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14

Der Mann, der über den Hof eilte, hörte das Splittern der Türfüllungen. Weißgesicht öffnete das Hoftor und warf einen Blick in das Innere des Wagens. Auf dem Boden lag eine bewußtlose Gestalt.

»Doktor, ich fürchte, ich muß Sie auf eine weite, unangenehme Reise mitnehmen«, sagte Weißgesicht.

Er hätte ihn auch zurücklassen können, aber dann hätten die Detektive ihn gefunden, und auf keinen Fall durfte der Arzt erzählen, was er wußte, denn er hatte Weißgesicht ohne Maske gesehen.

Der Wagen fuhr schnell auf die Straße hinaus. Als er vorn an der Klinik vorbeikam, hörte der Fahrer, daß jemand versuchte, die Haustüre zu öffnen. An der Ecke der Straße sah er einen Polizisten.

»Hallo, Gregory!« rief ihm der Mann zu.

Weißgesicht lachte in sich hinein.

Die Hände, mit denen er das Steuer hielt, waren noch feucht von der roten Flüssigkeit, die er auf den Fußboden und auf die Wände des Ganges gesprengt hatte. Hoffentlich würden sie die Farbe nicht genauer untersuchen, damit er seine Verfolger wenigstens bis zum Morgen täuschen konnte.

Es stand ihm nur noch wenig Zeit zur Verfügung. Er überlegte sich, wie lange Mason brauchen konnte, um eine Beschreibung des Wagens nach Scotland Yard durchzugeben, und wie lange es dauern würde, bis diese Beschreibung allen Polizeiposten in London ausgehändigt war. Es mochte sich um eine Dreiviertelstunde handeln.

Er fuhr nach Norden, und dreißig Minuten später hatte er den Außenbezirk von Epping Forest erreicht. Es war sicher, daß Scotland Yard allen außerhalb liegenden Revieren die Nummer des Autos bekanntgeben würde. Er mußte sich deshalb auf Nebenwege beschränken und alle Punkte vermeiden, an denen Autokontrollen zu vermuten waren.

Wenn er Glück hatte, konnte er die kleine Farm, die zwischen Epping und Chelmsford lag, unentdeckt erreichen. Hätte er den direkten Weg eingeschlagen, so wäre er schon längst dort gewesen.

Er kam schließlich zu einer Stelle, an der ein ziemlich schlechter Landweg im rechten Winkel von der Chaussee abbog. Diesen benützte er. Er mußte mit größter Vorsicht fahren, denn er hatte die. Lampen abgeschaltet. Der Weg war uneben und holperig, aber immer noch besser als der Feldpfad, den er später einschlug. Hier mußte er noch behutsamer manövrieren! Der Motor machte verhältnismäßig viel Geräusch, und Weißgesicht war in großer Sorge, daß dadurch ein Polizist auf ihn aufmerksam werden könnte. Aber offenbar hatte er Glück.

Er hatte keine Uhr bei sich, schätzte aber, daß es ungefähr vier sein mußte. Der Himmel hellte sich noch nicht auf.

Endlich kam er zu einer alten Scheune, die neben einem niedrigen, unscheinbaren Haus stand. Er hielt an, öffnete die Wagentür, zog den bewußtlosen Arzt heraus und legte ihn ins Gras. Dann fuhr er das Auto in die Scheune, schloß das große Tor, öffnete die Haustür und schleifte den besinnungslosen Mann über den Rasen in die Diele.

Außer ein paar unansehnlichen Gegenständen, die der frühere Eigentümer zurückgelassen hatte, war das Haus nicht möbliert. Ein schmutziger Teppich lag in der Diele, und in einem anstoßenden Zimmer stand ein altes Sofa. Dort legte Weißgesicht seinen Gefangenen nieder. Dann blieb er einige Zeit vor ihm stehen und betrachtete ihn.

»Es war ein großer Fehler von Ihnen, daß Sie die Polizei auf meine Spur hetzen wollten«, sagte er. »Ich hoffe, daß Ihnen die Sache nicht schlecht bekommt.«

Aber der Doktor war bewußtlos und hörte nichts. Weißgesicht hatte in der letzten Zeit die Angewohnheit, laut mit sich selbst zu sprechen.

Er wandte sich ab, ging wieder in die Scheune und brachte von dort eine kleine Flasche Wein und eine Schachtel Keks zurück, die er für Notfälle unter dem Führersitz hatte.

Den Wagen konnte er jetzt nicht mehr gebrauchen. Er mußte seinen Weg quer durchs Land nach Harwich auf andere Weise antreten. Aber darauf war er vorbereitet. Von Woche zu Woche hatte er mit größerer Sorgfalt eine Liste über alle Autobus-Sonderfahrten in die Umgebung Londons geführt, und er wußte, daß an diesem Morgen ein Autobus von Forest Gate nach Felixstowe fuhr. Er hatte sich entschlossen, diese Route zu wählen, und er glaubte sicher, daß er unter einer Anzahl von Ausflüglern nicht auffallen würde.

Nur der Doktor war eine Schwierigkeit. Weißgesicht wünschte jetzt fast, daß er den Mann nicht mitgenommen hätte.

Er goß etwas Wein in eine alte Tasse, die er in der Küche fand, und trank ihn aus. Dann füllte er die Tasse noch einmal und brachte sie in das Zimmer, wo der Doktor auf dem Sofa lag. Er stellte die Lampe, die er trug, auf einen wackligen Tisch, setzte sich auf die Ecke des Sofas und wartete.

Nach einer Weile blinzelte der Doktor und schaute sich dann verwundert um. Schließlich bemerkte er Weißgesicht.

»Wo bin ich denn?« fragte er heiser.

»Auf einer kleinen Farm in der Nähe von Romford. Und ich möchte Ihnen sagen, daß ich Weißgesicht bin, was Ihr Freund Mason bereits vermutet hat.«

Der Doktor sah ihn ungläubig an.

»Sie?«

»Das wundert Sie? Aber ich glaube, Sie haben es selbst geahnt und wollten es Ihren Freunden in Scotland Yard verraten. Ich habe nicht die Absicht, Sie zu chloroformieren oder durch ein anderes Mittel wieder bewußtlos zu machen. Wenn ich mich nicht sehr irre, schlafen Sie bald wieder ein und werden dann sehr lange schlafen. Und wenn Sie wieder aufwachen, finden Sie Ihren Weg zur nächsten Polizeistation schon selber. Sollten Sie Auto fahren, so kann ich Ihnen zu Ihrer Beruhigung sagen, daß Sie in der Scheune einen Wagen finden. Mein Hauswirt« -- er lachte bei diesem Wort -- »war nämlich Mr. Gregory Wicks, und ich habe seinen Wagen viel benützt. Diese Erklärung sagt Ihnen vielleicht manches, aber wahrscheinlich kümmern Sie sich augenblicklich nicht um so unwichtige Details.«

Der Doktor starrte ihn müde an.

»Legen Sie sich wieder auf die Seite«, befahl Weißgesicht. »Und schließen Sie die Augen.«

Er wartete noch einige Minuten, bis der Betäubte fest schlief; dann ging er wieder zur Scheune und holte dort einen kleinen Lederkoffer, in den er verschiedene Toilettenartikel eingepackt hatte.


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