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19

»Wenn man solche Aussagen macht, fängt man gewöhnlich damit an, die Eigenschaften seiner Eltern aufzuführen und von dem Familienleben zu Hause zu erzählen. Das will ich aber unterlassen.

Mein Bruder Walter und ich waren schon in früher Jugend Waisen. Ich war noch auf der Volksschule, als Walter nach Australien ging, um dort sein Glück zu versuchen. Er war ein anständiger Kerl und der beste Bruder, den man sich wünschen kann. Das wenige Geld, das von dem Erlös aus der Praxis meines Vaters noch auf der Bank war, übergab er einem Rechtsanwalt, damit ich eine gute Erziehung erhalten sollte. Ich möchte nur einflechten, daß mein Vater auch Arzt war. Walter fand bald Beschäftigung in Australien und schickte die Hälfte seines Monatsgehaltes pünktlich meinem Rechtsanwalt. Wann er zum Verbrecher wurde, weiß ich nicht, aber als ich fünfzehn Jahre alt war, bekam ich einen Brief von ihm, in dem er mich bat, künftig unter der Adresse von Walter Furse an ihn zu schreiben. Er hielt sich damals in Perth in Westaustralien auf. Sein voller Name war Walter Furse Marford. Ich erfüllte selbstverständlich seinen Wunsch, und kurz darauf schickte er größere Summen an den Rechtsanwalt. Ich freute mich sehr darüber, denn ich hatte bis dahin kein Taschengeld bekommen, und meine Kleidung war auch nicht die beste.

Damals ging ich aufs Gymnasium, und eines Tages besuchte mich der Rechtsanwalt und fragte, ob ich etwas von meinem Bruder gehört habe. Ich erzählte ihm, daß ich seit vier Monaten keinen Brief erhalten habe, und er sagte, daß es ihm ebenso gegangen sei. Bevor Walter aufhörte mir zu schreiben, hatte er noch tausend Pfund geschickt. Die Briefe, in denen der Rechtsanwalt ihn fragte, wie er das Geld anlegen solle, hatte er jedoch unbeantwortet gelassen. Ich war bestürzt, weil ich meinem Bruder sehr zugetan war und mir gerade in jenen Jahren zum Bewußtsein kam, wieviel ich ihm verdankte. Ich wollte Arzt werden, und nur das Geld meines Bruders ermöglichte es mir, diesen Beruf zu ergreifen.

Das Geheimnis seines Schweigens klärte sich später auf, als ich auf Umwegen einen Brief von ihm bekam. Er war auf blauem Papier geschrieben, und als ich den Aufdruck las, wäre ich beinahe zusammengebrochen. Walter saß in einem australischen Gefängnis! Er verhehlte mir nichts. Nach einem Banküberfall, bei dem ihm und seinen Freunden nahezu zwanzigtausend Pfund in die Hände gefallen waren, hatte man ihn verhaftet. Er bat mich, so gut an ihn zu denken, wie es mir möglich sei, und schrieb, daß er mir dies alles mitgeteilt habe, damit ich es nicht unvorbereitet von anderer Seite erführe. Ich muß Ihnen aber sagen, daß ich nach dem ersten Schrecken über diese Enthüllung nicht aufgebracht und entrüstet über meinen Bruder war. Walter war schon immer mehr oder weniger ein Abenteurer gewesen, und in jenem Alter hatte ich eine romantische Ader. Ich verurteilte Verbrechen nicht so, wie vielleicht in späteren Jahren. Im Gegenteil, ich verehrte Walter noch mehr, denn er hatte ja alle diese Opfer für mich gebracht, um mir den Aufstieg zu sichern. Ich stellte ihn über alle Menschen, die ich kannte, und das tue ich auch heute noch. Hätte er nicht das Geld für meine Erziehung und für mein Studium beschaffen müssen, so hätte er sich als ehrlicher Mann durchs Leben schlagen können. Und obwohl er es mir nie sagte, bin ich doch davon überzeugt, daß nur ich und ich allein dafür verantwortlich bin, daß er zum Verbrecher wurde.

Ich antwortete ihm in einem begeisterten Brief, aber er behielt einen klaren, kühlen Kopf. Als er aus dem Gefängnis kam, schrieb er mir mit nüchternen Worten, daß nichts Bewunderungswürdiges in seiner Lebensweise liege und daß er mich lieber tot sehen möchte als auf einer abschüssigen Bahn.

Ich war sehr fleißig in meinem Beruf und fest entschlossen, das Opfer zu rechtfertigen, das er für mich gebracht hatte. Von Zeit zu Zeit schrieb er mir, einmal aus Melbourne, einmal aus Brisbane und mehrmals aus einer Stadt in New South Wales, deren Namen ich vergessen habe. Offenbar hatte er jetzt einen ehrlichen Beruf. Er teilte mir auch mit, daß er beabsichtige, eine kleine Farm zu kaufen und daß er bereits ein Haus mit einem kleinen Grundstück erworben habe in der Hoffnung, seinen Landbesitz zu vergrößern.

In diesem Brief erfuhr ich auch zum erstenmal von Donald Bateman. Mein Bruder schrieb, daß er ein sehr kluger Mensch sei, allerdings auch ein Verbrecher, der ihn beinahe um eine große Summe betrogen hätte. Später habe Bateman ihn jedoch um Verzeihung gebeten, und sie seien jetzt die besten Freunde.

Bateman hatte eine bestimmte Spezialität. Er lieh von Leuten Geld unter dem Vorwand, Land zu kaufen, und unterschlug es später. In gewisser Beziehung war er einer der bestinformierten Leute in Australien, denn er wußte ungewöhnlich gut Bescheid mit Banken und deren Depots. Er selbst war kein Bankräuber, aber er gab den verschiedenen Banden so gute Auskünfte, daß diese mit einem denkbar kleinen Risiko arbeiten konnten.

Es war Walters Wunsch, daß ich auf sechs Monate zu ihm nach Australien kommen sollte, sobald ich mein Examen gemacht hatte. Dann wollte er weitere Pläne mit mir besprechen. Um diese Zeit bat er mich auch, den Namen Furse anzunehmen, und verschaffte mir einen Paß und eine Schiffskarte auf diesen Namen. Es war nur unangenehm, daß mein Examen am Freitag zu Ende ging und ich am folgenden Sonnabend nach Australien abfahren mußte, so daß ich das Resultat der Prüfung nicht mehr erfahren konnte. Ich verabredete daher mit dem Direktor meiner Bank, mir die Zeugnisse an die Adresse meines Bruders nachzuschicken. Inzwischen hatte ich auch einen Vorwand für die Änderung meines Namens gefunden, und alles schien gutzugehen.

Am Sonnabendnachmittag war ich an Bord des Dampfers im Kanal. Meine Stimmung war so gehoben wie noch nie vorher in meinem Leben.

Bei der Abfahrt von England hatte ich Lorna Weston schon gesehen. Im Suezkanal kam ich aber erst mit ihr ins Gespräch, und in Colombo gingen wir zusammen an Land. Sie war sehr schön, temperamentvoll und sie reiste wie ich nach Australien, um dort eine Stellung als Gouvernante anzutreten. Wenn ich es jetzt überlege, muß ich sagen, daß sie viel zu jung dazu war, und später habe ich auch erfahren, daß sie nur in der Hoffnung hinfuhr, auf leichte Weise Geld zu verdienen.

Ich sprach wenig über mich selbst und sagte nur, daß ich Student der Medizin sei. Aber aus irgendeinem Grund hielt sie mich für einen reichen jungen Mann oder nahm wenigstens an, daß ich reiche Verwandte habe. Vielleicht hatte sie auch herausgebracht, daß ich viel bares Geld bei mir trug, denn ich hatte mir mehrere hundert Pfund gespart. Ich wollte meinem Bruder eine Freude machen und ihm dieses Geld zurückzahlen.

An Bord eines Schiffes ist man auf engem Raum zusammen, und aus einer flüchtigen Bekanntschaft wird leicht leidenschaftliche Liebe. Wir waren kaum fünf Tage von Colombo entfernt, da hatte sie mich schon vollkommen in der Hand, und wenn sie mir damals gesagt hätte, ich solle über Bord springen, so hätte ich es getan. Ich betete sie an, ich liebte sie über alles, und sie liebte mich. Das erzählten wir uns wenigstens. Ich will mich nicht über sie beklagen oder ihr Vorwürfe machen. Ich will auch kein Wort sagen, das ihr Leben noch härter gestalten könnte, aber ich muß erklären, warum sie in Tidal Basin wohnt. Sie hat nur einen Mann in ihrem Leben wirklich; geliebt, und das war Bateman. Ich erzähle Ihnen das ohne Bitterkeit und Haß, wenn sie sich auch den schlechtesten Mann ausgesucht hat, mit dem sie jemals in Berührung kam.

Über den Rest der Reise ist nicht viel zu berichten. Ich war manchmal begeistert und voll Hoffnung, manchmal verzweifelt und niedergeschlagen. Vor allem war ich aber gespannt, was Walter zu meiner Absicht sagen würde, ein vollkommen fremdes Mädchen zu heiraten, obwohl ich erst am Beginn meiner Karriere stand und noch kein Geld verdiente.

Er holte mich am Pier ab, und ich stellte ihm Lorna vor. Als ich später im Hotel mit ihm sprach, nahm er zu meinem größten Erstaunen die Nachricht ruhig auf.

›Du bist zwar noch ziemlich jung‹, meinte er, ›aber vielleicht ist es gerade das richtige für dich. Hätte ich beizeiten geheiratet, so hätte sich mein Leben wahrscheinlich auch anders gestaltet. Oder willst du vielleicht doch lieber noch ein Jahr warten?‹

Ich verneinte sofort, und schließlich willigte er ein.

›Es geht mir im Augenblick pekuniär nicht gerade gut. Ich habe an der Börse spekuliert und viel Geld verloren. Aber es wird sich wohl bald ändern, und ich sorge schon dafür, daß du heiraten kannst.‹

Wie schlecht es ihm in finanzieller Hinsicht ging, erfuhr ich später zufällig. Er hatte sein Anwesen verkaufen müssen und war im Augenblick ohne Stellung. Der Aufenthalt im Gefängnis hatte ihn natürlich mit allen möglichen zweifelhaften Charakteren in Verbindung gebracht, aber bis jetzt hatte er allen weiteren Versuchungen widerstanden und sich auf ehrliche Weise durchgeschlagen.

Walter war nicht willensstark, sondern in gewisser Weise ein Schwächling, weil er gewöhnlich den leichtesten Weg wählte. Aber er hatte ein unendlich gutes Herz. Er schenkte mir zur Hochzeit fünfhundert Pfund, aber ich wurde dadurch nicht glücklicher, denn ich hatte in der Zeitung gelesen, daß wieder eine Bank in einer kleinen Landstadt überfallen worden war. Eine große Summe war den Räubern dabei in die Hände gefallen. Ich sagte Walter auf den Kopf zu, daß er daran beteiligt gewesen sei, aber er lachte mich aus.

Ein paar Tage nach der Hochzeit faßte ich einen Entschluß. Ich ließ Lorna im Hotel und suchte Walter in einem Restaurant auf, wo er mit Donald Bateman zusammensaß. Bei der Gelegenheit lernte ich diesen Verbrecher persönlich kennen. Als er nach einiger Zeit den Raum verließ, nahm ich die Gelegenheit wahr und machte meinem Bruder den Vorschlag, ihm bei seinen gefährlichen Unternehmungen zu helfen.

›Du bist wahnsinnig‹, sagte er, als er begriff, was ich wollte. Ich glaube, er hat recht gehabt, aber ich bestand auf meinem Vorhaben.

›Du hast jahrelang das Risiko auf dich genommen, und du warst meinetwegen im Gefängnis. Laß mich dir doch helfen.‹

In diesem Augenblick kam Bateman zurück, und ich merkte bald, daß mein Bruder ihm volles Vertrauen schenkte.

›Warum willst du denn nicht darauf eingehen, Walter?‹ fragte er. ›Es ist doch viel besser, als irgendeinen Fremden mitzunehmen. Dein Bruder ist außerdem ein Gentleman, und niemand würde vermuten, daß er an einer solchen Sache beteiligt sein könnte.‹

Mein Bruder war zuerst wütend, aber nachher beruhigte er sich. Wie ich schon gesagt habe, er hatte keinen starken Charakter, aber ich kann ihn deswegen nicht tadeln. Und hätte er es mir abgeschlagen, so hätte ich sicher auf eigenes Risiko versucht, bei einer Bank einzubrechen.

Wir gingen alle drei zum Hotel zurück, und ich stellte Mr. Bateman meiner Frau vor. Er sah damals sehr gut aus und verstand glänzend, mit Frauen umzugehen. Je weniger Charakter sie hatten, desto größeren Einfluß schien er auf sie auszuüben.

Ich bemerkte auch sofort, wie stark sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Am nächsten Tag ging ich aus, um weitere Einzelheiten mit Walter zu besprechen, und als ich zum Hotel zurückkam, erfuhr ich, daß Bateman schon mit Lorna zu Mittag gespeist hatte. Von da ab waren die beiden immer zusammen. Ich fühlte keine Eifersucht, denn der erste Liebeswahn war verflogen, und ich hatte erkannt, welch großen Fehler ich gemacht hatte.

Natürlich wollte ich nicht mit Bateman in Differenzen kommen. Ich wußte, daß er verheiratet war und seine Frau in England gelassen hatte. Tatsächlich war er schon verheiratet, bevor er die jetzige Mrs. Landor kennenlernte und sich mit ihr trauen ließ. Diese Dame kam übrigens zu mir, bevor ich Bateman tötete, und sie erzählte mir -- aber das hat noch Zeit.

Walter willigte schließlich ein, daß ich ihm bei einem Bankeinbruch in einer Landstadt helfen solle. Wir hatten erfahren, daß dort große Depots von Papiergeld vorhanden waren, besonders während des Wochenendes. Wir beide wollten das Unternehmen allein durchführen, Bateman hatte keinen aktiven Anteil daran. Er spionierte nur die Gelegenheit aus und verschaffte uns alle Einzelheiten über die Gewohnheiten der Angestellten und so weiter.

Die kleine Stadt lag ungefähr fünfundsechzig Meilen von Melbourne entfernt. Walter und ich fuhren über Nacht in einem Auto dorthin und blieben bis zum Morgen bei einem seiner Freunde. Ich war sehr erregt und wollte vor allem einen Revolver mitnehmen, aber davon wollte Walter nichts wissen. Er trug niemals Feuerwaffen bei sich, nur eine Scheintodpistole.

›Entweder willst du jemand totschießen oder nicht‹, sagte er. ›Wenn du Geld nehmen willst, ist eine Scheintodpistole so gut wie eine andere. Damit kannst du die Leute derartig erschrecken, daß sie tun, was du von ihnen verlangst.‹

In diesem einen Punkt blieb er absolut fest. Er verabscheute alle Verbrecher, die Waffen mit sich führten.

›Es ist die Pflicht eines Bankbeamten, die Bank zu verteidigen, und wenn du ihn dabei tötest, bist du ein Schuft‹, erklärte er. ›Es ist die Pflicht eines Polizisten, dich zu verhaften, und wenn du ihn erschießt, bist du ein gemeiner Kerl.‹

Unser Unternehmen hatte Erfolg. Einen Bericht darüber habe ich in ein kleines Notizbuch geschrieben, das in meinem Schlafzimmer in der Klinik liegt. Genau auf die Minute erschienen wir mit weißen Masken vor dem Gesicht in der Bank. Ich hielt den Kassierer und seinen Assistenten mit einer Scheintodpistole in Schach, während Walter hinter den Schalter ging und das Geld aus dem offenen Safe nahm. Wir hatten die Stadt bereits verlassen, bevor die Polizei aus ihrem Mittagsschlaf alarmiert wurde.

Auf einem großen Umweg kamen wir wieder nach Melbourne zurück, und am Nachmittag waren die Zeitungen schon voll von dem Raub. Die Bank hatte fünftausend Pfund für die Verhaftung der Täter ausgesetzt, und die Polizei machte bekannt, daß allen andern Einbruch beteiligten Personen Pardon gegeben würde, wenn sie als Kronzeugen aufträten. Walter machte ein sehr niedergeschlagenes Gesicht, als er das las. Er kannte Donald Bateman besser als ich.

›Wenn er die Belohnung und außerdem Straffreiheit erhält, sind wir erledigt‹, sagte er. Er erkundigte sich telefonisch bei. der Redaktion einer Zeitung und erfuhr, daß die Belohnung auch einem Komplicen ausgezahlt würde.

›Hole sofort deine Frau, Tommy‹, befahl er mir. ›Wir müssen die Stadt gleich verlassen. Heute nachmittag ist ein Dampfer nach San Franzisko fällig, vielleicht erreichen wir ihn noch. Ich will mit dem Zahlmeister sprechen, daß wir in verschiedenen Klassen reisen.‹

Ich eilte zu dem Hotel, aber Lorna war ausgegangen. Der Portier erzählte mir, daß sie mit Mr. Bateman zu den Rennen gefahren sei. Ich kehrte zu Walter zurück und erzählte es ihm.

›Dann sieht er vielleicht die Zeitungen erst, wenn die Rennen vorbei sind. Das ist unsere einzige Chance. Lasse Lorna einen Brief und Geld zurück. Schreibe ihr, du würdest ihr später mitteilen, wohin sie kommen soll.‹

Im Hotel packte ich rasch einige Sachen zusammen Und schrieb den Brief, wie Walter mir geraten hatte. Als ich aus dem Fahrstuhl in die Halle trat, sah ich Jack Riley, den Chef des Geheimdienstes, vor mir. Ich wußte, was. die Uhr geschlagen hatte, als er mir den Koffer aus der Hand nahm und ihn einem anderen Herrn übergab, der ihm folgte.

›Zahlen Sie Ihre Hotelrechnung, Tommy. Das wird allen Beteiligten viel Unannehmlichkeiten ersparen.‹

Er ging mit mir zum Hotelbüro, und ich beglich meine Rechnung. Dann nahm er mich mit zur Polizeiwache. Walter war schon eingeliefert worden. Sie hatten ihn sofort verhaftet, nachdem ich ihn verlassen hatte, und ich erfuhr später, daß man mich zum Hotel verfolgt hatte. Sie warteten nur, bis ich meinen Koffer gepackt hatte, denn es gehörte zu Rileys Spezialitäten, die Leute, die er im Hotel verhaftete, erst ihre Rechnung zahlen zu lassen. Die Polizei fand nicht das ganze Geld, denn Walter hatte viertausend Pfund versteckt. Bateman hatte uns natürlich verraten. Er war nicht zu den Rennen gegangen, sondern saß im Polizeipräsidium und wurde später zugezogen, um uns zu identifizieren. Walter sagte nichts, er sah ihn nicht einmal an. Er war vollkommen gebrochen und niedergeschlagen. Aber ich schaute Bateman an, und ich glaube, er fühlte schon damals, daß der Tag der Abrechnung kommen würde. Walter wurde zu acht, ich zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Ich sah meinen Bruder dann nur noch einmal in dem Anstaltskrankenhaus, in dem er starb. Er war damals schon so krank, daß er mich nicht mehr erkannte. Riley war auch dort, denn er wollte sehen, ob er nicht noch eine Nachricht über die viertausend Pfund erhalten könne, die nicht aufzufinden waren. Kurz bevor ich in meine Zelle zurückgeführt wurde, trat er auf mich zu und erklärte mir, daß mir ein Jahr meiner Strafe erlassen würde, wenn ich das Versteck des Geldes angäbe. Ich fühlte mich so elend, daß ich ihm das Geheimnis beinahe verraten hätte. Im letzten Augenblick überlegte ich es mir aber noch und sagte nur die halbe Wahrheit. Zweitausend Pfund waren nämlich an einer Stelle versteckt, zweitausend an einer anderen. Das Geld wurde entdeckt, und eine Woche später entließ man mich. Ich blieb dann noch einen Monat lang in Melbourne. Nach Lorna Weston brauchte ich mich nicht mehr zu erkundigen, denn ich wußte bereits, daß sie mit Bateman nach England gegangen war. Auch im Gefängnis erhält man allerhand Nachrichten. Ich hatte die feste Überzeugung, daß ich früher oder später wieder mit Bateman zusammentreffen würde. Aber sonderbarerweise hielt ich mich immer an Walters Warnung und kaufte niemals eine Feuerwaffe, selbst während ich auf Rache sann. Alle Post, die aus England für mich ankam, ging damals an eine bestimmte Adresse in Melbourne, und als ich sie dort abholte, fand ich unter den Briefen einiger Freunde auch ein großes, langes Kuvert.

Im Gefängnis dachte ich in der ersten Zeit manchmal darüber nach, wie wohl mein Examen ausgefallen sein mochte, aber später verlor ich das Interesse daran, da mir doch eine ehrliche Karriere versagt zu sein schien. Nach dem Bekanntwerden meiner Verurteilung würde ich von der Liste der Ärzte gestrichen werden. Ich überlegte mir nicht, daß die australischen Behörden nichts von einem Marford wußten, sondern nur einen Tommy Furse kannten. Erst als ich den Briefumschlag öffnete und die Zeugnisse herauszog, kam mir dieser Gedanke. In England war ich immer noch Dr. Marford, ein Mann, der sein Examen gut bestanden hatte. Ich könnte sofort mit einer Praxis beginnen. Diese Aussichten gaben mir neuen Mut, denn ich war von meinem Beruf begeistert.

So nahm ich denn die zweitausend Pfund und fuhr nach England zurück. Unterwegs hielt ich mich einige Zeit in Ägypten auf, um alle Verbindung mit Australien zu lösen und mich von allen Leuten zu trennen, mit denen ich an Bord des Schiffes Bekanntschaft geschlossen hatte. In Kairo reichte ich meine Papiere dem englischen Gesandten ein und erhielt einen neuen Paß, weil ich erklärte, meinen alten verloren zu haben. Von dort reiste ich nach Italien, dann über die Schweiz und Frankreich nach England.

Ende September kam ich in London an. Ich hatte den Plan, eine Kinderklinik zu gründen, denn ich liebe Kinder über alles. Sie kennen ja mein Institut in Tidal Basin. Von Anfang an hatte ich viele Patienten; sie kamen jedoch aus den untersten Volksschichten, und ich verdiente nicht viel. Die Arbeit war sehr interessant, und ich hatte noch genügend Geld, um mich unter gewöhnlichen Umständen zwei Jahre halten zu können.

Aber eines Tages geschah das Unglück, daß Lorna Weston zu mir kam. Ich hatte sie vollständig vergessen, sie war aus meinem Leben und aus meinem Gedächtnis gestrichen. Auch die Erinnerung an Donald Bateman war verblaßt. Im ersten Augenblick erkannte ich sie nicht einmal. Aber dann lächelte sie mich an, und mein Herz wurde schwer.

›Was willst du?‹ fragte ich.

Sie war ärmlich gekleidet und wohnte damals bei Mrs. Albert. Und sie sagte mir, daß sie die Miete schon vier Wochen schuldig geblieben sei.

›Ich brauche Geld‹, sagte sie kaltblütig.

›Existiert denn Bateman nicht mehr?«

Sie tat meine Frage mit einer Handbewegung ab, aber ich wußte sofort, daß sie ihn noch liebte, obwohl er sie verlassen haben mußte.

›Wir haben uns seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Er ist fort.‹

Sie erzählte mir, was für ein armseliges Leben sie führen müsse, und ich hatte Mitleid mit ihr. Aber ich wußte, daß auch sie an dem Verrat ihren Anteil gehabt hatte, ich dachte an die vielen Qualen, die mein Bruder ausgestanden hatte, und verweigerte ihr jede Hilfe. Ich war über ihre Kaltblütigkeit erstaunt, denn sie sagte mir, sie selbst habe der Polizei die weißen Masken ausgehändigt, die wir bei unserem Überfall benützt hatten.

Ich stand auf und öffnete die Tür.

›Bitte geh‹, forderte ich sie auf.

Aber sie rührte sich nicht.

›Ich brauche hundert Pfund‹, erklärte sie. ›Ich will nicht länger in Armut leben.‹

Ich sah sie entsetzt an.

›Warum sollte ich dir denn hundert Pfund geben, selbst wenn ich sie hätte?‹

›Wenn du mir das Geld nicht gibst, brauche ich ja nur zu sagen, daß du im Gefängnis gesessen hast. Dann ist es mit deiner Praxis vorbei.‹

Von dieser Zeit an hat sie mich erpreßt. Durch ihr Dazwischentreten wurden alle meine Besprechungen über den Haufen geworfen. Ich hatte Lampen, Bettstellen und Instrumente bestellt und konnte nun meinen Verpflichtungen nicht nachkommen.

Wenn ich sie hätte bestimmen können, Tidal Basin zu verlassen, hätte ich wenigstens etwas Ruhe gehabt. Aber obwohl ich ihr jede Woche eine größere Summe gab, konnte ich sie nicht bewegen, nach dem Westen zu ziehen.

Warum sie sich weigerte, eine andere Wohnung zu nehmen, wußte ich nicht, bis mir eines Tages blitzartig die Erklärung kam. Sie glaubte, daß ich früher oder später mit Donald Bateman zusammenstoßen würde, und sie wollte in der Nähe sein, um mich zu beobachten und ihrem Liebhaber das Leben zu retten. Vielleicht hat sie eine Vorahnung gehabt -- darüber will ich nicht urteilen. Es schien nicht die geringste Möglichkeit zu bestehen, daß ich Donald Bateman noch einmal begegnen würde. Selbst wenn er wieder in London auftauchte -- würde er ausgerechnet in die abgelegene, traurige Gegend von Tidal Basin kommen?

Und doch gibt es merkwürdige Zufalle im Leben. Der erste Arzt, den ich traf, als ich in diesen Bezirk kam, war Dr. Rudd. Und Bateman hatte öfter von diesem Mann gesprochen, denn Rudd war Anstaltsarzt in einem Zuchthaus gewesen, in dem Bateman eine zweijährige Strafe absaß. Ich erinnerte mich sofort an den Namen. Bateman haßte ihn, weil er auf Rudds Veranlassung eine Zusatzstrafe bekommen hatte. Er hatte ihn mir auch so genau beschrieben, daß ich ihn sofort erkennen konnte.

Ich mußte immer mehr Gelder für die Klinik aufbringen, denn ich war ehrgeizig und wollte sie vergrößern. Auch Lorna forderte ständig mehr von mir.

Ich weiß nicht, wie ich auf den Gedanken kam, aber wahrscheinlich faßte ich den Plan, als mir der alte Gregory Wicks seinen Kummer anvertraute. Er konnte seinen Beruf als Chauffeur nicht mehr ausüben, weil er fast blind geworden war. Der Mann tat mir leid. Ich dachte darüber nach, wie nützlich ein Taxi war, und wie leicht ich mich als Gregory verkleiden konnte. Ein Gedanke jagte den anderen, und als der Plan schließlich greifbare Gestalt gewann, packte mich eine fast fieberhafte Erregung. In meiner Jugend hatte ein Märchen großen Eindruck auf mich gemacht, in dem ein alter Wegelagerer die Reichen beraubte, um ihre Schätze den Armen zu geben. Und der Gedanke faszinierte mich, von den wohlhabenden Leuten, die meine Bitten zur Unterstützung meiner Klinik ignoriert hatten, einen gewissen Zoll einzutreiben.

Ich plante meine Unternehmungen sehr vorsichtig, brachte die Nächte im Westend zu und beobachtete die Lokale und ihre Gäste. Mein erstes Abenteuer bereitete ich besonders sorgfältig vor. Um Gregory Wicks zu überreden, erfand ich einen früheren Sträfling, der in London keinen Führerschein bekommen konnte, aber ein sehr guter und vorsichtiger Chauffeur sei. Ich mietete für ihn das Zimmer in Gregorys Haus und bereitete dem Alten dadurch eine große Freude. Keinem anderen Menschen hatte er je erlaubt, mit seinem Wagen auszufahren, denn er ist sehr stolz auf seinen Ruf als Chauffeur. Nur der Gedanke, daß jemand, der ihm äußerlich aufs Haar glich, für ihn auftrat und die alte Tradition aufrecht erhielt, sagte ihm außerordentlich zu.

Der erste Überfall, den ich machte, gelang fast zu leicht. Ich fuhr in die Nähe eines vornehmen Restaurants, ging einfach hinein, hielt die Anwesenden durch meine Pistole in Schach und nahm einer Dame den Schmuck ab. Ich bedauere das durchaus nicht. Sie ist dadurch nicht viel ärmer geworden.

Durch meine Berührung mit den Ärmsten der Armen kam ich auch in Kontakt mit der Unterwelt und lernte einen Hehler in Antwerpen, einen anderen in Birmingham kennen. Diesen Leuten verkaufte ich die Steine, und mein erster Beutezug genügte, um die Klinik neu auszustatten. Außerdem konnte ich an die Gründung des Erholungsheims in Eastbourne denken. Aber ich hatte nicht mit Lorna gerechnet. Sie hatte den Bericht über den Überfall gelesen, stellte mir nach und beobachtete mich. Nach einiger Zeit hatte sie herausgefunden, daß ich der Verbrecher mit der weißen Maske war, und verlangte ihren Anteil.

Mein zweites und mein drittes Unternehmen verliefen noch erfolgreicher als das erste. Ich beteiligte Lorna, und sie lebte in größerem Luxus als jemals zuvor in ihrem Leben.

Im Verlauf meiner Tätigkeit hatte ich das Glück, Miss Harman zu finden, die mich aus reiner Begeisterung für meine Arbeit unterstützte und die Stelle einer ersten Krankenpflegerin bei mir versah.

Von Bateman hatte ich nichts gesehen. Ich hatte keine Ahnung, daß er in England war und daß Lorna ihn im Westend getroffen hatte. Zufällig erfuhr ich durch Mrs. Landor von seiner Anwesenheit. Sie war in einer so verzweifelten Verfassung, daß sie mir alles anvertraute, was sie quälte, und sie erzählte mir auch von dem Mann, der sie erpreßte. Es war Donald Bateman.

Aber diese Nachricht hatte mir die Ruhe vollkommen geraubt, und ich konnte kaum noch zusammenhängend denken. Der alte Haß gegen Bateman erwachte plötzlich wieder in mir. An seiner großen Narbe unter dem Kinn hätte ich ihn sofort wiedererkannt. Sie rührte von einem Messerstich her, den ihm eine Frau in Australien beigebracht hatte.

Mrs. Landor hatte mich kaum verlassen, als ich Stimmen auf der anderen Seite der Straße hörte. Es regnete, und die Gegend war menschenleer. Ich schaute hinaus und entdeckte einen Mann in Gesellschaftskleidung. Eine Frau eilte auf ihn zu. Er mußte in ihrer Wohnung gewesen sein und dort etwas vergessen haben, denn ich hörte, wie er sich bei ihr bedankte. Dann bemerkte ich, daß sie herüberschauten, und wüßte, daß sie ihm bereits mitgeteilt hatte, wer ich war. Aber er ahnte nicht, daß ich ihn auch erkannt hatte!

Nachdem er sie weggeschickt hatte, ging er langsam weiter, und ich wollte ihm gerade folgen, als plötzlich Landor auf ihn zustürzte. Ich hörte einen kurzen Wortwechsel, sah, daß Landor zuschlug und daß Bateman zu Boden stürzte. Es gehörte zu seinen Tricks, beim Kampf einen Knockout vorzuspiegeln, und auch Landor ließ sich täuschen. Er lief davon, und ich verlor ihn aus den Augen.

Ich war noch unentschlossen, was ich tun sollte, als der Polizist Hartford näherkam. Sein Helm blitzte unter einer Laterne auf. Ich konnte also im Augenblick nichts unternehmen.

Dann erhob sich Bateman, wischte den Schmutz von seinem Mantel und ging Hartford entgegen. Der Polizist unterhielt sich kurz mit ihm und ging dann weiter. Gleich darauf stürzte Donald Bateman zu Boden, als ob ihn ein Schuß getroffen hätte.

Ich wußte genau, was geschehen war: er hatte einen Herzkrampf. Aus rein beruflichem Interesse wollte ich gerade zu ihm eilen, als ein Mann über die Straße ging und sich über ihn beugte. Hartford drehte sich gerade um und sah es. Er sprang sofort auf die beiden zu, und ich folgte ihm. Plötzlich sah ich einen Schlüsselbund zu meinen Füßen, hob ihn auf und steckte ihn ein. Der Mann, der Batemans Taschen durchsucht hatte, war ein bekannter Dieb, ein gewisser Lamborn. Er sah den Polizisten und lief davon, aber Hartford hatte ihn bald eingeholt. Während die beiden miteinander kämpften, kam ich näher und sah ein Messer neben Bateman liegen, das ihm aus der Tasche gefallen sein mußte. Und da kam es plötzlich über mich. Ich sah diesen gemeinen Menschen, diesen Lügner, diesen Verräter vor mir, der für den Tod meines Bruders verantwortlich war. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich zustieß, aber als ich im nächsten Augenblick wieder zu mir kam, bemerkte ich, daß sich Bateman nicht mehr rührte. Er war sofort tot.

Der Polizist war noch mit Lamborn beschäftigt, und ich steckte das Messer in die Tasche. Es fiel später nicht weiter auf, daß ich blutige Hände hatte, da ich Bateman ja als Arzt untersucht hatte. Niemand verdächtigte mich, im Gegenteil, ein Polizist brachte mir noch Wasser, damit ich meine Hände waschen konnte. Ich habe die Tat nicht bereut, und ich bereue sie auch jetzt nicht. Ich bin froh, ja ich bin stolz, daß ich diesen Schuft bestrafen konnte!

Später kam Rudd, der nicht gerade sehr intelligent ist. Aber manchmal finden selbst solche Leute die Lösung auf eine schwierige Frage. Sergeant Elk hatte mich auch im Verdacht, das wußte ich von Anfang an. Aber gefährlich wurde die Sache erst, als Lorna plötzlich auf der Bildfläche erschien. Instinktiv ahnte sie sofort das Richtige. Sie hatte nur gehört, daß ein Mann ermordet worden war, und bahnte sich nun einen Weg durch die Menge.

Sie sah mich nicht. Aber ich wußte, daß sie mich beschuldigen würde, und überlegte, wie ich sie daran hindern konnte. Glücklicherweise wurde sie ohnmächtig, und ich erhielt den Auftrag, sie zur Wache zu bringen. Hier bot sich eine günstige Gelegenheit für mich. Ich ließ bei einer Apotheke anhalten und schickte den Polizisten, der uns begleitete, hinein, um eine Medizin zu holen. In den kurzen Augenblicken, in denen ich mit ihr allein war, gab ich ihr eine Morphiumspritze. Ich hatte eine gefüllte Spritze bei mir, weil ich zu einer Entbindung gerufen worden war. Als der Polizist zurückkam, hatte sie bereits gewirkt. Später machte ich auf der Wache eine zweite Injektion und versteckte die Spritze dann in ihrer Handtasche. Auf diese Weise konnte ich ihren Zustand leicht erklären. Ich hätte ihr auch noch eine dritte und eine vierte gegeben, wenn mich der Arzt im Krankenhaus zu ihr gelassen hätte. Nun mußte ich aber auch noch Rudd zum Schweigen bringen. Ich freute mich schon, als ich hörte, daß er zu Bett gegangen sei, und war deshalb sehr erstaunt, als er auf dem Weg zur Polizeiwache später an mein Fenster klopfte. Er erzählte mir dann, wie er sich die Sache erklärte.

Er sagte, daß Bateman in der Zeit ermordet worden sein mußte, in der Hartford Lamborn verhaftete. Er zog dieselben Schlußfolgerungen wie Sie, Mason, und Lamborn hätte Ihnen Ihre Aufgabe sehr erleichtern können, wenn er gleich die Wahrheit gesagt hätte. Es war ja klar, daß Bateman nicht ermordet werden konnte, solange der Dieb seine Taschen durchsuchte. Sonst wären seine Hände und die Brieftasche doch blutbefleckt gewesen. Von diesen Tatsachen ging auch Rudd aus. Im Scherz sagte er, ich müsse der Mörder sein, und zeigte auf verschiedene Blutflecken an meinem Rock, die nur in dem Augenblick dorthin gekommen sein konnten, in dem Bateman erstochen wurde. Rudd mußte also unter allen Umständen zum Schweigen gebracht werden. Ich lud ihn zu einem Whisky-Soda ein und lenkte seine Aufmerksamkeit dadurch ab, daß ich ihm eine neue Quarzlampe zeigte. Inzwischen mischte ich ein Schlafmittel in das Getränk. Er merkte nichts und sank kurz darauf bewußtlos zu Boden. Ich gab ihm eine Morphiumspritze und trug ihn dann in die Garage.

Es war höchste Zeit, daß ich fortkam, aber wenn ich reisen wollte, brauchte ich Geld, Fahrkarten und Paß -- Dinge, die ich nicht besaß. Von Inez Landor hatte ich erfahren, daß ihr Mann Vorbereitungen zur Flucht ins Ausland getroffen hatte und eine große Summe in seinem Schreibtisch verwahrte. Das war meine einzige Chance. Ich fuhr sofort dorthin. Ich vermutete, daß das Haus bewacht wurde, aber der Mut der Verzweiflung hatte mich gepackt. Glücklicherweise stand im Hof kein Posten, und ich fand eine Feuerleiter, auf der ich in die Wohnung einsteigen konnte. Ich besaß alle Schlüssel -- auf dem Schlüsselring waren der Name ›Landor‹ und die genaue Adresse eingraviert. Als ich die Tür leise hinter mir zugezogen hatte, hörte ich plötzlich eine Frauenstimme. Ich habe ein gutes Gedächtnis für Stimmen und erkannte Inez Landor sofort, die noch vor wenigen Stunden in meinem Sprechzimmer gesessen hatte. Ich verhielt mich ganz ruhig und fürchtete, sie würde im nächsten Augenblick in die Diele kommen und Licht machen. Aber sie ging in ihr Zimmer zurück, und ich suchte schnell ein Versteck. Nach kurzer Überlegung wagte ich es, die Mädchenkammer zu öffnen, und fand sie leer. Der Schlüssel steckte auf der Innenseite, und ich drehte ihn um. Kurz darauf kam Landor selbst, und ein paar Minuten später hörte ich zu meinem Entsetzen auch die Stimmen von Bray und Elk. Aber wieder begünstigte mich das Glück, denn die beiden Detektive entfernten sich mit den Landors.

Nun nahm ich rasch Geld, Fahrkarten und Pässe an mich, aber Elk kam ein paar Augenblicke zu früh in die Wohnung zurück. Ein Totschläger war die einzige Waffe, die ich bei mir hatte, und ich mußte sie in diesem Augenblick höchster Gefahr anwenden. Es tat mir unendlich leid, daß ich gerade den Mann verletzte, den ich stets als einen Freund betrachtet hatte.

Als ich zu meiner Klinik zurückkehrte, erwartete mich eine andere Gefahr. Rudd kehrte langsam zum Bewußtsein zurück. Ich hörte ihn stöhnen und gab ihm eine zweite Spritze.

Nun hatte ich eine Chance zu entkommen. Ich war mit meinen Vorbereitungen fertig und brachte den Wagen heraus, als Bray plötzlich anrief, daß Sie zu mir kommen wollten. Nun hing meine Rettung nur noch an einem Seidenfaden, und unter dem Druck der Verhältnisse erfand ich im Augenblick die Geschichte von dem angekündigten Besuch Weißgesichts. Wie mir die Durchführung gelang, wissen Sie. Ich muß nur noch erwähnen, daß ich unter meiner Schreibtischplatte seitlich eine Klingel habe. Damit gebe ich immer das Zeichen, wenn der nächste Patient hereinkommen kann. Alles andere war nachher leicht.«


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