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Vom Wein des Lebens

Nacht.

Alle Form erloschen, alle Farbe zu schwerstem Schwarz geronnen. Kein klärender Umriss, kein führender Pfad.

Regenträchtige Wolke, die keiner wandern sah, hatten die Sternhöhen vermauert. Des Berguhus spenstiger Schrei sprang machtlos vor dem Orgelruf des bestürmten Waldes ab. Brandend ging es über die Tannenschöpfe, dass die Äste ächzten und das wankende Gestänge stöhnte. Es zerrte die Krähe aus dem Bett und köpfte die Wipfel. Bis in die versunkenste Wurz hinab bebte die Not des Baumes.

Mit klarer Schrille hob sich gegen das tönende Wirrsal die Klage des Zwillingsbaumes ab, seine verbrüderten Stämme krachten knirschend und kreischen gegen einander, wilder hielte sich die Kronen verkrampft zum Zweikampf in der Dunkelheid.

Nun aber mindert sich die schwarze Sturmwucht, wie um Raum zu öffnen dem Geräusch eines Balkens, der den gerölligen Burgweg harabgeschleift wurde. Eine unstete Irrleuchte gaukelte diesem Geräusche voran, ihr Schein sprang ängstlich-jäh von Stamm zu Stamm, ließ die höhlenfinstre Tiefe des Waldes noch finstrer werden und abenteuerte über die Bauchseite verworrener Laubkronen. Nach Heckenritterart aus der Dickung brechend, drang der Wind zuweilen auf die wandernde Flamme ein, dass sie sich wie ein gezüchtigtes Vieh in sich hineinduckte. Höhnischer Schnellkraft voll aber hob sie sich immer wieder und reckte sich und hellte eines Greises umbartetes Gesicht, das fahl aus der Mönchshaube hervorsah. Ein schweres Holzkreuz bürdete die alten Schultern, der rechte Arm umfasste das Querholz, scharrend riss der schleifende Langbalken das Geröll aus dem Weg, und das Windlicht flackerte in der mageren Linken des Kreuzträgers.

Auf dem Karrenweg, der den Angelfluss entlang kroch, hielt er still. Drohsam hob sich auf der einen Seite das Gefels des Hohen Steines, tief unten im Dunkel aber dröhnten die schwellenden Bergwasser.

Der Alte steckte das Licht an einen Ast, der über das Sträßlein griff, und legte den Kreuzbaum in die Quere des Weges. Tief atmete er aus, die Last war schwer gewesen.

Er spähte den Pfad entlang, soweit der Leuchte unrastreiche Helle tappte. »Die Mittnacht kommt bald. Diese Straße müssen sie reiten, heut ist der Tag. Ich banne sie fest, dass sie nicht vorüber können.«

Ein Windesruck drohte die Flamme von der Fackel zu reißen, riesige Schatten hetzten über den Weg. Rauchend aber erholte sich der Brand wieder, scheuchte die Finsternis hinter Busch und Baum, ließ die Lachen in den Geleisrunsen blicken und bestrahlte den mönchischen Meister, der mit gefalteten Händen unbeweglich vor dem Marterholz harrte. Die drängenden Wasser tosten in der Tiefe.

Da quoll es aus der Nacht heraus, unüberschaubar ordnungslos – einige die Häupter mit Beckelhauben übererzt, viele barköpfig mit wildem Wirrhaar – bis an des Kreuzes geweihten Damm heran. Das tote Heer.

An dem Bannstrich hielt es, stauten sich die Vordersten, indes der unermessliche Geisterzug nachdrängte. Wirrwarr und Lärm, doch nicht Schall noch Gebärde aus irdischer Welt.

Der Mönch sah in bleiche Gesichter mit zerfetzten Wangen, sah die schmutzige Blutrunst nackter Leiber, schwärende Beulen, verstümmelte Glieder. Panzerfäustlinge, wie steinern und ewig um Zügel und Knauf geschlossen, Stangenwaffen, dräuend über Helm und Haupt hinausgehoben.

Sie hielten die Augen zu. Blut schäumten die vermummten Rosse. Alles staute sich und stand versperrten Auges. Erzne Stille wuchs und überschrie das Brausen der verborgenen Wasser.

Endlich regte sich eine traurige Stimme, sie klang und war dennoch leer und verwest.

»Wir wollen über den nicht steigen, der da liegt. Was hemmst du uns, Bruder Peregrinus?«

Verstörten Auges starrte der Totenbanner den Sprecher an, der an des Heeres Spitze stand. Ihm war, als schaue er in einen fiebernden Spiegel, er sah sich selbst vor sich, hatte eben die eigene Stimme aus dem Munde des Geistes gehört und schaute an dem andern die eigene Kutte, den eigenen granitgrauen Bart.

Gewaltsam riss der Meister den grausengelähmten Blick von dem Bilde des Wiedergängers, die Hände hob er gefaltet hoch über sich, flehend rief er: »Hört mich! Ich lasse euch willig diese Straße. Ehvor aber sollt ihr meiner Frage Rede stehen.«

Zagend zog die Stimme. Die jenseits des Kreuzes nickten und harrten.

Also rief der Banner: »So beschwör ich euch, dass ihr mir saget, ob ein Gott ist!« –

Ewigkeitsbang dehnte sich die Weile. Stille blieb es, so still, dass das Schweigen ehern an die Seele des Meisters schlug. Nur die klagenden Bäume klangen ganz nahe, sie schienen heranzuwandern.

Wilder sausten die rennenden Wasser, irr ward des Möches Blick, ein Fieber rüttelte ihm Rumpf und Glieder. Seine Stimme stach wie ein glühender Spieß durch die Nacht.

»So beschwör ich euch, dass ihr mir saget, ob eine Hölle ist!«

Da reißen die Toten die grässlichen Augen auf, da heulen sie aus der Finsternis ein gelles »Ja!« hervor – und über den Leib des Ohnmächtigen braust der entfesselte Geistertross.

Die Fackel stürzte vom Baum, und das Licht starb. –

Fauchend teib der Blasbald den Atem in den Aufruhr der Esse, die dem kahlen Verlies Licht gab.

Das Rennfeuer war voll lautloser Gebärden, schmeichelnd schmiegte es sich an die Schmelztiefel, um die tote Masse drin zu trägem Leben zu erhitzen. Ein feines, blaues und schier durchsichtiges Lodergeistlein aber zuckte aus dem Reigen der tanzenden Gefährten hinaus und züngelte heimtückisch prüfend nach dem schweren Bart des Goldsuchers Peregrinus Zeiland, der in dem Keller der Burg Bayreck der wunderlichen Feuerkunst frönte.

»Weg von dem Rußkessel! Die Flamme frisst Euch Bart und Braue!«

Also warnte Heinrich, der Burgherr, und reckte sich, dass die jungen Knochen krachten und das Schellenbandlier glöckelte.

»Bald werde ich dem Salamander gleichen, gefeit gegen die Glut, und in Flammen wandeln wie Kinder durchs Kornfeld«, murmelte der Meister.

»Jetzt seid Ihr aber noch nicht feuerfest, Peregrinus. Wahret also die Haut besser. Denn ich tät mich bös erzürnen, wenn Euch der Tod den Kolben, drin schon der Glanz blühenden Goldes gellt, aus der Hand schlüge. Ich sollte Euch nicht allein lassen mit Euern Gedanken und Flammen. Ich brauche Euern klugen, kahlen Kopf.«

Und wie in Sinnen streifte der Burgherr leicht den Ruß von einem Totenschädel ab, der von ehernem Dreifuß emporbleckte.

»Wäget den Kopf!« lächelte düstermütig der Alte.

Heinrich tat es.

»Wie leicht! Wie mürb!« staunte er. »Der Knochenhat wohl keiner Krone getragen. – Und sonderbar, dass keiner von ihm weiß, ob Bart oder Zopf daran gefügt gewesen, ob Helm oder Pfaffenbarett diese Stirn gedeckt hat – oder eines Fechtbruders zerfranster Filz – oder ein spitzig Judenhütel.« –

»Ein Dornkranz ist gewiss darüber gelegen«, erwiderte Peregrinus leise, und lebhafter setzte er fort: »Ihr sollt Euch um mein Leben nicht sorgen, ich werde es durch keinen Fürwitz mehr gefährden. Hastig wie ein Stromsturz fällt die Zeit, und je mehr meine Tage greisen, desto köstlicher erscheinen sie mir, denn immer tiefere Tiefen sprengen sich dem reifenden Geiste auf. Und wenn ich es einst, ein sinnloser Knecht der Lust, vergeudet, so erkenn ich zitternd und geizend heute in dem Leben mein höchstes Besitztum.«

Des Bayreckers junges Auge streifte einer Retorte Glasrund, das im Feuerschein wie eine Seifenblase glomm.

»Vergeblich grüble ich, Peregrinus, was hier bei den Töpfen und den toten Erzen im rauchigen Loch ein Leben erfreuen könnte.«

»Knabe, jedes Leben ist lebenswert, das die Qual der Frage, das ein großes Suchen in seinen Tagen birgt, das in Inbrunst sich hingibt einem Gedanken, einer Tat. Jedes andere Sein ist Schaum und Schall.«

Ernst hatten sich des Schwarzkünstlers Augen dem Jüngling zugekehrt, sie lagen tief in den überbuschten Höhlen, als verkröchen sie sich vor der hellen Welt.

»Höret, Meister! Mir ist, Ihr müsset schon vielhundert Jahre alt sein, – so alten Augen bin ich nie begegnet.«

»Ich kann mein Leben nicht in Zahlen fassen. Weiß ich doch nicht einmal, wann ich zur Welt gekommen – und wer mir Mutter war und Vater.« –

»Ihr sagt mir neue Märe, Peregrinus. Doch soll ich Euch glauben? Wunderlich genug scheint allweil Wahrheit und Trug in Euern Worten vermischt wie Sulfur und Merkurius dort am Ofen. Doch erzählet, was mein Vater mir immer verhehlt hat!«

»Es ist nichts zu hehlen«, begann der andere. »Klosterleute haben den winzigen Buben ausgesetzt gefunden im blühenden Zeiland und ihn, der krank gewesen von dem Ruche der giftigen Wurz, barmherzig mitgenommen und ihm den Namen Peregrinus Zeiland gegeben. In nothafter Jugend bin ich groß worden. Als mir das Jungfernbärtel geblüht hat, so wie Euch jetzt, Junker Heinz, da hat mich die Fügung in die Welt gerissen, hat mich einem großen Meister der roten Kunst zugeführt. Dem größten Menschen der Welt, dem einzigen, der scheinendes Gold gebraut hat, bin ich ein untertaner Knecht, ein holder Freund gewesen.«

»Warum hat denn der größte Mensch seinem Knecht und Freund die teure Kunst nicht gelehrt?« spöttelte der Bayrecker.

»Wisst Ihr nicht, Heinrich, dass der Meister das Letzte und Tiefste seines Wissens nicht verstrahlen darf und es geheim halten muss vor Weib und Kind, Sonne und Sand? Und dass dem Schwätzer der jäheste Tod gewiss ist« – seine Rede verknisterte sich wie endendes Feuer – »und die ewige Verdammnis?«

Noch immer furchte ein Hohnfältlein des Burgherrn Mundwinkel, doch als sein Blick über die Kolben und Brennhelme, über das funkelnde Glas, das langhalsig und bauchig aus offenem Flügelschrank herübergeheimniste, über die ungeheureren Buchleiber, das feuerfeste Gerät und die gehäuften Erze irrte, wurden ihm die Worte ernst.

»Oft dünkt es mich, dass an Euerm feierlichen Priestermantel ein Narrenglöcklein schellt; oft ist mir wieder, als lauere hinter diesem Antlitz, das dem eines Sehers und Deuters gleicht, die Seele eines Gauklers. – Drei Jahre sind es nun her, dass Euch der Burgfrieden des Bayrecks zur Freiung worden ist, dass Euch mein Vater eine schwarze Stube gegeben, wie sie der böhmische König nicht hat. Gold und Erze, Gerät und Bücher sind Euch gebracht worden und alles, wessen Eure Kunst bedarf. Und war habt Ihr geschaffen? – Rauch und Ruß!«

Erregt stieß der Jüngling gegen einen Uhu, der an ein Kettlein geknüpft von dem Wölbe herabhing, und des Bayreckers, und träumen, und der gehängte Vogel drehte sich und pendelte in weiten Schwingungen.

»Wenn Ihr mich betrügt, so geschehe Euch wie dem Gauch da, am Galgen sollt Ihr flattern. Euer Gesicht will ich mit Schaumgold besudeln lassen, die Dohle mag Euch darein husten!«

Ruhig sah der Alte den Schatten des Uhus über die Wand rauchen, und dann griff der feierliche Blick in des Jünglings Augen, die sich senken mussten.

»Seid getrost! Ich finde den starken Urstoff, der alles Gestein in schieres Rotgold umzwingt und edles Erz vertausendfacht. Ich braue den ewigen Trank, vinum vitae, den Wein des Lebens.«

Mit kreischendem Missklang bewegte sich die Tür und durchsägte des Goldsuchers dunkle Worte. Ein schönes Mädchen betrat den Keller, ein Schwert in den Händen, Spott auf den grellen Lippen.

»Seht den Junker Heinz! Immer im tiefsten Turm, immer sonnenflüchtig wie das zottige Käuzlein da, das wohl Ihr den Tanz gelehrt habet!«

Sie hatte das Schwert, das breit wie eines Henkers Rüstzeug war, auf einen Waffenschleifstein gelegt und begann den glanzverschleiernden Rost wegzufegen. Ihre Worte waren wie ein Trällern.

»Da hab ich eine Wehr gefunden, ich will sie wieder hell machen.«

»Hast in verschollenem Gerümpel gekramt, Eva?« fragte der Bayerecker leise.

»Wie künstereich hat es der Schmied umziert! Mit Silberfäden ist der Knauf umsponnen. Hier eines Fräuleins feiner Eisenleib, wohl die süße Heldin Venus! Und da im Knauf der rote Stein, der karfunkelt die Zauberin an, so wie mich jetzt Euer Auge anglänzt, Herr Heinz!«

Dem Burgherrn war, als glühe ihm das Licht des roten Steines über Stirn und Schläfe. Eva aber neigte sich wieder über die Manneswehre. Blaufinster rollte ihr das Haar über die Wangen. Oft hob sie die Augen, die dunkel waren wie die reifen Brombeeren auf den Schlägen des Künischen Waldes, und spähte zu dem stummen Jüngling hinüber und zu dem Vater, der den blaudampfenden Gehalt einer Retorte prüfte.

Wieder hob sie das Schwert.

»Auch ein Sprüchlein find ich da in die Parierstange eingerissen, das lautet: ‚Nit rosten, nit dursten.' – Rosten habt Ihr es schon lassen, Jungheinrich, zwischen verstaubten Feldermäusen in der Geraffelkammer. Aber lasst es nicht dursten! Taucht es in den Wein, von dem der Vater gesprochen, wie ich eingetreten bin.«

Drohend wandte sich Peregrinus von dem Kolben, worin der Rauch jäh fahl wurde, und hob den Arm, so dass die Vorwitzige verstummte.

Nun wob lange das Schweigen unter den dreien.

Endlich entfinsterte sich die Stirn des Meisters, und der Ernst und Friede der Gedanken weilten wieder darüber.

»Erz und Steine sind nicht tot, Heinrich, wie Ihr vordem gesagt habet.«

»Zerreißt einen Stein!« erwiderte lebhaft der andere. »Ihr findet keine Seele darin.«

»Habt Ihr das Gold nie locken gehört?« lächelte der Meister. »Hat Euch niemals das milde Silber angeblinzelt? Dieses Schwertes Eisen, ist es tot? Es begehrt, dürstet, – es ist sich rostig.«

»Es begehrt, dürstet …«, wiederträumte die Seele der Bayreckers, und träumend schaute er den vollen, feuerrosigen Nacken über das begehrende Eisen geneigt, sah er herrliche Schultern sich runden und die weiße, gleißende Haut Evas zwischen Haar und Gewand blecken – und hoch züngelten seine Sinne auf. Nur einmal das Gesicht baden können in diesem dunkeln Haar!

»Gestein und Erz lebt«, fuhr Zeiland versunken fort, »es wächst und atmet und blüht und drängt, ob auch unser blödes Auge es nicht merkt. – sieh, wie gesteigertes Leben im Tiegel da brodelt und webt und erzählt! Und sprüht der Rubin dort am Schwertkopf nicht Zorn und Leidenschaft gegen die feine Göttin?! Ist das Wesen des Blockes, der da in die Wand gefügt ist, nicht lebendige Wucht?!«

»Ihr habt feine Ohren, Meister. Der Steine Rede ist Euch kund, gleichwie mein Falkner den Vogelruf zu deuten weiß. – Warum aber sprecht Ihr gerade dem Gold den höchsten Adel zu?«

Feierlich und ehrfurchtsleise war die Antwort.

»Gold ist die Krönung. Alles Gestein sehnt sich, Gold zu werden.«

Vom Schleifstein her aber drang eine Stimme, die allen Hohn verloren hatte.

»Gold! Wie das tönt, so schwer, so voll! Gold! Eine Glocke, eine Königsglocke läutet!«

Dicht trat Eva an Peregrinus heran. »Vater, mach Gold, mach recht viel Gold!«

Und das Schwert packend, das in erneutem Glanze prunkte, schwang sie es hoch, dass der gehenkte Gauch zur Erde fiel. Hernach schob sie dem Junker die Waffe in die zögernden Hände und enteilte.

Als ob es glühe, legte Heinrich hastig das Eisen von sich.

»Anders geartet als Ihr ist Eure Tochter«, sagte er. »Doch warum hat sie Euch verstummen gemacht, als sie hereingekommen ist? Ist es ein so fürchterlich Geheimnis um den Wein des Lebens? Erzählet mir davon! Ich will es wissen.«

»Vor allem erfahret, Heinrich, Gold lässt sich nicht nur außen an heller Oberfläche betasten, man kann es auch atmen und trinken.« Und die uralten Lippen raunten: »Trinkbar Gold ist Wein des Lebens. Wer diesen Trank schlürft, dem kann kein Gebrest an, kein Siechtum. Der Tod prallt von seinem Leib zurück.«

Der Bayercker atmete seltsam erschrocken.

»Ist das wahr? O, so lasst mich trinken, wenn Ihr diesen holden Wein gebraut habet!«

»Tor, du bist nicht reif dazu. Noch hast du Abgötter, noch liebst du das Tier, das Zöpfe hat.«

»Seid Ihr reif, Zeiland?«

»Ich habe abgetan, was der Welt gehört. Ich habe die Welt in mir besiegt.« –

»Warum geizt Ihr dann so abersinnig mit dem Lebenstrank, wenn Euch das Leben nimmer lockt?«

Schwerer Geheimnisse trunken, glosten die alten Augen aus den Klüften. Ein großes, überwildes Lächeln spielte unter dem Bart. Aber bald war der schmale Mund klug und höhnische wie die Lippen Evas.

»Keine Frage findet Antwort auf dieser Welt. – Verlass mich, Knabe!«

Tosenden Blutes harrte Heinrich in einer jener Nischen, neben denen die Wendeltreppe sich empordrehte. Seine Finger zitterten vor Aufregung und Ungeduld, sie krümmten sich zu Fängen.

Ein Schlitzfenster schliff das einfallende Licht zu einem schmalen Kringelstreif: die Sonne stieß ihr rosiges Waffen in den dumpfen Rumpf des Turmes.

Die schlagenden Adern spürte der Lauerer im Halse, als er die tännene Treppe knarren und Schritte aufwärts kommen hörte. Nun trat die Nahende in den Bereich des Sonnenbalkens, verklärend goss sich ein Leuchten über das schönheitsumzingelte Mädchen, dann noch eine Staffel höher – und Heinrich vertrat Eva plötzlich den Weg.

Ehe sie zurückspringen konnte, hielt er sie schon an den Handknochen fest und zischte: »Schrei nicht!«

Ihre Hoffärtigen Brauen näherten einander.

»Ihr tut mir weh! Gebt mich frei oder haltet sanfter!«

Der Druck seiner Hände minderte sich kaum.

»Heut reit ich davon, wenn du dich mir wieder entwindest. – Quäl mich nicht so!«

»Reitet zu!« kicherte sie. »Ich bind Euch noch die Spornen um den Schuh.«

»Höhnst du wieder? Und bist doch in meiner Gewalt! In den Faulturm sollen dich meine Knechte schmeißen, dass du ausdorrst.«

»Was wollt Ihr von mir?« trotzte Eva. »Ihr spüret mir nach, als wär ich der weiße Hirsch. Alltäglich lauert Ihr mir auf, wenn ich in meine Kammer hinauf will, verrennet mir schnaufend und mit verdrehten Augen die Stiege, dass ich tief erschrecke. Was zerrt Ihr da an mir herum?«

»Ich kann selber nichts dafür«, flüsterte er. »Ich bin wehrlos gegen die Liebe wie gegen ein Traumbild. – Küsse will ich pflücken wie Himbeeren. Küsse mich, und ich will Sonne und Mond vergessen!«

Sie wich aber schlangenschmiegsam seinem Munde aus.

Da klage er: »Gepanzertes Weib, liebst du mich denn gar nicht?«

»Ei wie siebenklug! Als ob sich die Antwort darauf so erzählen ließe wie ein Märlein! Da müsst Ihr schon einen Zauber fragen.«

»Wie tu ich das?« Er ließ ihre Hände frei.

»Der Burgherr von Bayreck soll im Mondschein die Armbrust spannen. Schnellt statt des Bolzes ein Schwan von der Sehne, dann ist es möglich, dass…« –

Wie einen Traghimmel fühlte er das Leuchten ihres Blickes über sich schweben. Bald aber füllte wieder Verzagnis sein Herz.

»Der Zauber wird mir nicht hold sein«, meinte er traurig.

»Dann versucht es anders. Stoßt ein Schwert in den Erdgrund. Wenn es Wurzeln fasst und Rosen dem Eisen entblühen«, – aus ihren Augen lockten alle Wunder des Hörselberges, – »dann braucht Ihr die Nacht nicht mehr vor meiner Tür zu seufzen – wie gestern.«

Strahlschnell zuckten seine Hände nach ihr, doch schon war sie eine Stufe zurückgetreten und stand nun zwiefach schön im einfallenden Licht: den Mund weich und trotzig, die Dunkelaugen randvoll mit Spott gefüllt und darüber die Triumphwölbung der Brauen.

Da bat der Mann schmeichelnd: »Gib mir nur die Hand! Ich will nur deine Hand halten! Und weiche nicht wieder vor mir zurück! Lass mir deinen Mund, roter ist er als der Klee am Burganger! Lass mir deinen Nacken, weißer glänzt er, siebenmal weißer als der Neuschnee des Ossers.

Stürmisch sprang er auf sie los, dass die Schellen seines Bandeliers hüpften und klingelten und das buntgestickte Barett ihm von den Locken fiel. Beide Arme schlang er um sie, ihren Mund zu küssen. Eve aber hielt den Kopf abgewandt, sie war stark , ein lautlos Ringen erhob sich, und als er ihre widerspenstig Haupt zurecht drehen wollte, da biss sie ihn in die Hand.

Nun trottete auch Hilfe polternd die Treppe nieder: Hepping, der Turmknecht, stand verlegen grinsend vor den beiden.

Vor Ärger bleich, ließ Heinrich seine Beute los.

»Dass dich die Pest drossle!« schrie er und stieß die Faust in des Störers sommerscheckiges Gesicht. Der taumelte die Stufen vorüber, das gezüchtigte Antlitz mit den Händen deckend.

Eva aber war verschwunden. –

Die Zähne in die Lippen drückend, beugte sich der Verliebte zum Lugloch hinaus.

Öffnet denn das Schicksal nimmer den Steinkrampf seiner Faust, drin das Glück sich hehlt? Wird dies Weib, auf das sein wilder Wille zückt, ihm immerdar ihr Wildherz, ihr Rotherz versagen? Wird sein Tun vergeblich sein wie das der Welle, die um die Quader wirbt?

Wie sie ihn geißelt und quält! Und ist doch gar und ganz in seinen Händen! In den Stock kann er sie legen lassen, den Knechten könnte er sie verschenken!

Aber ist selbst ihre Geißel nicht eine Rosenrute und die Qual, die von ihr kommt, nicht wie ein Glück?

Erst vor wenigen Monden hatte Heinrich seinem sterbenden Vater geschworen, Peregrinus und dessen Kind zu hüten und zu schützen. So wagte er nicht, mit rauer Gewalt zu zwingen, was sich der Schmeichelbitte verschloss.

Auch vor des Meisters Kunst schreckte er zurück. Diese rote, verworrene Kunst, Metalle zu wandeln und irren Dämpfen zu gebieten! Diese Kunst, die den größten Gewaltner der Erde gebären sollte aus Glut und Rauch, den Gewaltner Gold! Diese Kunst, die den Wein des Lebens in die lechzenden Adern flößt!

Starr schaute Heinrich in die helle Landschaft hinaus, in den Grünwald hinüber, bis sich alles jäh verfinsterte und vor seinen Blicken verschwamm, denn Träne nach Träne blühte ihm unter der Wimper hervor, langsam über die mädchenhaften Wangen hinunter rollend ins Birkenlaub.

Dann aber küsste Heinrich die Spuren des roten Bisses auf seiner Hand und frohlockte mit leisestem Lächeln: »Sie hat mich gebissen!«

Aus waldigem Hang herauf sang köstlich ein goldgelb Schnäblein.

Amsel, du jubeldne Flöte!

Vor dem Zwinggolf lümmelte Pernklau, der Torhüter. »Was schaust denn drein wie ein rinnäugiges Ross?« meinte er zu Hepping, der sich unwirsch neben hin auf den Rasen fallen ließ.

»Einen Streich hat er mir gegeben, dass mir das Maul auf die Seite steht. Der Herrgott soll ihm dafür die fallende Sucht schenken!« schalt der Knecht.

»Fluch nit so! Sprengst damit schier Steine gegen den Himmel, lieber Ausluger. Red deutsch! Was ist geschehen? Wie, wo, wann?«

»Ich steig vom Turm herunter, steht gerade der Junker auf der Stiege und will über dem Goldsieder seine Dirn her. Und wie er hernach mich kommen sieht, wird er zunderrot, er lässt sie aus und haut hernach auf mich wie auf ein kaltes Eisen.«

Pernklau nickte. »Er ist halt noch in den Jahren, wo man jede Früh den Herrgott bittet, er soll Weiberhäute schneien lassen. Und sie mit dem weißzahnigen Maul, mit den zinnoberfarbnen Lefzen ist so schön wie der Fliegenpilz im Holz drunten. Gerad der Grusel fährt über einen, wenn sie einen anschaut. – Es ist kein Wunder, dass es in seinem Hirnstall nimmer recht zugeht.«

»Der Teufel soll mir in den Balg fahren, wann ich ihm den Streich schuldig bleib!« schwur der Ausluger.

»Recht hast, Hepping, nur nix vergessen! Die zahlende Zeit kommt schon.«

»Wie er sich stutzt, der Weibernarr!« murrte der Türmer. »Jetzt hat er sich gar Schellen um den Ärmel setzen lassen. Es wär Not, er tät sich eine Kuhglocke um den Kragen hängen!«

»Und sie mag ihn dennoch nit!« entgegnete Pernklau. »Aber ich glaub, er tät sie schon zwingen, wenn ihr Vater nit wär, der Goldkocher. Dem seine Kunst braucht er halt.«

»Das Goldmachen ist keine Kunst«, widerstritt Hepping. »Mein Vater ist ein Schmied, der hat einmal ein Hufeisen gegen den Regenbogen geworfen, da ist auch Gold draus worden.«

»Der im Keller unten dem goldenen Irrwisch nachrennt, mein lieber Gesell, der macht ganze Braukessel voll Gold.«

Auf des Schmiedsohnes breitem Mund gähnte torweit das Staunen.

»So? Das glaub ich schier nit! – Und ist es wahr, dass er keinen Blasbalg treten muss? Dass er die Esse mit der Nase anblast? Und dass ihm vor lauter Altsein das Moos aus den Ohrlöchern herausschaut?«

»Ich bin gestern heimlich an dem Gewölb vorbei, das uns allen verboten ist wie der Apfelbaum im Paradeis«, raunte der Torwart. »Da ist die Tür halb offen gestanden. Ich schau hinein, sitzt der Alte drin und schreibt in einem Buch. – Aber ein den Winkeln hat es geglost, lauter Gold, gemünztes Gold.«

Die beiden Gesellen lauerten einander an und verstanden sich, denn die Lider waren ihnen zu kurz, um die schillernde Gier darunter zu verdecken.

»Deine Geschichten gefallen mir, Tormann. Geh, erzähl mir einmal, wie der Goldsieder aufs Bayereck kommen ist. Du weißt, ich bin noch nit lange da.«

Da berichtete denn Pernklau, wie Heinrichs Vater, der alte Kreishauptmann, vor drei Jahren mit stattlichem Kriegsvolk über die Grenzu gegangen sei, den Winkel hinter dem Wald mit Wehtat, Nachtbrand und Schatzung heimgesucht und in dem Burgstall der Ritters Prackendorffer den Goldsucher und dessen Tochter aufgestöbert habe, wie dann in dem Kellergeschoß Bayrecks ein geheimnisvolles Leben erwacht sei, wovon man aber nichts sehe als den wüsten Dampf, der aus dem Rauchlos fahre.

»Wenn ich mir so einen Stiefel voll Gold davontragen könnt!« seufzte Hepping.

»Du könntest Geld kriegen, dass du dein Lebtag genug hättest«, flüsterte der Torknecht mit verschlagenem Grinsen.

Der andere fuhr auf. »He! Wie meinst? Red aus!«

»Lieber Auslugmann, ich will dir's sagen. Du wirst mich nit verraten.« So Pernklau nach kurzem Zögern. »Also ein Wetter steigt auf. Die im Winkel drüben wollen den Bayreckern die Liebtat vergelten und das Nest da ausnehmen. Und wann wir ihnen helfen, so teilen sie das Gold mit uns.«

»Teilen!« Hepping verlor schier den Atem vor Freude. »Teilen! Da bin ich dabei. – Und den Hieb hau ich ihm zurück, dass es Feuer spritzt.«

»Der Bayrecker wird es uns nit schwer machen«, fuhr der Verführer fort, »er ist blind wie dein verkappter Habicht. Auf uns zwei kommt es halt am meisten an. Du am Turm drückst die Augen zu, und ich lass den Torriegel springen. Gilt's?«

»Um Gold fress ich Wespen«, beteuerte der Türmer.

Und ihre weitere Rede duckte sich zum leisesten Getuschel.

Knapp unter dem vorkragenden Schindeldach umgürtete ein Gang den Turm. Dort weilte Eve, noch atmend von der Aufregung des Ringens auf der Stiege.

Schon wandte sich der Spättag der ernsten Dämmerung zu. Die Kornfelder ruhten gerötet im Abend, die Wälder verblauten sich in die Fernen, und die Berge im Fernsten draußen ragten feierlicher denn am Tage. Noch blühte aber im Gelaub des Künischen Waldes die Drossel.

Eve sah im Süden den kühnen Aufstieg der Osserzacken, sah die kahle Seemauer aus dem Waldwuchs blecken, den gekrümmten Fluss schimmernd die Gründe säugen und die Fischteiche im Tale quecksilbern spiegeln. Und sie hob in Gedanken ihr dreieckig Spieglein. »Wie mich der Knabe gezaust hat!«

An einem Pfosten fand sie das Turmhorn. Eine graue Webe verschleierte die Klangöffnung und spann sich in die Höhlung hinein. Das Mädchen fasste im Spiele eine Fliege, die sich die perlmutternen Flüglein am Abendstrahl wärmte, und schleuderte sie in das Netz. Augenblicklich schoss eine Spinne hervor und zerrte, sich in ihr Opfer verbeißend, dieses ins Dunkle. – Wie das der Liebe glich!

Mitten in ihren Gedanken erschrak sie: der Bayrecker stand hinter ihr.

»Du fütterst das Ungeziefer? Wie unbarmherzig du bist!«

Sie schwieg.

Unten an der Bergsohle starrte das wehrliche Städtchen Neuern, Schindeldach an Schindeldach gedrängt; gepflegtes und wildes Land dehnte sich bis gegen die Wände des Ossergebirges, wo verlorene Feuer abendlich die stillblauen Säulen bauten.

Stürmisch und weh hiefte in Heinrich das Horn der Leidenschaft.

»Eva, Glück und Geißel, ich kann dich nicht lassen! – Sieh diese Wasserläufe und die Mühlsteine daran, sieh Korn, Klee, Trieb und Trat, Städtel, Dach und Dorf! Alles ist mein, und mein ist, was im Weiher fließt und im Wind fliegt …«

»Wollt Ihr mir das alles geben, Herr Heinz?«

»Alles erfülle ich dir, was du begehrst!« rief er.

Die schwülen Augen frohlockten, doch hart sprach der Mund: »Mein Gelüst gleicht dem der Spinne im Zinnenhorn. So möchte ich den Wein des Lebens trinken, und der Becher müsste Euer Schädel sein.«

Der Jüngling prallte zurück.

»Du träumst, Unholde!«

»Ei, ist Eure Minne so kühl, dass Ihr mit einen Becher weigert, der vor Giftseim feit? – Hört einen erbaulichen Schwank an! Ein König hat sich aus seines treuen Schenken Schädel ein seltsam Trinkgerät bilden lassen. Der Edelschmied hat es mit mancherhand Zierat wohl bedacht und auch die beiden Kiefer mit Silberbändern verspangt. Mancher Trunk des Vergessens hat den König daraus angedunkelt. Bis ihn sein feines Gemahl den Lautertrank in diesem Beingehäus gemischt. Schon taucht der Durst die Lippe in das welsche Nass, schon will die Zunge schlürfen, – da reißen die toten Kiefer jäh die Spangenfessel, sie gähnen auf und krächzen: ‚Gilft!' – Der Becher ist zersprungen, der Estrich feucht worden von Wein und Blut …«

»Mein Schädel ist noch nicht reif«, stammelte verwirrt der Bayrecker. »Deine Märchen aber klingen böse.«

»Missfallen sie Euch? Höret mit weiter zu! – Habt Ihr schon der weißen Schlange Fleisch gegessen? Kostet doch davon, dann wird Euer taubes Ohr jäh aufspringen. Den Osser drüben werdet Ihr predigen hören und die kriechenden Nebel zu seinen Flanken knistern. Die Sehnsucht der klimmenden Quellader im Schacht, der rote Schrei der Lohe wird Euch verständlich. Den Donner der Gestirne höret Ihr dann und das Licht an die Weltufer branden. Alles wird Euch laut und begreiflich sein, – nur das, was meine Augen reden, werdet Ihr nie verstehen!«

Heinrich bog finster das Haupt zur Brust und hinderte sie nicht, als sie an ihm vorüber die Treppe hinabstieg. Aus der Tiefe rief es noch einmal: »Esst Schlangenfleisch!«

Draußen im Abend dräuten die beiden Osserspitzen wie die Brüste einer ruhenden, Stein gewordenen Riesin.

Der Mond wuchs und füllte sich zum Vollschein und begann wieder, zur Sichel zu siechen.

Ein Sommervormittag.

Tief im Künischen Wald rollte der Wildtauber, runde Wolken zögerten unschlüssig oben im Blau.

Auf den Wiesen des Hanges schüttelten verblühte Ringelblumen den greisen Kopf, die Immen stiegen mit den dicken Pluderhosen aus dem Klee.

Eva aber wusste nicht, wie es kam, dass ein altes Lied sich immer wieder an sie schmiegte und gesungen sein wollte …

»Ach Gott, nun muss ich wohl ins fremde Land hinaus
Über den Wald und über die Heide breit,
Da schreit ein Vöglein aus den Stauden süß heraus:
‚Dir ist – dir ist – dir ist – leid!'
Ja, mir ist leid, so viel so bitter leid
Mein Lieb, um dich da in dem roten Klee,
Und dass es aus ist zwischen uns in Ewigkeit,
Sag ich im fremden Land dem roten Klee.«

Wie an seidene Kettlein gefesselt, folgte der Widerhall ihrem Lied, bis sie ins Gehölz trat.

Dort erwartete sie ein Mann. In verwetztem Birschgewand saß er auf einem Storren und stützte das breite Kinn in die Hand, der Lustwandelnden entgegensehend. Ihr schwindelte vor Lust und Schrecken, als sie ihn gewahrte.

Der Birschner war aufgesprungen und weitete grüßend die Arme.

Sie aber rief angstvoll: »Bleib im Wald, der Turmknecht sieht dich!«

»Er soll mich sehen!«

»Sie spüren dich auf, Prackendorffer, sie erschlagen dich wie einen lahmen Luchs!«

Der Fremde hielt sie im Arme. »Gräm dich nicht, Feinslieb! Ich heb dich auf meinen Hengst, mein Schlösslein steht im Venusstern. Reißt auf das Höllengitter, lasst des Paradieses Fallbrücken nieder, wir überreiten Teufel und Erzengel. Gottvater, spring uns aus dem Weg!«

Lachend drückte er sie ans verwegene Herz.

Sie schloss die Augen vor Glück.

»Du bist um mich gekommen? Hast du mein Verlangen gefühlt, das zu dir gegangen – drei Jahre lang – durch Regen und Schnee?«

»Ja, ich hole dich, – auf vierrossigem Brautwagen mit goldumreiftem Rad sollst du prangen, in Samt und Silber deine Pagen, – auf zierlichem Vorreitschimmel das Glück uns voraus …«

»Nimm mich mit – jetzt gleich – ich will nimmer hier leben – will leben, leben mit dir. – Ach, ich bin kein Nonnenfleisch!«

Der Prackendorffer stöhnte rau auf.

»Wohin willst du mit mir? Weißt du nicht, dass mein Turm zerfallen, meine Mauer verrußt, mein Dach die Regenwolke ist? Alles, alles haben mir die Bayrecker verdorben. Die Weidengerte winde ich nun zum Stegreif, Wegdörner taugen mir zum Sporn. Ich bin arm, – ich bin ein Vogel auf dürrem Ast …«

Aus den Geiernestern seiner Augen zuckte es. Er hob die Faust gegen den stämmigen Wohnturm drüben, dessen schmale Lucken starr und feindselig herübertrotzten.

Dräue nur, Bayreck, heut flammst du, heut sinkst du!«

»Was willst du tun, Geliebter? Wie bist du hergekommen?«

»Auf Reutsteigen, auf dem Rennweg des Hirsches bin ich geschlichen. Reisige Knecht folgen mir. Den letzten Groschen hab ich vertan, um zu vergelten. – Sei heut Nacht bereit, Eva!«

»Komm bald«, bat sie, »des Burgherrn Augen züngeln nach mir.«

»Der Venusesel!« flackerte die Eifersucht auf. »Mein Schwert soll ihm durch den Halsberg klirren, sein Wappen will ich einer Sau auf die Schwarte heften …«

»Komm bald«, bat sie wieder, »im Keller ist Gold, sie haben es für den Vater gebracht, dass er es vertausendfache.«

Der Steigreifritter reckte sich lauernd auf.

»Hat er den Weisenstein gefunden? Hat er schon trinkbar Gold gebraut?«

Sie schüttelte das Haupt.

»Er redet, als sein ihm das Geheimnis offenbar, als müssten morgen oder heute noch seine Kessel von Gold überquellen.«

»Er wird mein Münzwardein«, sagte der Ritter. »Auf den Schindeldächern meiner Bauern werden einst statt der Steine Goldklumpen liegen.«

»Ich weiß nicht, was geschehen wird«, erwiderte sie. »Des Vaters Gedanken ziehen seltsame Wege. Ihn lockt nicht die Goldkunst, ihn lockt der Trank, der dem Lebe ewige Dauer sichert, dass er bis in die letzten Zeiten hinauslebe. Oft ist mir, als möchte der Vater auch in die geschehenen Zeiten zurückleben, nach zwei Richtungen hin streben zu gleicher Zeit. Doch seine dunkeln Worte sind nicht zu deuten.«

Der Prackendorffer wiegte sein Haupt.

»Ich begreife ihn auch nicht. Ob ich vormals tot gewesen seit je wie die Gebirge, ob meine Seele fürder in tausend Verwandlungen über die Erde irren soll, ich spotte des Gedankens. – Genug, ich lebe!«

Eine Horde heißer Blicke jagte er über ihre Gestalt.

»Eva, Geraubte, heute raub ich dich zurück!« –

Stimmen murrten hinterm Gebüsch. Der Birschner war verschwunden.

Eva ging der Burg zu. Beeren brockende Dorfmägde begegneten ihr. Als diese das Fräulein weit genug glaubte, riefen sie ihr ein Sprüchlein zu, nachdem die Hexen auf dem Osser tanzen.

Die Beschimpfte ging schneller. Das Bayreck wuchs vor ihren Blicken.

Aber in Träumen sah sie den Burgstall zerfallen. Keine Ringmauer mehr, kein Dach, nur karge Reste, schier ertrunken im Wald. Im Getrümmer herrscht die blasse Birke als Schlossfrau, ihr neigt sich die Weidenstaude, das Zöflein, ein Tännling ist der Türmer, er hat das wüste Gemäuer erklommen, – zerrinnende Wolken fließen darüber …

Schriller Lärm schreckte Eva aus ihren Gesichten: ihr zu Häupten schwang der Specht das rote Barett und schrie »Glück! Glück!« und brach in ein wieherndes Gelächter aus.

Lange war sie schweigend gesessen, dem Spiele bläulicher Flammensäume folgend und dem Treiben des Vaters, das heute hastiger und fiebernder war als sonst. Ihre Finger, von denen sie nichts wusste, tasteten über den Totenkopf am Dreifuß.

Endlich hub sie an: »Vater, zum ersten Mal in meinem Leben seh ich deine Augen glücklich. Wie sie glänzen! Was freut sich so?«

»Heute Nacht endet mein Werk«, erwiderte er feierlich.

Sie zuckte zusammen.

»Und du willst das Geheimnis ihm verraten, Heinrich, dem milchäugigen Buben?«

»Das Geheimnis des werdenden Goldes wird er heut noch erfahren. Er ist mein Herr. – Der Wein des Lebens aber ist nur für meinen Gaumen.«

»Vater, lehre mich die Kunst!«

»Nein! – Denn du bist ein Weib.«

»Ich bin dein Kind, – ich trage heißes Sehnen nach ewigem Leben – wie du, ich bin dein Kind!«

»Du sehnst dich nur nach Gold, Eva!«

»Gib mir dein Wissen, Vater! Deines Blutes rotes Erbe ist in mir, es drängt nach deinen Zielen hin – unhemmbar. – Gib mir dein Wissen! Bei Gott, ich will es nicht für mich …«

Betroffen horchte Peregrinus auf. Dann erwiderte er fest: »Nicht Untreue soll mein Werk schänden. Der Bayrecker ist mein Herr.«

»Vater, ich knie vor dir!«

Sie warf sich hin, schwer lag die Dunkelwolke ihres Haares über der bleichsten Stirne.

»Steh auf!« gebot er.

»Bei meiner Mutter beschwör ich dich …«

Der Meister verhüllte sein Haupt.

»Bei ihrem letzten Schrei im Hexenbrand, gib mir das Geheimnis!«

Lange stand er regungslos im Ringen mit sich selbst. Alte, furchtbare Bilder erwachten und erschütterten ihn aufs Tiefste.

Doch er bezwang sich. Tiefatmend sagte er: »Meine Kunst ist erhaben über alle Bande der Menschlichkeit. Nun werde ich sie niemand verraten, auch dem Burgherrn nicht. Sie bleibt in mir.«

Eve erhob sich.

»Du musst sie mir lassen!«

Er lächelte trüb. »Kein Zwang zwingt mich.«

»Du bist ein Ketzer, hast Wildes und Böses gegen Gott geschrieben. Ich kann dich weisen vor geistlich Gericht, heut noch, eh dein Trank gebraut ist.«

Sie zitterte am ganzen Leib.

»Eine Mutter trägst du als Stirnband«, entgegnete der Meister leise und wehvoll, »von bösem Willen ist dein Haupt umfangen. Hegst du so die schuldige Ehrfurcht vor deinem Vater?!«

»Warum hast du mich geschaffen?!« schäumte das Mädchen heraus. »Ha ich es gewollt?! Ich bin dir nichts schuldig.«

»Geh hinaus!« rief der Alte in tiefster Erregung. »Ich bezwinge mich. Zu groß ist die Stunde, die mir naht. Störe sie nicht!«

»Vater, noch einmal …«

»Nein!«

Da nahm Eva das Totenhaupt vom ehernen Dreifuß, warf es und traf den Vater auf die Brust, dass er taumelte.

»Vallandine!« stöhnte er. »Versinke!«

Die Nüstern des Forellenschimmels feimten, Schweiß regnete ihm von Bauch und Flanke, als er den Bayerecker zum Tor hereintrug.

Abendangeglüht ein Wolkeneiland über der Burg. Mücken tanzten den Firlefanz.

»Wein!« schrie Heinrich, dass der Hof erscholl.

Schon trat Eva aus der schmalen Tür des Berfgrieds uns stieg behutsam die Holzstiege herab, ein Waldglas tragend, grünen Funkelns voll.

»Hast du nichts in den Wein gemischt?« rief der Reiter grob. »Der Becher ist nicht beinern.«

Sie sah ihn kaum an.

»Der Wein gilt nicht Euch. Ich habe gemeint, der Turmknecht, den ich ins Städtel geschickt, sei gekommen.«

»Den Turmmann? Warum hast du nicht gleich den Turm selber hinuntergeboten?!«

»Ich habe derweil oben die Wache gehalten.«

Eine Flamme schien hinter Heinrichs Stirn zu brennen. Er brauste auf: »Du gibst das Gesöff meinem Ross! Und weh dir, wenn es daran verreckt!«

Eva aber stellt den Becher in den Sand und ging hoffärtigen Kinnes der Holztreppe zu. Nun rasselte Heinz aus dem Sattel, dass die Zaddeln seines bunten Gewandes flatterten, schüttete den Wein in die Kehle und warf ihr das Glas nach, das an der Mauer zerschellte.

Hastig stob das Gesinde, das Feierweile hielt, aus dem Hofe. Nur der Marstaller blieb, das Ross zu besorgen, aber störrisch stand es neben seinem störrischen Herrn, und als dieser unmutig das Tier von sich stieß, schnappte es nach der schlagenden Hand.

Wütend befahl er: »Das Vieh kriegt den Beißkorb, die ganze Nacht wird es damit stehen!« –

Schon spätete es sich. Die Wolken glühten aus und zogen heim. Dämmerung füllte alles wie mit feinem Rauch. Lärmend und umständlich verschloss Pernklau das Burgtor.

Mit schweren Brauen saß der Junker am Brunnenrand.

»Die Armbrust will ich haben!« gebot er dem alten Falkner, der als letzter auf dem Hof zu schaffen hatte.

Der Knecht brachte das Gewaffen. Er sprach: »Herr, ich hab jetzt durch die Lucke in den Wald hinübergeschaut, da hat es vom Dörrstein herüber gelichtelt, – müssen Leut sein, fremde Leut.«

»Werden wohl Männer aus dem Winkel sein«, höhnte der Bayrecker, »die sind wieder einmal nach Schlägen durstig. – Käsweiß bist du im Gesicht! Jetzt holst du mir noch das Schwert aus der Rüststube. Oder fürchtest du dich? Die Stiege ist rabenfinster.«

»Ich fürcht mich nit. Ich hab nur gesagt, was ich gesehen hab. Ich geh schon.«

Und er brachte das Schwert.

»Hast wieder Gespenster gerochen?«

»Es geht im Forst um wie in der Drudennacht. Aber ich sag nix mehr.«

»Scher dich ins Stroh! Du wirst noch vor Angst die Räude auf der Haut kriegen. – Und dass mir heut keiner mehr in den Weg rennt!«

Stumm trollte sich der Knecht. –

Die Nacht breitete ihr schwarzes Tuch über des Abends blutige Leiche, der brennende Mond kam und stochert in eine hohle Weide, den Kauz wach schreckend, der verstört die übergroßen Gloser aufriss.

Heinrich saß allein am Gemäuer des kühlen Brunnverlieses, Armbrust und Schwert neben sich. Geräusche, wie sie die Nacht gebiert und wieder verschlingt, kamen: die letzten Rufe, der wehmütige Einton des Unkengeläutes von den Teichen herauf, das unablässige Rauschen eines leisen Mühlenwehres, dann auf einmal Gezank der Waldkater, gezogenes Hundegeheul von irgendeiner Einschicht …

Der Mond stieg und rückte über die Burgmauer, silberte die Dächer, starrte in den Hof und machte ihn tagweiß. Die Sternbilder kreisten.

Stundenlang harrte der Träumende. Erst als ein fernes Wächterhorn die zwölfte Stunde kündete, erhob er sich langsam.

Den Fuß in den Bütel der Armbrust setzend, drehte er mit beiden Händen die Kurbel und legte den Bolz vor die steil gespannte Sehne. Die Waffe himmelhin hebend, wählte er einen Stern aus dem Überschwang, der in flimmernder Unruhe hoch oben war. Sausend stieg das Geschoß –, es ward müder und müder und kehrte sich und fiel ohnmächtig zurück in den Hof.

Es war nicht zum Schwan geworden.

Laut aufseufzend drückte nun der Verliebte das Schwert tief in den Boden und beugte sich darüber.

Umsonst!

Da kam eine tiefe Stimme aus den Lüften: Eva neigte sich aus ihrem Fenster.

»Wollen die Rosen nicht blühen?«

Und Hohngelächter klirrte wie ein schillernder Dolchregen auf den Mann nieder.

»Rabenschnäbel in deine Augen!« Er legte die Fäuste an die Brust und ging.

So blieb das Schwert ganz allein auf dem taghellen Burghof. Es stak hälftig in der Erde und funkelte im Mondschein und harrte.

Ungestüm stürmte der Burgherr vorwärts über die Schwelle der schwarzen Stube. Schwere Dämpfe schlugen ihm entgegen, unheimlich wallten die Metalle.

Wilden Auges kniete Peregrinus Zeiland auf dem Estrich, er hielt eine Geierfeder zwischen den Zähnen und zerrte an einer Kette, die ein Buch versperrt hielt. Grünverwittert waren die uralten Buckeln und das Drachengespänge des ungeheuren Buchleibes.

Der Schwarzkünstler erhob sich.

»Peregrinus, Eure Augen sind, als ob sie in die Hölle geschaut hätten.«

»Meine Augen sehen den ewigen Wein reifen, die dürre Zunge wird ihn schmecken, eh sich die Quecksilberuhr leert. – Was aber störst du die geweihte Stunde?«

»Der Schlaf ist mir heute fremd. Mir ist, als könnte ich nimmer und nimmer schlafen. Ich finde keine Ruhe, Ihr sagt mir denn, ob der geheime Trank, den Ihr da brauet, ein Weib betört.«

Abwehrend streckte Zeiland den Arm. In den Kratern seiner Augenhöhlen glomm es seltsam.

»Nicht eitler Irdischkeit mehr geht meine Kunst nach, sie will nicht törende Zauber ergründen. – In dieser Nacht habe ich aus tausend Schleiern den Urstoff gelöst, wundersam hat sich der grüne Leu der weißen Lilie vermählt, wundersam hat es sich zum Rabenhaupt gewandelt und ist durch alle bunten Farben des Pfauenschweifes gegangen. Sieh, es gilbt wie der Streif über den Gebirgen des Westens, wenn die Sonnenrüste vorüber. Bald muss es roter Glanz sein, der König zieht den Purpurprunk an, – es vollendet sich trinkbar Gold, es funkelt mir der Wein des Lebens.«

»Was frommt Euch Wein und Ewigkeit, da Ihr wie ein Büßer lebet?« fragte Heinrich.

»Ja, ich werde noch atmen, wenn der Bergturm Bayreck öd ragt, wenn wildes Gras auf seinen Trümmern weht und die Steine dieser Burg zerstreut bröckeln im Wald und auf den Straßen …«

»Das Bayreck wird nie zerfallen«, unterbrach ihn Heinrich.

Der Alte hatte ihn nicht gehört.

»Durch diesen Trank«, fuhr er fort, »trennt sich mein Geschick von aller Menschen Los: nie wird die Totenbrücke unter meinem Schuh erdröhnen, meine Glieder vererzen gegen den Ansturm der Zeit, damit ich mein großes Werk vollbringe.«

Mit leidenschaftlicher Gebärde wies er auf das gewaltige, umspangte Buch.

»Was für ein Buch ist das?« fragte der Burgherr.

»‚Trutz-Herrgott' heiß ich es, ein Fehdebrief ist es gegen ihn, der über den Gestirnen haust. Mit einer Geierfeder schreib ich es, ich selbst ein Geier, der den Fels des Allmächtigen umlauert …«

Der Meister riss das Buch auf – schwere Mönchsschrift füllte Blatt um Blatt – und seine Stimme hatte einen überwesenhaften Klang: »Auf diesen Pergamenten stehen die Sünden Gottes.«

»Narr! Frevler!« fuhr Heinrich zurück. »Der Allhörende hört Euch!«

»Ich fürchte nicht sein stieres Auge, das mich belauscht. – In diesem Buche füge ich Fels auf Fels zum Turm, um Gott dereinst heimzusuchen. – Ist es nicht eine tiefe Schuld, dass er seinen Willenin das Urnichts rammte und die Welt hervorzwang, die Welt, den Kampf aller Hufe und Fäuste, aller Krallen und Zähne?! Ist er nicht der Quellbrunn aller Ursachen, ist er nicht der Mann, der alles Werden und Tun verantworten muss? – Ich zeichne in dies Buch, was Böses aus seinen Händen geronnen. Nicht nur, was er an mir verschuldet, dass sich alles Leid des Menschen an mich drängte, – dass er mir Eltern gab, die mich ins Giftkraut aussetzten, – dass er mein Weib in den Rauch des Hexenfeuers stieß, – dass das Kind, das zwischen den Knien der Verlorenen geworden, dies Totenhaupt auf seinen Vater warf – wie einen Stein …«

Flammenrosig lag der Schädel auf der Erde.

»Lasst ab, Peregrinus!« mahnte erschüttert der Jüngling.

»Mir ist das Leid immer ein treuer Schatten gewesen. – Ich habe erkannt, dass der Schöpfer der wildeste Feind aller Geschöpfe ist. Füllt er nicht dem Menschen die Kluft zwischen Geburt und Tod bunt mit ungemessenen Qualen? Klemmt er ihm nicht zwischen die Schläfen das Natternnest der Gedanken? Die Seele, die Unendlichkeiten auswandern will, pfercht er in dumpfes Fleisch und enge Zeit. – Jedes Tier, jedes atmende Wesen ist Mitgenoss der Trübsal, ist elend wie wir, indes er schwelgerisch Gebet und Lied der gequälten Schöpfung frisst und mit geblähten Nüstern den Weihrauch schnüffelt, der aus den Werkstätten seiner Priester emporwolkt.«

Der Burgherr mahnte wieder. »Die widrigen Dünste machen Euch toll.«

»Ich bin weiser denn je. – In dieses Buch schreibe ich alles, was ich in alten Chroniken gelesen und mit schauendem Auge selbst erkenne von der Not der Menschheit. Die Flammen und Peinen des Lebens habe ich geplündert, durch des Fegfeuers Furten bin ich gewatet, mein Geist ist niedergetaucht in das Geschröfe der Hölle.«

Irr flügelten die Flammen. Der wilde Prediger beschwor sie: »Ruhig, ihr treuen Helfer, denkt an euer Werk. Ich will euch lohnen, königlich besolden, will euch einen Becher jenes Weines opfern, dass ihr euch berauscht …«

Dann fasste er den Jüngling am Wams.

»Sieh, wie das Kleinod glimmt, wie der Trank rötend reift, der ewige Wein, der mir Leib und Sinne unzerbrechlich macht bis zum Jüngsten Tag. Und indes die schlummernd jener Stunde harren, will ich, ein erbarmungsloser Chronist, des Allschuldigen Unwerk belauern und der Vergeltung entgegenstarren. Denn die wird kommen, schrecklich und stark. Gott wird unter meiner Ferse knirschen …«

Ein grässlicher Ton machte ihn verstummen, er taumelte, sein Fuß hatte den Totenschädel auf dem Estrich zertreten.

Heinrich riss sich aus den Fingern des Alten. Er fühlte das Gewölbe dieses Geistes in Wahnsinn wanken.

»Was tut Ihr?« rief er. »Dieser Traum ist zu groß für Euer Hirn, er wird es zerreißen.«

Doch der Fronsmann des Hasses reckte die Arme wie zu einer Beschwörung.

»Wenn die Sterne über der welken Welt verdorren, wenn die Sonne ausgeronnen und der Endechrist zerschellt ist, dann werden des Todes starre Schleusen gesprengt, uralter Staub ersteht, der Höllensod berstet und aus seinen Klammen rauchen sie auf, die Verdammten. Wenn der Allmächtige dann alles vor sein richtendes Antlitz zwingt, werden ihn Millionen Geschöpfe anstarren, Millionen, in deren Zügen das Leid wilder Jahrtausende glüht, und hinter diesen werden aber und aber Millionen harren und die Fernen füllen. Und kreischen werden sie: ‚Du willst uns richten? Was hast du uns erschaffen?' Und schreien werden sie: ‚Warum vernichtest du uns nicht, Ungott? Wir leiden!' – Da wird er mit irrem Auge stehen und alle zurückstoßen und stöhnen: ‚Ich kann euch nicht vernichten. Unzerstörbar ist das Leid, das ich erschaffen!' Und seine Weisheit wird verstummen vor dem Donner des Wortes: ‚Wir leiden.' – Nun aber werde ich vortreten mit diesem Buche, und mag der Gewaltige auch die wilden Brauen gegen mich heben, ich werde seine verröchelnden Posaunen übertosen, ich, Peregrinus, weiland nur ein Mensch, jetzt Gottesrichte und Gotteshenker, will mit eiserner Stimme ihm ins Antlitz schreien …«

Gellend hob er das Buch.

»Herrgott, ich klag dich an, dass du die Hölle erschaffen! Herrgott, ich klag dich an, dass du die Erde an die Hölle geschweißt! Dein eigen Kind hast du ans Kreuz nageln lassen, der Wolf im Wald tät das nicht mit seiner Brut …«

Eine wabernde Lohe, ragte der Gegensacher des Herrn, sein Wuchs schwoll über das Maß der Irdischkeit hinaus, züngelnd zischten ins Riesische verzerrte Worte aus dem Feuerschwalch des Hasses. Und die Flammen tanzten wie Irrsinnige, röter und röter gleißten die Metalle, Rauch füllte die Tollstube.

Grauenumstrickt war der Burgherr entflohen. Wie eine Natternmeute zischten ihm die sich übertürmenden Anklagen nach. –

Luft wollt er haben, Luft nach dem betäubenden Stank des Höllenrauchfanges, Luft, die rein und herb aus dem Walde emporquillt und lebendig den Turm umraunt.

Hastig tastete er die finsteren Schnecken empor.

Da – er fühlte es mehr, als er es sah – da drückte sich in die Nische, wo er jüngst gelauert, eine Gestalt. Er griff nach ihr, – es war ein weicher Arm.

Die Rippen wurden ihm zu eng ums Herz. Eva! – Er zog sie zur Lucke. Die leuchtende Nacht starrt herein.

»Bist du mondsiech? Wen suchst du hier?«

Ihre Augen wichen nicht den Seinen.

»Dich!«

Die Überfülle jähester Wonne ballte sich in ihm zu einem Schrei, wie ihn der rasende Hirsch in den Osserforsten ausstößt.

Schwül atmete es zum Schmalfenster herein, die Luft der Sommernacht erhob sich zu wandern. Und drunten im Walde begannen die klagenden Bäume zu ächzen.

Jedes Grauen, jede Erinnerung an das Geschehene war vergessen. Der Hammer wildwildester Wonne malmte auf Heinrichs sprühendes Herz. mächtig pulsten seine Adern. Einen Funkenringelreihen vor den Augen, die Stirn heiß wie Rennfeuer, schleppte er das Weib, das mit sträubendem Gewähren in seinen Armen lag, die Treppe aufwärts.

»Ich liebe dein Haar und deine Haut, deinen Nacken, deine Zähne!«

Fiebernd, wühlend kreuzten seine Küsse immer wieder ihren verschlossenen Mund.

»Wankellaunig Weib, ich hab es ja gewusst, du bist nicht träger Stein, bist blutdurchjauchztes Fleisch! – Dein Haar winde mir um den Hals!«

Ihre Kemenate stand offen. Schon setzte er den Fuß über die Schwelle. Da stieß sie ihn plötzlich von sich: ein hässlicher Hornton zeterte oben im Turm.

Wie mit fernem Geiste sagte sie: »Jetzt bläst er die Spinne aus dem Horn.«

Unten trampelte und polterte es. Ein Knecht schrie: »Feuer-aus!«

Mit gebäumten Sinnen aber zerrte der Bayrecker das Mädchen in die Kammer, die Pracht ihrer Brüste schwoll in seiner Hände durstende Schalen.

Er keuchte: »Mag der Mond herunterfallen! Wein will ich schlürfen, du köstliches Gefäß! Wein, Wein des Lebens!«

Geheul überschattete seine Raserei, Geheul vom Hofe, von der Stiege, als hielte der Teufel Heerschau über die Hölle. Lichtbrände und Menschen quirlten den Stiegenschacht empor, eine heisere Stimme krähte: »Dort ist der Hund, der michgehaut hat!«

Wildfremdes Gesindel umringte den Burgherrn, du ob er sich wehrte wie ein Dachs, sie hielten ihn an Arm und Bein, sie griffen ihn um Leib und Gurgel und schleiften ihn aus der Kammer.

Rotfinster des Himmels Gaumen über der Bergzunge. Zackende Feuerwipfel hoch in die Nacht.

Der Eroberer lehnte lässig an der Brunnenmauer, das zweifäustige Schwert waagrecht vor dem Panzerschurz. Sein Haupt war ganz von Eisen umlegt, nur das Reff war aufgeschlagen und ließ das gewaltige Kinn sehen.

Aus den Sehschnitten seines Helmes stach das Frohlocken, als die Knechte den Bayrecker brachten. Dem winselte eine einzige Schelle kläglich am Ärmel.

»Bist gottwillkommen, Knabe! Wie haben sie dir die seidenen Flüglein zerrupft! Aber den Turm hast du schlecht betreut. Wenn dein Vater lebte, der tät die Hasel nicht sparen.«

Der Gefangene sprühte auf wie ein rotes Eisen unterm Schlag, doch des Prackendorffers Söldlinge hielten ihn fest.

»Wann du dich bäumst, kriegst du den Beißkorb!« drohte der Sieger. – »Ja, Heini, scharr nur mit den Milchzähnen! Hast es wohl kaum erhofft, dass einer dein Krähennest ersteigt, derweil du Sturmleitern stellst an ein Weiberherz. – Dir kommt der Balztanz zu früh. Gedulde dich nur ein Weilchen, bis sich auf deinen Lippen nimmer Haar und Federn streiten und du dich zwischen zwei Bärten gürtest!«

Schäumend fühlte Heinrich seine Ohnmacht, kaum hörte er in den Hohn des Abenteuers die Flammen knistern und den Wind ins Feuer stoßen.

Vom Dache flogen knallend die Schindeln und irrten gleich brennenden Vögeln in die Nacht hinaus. Im Städtchen kläfften die Notglocken wie aufgestörte Köter.

Nun breiteten geschäftige Spießknechte die Kessel und Töpfe der schwarzen Küche im Hofe aus. Missmutig den eisenvermummten Kopf schüttelnd, wühlte der Prackendorffer mit dem Schwerte in den Erzen.

Der Brandrauch aber leuchtete und stieg hoch, als wolle er den Mond berußen.

Nun kam der Letzte aus dem Keller.

»Was bringst du, Schreiber?«

»Der Alte muss alles Gold in die Tiegel geworfen haben, die über dem Feuer stehen«, sagte dieser verstört. »Es glüht und rinnt und lässt sich derzeit noch nit in den Sack schieben.«

»Verfluchte Goldsiederei!« wetterte der Steigreifer. »Wir können nicht warten, sonst fahren uns die Städter an die Kehle. – Wo ist aber Peregrinun?«

»Herr, auf dem Estrich liegt er – mit erglasten Augen, neben ihm brennt ein großes Buch – alles brennt jetzt im Keller …«

»Wer hat ihn erschlagen?« fuhr der Eroberer auf.

Der Schreiber erwiderte: »Grausig hat ihn Gottes Gewalt getroffen. In der Hand hat er einen Becher gehalten, – ich hab ihm den Kopf gehoben, den versengten Bart: er hat geschmolzenes Gold getrunken.«

Heinrich erschauerte, in seinem Hirn begann ein Dröhnen, das in steter Wiederkehr ihm das Denken zermalmte.

Nun hob sich eine Weiberstimme, in der alles Menschentum vernichtet schien. »Nehmt den Leichnam des Alten mit, das Gold kann man herausschreiden!«

Entsetzt wichen die wilden Söldner vor der Ruferin. Der Prackendorffer fasste sie rau am Arm. »Willst du schweigen, Weib!«

Da herrschte Heinrich ihn an: »Lass sie los!«

Tödlich schön schien ihm die Grauenhafte im Lichte seiner brennenden Burg.

Die beiden Feinde maßen sich wie brunftende Hirsche, bis der Prackendorffer hervorstieß: »Sie gehört mir!«

Die Luft flimmerte um Evas gleißenden Hals. An den Steigreifer sich drängend, sagte sie: »Vergebens, Heinrich, spannst du den Bogen nach den Sternen!«

Vor des Bayreckers Augen schneite es Scharlachflocken. »Verräterin, hast du nicht im Turm oben meiner geharrt?«

Sie sah in sein verzerrtes Gesicht, ein Lächeln klammerte sich wie ein verirrter Vogel an ihre Lippen.

»Einem andern bin ich entgegengegangen.«

Eine sausende Flamme schnellte wie eine Springsäule hoch über die Burg, Helle und Glut füllten den Hof.

Heinrich brüllte auf, die Welt war ihm zusammengebrochen.

Da sah er das alte Schwert vergessen im Sande stecken, von Feuerschein durchlebt, dürstend, begehrend.

Weit stieß er die Bändiger von sich, die Wehre riss er aus dem Boden. Keiner konnte ihn halten, vergebens reckte sich des Prackendorffers Erzarm zum Schutze: der Tolle schlug den Stahl tötend dem Weib ins Antlitz.

Sie sank.

Nun war das Schwert rot, als blühten die Rosen der Liebe daraus.

Des Steigreifers mächtige Stimme aber dröhnte: »Haut ihn zusammen, den Unhold!«

Mit den Mordhaken fielen die Knecht über ihn her, der sich nimmer wehrte.

Im stürzenden Kellerverlies liegt einer, entstellt und stumm. Der Flamme blaues Spiel rollt das Schuldbuch Gottes auf, und nutzlos verronnen ist um den Toten der glühe Wein des Lebens.


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