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6

Louis Landor sah entsetzt auf den Mann nieder, den er zu Boden geschlagen hatte. Haß hatte ihn dazu getrieben, aber nun packte ihn wahnsinnige Angst. Er sah sich rasch um. Direkt gegenüber lag das Haus eines Arztes -- eine rote Lampe brannte schwach über der Haustür. Er konnte auch sehen, daß jemand vor der Tür stand. Sollte er Hilfe holen? Aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Die eigene Sicherheit ging vor. Er eilte also im Schatten der hohen Mauer weiter und hatte gerade die Eisenbahnüberführung erreicht, als er einen Polizisten auf sich zukommen sah. Rasch schaute er um sich, wie er entfliehen könne. Zu seiner Rechten bemerkte er zwei große Tore und eine kleinere Tür. In seiner Angst stieß er dagegen, und wie durch ein Wunder gab sie nach. Eine Sekunde später stand er hinter der Mauer und verriegelte die Tür von innen. Der Polizist ging vorüber, ohne ihn gesehen zu haben. Hartford überlegte gerade eine kleine Ansprache, die er bei einer Vereinssitzung der Abstinenzler halten wollte, und er hatte seine Gedanken so stark darauf konzentriert, daß er kaum auf das achtete, was um ihn vorging.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße stand der Dieb Harry Lamborn, der an diesem Abend in ein Lagerhaus der Eastern Trading Company einbrechen wollte. Er wartete nur darauf, daß Hartford seinen Patrouillengang beendete und zur Polizeiwache zurückkehrte.

Als der Beamte vorüberging, drückte sich Lamborn noch tiefer in das Dunkel der Nische, die ihn vor Regen und vor Beobachtung schützte. Er nahm ein Stemmeisen aus einer Tasche und schob es in eine andere, weil es so bequemer war.

Hartford sah den Herrn in Abendkleidung, der mitten auf dem Gehsteig stand und den Schmutz von seinem schwarzen Mantel wischte. Sofort stieg er von den Stufen seines geistigen Rednerpultes herunter und wurde wieder ein gewöhnlicher Polizist.

»Sind Sie gefallen?« fragte er freundlich.

Der Fremde wandte ihm sein hübsches Gesicht zu und lächelte. Aber seine Hände zitterten heftig, und seine Lippen waren blutleer. Sie bildeten einen merkwürdigen Gegensatz zu dem sonnverbrannten Gesicht. Und als er sprach, konnte er kaum atmen. Er schaute den Weg zurück, den er gekommen war, und schien beruhigt zu sein, als er niemanden entdecken konnte.

»Ja, ich muß wohl hingefallen sein. Haben Sie den Mann gesehen?«

Hartford schaute die verlassene Straße entlang.

»Welchen Mann meinen Sie denn?«

Der Fremde sah ihn erstaunt an.

»Er ist Ihnen doch entgegengelaufen -- er muß direkt an Ihnen vorbeigekommen sein!«

Hartford schüttelte den Kopf. »Nein, es ist niemand an mir vorbeigekommen.«

Der Herr im Gesellschaftsanzug zweifelte daran.

»Hat er Ihnen etwas getan?« fragte der Polizist.

»Natürlich! Er hat mir einen Kinnhaken versetzt, und ich habe tot gespielt.« Sein Gesicht zuckte. »Hoffentlich habe ich ihm einen tüchtigen Schrecken eingejagt.«

Hartford betrachtete den Fremden mit wachsendem Interesse.

»Wollen Sie eine Klage gegen den Mann erheben?«

Der Herr rückte sein seidenes Halstuch zurecht und schüttelte dann den Kopf.

»Glauben Sie denn, Sie könnten ihn finden, wenn ich ihn verklagen würde?« fragte er ironisch. »Nein, lassen Sie ihn laufen.«

»Sie kannten ihn nicht?«

Hartford hatte seit einem Monat keine Anzeige mehr erstattet und wollte sich diese günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen.

»Doch, ich kenne ihn.«

»Es wohnen recht unangenehme Leute in der Gegend«, begann der Polizist wieder. »Vielleicht war es ein Betrunkener...?«

»Ich sage Ihnen doch, daß ich ihn kenne«, erwiderte der Fremde ungeduldig.

Er nahm eine Zigarette aus seinem Etui und zündete sie an. Hartford sah, wie seine Hände zitterten.

»Hier ist ein Trinkgeld für Sie.«

Der Beamte richtete sich steif auf und wies die angebotene Münze zurück.

»Es ist mein Prinzip, nichts anzunehmen«, erklärte er selbstbewußt und machte sich bereit, seinen Weg fortzusetzen.

Der Fremde knöpfte seinen Mantel auf und griff in seine Westentasche.

»Haben Sie etwas verloren?«

»Nein«, entgegnete der Herr befriedigt, nickte und ging weiter. Als er in die Nähe der Tore der Eastern Trading Company kam, nahm er die Zigarette aus dem Mund, warf sie auf die Straße und trat sie aus. Dann schwankte er plötzlich und fiel auf den Gehsteig.

Lamborn beobachtete diese Szene und betrachtete die Gelegenheit als ein Geschenk des Himmels. Ein vornehmer Herr war betrunken hingefallen! Vorsichtig schaute der Dieb nach links und nach rechts und huschte dann über die Straße. Rasch riß er den Mantel des Mannes auf und griff nach der Brieftasche. Dabei verhakten sich seine Finger in der Uhrkette, und er zog auch Uhr und Kette heraus. In diesem Augenblick bemerkte er aber, daß Hartford auf ihn zulief, der ihn beobachtet hatte. Er wußte, was eine Verhaftung für ihn bedeutete, warf deshalb entschlossen Brieftasche und Uhr über die hohe Mauer und rannte davon. Aber er war noch kaum zehn Schritt weit gekommen, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte.

»Ich verhafte Sie!« keuchte der Polizist.

Lamborn versuchte, sich zu befreien, es gelang ihm aber nicht.

Hartford drückte ihn gegen die Mauer. Dann sah er, daß jemand über die Straße kam und erinnerte sich an den Mann, der zusammengebrochen war.

»Dr. Marford«, rief er, »der Herr dort ist verletzt -- sehen Sie doch einmal nach ihm.«

Der Arzt hatte den Fremden stürzen sehen und beugte sich über ihn.

»Wollen Sie jetzt endlich ruhig mitkommen?« sagte der Polizist zu Lamborn, der sich immer noch wehrte.

Schließlich konnte er seine Trillerpfeife erwischen, und ein schrilles Signal gellte durch die Nacht. Aber er hatte noch einige Zeit zu tun, bis sein Gefangener vernünftig wurde.

»Der Mann ist tot«, hörte er plötzlich Marfords Stimme. »Er wurde erstochen!« Der Arzt war aufgestanden, und im Licht der Laterne sah Hartford, daß die Hände des Doktors blutbefleckt waren.

Sergeant Elk, der am Ende der Straße eine Spielhölle kontrollierte, hörte die Trillerpfeife und eilte sofort herbei. Aber auch die Bewohner der umliegenden Häuser strömten auf das Signal hin ins Freie. Eine Sensation wollten sie sich nicht entgehen lassen, und als sie Mord hörten, stand bald eine dichte Menschenmenge um den Tatort. Immer neue kamen dazu wie Ratten aus ihren Höhlen. Elk telefonierte sofort nach dem Polizeiarzt, und als er zurückkam, wusch sich Dr. Marford gerade die Hände in einer kleinen Schüssel, die ihm ein Polizist gebracht hatte.

»Mason ist auf der Wache -- er kommt auch her.«

»Elk, warum werde ich eigentlich hier festgehalten?« fragte Lamborn aufsässig. Er stand zwischen zwei Polizisten, die ihn bewachten. »Ich habe nichts getan, ich bin ganz unschuldig...«

»Halten Sie den Mund«, erwiderte der Sergeant fast freundlich. »Mr. Mason ist in ein paar Minuten hier.«

Lamborn seufzte.

»Ausgerechnet der!«

Chefinspektor Mason kontrollierte zufällig an diesem Abend den Bezirk und war gerade auf der Polizeiwache, als Elk anrief. Kurz darauf erschien er in einem großen Polizeiauto mit einem Stab von Beamten am Tatort. Auch der Polizeiarzt Dr. Rudd war in seiner Begleitung.

Er kannte Dr. Marford oberflächlich und begrüßte ihn mit einem kühlen Kopfnicken; denn er ärgerte sich, daß sein Kollege schon vor ihm da war.

Sofort stellte er eine genaue Untersuchung an.

»Der Mann ist natürlich tot«, erklärte er und machte eine Miene, als ob die Tragödie hätte abgewendet werden können, wenn er etwas früher gekommen wäre.

»Haben Sie gesehen, daß er eine Stichwunde hat, die--« begann Marford. »Ja, ja, selbstverständlich«, unterbrach ihn Dr. Rudd ungeduldig. »Natürlich.« Er sah zu Mr. Mason hinüber. »Tot. Genaueres kann ich Ihnen erst später sagen. Eine schwere Stichwunde. Der Tod ist wahrscheinlich sofort eingetreten.« Er wandte sich wieder an Marford. »Waren Sie hier, als es passierte?«

»Ich kam gleich darauf -- vielleicht eine Minute später.«

Dr. Rudd steckte die Hände in die Taschen.

»Na, dann können Sie uns ja über verschiedenes Aufklärung geben.«

Mason mischte sich ein. Er war ein stattlicher Mann, wenn er auch einen kahlen Kopf hatte. Seine funkelnden Augen schauten vergnügt in die Welt, und seine Stimme klang tief und salbungsvoll.

»Schon gut, Doktor.«

Er regte sich über die Unverschämtheit Dr. Rudds nicht auf, denn der maßte sich gewöhnlich eine Stellung an, die ihm nicht zukam.

»Wie ist doch Ihr Name?« wandte er sich an den fremden Arzt.

»Marford.«

»Dr. Marford, Sie waren also hier, als der Mord begangen wurde, oder jedenfalls kurze Zeit später. Sicher können Sie uns manches sagen, aber im Augenblick sind Sie natürlich noch zu erregt.«

Marford schüttelte lächelnd den Kopf.

»Ich kann Ihnen leider nur sehr wenig sagen, Mr. Mason. Ich sah nur, wie der Mann umfiel.«

»Ich habe diesen Mann hier verhaftet«, meldete Hartford, der sich ungeheuer wichtig vorkam.

Der Chefinspektor beugte sich nieder und beleuchtete die schreckliche Wunde mit seiner Taschenlampe.

»Wo ist denn das Messer, mit dem er erstochen wurde?« fragte er. »Das müssen wir vor allem finden.« »Es ist kein Messer da«, erklärte Elk mit sonderbarer Genugtuung.

»Verzeihen Sie«, mischte sich Hartford wieder ein, »ich habe diesen Mann hier verhaftet.«

Mason schien ihn zum erstenmal zu sehen und maß ihn mit einem kühlen Blick von Kopf bis zu Fuß.

»Den hätten Sie längst auf die Polizeiwache bringen sollen«, erwiderte er dann liebenswürdig.

»Ich habe angeordnet, daß er bis zu, Ihrer Ankunft hier bleiben soll«, sagte Sergeant Elk.

»Schon gut«, entgegnete Mason ungeduldig. »Es ist ein Vergnügen, wenn man sieht, daß alles genau nach den Vorschriften gehandhabt wird. Sie scheinen hochintelligente Beamte in Ihrem Bezirk zu haben, Inspektor.«

Die letzten Worte hatte er an Bezirksinspektor Bray gerichtet; aber dieser hatte keinen Sinn für Humor und überhörte die Ironie, die in der Bemerkung lag.

»Ja, meine Leute sind sehr brauchbar«, bestätigte er selbstzufrieden.

Mr. Mason schaute auf den Toten, dann zu dem Mann, den die beiden Polizisten am Arm hielten.

»Kein Messer gefunden... Elk, durchsuchen Sie doch einmal die Taschen des Toten, Shale, Sie können ihm dabei helfen.«

Seine Blicke schweiften über die Menschenmenge. Ein paar Männer, die kein allzu gutes Gewissen hatten, drückten sich tiefer in den Schatten.

Plötzlich zog Elk einen Gegenstand unter dem Toten hervor.

»Hier -- sehen Sie!«

Es war eine Dolchscheide, und Blut klebte daran. Mr. Mason nahm einen alten Briefumschlag aus der Tasche und verwahrte den Fund sorgfältig darin.

»Haben Sie das Messer auch gefunden?«

»Nein.« »Was? Keine Waffe?« Mason sah sich nach der hohen Mauer um, die die Straße begrenzte. »Vielleicht hat es der Täter hier hinübergeworfen.«

»Verzeihen Sie eine Bemerkung«, sagte der Polizist Hartford und stand stramm.

»Warten Sie«, erwiderte Mason. »Dr. Marford, bitte, erzählen Sie mir, was Sie gesehen haben.«

Der Arzt fühlte sich sehr unbehaglich, als sich ihm alle Blicke zuwandten, und sprach nicht so sicher wie sonst.

»Ich kam aus meinem Sprechzimmer«, er zeigte etwas verlegen über die Straße, »und sah, daß zwei Männer aneinandergeraten waren -- vorher gab es einen kurzen Wortwechsel. Ich ging wieder ins Haus und holte Hut und Regenmantel --«

»Damit Sie sich die Schlägerei in größerer Ruhe ansehen konnten?« fragte Mason freundlich.

Marford hatte seine Fassung wiedergefunden und lächelte.

»Nein, das stimmt nicht ganz. Schlägereien sind in dieser Gegend keine Seltenheit. Ich mußte ausgehen, um bei einer Entbindung zu helfen. Als ich wieder herauskam, verhaftete der Polizist gerade einen Mann ...«

»Einen Augenblick«, sagte Mason scharf. »Haben Sie die beiden Leute erkennen können?«

»Nein, nicht deutlich, obwohl sich die Sache direkt meiner Haustüre gegenüber abspielte.«

»Die beiden haben sich jedenfalls den richtigen Platz ausgesucht, um gleich verbunden zu werden, wenn sie sich die Köpfe einschlugen. War einer davon dieser Tote?«

Marford konnte es nicht beschwören, nahm es aber an. Mit Bestimmtheit hatte er erkannt, daß der eine Mann im Gesellschaftsanzug war.

»Sie kennen ihn nicht?«

Marford schüttelte den Kopf.

»Ich glaube, daß er hier fremd ist. Ich habe ihn jedenfalls noch niemals hier gesehen.« Mr. Mason pfiff leise vor sich hin und sah starr unter das Kinn des Arztes. Marford glaubte, daß seine Krawatte nicht richtig säße, und bemühte sich, sie zu richten. Aber das war nur eine Spezialität des Chefinspektors.

»Hartford!« Er winkte den Polizisten heran. »Was haben Sie gesehen?«

Hartford legte grüßend die Hand an den Helm und stand stramm.

»Ich habe den Verstorbenen gesehen ...«

Mr. Mason war unangenehm berührt. Weitschweifige Reden von Untergebenen konnte er nicht vertragen.

»Schon gut, mein Junge. Sie stehen hier aber nicht vor Gericht, und Sie brauchen den Toten daher auch nicht den Verstorbenen zu nennen und so weiter. Darauf kommt es hier gar nicht an. Haben Sie den Mann gesehen, bevor er zu Boden fiel?«

Hartford salutierte aufs neue.

»Jawohl. Er hielt mich an, als ich an ihm vorbeikam, und fragte mich, ob ich nicht einen Mann gesehen hätte, mit dem er eine Auseinandersetzung hatte. Diese Frage mußte ich verneinen!«

»Hat er den Mann näher beschrieben?«

»Nein.«

»Hat er sonst noch etwas gesagt?«

Der Polizist dachte einige Augenblicke nach und wiederholte dann seine Unterhaltung mit dem Fremden, so gut er sich auf sie besinnen konnte.

»Und Sie haben den Täter nicht gesehen? Sie müssen ihm doch direkt begegnet sein! Aber wahrscheinlich haben Sie wieder von dem Glas Bier geträumt, das Sie nach dem Dienst trinken wollen!«

Hartford wollte entrüstet antworten, aber er beherrschte sich.

»Nein. Als ich mich noch einmal nach ihm umdrehte, sah ich ihn hier unter der Laterne liegen und beobachtete einen anderen Mann, der sich davonmachen wollte. Ich verhaftete ihn sofort. Später kam der Doktor dazu. Der Verhaftete versuchte wegzulaufen, aber ich hatte ihn fest gepackt.«

Lamborn mischte sich ein und behauptete, daß er nur so schnell gelaufen sei, um rasch einen Doktor zu holen.

»Der Mann lag also schon auf dem Boden, bevor Sie ihn anrührten?« fragte Mason.

Der Gefangene schwur das mit den heiligsten Eiden, und eine Frau, die eine Kanne in der Hand trug, bestätigte seine Aussage. Sie hätte ebensogut schweigen können, aber der angeborene Sinn für Gerechtigkeit, den die Armen und Unschuldigen besitzen, überwog ihre sonstige Bescheidenheit. Der Chefinspektor winkte sie in die erste Reihe, so daß das Licht der Laterne ihr Gesicht voll traf. Ihrer äußeren Erscheinung nach machte sie einen guten Eindruck und schien eine ordentliche Frau zu sein. Sie hatte gesehen, wie der Fremde hinfiel, und wie Lamborn auf ihn zueilte. Mason sah sie nachdenklich an.

»Was haben Sie denn in Ihrer Kanne?«

Die Frage war ihr unangenehm.

»Bier.«

»Bier? Das ist aber merkwürdig. Warum tragen Sie denn um halb elf Bier über die Straße, Mrs. --?«

»Albert«, erwiderte die Frau schüchtern.

Sie hatte keine Erklärung dafür und behauptete nur, daß sie es nach Hause tragen wolle. Ein beifälliges Gemurmel ging durch die Menge, die sich gegen die Polizei auflehnte. Im Hintergrund sagte jemand: »Laßt die Frau in Ruhe!«

Polizist Hartford war in heller Verzweiflung, denn er hatte etwas zu sagen, das ihm auf der Seele brannte, etwas Wichtiges, das den Sachverhalt sofort aufklären konnte. »Ich möchte noch bemerken, daß Lamborn etwas über die Mauer geworfen hat.«

Mason schaute auf die Mauer, als erwarte er, daß von dort eine Bestätigung dieser Angabe kommen sollte.

»So? Hat Lamborn das getan?« Er sah den Dieb durchdringend an und machte dann eine bezeichnende Bewegung mit dem Kopf. »Führen Sie ihn ab.«

Zwei Polizisten brachten Lamborn trotz seines heftigen Protestes fort.

»Sie müssen auch mit zur Wache«, wandte sich Mason an die Frau.

In ihrer Aufregung hätte sie beinahe die Kanne fallenlassen. Sie sei eine verheiratete Frau mit drei Kindern, beteuerte sie, und habe noch nie in ihrem Leben etwas mit der Polizei zu tun gehabt.

»Nun, dann machen Sie jetzt eben eine neue Erfahrung«, meinte Mason freundlich.

Zum zweitenmal an diesem Abend kam ein Krankenwagen nach Tidal Basin, und es erschien auch noch ein Polizeiauto mit Beamten des Erkennungsdienstes, die nach Fingerabdrücken und anderen Spuren suchten. Die Mordtat verlor ihre Romantik und wurde zu einer nüchternen Tatsache, die man geschäftlich und wissenschaftlich behandelte.

»Das ist glatter Mord«, sagte Mason zu seinen Untergebenen, als er auf seinen Wagen zuging. »Ein paar merkwürdige Einzelheiten sind allerdings dabei.«

Plötzlich drängte sich eine Frau durch die Menge. Mason hielt sie zuerst für ein Mädchen, aber im Schein der Straßenlaterne erkannte er, daß sie ihre Jugend schon längst hinter sich hatte. Sie war totenbleich und starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Ihre Lippen zitterten, und sie könnte im ersten Augenblick nicht sprechen. Dr. Marford, der im Schatten stand, beobachtete sie neugierig. Er hatte Lorna Welton sofort erkannt.

»Ist -- er es -- wirklich?« fragte sie mit gebrochener Stimme und schluchzte dann wild auf. »Wer sind Sie?« fragte Mason ruhig.

»Ich bin -- ich wohne hier in der Gegend.« Ihre Stimme war von Tränen erstickt, und sie rang sich die Worte mühsam ab. »Er hat mich heute abend besucht -- und ich warnte ihn ... vor der Gefahr. Ich -- ich kenne meinen Mann! Er ist ein Teufel!«

»Hat er denn diesen Mann hier ermordet?«

Sie versuchte an ihm vorbeizukommen, aber er hielt sie zurück, obwohl es ihn Anstrengung kostete. Furcht und Schrecken verliehen dieser schwachen Frau übermenschliche Kräfte.

»Ruhe, Ruhe! Vielleicht ist es doch nicht Ihr Freund. Wie heißt er denn?«

»Donald ...« Sie brach plötzlich ab. »Darf ich ihn sehen? ... Dann kann ich es Ihnen sagen.«

Aber Mr. Mason ging methodisch vor und arbeitete nicht sprunghaft.

»Sie haben gesagt, daß ein Herr Sie heute abend besuchte und daß Sie ihn vor Ihrem Mann warnten. Lebt Ihr Mann denn in dieser Gegend?«

Sie sah ihn an, als ob sie seine Frage nicht verstünde. Mason bemerkte es und wiederholte seine Worte.

»Ja«, erwiderte sie schließlich, aber ihre Stimme klang fast trotzig.

»Wo wohnt Ihr Mann denn? Und wie heißt er?«.

Sie wurde unruhig und versuchte wieder, in die Nähe des Toten zu kommen.

»Lassen Sie mich ihn doch einmal sehen«, bat sie. »Ich werde nicht ohnmächtig. Vielleicht ist er es gar nicht. Ja, ich bin jetzt sogar sicher, daß es sich um einen anderen handelt. Lassen Sie mich zu ihm!«

Mr. Mason gab Elk ein Zeichen, und der Sergeant führte sie zu dem Toten. Sie sah auf ihn nieder und schwieg. Dann öffnete sie die Lippen, konnte aber nicht gleich sprechen.

»Donald ...! Er hat es getan! Das Schwein! Der Mörder!« stieß sie endlich hervor. Elk fühlte, daß sie umsank, und fing sie noch rechtzeitig auf. Die Zuschauer verfolgten dieses Drama gespannt. Es war wohl wert, für eine solche Sensation seine Nachtruhe zu opfern.

Mason sah sich um und winkte Dr. Marford.

»Würden Sie so liebenswürdig sein, die Frau zur Wache zu bringen? Ich denke, es ist nur eine leichte Ohnmacht.«

Den Arzt protestierte resigniert, brachte aber mit Hilfe eines Beamten die Frau in einen Polizeiwagen und fuhr mit. Vor einer Apotheke am Ende der Basin Street ließ er halten und schickte den Polizisten hinein, um ein Stärkungsmittel zu holen. Aber auch die Medizin brachte die Frau nicht zum Bewußtsein, und sie war noch besinnungslos, als sie die Polizeiwache erreichten.

Mr. Mason wartete auf die Rückkehr des Wagens und sprach inzwischen mit Inspektor Bray.

»Es gibt verschiedene Arten von Mord«, meinte er, »einfache und komplizierte. Dies ist ein einfacher, wenigstens bis jetzt. Keine Musik, kein Feuerwerk, kein Damenboudoir, nichts, was auf Verwicklungen erotischer Natur hindeuten könnte. Ein Mann wird erdolcht unter den Augen von drei anderen Leuten, aber niemand hat den Mörder selbst gesehen. Nicht einmal das Messer wird gefunden. Wir kennen weder das Motiv zur Tat, noch haben wir irgendeinen Anhaltspunkt. Selbst der Name des Toten ist nicht bekannt.«

»Die Frau sprach doch von einem Teufel --«, begann Bray.

»Wir wollen die Religion aus dem Spiel lassen«, erwiderte Mason müde. »Wer war der Mann, der ihn erstach, und wie gelang es ihm, das Messer zurückzubekommen? Das ist das Geheimnis, das ich aufklären möchte.«


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