Jakob Wassermann
Christoph Columbus - Der Don Quichote des Ozeans
Jakob Wassermann

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Fünftes Kapitel

Letzte Hindernisse und endliche Ausreise

Was der Figur des Columbus die donquichotische Prägung verleiht, ist nicht bloß der eine zentrale Irrtum, der ihn bis zu seinem Tod aufs leidenschaftlichste die Erkenntnis abwehren hieß, daß er einen neuen Kontinent, eine neue Welt entdeckt hatte, es ist im weitesten Ausmaß Richtung und Anlage seines Geistes, alle dessen Behelfe, Berufungen, Urteile, Schutzwaffen, Verklausulierungen und Kundgebungen. Und zwar so sehr, daß ich die Empfindung nicht loszuwerden vermag, Cervantes müsse bei der Konzeption seines unsterblichen Junkers von diesem realen Vorbild beeinflußt worden sein. Man darf nicht glauben, daß ein Genius solchen Ranges seine welthistorische Gestalt sozusagen in einer privaten Dichterlaune zeugte. An einer so großartigen Vision hat das Volk, die Nation keinen geringeren Anteil als der unmittelbare Erschaffer, der sie zur Sichtbarkeit bringt. Die Jahrhunderte arbeiten schweigend daran, bis der Auserwählte ihr die gültige Form gibt.

Die Assoziation ist weder willkürlich, noch entspringt sie einer literarischen Marotte. Ich habe mich lange gegen sie gesträubt. Aber der Blickpunkt war in jeder Hinsicht aufklärend. Bevor ich ihn erlangt hatte, sah ich das Bild des Mannes nicht. Bei genauer Betrachtung hatten die verschiedenen Charakterzüge etwas Zerspaltenes, es war oft, als seien drei, vier Personen in ihm gemischt, wie wenn er gar nicht wirklich gelebt hätte, sondern bloß eine stümperhafte Erfindung der Historiographen sei, symbolischer Entdeckerheros, eine zu Verklärungszwecken unternommene Zusammensetzung von Eigenschaften.

Er erschien mir ungewöhnlich borniert, zugleich aber vorbestimmt, die begrifflichen Grenzen seiner Zeit in ungeahnter Weise zu erweitern und ihre Vorstellungswelt umwälzend zu verändern. Er ist frommer Katholik und dabei von einem heidnischen Aberglauben in bezug auf alle Naturgesetze und Naturvorgänge erfüllt. Seiner Idee bis zum Paroxysmus, bis zur Selbstauslöschung hingegeben, beugt er sich jeder Gewalt von außen, gehorcht er jeder Einflüsterung, verfällt er jeder Täuschung. Praktisch, schlau und geschickt in der Anlage seiner Pläne, zeigt er sich bei der Ausführung dilettantisch, kurzsichtig und eigensinnig. Er ist finster wie ein Mönch, verschlagen wie ein Bauer, hat keinen Schimmer von Humor, nicht der leiseste Strahl von Heiterkeit liegt über seinem Wesen, alles an ihm ist Seufzen, Klage, Bedrücktheit, Dumpfheit, dennoch sind seine Leidensfähigkeit und seine Geduld im Ertragen des Leidens außerordentlich und haben etwas Rührendes wie Züge aus einem Heiligenleben. Er hat fast nichts gelernt und weiß alles, was seinen Zwecken dient. Er ist kränklich und erträgt mit eiserner Ausdauer die beispiellosesten Strapazen. Er stammt aus dem untersten Volk und hat die Manieren eines Grande und den Briefstil eines Machiavell. Lebensgenuß kennt er nicht, Häuslichkeit bedeutet ihm nichts, er ist bedürfnislos wie ein Derwisch und vermag weder zu erwerben noch zu besitzen, aber er stirbt vor Kummer, weil er die vierzigtausend Pesos nicht bekommen kann, die ihm das Kolonialamt schuldet.

Solche komplizierten Charaktere sind selten in der Geschichte, und wenn sie vorkommen, kümmert sich die Überlieferung nicht um Widersprüche und Feinheiten, die Zeit vereinfacht, indem sie das Allgemeine und Allgemeinverständliche an die Oberfläche treibt. Infolgedessen wird jede große historische Figur nach einigen Jahrhunderten zum verwitterten Torso, und um die tausendfältigen Wahrheiten des Lebens zu finden, muß sie wie aus dem Traum wiedergeboren werden.

Den vorgebildeten Don Quichote in Columbus sehen, das hieß: ihn sehen. Allerdings ist Don Quichote ein spezifisch spanischer Typ, und Columbus war Italiener. Er hat ja auch hervorstechende Kennzeichen seiner Nation; der Nepotismus, den er als Großadmiral treibt, ist zum Beispiel eines. Söhne, Brüder, Schwäger gehen ihm über alle andern; wo Ämter oder Ehrenstellen in den neuen Ländern zu vergeben sind, beansprucht er sie für seine Verwandten. Die Zähigkeit im Verfolgen eines Ziels, die Bescheidenheit der Lebensführung, die blendende Beredsamkeit, das alles sind sehr italienische Züge. Aber wenn er nicht Spanier von Geblüt ist, so wird er es durch Anschmiegung und Einfügung, durch die Sprache, die Landschaft und durch seinen Entschluß. Er ist ein Heimatloser, ein Wanderer, er ist nie seßhaft, er kehrt nur ein, er faßt nicht Wurzel, er läßt sich nur nieder.

Das Merkwürdigste an ihm, das Don-Quichote-Ähnlichste, ist der Bestimmungshochmut, Bestimmungsdünkel, unleugbar eine Kraft, eine sehr einsam machende Kraft, deren verhängnisvolle Wirkung ist, Mißverständnisse über den zu erzeugen, der sie besitzt, und ihn außerhalb der Liebe zu stellen. Wer könnte auch einen Don Quichote lieben, es sei denn, man liebe ihn als Gestalt, und wer könnte ihn verstehen, es sei denn, dreihundert Jahre, nachdem er gelebt hat? Ich hätte nicht einen Tag mit ihm sein können, jede seiner Äußerungen wäre mir unleidlich, jede seiner Handlungen widerwärtig gewesen. Und doch, was für ein ewiges Inbild des Menschentums, menschlicher Torheit, Verwirrung und Größe! Jener Bestimmungshochmut oder Bestimmungsdünkel beruht hier auf einer von der Natur aus gesehen tiefsinnigen Umlagerung spanisch-katholischer Dogmenstarrheit, wodurch der Charakter, als Niederschlag nationalen Wesens, sehr sublimiert erscheint, sehr umwegig, sehr spiegelungsreich, und fast denkmalhaft in der Mitte steht etwa zwischen der Cidgestalt und dem finstern Torquemada.

Wenn sich Columbus für einen vom heiligen Geist Erleuchteten gibt, so ist er bis ins Herz davon durchdrungen. Wenn er beteuert, daß er ohne die vierundzwanzig Bücher des Alten Testaments, die vier Evangelien und die dreiundzwanzig Apostelbriefe nichts ausgerichtet hätte, so ist es keine Floskel, keine Hypokrisie, kein Versuch, sich den Machthabern der Kirche genehm zu machen, sondern es ist sein bitterer, tiefer Ernst. Und wenn er sich auf den Marco Polo und den Sir John Mandeville stützt, so geschieht es mit derselben Dankesgeste und derselben Glaubensinbrunst, mit der Don Quichote den Don Belianis und den Amadis von Gallien seine Lehrer und Vorbilder nennt. Manche geschichtliche Anekdoten verhalten sich zu der Person, in deren Namen sie umlaufen, wie die falschen Ergänzungen zu antiken Statuen. So die sattsam bekannte Erzählung, nach welcher Columbus, um den Zweiflern und Nörglern zu zeigen, daß es gar nichts so Schweres gewesen, was er vollbracht, ein Ei mit der Spitze auf den Tisch drückte, nachdem sich alle Anwesenden vergeblich bemüht hatten, es zum Stehen zu bringen, wie verlangt worden war. (Nebenbei bemerkt, soll der wahre Urheber des Kunststückchens Brunelleschi sein, der an diesem Beispiel seinen Widersachern beweisen wollte, daß die ellipsoide Kuppel des Florentiner Doms baumöglich sei.) Niemals wäre Columbus dessen fähig gewesen. Er hätte sich selbst damit verleugnet. Da ihm als gläubigem Katholiken jede Geistes- und Entschlußfreiheit fremd war, konnte er sich nicht dazu bekennen und sie rühmen. Nicht als etwas Geringes und Zufallhaftes erschien ihm seine Tat, sondern im Gegenteil, sie war etwas so Ungeheures, etwas so unausdrückbar Großes in seinen Augen, daß sie nur durch das unmittelbare Eingreifen Gottes möglich war.

Die unerhörten Forderungen erregten am Hof solchen entrüsteten Unmut, daß von weiteren Verhandlungen einstweilen keine Rede war. Ein bettelhafter Glücksritter, Ausländer ohne Namen, erdreistete sich, Anspruch auf die höchsten Staatsämter, ja auf königlichen Rang zu erheben; dafür gab es noch kein Beispiel, in das ärgerliche Staunen mischte sich Hohn, es hieß, der Genuese habe wahrscheinlich unter der spanischen Sonne gelitten, und wenn er tiefsinnig und düster mit gesenktem Haupt über die Straße ging, äfften ihn die Kinder nach und die Erwachsenen deuteten mit dem Zeigefinger gegen ihre Stirn.

Nach einer Weile wurde ein Vergleich versucht, allein Columbus ließ sich nichts abmarkten, für jeden Einwand war er taub, den Vorhaltungen seiner Freunde setzte er ein kaltes Schweigen entgegen, und um zu beweisen, daß er in keinem Punkt zur Nachgiebigkeit gesonnen sei, traf er wieder einmal Anstalten zur Abreise. Die Königin konnte nicht schlüssig werden. Es scheint, daß sie ausgleichend und versöhnend zwischen den schroff aufeinanderprallenden Meinungen des Erzbischofs und des Schatzmeisters Santangel stand. Diese beiden fochten den entscheidenden Kampf aus, wer siegen würde, ließ sich nicht absehen. Talavera wies mit verstärktem Nachdruck darauf hin, daß dieser Columbus nur ein unfruchtbarer Träumer sei; die Forderungen erklärte er auch im Falle des glücklichen Erfolgs für ungemessen, ja frevlerisch, wenn aber die Sache fehlschlage, würde dadurch die Leichtgläubigkeit der spanischen Herrscher ins Lächerliche gezogen werden. Isabella konnte nicht wagen, ihm zu widersprechen. Sie war gegen die Granden der Kirche so demütig wie eine Frau aus dem Volk. Hatte ihr doch einst der General des Franziskanerordens während der Erörterung einer weltlichen Angelegenheit zugerufen: »Ich bins, der recht hat, und wenn ich auch mit der Königin von Kastilien spreche; was ist sie? Ein Häuflein Staub wie ich.«

Auch sie war der Meinung, die möglichen Vorteile würden um zu großen Preis erkauft. In ihrer Denkungsart zu redlich, um gewisse jesuitische Andeutungen Santangels zu verstehen, daß ein unterschriebener Vertrag nicht in allen Teilen erfüllt werden müsse, wandte sie sich an Columbus selbst, fand ihn aber zu ihrer Verwunderung vollkommen unzugänglich für Vernunftgründe. Das war ja das Seltsame: er vergaß, daß er noch gar keine Sicherheiten hatte, daß er ruhmlos, arm, verachtet und hilfsbedürftig war; er sah die Länder, die er erst entdecken wollte, schon greifbar und wirklich vor sich, und bei dem ersten schüchternen Aufdämmern der Ermöglichung hatte er bereits das Gefühl der vollzogenen Tatsache.

Vielleicht war es gerade dies, was die Königin wie etwas Übernatürliches magisch berührte. Sie geriet in einen wahrhaften Konflikt. Sie fürchtete die Verantwortung. Ihr Gemahl stand dem Unternehmen kalt, wenn nicht feindselig gegenüber, mit ihm natürlich eine ganze Partei. Fürsprecher waren nur Alonzo de Quintanilla, der Erzbischof von Toledo, der Schatzkanzler Santangel und die Marquise de Moya, die der Königin befreundet war und ihr mit einem Enthusiasmus zuredete, dessen Motive man nicht kennt; vermutlich waren es die uneigennützigsten von allen, geboren aus romantischem weiblichen Entzücken am Ungewöhnlichen, am schönen Abenteuer.

Santangel und sein Anhang bekamen allmählich Oberhand gegen den König und Talavera. Santangel, ein Marrane, gewiegter Geschäftsmann, schlauer Politiker, konnte nicht verdächtigt werden, leeren Hirngespinsten nachzuhängen. Ich habe den Eindruck, daß er an dem Projekt in einer heute nicht mehr zu ergründenden Weise interessiert war. Er brachte Argumente vor, die der Königin einleuchteten. Da sie den Mut gehabt, sagte er, in ihrem Kampf gegen die Ungläubigen alles aufs Spiel zu setzen, warum zaudere sie bei einer Sache, wo der Verlust so unbedeutend, der mögliche Gewinn so unberechenbar groß sei? Er rief ihr ins Gedächtnis, welchen Zuwachs an Macht andere Fürsten durch Entdeckungen erlangt hätten, hier zeige sich Gelegenheit, sie alle zu übertreffen. Und wieviel geschehe damit für die Ehre Gottes, die Macht der Kirche; keineswegs könne das Fehlschlagen ein übles Licht auf die Krone werfen, Mühe und Kosten würden schon dadurch aufgewogen, daß man durch eine solche Fahrt Fragen von hoher Wichtigkeit nachforschen und bisher verborgene Wunder des Universums entschleiern könne.

Die Königin wandte ein, daß die Finanzen durch den Krieg völlig zerrüttet seien. Sie könne doch nicht eine Anweisung auf den Schatz ausstellen in einem Geschäft, dem der König entgegen war. Indessen erklärte sie nach sorgenvoller Überlegung, sie wolle es auf ihre eigene kastilische Krone übernehmen und, um die nötigen Gelder herbeizuschaffen, ihre Juwelen verpfänden. Santangel erwiderte, dessen bedürfe es nicht, er könne aus den Rentenkassen von Arragon die nötigen Fonds vorschießen. Isabella, auf einmal ungeduldig, die Dinge zum Ende zu bringen, war einverstanden, beim König, gegen ziemlich hohe Verzinsung freilich, eine Anleihe von siebzehntausend Gulden aufzunehmen. (Wenn man aus den vielen Berechnungen der Historiker das Mittel zieht, ergibt sich, daß ihr Beitrag zu den Ausrüstungskosten sich ungefähr auf dreißigtausend Mark heutigen Geldes belief.)

Colón wurde also verständigt, daß man willens sei, die Kapitulation mit ihm abzuschließen. Seine Bedingungen wurden ohne weiteres Feilschen akzeptiert. Der Vertrag schloß mit den Worten: »Vollzogen und ausgefertigt in der Stadt Sante Fé, in der Vega von Granada, den 17. April 1492: Ich der König. Ich die Königin.« Zwei Wochen darauf wurde ihm die förmliche Bestallung als Admiral, Vizekönig und Gouverneur der zu entdeckenden Länder überreicht und als besondere Gnade der Titel Don schon jetzt verliehen.

Sonderbares Traum- und Luftgeschäft, ohne Beispiel in der Geschichte, bei dem beide Vertragsparteien mit dem gleichen amtlichen Ernst Wechsel auf die Zukunft ausstellen ohne die mindeste Gewähr der Einlösung. Was für eine Persönlichkeit muß dieser Mann gewesen sein, mit welcher unheimlichen Kraft der Übertragung begabt, daß er es vermochte, die Königin, den König, einen so klaren Kopf wie Santangel und viele andre außerdem mit der dämonischen Problematik, die ihm innewohnte, zu behexen. Der Vorgang ist schlechtweg unbegreiflich. Zuerst jagt man ihn davon, nennt ihn seiner verrückten Forderungen halber einen Halunken und Idioten, erklärt, sich nicht weiter mit ihm und seinen Ideen befassen zu wollen, ist dann doch beunruhigt, als er sich unbeugsam zeigt, gibt trotz der anfänglichen Empörung Punkt für Punkt nach, bis man schließlich alles in Bausch und Bogen bewilligt, blindlings, einwandlos, als ob man die Geschichte schnell vom Hals haben wolle, an ernsthafte Konsequenzen gar nicht recht glaube und es nur deshalb tue, um sich vor dem Vorwurf oder Selbstvorwurf eines Versäumnisses zu schützen: das war ungefähr die Stimmung, in der man eine anzweifelbare Persönlichkeit ohne Namen und Stand zum Herrn des Meeres und zum Souverän über eine noch unentdeckte Welt machte.

Colón wählte den Hafen von Palos de Moguer als Ausreisestation, vermutlich weil dort die Pinzons ihren Sitz hatten, die ihm eine segelfertige Caravelle zugesagt hatten: das Achtel, das er sich verpflichtet hatte, zu den Gesamtkosten beizutragen. Man hat lange Zeit angenommen, der Herzog von Medinaceli habe ihm das Geld für dieses Schiff vorgeschossen; es ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil dann der Herzog darauf bestanden hätte, daß die Expedition aus seinem Hafen Santa Maria in See gehe.

Columbus hat den Pinzons später ihre Hilfeleistung nach seiner Weise schlecht gedankt. Alonzo Pinzon war ein sehr erfahrener Schiffer; ohne seine Unerschrockenheit und genaue Kenntnis des Meeres wäre Columbus kaum nach Westindien gelangt; Grund genug für ihn, einem solchen Mann zu grollen und seine unleugbaren Verdienste zu verschweigen. Alonzos Bruder Martin hat in der Folge behauptet, der Gedanke der Entdeckungsfahrt sei von seinem Vater ausgegangen, was eine auf tiefer Kränkung beruhende Familienüberlieferung und selbstverständlich Unsinn ist; aber die Kränkung läßt sich begreifen. Als Diego Colón im Jahre 1513 den berühmten Prozeß gegen die Krone führte, dessen Akten eine Fundgrube für viele verborgen gewesene Tatsachen sind, erklärte Arias Perez Pinzon, Sohn des Martin, sein Vater habe ein Pergament aus König Salomons Zeit besessen, des Inhalts: »Schiffe durch das Mittelländische Meer nach dem Ende von Spanien und von da nach Westen in der Richtung zwischen Nord und Süd bis zur Entfernung von fünfundneunzig Graden, so wirst du das Land Zipangu finden, fruchtbar und voll Überfluß und an Größe Afrika und Europa gleich.« Die Handschrift habe er in Rom gekauft und nach Hause gebracht, wo er es dem Columbus gezeigt habe. Daher dessen Plan.

Ein Märchen, das offenbar allen Pinzons bis in späte Geschlechter schon von ihren Ammen erzählt wurde.

Palos mag auch deswegen als Ausgangshafen bestimmt worden sein, weil der Stadt während des Krieges mit den Mauren wegen eines Ungehorsams vom König die Buße auferlegt war, zwei ausgerüstete Schiffe auf zwölf Monate zur Verfügung der Krone zu stellen. Durch eine Ordonnanz vom 30. April 1492 wurde der städtische Magistrat aufgefordert, diese beiden Schiffe innerhalb zehn Tagen segelfertig zu machen und sie dem Cristobal Colón zu übergeben. Die Bürgerschaft weigerte sich jedoch, das Strafmandat anzuerkennen, es bedurfte wiederholter Befehle und strengen Eingreifens. Als Vollstrecker wurde ein Beamter des königlichen Hausmarschallamtes, Juan de Penalosa, nach Palos geschickt, der so lange, bis die Schiffe abgeliefert sein würden, zweihundert Maravedis Taggelder von der Stadt erheben sollte. Da aber weder diese Gelder bezahlt noch die Schiffe gerüstet wurden, schritt die Regierung zu gewaltsamer Requisition; so wurde die Caravelle Pinta ihren Eigentümern einfach weggenommen.

Nur die Santa Maria war ein Nao oder Vollschiff von hundertsiebzig Tonnen, nach Art der Gallionen mit vollständigem Deck; die beiden andern, die schnellsegelnde Pinta, die Bemalte, und die kleine Niña, das Kind, waren leichte Fahrzeuge mit drei Masten, in der Mitte offen, an den Enden überdeckt, zu ansehnlicher Höhe emporsteigend, mit Vorder- und Hinterkastell und Kajüten für die Mannschaft. Die Niña hatte nur lateinische Segel. Die Santa Maria wurde für die Königin gemietet, sie trug die Admiralsflagge, Colón befehligte sie selbst. Kapitän der Pinta war Martin Alonzo Pinzon, sein Bruder Vincente Yañez führte die Niña. Als Piloten wurden Sancho Ruiz, Pedro Alonzo Niño und Bartholomeo Roldan, der spätere Rebell, aufgenommen. Als königlicher Notar ging Rodrigo de Escobar mit; als Ober-Alguazil Diego de Arana aus Cordova, Oheim der Beatriz, als Generalinspektor und Vertreter der Regierung Rodrigo Sanchez aus Segovia. Der Besitzer der Santa Maria, der nachmals so berühmte Kartograph Juan de la Cosa, diente auf seinem eigenen Schiff als Maestre, Mastmeister, und der Besitzer der Pinta, Cristobal Quintero, ein Bürger von Palos, scheint als Passagier an der Fahrt teilgenommen zu haben; ihm schlossen sich einige andere Personen sozusagen als Privatabenteurer an. Ein einziger Arzt und neben ihm ein Wundarzt fanden sich bereit, die gefährliche Reise zu wagen.

Das waren Leute, die ihren Vorteil suchten, von Reichtümern träumten und für ihren Traum etwas aufs Spiel setzen wollten, mutige, seegewohnte Männer auch, die nicht leicht zu schrecken waren, für die das ungewöhnliche Unternehmen einen lockenden Reiz hatte, dann auch königliche Beamte, die im Bewußtsein der Pflichterfüllung höherem Befehl gehorchten; mit ihnen allen war aber dem neuen Admiral nicht gedient, sie machten keine Besatzung aus, sie konnten nicht die schwere Schiffsarbeit verrichten. Woher die notwendige Mannschaft nehmen? Das war von Anfang an die Schwierigkeit, denn unter den Matrosen und dem gemeinen Schiffsvolk hatte die Nachricht von der Unternehmung des Genuesen abergläubisches Entsetzen verbreitet, und es scheint eine förmliche Verschwörung bestanden zu haben, ihm den Dienst zu verweigern.

So erging ein königlicher Aufruf, daß gegen diejenigen, die sich auf den Schiffen des Capitan general Cristobal Colón anwerben ließen, jede Kriminaluntersuchung eingestellt werden sollte. Die verzweifeltste Maßregel, die zu erdenken war. In einer Ordre, gerichtet an sämtliche Gerichtsbarkeiten des Reiches, hieß es: »Ihr wißt, daß wir den Cristobal Colón beauftragt haben, in das ozeanische Meer zu schiffen. Nun sagt er, daß es, um Mannschaft für seine drei Caravellen zu erhalten, notwendig sei, den Personen, die er heuert, Sicherheit zu geben, da sie auf andere Weise nicht willens sind, mit ihm zu gehen. Und da er Uns gebeten, daß Wir die Befehle hiezu erteilen möchten, und Wir es für gut finden, so geben Wir durch Gegenwärtiges Sicherheit allen und jeden Individuen, die mit dem genannten Cristobal Colón sich zur genannten Reise nach dem genannten ozeanischen Meer einschiffen, so daß ihnen weder an ihrem Leibe noch an ihrem Eigentum irgendein Schaden oder eine Strafe zugefügt werden kann aus keinerlei Anlaß irgendeines Verbrechens, das sie bis zum heutigen Tag begangen, und solches soll für die Dauer der Reise bis zu ihrer Heimkehr und noch zwei Monate darüber hinaus Gültigkeit haben.«

Erklärlicherweise fehlte es nun an Leuten nicht; das verworfenste Gesindel meldete sich, Straßenräuber, Piraten, dem Zuchthaus entflohene, dem Galgen entsprungene Burschen, Diebe, Mörder, Münzfälscher, Gebrandmarkte aus dem ganzen Königreich. Columbus hatte keine Wahl. Er nahm sie auf. (Wer erinnert sich da nicht der grandios-lächerlichen Szene, wie Don Quichote den Galeerensträflingen die Fesseln abnimmt und ritterliche Worte zu ihnen spricht, über die sie sich lustigmachen?) Aber auch von diesem Abschaum lief ein großer Teil, kaum gedungen, wieder davon, obgleich ihnen der Sold wie auf Kriegsschiffen zugesagt und auf vier Monate vorausbezahlt wurde. Das Grauen war stärker als die Lockung, Stadt und Hafen schwelten von schlimmen Gerüchten, Trotz und Aufsässigkeit machten sich allenthalben bemerkbar, sogar die mit der Ausbesserung der Schiffe beschäftigten Arbeiter verrichteten ihr Tagewerk widerwillig, alles mußte mit den härtesten Maßregeln gegen das öffentliche Vorurteil durchgesetzt werden.

Endlich, in den ersten Tagen des August, waren alle Hindernisse überwunden und die Flotte zur Abfahrt bereit. Columbus ordnete seine Angelegenheiten, nahm Abschied von seinen Gönnern und Freunden und stellte seinen Sohn Diego, der bisher im Kloster La Rabida gewesen war, unter die Aufsicht eines Geistlichen in der Stadt Moguer; dieser sollte ihn dann an den Hof bringen, denn die Königin hatte ihn durch ein Albala oder Patent zum Pagen beim Prinzen Don Juan ernannt, eine Ehre, die sonst nur Personen höchsten Ranges widerfuhr. Um die Reise nicht mit schuldbelastetem Gewissen anzutreten, ging der Admiral mit seinen Kapitänen, Piloten und gesamten Mannschaften zur Messe, Beichte und zum Abendmahl nach La Rabida. Es waren, auf den drei Schiffen, im ganzen hundertzwanzig Personen. Columbus blieb die Nacht über im Gebet und Gespräch mit den Franziskanern, am Morgen des dritten August verließ er in Begleitung des Priors Juan Perez das Kloster und wandte sich zum Hafen. Die ganze Bevölkerung hatte sich ans Ufer des Rio Tinto begeben. Um acht Uhr gab der Admiral vom Deck der Santa Maria mit mächtiger Stimme im Namen Jesu Christi Befehl zum Lichten der Anker und Hissen der Segel.


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