Jakob Wassermann
Der Aufruhr um den Junker Ernst
Jakob Wassermann

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III

Einfach in Gewohnheiten und einfältig von Sinn und Art, ähnelte der Bischof Philipp Adolph in nichts den großen geistlichen Herren seiner Zeit. Er lebte frugal, kleidete sich ärmlich, bewohnte in dem uralten Palast hinterm Dom bloß zwei finstere Räume und nahm die Besuche vornehmer Reisender, die in seine Residenz kamen, nur an, wenn ihnen der Ruf der Frömmigkeit vorausging und sie sich frommen Trostes für bedürftig erklärten. Allem Luxus und Schaugepränge war er abhold, die kristallnen Lüster und venezianischen Spiegel in den Empfangs-Sälen hatte er bei seinem Amtsantritt mit schwarzen Tüchern verhängen lassen; das silberne und goldene Tafelgeschirr seiner Vorgänger wurde in Truhen versperrt; den meisten Dienern und Beamten des Hauses gab er den Abschied, und die Gelder für die Wirtschaft wurden auf das Unerläßliche eingeschränkt. Er haßte die öffentlichen Festlichkeiten, Volksbelustigungen, Umzüge, Fackelzüge, Musik, Tanz und Maskeraden, und da der unterfränkische Menschenschlag immer schon lebhaft und den sinnlichen Vergnügungen ergeben war, glich bereits der Anfang seiner Herrschaft einem Frosteinbruch in einen blühenden Garten.

Er war ein grundeinsamer Mann. Aber die Ursache der Einsamkeit lag nicht in philosophischer Versenkung, ebensowenig in der Weltentsagung eines von den irdischen Dingen enttäuschten und den himmlischen zugewendeten Gemüts. Furcht hatte sie erzeugt. Beschränkten Geistes und dumpfen Herzens, hatte er sich gänzlich in den Wahn verloren, daß der Mensch rundum von Dämonen umstellt sei. Früh war das gewachsen, genährt von der Zeit, begünstigt von allem, was in ihr schrecklich und verworren war, und schlug seine Wurzeln in Denken und Traum hinein. Wenn solcher Hang in ihm gebändigt geblieben war, solang er das behagliche Dasein eines Kloster-Prälaten geführt hatte, jetzt, als Beherrscher eines Landes, Gebieter über viele Tausend Seelen, war ihm keine Grenze gesetzt und kannte er keine Schonung in dem Kampf.

Er war von Dämonenangst und Dämonenglauben so umfangen, daß er bei jedem Schritt, den er tat, vor dem nächsten zitterte. Der Stein unter seinem Fuß, der Balken über seinem Kopf hatten das Aussehen der Bezauberung. Die Luft, die er atmete, konnte magisch vergiftet sein, das Buch, in dem er las, das Kissen, auf dem er schlief. Weder Gebet noch Kasteiung boten Schutz. Das wollte aber noch nichts bedeuten gegen die von Menschen drohende Gefahr, von denen, die sich zur Vernichtung des Reiches Gottes verschworen hatten, die das Vieh behexten, verderbliche Sprüche wußten, zum Opfermahl der Baalim flogen, die ihre unmündigen Kinder unter die Botmäßigkeit des geschwänzten Teufels zwangen, rasend machende Tränke in den Wein mischten, die heilige Hostie mißbrauchten, die Herden des Sabbats hüteten, mit Scheingold zahlten und mit dem Incubus grausige Fratzen zeugten.

Erwog er das Treiben der Menschen, so festete sich nur die Gewißheit von der um sich greifenden Macht Luzifers. Das Volk vom Unheil zu erretten, darauf allein stand sein Sinn. Mißernte, Hagelschlag, Dürre, Überschwemmung, Aufruhr, Hungersnot, Krieg, Pestilenz: alles hatte nur Eine Quelle, alles Übel und Verbrechen, aller Hader, alle Krankheit und zugefügte Kränkung, häuslicher Verdruß, eheliche Untreue, Ketzerei und Häresie, Trunkenheit, Wollust, Diebstahl und Wucher. Es kam immer nur darauf an, den Schuldigen zu finden, den, der mit den Dämonen im Bunde war, der das Mal an sich trug, den Gezeichneten, den Vermaledeiten, Mann oder Weib oder Kind oder Greis oder Jud oder Christ.

Konnte es schwer sein, ihn zu finden, da doch allenthalben Finger auf ihn wiesen? Auf wen? Nun auf den, der sich gerade hervortat. Auf den besten Schützen zum Exempel. Auf den geschicktesten Uhrmacher zum andern. Auf einen Bücherwurm oder friedlichen Herumstreicher. Auf einen, der bösen Gewissens schien, einen, dem Hoffart zu Kopf gestiegen war. Auf den armen Häusler, der den reichen Nachbar haßte, den Reichen, der dem Bettler das Almosen weigerte, die Jungfrau, die zudringliche Bewerber ausschlug, den Studenten, der im Geruch der Freigeisterei stand, das alte Weib, das Mann, Sohn und Enkel überlebte, den Gelehrten, der nach griechischer Weisheit forschte, die Dirne, die den Ehefrauen ihre Männer abspenstig machte, die züchtige Gattin, die einem frechen Galan die Tür gewiesen, den Bauern, der in der Scheune geflucht hatte.

Das Holz im Ofen wollte nicht brennen, im Haus wohnte eine mißliebige Person, sie hatte das Holz verhext, sie war die Hexe, wachsame Augen haben sie nachts durch das Schlüsselloch schlüpfen sehn. Der Blitz versehrt die Mauer, die Magd hat ihn gerufen, manche wußten freilich, daß sie vom Herrn geschwängert war und daß er sie los wurde, wenn er sie den Hexenrichtern anzeigte. Leicht konnte ein Mann begangene Untat verschleiern, wenn er ein Weib bezichtigte, daß es mit dem Satan Buhlerei trieb. Dabei wurde die Habsucht gereizt, da er drei Gulden Angeberlohn bekam und vom Nachlaß der Justifizierten, was Ketzergericht, weltliches Gericht, Kirche und Profoß übrig ließen. Es machte sich bezahlt, obschon es ihn vor gleichem Los nicht schützte.

Verdacht war auf allen Wegen. In schreckensvoller Erwartung waren die Augen gegeneinander gekehrt. Neid wurde Schrecken (für den Beneideten), Bewunderung erzeugte Schrecken (für den Bewunderten), Liebe konnte auf dem Scheiterhaufen enden, in jeder fröhlichen Geselligkeit lauerte der Verräter, bis es schließlich keine Geselligkeit mehr gab und die Menschen einander mieden.

Viele natürlich glaubten nicht an Zauberkunst und Hexenspuk, oder glaubten nur halb und sicherten sich durch Schweigen und Mittun. Im Volk aber war kein Licht, kein besser belehrtes Herz. Sie mußten es über sich ergehen lassen, ihre Geschäfte betrieben sie im Brandgeruch der Leichen, wenn sie nicht über den Geständigen jubelten, schleifte sie der Henker selber auf den Richtplatz, von der Arbeit weg, aus dem Ehebett heraus, gleichviel. Am unerschütterlichsten glaubte der Bischof. In den Schlupflöchern seines Aberwitzes, drin er wühlte wie eine hungrige Ratte, fahndete er nach den von den Schwarmgeistern der Hölle verführten Seelen. Sie verübten Raub an Gott und an der Kirche, ihm war auferlegt, das Geraubte wieder einzubringen, auch die Seelen selber. Die Seelen mußten aus der dämonischen Umklammerung befreit werden, hiezu gab es kein anderes Mittel als Verhör, Folter und Feuertod. So war die Übung im ganzen römischen Reich. Der heilige Vater gebot es, der Kaiser bewilligte es, die geistlichen Kollegien priesen es, erleuchtete Tribunale und hochgelehrte Codices legitimierten es, und die protestantische Welt war darin mit der katholischen nicht nur eines Sinnes, sondern übertraf sie noch im Eifer der Verfolgung. Es war ein eisenfingriges System, dem keine vom Teufel besessene Fliege entschlüpfen konnte.


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