Jakob Wassermann
Christoph Columbus - Der Don Quichote des Ozeans
Jakob Wassermann

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Zwölftes Kapitel

Indisches Inferno

Der Brief galt natürlich mittelbar der Königin, Donna Juana della Torre übergab ihn auch sogleich ihrer Herrin, und er verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht. Isabella vernahm mit Entrüstung, wie übel man mit ihrem Admiral verfahren war, und der König mußte sich anstandshalber überrascht und unwillig darüber zeigen, daß man seine Befehle »mißverstanden« habe. Das Unangenehmste bei der Sache war das große Aufsehen, das die Ankunft des in Ketten liegenden Vizekönigs und Großadmirals in ganz Spanien und weit darüber hinaus erregte. Aus Prestigegründen war es notwendig, dem beleidigten Mann so rasch wie möglich Genugtuung zu geben. Er wurde eingeladen, ans Hoflager nach Granada zu kommen und erhielt zur Bestreitung der Reisekosten für sich und seine Brüder zweitausend Dukaten.

Sein Erscheinen bei Hofe ist dem Gedächtnis der Zeiten mit Hilfe blümeranter Historiker als eine ebenso rührende wie verlogene Bilderbuchszene vorgemalt worden. Als die Königin den schon im Äußern, durch sein weißes Haupt, die sorgengefurchte Stirn, die edle Haltung, ehrwürdigen Mann erblickte, sei sie in Tränen ausgebrochen. Columbus, der sich in den schweren Kämpfen der Welt behauptet, mit stolzer Verachtung Unbill und Verleumdung ertragen, habe in dieser Stunde die Selbstbeherrschung verloren, sich der Fürstin zu Füßen geworfen und vor Schluchzen lange Zeit kein Wort hervorbringen können. Der König habe ihn dann aufgehoben und mit den huldvollsten Reden ermutigt.

Von alledem ist nicht eine Silbe wahr. Hernando Colón, der die meisten schönfärbenden Legenden über seinen Vater in Umlauf gesetzt hat, weiß von diesem Vorgang nichts, und ein so wirksames Melodram hätte er sich gewiß nicht entgehen lassen, wenn er die geringsten Anhaltspunkte dafür gehabt hätte. Er begnügt sich mit der Bemerkung, der Admiral sei in Granada von den Majestäten mit anscheinender Freundlichkeit empfangen worden, und sie hätten ihm versichert, die Verhaftung und Einkerkerung sei wider ihr Wissen und Wollen geschehen. Alles übrige ist ein läppisches Idyll im Kotzebuestil, auf die großartig-finstere Epopöe aufgeklebt wie ein Öldruck auf ein heroisches Fresko.

So viel ist richtig, daß man seine Klagen und Beschwerden anhörte und ihm Gerechtigkeit versprach. Sein Eigentum sollte ihm zurückerstattet, in seine Ämter und Würden sollte er wieder eingesetzt werden. So wurde gesagt. Und er glaubte es. Er glaubte, daß die Majestäten an dem Tag, an dem sie sich von seiner Redlichkeit und seinen guten Absichten überzeugt hätten, ihn wieder zum Vizekönig machen würden und er im Triumph nach Espanola zurückkehren könne. Eine unheilvoll-naive Täuschung; als er ihrer inne wurde, zerbrach er an ihr. Es war eine geradezu infantile Ahnungslosigkeit von Welt und Leben, die es ihm ermöglichte, seinen Optimismus wie eine wehende Fahne vor sich her zu tragen, während alles von ihm abfiel und, um es platt zu sagen, kein Hund mehr einen Bissen Brot von ihm nahm. Die Königin sah er als segnenden Engel über sich schweben, sich selbst sah er als einen Märtyrer, für dessen Leiden kein irdischer Lohn groß genug war, und seine Entdeckung war in seinen Augen die größte Tat, die je ein sterblicher Mensch vollbracht hatte und vollbringen würde. Ja, er war ein Märtyrer, die Entdeckung war eine Großtat, aber geblendet von seinem Bestimmungsdünkel, berauscht von seinem Einzigkeitswahn verlor er vollends jedes Urteil, jede Fähigkeit zur Vergleichung, jedes geistige Maß und Gewicht.

Die zahlreichen Entdeckungen, die um diese Zeit unter portugiesischer und englischer Flagge gemacht wurden, beunruhigten den König Ferdinand aufs höchste. Seiner unstillbaren Habsucht gesellte sich quälende Eifersucht. Bisher hatte es geschienen, als besitze Spanien allein das Recht zur Auffindung ozeanischer Länder und den Anspruch auf ihre Ausbeutung, nun traten andere Bewerber, andere Nationen in den Vordergrund, begierig, die goldene Welt mit ihm zu teilen. Denn Er war Spanien, Er der Nutznießer und Verwahrer, und wenn andere noch ihren Vorteil fanden, einige große Herren, einiges anonymes Volk, so war es nur, weil er es gnädig zuließ.

Als er acht Jahre zuvor seinen Namen unter die mit dem Genuesen geschlossenen Kapitulationen gesetzt, hatte er nicht geahnt, daß seiner Herrschaft so unermeßliche Gebiete zuwachsen würden, in seiner hochmütigen Unwissenheit hatte er das ganze Unternehmen als eine Spekulation auf die Wundergläubigkeit der Königin betrachtet. Nun, in der Fülle des Besitzes, dünkte ihn, als sei er von Columbus durch die getroffenen Vereinbarungen überlistet und betrogen worden, und jede neue Entdeckung des Admirals, statt seine Erkenntlichkeit zu vermehren, steigerte nur seinen Groll und seine Reue darüber, daß er sich von einem verschlagenen Abenteurer hatte umgarnen und zu einer Torheit, wie es jene Unterschrift war, hatte hinreißen lassen.

Wie macht man eine solche unverzeihliche Übereilung ungeschehen? Nun, da gibt es Mittel genug. Zunächst kann man den Verdacht konstruieren, der Admiral plane in aller Stille die Gründung einer unabhängigen Regierung; bei seinem verrückten Ehrgeiz ist dergleichen denkbar; die Roldanschen Aufstände liefern Inzichten genug, wenn man sie durch geschickte Juristen sachlich begutachten läßt. Er könnte ferner die Absicht hegen, die entdeckten Länder fremden Monarchen auszuliefern, um sich größere Vorteile zu sichern; auch dafür gibt es Anhaltspunkte. Man braucht nur die leiseste Andeutung einer derartigen Möglichkeit fallen zu lassen, und Dutzende von gefälligen Schranzen sind bereit, den königlichen Argwohn mit einem fertigen Delikt zu bedienen. Aber so weit möchte man ungern gehen, aus gewissen Gründen das Äußerste nicht wagen. Einstweilen ist man durchaus nicht gesonnen, dem machtgierigen Mann, habe er Verdienste oder nicht, sei er schuldig oder nicht, wieder den Oberbefehl und das vizekönigliche Amt zu übergeben.

Dazu kommt vor allem; er ist nicht mehr unentbehrlich. Er war insofern nützlich, als er das neue Indien aufgefunden hat. Hierfür ist er entsprechend, vielleicht sogar über Gebühr belohnt worden und genießt einen, vom Standpunkt des absoluten Herrschers aus gesehen, unstatthaften Ruhm. Wie die Dinge heute liegen, kann jeder gewöhnliche Schiffskapitän leisten, was er leistet. Eine Anzahl tüchtiger Seeleute hat sich unter ihm ausgebildet und auf seinen Reisen Erfahrung gewonnen. Viele belagern das Kolonialamt mit dem Anerbieten, eine Expedition auf eigene Kosten auszurüsten; Pedro Alonzo Niño und Vincento Pinzon haben es getan und der Krone einen erheblichen Teil des Ertrags abgeliefert. Aus welcher Rücksicht sollte man also fürstliche Würden und gefährliche Sonderrechte für Dienste erteilen, zu denen man fähige Leute jeden Tag umsonst haben konnte? Immerhin ist es schwierig, einen Mann mit so gefeiertem Namen ohne Umstände kaltzustellen und zu verabschieden, folglich muß man ihn hinhalten und vertrösten, Untersuchungen beantragen, Termine bestimmen, die Termine verschieben, wie das eben in diesen Fällen üblich ist, damals wie heute. Der König hat jetzt ziemlich freie Hand, Isabella, wie es scheint, will sich in die Kolonialgeschäfte nicht mehr einmengen, sie kränkelt, schwere Schicksalsschläge, der Tod des Sohnes, der drohende Wahnsinn der Tochter haben ihr Gemüt verfinstert und ihren Willen gelähmt.

Dem Admiral wird also gesagt, die Zwistigkeiten auf Española dauern fort, seine Rückkehr werde neuen Hader entfachen und überdies seine persönliche Sicherheit gefährden, man wolle Bobadilla vom Kommando entheben und an dessen Stelle vorläufig einen jüngeren, tatkräftigen Beamten ernennen, der die Mißbräuche abzustellen und die Insel von dem rebellischen Geschmeiß zu säubern vermöge. Er, Colón, solle sich indessen schonen und pflegen; sobald geordnete Zustände eingetreten seien, werde man für die Wiedereinsetzung in seine alten Ämter Sorge tragen.

Damit muß er sich zufriedengeben. Er hört es mit starren Augen an, wieder und immer wieder, der Kanzler sagt es ihm, der Kolonialminister, die Erzbischöfe sagen es, die Kämmerer, die Richter, er muß schweigen und warten und die Demütigungen schlucken. Bobadilla wird wirklich abberufen, sein Nachfolger, Nicolas de Ovando, Kommandant von Lares, Ritter des Ordens von Alcantara, ein Mann mit rotem Haar und rotem Bart, serviler Höfling, bigotter Katholik, gilt als klug, in der Verwaltung erfahren, aber von den überseeischen Verhältnissen hat er nicht die blasse Ahnung, was sich schon nach kurzer Zeit erweist, denn unter seiner Statthalterschaft wird planmäßig vollendet, was Cristobal Colón unwollend begann: die Hinschlachtung des indianischen Volkes. Zudem hat er sich später in der verzweifeltsten Situation, in die Columbus je geriet, wie ein Schuft benommen.

Zu drückender Untätigkeit verdammt, Monat um Monat auf gerechten Spruch harrend, schrieb der Admiral während des Jahres 1501 in Sevilla jenes ›Buch der Weissagungen‹, das ihn völlig in religiösen Mystizismus versunken zeigt. Er entsann sich des einstigen Gelübdes, daß er innerhalb von sieben Jahren von der Entdeckung der Neuen Welt an fünfzigtausend Mann zu Fuß und fünftausend zu Pferd stellen wollte, um das Heilige Grab den Händen der Ungläubigen zu entreißen. Die Frist war verstrichen, das Gelöbnis unerfüllt, die Neue Welt mit allen ihren Schätzen hatte bis jetzt, statt Gewinn zu bringen, nur Kosten verursacht, und er selbst, weit entfernt, Heere besolden zu können, war arm, verlassen und amtlos. Um aber den König und die Königin wenigstens zu dem Unternehmen anzufeuern, suchte er aus der Bibel, den Kirchenvätern, den Schriften der Heiligen und der Philosophen alle Stellen zusammen, die auf die Bekehrung der Heiden und die Eroberung Jerusalems bezogen werden konnten, auch wenn die Deutung noch so fragwürdig war, benutzte die Aufzeichnungen, die er vor zwei Jahren in San Domingo gemacht, brachte alles mit Hilfe eines gelehrten Karthäusermönchs in ein festes System, das zu einem stattlichen Band anschwoll, und überreichte das Opus den Majestäten mit einem weitläufigen Begleitbrief, dessen eifernde Leidenschaftlichkeit nur von der kümmerlichen Einfalt übertroffen wird, die ihn möglich machte, und der wie die meisten Elaborate des Verfassers den Beweis liefert, daß sein Bildungsniveau selbst für das Zeitalter auffallend niedrig war. Spanische Finsternis.

Er beschwört die Herrscher, nicht mit dem Kreuzzug zu säumen, denn der gegenwärtige Bestand der Welt sei nur noch für einen kurzen Zeitraum gesichert. »Der heilige Augustinus lehrt uns«, schreibt er, «daß das Ende siebentausend Jahre nach der Schöpfung kommen werde. Dieses ist auch die Meinung des Kardinals Pedro de Aliaco. Eure Hoheiten wissen, daß man von Adam bis Christi Geburt fünftausenddreihundertvierzig Jahre und dreihundertachtzehn Tage zählt. Nun sind seit der Geburt unseres Herrn fünfzehnhundertein Jahre verflossen, folglich steht die Welt schon sechstausendachthundertsechsundvierzig Jahre. Mithin bleiben noch einhundertfünfundfünfzig Jahre bis zu ihrem Untergang.«

Ohne diese obskuren Spielereien wäre er vor Ungeduld verbrannt. Mit dem Aufwand seiner ganzen Seelenkraft, und die war nicht gering, kämpfte er gegen seinen siechen Körper und die Beschwerden des Alters. Das Ereignis des Tages ist Vasco de Gamas Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung; damit hat der Portugiese den Seeweg nach Ostindien gefunden; die Schätze Kalkuttas, die Reichtümer Hindostans sind in aller Munde, und es heißt, daß er und nach ihm Alvarez Cabral beladen mit Perlen, Silber, Gold, Bernstein, Elfenbein, Porzellan, seidenen Stoffen, edlen Hölzern, Gummi und Gewürzen aller Art zurückgekehrt seien. Da zeigt sich Colón in seiner vollen Unbeirrbarkeit. Er ist nicht etwa bestürzt oder niedergeschlagen oder von Zweifeln bedrängt, ob der von ihm eingeschlagene Weg der richtige Weg nach Indien gewesen; durchaus nicht, so etwas kommt ihm gar nicht in den Sinn. Sondern er faßt unverweilt den Plan zu einer neuen Reise, durch die er sowohl die Entdeckung Gamas wie auch seine eigenen früheren Unternehmungen in den Schatten stellen will. Es ficht ihn auch nicht im mindesten an, daß der Florentiner Vespucci inzwischen auf ein ungeheures Festland gestoßen ist, das unmöglich Asien sein kann. Er will es nicht wissen. Es ist nicht wahr. Für ihn gibt es dort kein anderes Festland als das asiatische. Dahin muß er gelangen, um jeden Preis, sei es mit welchen Mitteln immer, sonst hat er umsonst gelebt, umsonst die Meere befahren. Er hat ja, auf der vorigen Reise, die Karibische See gekreuzt, fast mit Gewißheit war anzunehmen, daß die Strömungen zu einer Meerenge führten, in dieser Enge mußte eine Durchfahrt sein und die mußte ihn nach Indien bringen. Daran ist nicht zu deuteln, es ist so sicher wie alles andere, was er prophezeit hat und genau eingetroffen ist.

Er legt den Plan vor; er zeichnet genaue Karten und legt sie vor. Man ist in Verlegenheit. Man hat den lästigen Menschen schon abgetan geglaubt, plötzlich kommt er mit was Neuem. Wie soll man ihn beschwichtigen, da er doch imstande ist, einem das Gehirn aus dem Kopf zu reden. Man macht die und jene Einwendungen. Es ist kein Geld da, in den Kassen von Arragon und Kastilien ist vollständige Ebbe. Tut nichts, erwidert er, Geld will ich aufbringen. Ja, aber die Berichte Ovandos sind noch nicht eingetroffen, und von denen hängt es ab, das muß er begreifen, ob man ihn wieder in Dienst stellen könne. Auch davon will er nichts hören. Laßt mich nur mit dem König sprechen, sagt er. Er hat noch einige Freunde, die an ihn glauben, sie verschaffen ihm Zugang zu Seiner Majestät. Niemals war seine Beredsamkeit so zwingend, sein Feuer so hinreißend, waren seine Gründe so schlagend wie in dieser Audienz bei Ferdinand. Ob der König davon gewonnen und überzeugt wurde, steht dahin. Es ist möglich, daß es ein verführerischer Gedanke für ihn war, in den Besitz eines näheren und sichreren Verbindungswegs nach Indien zu gelangen, als ihn nun die Portugiesen hatten. Vielleicht machte ihn diese Erwägung dem Projekt geneigt, und er bewilligte es, wenn auch zögernd. Wahrscheinlicher ist, daß er den unbequemen Dränger los sein wollte, dessen Suada und verbissenen Fanatismus er geradezu fürchtete; die erbärmlichen Fahrzeuge, die man ihm für die Expedition zur Verfügung stellte und deren gänzlich ungenügende Ausrüstung lassen sogar den Verdacht zu, daß man ihn auf die Manier gründlich und für immer los zu werden hoffte: vier winzige Karavellen, zwischen fünfzig und siebzig Tonnen jede, mit einer Besatzung von insgesamt hundertfünfzig Mann. (Wunderlich: die Schiffe spielen immer wieder die Rolle des Kleppers Rosinante.) Die elenden Nußschalen sind schon bei schwach bewegter See in Gefahr zu sinken, es braucht gar keinen Sturm dazu. Einmal mußte nach menschlichem Ermessen (besonders wenn man ein wenig nachhalf) den ruhelosen Durchpflüger des Meeres ja doch das Schicksal ereilen, das er in seiner eitlen Ruhmsucht so oft herausgefordert hatte.

Hat diese verbrecherische Berechnung einen realen Hintergrund (ich gestehe, es zu bezweifeln ist schwer), so bietet sie auch die einzige Erklärung dafür, daß der König trotz seiner unverhohlenen Abneigung gegen den Admiral alle mit ihm geschlossenen Verträge erneuerte. Noch mehr, er erbot sich sogar, die Privilegien seinem Sohne Diego nötigenfalls ausdrücklich zu bestätigen, er möge sich nur in Frieden und Vertrauen einschiffen. Mit einem so jungen, gänzlich von der Gnade des Hofes abhängigen Menschen konnte natürlich die spanische Majestät leichter fertig werden als mit dem unersättlichen und ewig querulierenden Vater. Was für Vorbehalte und Schlupflöcher sich jedoch hinter dem gnädigen Handschreiben verbargen, das entzieht sich heutiger Beurteilung. Spanische Lebensform und Konvention hatten zu dieser Zeit etwas vollkommen Undurchdringliches und Geheimnisvolles. Wie wenig man ihm traute, erfuhr Columbus bald genug: Seine Bitte, in Española Station machen zu dürfen, wurde rundweg abgeschlagen.

Er gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Er erwiderte Mißtrauen mit Mißtrauen. Von allen Kontrakten, Konzessionen und Sonderbewilligungen, worin er als Großadmiral, Vizekönig und Gouverneur von Indien anerkannt war, ließ er zwiefache Abschriften unter Beglaubigung des Alcalden von Sevilla verfertigen, legte Kopien seines Briefes an Donna Juana della Torre bei sowie ein doppeltes Schreiben an die Bank von Genua mit der Überweisung des zehnten Teils seiner Einkünfte zur Ermäßigung des dortigen Getreidezolls (sehr schlau, dadurch machte er seine Vaterstadt zur Verfechterin seiner Rechte und Interessen) und schickte sämtliche Urkunden durch verschiedene Personen an seinen Freund, den Doktor Nicolo Oderigo, ehemaligen genuesischen Gesandten am spanischen Hof, mit der Bitte, sie in sicherer Verwahrung zu halten. Durch diese umfassende Vorsicht sind die Dokumente bis auf unsere Zeit gekommen. Ein Exemplar der Abschriften wurde 1816 in der Bibliothek des Senators Grafen Cambiaso gefunden und fünf Jahre später in der Urne aufbewahrt, die das Columbusdenkmal in Genua schmückt.

 

Über die vierte und letzte Reise müßte man Bände schreiben, wenn man eine auch nur annähernde Vorstellung von ihrer Gefährlichkeit und ihrer Abenteuerlichkeit geben wollte. Liest man da und dort, was die Chronisten gesammelt und berichtet haben, was Columbus selbst darüber niedergeschrieben hat (ein verworrenes, unverständiges, seniles Machwerk übrigens), was Diego Porras, der Notar, als Augen- und Leidenszeuge vermeldet und was schließlich Diego Mendez, der wunderbare getreue Diener des Admirals, knapp und gewissenhaft in seinem Testament erzählt, so schaudert einem die Haut nach vierhundert Jahren noch. Die Mühseligkeiten waren so furchtbar, daß man sich wundert, wie Menschen sie überhaupt ertragen konnten, ohne ein solches Leben freiwillig zu beenden, insonderheit dieser kranke, verbrauchte, vorzeitig zum hinfälligen Greis gewordene Führer. Hunger, Seuchen, grausig endlose Stürme, quälende Hitze, Schiffbrüche, Zersetzung aller Disziplin, Verrat von allen Seiten und verzweifelter Haß aller gegen alle machen die Expedition zu einer wahren Höllenfahrt.

Die Abenteuerlichkeit anlangend, müßte man an die effektvoll gehäuften Ausgeburten müßiger Hirne glauben, wären die Ereignisse nicht durch verläßliche Quellen bestätigt. Denn da ist alles versammelt, was seit Jahrhunderten primitiven Anhängern des Aufregenden den Sinn verrückt und den Atem raubt, die wilde Ungebärdigkeit des Ozeans und sein geheimnisvoller Reiz, unerwarteter Wechsel der Schicksale mit Todesgefahr und Rettung, Steuern ins Unbekannte und Stranden an weltverlorenen Inseln. Dieses Geschehen ist Generationen in Fleisch und Blut übergegangen, es hat die Phantasie der Jugend entzündet und ihre Tatenlust befeuert, so daß die zugrundeliegende Wirklichkeit schier wesenlos geworden ist und nicht mehr recht als solche gilt. Aber es gibt in dem Bezug keine Erfindung, vielleicht kann überhaupt nichts erfunden werden; was dem Menschengeist zum Bilde wird, muß sich irgendwie und irgendwann einmal zugetragen haben, es ist dann nur durch Mißbrauch und Schematisierung verzerrt, leblos und lügenhaft geworden. Auch Robinsons Geschichte hat sich einmal wirklich begeben, und da die Zahl der Lebensmotive, der mythischen, historischen und romantischen, ziemlich beschränkt ist, nehmen einige wenige die typische Form an und dienen zur Variation, so lange, bis sie verwelken und absterben. Die letzte Reise des Christoph Columbus ist ein solches Stammerlebnis, ein Wurzelmotiv, aus dem vielerlei Dichtung, Sage und freilich auch unreines Fabelgespinst entstanden ist.

Zwei vertraute Personen nahm der Admiral mit auf die Reise: seinen Bruder Bartolomé, jetzt nicht mehr Adelantado, sondern grollender Anwärter auf einstige Rückberufung, und seinen dreizehnjährigen Sohn Hernando. Unfaßbar, das Leben des eigenen Kindes aufs Spiel zu setzen, denn um das Wagnis mußte er wissen, er kannte die möglichen Schrecken, er kannte den Zustand der Schiffe, was war also der Antrieb? Schwebte ihm eine pädagogische Maßregel vor, Erziehung zum Nachfolger, zum Helden? Es ist bekannt, daß er diesen Sproß einer leidenschaftlichen Beziehung, vielleicht der einzigen in seinem Dasein, sehr geliebt hat, aus gedankenloser Frivolität oder Abhärtungsprinzipien kann sonach der Entschluß nicht hervorgegangen sein. Ich sehe nur einen plausiblen Grund: Er fühlte sich sehr einsam; sehr mißverstanden; er entbehrte aller Menschenwärme, aller Bewunderung, aller Pflege und Hegung, sogar aller Rücksicht; das Wesen, das seinem Herzen am nächsten war, in der kritischsten Epoche seines Lebens im Vorgefühl des Endes um sich zu haben und ihm zugleich ein Exempel von der Größe im Ertragen und Besiegen aller Widrigkeiten, die der Himmel nur schicken kann, zu geben, das mag der Grund für ihn gewesen sein, Sorge und Vernunft hintanzusetzen, wobei ja in der Tiefe seines Bewußtseins immer noch die Überzeugung ruhte, daß Gott ihn zu dem verheißenen Ziel führen und ihm bis dahin nichts zustoßen würde.

Die Instruktion, die ihm ausgehändigt wurde, enthielt den Befehl, eine oder zwei Personen an Bord zu nehmen, die des Arabischen mächtig waren (wegen der Verständigung bei der Ankunft in Asien), und so schnell wie möglich auf dem geradesten Weg nach Westen vorzudringen, ohne, wie noch einmal betont wurde, auf Española Anker zu werfen. Die Landung erwies sich jedoch als notwendig, da eine Reihe der heftigsten Stürme eines der Schiffe so beschädigt hatte, daß er es in San Domingo gegen ein anderes umtauschen wollte. Als er aber in Sichtweite der Küste kam und in einem außerordentlich höflichen Schreiben an Ovando um die Erlaubnis zum Auswechseln der Karavelle bat, verbot ihm der Gouverneur schroff, die Insel auch nur zu betreten. So konnte er bloß ein Paket Briefe für Spanien abgeben und mußte sich aufs neue der schäumenden See anvertrauen. Er schreibt darüber wie folgt: »Welcher Mann, selbst Hiob nicht ausgenommen, wäre nicht bereit gewesen, aus Verzweiflung zu sterben in der Lage, in der ich mich befand. Ich war in Angst um meine Sicherheit und mehr noch um die meines Bruders und meines Sohnes sowie aller meiner Gefährten. Oh, mir das Land und den Hafen versperren, die ich selber mit Gottes Hilfe und Blut schwitzend für den König gewonnen hatte! Achtzig Tage wurde ich unaufhörlich von einem so gräßlichen Orkan umhergetrieben, daß ich während dieser Zeit weder die Sonne noch die Sterne sah, die Schiffe waren leck, die Segel zerrissen, die Anker, die Taue und ein großer Teil der Vorräte verlorengegangen. In ihrer Verzagtheit taten die Matrosen das Gelübde, in ein Kloster zu gehen, und oft geschah es, daß einer dem andern die Beichte abhörte. Mehrmals stand ich an der Pforte des Todes, ich kommandierte das Schiff von einer kleinen Kammer aus, die ich auf dem Verdeck hatte aufschlagen lassen, mein Bruder befand sich auf dem schlechtesten Schiff, was mir um so mehr Kummer bereitete, als ich ihn gegen seinen Willen mitzufahren beredet hatte, und der Gedanke, daß ich es nach zwanzigjährigem aufreibenden Dienst so weit gebracht hatte, daß ich mein Kind mit mir nehmen mußte, weil ich in Spanien nicht einen Dachziegel mein eigen nennen kann, so daß ich ins Wirtshaus gehen muß, wenn ich essen oder schlafen will und mir dabei oft noch das Geld fehlt, um die Zeche zu bezahlen, dieser Gedanke reißt mir das Herz zwischen den Schultern heraus.« Das Motiv, das er hier für das Mitnehmen des Sohnes angibt, wohl um sich gegen zu erwartende Vorwürfe zu rechtfertigen, hat nicht Hand noch Fuß und ist eine echt Colónsche Übertreibung. Wovon später noch zu reden sein wird. Das hindert jedoch nicht, daß er uns wieder einmal Gelegenheit gibt, die Ekrasitgewalt seiner Manifeste zu bestaunen. Wie Don Quichote ist er in Rede und Schrift unüberwindlich.

Es berührt wie ein Akt göttlicher Nemesis, daß in demselben Orkan, in welchen man den Admiral unerbittlich-rücksichtslos hinaustrieb, auf papierene Befehle pochend, die Flotte unterging, die alle seine españolischen Feinde nach Spanien zurückbringen sollte: den Gouverneur Bobadilla, Franzisco Roldan und seine Mitrebellen, eine Menge jener Schwindler, Erpresser und gierigen Herumtreiber, die die Insel so unsicher gemacht hatten als wäre sie das Verbrecherviertel einer modernen Großstadt. Columbus erfuhr durch ein paar Schiffbrüchige, die er retten konnte, von der Katastrophe. Man kann sich bei seiner Sinnesart den Triumph, die düstere Genugtuung vorstellen, die ihn erfüllten: Der Himmel selbst hatte eingegriffen, ihn zu rächen und seine Widersacher zu verderben. Es war so recht die Nahrung für seinen Auserwähltheits- und Gottesbotenwahn. Im Leben mancher Menschen ereignet sich sonderbarerweise von außen her sehr oft das, was zu ihrem inneren Wesen stimmt, als ob es wirklich in den Sternen stünde.

Dazu kam, daß nur ein einziges Schiff den Sturm überstand, obwohl es das schlechteste war, nämlich jenes, das das Vermögen des Columbus an Bord hatte, einige tausend Goldstücke, von Bobadilla beschlagnahmt. Aber da es wegen seiner schweren Havarie San Domingo anlaufen mußte, wurde das Gold neuerdings mit Beschlag belegt und die Auszahlung dann auf einem jahrelangen Instanzenweg verzögert. Wahrscheinlich ist Colón erst kurz vor seinem Tode nach vielen Petitionen, Klagen und Prozessen in den Besitz der immerhin ansehnlichen Summe gelangt.

Bobadilla hatte große Schätze geladen, die nun auf dem Meeresgrund ruhten. Man muß freilich die zeitgenössischen Angaben skeptisch aufnehmen, die Leute waren alle zu prahlerischer Aufbauschung geneigt. Alexander von Humboldt hat berechnet, daß das aus der Neuen Welt nach Europa eingeführte Gold in den Jahren 1492 bis 1500 nicht mehr als sechzehntausend Mark heutiger Währung betragen habe. Der eigentlich große Import, wahrhafte Märchenschätze, begann erst nach der Eroberung Mexikos und Perus.

Ein Stück gediegenen Goldes soll auf Bobadillas Schiff verfrachtet gewesen sein, von dem in alten spanischen Chroniken immer wieder erzählt wird; es habe achtzehnhundert Castellanos gewogen, heißt es, also ungefähr zweiunddreißig Pfund, und soll von einem indianischen Weib in einem Bach gefunden worden sein. Unter all dem Gold aber, bemerkt ein späterer Geschichtsschreiber, war kein Körnchen, an dem nicht das Blut gemordeter Indios klebte. Und das ist bestimmt keine lügenhafte Aufbauschung.

Der Admiral erreicht die Küste des amerikanischen Festlandes beim Kap Gracias à Dios. Die Eingeborenen, vielleicht von Priestern gewarnt, widersetzen sich der Landung, er ist gezwungen, weiterzusegeln. Er steuert gegen Süden, ändert die Richtung nach Südwesten, fährt vorsichtig an Nicaragua und Costarica entlang. Ende September wirft er bei einem Dorf Cariai Anker, um die Schiffe auszubessern und der Mannschaft Rast zu gönnen. Wie stets bei der ersten Begegnung mit Europäern, zeigten die Eingeborenen jenes für die Spanier schwer enträtselbare Betragen, das zwischen Furcht und Neugier, Mißtrauen und Staunen, Verehrung und Abwehr, Gastlichkeit und böser Ahnung schwankte. Sie sehen auf wunderbaren Fahrzeugen wunderbare Geschöpfe, die sich friedlich stellen, aber angsteinflößende Gesichter haben. Man schenkt ihnen Dinge, die sie entzücken, durchaus fremdartige, zauberhafte Gegenstände, als Gegengabe bringen sie baumwollene Mäntel und Hemden herbei, auch Schmuck aus geringem Gold, doch siehe da, die merkwürdigen Geschöpfe wollen nichts von ihnen annehmen. Der Admiral hatte es nämlich verboten, da er ihnen zu beweisen wünschte, wie freigebig und uneigennützig er und seine Gefährten seien. Die alte Taktik. Ganz falsch, er verletzt sie dadurch nur, sie glauben sich und ihre Gaben verachtet, da schleppen sie alles, was sie von ihm bekommen haben, auf einen Haufen und lassen es am Strand liegen.

Das ist nur ein Bild von vielen, ein Beispiel von zahllosen. Das Vertrauen der Wilden geht so weit, daß sie freiwillig zwei junge Mädchen als Geisel an Bord bringen: Taktvoll haben sie begriffen, daß es den Ankömmlingen an Mut fehlt, das Land zu betreten, um sich Wasser und Früchte zu holen, und unaufgefordert stellen sie Bürgschaft. Während die Matrosen ihre Tonnen füllen, bleiben die Ältesten des Stammes in der Entfernung stehen, um darüber zu wachen, daß keiner der Ihren den Gästen lästig falle. Ihre Vornehmsten tragen dann den Adelantado ans Land und setzen ihn mit feierlichen Zeremonien auf den Rasen nieder. Seine Absicht ist, Erkundigungen über die Gegend einzuziehen, und er läßt den Flottennotar Porras rufen, um ihre Aussagen zu Protokoll zu geben. (Was natürlich bei der beiderseitigen Unkenntnis der Sprache zu lauter willkürlichen Feststellungen führen muß.) Allein sobald dieser Feder, Tinte und Papier zurechtgelegt hat und zu schreiben anfangen will, entfliehen sämtliche Indios in bebender Angst, denn sie halten ihn für einen Zauberer und Geisterbeschwörer. Nach einer Weile kehren sie lauernd zurück und streuen ein Pulver in die Luft, wovon sie einiges verbrennen, so daß der Wind den Spaniern den Rauch zuweht. Das Lächerliche ist, daß die Spanier ihrerseits nicht geringere Furcht vor den Hexenkünsten der Wilden verspüren. »In Cariai«, berichtet der Admiral, »gibt es gefährliche Magier. Meine Leute hätten alles darum gegeben, wenn wir rasch wieder davongefahren wären. Einige hielten sich allen Ernstes für behext und sind bis zum heutigen Tage nicht von ihrer Meinung abzubringen gewesen.«

Dann kommt immer der Moment der Gewalttat, unweigerlich wie das Amen im Gebet. Man fängt heimlich ein halb Dutzend Indios zusammen, bringt sie aufs Schiff, um sie als Wegweiser zu benutzen, lichtet in aller Stille die Anker und fährt unter dem Entsetzen und Klagegeheul der Dorfbewohner, die den Raub zu spät entdeckt haben, eilig davon.

Wäre bisher nicht mit einem zu großen Respekt vor den Tatsachen und einer übertriebenen Bewunderung für die sogenannten Tatmenschen Geschichte geschrieben worden, so stünde vielleicht die Menschheit auf einer höheren Stufe des Rechts, der Gesittung und der Kultur.

Im Oktober gelangt der Admiral mit seiner traurigen Flotte in die Bucht von Chiriqui, an der Landenge von Panama. Es ist nicht uninteressant, daß er dort, in nervösen, monatelangen Irrfahrten, nordwärts, südwärts, ostwärts, den verbindenden Wasserweg nach Asien suchte, wo die Natur tatsächlich Anstalten getroffen hatte, ihn zu schaffen, ohne daß sie mit dem Werk zu Ende kam. Bisweilen nähert er sich in seinen ideologischen Konstruktionen der Wirklichkeit, oder es ist eine Art von Sehergabe in ihm, die neben den Fiktionen mögliche Wirklichkeiten erschaut.

Die Eingeborenen berichten, soviel man verstehen kann, von zivilisierten Nationen im Innern des Landes; die Bewohner trügen goldene Kronen, Armbänder, Fußspangen und Kleider aus Goldstoff; auch ihre Sessel, Schränke und Tische verzierten sie mit purem Gold. Sie nannten das Land Ciguare oder Ciamba; es werden wohl unbestimmte Gerüchte über die Reiche Mexiko und Peru gewesen sein, die der Admiral nach seiner Weise übertrieb und in Verbindung mit dem Großchan bringt, dessen Herrschaftsgebiet ihm hier zu beginnen scheint. Zehn Tagereisen noch, und ich bin am Ganges, folgert er kühn und überhört das Murren der Mannschaft gegen die Fortsetzung der Reise. Diesmal ist sein Sinn auch nicht auf die Gewinnung von Gold gerichtet; um keine Zeit zu verlieren, untersagt er seinen Leuten den Tauschhandel mit den Indios und reizt sie damit zu aufsässiger Wut. Diese mysteriöse Durchfahrt, die er da mit der Ungeduld eines Verrückten sucht, indes die Schiffe immer lecker werden und der Bohrwurm die Wanten durchlöchert, ist ihnen vollkommen gleichgültig. Endlich gibt er ihrem Drängen nach, weil er sich nicht anders helfen kann, und segelt am Tage Simonis und Judä nach der fruchtbaren Landschaft zurück, die die Indios Veragua genannt haben. Aber ununterbrochene Gewitterstürme treiben ihn wieder in die Bucht von Chiriqui, und Wochen hindurch kämpft er gegen die Wut der Elemente. »Ich war so erschöpft«, klagt er, »daß ich nicht mehr wußte, was tun. Meine alte Wunde brach auf, und neun Tage lang war die Hoffnung geschwunden, mich am Leben zu erhalten. Nie war das Meer so hoch, so fürchterlich, so schäumend gewesen, es schien ganz von Blut zu sein und kochte wie ein Kessel auf einem Riesenfeuer. Nie hatte der Himmel ein so gräßliches Aussehen gehabt, er brannte gleich einem Ofen und schoß so glühende Strahlen hernieder, daß ich jeden Augenblick nachsah, ob meine Mäste und Segel nicht angesengt seien.« Sicherlich war die Situation schlimm genug, jener Teil des Atlantischen Ozeans ist zu gewissen Zeiten des Jahres beständig von den verheerendsten Tornados heimgesucht, aber es ist nicht zu verkennen, wie seine Phantasie mit Wollust in apokalyptischen Bildern schwelgt.

Anfang Januar 1503 landet er an der Küste von Veragua, nachdem er fünfunddreißig Tage gebraucht hat, um eine Strecke von dreißig Seemeilen zurückzulegen. Die Schiffe, jämmerliche Barken genau genommen, sind in einem Zustand, daß man sie kaum noch ausbessern kann, die Mannschaft ist durch Krankheiten und Überanstrengung nicht mehr fähig, Dienst zu leisten, so entschließt er sich denn, in die Mündung eines großen Flusses einzulaufen, den er den Bethlehemfluß nennt und wo man sich von den Strapazen der See ein wenig erholen kann. Die Indios bereiten den Eindringlingen einen feindseligen Empfang, vermutlich hat es sich bereits von Stamm zu Stamm unter ihnen herumgesprochen, daß man es da mit treulosen und gewalttätigen Menschen zu tun habe, man muß viel Diplomatie aufwenden, um sie friedlich zu stimmen. Sie haben Goldblech, sie haben Pfeifen aus Gold, auch einige rohe Barren, aber das ist nichts, man fragt sie nach den Minen. Überall sollen gleich Minen sein, mit Ausbeute im kleinen gibt man sich nicht mehr ab. Die Indios scheinen zu begreifen; oben im Gebirge sind die Wälder voll von Gold, sagen sie. Also auf ins Gebirge. Aber um Gold zu finden, müsse man sich durch Fasten und Enthaltsamkeit darauf vorbereiten, sollen sie angeblich hinzugefügt haben. In Wahrheit war dies eine fromme Erfindung des Admirals, das einzige Mittel, die zügellose Gier seiner Leute zu zähmen. Bartolomé Colón bricht mit einer wohlbewaffneten Truppe ins Innere auf, er macht die Bekanntschaft verschiedener Häuptlinge, die ihm mit schweigsamer Freundlichkeit begegnen und trotzdem sie willfährig scheinen, das unverständliche Verlangen der Fremdlinge nach Gold zu befriedigen, sichtlich auf ihrer Hut sind. Ganz anders als im Archipel, draußen auf den Inseln, atmet ihr Wesen hier eine würdevolle Strenge. Als ob das Leben auf Inseln die Menschen leichter und spielerischer machte, verträumter und zutraulicher; hier haben alle mehr Gewicht und mehr Härte.

In der Tat findet der Adelantado Gold, im Urwald, im Gestein, im Sumpf, aber nicht so viel, wie man erwartet. Man sucht und sucht, fragt und fragt, wird dahin und dorthin gewiesen, es kommt sogar vor, daß ein Kazik, in den Berichten heißt er Quibian (die Namen sind ja immer entstellt), die unersättlichen Goldsucher, um sie loszuwerden, listigerweise in das Gebiet eines seiner Feinde führt: da grabt, da wühlt. Und sie graben und wühlen bis sie in ihrem Schweiß kochen. Jeder Fund weckt die Erwartung eines größeren, alles ist zu gering, sie werden vollständig wahnsinnig, träumen und erzählen von Felsblöcken aus massivem Gold, der Admiral stachelt ihre Gier bei jeder Gelegenheit auf, dann sind sie beschäftigt, und er hat Muße für seine geographisch-mystischen Grübeleien. Die Besessenen haben einen Spezialschutzgeist, dessen Aufgabe es ist, ihnen die Wahrheit vorzuenthalten. Hätte er nicht immer an seiner fixen Idee von Asien und Zipangu gesponnen, er hätte ohne große Mühe ausführen können, was der entschlossene Bilbao zehn Jahre später getan: ein paar Tagereisen über die Gebirge, und er hätte den Pazifischen Ozean erblickt. Dann wäre freilich das Fundament, das ihn trug und über alle Schmerzen und Enttäuschungen hinaufhob, unter ihm zusammengestürzt.

 

Der praktische Gedanke, der in Veragua auftauchte, ging von Bartolomé aus. Er nahm die üppige Fruchtbarkeit des Landes wahr, er sagte sich, daß sich hier unerschöpfliche Möglichkeiten zu zivilisatorischer Arbeit und zu ganz anderer Art des Reichtums boten, als durch das sinnlose Jagen nach Gold zu gewinnen war. Er schlug dem Bruder die Gründung einer Niederlassung vor und erklärte sich willens, mit der Besatzung zweier Schiffe dazubleiben; der Admiral solle nach Spanien zurückkehren und der Kolonie Unterstützung erwirken.

Dieser stimmte wider Erwarten lebhaft zu. Hütten und Magazine wurden errichtet, die Mittel zum Lebensunterhalt gewährte die strotzende Erde im Überfluß, wegen der Verproviantierung konnte man also unbesorgt sein. Bedenklich war nur die Haltung der Eingeborenen. Da sie intelligent und höflich waren, hatte Bartolomé gehofft, sie würden dem Ansiedlungsplan keine Schwierigkeiten bereiten. In der Tat ließen sie die Fremden in ihrer verwunderlichen Baugeschäftigkeit anfangs ruhig gewähren. Der Adelantado hatte bereits achtzig Mann ausgewählt, die auf einer Anhöhe, einen Bogenschuß vom Ufer des Flusses Belen entfernt, niedrige Häuser aus behauenen Stämmen, gedeckt mit Palmenblättern, errichteten. Nun, diese Leute machten sich alsbald der gewöhnlichen Roheiten gegen die Indios und ihre Weiber schuldig. Sie waren einfach nicht zu bändigen. Die Mahnung, mit den ehrliebenden und empfindlichen Wilden schonend umzugehen oder gar sie wie menschliche Wesen zu behandeln, stieß auf ihren Hohn; nur wenn sie Übermacht spürten und Furcht sie dazu zwang, nahmen sie sich zusammen, von jeher, die trügerische Freundlichkeit der Indios machte sie sofort unverschämt. So verfahren sie auch hier wieder, und das Ergebnis ist das gewöhnliche. Die Indios ziehen sich zurück, verletzt und über die Gesinnung der neuen Siedler hinlänglich aufgeklärt, sie treffen kriegerische Anstalten, verbünden sich mit ihren Nachbarn, geben vor, sich gegen einen Feind im Innern schlagen zu müssen, aber die ganze Heimlichkeit ihres Tuns und Verhaltens erregt den Argwohn der Spanier. (Sie sind immer moralisch entrüstet, wenn sich die Folgen ihrer Brutalität zeigen und sie die Suppe auslöffeln sollen, die sie sich eingebrockt haben.) Bartolomé will dem zu gewärtigenden Angriff zuvorkommen, möchte sich aber erst Gewißheit über die hostilen Absichten der Indios verschaffen. Diego Mendez, dem solche Unternehmungen Spaß machen und der geschickt und mutig ist, schleicht sich als Späher in das indianische Dorf; er erkundet, daß in der Ratsversammlung die Vertreibung der weißen Männer beschlossen worden ist. Nun säumt der Adelantado nicht länger, überfällt nächtlicherweile das Dorf und bemächtigt sich des Kaziken, seiner Frauen und seiner Kinder. Die Erfahrung hat ihn gelehrt, daß man damit die Aktionen der Wilden am nachdrücklichsten lähmt. Jedoch es gelingt dem Häuptling, während des Transports zu fliehen und seinen Stamm zu alarmieren. Die erbitterten Krieger dringen in die Kolonie ein, die Spanier können sich der Übermacht nur mit Einsatz der Schweißhunde erwehren, die sie, zu ihrem Glück, wie sie finden, nicht unterlassen haben mitzunehmen; das Ärgste ist, daß sie vom Admiral abgeschnitten sind, der es kurz zuvor mit harter Mühe vermocht hat, seine Schiffe aus der durch lange Trockenheit untief gewordenen Flußmündung in die Bucht hinauszusteuern. Auch ihn faßt Bestürzung und Schrecken, als er benachrichtigt wird, daß die Besatzung des Bootes, das er, um Holz und Wasser für die Seefahrt zu holen, den engen Fluß hinaufgeschickt hat, von den Indios bis auf den letzten Mann niedergemacht worden ist. Da erklären die Leute des Adelantado, sie wollten in dem gefährlichen Land nicht einen Tag mehr bleiben, sein Zureden ist so vergeblich wie sein Zorn, sie stürzen in das zurückgelassene Schiff, es strandet in der seichten Mündung, die Indios waten und schwimmen ihnen nach, und sie haben hinter einer Schanze am offenen Ufer den wütenden Ansturm der Verfolger auszuhalten. Der Admiral kann ihnen nicht zu Hilfe kommen, er kann seine morschen Segelbarken nicht noch einmal durch die Brandung bringen, das einzige Boot, das er noch gehabt, eben jenes, das er den Fluß hinaufgeschickt hat, ist verloren, ein Tag vergeht, noch ein Tag, die bedrängten Männer am Ufer sind am Ende ihrer Kraft, was soll er tun, um sie zu retten. Wahrhaftig eine dramatische Situation, und unheilvoll, und nicht unverschuldet, und nicht geeignet, noch irgendwelche Hoffnungen für die Zukunft daran zu knüpfen. Schreckliches Memento: Er hat indianische Gefangene an Bord, sie sind eingesperrt im Schiffsraum; als man am dritten Morgen nach ihnen sieht, findet man sie sämtlich an Tauen erhängt; manche berühren mit den Knien den Boden, andere haben sich erwürgt, indem sie, mit gefesselten Armen, die um den Hals gelegten Schlingen mit den eigenen Füßen zuzogen, eine unbeugsame Art zu beweisen, daß sie den Tod weniger fürchten als die Sklaverei. Indessen verschlimmert sich die Lage des Adelantado immer mehr, man muß wenigstens eine Verbindung mit ihm und seiner zusammengeschmolzenen Schar herstellen, man kann nur sehen, wie sie kämpfen und einer um den andern fällt, zurufen kann man ihnen nicht; da erbietet sich ein heldenmütiger Matrose namens Pedro Laderma, durch die Brandung hinüberzuschwimmen, und das Wagestück gelingt. In sinnloser Verzweiflung beschwören ihn die Kameraden, dem Admiral zu sagen, daß sie wieder an Bord wollen, um jeden Preis. Laderma schwimmt zurück, es glückt zum zweitenmal, und er richtet die Botschaft aus. Columbus kann sich natürlich nicht weigern; es ist ihm nicht so leid um die Ansiedlung, als es ihn bedrückt, eines triftigen Grundes für die rasche Rückkehr nach Spanien verlustig zu gehen, denn die kann er dann vor seinem Gewissen nicht rechtfertigen; es wäre aber gut, heimzukommen, obschon es kein Heim für ihn gibt, nur eine Ruhestätte allenfalls, einen Winkel, um sich hinzulegen; er ist müde, endgültig müde, zerrieben von all der Not und dem Jammer, und zum erstenmal dünkt es ihn verlockend, in einem Bett zu sterben. Jede auffrischende Brise verringert die Sicherheit der wurmzernagten Fahrzeuge, und seine Bekümmernis, von Fieber und Schlaflosigkeit zu Visionen gesteigert, in denen er geisterhafte Stimmen hört, die ihm Trost zusprechen und ewigen Ruhm verkünden, diese krankhafte Depression weicht auch dann nicht, als er Bartolomé und seine Leute samt den geringen Vorräten aus der gescheiterten Barke nach übermenschlichen Anstrengungen durch ein mitten in Not und Gefahr hergestelltes Floß endlich an Bord der andern Fahrzeuge nehmen kann. Dem Diego Mendez, der sich dabei rühmlich ausgezeichnet hat, überträgt er das Kommando jener Karavelle, deren Führer bei dem Unglück mit dem Boot gefallen ist.

Aber alles das ist nur der Anfang der beispiellosen Leiden, die man in ihrem ganzen Umfang kennen muß, wenn man die stählerne Seele dieses Mannes richtig einschätzen will. Das ist seine Größe und seine Glorie: das Aufsichnehmen, die Geduld, die Bereitschaft, freilich ganz tiefe, ganz unbewußte, ganz astrale Bereitschaft zu seinem Schicksal. Ende April erlaubt günstiger Wind, die verhängnisvolle Bucht zu verlassen. Man kann sich den Schiffen nur mit beständiger Todesangst anvertrauen, die im Wasser befindlichen Holzteile sehen wie Bienenwaben aus. Es ist also unerläßlich, auf schnellstem Weg nach Española zu fahren, und um den zahlreichen Korallenriffen zu entgehen, muß die äußerste Sorgfalt aufgewendet werden. Neue Stürme; drei Anker gehen verloren, die Segel reißen in Fetzen, die Lecks werden immer größer, die Pumpen arbeiten unaufhörlich, und außerdem muß das Wasser mit Eimern und Kesseln ausgeschöpft werden. Eins der Schiffe sinkt, die Mannschaft wird von den beiden übrigen aufgenommen, auch die können die See nicht länger halten. Gott sei Dank, es ist Land in Sicht, der Admiral gibt Befehl, sie zweihundert Fuß von der Küste entfernt auflaufen zu lassen, und sie werden eins neben dem andern befestigt. Sie füllen sich bis zum Verdeck mit Wasser; da die Eingeborenen auch hier sich feindselig verhalten, werden auf den Vorder- und Hinterteilen der Wracks gedeckte Kajüten errichtet und alles so gut es geht in Verteidigungszustand gebracht. Niemand darf ohne besondere Erlaubnis die Notfestung verlassen, und um die gewöhnlichen Ausschreitungen zu verhüten, wird der Verkehr mit den Indios durch genaue Vorschriften geregelt. Es ist die Insel Jamaika, an der sie gestrandet sind, eine der bevölkertsten und fruchtbarsten der Antillen, bald wimmelt auch der Hafen von indianischen Booten, die mit Lebensmitteln beladen sind, und der Admiral leitet Verhandlungen ein, die zu den üblichen Tauschgeschäften führen. Aber alles ist zu wenig, von Kassavefrüchten und Mais kann man nicht leben, finden die Matrosen, die schlauen Indios haben sicher ihre besten Vorräte versteckt, und verstünde es nicht Diego Mendez, die Gegensätze durch sein geschmeidiges Wesen immer wieder zu versöhnen, so wäre der Hader gleich am Anfang ausgebrochen, der unter solchen Verhältnissen gar keinen bestimmten Anlaß braucht, um in hellen Flammen aufzulodern, denn es ist eine merkwürdige Erfahrungstatsache, die auch durch den Verlauf der meisten Polarexpeditionen bestätigt wird, daß die dauernde Vergesellschaftung von Männern, sobald sie den Charakter äußeren Zwangs annimmt, unweigerlich erst zu heimlichen Wucherungen und zuletzt zu verheerenden Ausbrüchen eines geheimnisvollen Hasses führt.

Diego Mendez scheint schlechthin ein Glücksfall für Columbus gewesen zu sein. Immer in unverwüstlicher Laune, unternehmungslustig, ein bißchen aufschneiderisch, mit einem gewissen derben Wirklichkeitssinn begabt, erinnert seine Figur in manchen Zügen an Sancho Pansa, nur in dem einen Punkt nicht, daß er außerordentlich mutig ist. Durch seine Freundlichkeit und Offenheit machte er sich auch bei den Indios beliebt, und diese Sympathie ging so weit, daß ihm einer der Kaziken ein großes, aus einem riesigen ausgehöhlten Baumstamm verfertigtes Kanu schenkte. Danach eben hatte er getrachtet; er teerte das Boot, versah es mit Mast und Segel und verabredete sich mit dem Kapitän Fiesco, Landsmann des Admirals, und sieben Indios, mit denen er Freundschaft geschlossen hatte, zu dem Plan, nach Española zu segeln und den Gouverneur im Namen seines Herrn um Hilfe anzurufen. Die Entfernung beträgt siebenhundert Kilometer. Columbus erkannte wohl, daß es die einzige Möglichkeit zur Rettung war und willigte schweren Herzens ein, denn Mendez war ihm nachgerade unentbehrlich geworden.

In der Tat, kaum hat er Jamaika verlassen, so ist der Teufel los. Die Indios, warum, ist eigentlich nicht recht ersichtlich, liefern den Proviant nur noch sehr widerwillig. (In irgendeiner entlegenen Chronik findet sich eine Andeutung, als hätten sie es nicht verziehen, daß Mendez eine Anzahl der Ihren entführt hatte, was auf ein erstaunlich entwickeltes Kollektivgefühl schließen ließe; ob es sich so verhielt, mag dahingestellt bleiben.) Jetzt wird die Lage der Schiffbrüchigen unerträglich. Jeder an Bord ist untätig in den engsten Raum eingesperrt, das tropisch-feuchte Klima revoltiert die Nerven, viele fluchen und rasen im Fieber, viele stieren stumpfsinnig vor sich hin, sogar der Adelantado verfällt in dumpfe Apathie. Die ersten, die sich aufraffen, sind Porras und sein jüngerer Bruder, ein Maat; sie schlagen den andern vor, man solle den Indios sieben oder acht Boote mit Gewalt wegnehmen und ohne den Admiral nach Española zu gelangen suchen. Ohne den Admiral, das ist die Hauptsache, denn der ist ihnen allmählich die Verkörperung allen Unglücks geworden. Das Komplott wird entdeckt oder verraten, es kommt zum Aufruhr, Columbus, der seit zweieinhalb Monaten krank in seiner Koje liegt und von seinem Sohn und seinem Bruder bewacht wird, verschwendet Warnungen und Ermahnungen, die Leute sind vollkommen außer sich, sie bedrohen den Urheber ihrer Qualen mit dem Tod, und nach einer greulichen Szene werden sie von einem Dutzend Treugebliebener zu friedlichem Abzug von der Insel bewogen. Auf zehn Kanus, die der Admiral den Indios abgekauft hat, schiffen sich achtundvierzig Menschen ein, rudern an der Küste ostwärts, stehlen und plündern, wo sie können, und als sie dann die offene See erreichen, wirft sie ein wütender Sturm an das Gestade Jamaikas zurück. Sämtliche Boote zerschellen, und die sich ans Land zu retten vermögen, fünfunddreißig etwa, ziehen als gesetzloser Haufen, mordend, brandschatzend, Geißel der Indios, abends und nachts von Dorf zu Dorf. Begreiflich, daß die von der Plage betroffenen Kaziken von dem Admiral Schutz gegen die Banditen fordern und, da er hierzu außerstande ist, die Lebensmittelzufuhr gänzlich sperren, und zwar in einer legitimen Form, indem sie nämlich die Marktpreise ins Unerschwingliche hinauftreiben und die Tauschartikel verächtlich zurückweisen.

In dieser äußersten Bedrängnis hat Columbus eine Erleuchtung. Aus dem Kalender des Regiomontan, den er bei sich hat, weiß er, daß am 29. Februar eine totale Mondfinsternis eintreten wird. Er schickt einen indianischen Dolmetscher an die vornehmsten Kaziken und lädt sie für den Tag der Himmelserscheinung zu einer Versammlung ein. Als alle gekommen sind, erhebt er sich zu einer feierlichen Ansprache. Er sagt ihnen, er und seine Gefährten stünden unter dem Schutz eines allmächtigen Gottes, der die Guten belohne und die Bösen bestrafe. Dieser Gott, Herr des Donners und der Blitze, der Sonne, des Mondes und der Sterne, sei höchlich erzürnt, weil die Bewohner von Janahica seine Anbeter und weißen Lieblinge dem Hunger preisgäben. Änderten sie ihre Gesinnung nicht, so würde Feuer vom Himmel fallen und Verderben über sie und ihre Familien kommen lassen; zum Zeichen seines Grimmes würde er in der folgenden Nacht zuerst mit blutigem Antlitz auf sie herabschauen, sich dann mit schwarzem Tränenflor so lange bedecken, bis sie gelobt hätten, seinen treuen Sohn Cristobal Colón mit ausreichender Nahrung zu versehen. Dieses astronomische Gauklerstück, das den Admiral in der ihm so natürlichen Rolle des tragischen Komödianten wie in einem Blendlicht zeigt, hat den gewünschten Erfolg. Während er sich beim Beginn der Verdunkelung in seine Kajüte zurückzieht, wobei er vorgibt, ein wenig mit seinem Gott zu sprechen, und der Mond, scharlachrot aus dem Ozean steigend, sich alsbald mit Schwärze überdeckt, werden die Indios von schauderndem Entsetzen befallen, laufen heulend zu ihren Kanus, schleppen herbei, was sie an Vorräten besitzen, und versprechen, alles zu tun, was der Admiral will, nur möge er den Herrn des Himmels bitten, nicht länger böse zu sein. Als darauf der Mond wieder klar am Firmament steht, verwandelt sich ihr Jammer in Freudengeschrei, und von nun an verehren sie in Columbus den großen Magier, der in Gottes besonderer Gunst stehen müsse, da ihm auf Erden bekannt sei, was im Himmel beschlossen worden. Sie halten auch ihr Wort und bringen täglich frische Vorräte zum Hafen, wo die traurigen Wracks liegen.

Dieses Geschehnis wird am eingehendsten von Hernando Colón geschildert, der ja als Knabe unmittelbarer Zeuge davon war. Ob es sich genau oder nur ungefähr so zugetragen, ob die späte Erinnerung ihre entstellende Redaktion daran vorgenommen hat, läßt sich nicht sagen. Wunderlich genug, daß Hernando von dem Erlebnis dieser Reise, das für einen Jüngling seines Alters überwältigend und unvergeßlich gewesen sein muß, nur spärliche und recht unbeträchtliche Mitteilungen zu machen hat. Sonst wüßten wir vielleicht über seinen Vater die ganze Wahrheit, die ein für allemal verlorengegangene abgründig-schaurige oder heilig-herrliche Wahrheit, die wir nur erraten und ertasten können. So wie die Dinge liegen, muß man sogar die sachlichen Angaben aus jener Zeit mit Vorsicht behandeln, da in ihren Menschen nicht bloß das Organ für Wahrheit, sondern auch das für Wahrnehmung seltsam verkümmert war. Wir von heute glauben natürlich, daß wir diesen Zustand kindlicher Unentwickeltheit hinter uns haben; wir wissen aber nicht, wie die Menschen in fünfhundert Jahren darüber urteilen werden.

Indessen ist Diego Mendez das Unerhörte gelungen: er hat auf seinem Nachen Española erreicht. Er landet am Kap Tiburon und erfährt, daß der Gouverneur Ovando mit Heeresmacht nach Xaragua gezogen ist, um, wieder und wieder, die aufrührerischen Stämme zu unterwerfen. Er bricht sofort auf, wandert zu Fuß nach Xaragua, trifft Ovando und übergibt ihm den Brief des Admirals. Ovando gebraucht allerlei Ausreden, behauptet, keine Schiffe zu haben, verschiebt die Befehle, die er unverzüglich erteilen sollte, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, und der gutgläubige Mendez läßt sich sonderbarerweise durch Gott weiß welche Künste und Gründe volle sieben Monate lang hinhalten, bis der Gouverneur die Indios zu Paaren getrieben hat. Diesen Sieg feiert er nach der spanischen Kolonistentradition dadurch, daß er vierundachtzig Häuptlinge hängen, köpfen, verbrennen und vierteilen läßt, unter ihnen die Königin Anacaona, diese Penthesilea des Westens. Da er auch dann noch zögert, ist Mendez mit seiner Geduld am Ende, das Gewissen schlägt ihm, er verkündet seine Absicht, in San Domingo für Rechnung des Admirals ein Schiff zu chartern und es mit den notwendigsten Vorräten beladen nach Jamaika zu schicken. Ovando will es darauf doch nicht ankommen lassen, nicht etwa, daß er sich geschämt hätte, aber er mußte die Mißbilligung der Königin fürchten, und was den König betraf, so wußte man nie, wie am Hof der Wind sich drehte. So beauftragt er also den Diego de Escobar, eine kleine, reisefertig im Hafen liegende Galleazze zu nehmen und dem Admiral Botschaft zu überbringen. Mehr nicht? Nur Botschaft? Nun, wir werden hören. Die Botschaft besteht in einem schnörkeligen Schreiben voll sauersüßer Trostsprüche, worin er beteuert, es sei in diesem Augenblick in Española kein Fahrzeug von hinreichendem Tonnengehalt zum Abholen der Schiffbrüchigen verfügbar. Die Wahl Escobars war bezeichnend genug. Er hatte zu den Mitverschworenen Roldans gehört, war vom Admiral zum Tode verurteilt, von Bobadilla freigesprochen worden, von ihm konnte Columbus nichts Gutes erwarten. Er entledigte sich des Auftrags im Geist seines Gebieters. Er landete unweit von dort, wo die Wracks in den Sand gebohrt lagen, der erschütternde Jubel, in den der Admiral und seine Leute beim Anblick seines Schiffes ausbrachen, ließ ihn kalt; was er mitbrachte, war (kaum glaublich, aber es wird bezeugt) ein Fäßchen Wein und ein Stück schimmeliger Speck für den Admiral; den Brief gab er ab und ersuchte, ihm die Antwort an den Governador sogleich auszuhändigen, da er noch in derselben Nacht die Anker zur Rückkehr lichten müsse.

Es ist möglich, daß Ovando dem Escobar befohlen hatte, er solle den Admiral allein aufnehmen und den andern sagen, sie würden später abgeholt; es ist möglich, daß dies dem Columbus auch ausgerichtet wurde und daß er sich weigerte, die Gefährten seines Unglücks zu verlassen. Die meisten Chronisten neigen dieser Ansicht zu, sie gibt ihnen jedenfalls Gelegenheit, die hochherzige Selbstverleugnung ihres Helden zu rühmen. Der Brief aber, den er an den Gouverneur von Española schrieb, nötigt zu dem Schluß, daß ihm von einer solchen Absicht Ovandos nichts bekannt war, und wenn man irgendwelches Interesse an dessen Ehre hat, bleibt nur die Vermutung offen, Escobar, rachsüchtig und schadenfroh, habe die ihm erteilte Order einfach unterschlagen. Der Brief des Admirals war in den flehentlichsten Ausdrücken abgefaßt. So erniedrigen kann sich nur ein Lump oder ein Heiliger. »Ich weiß, sehr edler Señor«, schreibt er, »Ihr würdet selbst Eure Person zu meiner Rettung wagen, davon bin ich so fest überzeugt wie von meinem Leben. Noch immer wohne ich im Wrack meines gestrandeten Schiffes, nicht auf tausend Bogen Papier könnte ich alles Ungemach, alles Elend und alle Not niederschreiben, die ich erduldet, und bin nun, nächst der Gottes, Eurer Hilfe gewiß, wofür alle meine Nachkommen Euch zu Dank verpflichtet sein werden.«

Ovando konnte die Hilfsaktion nur verschleppen, gänzlich unterlassen konnte er sie nicht. Auch in seinem eigenen Machtbereich wurde von Anhängern des Admirals ein Druck auf ihn ausgeübt, dem er nachgeben mußte. Doch wurde es Juni, bis endlich eine größere Karavelle in Jamaika erschien; sie kam fast gleichzeitig mit dem Schiff, das Diego Mendez ausgerüstet hatte. Columbus hat später diesen Tag als den glücklichsten seines Lebens gepriesen. Das spezifische Schicksal, das ihm die Götter vorbehalten, hatte ihm, so konnte er glauben, seine Bitternisse bis zur Neige zu kosten gegeben. Aber in dem Punkt sind die höheren Mächte erfinderisch, er hätte es wissen sollen.

Es war nicht zu umgehen, daß man ihm auf Española einen längeren Aufenthalt zur Erholung gewährte. Als er der Insel vom Meere her ansichtig wurde, der schönen Hügel, der blühenden Matten, der schimmernden Flußläufe, des vielfarbigen Gesteins, der gewaltigen Urwälder, der kristallenen Luft, die alles wie aus einem glücklichen Traum herauszauberte, soll er vor innerer Bewegung stundenlang nicht haben sprechen können. Drei Monate blieb er auf der geliebten Insel. Und was er in dieser Zeit gesehen und erlebt hat, muß ihn von ganzem Herzen, sofern er überhaupt noch ein schlagendes Herz besaß, den Tod haben herbeiwünschen lassen, dem er in all den Jahren so grausig nah gewesen.

In einem alten Bericht heißt es: »Wenn bereits unter Bobadillas Verwaltung das Äußerste von Grausamkeit gegen die Indios geschah, so brachte es doch Nicolas de Ovando fertig, seinen Vorgänger in allem zu überbieten, was jemals an Schandtat der Mensch am Menschen verübte.« Und das ist ohne die geringste Einschränkung wahr.

Mit der Flotte des neuen Gouverneurs, etlichen dreißig Schiffen, war wiederum eine ungewöhnlich große Anzahl von Menschen herübergekommen. Es gab unter ihnen gewissenlose Spekulanten, die zwar selbst nichts zu verlieren hatten, allein andere, die etwas besaßen, dazu verleiteten, ihnen ihr Vermögen anzuvertrauen. Es gab leichtgläubige Phantasten, die ihr Hab und Gut an die Ausrüstung eines Schiffes setzten, um ihren Namen unter den Konquistadoren der Neuen Welt genannt zu finden. Es gab solche, die ihre Gläubiger in der Alten Welt mit den Schulden oder dem Raub, den sie in der Neuen zu machen hofften, befriedigen wollten.

»Es waren nicht nur Leute geringen Standes, die man zu den Minen ziehen sah«, sagt Las Casas, »auch Vornehmere, die noch mit einem Mantel und mit ganzen Sohlen angekommen waren, zogen des Wegs, einen Diener hinter sich, der das Handwerkszeug trug, ja einige Hidalgos hatten sich sogar zu Pferde eingefunden, und ihr Knappe ritt auf einem Maultier hinterdrein, da sie es für standeswidrig hielten, ihren Rücken mit der schweren Last der Goldsäcke zu bebürden. Einer lief dem andern zuvor, jeder wollte zuerst das Gebiet der Goldstücke erreichen, denn sie dachten sich die Sache in der Art, daß man das Gold ebenso leicht und schnell wie die Äpfel vom Baum pflücken könne.«

Die Ernüchterung blieb nicht aus. Wie nicht anders zu erwarten, machten die schwerenttäuschten Einwanderer Straßen und Wege unsicher, strolchten bettelnd durch die Siedlungen und in den neugegründeten Städten herum, lagen fieberkrank in den Spitälern, belästigten die Ämter und verlangten, wenn sie noch ein paar Taler übrig hatten, für möglichst wenig Geld möglichst große Landzuweisungen, dann konnten sie doch auf eigenem Besitz die Herren spielen, die Sklavenhalter sogar.

Die Vollmachten, die dem Governador Ovando durch Kabinettsbefehl vom 20. Dezember 1503 erteilt worden und wonach die Indios zwar nicht wie Sklaven behandelt, wie jesuitisch eingeschränkt war, aber zur Arbeit gezwungen werden durften, ließen ihm in allen Verfügungen ziemlich freie Hand. Er überwies jedem Spanier dreißig bis sechzig Indios zur Bodenbebauung und zur Ausbeutung der Minen. Der festgesetzte Tagelohn war eine Bagatelle, die Fronzeit wurde zuerst auf sechs, dann auf acht Monate im Jahr bestimmt. Die Männer wurden von ihren Familien auf eine Entfernung von Hunderten von Kilometern getrennt und zur härtesten Arbeit mit der Peitsche getrieben wie das Vieh. Ihre Nahrung mußten sie sich selbst mitbringen, und wenn die Spanier tafelten, krochen die verhungerten Indios unter die Tische und lauerten darauf, daß ihnen ein Knochen zugeworfen wurde; wenn sie den abgenagt und ausgesogen hatten, zerklopften sie ihn zwischen Steinen und mengten das Mehl unter ihr kraftloses Kassavebrot. Entzogen sie sich der unmenschlichen Behandlung durch die Flucht, so wurde mit den wiederholt erwähnten, scharf dressierten Bluthunden Jagd auf sie gemacht, und, eingefangen, wurden sie grausam gezüchtigt und mußten von da ab die Arbeit in eisernen Fußfesseln verrichten. Die meisten starben, ehe ihre Dienstzeit um war. Selten entließ man sie nach dem Ablauf der gesetzlichen Frist in ihre Heimat, es fand sich fast immer ein betrügerischer Vorwand zu Mehrleistungen. Und gab man sie endlich frei, so waren sie in der Regel zu erschöpft, um ihre Dörfer zu erreichen. »Ich habe machen Toten am Wege liegen sehen«, erzählte Las Casas, »und die noch Lebenden hatten sich in den Schatten eines Baumes geschleppt und schrien unter Krämpfen nach Brot.« Die Widerstandsfähigen, die trotzdem in ihre Heimat gelangten, fanden die Hütten verlassen, die Pflanzungen zerstampft, alles war vor dem »weißen Schrecken« in geisterhafter Auflösung geflohen.

 

Und nun die Kriegszüge. Nach dem Tode Behechios, des Kaziken von Xaragua, folgte ihm seine Schwester Anacaona in der Herrschaft. Sie war in ihrer jähen, wahrscheinlich erotisch gefärbten Vorliebe für die Weißen so weit gegangen, daß sie die Heirat ihrer schönen Tochter Higuenamota mit dem jungen spanischen Edelmann Guevara begünstigt hatte. Der tückische Verrat, den dieser alsbald an ihr und seinem Weib verübte, hatte ihre hohen Vorstellungen von den Fremdlingen zerstört; als Roldan und seine Spießgesellen unter den Indios wie die Henker wüteten, zog sie sich gänzlich von ihnen zurück, und die ununterbrochenen Bedrückungen Bobadillas und Ovandos verwandelte ihre frühere Freundschaft in unauslöschlichen Haß.

Die Indios der Provinz Xaragua galten als die edelsten der gesamten Bevölkerung. Las Casas bemerkt, daß sie die übrigen Eingeborenen an Feinheit der Sprache, an Anmut der Sitten wie an äußerer Schönheit weit übertrafen. Aber zu Fron-, zu Zwangsarbeit waren diese Menschen nicht geschaffen, auch nicht zu erziehen. Sie liebten den Müßiggang, die Kontemplation; in einer schönen Landschaft geboren und aufgewachsen, die ihren natürlichen Bedürfnissen leicht genügte, nahmen sie mit den Gaben der Natur vorlieb und hatten gar kein Verständnis für europäische Arbeitsmethoden und Arbeitsgesetze. Nicht ohne Interesse ist die Feststellung Humboldts, nach der es sich schon in den ersten Jahren der Kolonisation erwies, daß die amerikanische Rasse der kaukasischen und noch mehr der afrikanischen an Anpassungs- und physischer Leistungsfähigkeit beträchtlich unterlegen war.

Die gefährliche Anacaona und ihren Anhang unschädlich zu machen, trachtete Ovando zuallererst, und er tat es auf eine Weise, die den Namen der christlichen Spanier auf ewig in der Neuen Welt gebrandmarkt hat oder hätte brandmarken müssen. (Was bleibt letztlich übrig von Schuld? Vergessen.) Er meldete ihr seinen Besuch und ließ ihr sagen, daß er in Freundschaft komme, um einige Abmachungen wegen des Tributs zu treffen, weshalb sie auch alle ihr untergebenen Kaziken zu sich einladen möge. Dies geschah, Anacaona zog ihm mit großem Gefolge entgegen und empfing ihn mit der graziösen Würde, für die sie berühmt war. Einige Tage lang wurden die Spanier, dreihundert Mann zu Fuß und sechzig zu Pferd, ein Aufgebot, das die indianische Fürstin hätte stutzig machen müssen, freigebig bewirtet und phantasievoll unterhalten; Tänze und Spiele wurden zu ihrer Belustigung aufgeführt, es schien, als erhoffe Anacaona von ihrer Gastlichkeit wohltätige Folgen für ihr Volk. Doch Ovando gefiel es, den Verdacht zu hegen, daß diese Veranstaltungen einen verräterischen Plan bemänteln sollten. Ich sage, es gefiel ihm, weil dazu nicht der geringste Anlaß vorhanden war und weil er einen Vorwand brauchte. Unwahrscheinlich, daß einige Tausend nackter, nur mit Bogen bewehrter Indios es wagen würden, einen Angriff auf die stahlgerüsteten, in Waffen starrenden Spanier zu unternehmen, abgesehen davon, daß sie damit die Heiligkeit des Gastrechts verletzt hätten. Trotzdem steht in einigen Quellen zu lesen, er hätte denen Gehör gegeben, die genaue Nachricht von einer Verschwörung zu haben behaupteten. Er beschloß also, dem zuvorzukommen, und um die Höflichkeit der Indios zu erwidern, lud er sie ebenfalls zu einem Fest, das als Hauptanziehung ein ritterliches Turnier versprach, bei dem die Kämpfenden, anstatt mit scharfen Lanzen, mit Bambusrohren aufeinander stachen, die an den Rüstungen und Schilden leicht zerbrachen. Zugleich hatten die Ritter und Knappen die Weisung erhalten, ihre Schwerter verborgen bei sich zu tragen und sobald das verabredete Zeichen gegeben werde, über die versammelte Menge herzufallen und alles niederzuhauen, was ihnen unter die Klinge komme. Dasselbe wurde dem Fußvolk befohlen, das sich unter die Zuschauer auf den Terrassen lagern sollte, die den Platz einschlossen. Für Anacaona und die vornehmsten Kaziken hatte er in seinem eigenen, mit Palmblättern gedeckten Hause bequeme Plätze einrichten lassen. Er erschien mit seinen Offizieren selbst in der Arena und warf den Diskus mit ihnen. Danach nahm er neben der Fürstin auf dem Balkon des Hauses Platz, das er unbemerkt mit Bewaffneten umstellt hatte. Kaum hatte, unter dem Jubel der harmlosen Zuschauer, das Lanzenstechen begonnen, so trat Ovando an die Brüstung des Balkons und faßte das Kreuz des Alcantaraordens an, das er am Halse trug: Es war das Signal zum Massaker, dem weder Weiber noch Kinder noch Greise entgingen. Die Kaziken in dem umzingelten Haus wurden sämtlich ergriffen, mit auf den Rücken gebundenen Händen an die Querbalken gehängt und so lange gefoltert, bis sie gestanden, was man als Geständnis brauchte: daß sie gegen das Leben und die Regierung Ovandos im Komplott waren. Die Einzelheiten der Folter können übergangen werden; wozu die Greuel ausmalen, das Rösten über glühenden Kohlenbecken, Zwicken mit glühenden Zangen, Füllen des Mundes mit geschmolzenem Blei, das wissen wir ja alles aus tausend Urkunden und tausend Schilderungen, es ist das Abc aller Inquisition, die Phantasie ist abgehärtet dagegen, es ist auch so lange her, und gegen die verfeinerteren Künste des Mordes, die seitdem erfunden worden sind, ist die Methode zu primitiv. Es möge also nur als historisches Kuriosum betrachtet werden. Auch daß das Haus, nachdem Ovando die gefangene Anacaona galant hinausgeführt hatte, an allen vier Enden angezündet wurde, wobei vierzig, nach anderen Berichten achtzig Kaziken und vornehme Indios lebendig verbrannten. Der indianischen Herrscherin wurde ein Scheinprozeß gemacht, sie wurde des Hochverrats angeklagt, gleichfalls gefoltert und mit Rücksicht auf ihre Würde (por hazelle honra, wie die Formel lautete) nicht zum Scheiterhaufen, sondern zur Strafe des Stranges an einem eigens für sie errichteten Galgen verurteilt.

Hierauf erst begann die systematische Vertilgung der ihrer Häupter beraubten Indios. Ich zitiere den Kron- und Augenzeugen Las Casas: »Traf es sich, daß einige Christen, entweder aus Mitleid oder aus Gewinnsucht, indianische Kinder raubten und mit sich aufs Pferd nahmen, so kam ein anderer hinterdrein geritten und durchbohrte das Kind mit der Lanze. Lag es noch zappelnd an der Erde, so ritt ein dritter herzu und hieb ihm Arme und Beine ab. Einige Indios, die dem Blutbad von Xaragua entgangen waren, flüchteten auf ihren Kanus nach dem acht Leguas entfernten Eiland Guanabo. Sie wurden vom Governador zu ewiger Sklaverei verurteilt, und jedem Spanier war erlaubt, sie zu jagen und einzufangen. Ich habe sie lebendig verbrennen, zerfleischen, mit neuen ausgeklügelten Martern quälen sehen. Der einzelnen Schandtaten sind so viele, daß ich nicht imstande bin, sie niederzuschreiben. Nur dies eine will ich sagen und vor Gott und meinem Gewissen bezeugen, daß die Indios nicht die geringste Veranlassung gaben, noch die geringste Schuld hatten und daß sie sich gegen die Christen nie eines todeswürdigen Verbrechens schuldig gemacht haben. Sogar Rache und Vergeltung gegen so blutige Teufel, wie es die Christen waren, übten nur wenige, und die waren, ich habe ja die meisten gut gekannt, kaum wilder und unbändiger als zwölfjährige Knaben. Der Krieg wider sie hatte nicht den Schein eines Rechts, die Christen aber waren so infernalisch grausam und ungerecht (fueron todas diabolicos ed injustissimas), wie man es von keinem Schinder und keinem Tyrannen auf Erden sagen kann. Alle diese Dinge habe ich mit meinen Augen gesehen und fürchte, sie zu wiederholen, weil ich mir selber kaum traue und zweifelhaft bin, ob ich sie nicht bloß geträumt habe.«

Es gab in den Gebirgen einen kriegerischen Stamm, die Higueys, die zu unterwerfen und zur Tributleistung zu zwingen weder den Kapitänen des Columbus noch dem Adelantado noch Bobadilla gelungen war. Gegen die schickte Ovando den Hauptmann Juan de Esquibel, und obwohl diese Indios eine Kühnheit und Todesverachtung zeigten, die selbst jene Spanier in Erstaunen setzte, die noch gegen die Mauren gekämpft hatten, wurde der Haudegen Esquibel ihrer so gründlich Herr, daß er sie nach einigen Monaten bis auf den letzten Säugling ausgerottet hatte. Zunächst einmal ließ er die Weiber und Kinder aufspüren, die von den Ihren in den Wäldern und Felsenschluchten versteckt worden waren. Mit Hilfe der Schweißhunde war das nicht schwer. Sie wurden geschlachtet, gespießt, verstümmelt, verbrannt, zu Hunderten, daß es nur so rauchte. Die Männer, nach endlosen verzweifelten heroischen Kämpfen von Zuflucht zu Zuflucht gehetzt, flohen immer weiter in die Wildnisse, und eine letzte Schar von sechs- oder siebenhundert wurde von den verfolgenden Spaniern auf Esquibels Geheiß an den Rand eines tiefen Felsenabgrunds getrieben und samt und sonders hinuntergestürzt.

Nach diesem Sieg gründete Ovando an der Küste von Xaragua eine Stadt, der er den Namen Santa Maria de la verdera paz verlieh. Vom wahrhaften Frieden. Er meinte vermutlich den Kirchhofsfrieden. Wenn er einen andern meinte, war er ein noch scheußlicheres Monstrum als durch seine Taten.

Es ist eine eingefleischte europäische Überlieferung, daß die Syphilis durch die ersten Eroberer und Siedler aus Amerika in den alten Kontinent eingeschleppt worden ist. Das Faktum steht keineswegs unbestreitbar fest, aber wenn es auf Wahrheit beruht, könnte man darin eine immanente Vergeltung jener geschändeten, blutig mißhandelten, unmenschlich zu Boden getretenen Rasse erblicken, einen finstern Akt ausgleichender Gerechtigkeit. Zwar findet sich in keiner der zahllosen Nachrichtenquellen (meines Wissens wenigstens) auch nur die leiseste Andeutung, daß eine derartige Krankheit unter den Indios geherrscht habe; es mag jedoch sein, daß die zuerst von ihr ergriffenen Spanier aus Scham geschwiegen haben, zudem war die medizinische Ignoranz so groß, daß die meisten mit ihrem Übel lieber zum Beichtvater als zum Arzt gingen, und der Zustand der Hygiene so schauderhaft, daß die Seuche erst dadurch ihre verheerende Ausbreitung gewann. Es mag auch sein, daß sie, seit Jahrhunderten drüben lokalisiert, in den Jahren der Entdeckung schon dem Erlöschen nahe war und die kraftlos gewordenen Keime bei der Verpflanzung in das Blut einer andern Rasse jählings zu rasender Virulenz gediehen.

Wie immer es sich verhielt, Europa hat die Rechnung, falls es noch eine offene Rechnung war, mit Zins und Zinseszins beglichen und, was es davontrug, überreich zurückbezahlt. Es zahlte mit den Blattern zurück, an denen Millionen und Millionen der Ureinwohner zugrunde gingen und in Südamerika vom Amazonenstrom bis Patagonien noch heutigentags zugrunde gehen; es zahlte mit dem Zwangskatholizismus, seinen Scheiterhaufen, Anathemen und der Abwürgung jeder freien Entwicklung zurück; mit der Zwangszivilisation, die degenerierende Bedürfnisse schuf und nebst mancher barbarischen viel ehrwürdige und erhaltende Sitte vernichtete; und es zahlte vor allem, und damit am verschwenderischsten und am tödlichsten, mit dem Alkohol zurück, der im Lauf von weniger als zweihundert Jahren die gesamten indianischen Völker des Nordens in jene geistige und seelische Ohnmacht versetzte, mittels derer sie ihrer (sehr geheimnisvollen, weil in die dunkelsten Epochen der Menschheit verschichteten) Kultur, ihrer Freiheit, ihrer Erde und ihrer Existenz beraubt werden konnten.

Daher geht es nicht an, zu sagen, man solle die alten Historien auf sich beruhen lassen. So als ob es überflüssig und frivol wäre, sie aufzuwärmen, sie aus den Gräbern zu beschwören, da sie ja für uns von keinerlei Belang mehr seien, auch von keinerlei Ähnlichkeit mehr mit irgendeiner unserer entsprechenden Verfassungen, den sozialen, politischen, religiösen oder sonst welchen. Dies ist Trugschluß und selbstgenügsamer Irrtum. Denn alles ist nur scheinbar gewesen. Nichts war, alles ist und dauert fort. Gegenwart, wie sie der erste Augenblick der Zukunft ist, die der letzte Augenblick der Vergangenheit. Und weil das so ist, sind alle menschlichen Verantwortungen unablösbar und unaufhebbar, nicht durch die Zeit und nicht durch die Generationenfolge zu beseitigen.

Nachdem neun Zehntel der indianischen Urbevölkerung Españolas auf die denkbar radikalste Manier vertilgt waren, hatte man sich wohl die Verlegenheit der fortwährenden Aufstände vom Hals geschafft, dafür erhob sich eine andere: es begann allgemach an Arbeitskräften zu fehlen. Um dieser neuen Mißlichkeit abzuhelfen, tauchte der Plan auf, senegambische Neger nach der Insel zu transportieren. Das Merkwürdigste an dem Vorschlag ist, daß er von demselben Las Casas stammte, der mit so edler Hingebung für die Menschenrechte der Indios kämpfte. Der Antrag, den er dem spanischen Hof und Kolonialamt machte, war: man möge zur Erleichterung des Schicksals der dezimierten Eingeborenen jedem Kolonisten erlauben, zwei Neger und zwei Negerinnen einzuführen. Ein Ausweg, der an höherer Stelle alsbald ernstlich erwogen wurde, und damit war der Anfang zu den berüchtigten Assientos gemacht, den Verträgen über die Einfuhr von Negersklaven, die die spanische Krone später mit den Handelshäusern Peralta, Reynez und Elvas schloß.

Es ist eigen mit den Menschenfreunden, selbst wenn einer von so brüderlichem Geist beseelt ist wie der Priester Las Casas: Die kupferfarbene Kreatur will er retten, dafür gibt er die schwarzhäutige unbedenklich preis. Las Casas war der glühendste Verehrer des Columbus. War da vielleicht eine rätselhafte Influenz am Werk, Übertragung des Ideenhaften? War dem Adepten wie vorher dem Meister der Indio und sein Martyrium zur »Idee« geworden, zum nur Gedachten, zum Nichtgeschauten? Ideen sind unter allen Umständen mörderisch, sogar dann, wenn sie der Humanität dienen wollen. Und doch schrieb Columbus auf seiner letzten Heimfahrt: »An Española kann ich nicht ohne Tränen denken.«


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