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Der Wanderer

Eine Sage aus dem Markwalde

Dem umstellten Eber gleich, der mit schäumendem Gebreche verzweifelt den Rüden steht, harrt der Wanderer des Angriffes. Roh keuchte der Kampf: die Feinde bissen und würgen, steinigen und zerrten, und ob er ihnen auch zwei Männer niedertrat, sie waren zu viele und bändigten den Fremden. Als sie ihm das Geschmeide, das er im Mantel geborgen, genommen hatten, flochten sie ihm die Glieder an eine Stange und schleppten ihn fort.

Sie schleppten ihn wie einen überrumpelten Bergbären durch alle Furchtbarkeiten der Wildnis, durch Fels und Farn, auf Pfaden, die stürzende Weißtannen ins verstrüppte Unterholz geschlagen. Sie wateten bergwärts in dem rasenden Bernstein brauner Bäche, die aus dem Irrsal der Dickungen hervorsausten. Sie ruhten selten, um endlich, als der Wald auseinanderriss, an einem Hochsee zu halten.

Schwarze Wälder schütteten ihre Dunkelheit in die Wasser, Felswände reckten sich, aus den Klüften und Öfen wuchsen die Nebel, und eines Berges finsteres Haupt tauchte auf und mummte sich wieder in den Tarnschleier gleitenden Gewölkes.

Schweiß brach aus den Nacken, die den Fremden über das Moorgestade trugen. Er wurde in die Mulde eines blutbeschmutzten Steinblockes gelegt, der hart am Wasser lagerte.

Aufgescheuchte Elchhirsche kamen durch den See geronnen, Geier stiegen kreischend und sanken.

Lange blieb er einsam und hörte die schlagenden Wellen und sah, wie sich die lebendigen Nebel fanden und verließen, ballten und lösten und hastig zerstoben.

Bis plötzlich eine Frage kam. Sie schien von leerer, grauer Luft getan.

Der Gebundene wandte das Haupt nicht nach dieser Stimme, doch erwiderte er. »Ich bin ein Wanderer.«

»Ein Wanderer? – Wohin?«

Stöhnend schwellten Leid und Wut des Fremden Brust, seine Glieder stemmten sich gegen die Fessel, den Schädel schlüfte er sich wund am Opferstein – und ward erst ruhig, als ein Schlachtmesser seine Kehle berührte.

Um die weiße Säule des Frauenhalses, den er über sich sah, lag farbiger Tonschmuck.

Da lächelte der Mann jäh und flüsterte: »Armselige Erde ziert deine bleiche Haut, Mädchen! Wie wollte ich sie leuchten machen unter silbernem Geschmeide!«

Die eisgrünen Augen erglommen ihr. »Du bist ein Schmied?«

Er nickte. »Schwert und Spange fertige ich wie kein anderer.«

Der Nebel kreiste immer näher, feig und schleichend wie der graue Wolf. Ein Mann trat aus dem Wald, dem nebelverwischten Wald.

»Du stichst ihn nicht ab, Neide? – Der See lechzt!«

Verloren blickte sie auf. »Schwert und Spange fertigt er wie kein anderer … Vater, lass den Schmied am Leben!«

»Sieh diese furchtbaren Gelenke, sieh die starken Beine! Er bleibt uns nicht am Ötwechsee.«

Rau lachte sie auf und griff des Schmiedes zuckende Knie, das Messer in die Sehnen senkend.

Da brüllte der Gebundene: »Lähme nicht die Beine, ich bin ein Wanderer! Nehmt euch meinen Arm!«

»Die Arme müssen dir bleiben, kunstreicher Mann!«

Wie feierliche Geister zogen die Nebelschwaden über die bewegten Wasser. –

Ins triefende Felsgeklüft der Seewand bauten sie ihm die Esse, brachten sie Schmiedzeug und Feuer und verkohltes Holz.

Ob aber auch der König Tag für Tag aus dem tiefen Regintale heraufkam und drohte und höhnte und bat – reglos und dumpf lagerte der Lahme auf der rauen Bärenschur, ließ die Lohjungfern vergebens im Felsenofen tanzen und träumte von der Ohnmacht seines Leibes, träumte von dem ungeheuren Raube, den man an ihm begangen, und fühlte das Gebein im atmenden Leibe morschen und das Blut darin gestaut wie einen faulenden Sumpf.

Tag drängte sich an Tag – gleichgültig und leer – zu einer blöden Herde.

Draußen gurgelten in Riss und Runse die Wasser, die auf des Ötwechs Höhen geboren, schleiernde Fälle zischten die Wände nieder, in den finsterkronigen Fichten hockten die Geier.

Eines Tages aber stand jene vor ihm, auf die sein Hass harrte wie das Feuer des Holzes.

Neide, die Priesterin des Sees, stellte ein Körblein hellen Schmuckes, den man dem Fremden geraubt, nieder; Willo, den jungen Bruder, hielt sie an der Hand.

»Hebe deine Stirn, trotziger Schmied, und lehre mich, diese Zier zu tragen, die mir fremd ist!«

Die Ahnung fernen, dunkeln Vergeltens durchhämmerte jäh des Lahmen Herz, er reckte das sonnenbrunstgebräunte Gesicht empor und nahm den Schmuck aus ihren Fingern. »Ich will dich zieren.«

Er befestigte der Knienden das Silbergehäng um den Hals und unterwies sie, wie sie Armspange anbringen solle und Gürtel.

»Neide« – seine Worte waren zärtlich und leise – »ich hämmere dir ein Krönlein, ich fertige dir funkelnden Flitter!«

Hell lachte sie auf und schlug, sich an den Rand des Löschtroges setzend, wie ein Kind die Hände zusammen.

»Eines möcht ich wissen, Schmied, – wes Stammes du bist!«

»Mein Volk ist das Volk der Sinner, es träumt und wandert und begräbt seinen König in Flammen, die es mitführt, und in Strömen, denen es begegnet. – Ich heiße Wieland. Über vereiste Meere, durch finsteren Wald folgte mein Weg dem Fluge der wilden Vögel, das Land der Schwäne zu suchen, weiße Firnen, dahinter helles Meer. – Wonne war mir, zu schauen die Wunder der Welt …«

Und Willo, der Knabe, unterbrach den Mann: »Schmiede mir Spielzeug, lahmer Knecht!« –

In derselben Nacht noch schnitzte sich Wieland zwei starke Krücken, und nun erhob sich am Ötwechsee ein Hämmern und ein Läuten, nun bog und reckte sich das Eisen, zischend kühlten sich im Löschborn die Weißgluten, der Fels sang von Schmiedelärm und kling klang ging es über Wasser und Moor.

Er schuf sich seines Werkgerät; er hämmerte für Willo wunderlich verschlungenes Eisengewürm und bereitete gehorsam dem König scharfe Beile und schwere Schwerter mit Griffen, welche Tierköpfe waren, aus deren Rachen die hellen Schneiden wie Zungen sprangen. Und unheimlich fertigte er für Neide prunkenden Silberschmuck.

Oft trug ihn das Floß auf den See hinaus.

Mit Augen, denen alle Sehnsüchten eingeschmiedet waren, maß er die Schneide der tannenüberfinsterten Felswand und folgte ihrem jähen Aufschwung zu des Ötwechs sturmumbuhlten, sonnenumworbenen Kegel, sah er die blitzende Welle sich heben und Wolken über die Wälder wachsen und wieder entwandern.

Nächtens einst kauerte er schlaflos auf dem Bärenvließ, heimgesucht von dem Gram um die verlorene Welt und den heißen Drang des Wanderns und die Sehnsucht, um deren Erfüllug man ihn betrogen, tausendfach fühlend. Da glaubte er, in den Glühofen stierend, dort Gott Lohhos flammenumlocktes Haupt zu schauen. Er kroch zur Feuergrube und schmetterte den Hammer in die Flamme, dass sie stöhnend stille stand.

»Wer wandert über die Erde ohne Fuß?«

»Der Tod …«

Wieder sank der Hammer in die sprühende Glut, wieder stöhnte die wissende Flamme.

»Wer wandert über die Erde ohne Fuß?«

Ein hässlicher Vogelschrei kreischte antwortend durch die Stille, er drang wohl aus dem wilden Traum eines Geiers.

Auflachend warf der Sinnende den Hammer weg, und die Flamme verkroch sich ängstlich in die Asche und verendete. –

Von dieser Stunde an wurde es stiller in der Schmiede, und aus dem Grübler ward ein Lauscher. Die Krücken trugen ihn in den Wald hinaus, ins Moor und zum See, und die Augen wurden ihm in den Baumkronen heimisch und in den Lüften. Alles, was Flug war, zog ihn an: er belauschte das Flattern der schillernden Vöglein, die Spiele des wilden Gänsers und der Ötwechgeier einsame Kreise.

Die großen Vögel hatten bald gemerkt, dass in der Höhle, die Erzlärm und Rauch spie, einer hause, des wuchtiger Leib viel Fraß brauche und der nach seinem Mahle Fleisch und blutiges Gedärm in Fülle zu verschenken habe – und die erst in scheuer Gier vor der Schmiede geharrt hatten, wurden immer dreister, sie schritten bis zur Schwelle, bis zu Amboss und Esse, bis zu Wielands gelähmten Knien. Nimmer scheuchte sie sein dröhnender Hammer, sein Lockschrei »Horodüh!« bannte sie herbei. Und er achtete, wie sie mit breitem Geschwinge langsam und feierlich aus den Lüften sanken und sich mit schwerem Flügelschlag entfernten, bis sie die Höhe verschlang. Oft ergriff er einen, um tastenden Fingers den harten Fittich zu prüfen.

Und dem gefräßigsten Geier gab er den Namen Neides. –

Schon ward der Sommer müde.

Da packte der Schmied des Königs Söhnlein, das ihn besuchte, und schrie den Geiern.

»Horodüh!«

Mit gierklaffenden Schnäbeln hockten sie auf dem gefesselten Willo, – und ein läuternder Hammer verhüllte des Sterbenden Qualschrei.

Darauf nahm der Lahme die satten, ahnungslosen Vögel – einen nach dem andern – zwischen die starken Knie und erwürgte sie. Den Flügeln die Schwungfedern entrupfend, ordnete er diese kunstvoll aneinander und verband die Schäfte mit Draht.

Indes er so Kiel an Kiel zu einem neue, großen Fittich fügte, glitt ein Schatten zur Tür herein, dessen grauer Träger eine Sense auf der engen Schulter und in der Hand eine Sanduhr hielt. Er setzte sich auf den Amboss und sah dem Schmiede zu, der stumm und rasch sein Geflecht vollendete.

»Schmied, meine Sense ist krumm und schartig!«

Klingend fielen des Stundenglases Scherben aus des Sensners Hand, bleichen Sand verrieselnd: die Hitze des nahen Ofens hatte die Uhr zerbrochen.

Da nahm Wieland die verdorbene Schneide von des Gastes Schulter und hämmerte sie zurecht. Schweigend prüfte der Graue die Schärfe des Eisens, dann fraß sein Blick den Wiesentnacken, den wuchtigen, elchvließumgürteten Rumpf des Schmiedes – und danklos verließ er die dämmerige Stätte. –

Die Sonne stieg und ward von einer eisenschwarzen, donnerschangeren Wolke erstickt. Still und schwül stand die Luft.

In die Höhle tretend, sah Neide den blutberonnenen Boden und das große Federwerk an der Wand, doch ehe sie noch fragen konnte, rückte der Schmied einen Block aus dem Felsen und wies ihr ein Versteck, dessen funkelder Hort sie erbleichen machte.

Er aber schmückte sie: um die Hüften gürtete er ihr zwei sich umstrickende Silberschlangen, zierliches Gehäng festigte er an ihr Ohr, Kettlein rieselten über Hals und Nacken. Wielands Finger zitterten nicht, als er ihr die Gewandärmel zurückschob und blasse Spangen um die Haut von Silber und Rosen legte. Mit einem Bernsteinkamme ordnete er ihr gelbes Haar und flocht es mit silbernen Fäden; auf ihren Scheitel aber gab er ein zackiges Krönlein, von dem eine geheimnisvolle metallene Rune auf die Stirn des Mädchens niederhing.

Reich und schön stand sie vor dem Spiegel, den er ihr bot. »Kein Weib im Walde trägt solchen Glanz!« sagte sie, in ihr Bild verloren.

Da reckte sich der Lahme jäh und loderte auf: »Hab dich für mich selbst geschmückt!« Schon schlossen sich seine Arme gleich Schmiedzangen um die Betroffene, und seine Augen waren wütend und feurig wie die eines Auerstieres.

Blasser Hass und grellstes Dunkel der Scham rasten wechselnd über ihre Stirn, keuchend spie sie ihm ins Gesicht: »Hundling! Knecht! Hundling!«

Gürtel und Gewand ihr vom Leibe reißend, beschmutzten die rußigen Fäuste die rosige Haut, plumpe Finger umkrampften das Weib, so dass ihr Atem kaum mehr die Bitte ertrug: »Wirf mich in die Esse!« Doch die unentrinnbaren Arme drückten sie nieder auf den schmutzigen Estrich.

Draußen herrschte die eisenschwarze Wolke. Der See schäumte grüne Galle, die Bäume krächzten und stürzten, es flammten die Gebirge, über die des Malmergottes Fuhrzeug polterte, mit feuerkeuchenden Stieren bespannt. –

Die Wolke hatte ihre Donner veratmet, fern verrollte das Hochgewitter, sonnig und blau ragte der alternde Tag.

Da hob es sich mit rauschender Schwinge über den See, gestrammte Arme ruderten in den Lüften, und heiße Fröhlichkeit überkam den, der den Krücken entronnen war. Wie eine Last war die Erde von der lahmen Ferse gewichen und immer mehr und mehr unter ihm hinab ins Tiefe gesunken.

Geiergleich stieg er, frei und sicher – bis er auf einen geflügelten Gegner stieß, den Höhensturm. Wütender, zausender Kampf begann, Schulter stemmte gegen Schulter, Schwinge prallte gegen Schwinge, doch Wieland rang sich, ein Sturmzwinger, hoch über den reißenden Luftstrom, hoch über des Ötwechs steinbehelmtes Haupt hinaus.

So hing er nun, rüttelnd wie ein Falke, preisgegeben der Sonne, in einsamster Höhe, und die Erde lag tief unten wie eine Beute.

Tief unten zog – die grollende Braue der Welt – der Markwald grün und schwarz und verblauend, Täler zwängten sich zwischen Riegel und Ruck, eine gefrorene Brandung drohte auf: die wildzackigen Türme des Ossers, das Doppelhaupt des Ragers, des Lusens übersteinerter Gupf. Funkelnd pulste in ferner Niederung das Silberblut der Done.

Weit draußen aber die flirrenden Fernen des Südens gekrönt von leuchtenden Riesenfirnen – und der Starke fragte in wilder Freude hinaus: »Bist du das Land des wilden Schwanes?«

Da scholl aus der Tiefe, wo schwarz und schwer der See starrte, ein verlorener Ruf voll Bangnis und Leid: »Neide! Willo!«

Eisern umzangten der Trotz den Flieger und zwang ihn hernieder aus sicherer Höhe, ließ ihn allmählich sinken und dem König rufen.

Der erschrak, als er den wunderlichen Vogel sah, und spannte den Eibenbogen. Aber der Schmied flog furchtlos immer tiefer.

»Wo sind meine Kinder, du Zauberer? Die Schmiede ist voll Blut …«

»Ich bin ein flügger Geier, deinen Sohn fraß ich; im Walde mag deine Tochter irren, ich zwang sie …«

Aufschrie der Vater in wütendem Weh.

Wieland aber fühlte jäh seine Sehnkraft erlahmen, schwer ward sein Leib, er sank – und sank – rascher und rasender – und stürzte und lag im Moor. Ein Schauer schüttelte ihn, als die Erde, der er entronnen gewesen, ihn würgend begrüßte.

Nur nicht ersticken! Nur nicht verenden wie eine Kuh! – Er dürstete nach einem Hammerhieb, nach einem Schwertstich, nach einem eisernen Sterben. Und er schrie, dass ihm schier die Brust barst: »Deinen Sohn fraß ich, deine Tochter …!«

Sausend schlug ihm ein Pfeil durch den bärtigen Hals.

Einmal noch brüllte das Blut durch den bebenden Leib sein Lied: Wonne und Grauen hatte er geschlürft, weiße Frauen und Blut; Traum und Sinnen hatten ihm Flügel geschaffen, dass er Sieg singe gegen Sturm und Schwere; des wilden Schwanes Land hatte sich ihm enthüllt.

Noch ein müder Flügelschlag …

»Ich bin ein Wanderer!«

Und vor dem Schmied stand es wie ein grauer Granitfels.


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