, als es schüchtern ans Tor klöpfelte.

Wunsam sprang empor.

Ist eines am Brennet schwer erkrankt am Leibe, dass es begehrt, noch zur späten Nacht mit Christi Leichnam gespeist und getröstet zu werden? Sucht ein traumgeängstigtes Herz Tröstung? Will ein Verirrter fragen nach dem rechten Weg?

Oder …?

Hüte dich, Elendbischof, tu nicht auf! –

Dem, der draußen harrte, funkelten die verwegensten Augen unter dem weitkrämpigen, befederten Reiterhut, Spitzenkrausen umleuchteten den Hals und aus dem Rotmantel griff eine blasse Hand in den Raufkorb des Degens.

Durch die geöffnete Tür in den geweihten Raum spähend, sagte der Fremde höflich: »Verzeiht, ich habe dies Haus für den Dorfkrug gehalten, zumal die Fenster noch zu so ungewohnter Stunde leuchten.«

Der Klausner entgegnete: »Den verworrenen Zeitläuften mag es anzurechnen sein, dass einer eine Kirche für eines Bierzäpflers Haus anschaut. Und umsonst fragt Ihr da bei uns nach rauschig machendem Gebräu. Die Brennetleute trinken nur das liebselige Gottesgetränk, das aus dem Brunnen quillt. – Wenn Ihr aber müd sein, und Herberg heischet, so heiße ich Euch willkommen in diesem Pilgrimshaus, wo Gott der Herbergsvater ist.«

Zögernd schritt der Fremde über die Schwelle, sein Schraubsporn klirrte.

»Ihr hinkt ja!« meinte Wunsam teilnehmend. »Habt Ihr Euch verwundet?«

»Ich bin gestürzt«, erzählte der Rotmantel, den Schnurrbart zur kühnen Krummnase emporzwirbelnd. »Bin ein Kriegsmann, bin Obrist. Auf der Straße im Tal haben mich Bauern von meinen Reitern getrennt, meine Stute liegt krepiert im Wald, ich selber bin da herauf auf den Berg geraten.«

»Herr Obrist«, sagte der Einsiedel herzlich, »nehmt vorlieb mit dem, was Euch der Elendbischof bieten kann, Obdach und Brot.«

»Der Elendbischof seid Ihr? Ei, ungewöhnlich ist diese Würde!«

»Der Mesner aus der Grün untenhat mir den Namen aufgebracht. – Doch Ihr seid müd, ich bringe Euch ein Pfühl, sind zwar nur Baumfedern drin …«

»Lasst alles, Herr Bischof!« lehnte der Reiter ab. »Mein Geblüt ist aufgeregt, das lässt mich heunt nit schlafen. Erlaubet mir aber, dies Euer Wohnhaus zu beschauen.«

Wunsam nickte. Federnhut und Fuchtel auf die Betbank werfend, hinkte der Fremdling zu dem Kasten, der mondhell und wuchtig an der Wand stand. Zwei alte Holzschnitte waren dort angebracht.

»Sieh da, ein heiliger Schreiber! Der haust auch so einschichtig wie Ihr. Nur rekelt sich dem zu Füßen ein Löwe.«

»Ich tät mich schon getrauen«, erwiderte Wunsam, »durch unablässiges Gebet einen Bären zu zähmen. Hat doch der heilige Wolfgang, der unten in der Grün am Kirchenaltar rastet, mit seinem frommen Wort den leibhaften Teufel gezwungen, dass er ihm hat Seine karren müssen zu einem Gotteshaus.«

»Ihr habt ein tüchtig Wissen vom Meister Urian. Habt ihn wohl gar schon gesehen?« fragten die schmalen Lippen des anderen spöttisch.

Dann betrachtete er das zweite Bild. »Wer ist denn der Gesell? Kahlschädlig, mit dickem Bart, die Plempe reißt er aus dem Balg, Ohren mäht er! Hei du reisiger Grummeter Sankt Peter, du könntest einem Reitersmann gefallen!«

Nun befühlte er das armselige Messgewand, schnupperte an Zinnkännlein und Weihrauchkessel, stöberte Huppe, Sprengwedel und Messschellen auf und blättelte durchs Messbuch. Das Klingelsäcklein war ohne Glöcklein und zerrissen, da steckte er den Finger durch und meinte: »Da drin hält sich kein Küpferling.«

»Die Mäuse haben es durchgebissen«, lächelte der Klausner, »sie haben halt hier nit viel Besseres zu nagen. Das Glöckel daran hab ich dem Kreubergbauern seinem Hütbuben gegeben, der hat eine rechte Freud damit und trägt es allweil um den Hals.«

In einem Winkel des Kastens funkelte es unheimlich auf.

»Holla, wo rumort denn dort der Mond herum?« lärmte der Obrist. »Ein Deckelkrug?! Ei, ich hab geglaubt, die Brennetleute trinken nur das Gettelgetränk, derweil glänzt grüner Wein in dem Glas. Infunde frater!«

»Das ist mein Wasserkrug, er ist leer, der Mondschein spielt nur seltsam darin.«

»Ihr streitet noch dem Teufel den Schwanz weg. – Braucht Ihr denn nit Wein zum Messlesen?«

»Vor einer Woche hätte mir der Mesner aus der Grün einen Speiswein bringen sollen«, sagte Wunsam, »er ist aber auf zerrissenen Holperweg gefallen und hat den Krug verschüttet.«

Das Glas im Schranke funkelte immer verworrener, es war, als gaukelten Leuchtwürmer darin, und der Obrist langte danach und schlug den Zinndeckel zurück: perlender Wein düftete empor.

Da erschrak der Gottesmann tief und stammelte: »Das geht nit mit rechten Dingen zu. Herr, Ihr seid ein Druder, ein Schwarzkünstler. – Wahrhaftig weiß ich nit, woher der Wein kommt. – Ihr lachet? Ihr glaubt mir nit? Und ich könnt zum Zeugnis meiner Unschuld auf glühenden Eisen gehen wie die Kunigund dort am Altar.«

»Es ist nur Mondmilch, frommer Bruder! Der Mond, der Trugschmied, tört Euch«, tröstete der Fremde, ihm das Glas unter die Nase haltend: es war leer. Verwirrt schüttelte Wunsam den Kopf.

Nun schielte der seltsame Gast auf das Altarbild, wohin der Klausner eben gewiesen.

Goldbeflügelte Engelbuben umhockten das Gemälde, das eine einfältige Kunst geschaffen. Da stand die Kaiserin Kunigund in blauem, besterntem Mantel, der hilflos flutend an ihr herabhing und um ihre Füße wie ein windgekrauster Weiher sich staute. Ungestüm ihre Reinheit beteuernd, legte die Heilige die Linke ans Herz, die Rechte hob sie zum Schwur. Aber ihr rosiges Bauerngesichtlein lächelte, und eine missratene Nase sprang wie ein Schnabel aus diesem Lächeln heraus. Vor ihr hockte hemdärmelig und scheußlich grinsend der Peinmann, dessen Zange ihr eine glühende Pflugschar hinschob. Und Kaiser Henricus der Andere saß hermelinumbrämt unterm Thronhimmel, den Reichsapfel steif von sich haltend und die starren Augen an der Feuerprobe vorüber ins Leere richtend.

Höhnisch deutete der Obrist auf die große Nase der Heiligen. das erboste den Einsiedel, und er ereiferte: »Ganz recht ist die Nase, sie könnt nit besser passen. Das Katherl hat auch keine schönere Nase!«

»Das Katherl?!« Des Fremden Augen stachen. »Das Katherl! Wer ist denn das? – O du einsamer Brennetmann!«

Dann ward er wieder ernst, und mit einem langen Blick die ganze Ärmlichkeit des Kirchleins umfassend, sprach er: »Traurig bestellt ist es mit der Pfalz des Elendbischofs!«

Der aber wehrte sich: »Und doch ist gar mancher, der krumm auf Krücken den Berg heraufgekrochen ist, durch dieses Bildes Kraft heil worden und wieder davongetanzt wie ein Hirsch!«

Und die Geige, die im Gestühl lag, ans Kinn nehmend, spielte er die einfältige, gute Weise eines alten Wallfahrerliedes.

»Zu deinem Geigenstrich tanzt der Herrgott«, nickte der Rotrock. »Meine Kunst ist aber anders.«

Mitten im Spiel nahm er Wunsam die Fiedel weg und setzte sich in den Beichtstuhl. Und als er eine Saite gerissen fand, zog er von der Kutte des errötenden Klausners ein rotes Frauenhaar und spannte es über den Steg.

»Nun merk auf, Elendbischof, was ich dir geige!«

Das tönende Holz hielt er in der Rechten, die andere Hand führte den Bogen. Silberfunken zückten aus dem roten Haar und die Pracht des Weges, den die Weise zog, entführte dem verzückten Lauscher die Seele aus dem Leib und schleuderte sie in einen Wirbel von Träumen, in tosende Schlachten, auf den Rücken königlich gezäumter Rosse, vor prunkende Hochaltare, schleuderte sie in fiebernde Leidenschaft und in die Himmel überselig machenden Menschenglückes – und nie gedachte Wünsche sprühten in Glutdolden durch seine verwandelte Seele.

»Lauf davon, Elendbischof! – Ein tannengerader Mann bist du, deine Brust ist breit, furchtlos dein Herz. – Gestern hab ich den Tilly gesehen, der hätt auch ein Mönch werden sollen. Jetzt ist er der größte Generalissimus der Christenheit. Die Feder wallt von seinem Hut, er reitet einen Grauschimmel, er reitet vor Tausenden einher. Die Welt bebt vor ihm, die Festen der Ketzer rauchen. – Willst du nit auch ein Reiterbischof werden?«

Der Schreck leckte alles Rot von Wunsams Wange, tiefatmend flüsterte er: »Wer bist du?«

»Was fragst du? Kennst mich ja schon. Ich bin der – Teufel!«

Wie vor einem entblößten Hundsgebiss fuhr der Kunigundenklausner zurück, sein Haar reckte sich auf.

»Und in meine Kirche wagst du dich?«

»Ich habe schon Gewaltigere versucht«, sagte der Geiger auf das Fronkreuz schielend, das unter dem Altarbilde sich hob. »Verhülle den dort, unerträglich wird mir sein Anblick!«

»Ich verhülle ihn nit, du könntest Macht gewinnen über mich.«

»Fürchtest du mich schon?«

Wunsam bekreuzigte sich und roch in die Luft, worauf der höllische Rottenführer lächelte: »Ach – ich stinke nit!«

Wieder begann das singende Haar. Da schrie ihm der Versuchte darein: »Hebe dich von hinnen, du Affe Gottes! Dein welsches Lied umklaut mich nit, eitel sind die Wollüste der Welt!«

Die Geige ward zur buhlerischen Nachtigall und rauschte und küsste, und dem Betörten ward, als flöge er hoch in Lüften immer weiter vom stillen Brennet weg und verführende Arme griffen von der Erde nach ihm empor.

»Draußen, Elendbischof, ist die Welt! Dort harren süße Frauen, Frauen mit heißen, blauen Augen; du vergehst vor Glück, wenn sie dich anschauen. Weiße Hände darfst du fassen, weiche, liebeswilde Lippen wirst du küssen, hörst du, Elendmann, – weiche Lippen …«

Wunsam hob die Arme.

»O Herr, schlag mich, brenn mich, schneid mich, lass Verfolgung mich angreifen und überfallen, nur wappne und rüste mich gegen die listigen Anschläge der Hölle! Ihr heiligen Blutzeugen, die ihr versteinigt und zersägt worden seid, steht zu mir! Sankt Peter hilf mir! Hilf mir, Kunigund!«

Der Spielmann schlug die Beine übereinander. Wie ein gewaltiges Orgelwerk begannen die Töne zu brausen.

»Wie dürftig und kahl ist es hier, Elendbischof! Ist das ein Gotteshaus? Es ist eine Hundshütte. Der Holzwirm höhlt die plumpen Götzen; die blecherne Glocke im Turm rostet, rostig ist deine Monstranz, rostig wirst auch du. Deine Bettelkutte ist schleißig. Der Föhrenzapf, den du im Walde findest, ist nit dein. Rostig wirst du, Brennetklausner! – Draußen in der Welt aber kannst du ringen und steigen. Der Erzbischof von Salzburg hat Schlösser aus rotem Marmor, – die Kuppeln der Prager Kirchen leuchten, – hoch ragt der Dom, der steinerne Dom zu Regensburg! – Denk an die Orgeln, die milden Lenzwindorgeln, die grollenden Donnerorgeln, denk an das tiefe, tiefe Geläut der Glocken! – Draußen wirst du, ein Bischof, in Marmorpfalzen thronen! – Oder willst du Papst werden …? Nichts ist unmöglich!! – Roma, steig auf, rufe! Stürzet auf die Stirnen, Völker der Erde! Wunsam naht, umkniet von Priesterkönigen, vom Elendbischof erhoben zum dreigekrönten Verweser des Gottesreiches auf Erden!« –

Die Sinne waberten dem Klausner durcheinander, in tiefster Bedrängnis faltete er die Hände gegen das Kreuz und schrie: »So schau du mich an, du Haupt mit Dornen gekröniget, so hilf du mir, Gott Sohn, Gott selber, du, dessen Kraft den Bergsturm gängelt, dessen türmender Wille das Brennet gehoben aus den Tiefen! Lass mich nit sinken und vergehen! Christe! Christe!«

An diesem starken Namen zerschellte die Gewalt des Bösen; er knirschte die Zähne, als habe er Steine im Munde; die Geige ließ er fallen und wankte betäubt zum Tor.

Weit, weit musste er heute schon gewandert sein, müd und schwer war sein Gang – und die Tür öffnete sich ihm in die fremde Nacht.

Brennetklausner, was tust du?!

Nicht hausen und nicht hofen darf man ihn, den Gott geächtet. – Aber ist er nicht obdachlos? Und den mondlichtverwirrten Weg findet er nicht über den Berg …

Schon hatte Wunsam ihn eingeholt. »Mein gottverstoßener Bruder aus der Hölle, bleib und raste dich aus! Schau, ich breite den Messmantel über den Kruzifixus; ich weiß, er ist mir nit bös deswegen.«

Mit spottverzerrtem Munde kehrte der Gast um, warf den Mantel auf den tännenen Estrich und setzte sich darauf.

»Fiedeln soll ich nit, griesgrämiger Einsiedel, also würfle mit mir!«

»Ich hab nix zu verwürfeln, hab kein Eigentum.«

»Du hast, was ich begehre – deine Seele!«

Schauerlich hallte der Raum nach diesem Worte, dass es dem Einsiedel eine Gänshaut nach der anderen über den Rücken jagte. Die Mondbalken, die durch die Lichtlöcher hereinstießen, fingen zu wackeln an, der erhobene Arm der heiligen Kunigund bebte, das Henkerlein riss fürchterliche Gesichter, und rollend bewegten sich des Kaisers Eulenaugen.

Wie ein Rad drehte sich die Kirche; alle Körper waren verwandelt in fiebernden Schein.

»Nun??!«

Da fiel dem Klausner jäh der Wunschwürfel ein, den er nach dem Begegnis bei dem grünrauschenden Beichtstuhl ganz vergessen hatte, – und ein gewaltiger Gedanke drohte ihm das Hirn zu sprengen.

»Ich würfle!« stieß er heraus.

Einen Aderschlag lang blieb der Versucher starr, dann lachte er hämisch in sich hinein. »Der Höllriegel rostet nit ein. – Aber lange hast du dich nit gesträubt, Wunsam!«

»Ich würfle.«

»Wenn ich gewinne«, raunte der Böse schier zärtlich, »sollst es gut haben bei mir, Bischof, wirst als Pförtner vor der Hölle stehen wie der Peter dort vorm Himmel. Wenn aber das Würflein dir gnädig will, was ist dann meines Amtes? Willst du eine Schüssel gebratenen Regenbogen? Soll ich Steine karren zu deinem Dom oder dir das Katherl auf der Scheibtruhe hereinführen?«

Ernst erwiderte der Brennetklausner: »Ich schlage meine Seele in die Schanz – und du – die deine!«

Verdutzt schielte der Erzfeind auf, er kraute sich hinter die Ohren und hüstelte verlegen. »Solchen Einsatz, Pfäfflein, hat noch keiner von mir verlangt. Geld, Weihrauch, Frauen – tausendmal, aber meine Seele – noch nie.«

Doch die Spiellust des Finstern siegte über alle Bedenken. Auch schien er stolz zu sein, dass seine verstoßene Seele einen gefunden, dem sie begehrenswert deuchte, und so holte er ein Hölzlein aus dem Sack, schüttelte es in den hohlen Händen und schleuderte es ins Mondlicht.

»Es gilt!«

Der Würfel zeigte ein Auge.

Hastig kniete der Klausner hin und warf mit seinem Wunschknöchlein sechs Augen.

Wortlos, glosenden Blickes saß der Besiegte.

Der andere aber hielt ihm das Deckelglas an den Schnauzbart und brüllte: »Hinein mit der Seele!«

Da verzog der Teufel das Gesicht, als söffe er Gallapfelmost, er erbebte heftig, wurde wachsgelb und spie endlich eine grüne Flamme in den Krug. Schallend klappte das Zinn zu.

Nachdem Wunsam noch vergeblich nachgesehen hatte, ob der Leblose irgendein Hörnlein auf der Stirn führe, zerrte er die nun fahlgrüne Leiche hinter den Hochaltar.

Dann schwang er wie berauscht den Krug. – Der Satan angepflockt! Freuet euch, Menschen, der Hölle Pforten fallen zu, auf ewig zu; sündenleer wird die Erde, da der Versucher schweigt; der Totentanz des langen Krieges wird enden! Friedlich wird es allerwegen sein wie auf den Wiesen des Brennets.

Und der Elendbischof enthüllte wiederum das Kreuz, sank in die Knie und hub ein kräftiges Tedeum an. Des Teufels Seele aber winselte im Glas wie ein Hündlein. –

Der Teufel ist tot, morgen wird sein Aas in einer sauern Wiese verscharrt, ein Irrwisch mag sein Grabmal sein.

Wie aber wird es hernach auf der Erde zugehen?

Des Brennetklausners vorausspähender Geist ahnte es: ehe das tausendjährige Reich des Friedens sich gründet, muss die alte Schuld in Reue und Selbstanklage schreiend nach Vergebung verlangen.

Ja, bald werden sie das Kirchentor aufreißen und heringetrampelt kommen: der Brennetbauer, der Kreuzbergmann, der Pointner, der fluchende Absalon, dann die Weiber, die Knechte, die Dirnen und die Knder, alle weiß wie ein Leilach, alle zerknirscht und mit zerrütteter Seele.

»Was wollt ihr?« wird der Klausner fragen.

»Beichten wollen wir, die Sünden abtun!« – »Die Schuld zerdrückt uns.« – »Ich bin in einem Feuerofen!« – »Wir wollen nit in Sünden dahinfahren!« So werden sie durcheinander schreien, beten und weinen.

Der Elendbischof wird sie beschwichtigen. »Seid nur still! Kommt eins nach dem andern zum Beichtstuhl!«

Aber die Gewalt der Reue wird aus ihnen rufen, als wäre der Jüngste Tag angebrochen.

»Laut wollen wir bekennen, alle sollen es hören!« – »Mit einem Heuwagen voll Sünden fahr ich in die Höll!« – »Straf und Geißel schick mir, du gemarterter Herrgott!« – »Himmlischer Heiland, lass mein Vieh hin werden, nur die Seel soll mir nit verderben!« – Und der Trummel-Absalon wird mit seinen steifen Beinen herhüpfen, wird den Würfel packen, der dort auf der Diele liegt, und hineinbeißen, dass ihm die gelben Zähne wegspringen und das Blut aus dem Maule spritzt. Die Sündlein der kleinen Kinder werden wie blaue Schwalben von Fenster zu Fenster flattern, und ganz zuletzt ruft wohl eine aus dem finstern Winkel heraus: »Ich hab die ärgste Sünd, ich hab dem Brennetklausner ein Busserl gegeben!«

Also grausig malte sich Wunsam die Reue seiner Gemeinde aus, dass es ihm schier leid tat, den Teufel entseelt zu haben. Und als er ins eigene Herz hineinhorchen wollte, wie es jetzt da drinnen zugehe, da pochte eine Faust ungestüm an das Tor.

Der Mond erschrak und zog hastig seine weißen Leitern aus den Fenstern, so dass es in dem Raume dunkel wurde.

»Jetzt kommen sie!« –

Gefasst nahm Wunsam das Kreuz und schritt zur Tür.

»Wer ist der Reuige, der Einlass begehrt?«

»Ich bin's, Klausner!«

Wunsam prallte zurück, das war des Katherl Stimme. – Dass die so bald Reue und Leid erweckt! –

»Was willst denn?«

»Hinein!«

»Warte draußen, bis die anderen kommen! Beichte derweil durchs Schlüsselloch!«

»Es kommt sonst keiner – und beichten mag ich nimmer.«

»Was, du magst nimmer beichten, jetzt, wo der Teufel tot ist?!«

»Was redest denn zusamm? Der Absalon ist tot, aufgehängt hat er sich. An der Buche, wo er immer gesessen ist, beutelt ihn der Wind hin und her. Du sollst hinkommen, lässt dir der Bauer sagen.«

»Lüg nit, Dirn! Das kann gar nit sein, der Teufel ist hin, und nix Schlechtes mehr kann auf der Welt geschehen.«

»Ich lüge nit. Er ist noch warm, und die Zunge hängt ihm heraus bis auf den Bauch.«

»Ich kenne dich schon, vor die Tür locken willst mich, Nixnutz! Der Erzfeind ist gestorben, aber bei dir wird er nit hin, in dich hat er sich zu fest eingekrallt!«

»Ja, ich weiß es, die rote Höll brennt mir aus dem Schädel heraus, o mein, o mein!« Und sie fing jämmerlich zu heulen an.

Das erbarmte den Mann; Furcht und Vorsicht lassend, trat er zu ihr hinaus.

»Es ist ja recht lieb, dein Haar! Schau, mir graust gar nit davor.« Und er strich sanft und scheu über ihr rotes Haar, und die vorlaute Dirn stand ganz still, die Reinheit dieses Trostes ahnend und das Mitleid, das sich verschenkte wie die liebe Sonne. –

Der Mond war versunken.

Nachtverschlossen starrte der Wald. alle Formen waren in der Dämmerung fremd verwittert, nur oben hoch klaffte aufgerissen des Himmels strahlende Schatzkammer.

Die beiden eilten über die feuchten Grassteige.

Wunsams Herz glich mit seinen jäh aufgeschreckten Fragen einem Krähenhorst, worein ein Stoßvogel gefallen.

War es gut, den bösen Feind zu töten?

Die Menschheit ohne Versucher! – Nun schießen die Heiligen aus dem Boden wie die Schwämme nach lauem Regen. Wie musste sich ehdem einer schinden und plagen um das Glorienflämmlein, das von nun an jedem Menschen von selber wie das Haar aus dem Kopf wachsen wird!

Tugend soll sich bewähren an dem Prall der Welt.

Aber du, Brennetklausner, ist es dir nicht von je leicht gemacht worden, wie ein Heiliger zu sein – in deiner sündenentrückten Einsamkeit – auf dem vergessenen Berge –?!

Und war hast du getan, um einst ein lichter Himmelssasse in Gottes Fronreich zu werden und des Herren Händedruck und Lächeln zu verdienen? War dein Schaffen wertvoll?

Und Wunsam war es, als hörte er die Bergbauern in der Betbank schnarchen und sähe sich unter den Bäumen müßig stehen und nutzlose Märlein predigen, – und das Herz war ihm schwer …

Aus dem Schober Menschen, die die Buche umstanden, prasselten die Flüche Absalons auf.

»Elftausend Höllteufel! Was habt ihr mich nit hängen lassen?! Die himmlische Heerschar hat mir schon entgegengetrummelt. – Aber das sag ich euch, wenn mich der Aiß wieder so zwickt, dann weiß ich mir einen Ast im Wald drin, wo ich mich ruhig ausstrampeln kann.«

Wunsam trat in den Kreis der Brennetleute.

»Du wirst nimmer verzweifeln, Absalon! – Ihr Männer aber, loset auf! Niemand mehr von euch wird eine Sünde tun, denn heut in der Nacht ist der Teufel hin worden.«

Wie einen Wirrsinnigen glotzten die Leute den Predeger an. Aber eine bedächtige Stimme erwiderte ihm: »Ich bin aber der Meinigung, dass er gerade jetzt wieder lebendig worden ist. Da schauet, was dort drunten aufsteigt!«

Aller Augen tauchten in die Nacht hinaus, die über den böhmischen Gebieten lag: am Ende des Gesichtsfeldes flammte ein rötlicher Streif, hastig wachsend schwoll er zum breitdüsteren Glutband, das seinen Schein weit über den Himmel rinnen und alle guten Sterne verblassen ließ. Es war die Brunst unglücklicher Dörfer und Flecken, es war die verfluchte Fackel des endelosen Krieges, die des Landes Schlaf jäh zerschlug.

Mit einem Wehschrei deckte der Elendbischof die Hand über sein Antlitz …

Einsam und schwer war sein Heimgang, seine Sohlen wanderten wie auf glühenden Pflugscharen. Der Wald umfinsterte ihn und sprach zu ihm und gab ihn wieder frei der hellen Nacht, deren furchtbare Röte leise zurückebbte.

Ehe er in seine Klause trat, rief er mit zum Stöhnen gekrampftem Atem qualvoll himmelwärts: »Was soll ich tun?«

Stumm leuchtete der Sterne Friede seiner Frage in das verzweifelte Antlitz. –

Wunsam entzündete in dem dunkeln Raume eine Kerze und sucht den Krug, der des Teufels Atem barg: nüchtern und inhaltslos aber stand das Glas im Kasten. Und als der Klausner hinter den Altar sah, fand er die Stätte leer.

Da wich mählich von ihm die wilde Frage; Klarheit und Friede deckten ihre Flügel über seine Seele, die in den Schatten des Gebetes versank.

Als der Hahn durch den Morgen rief, zog einer frohkräftig den Glockenstrang, dass das morsche Türmel wackelte. Und das stille Volk des Brennets kam, von den Ereignissen der Nacht in Gottes Nähe gescheucht. Frische und verdorrte Lippen regten sich im frommen Flüstern, knöcherne, grobhäutige Bauernfinger griffen betend ineinander. Und als Wunsam seine letzte Messe in der bergverlorenen Kunigundenklause gefeiert hatte, wandte er sich an die Andächtige.

»Meine Bleibstätte kann nimmer bei euch sein. Mag Gott euch hüten! Ich will ins Land hinunter, in den Krieg, um denen Trost zu bieten, die sein begehren. – Ein Bröslein Brenneterde trage ich mit, dass nit allzu heißes Heimweh nach diesem Berg mein Wallbruder werde!«

Und er schwieg davon, dass es sein Wille war, Gott zu zeigen, dass sein Herz auch in der rauschenden, lüste- und leidesreichen Welt unberührt und sich selbst getreu weiter blühen könne wie vordem in geborgener Einsamkeit und dass dieser Wille bewirkt hatte, was des finstern Geigers Kunst misslungen. –

Als er mit dem Reisestecken getal schritt, traf er an der Brunnwiese eine, die ließ traurig den Rechen ins Grummet sinken.

»Dirn«, tröstete Wunsam, »wenn der Winter im Wald kracht und die Bäume schier mit seiner Last erdruckt, dann musst du die armen Wesen erlösen, musst ihnen den schweren Schnee vom Aste schütteln – und wenn sie sich wieder lustig in die Höhe recken und dir ein Vergelts-Gott zudeuten, dann wird dir sein, ich stünd neben dir.«

So fiel noch ein holder Strahl in des einfältigen Katherl Herz. –

Immer funkelnder hob der Feiermesse der reine Hohepriester Tag die Weltmonstranz, in gottdurchbrauster Schöne lagen unten tief die Gebreite des Osserlandes, türmte sich das Waldgebirge auf.

Und Wunsam war der hellen Gewissheit, dass der, dessen Güte unerschöpflicher ist als die Wälder des Ossers, bald die Völker führen wird aus der herben Prüfung des Krieges, dass der treue Herrgott wie zu Lebzeiten des Altvaters Noah auf dem siebenbunten Friedensbogen sitzen und seine Füße baumeln lassen wird über eine grüne, beruhigte Welt.

Also verließ der Elendbischof, in seiner Armut und Reinheit dem Schicksal überlegen, das waldige Brennet, und die Sonne ruhte – ein Lächeln Gottes – auf der Erde.

 


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