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36

»Danken Sie Gott noch nicht«, sagte Stella, mit einer Ruhe, die nichts Gutes verhieß. »Oh, Sie kleines Schaf, warum sind Sie denn hierhergekommen?«

»Er brachte mich hierher, ich ging nicht freiwillig«, sagte Helen. Sie war krank vor Furcht. Trotzdem versuchte sie ebenso ruhig zu sein wie Stella. Sie biß auf ihre zitternden Lippen, um sich zu sammeln. Nach kurzer Zeit hatte sie ihre Fassung wiedergefunden und konnte erzählen, wie sich alles ereignet hatte. Stellas Gesicht verdüsterte sich.

»Das ist doch stark – er hat meinen Wagen genommen«, sagte sie zu sich selbst. »Er hat wirklich die Fahrer gefangengesetzt, wie er es mir androhte. Was soll noch daraus werden!«

»Was will er tun?« fragte Helen leise.

Stella blickte das Mädchen an.

»Was glauben Sie denn, was er tun wird?« fragte sie nachdenklich. »Er ist ein Vieh, Sie werden selten solch einen gemeinen Kerl finden, es sei denn in Schauergeschichten ... Er hat uns eingeschlossen. Er wird nicht mehr Mitleid mit Ihnen haben als Bhag!«

»Wenn das Mike erfährt, wird er ihn umbringen!«

»Mike? Ach so, Sie meinen Brixan«, sagte Stella mit neu erwachtem Interesse. »Liebt er Sie? Spioniert er deswegen hier herum? Daran habe ich doch vorher noch nie gedacht. Aber was kümmert ihn Mike Brixan oder irgend jemand anders! Er kann fort – seine Jacht liegt in Southampton. Und sein Reichtum macht ihn unabhängig. Er kann all diesen Scherereien hier aus dem Wege gehen. Dann rechnet er auch damit, daß eine anständige Frau davor zurückschreckt, vor dem Kriminalgericht zu erscheinen. Ach, er ist ein ausgekochter Schuft!«

»Was soll ich machen?«

Stella ging in dem kleinen Zimmer auf und ab. Sie hatte ihre Hände ineinandergelegt, die Furcht wollte sie wieder überwältigen.

»Ich glaube nicht, daß er mir etwas zuleide tut«, sagte Stella. Dann fing sie plötzlich von etwas anderem an zu sprechen. »Ich sah vor etwa zwei Stunden einen Landstreicher am Fenster.«

»Einen Landstreicher?« fragte Helen verwirrt.

Stella nickte.

»Er hat mich furchtbar erschreckt, bis ich seine Augen sah. Da wußte ich, daß es Brixan war. Aber Sie hätten ihn niemals erkannt, so gut hatte er sich maskiert.«

»Mike Brixan ist hier?« fragte Helen gespannt.

»Er muß irgendwo in der Umgebung sein. Das kann Rettung sein und hier ist noch etwas anderes.«

Sie nahm die kleine Browningpistole und gab sie ihr.

»Haben Sie jemals mit einer Pistole geschossen?«

Helen nickte. »Ich habe es schon getan. Es kam neulich in einer Szene vor«, sagte sie ein wenig verlegen.

»Nun, das ist gut. Die Pistole ist geladen. Hier ist die Sicherung. Sie müssen sie zuerst mit dem Daumen herunterdrücken, bevor Sie schießen können. Es ist besser, wenn Sie Penne töten – besser für Sie und besser für ihn.«

Helen schrak zurück.

»Nein, nein – das kann ich nicht!«

»Stecken Sie schnell die Waffe in Ihre Tasche! Haben Sie eine Tasche?«

In der Jacke, die Helen trug, fand sich eine innere Tasche, und Stella steckte die Pistole schnell hinein.

»Sie glauben gar nicht, was ich Ihnen für ein Opfer bringe, wenn ich sie Ihnen gebe«, sagte sie offen. »Dabei bringe ich dieses Opfer noch nicht einmal für jemand, den ich gern habe. Sie können sich wohl denken, Helen Leamington, daß ich Sie nicht gerade liebe. Aber ich würde es mir nie verzeihen können, wenn ich Sie diesem Schurken ohne Kampf überlassen hätte.«

Plötzlich beugte sie sich vor und küßte das Mädchen. Helen legte den Arm um ihren Nacken und umarmte sie einen Augenblick.

»Er kommt«, flüsterte Stella Mendoza und trat zurück. Es war wirklich Gregory. Er trug seinen feuerroten Pyjama und einen dunkelroten Hausmantel. Sein Gesicht war gerötet, und seine Augen glänzten vor Erregung.

»Komm mit!« Er winkte mit dem Finger. »Nicht du, Mendoza, du bleibst hier, du kannst sie später sehen, vielleicht nach dem Abendessen.«

Er schaute begehrlich auf das erschrockene Mädchen.

»Niemand wird dir etwas tun, laß deine Jacke hier.«

»Nein, ich will sie anbehalten!« sagte sie.

Instinktiv faßte ihre Hand an die Pistole, und sie legte ihren Daumen auf die Sicherung.

»Na gut, dann komm, wie du bist, es macht mir nichts aus.«

Er hielt sie fest an der Hand und ging neben ihr her, erstaunt und gut gelaunt, daß sie so wenig Widerstand leistete. Sie gingen in die Bibliothek und von da in den kleinen Salon, der dicht daneben lag. Er stieß die Tür auf und zeigte ihr die festlich geschmückte Tafel. Dann ließ er sie vor sich eintreten.

»Wein und Küsse«, rief er laut, als er den Korken einer Champagnerflasche an die Decke knallen ließ. »Wein und Küsse!« Er schwenkte das Glas so zu ihr hin, daß der Schaumwein an ihre Jacke spritzte und daran herunterfloß.

Sie schüttelte stumm den Kopf.

»Trink aus«, rief er, und sie berührte das Glas mit ihren Lippen.

Dann nahm er sie, bevor sie wußte, was vorging, in seine Arme, sein großes Gesicht preßte sich an ihre Wangen.

Sie versuchte der Umarmung zu entkommen, konnte aber nur den Mund abwenden und fühlte seine heißen Lippen auf ihrer Wange.

Plötzlich ließ er sie los, schwankte zur Tür und schloß sie ab. Er hatte aber den Schlüssel noch nicht losgelassen, als er ihre Stimme hörte:

»Wenn Sie nicht sofort aufschließen, werde ich Sie niederschießen!«

Belustigt und überrascht schaute er auf. Als er aber die Pistole in der Hand des Mädchens sah, hielt er seine zitternde Hand vor das Gesicht.

»Willst du wohl die Pistole nach unten richten, du dummes Mädchen«, schrie er. »Herunter damit! Du weißt gar nicht, was du tust! Das verfluchte Ding könnte doch durch einen Zufall losgehen!«

»Es wird nicht zufällig losgehen«, sagte sie. »öffnen Sie sofort die Tür.«

Er zögerte einen Augenblick. Ihr Daumen drückte die Sicherung herunter. Er hatte die Bewegung bemerkt.

»Schieß nicht, schieß nicht!« brüllte er laut und riß die Tür weit auf. »Warte, geh nicht hinaus. Bhag wird dich fassen! Komm zu mir, ich will –«

Sie lief den Gang entlang. In der Halle glitt sie auf einem Teppich aus, richtete sich aber sofort wieder auf. Mit zitternden Händen öffnete sie die Ketten und Riegel, dann stieß sie das Tor weit auf und war im Freien.

Sir Gregory folgte ihr. Der Schrecken über ihre plötzliche Flucht machte ihn nüchtern, und er wurde sich all der schlimmen Folgen bewußt, die die Sache haben konnte. Er eilte bestürzt in sein Arbeitszimmer und öffnete den Geldschrank, zog einen großen Stoß Banknoten heraus, nahm eine pelzgefütterte Jacke von einem Haken und schlüpfte hinein. Er zog sich eben starke Schuhe an, als er plötzlich an Bhag dachte. Er öffnete seinen Raum, aber der Affe war nicht da. Ein schrecklicher Gedanke kam ihm. Wenn Bhag das Mädchen erwischte! Ein Rest menschlichen Gefühls tauchte dumpf in seinem Gemüt auf. Zuerst mußte er wissen, wo Bhag war. Er ging in die Dunkelheit hinaus, um seinen schrecklichen Diener zu suchen. Er legte beide Hände an den Mund und stieß einen langen, klagenden Schrei aus. Diesem Ruf war Bhag bisher immer gefolgt. Er wartete, aber er hörte nichts. Wieder ließ er den melancholischen Ruf ertönen, aber wenn Bhag ihn gehört hatte, wurde er ihm zum erstenmal in seinem Leben untreu.

Kalter Angstschweiß trat auf Gregory Pennes Stirn. Und als er wartend stand, kam er wieder zu sich. Er mußte irgend etwas unternehmen. Er ging in sein Schlafzimmer, zog den Pyjama aus, und kurze Zeit darauf war er wieder in dem dunklen Garten, um den Affen zu suchen. Als er jetzt richtig angezogen war, fühlte er sich mutiger. Vorher hatte er noch ein großes Glas Whisky getrunken, um seinen Mut zu stärken.

Er klingelte nach dem Diener, der gleichzeitig Chauffeur war. »Bring das Auto zur hinteren Tür«, sagte er, »und zwar sofort. Sieh auch zu, daß das Tor offen ist. Es ist möglich, daß ich heute noch fort muß.«

Er zweifelte nicht daran, daß man ihn festnehmen würde. Weder sein Reichtum noch seine Stellung, noch sein Einfluß, den er im ganzen Land hatte, konnten ihn davor retten. Diese letzte Dummheit, die er begangen hatte, war denn doch zu stark.

Plötzlich erinnerte er sich, daß Stella Mendoza noch im Haus war, und rannte nach oben, um nach ihr zu sehen. Als sie in sein Gesicht schaute, war ihr klar, daß irgend etwas Außergewöhnliches vorgegangen war.

»Wo ist Helen?« fragte sie ihn heftig.

»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Sie ist entflohen. Sie hatte eine Pistole. Bhag ist hinter ihr her. Mag der Himmel wissen, was noch geschieht, wenn er sie erwischt. Er wird sie in Stücke zerreißen. Was ist das?«

Man hörte von fern her einen Pistolenschuß, und zwar aus der Richtung hinter dem Haus.

»Wahrscheinlich Wilderer«, sagte Gregory unsicher. »Also, nun höre zu, ich gehe jetzt.«

»Wohin gehst du?« fragte sie.

»Das geht dich nichts an«, sagte er rauh. »Hier ist Geld.« Er nahm einige Banknoten und gab sie ihr.

»Was hast du gemacht?« fragte sie starr vor Schrecken.

»Ich habe gar nichts gemacht, sage ich dir«, fuhr er sie an. »Aber sie werden mich deswegen festsetzen. Ich gehe jetzt zu meiner Jacht. Du würdest auch besser tun, das Haus zu verlassen, bevor sie kommen!«

Sie nahm schnell Hut und Handschuhe. Plötzlich hörte sie, wie die Tür zufiel und sich der Schlüssel wieder umdrehte. Ohne es zu wollen, hatte er sie wieder eingeschlossen, und in seiner Aufregung achtete er nicht mehr auf ihr Klopfen.

Griff Towers stand auf einer Erhöhung, und man konnte von hier aus die Straße nach Chichester übersehen. Als er vor seinem Haus stand und immer noch hoffte, den Affen zu finden, sah er plötzlich zwei Lichter, die sich mit größer Geschwindigkeit näherten.

»Die Polizei«, stöhnte er und eilte Hals über Kopf durch den Küchengarten zur Hintertür.


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