Jakob Wassermann
Christoph Columbus - Der Don Quichote des Ozeans
Jakob Wassermann

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Drittes Kapitel

Verzweifelte Bemühungen

Erst nach seiner Ankunft in Portugal tritt das Leben des Columbus aus dem Bezirk der Mutmaßung und Heroendichtung allmählich in den einer annähernden historischen Gewißheit. Wo er vorher gewesen ist und was er gewesen ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Die Panegyriker des merkwürdigen Mannes haben für ihren Teil ebensogut dafür gesorgt wie seine Feinde, daß die Spuren nicht aufzufinden sind, und er selbst hat von einem bestimmten Zeitpunkt ab nach seinem eigenen Beschluß kein Vorleben gehabt, so wie Don Quichote kein Vorleben gehabt hat.

Die Art, wie er nach Portugal gekommen sein soll, ist noch ganz Roman. Seegefecht mit Piraten, Feuersbrunst auf der angegriffenen Galeazze, Untergang des Schiffes und Schwimmen an die nahe Küste, wo ihn genuesische Landsleute aufnehmen, alles dies, obschon von seinem Sohn Hernando berichtet und von seinem hingebenden Bewunderer, dem Bischof Las Casas, bekräftigt und bestätigt, ist Sage, dem heldischen Nimbus zuliebe erfunden, und hat vor der Forschung in keiner Einzelheit standgehalten. Es läßt sich denken, daß es viel natürlicher, viel armseliger dabei zugegangen ist.

Nicht minder stilisiert und auf poetischen Effekt hin bearbeitet scheint alles, was mit seiner Ehe zusammenhängt. Ein harmloser deutscher Kompilator, der um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts das Leben des Columbus ausführlich beschrieben hat, läßt sich folgendermaßen vernehmen (und nicht wesentlich anders kann man es bei Washington Irving und bei den vielen lesen, die ihm vorangegangen und gefolgt sind): »Für einen Mann wie Columbus war Lissabon die hohe Schule, um sich auf seine fernere Laufbahn vorzubereiten. Hier fehlte es ihm nicht an Gelegenheit, sich als praktischer Schiffskapitän zu versuchen und Schiffe nach der Levante, nach der Küste von Guinea, nach den Azoren und nach der Nordsee zu führen oder zu begleiten, zugleich aber fand er, wenn ihm ruhiger Aufenthalt im Hafen vergönnt war, die beste Schule, sich in seinem Beruf auszubilden, mit den neuesten Entdeckungen bekanntzumachen und im Kartenzeichnen zu vervollkommnen. Zu diesen stillen Beschäftigungen würde indessen der rastlose Freund des offenen Meeres schwerlich Muße gefunden haben, hätte er nicht zu seinem Piloten Amor gewählt, der ihn einst, denn wohin wagte der kleine heidnische Dämon sich nicht, bei stürmischem Wetter in die Allerheiligenkapelle bugsierte, wo sein Herz, und zwar mit vollen Segeln, vor Anker ging. Hier sah er Donna Filippa Muñiz di Perestrello, eine edle Portugiesin von ausnehmender Schönheit; er suchte nähere Bekanntschaft, warb um ihre Hand und vermählte sich mit ihr. Sie war die Tochter des verstorbenen Don Pietro di Perestrello, Gouverneurs der Insel Porto Santo, was Columbus dann veranlaßte, mit seiner Gattin für einige Zeit diese Insel zum Wohnsitz zu wählen und den literarischen Nachlaß seines Schwiegervaters zu studieren, der in allerlei nautischen Aufzeichnungen bestand, und wo auch sein Sohn Diego geboren wurde...«

Ein Idyll im Biedermeierstil. Gott Amor, nein, das ist zu rührend und zu neckisch. So kann es nicht gewesen sein, so ist es nicht gewesen.

Der Mann muß tiefer in Wirrnisse geraten sein. Ich stelle mir vor, daß er in der Hölle gelebt hat. Er ist bereits über vierzig, und was hat er erreicht? Seit Dezennien erfüllt ihn das eine Verlangen, sich hervorzutun, die Niederungen zu verlassen, an die ihn ein boshaftes Geschick kettet, der inneren Berufung zu folgen, die von der Welt mißkannt zu sehen ihm mit dem Verlauf der Jahre zu unerträglicher Folter wird. Er ist nahe daran, die Hoffnung aufzugeben. Er hört von Erfolgen weit jüngerer Seefahrer, Schiffe kehren mit aufregenden Nachrichten heim, von Monat zu Monat hellt sich der dunkle Horizont über dem Atlantik mehr auf, und er, zur Untätigkeit verdammt, im Schatten stehend, ohnmächtig und arm.

Ich sehe ihn, wie er nachts am Hafen liegt und mit brennenden Augen die Mastbäume und die Sterne betrachtet. Ich weiß, daß er ruhelos durch die Städte gewandert ist, daß er heimlich in den Matrosenschenken gelauert hat, um zurückkehrende Leute auszuhorchen und frisch angeheuerten gewisse Aufträge zu erteilen. Die Aussichtslosigkeit seiner Situation muß ihn an den Rand des Verbrechens getrieben haben. In späteren Jahren hat er eine inbrünstige, fast bigotte Frömmigkeit an den Tag gelegt, manche meinen: zur Schau getragen. Ich glaube nicht, daß sie eine Maske gewesen ist oder bloße Anpassung an spanische Lebensform, ich bin überzeugt, daß sie die gesetzhafte Umkehrung des gegensätzlichen Zustandes, der Leugnung, des Haders, der Feindschaft gegen Gott und aus diesem Grund die wahrhaftige Stimmung seiner Seele war.

Diese Donna Filippa, scheint mir, war ein vermögensloses Edelfräulein, das von ihren Verwandten unterstützt wurde; was fängt man mit ihr an; man ist froh, als sich ein halbwegs respektabler Mann ihrer erbarmt, ist er gleich ohne Familie, zugereister Fremdling, man wird ihm Käufer für seine Karten verschaffen, ihm die Wege ebnen, ihn protegieren und einflußreichen Personen empfehlen. So öffnet sich ihm ein Lichtspalt im Kerker der Namen- und Tatlosigkeit.

Zieht man die Summe der Lebenserfahrungen und vergleicht danach die Existenzen, so erweist sich das allmähliche, schleichende, stufenweise Fortschreiten als viel häufiger denn das plötzliche, unerwartete und dramatische. Die meisten Dramen der Geschichte nehmen sich nur von ferne lapidar aus, in der Nähe bestehen sie aus minutiösen und schwer entzifferbaren Runen.

Im bedrängtesten Moment, dicht vor dem Abgrund, greift das Schicksal zum erstenmal günstig entscheidend ein, indem es Columbus die Verbindung mit dem berühmten, damals schon achtzigjährigen Florentiner Toscanelli ermöglicht.

Es muß ein innerlicher Zwang für ihn bestanden haben, den Namen dieses Mannes in allen späteren Briefen und Aufzeichnungen mit Schweigen zu übergehen. Da er sich als Werkzeug in der Hand eines Höheren fühlte, durfte der Verdacht nicht entstehen, als habe er sich irdischer Hilfe bedient; es hätte die mystische Überzeugung von seiner Sendung vor allem in ihm selbst erschüttert. Bei der hintergründigen Veranlagung seiner Natur muß man annehmen, daß er die Erinnerung an den Beistand eines den seinen überragenden Geistes, vielleicht sogar die Erweckung, die er durch ihn erfuhr, hartnäckig zu ersticken trachtete. Was die Welt davon hielt, kümmerte ihn nicht. Dank ist die Angelegenheit einer sehr persönlichen Moral; Dankesschuld nicht anerkennen braucht nicht immer auf einem Mangel an Noblesse oder Selbstachtung zu beruhen, da ist oft das nämliche Gesetz wirksam, das den Nachtwandler den Weg vergessen läßt, den er geschritten, und den Ort, von dem er ausgegangen.

Und noch eines. Columbus war sicherlich unfähig, die Kategorien des Denkens und Handelns in seinem Geist zu sondern und fürchtete, in dieser nicht für voll genommen zu werden, wenn er sich nicht auch jene anmaßte.

Toscanelli, Astronom und Geograph von Rang, hatte durch Beobachtung der Sonnenhöhe vermittels des Astrolabiums (der damaligen Form des Quadranten) die Sonnen- und Mondtafeln und die Angabe der Polhöhe verschiedener Orte verbessert und in Florenz ein sogenanntes Gnomon errichtet. Als Nicolo dei Conti um 1450 von seiner Reise nach Indien und Java zurückkehrte und sich vom Papst Eugen IV, der zu der Zeit in Florenz residierte, den Ablaß erbat, weil er dort im Orient, schiffbrüchig und mit dem Tod bedroht, zum Islam übergetreten war, erstattete er auch dem großen Gelehrten ausführlichen Bericht, auf Grund dessen Toscanelli zu der Überzeugung gelangte, die Länge von Europa und Asien mache etwa zwei Drittel des Erdballs aus, d. h. zweihundertdreißig Breitengrade, daß also der Westweg über den Ozean nach Indien nur einhundertdreißig Grade betragen könne. Ein folgenschwerer Irrtum, der das ganze Leben und die ganze Ideenstruktur des Columbus beeinflußte. Ohne diesen Irrtum hätte er niemals den Mut zu seinem Unternehmen gefunden.

Aber Toscanelli konnte sich auf Marinus von Tyrus, den Vorgänger des Ptolemäus, berufen und entlehnte auch den Netzentwurf einer oblongen Plattkarte von ihm, eine bis dahin unbekannte Art der Darstellung, die später Martin Behaim für seinen Globus benutzte. Die Karte, die er zeichnete, machte gewaltiges Aufsehen, an solchen Neuerungen hingen so viele Interessen wie heute etwa an einer umwälzenden chemischen Entdeckung. Nichts natürlicher, als daß der Gelehrte sein Werk zuerst jenem Fürsten schickte, der im Mittelpunkt aller nautischen Bestrebungen stand, dessen Schiffe bis zu den gefürchteten unüberschrittenen Grenzen die Meere schon seit Jahrzehnten berühren, dem König von Portugal. Er wandte sich, wie üblich, an den Beichtvater des Königs, setzte ihm in einem bemerkenswerten Brief die geographischen Verhältnisse, wie er sie auffaßte, klar auseinander und empfahl den Seeweg nach Indien mit den dringlichsten Argumenten. Er schrieb am 24. Juni 1474: »Ihr erseht aus meiner Karte, daß die Entfernung von Lissabon nach der Stadt Quinsay sechsundzwanzig Espacios, d. h. dreitausend neunhundertdreißig Meilen beträgt, die von der Insel Antilia bis nach Zipangu (d. i. Japan) fünfzehnhundert Meilen. Ich wünsche, daß die Karte Seiner Hoheit gefallen möge und bitte, Deroselben zu sagen, daß ich bereit und willens bin, in jeder Sache, zu der ich befohlen werde, zu Diensten zu sein.«

König Alfonso, sei es, daß es ihm an Geld mangelte, sei es, daß seine Interessen nach anderer Richtung gingen, zeigte keine Neigung für das Projekt, und so blieb der Brief des Florentiners jahrelang unbeachtet in den Archiven liegen. Columbus, der schwerlich vor dem Jahr 1477 nach Portugal gekommen ist, mag auf irgendeine Art davon erfahren haben. Man kannte seine Leidenschaft, wie hätte er sie seiner Umgebung verhehlen können, man wußte, daß er mit seinem glühenden Traum eingesperrt war wie mit einem Tiger im Käfig, an dessen Gittern er verzweifelt rüttelte, man wird ihm gesagt haben: Toscanelli hat dem König ein wichtiges Geheimnis mitgeteilt, sieh zu, daß du das Dokument zu lesen bekommst. Das wurde nun sein einziges Trachten. Wahrscheinlich hatte ihn seine Frau mit Personen aus den Hofkreisen in Verbindung gebracht, durch deren Einfluß er die monumentale Epistel des Italieners lesen durfte, vielleicht nur in der Abschrift. Und was er las, muß ihn mit Blitzgewalt getroffen haben. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß diese Stunde sein Schicksal gebar. Von da an vermochte er, was er wollte, zu formulieren.

Er schrieb nun seinerseits an Toscanelli, und zwar so, als wisse er nichts von dessen Brief an den König, kenne auch die Erdkarte nicht, die der Florentiner an den Beichtvater geschickt. Toscanelli antwortete mit großer Bereitwilligkeit, schickte eine neue Karte, gab genaue Auskunft und schloß mit den Worten: »Seid versichert, daß Ihr mächtige Königreiche finden werdet und daß es den Fürsten, die dort herrschen, Freude bereiten wird, wenn Ihr ihnen den Weg öffnet, mit der Christenheit in Verbindung zu treten und in unserer Religion und allen unsern Wissenschaften unterrichtet zu werden.«

Columbus, sehr empfänglich für jede Art der Weissagung, schloß diese tief in sein Herz und machte sie zu seinem Glaubensartikel. Durch die Ermunterung eines solchen Mannes fühlte er sich gleichsam zum Ritter geschlagen, und nun kam alles darauf an, das Ohr des Königs zu gewinnen. Es war König Joan, dem er sein Anliegen vortrug, Alfonso war 1481 gestorben. Was er hierfür an Material, an Nachweisen, an Argumentation gesammelt, in mühevoller Arbeit vermutlich, entzieht sich unserer Kenntnis, mit alleiniger Ausnahme des Umstandes, daß er es ängstlich vermied, sich auf Toscanelli zu beziehen. Alle seine Gewährsmänner führte er ins Feld, Dichter, Philosophen, Astrologen, die biblischen Propheten, hier wie später in Spanien, den Namen Toscanelli nannte er nicht, obschon es nahelag, dem gefeierten Manne seine Reverenz zu erweisen und sich selbst dadurch zu beglaubigen.

Sonderbar. Dabei steht fest, daß er bei der ersten Ausfahrt, zehn Jahre nachher, Toscanellis Karte an Bord hatte und nach ihr die Fahrtrichtung bestimmte. Wenn es nicht schlechtes Gewissen war, was ihn zu dieser Felonie bewog, war es vielleicht die Angst vor dem Zeitgenossen, die am Anfang begründeter Hoffnung seine dunkle und dämonisch befangene Seele erfüllte; denn wie Toscanelli ihn zur Tat befeuert, mochte es auch einem andern geschehen sein, der ihm zuvorkommen konnte. War er der erste nicht, so war er verloren und verworfen.

Die ganze Briefgeschichte hat unter den bedingungslosen Anhängern des Columbus von jeher eine Art Panik verursacht. Um ihn von dem Vorwurf der Unredlichkeit und Hinterhältigkeit zu reinigen, wurden die Daten verschoben, der Wortlaut verschleiert oder bewußt mißdeutet, der Sachverhalt vertuscht. Alles, um glauben zu machen, er habe sich aus eigenem Antrieb an Toscanelli gewendet und nicht erst auf Schleich- und Umwegen Einblick in den jahrealten Brief an König Alfonso erhalten. Sein Brief an den Florentiner kann aus sehr stichhaltigen Gründen kaum vor dem Jahre 1479 abgefaßt sein; schon dies heißt seiner Geduld viel zumuten, denn da König Alfonso den Vorschlag Toscanellis abgelehnt hatte und ein zweiter Versuch zwecklos gewesen wäre, dauerte es ohnehin zwei Jahre, bis sich seine Aussichten durch den Tod Alfonsos verbesserten. In der Zwischenzeit wird er wohl sein Projekt den Regierungen von Frankreich und England und dem Rat von Genua vorgelegt haben, um überall abgewiesen oder vertröstet zu werden.

Aber darum handelt es sich nicht. Um Ehrenrettung nicht, um Bemäntelung und Schönfärberei nicht. Hier soll kein Postament errichtet, sondern ein Mensch gezeigt werden, dessen eigentümliche, mit Finsterkeit vermengte Größe erst hinter der traditionellen Historie erkennbar wird. Alle die moralischen Anfechtbarkeiten gehören wie die geschichtlichen Unsicherheiten in das Kapitel ›Nebulosa de Colón‹, das ein moderner spanischer Schriftsteller mit einer Fülle von Stoff ausgestattet hat. Wären die Bemühungen der Kirche, diese Nebel zu zerstreuen, um einen neuen Heiligen zu inthronisieren, nur im entferntesten geglückt, so hätte die Figur damit ihren tragischen Glanz und ihre ergreifende Problematik eingebüßt.

Mit dem Tag, wo ihm König Joan Audienz gewährt, tritt Columbus in das volle Licht der Geschichte.

Er verheißt goldene Berge, im wahrsten Sinn. Er verspricht das Paradies, ebenfalls ohne Metapher, denn es zu finden, will er ausziehen. Er zeigt sich als ein Mann von erstaunlicher Beredsamkeit, und obschon ihm diese Gabe angeboren ist, kann man sich doch vorstellen, bis zu welchem Fieber, zu welch hinreißender Gewalt sie sich steigert, da er zum erstenmal Gelegenheit hat, an so hohem Ort von seiner Idee, von seiner Mission zu sprechen und alles vom Nein oder Ja des Fürsten abhängt.

Der König schwankt. Er läßt den Vorschlag von seinen Räten prüfen. Die Räte erklären Columbus für einen hirnlosen Schwätzer, der mit seinen Phantastereien von der Insel Zipangu keinen Glauben verdiene. Hätte der Monarch noch irgend Neigung gehabt, sich weiter in Verhandlungen einzulassen, so mußte er durch die geradezu unsinnigen Forderungen des Mannes abgeschreckt werden. (An eben diesen Forderungen hielt er auch später den spanischen Hoheiten gegenüber mit eisenstirniger Hartnäckigkeit fest, ohne zu begreifen, daß sie ihn in den Augen jedes vernünftig und billig Denkenden zum Verrückten stempelten.)

Eine zweifelhafte Überlieferung berichtet, daß König Joan heimlicherweise ein Schiff ausgerüstet, es mit den Plänen und Karten des Genuesen versehen und unter dem Vorwand, es solle Proviant nach den Kapverdischen Inseln bringen, auf eine Entdeckungsreise ausgeschickt habe. Der Schiffer sei jedoch unverrichteterdinge zurückgekehrt und habe beteuert, Orkane und stürmische See hätten der Fahrt unüberwindliche Hindernisse bereitet. Diese treulose Handlung habe Columbus veranlaßt, den portugiesischen Hof zu verlassen und nach Spanien zu fliehen.

So einfach war die Sache nicht. Die Flucht des schwer enttäuschten Mannes steht allerdings fest, die Motive sind aber dunkel. Es scheint, daß er mit den Gerichten in Konflikt kam. Einige Andeutungen (in einem späteren Brief des Königs) lassen darauf schließen, daß ihm Schuldhaft, wenn nicht Schlimmeres, drohte. Man darf nicht vergessen, daß er ein gedrückter kleiner Beamter war, vielleicht nicht einmal das, Herumlungerer, Petitionist, Antichambrist, Pläneschmied. Solchen Personen mißtraut man instinktiv, und sie sind beständig in Gefahr, geringe Verfehlungen wie große Verbrechen büßen zu müssen, wozu noch der Ruf der Lächerlichkeit kommt, in dem sie stehen.

Er nimmt sein Söhnchen Diego auf die Reise mit, die Frau und die kleineren Kinder bleiben in Portugal, vermutlich in Not und Elend. Besorgt, diese Herzlosigkeit könne ein allzu übles Licht auf ihren Heros werfen, behaupten moralisierende Biographen, Donna Filippa sei schon vorher gestorben, und er habe das älteste Kind zu einer Verwandten nach Huelva in Spanien bringen wollen. Ich vermag aber nicht zu glauben, daß ihn in diesem finstern Lebensmoment Rücksichten des Gefühls sollten verhindert haben, ein Land zu verlassen, wo er keine Hilfe mehr zu erwarten hatte. Der Kern seines Wesens ist Unrast. Er ist ewig auf der Flucht, bis zu seinem Tode. Unablässig wandert er durch die Länder, zieht er durch die Meere, eine der friedlosesten Gestalten, von denen die Geschichte weiß.

Es ist ungemein fesselnd, von der weiten Entfernung aus, die der historisch abgeschlossene Verlauf erzeugt, zu beobachten, wie ein großer Mensch von seinem Stern wie durch eine nie aussetzende magnetische Kraft zu dem ihm bestimmten Ziel hingezogen wird; was er auch tut oder unterläßt, jeder Fehler, jedes Versäumnis, das verkehrt Scheinende sogar bringt ihn in Wirklichkeit um den jeweilig notwendigen Schritt der Erfüllung näher.

Der Bettler, der an der Pforte des Franziskanerklosters La Rabida erschöpft um Brot und Wasser flehte, sah sich am Ende seiner Hoffnungen. Er ist kein junger Mann mehr, Ende der Vierzig vermutlich, seine Haare sind völlig grau, seine Züge gefurcht, er hat so viel Erniedrigung und Bitternis kennengelernt, so viel vergebliche Arbeit getan, so viel Seelenglut verschwendet, so viel Hohn und Abweisung erfahren, daß es ihm genug dünkt, um sich hinzulegen und zu sterben.

Dieser tiefste Punkt der Lebenskurve ist der Beginn des Aufstiegs. Um ihn zu ermöglichen, hat die Vorsehung zwei ungewöhnliche Männer in das entlegene Kloster versetzt, den ehrwürdigen Prior Juan Perez, der einst im Schatzamt gedient hat, Beichtvater der Königin war und, des weltlichen Glanzes müd, in der Zurückgezogenheit der Zelle frommen Übungen und gelehrten Arbeiten obliegt, und den Mönch Antonio de Marchena, einen stillen Träumer, der sich ebenfalls mit kosmographischen und liebevoller noch mit astrologischen Studien beschäftigt.

Das geistig leidende Gesicht, die hohe hagere Gestalt, das pathetische Wesen, der fremdartige Dialekt des Hilfeheischenden fallen auf. Man fragt ihn, wer er sei. Er antwortet: »Ich nenne mich Cristobal Colón, bin ein Seefahrer aus Genua und muß betteln, weil die Könige die Reiche, die ich ihnen anbiete, nicht annehmen wollen.«

Wundervoll donquichotisch gesprochen, unvergleichlich erfundene Worte, falls sie erfunden sind. Die Nachwelt dichtet ihre Unsterblichen in der reinen Idee weiter, die sie während ihrer irdischen Laufbahn vielleicht nicht völlig zum Ausdruck gebracht haben.

Eines solchen Sonderlings muß man sich versichern. Man gewährt ihm Gastfreundschaft. Er überrascht durch seine Kenntnisse, seine tiefen Spekulationen, die Erzählung ungewöhnlicher Erlebnisse, seine überlegene Haltung, den unerschütterlichen Glauben an sich selbst. Die Gespräche dehnen sich Nacht für Nacht bis in den Morgen. Auf seinen Karten zeigt Columbus den Weg, den er einschlagen will, seine Beweisführung ist schlagend, seine Eloquenz unwiderstehlich. Er macht keinen Hehl daraus, daß er, wie schon früher, auch nach seiner Flucht aus Portugal durch Vermittlung seines Bruders Bartolomé abermals England und Frankreich seine Dienste angeboten habe; der Prior, Feuer und Flamme, erklärt, ein Projekt von solcher Tragweite dürfe der spanischen Regierung nicht vorenthalten bleiben. Aus der benachbarten Hafenstadt Palos werden Sachverständige berufen, darunter Alonso Pinzon, der nachmals, bei der ersten Ausfahrt des Columbus, eine der drei Karavellen befehligt und unter allen Seeleuten der Epoche die genialste Form des Mutes besitzt. Der Plan findet die Zustimmung der erfahrenen Männer, sie halten seine Ausführung durchaus für möglich, der Prior ermuntert Columbus, an den Hof nach Cordova zu reisen und gibt ihm ein dringliches Empfehlungsschreiben an den allmächtigen Hernando de Talavera mit, den jetzigen Beichtvater der Königin Isabella.

Columbus, unverbrüchlich sanguinisch wie alle fahrenden Ritter, sieht schon vollendet, was kaum erst keimt und macht sich frohgestimmt nach Cordova auf.

Wieder erweist sich die Zeit als ungünstig. Ferdinand und Isabella führen Krieg gegen die Mauren. Die Staatskassen sind leer, das königliche Paar ist in Bedrängnis und hat wenig Interesse für die phantastischen Vorschläge eines Unbekannten, Talavera verbirgt seine Skepsis nicht, der Erzbischof von Toledo, bei dem er sich Gehör verschafft, will sich durch keinen Bescheid binden, der reiche Herzog von Medina-Celi, der eine Schwäche für seefahrende Abenteurer hat, ist geizig, vorsichtig und launenhaft. Der armselige Aufzug, in dem Columbus bei Hof erscheint, trägt nicht dazu bei, sein Ansehen zu erhöhen. Man schickt ihn von einem großen Herrn zum andern, von Vorzimmer zu Vorzimmer, er folgt dem Hof nach Salamanca, sucht alle Welt für seine Ideen einzunehmen, wird von aller Welt vertröstet, belächelt, verspottet, und nach heißen Mühen gelingt es ihm endlich, daß er vor die Königin treten darf. Es geschieht auf Fürspruch des glaubensstrengen Erzbischofs von Toledo (er ist Großkardinal von Spanien), der nach ängstlichen Erkundigungen die Überzeugung gewonnen hat, daß in den Absichten des Genuesen nichts enthalten ist, was der Heiligen Schrift widerspricht, daß er sich vielmehr ausdrücklich und unverdächtig auf die Worte des Propheten beruft, nach denen »die Enden der Erde zusammengebracht und alle Völker, Zungen und Sprachen unter der Fahne des Heilands vereinigt werden sollen«.

Die Königin, in ihrer Meinung von den kirchlichen Würdenträgern abhängig, hört den Bittsteller an, zweifelt, begreift nicht recht, kann sich aber gleichwohl des seltsamen Eindrucks nicht erwehren, den der beunruhigend redebegabte, innerlich flammende Mensch auf sie macht. Wahrscheinlich erregt er nebstbei ihr weibliches Mitleid; sie ist eine gutherzige Frau trotz allen rabiaten Glaubenseifers. Das Verhältnis zwischen der Herrin und dem treuesten ihrer Diener enthält auch in der Folge geheimnisvolle Zartheiten. Fast in jedem der späteren Briefe des Columbus an sie schwingt im Verborgenen ein Ton, der weniger der Fürstin als dem Weib gilt und der sie bewegt haben muß, so daß sie ihn gegen seine geschäftigen Feinde in Schutz nimmt und seine Torheiten mit Nachsicht behandelt. Er gewinnt ihr Vertrauen durch seine expressive, sehr spanische Frömmigkeit, und da sie eine geborene Herrscherin ist, fühlt sie instinktiv die schicksalsvolle Willensgewalt in dem Manne und daß seine Versprechungen was ganz anderes sind als Windmacherei. Sie beschließt, eine Junta soll die Thesen und Behauptungen des Fremdlings prüfen und ein Gutachten darüber abgeben, und um seiner offensichtlichen Bedürftigkeit zu steuern, bewilligt sie ihm bis zur Erledigung seiner Angelegenheit ein kleines Wartegeld. So kann er sich wenigstens als Angestellter der Krone betrachten und seine Sache mit legitimem Hinweis betreiben.

Doch standen ihm noch Jahre qualvollen Harrens bevor, des vergeblichen Ansturms gegen höfische Umtriebe und kirchliche Vorurteile, und gewisse Andeutungen in seinen Briefen sowie die ganze Anlage seines Charakters lassen darauf schließen, daß in dieser Zeit die Verzweiflung sein seelisches Gleichgewicht aufs bedenklichste gefährdete.


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