Jakob Wassermann
Der Aufruhr um den Junker Ernst
Jakob Wassermann

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IV

Das Treiben des Bischofs wäre wahrscheinlich planlose Raserei geblieben wie das so vieler anderer, gelegentlich aufflammende Leidenschaft ohne Steigerung ins Äußerste, wäre der Pater Gropp nicht gewesen, der die wild schießende Saat in die Scheune brachte und auf der großen Mühle mahlte, deren Räder durch das ganze Jahrhundert donnerten, denn es waren Menschenseelen, aus denen da Ewigkeitsbrot gebacken werden sollte.

Die Lehre war fundiert im Weltgebäude und in der Weltschöpfung und unantastbar wie diese. Der Natur waren ihre tiefsten Geheimnisse abgefragt, sie hatte die Schlüssel einem Areopag von Wissenden ausgeliefert, die herrschten nun über die Menschheit ohne Beschränkung. Was erlauchte Geister gedacht, kehrte in tückischem Doppelsinn wieder, vergiftet von Scholastik, von magischen Dünsten umschleiert. Oftmals, in den Nachtstunden nicht selten, saß Pater Gropp vor dem lauschenden Bischof, der Eingeweihte vor dem Schüler, um ihn der Erleuchtung teilhaftig zu machen, deren er selbst gewürdigt worden war. Alte Schriften haben die Weisheit aus dunklen Quellen überliefert, der tiefe und wunderliche Görres hat noch vor hundert Jahren das vielfach Zerstreute mit gläubigem Fleiß gesammelt.

Es ist ein Gott des Lichts und ein Gott der Finsternis, lehrte der Pater. Zwei innerst wesensverschiedene Substanzen, eine gute der unkörperlichen, eine böse der körperlichen Dinge. Seht den Menschen an, wie die Spaltung bei ihm wiederkehrt, wie er mit dem leiblichen Teil dem Bösen verhaftet ist, mit dem unsichtbaren seinem Schöpfer, der nichts Vergängliches schafft. Körper ist vergänglich, Sünde ist des Körpers, daher ist Sünde von Urbeginn dem Gott der Finsternis zugehörig und sein Werk.

Als die Welt geworden, hat der Baum des Guten, der im Menschen grünt, nicht etwa wie vom Frost getroffen den Blätterschmuck abgeworfen, nicht etwa hat das Beil die Äste weggehauen und den Stamm bis zum Boden gekürzt, der Stummel konnte dann immer noch frische Sprossen treiben. Nein, die letzte Faser ist ausgerissen, der letzte lebende Keim ist vertilgt, die höheren Symbole sind erloschen, und zu der Nacht des Todes, die nun eingebrochen, haben die Dämonen freien Zutritt. Sie schlüpfen in den Menschen wie die Bienen in ihre Zellen, bequem ist es ihnen, dort zu hausen, finden sie doch auch ihren Honig daselbst. Da ist der Mensch nicht bloß in der Weise einer unfreiwilligen Verstrickung von der Dämonenmacht besessen, nicht bloß am Leibe ist er gekettet, sondern in voller Besonnenheit ist seine Seele hingegeben, der Vogel der Finsternis ist durch den geöffneten Mund in sein Herz hinabgefahren.

Und will nun einer ergründen, wie es um die Heimat der finsteren Boten bestellt ist und wie es in ihrem angestammten Geisterreich aussieht, so mag er wissen, daß sie dem Paradiese gegenüber wohnen, in einem unendlichen Gegenüber freilich, in einer Dimension, die kein irdisches Gehirn fassen kann. Da haben sie eine Hölle pyramidenförmig ausgetieft, sieben Feuerströme durchbrausen sie, von sieben Engeln des Verderbens ist sie behütet. So ist es schon in der Kabbala der Juden beschrieben, müßt Ihr wissen. Wie es Stufen gibt in der Heiligkeit, so auch in der Unreinheit und in der Verdammnis. Wie dort Mann und Weib als eins enthalten sind, so auch hier. Unermeßlich ist die dem Satan von Gott überlassene Macht über die Welt. Die Satanim wohnen bei dem Menschen, neben ihm, in ihm drin; und spotten seiner. Ihr Tichten ist, ihm Böses zu tun. Sie lechzen nach seinem Blut.

Warum nur? Warum duldet das der Herr der Welt? Es ist daraus zu erklären, daß der Widerspruch von Gut und Böse in die verborgenen Gründe des Alls hineinreicht und sich allen Wesen mitteilt, die ihren Gründen entsteigen. Einbrechend in die Natur, finden die Dämonen in ihr vor, was ihr Wirken fördert. Nicht als seien Sonne und Mond wie gut und böse, doch stellen sie sich zu den dunklen Gewalten in verschiedener Art. Das Mondhafte, im Weltraum zweimal gebunden, von der Erde und von der Sonne, hat Gebundenheit zu seinem Merkmal und kann vom Bösen wie vom Guten leichter bemeistert werden. Das Sonnenhafte, selber bindend, kann nur durch ein Gleiches an Kraft unterworfen werden. Aus demselben Grund, aus dem in der physischen Welt Mondfluten und Mondebben häufiger sind als die solarischen Bewegungen, gibt es auch mehr Mondfrauen als Sonnenseher, mehr Zauberinnen als Zauberer, mehr Hexen als Hexenmänner.

Und nun folgert: wer dahin gelangt, sich mit Hilfe der Dämonen an das Böse zu vergeben, schweifend oder verbleibend, wartend oder suchend, duldend oder tuend, der ist in einen neuen Kreis des Daseins getreten. Seine Seele hat eine Wanderung vorgenommen, und indem sie sich in einem neuen Gebiet ansässig macht, muß sein ganzes Wesen den Gesetzen nacharten, die dort gelten. Das Dämonische ergreift ihn mehr und mehr, umstrickt ihn enger und enger, und er wird ihm völlig zu eigen. Doch ist der Dämon solange ohne Kraft, als nicht der Wille seines Opfers eingestimmt und die Schiednis aufgehoben hat, die zwischen ihm und dem feindlichen Prinzip waltet. Die Einstimmung kann von unten auf erschlichen werden; unzählbar sind die Sendlinge Satans, von den gemeinen Kobolden, Elben und Hausgeistern an bis zu denen, die den Menschen zu Besessenen machen, und denen, die sich Geister der wahren Freiheit nennen; von denen, die sich unter der Larve der Wohlanständigkeit, des Gehorsams, ja der Frommheit verbergen, bis zu den Blutgeistern und Blutteufeln. Es kann aber die Ergebung auch auf freiem Entschluß beruhen, der sein Heil auf Wegen der Nacht sucht. Eine verwandelte Sphäre umfängt den Verstrickten in beiden Fällen. Alle Verhältnisse sind ihm gewandelt, und während er die Pfade des verfluchten Reichs durchschreitet, geht es von Abgrund zu Abgrund mit ihm. Gewandelt ist ihm die Betrachtung der Welt; das Freundliche erscheint feindlich, das Häßliche schön; dem Greuelvollen ist ein Glanz angelogen, das Widernatürliche stellt sich angenehm vor. Zuletzt kommt es dahin, daß die menschliche Natur in gänzlicher Umkehrung ihr göttliches Teil aus sich verstößt und unrettbar dem teuflischen verfällt.

Sie soll ihm aber entrungen werden: das ist die Aufgabe. Sie muß ihm entrungen werden. Die Umfriedung, die den Verlorenen einhegt, muß von außen gebrochen, die Schranke, die das finstere Reich beschließt, von innen gestürzt werden, sei es auch um den Preis aller erdenklichen Qual, die er dabei zu erleiden habe, sei es auch um den Preis des qualvollen Todes. Dann ist wenigstens seine Seele befreit.


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