Jakob Wassermann
Christoph Columbus - Der Don Quichote des Ozeans
Jakob Wassermann

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Achtes Kapitel

Rückkehr und Triumph

Alle großen Handelnden sind große Menschenkenner, geboren mit dem untrüglichen Instinkt für die Brauchbarkeit, den inneren wie den politischen Wert der Leute, die sie an sich fesseln und ihren Zwecken unterwerfen. Einer der auffallendsten Züge des Columbus ist seine geringe Menschenkenntnis. Wem immer er sein Vertrauen schenkt, von dem erfährt er die bitterste Enttäuschung, sei es, daß er ihm einen Verwaltungsposten oder ein Kommando oder die Vertretung seiner Interessen in Spanien überträgt. Er hat eine unglückliche Hand in der Wahl seiner Diener und Helfer, er kann sich weder Autorität noch Respekt verschaffen; um seinen Willen unter allen Umständen durchzusetzen, fehlt es ihm an Folgerichtigkeit und an Verstandeskälte, hauptsächlich aber an jener moralischen Furchtlosigkeit, die gefürchtet macht. Er wird immer belogen und hintergangen, er gibt stets dem recht, der sich zu behaupten weiß, und seine Kraft im Befehlen ist etwa die eines subalternen Beamten, der durch einen lächerlichen Zufall plötzlich zum Minister avanciert. Als seine Leute von den Eingeborenen das Tabakrauchen lernen und durch den ungewohnten Genuß des Narkotikums in ermattende Rauschzustände verfallen und dienstunfähig werden, bringt er nicht den Mut auf, ihnen das Gift zu verbieten, sondern sucht sie nur mit dem Hinweis auf die barbarische Sitte abzuschrecken, und da sie ihm antworten, es stünde nicht mehr in ihrer Macht, davon zu lassen, bemerkt er nur resigniert: »Was für einen Gewinn sie von dem glimmenden Saugrohr haben, verstehe ich nicht.«

Am 21. November trennt sich Martin Alonzo Pinzon mit der »Pinta« von ihm und den beiden andern Schiffen und geht auf eigene Faust auf Entdeckungen aus, nicht nur ohne die Erlaubnis des Admirals, wie es im Bericht an die Königin heißt, sondern bewiesenermaßen gegen dessen ausdrücklichen Befehl. Sechs Wochen lang streift er in den benachbarten Meeren umher, es ist einfach Desertion, darüber konnte Columbus gar nicht in Ungewißheit sein; nun, er wagt es nicht einmal, ihn zur Rede zu stellen, als er eines Tages wieder erscheint. »Pinzon hat noch ganz andere Dinge getan«, ist alles, was er über die grobe Pflicht- und Gehorsamsverletzung in feigem Lakonismus zu sagen weiß.

Eines Nachts läuft die »Santa Maria«, das Admiralsschiff, durch eine unverantwortliche Fahrlässigkeit auf den Strand. Columbus erzählt: »Es war elf Uhr abends, als der Admiral sich entschloß, der Ruhe zu pflegen, denn er hatte zwei Tage und eine Nacht nicht geschlafen. Da die See still war, legte sich der Steuermann ebenfalls schlafen und überließ das Steuer einem Schiffsjungen, was der Admiral streng untersagt hatte. Da gefiel es unserm Herrn, daß um Mitternacht, als vollkommene Windstille eintrat und das Meer so ruhig lag wie Suppe in einem Näpfchen, das Schiff von der Strömung auf eine Sandbank getrieben wurde, und zwar so sanft, daß man es kaum merkte. Der Schiffsjunge erhob ein Geschrei, der Admiral stürzte als erster an Deck, befahl das Boot niederzulassen und einen Anker auszuwerfen. Der Steuermann und mehrere andre sprangen in das Boot, und der Admiral glaubte, sie würden seinen Anordnungen folgen; statt dessen waren sie nur darauf bedacht, sich an Bord der ›Niña‹ zu retten, die eine halbe Seemeile entfernt lag ...«

Wieder die vollkommene Ohnmacht. Es ist auch nirgends von einer Bestrafung die Rede, dergleichen darf er gar nicht riskieren. Er hat ja keine geschulte und erzogene Mannschaft unter sich, sondern eine Horde von Wegelagerern und Zuchthausanwärtern. Der Verlust der »Santa Maria« hatte weittragende Folgen. Die »Niña« war zu klein, um die gesamte Mannschaft wieder über den Ozean befördern zu können, so mußte der Admiral einen Teil der Leute auf der Insel lassen und sie unter den Schutz des Kaziken Guacamari stellen, dessen Zuneigung er gewonnen hatte und dem er vertraute. Diese Zurückgelassenen waren die ersten europäischen Ansiedler der neuen Welt und gleicherweise die ersten, die den Versuch mit dem Leben bezahlten. Ob der Admiral dem Guacamari mit Recht oder Unrecht sein Vertrauen schenkte, ist niemals zu ergründen gewesen, nur so viel steht für gewiß, daß er durchaus unvermögend war, diese oder irgendwelche andere Persönlichkeiten unter den Indios zu begreifen, er bemühte sich auch gar nicht um tiefere Einsicht, sondern verschloß sich in der einmal gefaßten Vormeinung wie in einen Panzer.

Seine beständigen Beteuerungen, wie harmlos, edelmütig und offen sich die »Wilden« gegen ihn und seine Leute betragen, arten in Geschwätzigkeit aus. Eigentlich meint er immer sich selbst, wenn er Dinge und Menschen rühmt. Den Indios werden mit der Zeit manche Zweifel an der Göttlichkeit der Fremdlinge aufgestiegen sein. Was den Spaniern Zutraulichkeit schien, war meist Neugier, jene unbezwingliche Eidechsenneugier naturhafter Wesen, die unter Umständen die Todesgefahr mißachtet. Wird doch berichtet, daß die Männer und Weiber eines Stammes die Abgesandten des Admirals in ihre Zelte trugen und sie vom Kopf bis zu den Füßen abtasteten, um sich zu überzeugen, ob es wirkliche Menschen aus Fleisch und Bein seien. Wenn sich Columbus zu der Behauptung versteigt, sie könnten es nicht erwarten, Christen zu werden, und er habe gesehen, wie sie das Kreuz schlugen und das Salve und das Ave beteten, so erfindet er ein frommes Märchen, um seiner frommen Herrin zu gefallen und den spanischen Glaubenseiferern einen schmackhaften Köder zu bereiten.

Doch an seinem geringen Verständnis für das westindische Volk trägt nicht allein seine Unbildung die Schuld, nicht seine enthusiastische Befangenheit, nicht seine Schwäche in der Menschenbeurteilung überhaupt, auch nicht jener Verstellungszwang, von dem schon die Rede war und der das ganze Sein und Denken dermaßen durchsetzte, daß sich von vornherein ein feindlich lauernder Gegensatz zum andern Menschen ergab, sondern es ist die Epoche. Zu »verstehen« war nicht der Ehrgeiz und nicht die Richtung der Zeit. Darauf kam gar nichts an.

Weder den einzelnen als Nebenmenschen konnte oder wollte man »verstehen«, noch die andere Natur oder das andre Gesetz oder die andere Welt. Zu sagen, es ging um Besitz, Eroberung und Raub, wäre eine zu billige Schlußfolgerung, es ging in Wahrheit um Sprengung der engen Grenzen des Ichs, wobei es wenig oder nichts verschlug, wenn das andere Ich dadurch zerstört wurde. Eine elementare Expansionsbewegung, die Königreiche sowohl wie Individuen erfaßt hatte, ohne Rücksicht auf Liebe, Humanität und Gerechtigkeit.

Kein Europäer vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts wäre mit den Indios einsichtiger verfahren als Columbus; wohl aber hätten viele, nicht so traumversponnen und so verliebt in ihre Tat, mit rauherer Faust zugegriffen; keiner wäre imstande gewesen, die menschheitsgeschichtlichen und kultischen Hintergründe zu ahnen oder zu spüren, das Geheimnis der Rasse, die Furcht, die Erwartung, die Erschütterung der Vorstellungswelt, Gefühlsabläufe, die in ihrem Verein jene fast undurchschaubare allerfeinste Verschlagenheit hervorbrachten, das Wort in seiner psychopathischen Bedeutung genommen, die ihr eigentliches Wesen wie hinter einer Maske verbarg.

 

Der Kazik Guacamari, nach der oberflächlichen Beschreibung des Columbus ein schöner, kluger, anmutiger junger Mensch, hatte den Fremdlingen viel Freundlichkeit bezeigt, hatte sie mit Geschenken überhäuft und trat bald in nähere Beziehung zu ihrem Führer. Als er von dem Unglück hörte, das den Admiral betroffen, schickte er seine Leute mit geräumigen Kanoes an das Wrack, um die Ladung zu bergen. »Dies geschah außerordentlich schnell wegen des Eifers, den Guacamari selbst an den Tag legte«, erzählt Columbus; »er selbst in Person mit seinen Brüdern und Verwandten bemühte sich sowohl an Bord des gestrandeten Schiffes als auch am Lande um die Bewachung der dorthin gebrachten Gegenstände, damit für alles aufs beste gesorgt würde. Er hörte nicht auf zu weinen und den Admiral zu trösten und ihm zu sagen, er möge sich nicht kränken, er wolle ihm alles geben, was er habe.« Auch die Verwandten des Kaziken trauerten über das Mißgeschick der Schiffbrüchigen und stellten ihnen ihre Häuser zur Verfügung. Der Admiral lud Guacamari zu Tisch und bewunderte den Anstand, mit dem sich dieser benahm, der Kazik hinwiederum bewirtete den Admiral mit Fischen, Wildpret und Gebäck von Kassave und verehrte ihm einen mit Gold reich verzierten Gürtel. Er war auch damit einverstanden, daß die Spanier auf seinem Gebiet eine befestigte Niederlassung gründeten. An freiwilligen Kolonisten fehlte es nicht, alle, die sich meldeten, hofften bis zur Rückkehr des Admirals so viel Gold gesammelt und eingetauscht zu haben, daß sie bis an ihr Lebensende der Sorgen enthoben sein würden. Columbus selbst rechnete mit vierzig Tonnen Goldes für die Majestäten, die dann unverzüglich mit der Eroberung des Heiligen Grabes beginnen könnten.

Aber wußte er denn nicht, was für Strauchdiebe er da zurückließ? Und hatten die Tränen, die Guacamari und seine Verwandten bei dem Verlust der »Santa Maria« vergossen, den trügerischen Eindruck in ihm erweckt, daß er Menschen vor sich habe, die mit Engelsgeduld jede Roheit und Gewalttat ertragen würden? Er täuschte sich schwer. Freilich ließ er die Kanonen abfeuern, um den Eingeborenen die Überlegenheit seiner Waffen vor Augen zu führen, ein naheliegender und später immer wieder gebrauchter Trick, und die erschraken denn auch zu Tode und fielen allesamt aus purem Schreck platt auf die Erde. Aber es war nur eine Demonstration, die er seiner Stellung schuldig zu sein glaubte. Triumphierend versichert er, fünf Spanier würden genügen, zwanzigtausend dieser taubensanften Wilden wehrlos vor sich her zu treiben, und er war so durchdrungen von europäischer Anmaßung und dem Gefühl seiner vizeköniglichen Würde, daß er das äußerliche Zeremoniell der Gastlichkeit und die geprägten Formen eines Umgangskodexes, von dessen gefährlichen Hintergründen er nicht den leisesten Begriff hatte, schon für die Gewähr bedingungsloser Unterwerfung nahm.

Am vierten Januar verabschiedete er sich von den zurückbleibenden Gefährten, empfahl ihnen dringend die Sorge für seine Stadt Navidad (er nannte schon eine Stadt, was vorerst nur ein primitives Blockhaus war) und trat auf der »Niña« die Heimreise an. Schon zwei Tage darauf stieß Alonzo Pinzon mit der »Pinta« zu ihm, aber das stürmische Wetter, das um die Mitte des Monats einsetzte, trennte die beiden Schiffe wieder voneinander. Was der Kapitän der »Pinta« auf seiner eigenwilligen Kreuzfahrt erlebte, darüber wissen wir nichts, es hat den Anschein, als habe der Admiral kein Verlangen geäußert, es zu erfahren und habe mit dem Ausreißer gegrollt wie ein Ehemann mit seiner Frau, wenn sie sich eine Zeitlang anderweitig amüsiert hat. Die Rache behielt er sich im stillen vor.

Da die »Niña« zu wenig Ballast hatte, wurde sie von den Wellen wie ein Stück Kork umhergeschleudert, zudem war der Kiel leck, und die Mannschaft mußte Tag und Nacht an den Pumpen stehen. Es heißt, Columbus sei auf dieser Fahrt sehr kleinmütig geworden; ermüdet von den vielen Nachtwachen und Anstrengungen, wurde er häufig von Todesfurcht geplagt, und in manchen Stunden zweifelte er, daß er die Heimat erreichen werde. »Eine Fliege hatte die Macht, mich in zitternde Unruhe zu versetzen«, klagt er hysterisch. Mitten im Aufruhr der Elemente schlug er vor, einer solle durch das Los bestimmt werden, nach glücklicher Landung eine Pilgerfahrt nach Santa Maria de Guadalupe zu machen. Er ließ so viel Erbsen, als sich Personen auf dem Schiff befanden, in einen Sack schütten, und in eine schnitt er ein Kreuz. Er griff zuerst hinein und zog die mit dem Kreuz bezeichnete Erbse. Da atmete er auf und begann wieder zu glauben, daß ihn Gott erhalten wolle, damit er sein Werk vollenden könne. Für alle Fälle aber schrieb er einen besonderen Bericht seiner Reise auf ein Stück Pergament, das er mit Wachs bestrich, und verschloß die Rolle in ein leeres Faß, das er den Wellen übergab. Hierauf ließ er die Mannschaft zusammentreten und forderte sie zu dem Gelübde auf, daß sie allesamt an dem Orte, wo sie den heimatlichen Boden betreten würden, im härenen Hemd und unter Anrufung der heiligen Jungfrau zur nächstgelegenen Kapelle wallfahrten würden. Viel fromme Vorkehrungen unter dem Gewicht der Todesangst. »Der Sturm, den wir erlebten, war so heftig, daß wir uns für verloren erachteten«, berichtet er, und sicher ohne zu übertreiben.

Statt nach den Kanaren gelangte das Schiff Ende Februar nach den Azoren. Die portugiesischen Behörden machten Schwierigkeiten bei der Landung, der Gouverneur nahm einen Teil der Mannschaft in Gewahrsam, erst nach feierlichem Einspruch des Admirals und der Vorweisung seiner schriftlichen Bestallungen konnte er die Fahrt fortsetzen. Hierdurch hätte er gewarnt sein sollen, es war das Vorspiel zu eifersüchtigen Ränken der Krone Portugal, die darauf zielten, Spanien die neuen Länder streitig zu machen; trotzdem war der portugiesische Hafen Cascaes an der Mündung des Tejo der erste, den er anlief. Und nachdem er Anker geworfen hatte, sandte er einen Brief an den König, worauf ihn dieser nach Valparaiso einlud, da in Lissabon die Pest herrschte. Der Monarch empfing ihn mit außerordentlicher Zuvorkommenheit und fragte ihn, ob er nicht lieber zu Land als zur See nach Spanien weiterreisen wolle, was viel bequemer und sicherer gewesen wäre, aber der Admiral dankte für diese Gnade, lehnte auch alle anderen Gunstbezeigungen ab und kehrte auf sein elendes Schiff zurück.

Die Gründe sind völlig rätselhaft, die ihn zu dem unklugen Brief und noch unklugeren Besuch veranlaßt haben. War es die Not, die ihn in den nächstbesten Hafen getrieben hatte, da er doch mit zerrissenen Segeln und durchlöcherten Wanten nach Cascaes kam? Aber auf einer gewissen Seehöhe hätte es nur einer geringen Kursveränderung bedurft, und er wäre ebenso rasch in einem spanischen Hafen gewesen. Warum unterließ er es? Den spanischen Nationalstolz nicht in Rechnung zu ziehen, den er durch die Bevorzugung eines fremden Hafens beleidigen mußte, war eine unverzeihliche Dummheit. Vielleicht fürchtete er, Alonzo Pinzon sei ihm in Spanien zuvorgekommen, und er wollte von Portugal aus erst Sicherheit gewinnen. Vielleicht lag ihm an einem billigen Triumph über den König Joan, der seine Dienste einst verschmäht hatte, und es lockte ihn, dort zuerst als Sieger aufzutreten, wo er die tiefste Demütigung erlitten hatte, Mensch der unaustilgbaren Ressentiments, der er war? In solchen Zügen hat man die verkrochensten Heimlichkeiten seiner komplizierten Natur zu suchen, da wirkt er bisweilen wie eine Figur von Dostojewski.

 

An einem Freitag war er ausgezogen, am Freitag, dem fünfzehnten März, lief die »Niña« mit der Flut über die Barre bei Saltes in das Astuarium des Rio Tinto ein und ankerte vor Palos. Die Furcht wegen der »Pinta« war unbegründet, Alonzo Pinzon war noch nicht eingetroffen, er kam erst, sonderbarer Zufall, am Abend desselben Tages und hatte Columbus nichts vom Jubel und dem Aufsehen der Welt vorweggenommen, als sei die Vorsehung selbst willens gewesen, daß er der erste sein sollte. Denn davon hing alles ab: der erste zu sein.

Gleich nach seiner Ankunft sandte er einen Boten an den Schatzmeister Santangel, zusamt dem für die Königin und den König bestimmten ausführlichen Bericht seiner Fahrt. Das Hoflager war in Barcelona, er wartete in Sevilla auf die Befehle der Majestäten. Wo immer er erschien, wurde er mit den größten Ehren empfangen, sein Einzug in Sevilla erregte unbeschreibliche Begeisterung, seinen Erzählungen lauschten hoch und niedrig mit fassungslosem Staunen. König und Königin schickten ihrem »Admiral des ozeanischen Meeres« einen der vornehmsten Offiziere ihres Hauses entgegen, um ihn in ihrem Namen willkommen zu heißen, ihm die Aufträge zur Ausrüstung einer zweiten Expedition zu überbringen und ihn einzuladen, sobald wie möglich zu ihnen nach Barcelona zu kommen.

 

Wunderlicher Pomp, den er auf dem Weg zu dem Herrscherpaar entfaltet. Mit den Augen eines späteren Jahrhunderts gesehen, war es ein Jahrmarktszug, eine Gauklerkavalkade, eine reisende Zirkusgesellschaft. Da man zu jener Zeit in Spanien keine Kutschen benutzen konnte, weil die Straßen zu schlecht waren, hatte sich der Admiral eine Anzahl Pferde und Maultiere verschafft. Bewaffnete Matrosen eröffneten den Zug; sie mußten den Weg durch die Volksmenge bahnen; ihnen folgten exotische Gruppen in berechneter Inszenierung, die Indios mit Kopfschmuck aus Vogelfedern, bunten Gürteln und Schürzen aus farbigen Stoffen; ihre Nasen und Ohren waren mit goldenen Behängen geziert, auch Armbänder und Halsgeschmeide hatten sie anlegen müssen. Einige trugen Speere und Ruder mit den heimischen Schnitzereien, auf den Schultern von anderen saßen gelbe, grüne, rote Papageien, deren gellendes Geschrei das Johlen und Brüllen der Menge übertönte. Was man an seltenen Pflanzen, ausgestopften Tieren, Muscheln, Spezereien und flimmerndem Gestein übers Meer transportiert hatte, wurde in riesigen Körben prahlerisch vor dem Admiral hergetragen, der wie seine Söhne Diego und Hernando zu Pferde saß. Vierzehn schwer beladene Maultiere mit geschlossenen Truhen, in denen angeblich die Kostbarkeiten des entdeckten Indien verwahrt lagen, schlossen unter sicherer Bedeckung den Zug. Sobald die ausgeschickten Eilboten meldeten, daß Colón sich der Stadt nähere, ritten ihm zahlreiche Edelleute und die Vornehmsten der Kaufmannsgilde entgegen, an ihrer Spitze der Haushofmeister des Königs, um ihn zu den Hoheiten zu geleiten. Von allen Türmen läuteten die Glocken, von allen Balkonen hingen Teppiche herab, aus allen Fenstern wehten Fahnen und Tücher, Musik und Freudengeschrei erfüllten die Straßen: der wahrgewordene Traum. Aber noch nicht sein Höhepunkt.

 

Denn das Ungeheure kam erst: Als sich Colón dem Throne nahte, erhob sich das königliche Paar und wollte nicht zugeben, daß er ihnen mit Kniebeugen die Hände küsse. Das bedeutete, er war nicht mehr ein bloßer Vasall, er war als Vizekönig der indischen Länder begrüßt und anerkannt. Man wies ihm einen Lehnsessel an, und er wurde aufgefordert, sich zu setzen. Eine Auszeichnung und Gnade, die ihm die Seele erstarren ließ vor Glück. Er nahm also auf dem Stuhle Platz und schaute mit weiten Augen im Thronsaal ringsherum, geblendet. Er sieht die Fürsten, Herzöge, Erzbischöfe, Ritter und Barone, die geschmückten Damen, alle Blicke sind mit brennender Neugier auf ihn geheftet, sie ahnen, daß sie etwas vernehmen sollen, was ihre innere Welt in den Fugen erschüttert, er spürt die Erwartung, den Hunger nach dem Fabelhaften, wie wird er bestehen? Genügt die einfache Wahrheit des Erlebnisses, oder muß er sie steigern, in seinen erregten Sinnen zum Wunder umschmelzen? Er beginnt zu erzählen. Die sonore Stimme steigt aus der Stille empor wie dunkler Gesang aus exotischer Nacht, die Köpfe beugen sich vor, die erlauchte Versammlung gerät in einen Zustand von Bezauberung, sie hören das Wort von der »neuen Welt«, in dieser Stunde wird der Begriff zum erstenmal geprägt, der erstaunliche Mensch selbst ist es, der die Formel findet, und sie hat in jener Stunde die Wucht und den Glanz einer himmlischen Offenbarung. Neue Welt; davon zu wissen; zu wissen, daß sie existierte, daß sie in einer meßbaren Ferne lag, erreichbar, betretbar, erschließbar. Natürlich läßt sich der Erzähler von der verschönenden Erinnerung und vom eigenen Wort und Bild zu romantischen Übertreibungen, ja zu verwegenen Unwahrscheinlichkeiten hinreißen, er kann nicht anders, wer vermöchte der Vorführung des schicksalhaften Moments zu widerstehen, es bleibt immer noch genug Wirklichkeit übrig, sogar solche, die er vorweisen kann. Ein Wink, und die Indios treten auf, wie im Theater; die Körbe werden gebracht, und er entnimmt ihnen die verschiedenen Produkte der Inseln (der spanische Geschichtsschreiber Muñoz hat es sich nicht verdrießen lassen, ein Verzeichnis davon anzufertigen): die Batatas; die Yamswurzel; den Jamaikapfeffer; die Yukawurzel; das indianische Korn; die Wolfsbohne; die Banane; den Pisang; die Baumwollstaude; den Tabak; das Mastixharz; die Aloe; die Mangrovefrucht; die Kokosnuß; den Flaschenkürbis; das Palmöl; dann die Tiere: den amerikanischen Hund; eine Kaninchenart, die Utia hieß; eine Art großer Mäuse, die bei den Eingeborenen für Leckerbissen galten; die Kammeidechse und viele Fische und Vögel. Wichtiger als alles aber das Gold; er legt vor die verzückten Augen des Hofes Gold in Körnern hin, Gold in Erzstufen, Goldstaub und verarbeitetes Gold; Münzen, Ringe, Platten, Masken, Gehänge. Es heißt, der König und die Königin geruhten eigenhändig die Schwere des Metalls zu prüfen und wurden nicht müde, den Worten des Admirals zu lauschen.

Nun bestätigte der König dem Columbus alle ihm vertraglich zugesicherten Rechte und zeichnete ihn außerdem noch in besonderer Weise aus. Es wurde ihm, seinen Söhnen und seinen Brüdern der Titel Don verliehen, den damals nur Adelige führen durften. Er hatte das Recht, an der Seite des Königs zu reiten. Er sollte an der königlichen Tafel gleich den übrigen Granden bedient und bei allen Feierlichkeiten in derselben Art begrüßt werden. Er erhielt ein Wappen, bestehend aus vier Feldern; die beiden oberen zeigten die Embleme von Kastilien und Leon, nämlich rechts ein goldenes Schloß auf rotem, links einen purpurnen Löwen auf weißem Grund; das untere Feld rechts trug eine Anzahl vergoldeter Inseln in Meereswogen, das zur Linken sollte das Wappen seiner Familie tragen; da es aber ein solches nicht gab, wurden fünf goldene Anker auf blauem Grund gesetzt. Dazu als Legende:

Por Castillo é por Leon Nuevo mundo dió Colon.

Es gibt keinen Brief, keine Mitteilung, keine Stimme, nicht die leiseste Andeutung darüber, wie sich Columbus in diesen Tagen der maßlosen Erfüllung innerlich oder äußerlich verhalten hat. Er gehörte zu jenen Menschen, die sich nur im Unglück und im Leiden verkündigen und von denen auch die andern schweigen, solange sie im vollen Licht stehen (oder nur in der Gnade). Doch es ist schwerlich anzunehmen, daß sein Geist jetzt auf einmal heiter und leicht geworden sei; solche Naturen werden dann um so mehr von dem Gewölk verdüstert, das ihr hypochondrisches Gemüt ohne greifbaren Anlaß erzeugt.

Liegt aber nicht in jedem Menschen das heimliche Wissen um sein Geschick, oder wenigstens um die Grundfarbe und Grundrichtung seines Lebens? Bei aller leidenschaftlichen Insichgewendetheit mußte Columbus merken, welche tückischen Mächte er durch seinen Triumph aufrührte. Vorläufig war der Glanz, der von der Entdeckung ausging, so groß, daß er auch den Neid und den Haß verstummen machte, ganz Europa geriet in unbeschreiblichen Taumel, das Bewährte wankte, tausendjährige Grenzen waren aufgehoben, Armut schien kein unbesiegliches Los mehr, es gab Raum, es gab Wege, es gab neue Erfüllungen, der Name Columbus wurde dem Bettler in Dänemark so geläufig wie dem Leibeigenen in Rußland und der Dirne in Rom, jedoch derselbe Mann hatte das Gefühl als zerstäube ihn seine Tat, als mache sie ihn wesenlos, und wenn sich Verleumdung und Eifersucht hinter ihm erhoben, trafen sie ihn zunächst gar nicht, weil die Tat zu gewaltig war, als daß sie mehr als ein Schattenbild von ihrem Urheber übriggelassen hatte.


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